Martin Luther – Der Grundgedanke des Briefes des Hl. Paulus an die Galater: „Wenn es um die Gerechtigkeit Christi geht, haben wir also nichts zu wirken, da bringen wir nichts vor Gott, sondern sind lediglich die Empfangenden und erleiden einen anderen, der in uns wirkt, nämlich Gott.“

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Für Martin Luther ist der Galaterbrief ist neben dem Römerbrief der Schlüsselbrief zur evangelischen Rechtfertigungslehre. Seine Vorlesungen über diesen Brief von 1531 (auf Latein) wurden 1535 von Georg Rörer als Kommentar veröffentlicht. Dieser Kommentar ist einer der anspruchvollsten theologischen Schriften Luthers. Eingangs findet sich eine Zusammenfassung zur Glaubensgerechtigkeit:

Der Grundgedanke des Briefes des Hl. Paulus an die Galater

Von Martin Luther

Vor allem anderen muß über den Grundgedanken geredet werden, also von der Sache, die Paulus in dieser Epistel behandelt. Das aber ist der Grundgedanke: Paulus will jene Lehre von dem Glauben, von der Gnade, von der Sündenvergebung oder Christi Gerechtigkeit festigen, damit wir eine vollkommene Erkenntnis und den Unterschied zwischen Christi Gerechtigkeit und allen übrigen Gerechtigkeitsarten hätten. Die Gerechtigkeit muß nämlich auf vielfältige Art verstanden werden. Die eine Art ist die politische, die der Kaiser, die Fürsten dieser Welt, die Philosophen und Rechtsgelehrten behandeln; die andere ist die Zeremonialgerechtigkeit, deren Inhalt die menschlichen Überlieferungen, wie die päpstlichen und ähnliche Überlieferungen, lehren. Die Hausväter und Erzieher geben diese Gerechtigkeit ohne Gefahr weiter, weil sie ihr keine Kraft zur Genugtuung der Sünde zuschreiben, so daß man damit Gott versöhnen und die Gnade verdienen könnte. Die Zeremonien dienen lediglich zur Aufrechterhaltung der Sitten und bestimmter Regeln. Neben diesen beiden Gerechtigkeitsarten steht eine andere, die Gerechtigkeit des Gesetzes oder des Dekalogs, die Mose lehrt. Diese lehren auch wir nach der Lehre von dem Glauben. [21]

Jenseits und oberhalb all dieser Gerechtigkeitsarten steht die Glaubensgerechtigkeit oder die christliche Gerechtigkeit, die aufs sorgfältigste zu unterscheiden ist von den voraus genannten. Sie sind dieser Glaubensgerechtigkeit völlig entgegengesetzt, einmal, weil sie aus den kaiserlichen Gesetzen, den Überlieferungen des Papstes und den Geboten Gottes fließen, zum andern, weil sie ihren Bereich in unseren Werken haben und von uns gewirkt werden können, sei es nun, daß wir unsere „rein natürlichen Kräfte“ (wie die Sophisten sagen) einsetzen, sei es, daß wir von Gott mit Kräften zum Guten beschenkt werden (sind doch auch solche unsre Werkgerechtigkeiten Geschenk Gottes wie all das Unsere). Diese ganz ausgezeichnete Gerechtigkeit aber, die Gerechtigkeit des Glaubens, die Gott durch Christus ohne unsere Werke zurechnet, ist nicht von der Art des Weltreiches, noch der frommen Zeremonien, noch des göttlichen Gesetzes und spielt nicht in unserem Werkbereich, sondern ist völlig verschieden davon, d. h. sie ist völlig passiv. Im Gegensatz dazu sind die oben genannten Gerechtigkeitsarten alle aktiv. Wenn es um die Gerechtigkeit Christi geht, haben wir also nichts zu wirken, da bringen wir nichts vor Gott, sondern sind lediglich die Empfangenden und erleiden einen anderen, der in uns wirkt, nämlich Gott. Daher bezeichnet man diese Glaubens- oder christliche Gerechtigkeit gern als passive Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit ist im Geheimnis verborgen und wird von der Welt nicht erkannt, ja die Christen selbst halten sie für nicht genügend fest und schwer genug begreifen sie diese Gerechtigkeit in den Anfechtungen. Daher ist diese Gerechtigkeit immer neu einzuprägen und durch ständigen Gebrauch einzuüben. Und wer die in den Bedrängnissen und Schrecken des Gewissens nicht festhält oder begreift, kann nicht bestehen. Es gibt nämlich keinen so festen und sicheren Trost der Gewissen als diese passive Gerechtigkeit.

