Warum evangelische Freiheit in der Kirche nur durch orthodoxe Christus-Verkündigung zu bewahren ist: „Die Autorität des Evangeliums und das Lehramt der Heiligen Schrift sind sowohl dem Amts­träger wie auch der Gemeinde vorgegeben und ermöglichen herrschaftsfreie Verhältnisse un­ter den Kirchengliedern. Nur dort, wo sich der Amtsträger an seine Ordinationsverpflichtung hält, kann und darf er Gehör beanspruchen. … Auch als ‚freisinniger‘ Christ lässt man das orthodox Gesagte als ’spielregelkonform‘ in der Kirche gelten. ‚Das muss er halt so sagen, weil er Pfarrer ist …’“

Warum evangelische Freiheit in der Kirche nur durch orthodoxe Christus-Verkündigung zu bewahren ist

Wie geht das zusammen in Sachen Christsein – erzliberal und zugleich orthodox? Vor einem Antwortversuch muss zunächst geklärt werden, was mit „erzliberal“ bzw. „orthodox“ jeweils gemeint ist. Für mich heißt „orthodox“ im Glauben an den dreieinen Gott der einen heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche verbunden zu sein. Schlüsseltext dazu ist das ökumeni­sche Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel:

Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Him­mel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.

Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heili­gen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein.

Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater [und dem Sohn] hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kir­che. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt.

Erzliberal heißt sich im eigenen Glauben menschlicher Anarchie (= Herrschafts- bzw. Ursprungslosigkeit) verpflichtet zu wissen, d.h. es gibt keine menschliche Autorität, die mir definitiv vorschreiben kann, was ich zu glauben und wie ich mich gottwohlgefällig zu verhal­ten habe. Jesu eigene Worte begründen diese menschlichen Anarchie in der Kirche: „Ihr wisst, die als Herrscher der Völker gelten, unterdrücken sie, und ihre Großen setzen ihre Macht gegen sie ein. Unter euch aber sei es nicht so, sondern: Wer unter euch groß sein will, sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, sei der Knecht aller. Denn auch der Men­schensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Le­ben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Mk 10,42-45) Eigene Geltungsansprüche auch in Sachen des Glaubens müssen im Hinblick auf andere selbst erlitten werden.

Aber ist das nicht ein Widerspruch: Orthodoxer („rechtgläubiger“) Glaube in und mit der einen heiligen Kirche (una sancta ecclesia), der zugleich sich selbst in evangelischer Freiheit wahrnimmt?

Um diesen vermeintlichen Widerspruch aufzulösen, gilt es in die Orthodoxie des Glaubens einzusteigen. Was in der Kirche gemeinschaftlich bekannt wird, ist der dreieinige Gott mit seinem schöpferischen, versöhnenden und heiligenden Werk, das mich in der Gemeinschaft der Kirche zum Heil einschließt. Der christliche Glaube vertraut der göttlichen Wirklichkeit zum eigenen Heil und zur Erlösung seiner Schöpfung. Menschliche Worte und menschliches Handeln in der Kirche bezeugen die göttliche Wirklichkeit in Wort und Sakrament und kön­nen daher eo ipso keine eigene Autorität für sich beanspruchen. Gehorsam ist immer nur Glaubensgehorsam gegenüber dem Evangelium Jesu Christi, so es in menschlichem Zeugnis und in menschlicher Verkündigung präsentiert wird.

In der kirchlichen Verkündigung geht nicht um eine Weltanschauung oder um ein Lehrgebäu­de, sondern um das „Geheimnis des Glaubens“, das im Pascha-Mysterium Christi präsent ist. Mit der Akklamation nach den Einsetzungsworten beim Herrenmahl gesprochen: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlich­keit.“ Was durch ihn und mit ihm und in ihm geschah, ist nicht vergangen, sondern für uns wirklich gegenwärtig. Im Glauben an sein Hingabewort (sein Testament) sind wir in die Gegenwart des dreieinigen Gottes hineingenommen und werden damit zu Teilhabern „an der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium“ (Epheser 3,6). Diese Verheißung gilt dem letztgültigen göttlichen Zukunftsgeschehen, wie es im Glaubensbekenntnis heißt: „Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein.“

Wo der christliche Glaube von göttlichem Geschehen eingenommen ist, können sich in der Kirche keine menschlichen Herrschaftsverhältnisse behaupten. Wem in der Kirche das Amt der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung anvertraut ist, tritt nicht in eigener Per­son und in eigener Sache der Gemeinde gegenüber. Er kann sich nicht über das hinwegsetzen, worauf er sich in seiner Ordination selbst hat verpflichten lassen, nämlich das anvertraute Amt „nach Gottes Willen in Treue zu führen, das Evangelium von Jesus Christus, wie es in der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis unserer evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, zu predigen, die Sakramente ihrer Einsetzung gemäß zu verwalten, das Beichtgeheimnis und die seelsorgerliche Verschwiegenheit zu wahren und mich in allen Dingen so zu verhal­ten, wie es meinem Auftrag entspricht“.

