Ist der Missionsbefehl in der neuen Luther-Bibel 2017 falsch wiedergegeben? – Ja, schreibe ich in idea spektrum

Duccio di Buoninsegna, Erscheinung Christi auf den Berg von Galilea ( Altarretabel des Sieneser Doms, 1308-11)
Duccio di Buoninsegna, Erscheinung Christi auf den Berg von Galilea (Altarretabel des Sieneser Doms, 1308-11)

In der aktuellen Ausgabe 1/2017 von idea spektrum habe ich den Pro-Beitrag zur Frage „Ist der Missionsbefehl in der neuen Luther-Bibel 2017 falsch wiedergegeben?“ geschrieben. Während die neue Einheitsübersetzung 2017 bezüglich Mt 28,19 – ähnlich wie die Zürcher Bibel – übersetzt „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern“ heißt es nunmehr (wieder) in der Luther-Bibel 2017 „Darum gehet hin und lehret alle Völker“.

Der Einwand von Altbischof Kähler „als ob wir Menschen die Macht hätten, alle Völker zu Christen zu machen“ sticht für mich nicht wirklich. Wenn „Jünger machen“ zu macherisch klingen sollte, hätte man ja alternativ übersetzen können: „Darum gehet hin und gewinnet als Jünger alle Völker“ bzw. „Darum gehet hin und weist als Jünger alle Völker ein“.

Kählers zweites Gegenargument verfängt meiner Meinung nach ebenfalls nicht. Das Verb mathēteuō ist alles andere als ein geläufiges griechisches Wort. Der transitive Gebrauch ist christliche Sondersprache und ist in der gesamten antiken Literatur nur viermal belegt. Wenn nun in Walter Bauers Wörterbuch zum Neuen Testament die Bedeutung „belehren“ mit aufgeführt wird, verdankt sich dies eben der vermeintlichen Autorität von Luthers bzw. Hieronymus Übersetzung von Mt 28,19. Aufschlussreich ist, dass in Mt 27,57 sowohl Hieronymus in der Vulgata wie auch Luther bezüglich Josef von Arimathäa die Passivform emathēteutē nicht als „belehrt worden sein“, sondern als „Jünger sein“ (discipulus esse) übersetzt haben. Im Übrigen steht ja im Griechischen das Verb didaskō für „lehren“ (so auch in Mt 28,20).

Was „Jünger machen bzw. gewinnen“ beinhaltet, entfaltet Jesus in der nachfolgenden – eigentlich modal zu übersetzenden – Partizipialkonstruktion, nämlich „taufen“ (v 19b) und „lehren“ (v 20a). Demzufolge übersetzt Fridolin Stier wörtlich: „Geht nun und macht zu Jüngern alle Völker, sie taufend auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, sie lehrend, alles zu wahren, was ich euch gewiesen.“ (v 19.20a, ähnlich die englischsprachige NRSV) Luther hingegen muss die durch seine Übersetzung von mathēteusate in Vers 19 entstandene Tautologie „Lehret alle Völker, indem ihr lehrt“ auflösen. Er tut dies dadurch, indem er die Partizipialkonstruktion (anders als Hieronymus) durch zwei Imperative „taufet“ bzw. „lehret“ parataktisch wiedergibt.

Es geht in Jesu Missionsbefehl um einen bestimmten „Jünger-sein“-Status von Menschen in Bezug auf Jesus selbst – in Entsprechung zu den elf Jüngern (mathētai), die auf dem Berg in Galiläa diesen Befehl selbst empfangen haben (v 16). Taufe auf Seinen Namen und Unterweisung in Jesu Sinne sind beides Beziehungsgeschehen, die das „Jünger machen“ in die Tat umsetzen. Jesu Gegenwartszusage „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28,20b) gilt damit sowohl für die elf Jünger auf dem Berg, wie auch für die neu hinzugewonnenen Jüngern aus den Völkern. Ohne ein „Jünger machen“ würde es hingegen eine bleibende Diskrepanz zwischen den elf „gelehrten“ Jüngern und den übrigen „belehrten“ Menschen geben. So etwas kennt man ja aus der eigenen Schulzeit von manchem (ein-)gebildeten Lehrer, der per se Recht haben muss, um seinen vermeintlich höheren Status gegenüber Schülern zu halten. Ein missionarisches „Jüngerschaftsverhältnis“ hingegen nimmt für Christen einen egalitären Charakter an und ist damit gerade nicht hierarchisch bzw. vormundschaftlich bestimmt.

Hier nun mein eigentlicher Text aus idea spektrum:

Wir sollen andere nicht nur lehren, sondern auch zu Jüngern machen. So lautet der griechische Urtext

In der Lutherbibel von 1984 heißt es in Jesu Missionsbefehl: „Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker“ (Matthäus 28,19) – in Übereinstimmung mit den gängigen Übersetzungen der Gegenwart. Anders dagegen die Lutherbibel 2017: „Darum gehet hin und lehret alle Völker“. Anstelle einer „Jünger-Machung“ tritt ein Lehren. Man kann sich dazu auf Luthers eigene Übersetzung berufen. Aber Luther ist mit seinen Worten nicht dem griechischen Urtext, sondern der lateinischen Vulgata (docete omnes gentes) gefolgt. Das griechische Verb mathēteuō bedeutet mehr als nur Wissenswertes zu „lehren“, sondern bezieht sich auf ein verbindliches Lehr- und Lebensverhältnis, nämlich das zwischen einem Jünger (mathētēs) und seinem Meister.

Was es heißt, als Jünger seinem Meister Jesus nachzufolgen, wird in den Evangelien erzählt: eine hingabevolle Gemeinschaft, die sich ganz auf Jesu Weisung und Lebensweg einlässt. Wenn nun der auferstandene Jesus seine Jünger beauftragt, Völker ebenso als Jünger zu gewinnen, sollen die Menschen in diese verbindliche Nachfolge eintreten. Zu Recht hat die Missionsbewegung im 20. Jahrhundert die grundlegende Bedeutung der biblisch verstandenen Jüngerschaft (Discipleship) wiederentdeckt. Wenn nun in der neuen Lutherbibel die Jünger-Werdung aus dem Missionsbefehl verbannt ist, wird damit – gewollt oder ungewollt – einem individualistischen religiösen Bewusstsein das Wort geredet.

Beworben wird die neue Lutherbibel vollmundig: „Das Original – so zuverlässig wie nie! Vollständig überprüft und durchgehend auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand.“ Schaut man genauer hin, erweist es sich nicht nur bei Jesu Missionsbefehl, dass dieser Anspruch nicht eingehalten wird.

Der Text in seiner Druckfassung zusammen mit dem Contra-Beitrag des früheren thüringischen Landesbischofs Dr. Christoph Kähler findet sich hier als pdf.

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