Aber derart ist die menschliche Schwachheit und Armseligkeit, daß wir in den Schrecken des Gewissens und in den Gefahren des Todes auf nichts anderes schauen als auf unsere Werke, unsere Würdigkeit und aufs Gesetz. Wenn uns das Gesetz unsere Sünde zeigt, so kommt gleich in den Sinn das frühere Leben. Der Sünder seufzt unter großem Herzensschmerz und denkt bei sich: Ach, wie verkehrt habe ich gelebt! Oh, daß ich länger leben dürfte, dann wollte ich mein Leben bessern usw. Auch vermag sich die menschliche Vernunft aus diesem Gesichtswinkel der aktiven oder eigenen Gerechtigkeit nicht zu lösen und zu erheben, um den Gedanken der passiven, der christlichen Gerechtigkeit zu fassen, sondern sie bleibt einfach in der aktiven Gerechtigkeit hängen (so sehr ist dieses Übel uns eingepflanzt und so sehr haben wir diese unglückselige Verhaltensweise in uns verfestigt). Der Teufel weiß [22] diese Naturschwäche auszunützen und diese Gedanken zu steigern und anzutreiben. Dann kann nichts anderes geschehen, als daß das Gewissen noch mehr zittert, durcheinandergerät und erschrickt. Es ist nämlich unmöglich, daß der menschliche Geist aus sich heraus einen Trost empfinge und im Gefühl und Erschrecken vor der Sünde auf die Gnade allein blickte, oder daß er mit Beharrlichkeit den Disput über die Werkwürdigkeit abbrechen könnte. Das liegt nämlich außerhalb der Kräfte, Gedanken und Auffassungsmöglichkeit der Menschen, ja sogar außerhalb des Gesetzes Gottes. Denn, obwohl das Gesetz das höchste von allem in der Welt ist, so fehlt es doch weit dahin, daß es ein erschrecktes Gewissen zum Frieden bringen könnte, ja das Gesetz steigert die Traurigkeit und bringt zur Verzweiflung. Durchs Gesetz nämlich wird die Sünde erst ganz zur Sünde (Röm. 7).

Daher hat ein angefochtenes Gewissen kein anderes Heilmittel gegen Verzweiflung und ewigen Tod, als daß es die Verheißung der in Christus angebotenen Gnade ergreift, d. h. diese Glaubensgerechtigkeit, die passive oder christliche Gerechtigkeit, die voll Vertrauen spricht: Ich suche nicht die aktive Gerechtigkeit, müßte sie zwar haben und schaffen, und gesetzt, daß ich sie hätte und schaffte, so kann ich auf sie doch nicht vertrauen noch durch sie bestehen vor dem gerechten Gott. Daher verwerfe ich mich außerhalb aller aktiven Gerechtigkeit, außerhalb meiner eigenen und des Gesetzes Gerechtigkeit und umfasse schlicht jene passive Gerechtigkeit, die da ist die Gerechtigkeit der Gnade, der Erbarmung, der Sündenvergebung. In Summa: Es ist Christi und des Hl. Geistes Gerechtigkeit, die wir nicht schaffen, sondern erleiden, nicht haben, sondern empfangen, wenn sie uns Gott der Vater durch Jesus Christus schenkt.