Die Autorität des Evangeliums und das Lehramt der Heiligen Schrift sind sowohl dem Amts­träger wie auch der Gemeinde vorgegeben und ermöglichen herrschaftsfreie Verhältnisse un­ter den Kirchengliedern. Nur dort, wo sich der Amtsträger an seine Ordinationsverpflichtung hält, kann und darf er Gehör beanspruchen. Er muss sich in seiner Amtsführung und Verkün­digung auf seine Regelbindung hin befragen lassen. Schließlich weiß die Gemeinde (bzw. kann es nachschlagen), woran er sich zu halten hat und wo sie möglicherweise ihm die Zu­stimmung verweigern muss. Jedem Gemeindeglied steht es darüber hinaus frei, ob es dem „amtlich“ Gesagten seinen Glauben schenken will. Auch als „freisinniger“ Christ, der eine dezidiert heterodoxe Überzeugung in Sachen Heilsgeschehen hat, lässt man in eigener Gewis­sensfreiheit das orthodox Gesagte als „spielregelkonform“ in der Kirche gelten. „Das muss er halt so sagen, weil er Pfarrer ist …“

Anders verhält es sich jedoch, wenn ein „freisinniger“ Amtsträger unter dem Anspruch einer „kritischen Vernunft“ heterodox predigt. Diese Heterodoxie verweigert sich nämlich dem göttlichen Pascha-Mysterium, da nicht (neuplatonisch) vernunftfähig. An die Stelle des göttli­chen Geschehens, von dem man als Amtsträger im Glauben selbst eingenommen ist, treten eigene weltanschauliche Überzeugungen bzw. eine eigene religiöse Ideologie. Statt sich selbst auf den eigenen Gehorsam gegenüber dem „einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Din­ge sind und wir durch ihn“ (1Korinther 8,6) befragen lassen, tritt der Anspruch eigener, höhe­rer intellektueller Einsichten, die der Gemeinde zuzumuten sind bzw. worüber die Gemeinde aufzuklären ist.

Aber genau da beginnt der „freisinnige“ Klerikalismus: Weil man als studierter und konsisto­rial examinierter Amtsträger die pastorale „höhere Weihe“ ein für alle Mal erhalten habe, besitzet man als Pfarrer in der verfassten Kirche einen „amtsimmunen“ Status. Mit dem Talar als Amtstracht sichtbar der Gemeinde gegenübergestellt und mit einem öffentlichen Redemo­nopol ausgestattet beansprucht man im Namen der eigenen Glaubensfreiheit von der Kanzel autoritativ Glaubensinhalte und Glaubensansichten verkünden, für die man keine Rechen­schaft bezüglich des vorgegebenen kirchlichen Lehrkonsenses („Ecclesiae magno consensu apud nos docent …“ – CA 1) ablegen kann und muss. Als Pfarrer hat man per se Autorität und weiß es einfach besser als die Gemeinde. An die Stelle der Autorität des Evangeliums tritt der eigene Habitus, der sich mitunter selbst als autoritär erweist.

Das ist ja die Illusion, dass in der evangelischen Kirche alle gleichermaßen die ganz eigenen Glaubensansichten zum Besten geben dürfen – „wir sind so frei …“ – als wäre Kirche eine religiöse Selbsterfahrungsgruppe im Stuhlkreis mit gestalteter Mitte, wo jeder mit seiner In­nerlichkeit und seinen Befindlichkeiten für die anderen vernehmbar zu Wort kommen darf. Die Rede vom Priestertum aller Gläubigen dient in den verfassten Landeskirchen allzu häufig zur Verschleierung asymmetrischer Kommunikationsverhältnisse. Einer tritt von Amts wegen der Gemeinde mit der freien, assertorischen Rede gegenüber, sei es im Gottesdienst auf der Kanzel oder aber in gedruckter Form im Gemeindebrief. Wenn es um Glauben in der Gemein­de geht, hat der Pfarrer mit seiner Amtsautorität in der Öffentlichkeit letztlich das Sagen. (Et­was anderes wäre es, wenn ein Pfarrer öffentlich eigene Glaubenszweifel äußern und damit vor den andern sich selbst um den eigenen Amtsanspruch bringen würde.)

Innerhalb einer verfassten Landeskirche kann die „wahre“ Botschaft des Evangeliums nicht über einen herrschaftsfreien Diskurs zur Geltung gebracht werden. Heterodoxie im pastoral monopolisierten Amt bedeutet, dass eigene Glaubensüberzeugungen eines Amtsträgers unter einem autoritativen Geltungsanspruch den anderen Mitchristen unwidersprüchlich auferlegt werden. Damit werden unter scheinbar liberalen Vorzeichen in der Kirche klerikale Macht­verhältnisse begründet, die der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Kirche widersprechen.

Evangelische Freiheit in der Gemeinschaft der Gläubigen nur durch die Orthodoxie der Chri­stus-Verkündigung zu bewahren.

Hier mein Text als pdf.

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