Wie heißen die vierzig Tage vor Ostern (Quadragesima) richtig?
Gemeinhin ist bezüglich der vierzig Tage vor Ostern (Quadragesima) im deutschsprachigen Raum von der Fastenzeit die Rede. Damit scheint der Inhalt vorgeben: „Was fastest Du in diesem Jahr?“ Selbst evangelischerseits gibt es seit 1983 eine Fastenaktion „7 Wochen ohne“ mit immer kreativeren „Fastenvorhaben“. So heißt 2025 das Motto „Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik“.
Ganz offensichtlich hat sich auch in der evangelischen Kirche die Bezeichnung „Passionszeit“ nicht durchgesetzt. Der kirchlichen Tradition zufolge beginnt die eigentliche Passionszeit erst am Sonntag Judika (5. Fastensonntag), also zwei Wochen vor Ostern. Noch in der Lutherischen Agende I von 1955 ist von der Fastenzeit die Rede. Es hat sich gezeigt, dass die Ausdehnung der Passionszeit auf die ganze Quadragesima mit der Perikopenordnung von 1978 liturgisch nicht gefüllt werden kann.
Der Ursprung der Quadragesima liegt in der altkirchlichen Vorbereitung der Gläubigen auf das Osterfest. Es handelt sich dabei um eine Buß- bzw. Besinnungszeit, die durch eigenes Fasten unterstützt wird. In der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanum heißt es daher über den Sinn der Vierzig Tage: „Die vierzigtägige Fastenzeit hat die doppelte Aufgabe, einerseits vor allem durch Tauferinnerung oder Taufvorbereitung, andererseits durch Buße, die Gläubigen, die in dieser Zeit mit größerem Eifer das Wort Gottes hören und dem Gebet obliegen sollen, auf die Feier des Pascha-Mysteriums vorzubereiten.“ (SC 109)
Wo evangelischerseits von einer vierzigtägigen Passionszeit die Rede ist (Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken – EG 92), erfolgt damit eine Ausrichtung auf Karfreitag ohne Osterperspektive. Dahinter steht im Deutschen ein begriffliches Problem, ist doch „Ostern“ mit der ursprünglichen Bedeutung „Morgenröte“ als Heilsereignis semantisch von Karfreitag geschieden, im Unterschied zu den meisten anderen europäischen Sprachen. Dort werden Wortableitungen vom aramäischen pascha ([ˈpasça] angelehnt an das hebräische Wort pessach) verwendet. Im Pascha-Fest kommt das Heilsgeschehen von Jesu Leiden, dessen Kreuzestod und seine Auferstehung von den Toten als Einheit zur Sprache. Beim deutschen Osterverständnis hingegen bleibt der Kreuzestod Christi außen vor. Die Trennung von Karfreitag und Ostern wird festgeschrieben, wenn liturgisch die 40 Tage (Quadragesima) als Passionszeit auf Karfreitag und die 50 Tage danach als Osterzeit (tempus paschale) auf das Auferstehungsgeschehen ausgerichtet werden.
Weder die Bezeichnung „Fastenzeit“ noch „Passionszeit“ treffen die eigentliche Intention der Quadragesima. Jesu Hingabe für uns Menschen gilt es das ganze Jahr über zu bedenken; „Fastenzeit“ hingegen betont ein menschlicherseits zu erbringendes Werk. Besser wären „Vorösterliche Besinnungszeit“: Unter der Anleitung des Wortes Gottes nehme ich mich als Sünder in meinem (Un-)Verhältnis zum dreieinigen Gott wie auch zu meinen Mitmenschen wahr. Damit öffne ich mich neu für das göttliche Pascha-Mysterium sowie für die unbedingte Heilszusage des Evangeliums in Jesu Namen.
So könnte für die Besinnungszeit zwischen Aschermittwoch und Gründonnerstag täglich je eine Gewissensfrage gestellt werden. Dieser Fragen wiederum beziehen sich wochenweise auf eine bestimmte göttliche Weisung. Eine mögliche Einteilung der Fragegruppen könnte (in Anlehnung an die Hilfe zur Gewissenserforschung aus dem Gotteslob, Nr. 600) sein:
Erste Woche: Gott will, dass wir die Menschen achten, denen wir familiär verbunden sind oder die uns besonders anvertraut sind.
Zweite Woche: Gott will, dass wir ihm vertrauen und uns nicht an fremde Mächte und Ideen binden.
Dritte Woche: Gott will, dass wir Leben achten und Leid abwenden.
Vierte Woche: Gott will, dass wir ihn ehren und ihn anrufen.
Fünfte Woche: Gott will, dass wir in Ehe und Freundschaft einander Respekt, Liebe und Treue erweisen.
Sechste Woche: Gott will, dass wir Eigentum achten und unseren Mitmenschen zugutekommen lassen.
Siebte Woche: Gott will, dass wir zur Wahrheit stehen und niemandem durch Lügen Schaden zufügen.
Aus Jesu Mund kommt die Botschaft für diese Besinnungszeit: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15)