Denn gleich wie die Erde selbst den Regen nicht hervorbringt noch durch irgend ein eigenes Werk, Bearbeitung oder durch Krafteinsatz sich beschaffen kann, sondern ihn lediglich von oben durch Himmelsgeschenk empfängt, so wird uns ohne unser Werk und Verdienst von Gott her jene himmlische Gerechtigkeit geschenkt. Soviel also die dürre Erde aus sich heraus beitragen kann zur Beschaffung eines reichlichen und beglückenden Regens, soviel können wir Menschen mit unseren Kräften und Werken beitragen, um uns jene göttliche, himmlische und ewige Gerechtigkeit zu verschaffen; nein wir müssen sie durch geschenkweise Zurechnung als unaussprechliche Gabe Gottes empfangen. Darum ist es die höchste Kunst und Weisheit der Christen, nichts wissen zu wollen von dem Gesetz, nicht kennen zu wollen die Werke und die ganze aktive Gerechtigkeit, so wie es außerhalb des Gottesvolkes höchste Weisheit ist, das Gesetz, die Werke und die aktive Gerechtigkeit zu kennen und zu beschauen.

Es ist aber eine wunderbare und der Welt unerhörte Sache, wenn man die Christen lehrt, sie sollen lernen, das Gesetz nicht zu kennen und sollen so vor Gott leben, als ob es durchaus kein Gesetz gäbe. Wenn du nämlich das Gesetz nicht aus den Gedanken tust und deine Gedanken so auf die Gnade richtest, [23] als ob kein Gesetz sei, sondern nur die reine Gnade, so kannst du nicht selig werden. „Denn durchs Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde –“ (Röm.3,20). Im Gegensatz dazu muß man in der Welt auf Gesetz und Werken bestehen, als ob es durchaus keine Verheißung oder Gnade gäbe, und das wegen der unbeugsamen, übermütigen und ungezähmten Menschen, denen man nichts anderes vor Augen stellen darf als das Gesetz, damit sie erschreckt und gedemütigt werden. Dazu ist das Gesetz gegeben, daß es die Verhärteten zerschlage und töte und den alten Menschen plage. Beide Worte sind recht zu teilen, nach des Apostels Spruch (2.Tim.2,25f.).

Hier ist ein kluger und treuer Hausvater erfordert, der das Gesetz so anwendet, daß es innerhalb seiner Grenzen bleibe. Denn wenn ich die Menschen so Gesetz lehren wollte, daß sie durch das Gesetz gerecht werden können vor Gott, würde ich schon die Grenzen des Gesetzes überschreiten und würde diese zwei Gerechtigkeiten, die aktive und passive durcheinanderwerfen, und damit wäre ich ein schlechter Dialektiker, weil ich nicht recht zu scheiden wüßte. Wenn ich aber über den alten Menschen hinauskomme, bin ich auch schon jenseits des Gesetzesbereiches. Denn das Fleisch und der alte Mensch, das Gesetz und die Werke gehören zusammen, so gehören aber auch der Geist und der neue Mensch, die Verheißung und die Gnade zusammen. Darum wenn ich sehe, daß ein Mensch, der hinreichend zerknirscht ist, durchs Gesetz gedrückt, durch die Sünde erschreckt ist und nach Trost dürstet, da ist’s Zeit, daß ich ihm das Gesetz und die eigene Gerechtigkeit aus den Augen rücke und daß ich ihm durch das Evangelium die passive Gerechtigkeit vorstelle, die unter Ausschluß des Mose und des Gesetzes die Verheißung von Christus darbietet, der wegen der Angefochtenen und Sünder gekommen ist. Da wird der Mensch aufgerichtet und faßt Hoffnung und ist nicht weiterhin unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade, wie der Apostel sagt: „Nun seid ihr nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“ (Röm. 6,14). Wie denn nicht unter dem Gesetz? Nach dem neuen Menschen, den das Gesetz nichts angeht; denn das Gesetz hat seinen Machtbereich bis hin zu Christus, wie Paulus unten sagt: „Das Gesetz reicht bis Christus“ (Kap. 3,24). Wenn Christus kommt, weicht Mose mit dem Gesetz, mit der Beschneidung, den Opfern, dem Sabbat und es weichen alle Propheten.

Das ist unsere Theologie, in der wir diese beiden Gerechtigkeiten, die aktive und die passive, genau zu unterscheiden lehren, damit nicht Sitten und Glaube, Werke und Gnade, Staatswesen und Religion durcheinander geraten. Jede aber ist notwendig, aber jede muß innerhalb ihrer Grenzen gehalten werden. Die christliche Gerechtigkeit geht den neuen Menschen an, die Gesetzesgerechtigkeit aber den alten, der aus Fleisch und Blut geboren ist. Diesem alten Menschen muß wie einem Esel die Last aufgelegt werden, durch die er gedrückt wird, und er darf nicht genießen die Freiheit des Geistes und der Gnade, wenn er nicht den neuen Menschen vorher angezogen hat durch den Glauben an Christus (was doch in diesem Leben nicht völlig geschieht); dann [24] genieße er des Reiches und des Geschenkes der unaussprechlichen Gnade!

Das sage ich darum, daß nicht jemand glaube, wir würden die guten Werke verwerfen oder verhindern, wie die Päpstlichen uns fälschlich anklagen; aber sie verstehen nicht, was sie selbst sagen, noch was wir lehren. Solche kennen nämlich nichts als die Gesetzesgerechtigkeit und dennoch wollen sie von der Lehre urteilen, die weit über und jenseits des Gesetzes ihren Ort hat und über die ein fleischlicher Mensch sich unmöglich ein Urteil erlauben darf. Darum müssen sie notwendigerweise Anstoß nehmen, weil sie nicht höher als ins Gesetz blicken können. Alles, was über dem Gesetz liegt, ist ihnen größtes Ärgernis.

Wir aber stellen gleichsam zwei Welten vor Augen, eine himmlische und eine irdische. In diese zwei Welten stellen wir diese zwei verschiedenen Gerechtigkeiten, die unter sich den größten Abstand haben. Die Gesetzesgerechtigkeit ist von der Erde, handelt von irdischen Dingen, in ihrem Namen tun wir gute Werke. Aber wie die Erde nicht die Früchte bringt, wenn sie nicht zuvor bewässert wird und fruchtbar gemacht ist aus dem Himmel (die Erde kann den Himmel nicht beurteilen, erneuern und regieren, sondern umgekehrt, der Himmel beurteilt, erneuert, regiert und macht fruchtbar die Erde, so daß sie tut, was der Herr will), so richten wir mit der Gesetzesgerechtigkeit, auch wenn wir viel wirken, nichts aus und indem wir das Gesetz erfüllen, erfüllen wir es nicht, wenn wir nicht vorher ohne unser Werk und Verdienst gerechtfertigt sind durch die christliche Gerechtigkeit, die nichts zu tun hat mit der Gesetzesgerechtigkeit, die gleich ist der irdischen und der aktiven Gerechtigkeit. Jene aber ist die himmlische Gerechtigkeit, die passive, die wir nicht von uns aus haben, sondern aus dem Himmel empfangen, die wir nicht schaffen, sondern durch den Glauben empfangen, in dessen Kraft wir über alle Gesetze und Werke emporsteigen. Paulus sagt: „Wie wir getragen haben das Bild des irdischen Adam, so werden wir auch tragen das Bild des himmlischen“ (1.Kor.15,49). Das ist der neue Mensch in der neuen Welt, wo nicht ist Gesetz, Sünde, Gewissen, Tod, sondern freieste Freude, Gerechtigkeit, Gnade, Friede, Leben, Heil und Herrlichkeit.

Brauchen wir also nichts zu tun, nicht zu wirken, um diese Gerechtigkeit zu erlangen? Ich antworte: nein; denn diese Gerechtigkeit ist: durchaus nichts zu tun, nichts zu hören, nichts zu wissen von dem Gesetz oder von den Werken; diese Gerechtigkeit ist: allein zu wissen und zu glauben, daß Christus zum Vater gegangen ist und jetzt nicht gesehen wird, daß er im Himmel sitzt zur Rechten des Vaters, nicht als Richter, sondern uns gemacht von Gott zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und Erlösung. In Summa: Er ist unser Hoherpriester, der für uns eintritt, und über uns und in uns regiert durch die Gnade. Da wird keine Sünde gesehen, kein Schrecken, kein Gewissensbiß wird gespürt. Denn in diese christliche Gerechtigkeit kann keine [25] Sünde hineinfallen. Denn wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung. Da also hier Sünde keinen Raum hat, gibt es auch kein Gewissen, keinen Schrecken und keine Traurigkeit. Darum sagt Johannes: „Wer aus Gott geboren ist, kann nicht sündigen“ (1.Brief Kap. 3,9). Wenn aber das Gewissen oder der Schrecken da ist, so ist das ein Zeichen dafür, daß diese Gerechtigkeit fort ist, die Gnade aus dem Blick verloren und Christus verdunkelt ist und nicht gesehen wird. Wo aber Christus wirklich gesehen wird, da ist notwendig volle und vollkommene Freude im Herrn und Herzensfriede. Denn da schließt das Herz mit Gewißheit: Mag ich ein Sünder nach dem Gesetz sein in der Gesetzesgerechtigkeit, so verzweifle ich darum nicht, so sterbe ich darum nicht, weil Christus lebt, der meine Gerechtigkeit und mein ewiges und himmlisches Leben ist. In jener Gerechtigkeit und in jenem Leben habe ich keine Sünde, kein Gewissen und keinen Tod. Mag ich ein Sünder sein nach dem gegenwärtigen Leben und nach seiner Gerechtigkeit, als ein Adamssohn, wo mich das Gesetz anklagt, der Tod herrscht und mich verschlingen wird, aber über dieses Leben hinaus habe ich eine andere Gerechtigkeit, ein anderes Leben, das ist Christus, der Gottes-Sohn, der nichts weiß von Sünde und Tod, sondern Gerechtigkeit und ewiges Leben ist; um seinetwillen wird auch dieser mein toter Leib auferweckt und befreit werden von der Knechtschaft des Gesetzes und der Sünde und zugleich mit dem Geiste geheiligt werden.

So bleibt beides, solange wir hier leben, das Fleisch wird angeklagt, geplagt, betrübt und gedemütigt durch die aktive Gesetzesgerechtigkeit, aber der Geist lebt, freut sich und wird gerettet durch die passive Gerechtigkeit, weil er weiß, er habe einen Herrn, der im Himmel zur Rechten des Vaters sitzt, der Gesetz, Sünde, Tod abgetan und alle Übel niedergetreten und gefangen geführt und durch sich selbst einen Triumph aus ihnen gemacht hat. Darum geht es Paulus in diesem Brief, daß er uns vollständig unterrichte, stärke und festhalte in der vollkommenen Erkenntnis dieser allerherrlichsten und christlichen Gerechtigkeit. Wenn nämlich der Artikel von der Rechtfertigung verloren ist, dann ist die ganze christliche Lehre verloren. Und so viele in der Welt sind, die diesen Artikel nicht festhalten, das sind entweder Juden oder Türken oder Päpstliche oder Sektierer, denn zwischen diesen beiden Gerechtigkeiten, der aktiven Gesetzesgerechtigkeit und der passiven Christusgerechtigkeit gibts kein drittes. Wer daher von der christlichen Gerechtigkeit abgeirrt ist, der muß in die aktive Gerechtigkeit zurückgleiten, d. h. er muß, nachdem er Christus verloren hat, ins Vertrauen auf die Werke stürzen.

Das sehen wir heute an den fanatischen Geistern und Sektierern, die nichts lehren und auch nichts Richtiges lehren können von dieser Gnadengerechtigkeit. Freilich, die Worte haben sie aus unserem Munde und aus unseren Schriften genommen, aber so reden und schreiben sie auch nur Worte. Die Sache selbst weitergeben, einschärfen und klarmachen können sie nicht, weil sie die Sache nicht einsehen und auch nicht einsehen können. Sie hängen [26] allein an der Gesetzesgerechtigkeit. So sind und bleiben sie solche, die Werke vollbringen, und können nicht emporsteigen über jene aktive Gerechtigkeit. Daher bleiben sie dieselben, die sie unter dem Papst gewesen sind, wenn man davon absieht, daß sie neue Namen und neue Werke aufbringen; die Sache bleibt die gleiche. So wie ja auch die Türken andere Taten vollbringen als die Päpstlichen, die Päpstlichen andere als die Juden usw. Aber auf welche Weise auch immer die einen die anderen durch noch herrlichere und noch größere und noch schwierigere Werke übertreffen mögen, dennoch ist’s der gleiche Grundgehalt, nur die Art und Weise ist verschieden, d. h. die Werke sind nur durch ihre Augenscheinlichkeit und durch den Namen verschieden, in Wahrheit aber sind’s eben Werke und die sie tun, sind nicht Christen, sondern Werkleute, und das bleiben sie, ob sie nun Juden, Mohammedaner, Päpstliche oder Sektierer genannt werden.

Daher wiederholen, unterstreichen und prägen wir diesen Artikel von dem Glauben oder von der christlichen Gerechtigkeit in dieser Weise immer wieder ein, daß er in beständiger Übung bleibe und genau von der aktiven Gesetzesgerechtigkeit unterschieden werden möge. (Denn aus dieser Lehre wird und in dieser Lehre allein besteht die Kirche.) Sonst werden wir die wahre Theologie nicht bewahren können, sondern sind sofort Juristen, Ritualisten, Gesetzesmenschen, Päpstliche, dann wird sofort Christus verdunkelt und niemand in der Kirche kann richtig gelehrt und aufgerichtet werden. Wenn wir daher Prediger und Lehrer der anderen sein wollen, so müssen wir die größte Sorge auf diese Dinge verwenden und diesen Unterschied der Gesetzes- und Christusgerechtigkeit gut festhalten. Zu sprechen ist leicht davon, aber in der Bewährung und im Ernstfall ist die Unterscheidung die aller-schwierigste Sache, wenn du sie auch aufs sorgfältigste durchdenkst und dich damit beschäftigst, denn in der Stunde des Todes oder in anderen Gewissenskämpfen stoßen diese zwei Gerechtigkeiten näher aufeinander als du wünschen oder wollen möchtest.

Darum ermahne ich euch, vor allem diejenigen, die einmal Meister in der Gewissensleitung sein sollen, und ermahne jeden einzelnen besonders, daß ihr euch durch Studieren, Lesen, Meditieren und Gebet üben möget, daß ihr in der Anfechtung die Gewissen, die euren und die der anderen, unterrichten und trösten und von dem Gesetz zur Gnade zurückführen könnt, von der aktiven zur passiven Gerechtigkeit, in Summa, von Mose zu Christus. Der Teufel pflegt uns nämlich in der Not und im Gewissenskampf durchs Gesetz zu schrecken und uns entgegenzusetzen das Gewissen von der Sünde, unser verfehlt gelebtes Leben, den Zorn und das Gericht Gottes, die Hölle und den ewigen Tod, um uns so in Verzweiflung zu bringen und uns ihm selbst zu unterwerfen und von Christus wegzuziehen. Er pflegt schließlich die Stellen aus dem Evangelium uns entgegenzuhalten, in denen Christus selbst von uns Werke fordert und mit offenbaren Worten den Untergang denen droht, die sie nicht getan haben. Wenn wir da nicht zwischen den. beiden Gerechtig-[27]keitsarten unterscheiden können, wenn wir da nicht im Glauben Christus ergreifen, der zur Rechten Gottes sitzt, der unser Leben und unsere Gerechtigkeit ist, der auch für uns arme Sünder eintritt beim Vater, dann sind wir unter dem Gesetz, nicht unter der Gnade, und Christus ist nicht weiter Heiland, sondern Gesetzgeber; da ist dann kein Heil übrig, sondern es wird folgen die sichere Verzweiflung und der ewige Tod.

Lernen wir also aufs sorgfältigste diese Kunst der Unterscheidung der beiden Gerechtigkeiten, so daß wir wissen, wie weit wir dem Gesetz gehorchen müssen. Wir haben aber oben gesagt, daß das Gesetz im Christen nicht seine Grenzen überschreiten, sondern lediglich über das Fleisch herrschen darf, das dem Gesetz unterworfen ist und unterworfen bleiben muß. Wo das geschieht, besteht das Gesetz innerhalb seiner Grenzen. Wenn’s aber ins Gewissen hinaufsteigen und da herrschen will, dann siehe zu, daß du ein guter Dialektiker seist und richtig scheidest und dem Gesetz nicht mehr zuteilst, als sein darf, dann sprich: Gesetz, du willst ins Gewissensreich hinaufsteigen und da herrschen und das Gewissen wegen Sünde anklagen und die Herzensfreude wegnehmen, die ich aus dem Glauben an Christus habe, und willst mich in Verzweiflung stürzen, daß ich zugrunde gehen soll; das tust du an deinem Amt vorbei; bestehe innerhalb deiner Grenzen und übe deine Herrschaft gegen das Fleisch, aber das Gewissen sollst du mir nicht anrühren, denn ich bin getauft und durchs Evangelium gerufen zur Gemeinschaft der Gerechtigkeit und des ewigen Lebens, zum Reich Christi, in dem mein Gewissen ruhen darf, wo kein Gesetz ist, sondern lauter Vergebung der Sünde, Friede, Ruhe, Freude, Heil und ewiges Leben. Die sollst du mir nicht stören, denn in meinem Gewissen soll nicht herrschen das Gesetz, der harte Tyrann und grausame Eintreiber, sondern Christus, Gottes Sohn, der König des Friedens und der Gerechtigkeit, der allersüßeste Heiland und Mittler, der wird das Gewissen froh und ruhig erhalten in der gesunden und reinen Lehre des Evangeliums und in der Erkenntnis jener passiven Gerechtigkeit.

Wenn ich diese Gerechtigkeit in mir habe, steige ich von dem Himmel gleich wie ein Regen, der das Land befeuchtet, d. h. strebe hinaus in das andere Reich und tue gute Werke, so wie sie mir entgegenkommen. Wenn ich Diener am Wort bin, predige ich, tröste die Kleinmütigen, verwalte die Sakramente; bin ich Hausvater, regiere ich mein Haus, die Familie, erziehe die Kinder zur Frömmigkeit und Ehrbarkeit; wenn ich Amtsperson bin, führe ich das mir von Gott anbefohlene Amt; bin ich Knecht, dann besorge ich treulich des Herren Sache. Alles in allem, wer gewiß darum weiß, daß Christus seine Gerechtigkeit ist, der tut nicht nur von Herzen und mit Freuden in seinem Beruf Gutes, sondern unterwirft sich auch durch die Liebe den Obrigkeitspersonen, auch ihren unfrommen Gesetzen und allen Lasten und Gefahren des gegenwärtigen Lebens, wenn’s die Sache so erfordert; denn der Christ weiß, daß Gott das will und daß ihm solcher Gehorsam gefällt.

So viel von dem Hauptanliegen des Briefes, das Paulus behandelt, heraus-[28]gefordert durch falsche Lehrer, die jene Glaubensgerechtigkeit den Galatern verdunkelt haben und gegen die er seine Autorität und sein Amt ins rechte Licht setzt.

(WA 40/I, 40-51)

Quelle: D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, Bd. 4: Der Galaterbrief, herausgegeben und übersetzt von Hermann Kleinknecht, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1980, Seiten 20-28.

Hier der Text als pdf.

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