Max Thurian – Das Eucharistische Gedächtnis: Lob- und Bittopfer

Thurian - Eucharistie

Man muss als Evangelischer dem 1996 verstorbenen Taize-Bruder Max Thurian nicht in allem zustimmen, was dieser in Sachen „anabatisches“ Eucharistieverständnis gesagt hat, insbesondere, wenn er schreibt, die Eucharistie sei auch „die liturgische Darstellung durch die Kirche dieses Opfers des Sohnes vor dem Vater, damit er seines Volkes gedenke und ihm den durch dieses einzigartige Opfer erlangten Segen spende“. Kritisches hat seinerzeit schon Peter Brunner in seinem Geleitwort zu Thurians Buch „Eucharistie. Einheit am Tisch des Herrn?“ (Mainz-Stuttgart 1963) anzumerken gewusst. Und doch sind seine alttestamentlich bestimment Ausführungen zum eucharistischen Gedächtnis aus dem Begleitband zur Lima-Erklärung „Ökumenische Perspektiven von Taufe, Eucharistie und Amt“ (Paderborn-Frankfurt 1983) lesenswert.

Das Eucharistische Gedächtnis: Lob- und Bittopfer

Von Max Thurian

Wenn die Kirchentradition die Eucharistie als „Opfer“ bezeichnet, so will sie daraus keine religiöse Handlung unter anderen, und sei es die wichtigste und geistigste, machen. Die Eucharistie ist das alleinige Sakrament des einzigartigen Opfers Christi, sie ist das Opfer des Lobpreises und der inständigen Bitte der Kirche, und sie verwandelt den Gläubigen durch die Macht des Geistes in ein wohlgefälliges Opfer vor dem Vater.

In der Prophetie des Maleachi, die von den Kirchenvätern so oft zur Bezeichnung der Eucharistie aufgegriffen wurde, ist dies angekündigt: „… und ich mag kein Opfer aus eurer Hand. Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang habe ich bei den Völkern einen großen Namen, und an jedem Ort werden meinem Namen Rauchopfer dargebracht und reine Opfergaben“ (Mal 1, 10-11 Einheitsübersetzung). In der in Syrien Ende des 1. Jh. verfaßten Didache, einer der neben den Evangelien ältesten Erwähnungen der Eucharistie, heißt es: „Am Tag des Herrn sollt ihr euch versammeln, um das Brot zu brechen und Dank zu sagen, nachdem ihr außerdem eure Sünden gebeichtet habt, damit euer Opfer rein sei. Aber jeder, der einen Streit mit seinem Nächsten hat, geselle sich nicht zu euch, bevor er sich nicht versöhnt hat, damit euer Opfer nicht entweiht werde. Denn dies ist das Wort des Herrn: ,An jedem Ort und zu jeder Zeit soll man mir ein reines Opfer darbringen; denn ich bin ein großer König, spricht der Herr, und mein Name ist groß unter den Völkern.’“[1]

Der heidenchristliche, römische Philosoph Justin schreibt um 150 n. Chr. im Dialog mit dem Juden Tryphon unter Hinweis auf ebendiesen Text des Maleachi: „Diese Prophezeiung bezieht sich auf die von uns Heiden Gott an jedem Orte dargebrachten Opfer, das ist auf das Brot der Eucharistie und ebenso auf den Kelch der Eucharistie; nach seiner Erklärung ehren wir seinen Namen …“[2] Um dieselbe Zeit spricht Irenäus von Lyon diese Prophetie des Maleachi über das reine Opfer an: „Daher ist die Opfergabe der Kirche, die nach dem Auftrag des Herrn in der gesamten Welt dargebracht wird, als ein reines Opfer bei Gott angesehen und ihm angenehm, nicht als ob er ein Opfer von uns gebrauchte, sondern weil der, welcher es darbringt, selbst verherrlicht wird durch das, was er darbringt, wenn seine Gabe angenommen wird. (Nur das reine Opfer der Kirche ist Gott wohlgefällig.)“[3] [111]

Die Eucharistie als neues Passamahl

Man kann die Eucharistie nicht verstehen, wenn man sie nicht in den Zusammenhang des liturgischen Mahls hineinstellt, das die Juden alljährlich zum Passafest feierten und noch feiern: „Und er sprach zu ihnen: Mich hat sehnlich verlangt, dieses Passamahl mit euch zu essen, bevor ich leide. Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis es in seiner Vollendung gefeiert wird im Reiche Gottes“ (Lk 22,15-16). Dieses Passamahl wurde als eigentliches Opfer angesehen, nachdem die Tempelopfer nicht mehr stattfanden; es wurde zum großen Gedächtnis der Befreiung des Gottesvolkes.

Im Neuen Testament sind uns nur die wesentlichen Teile der Jesusworte überliefert, als er mit seinen Jüngern das heilige Abendmahl im Rahmen des Passamahls feierte. Paulus, der die Tradition dieser Feier übernommen hat, erinnert als guter Theologe an den Auftrag Jesu, welcher der Eucharistie ihren ganzen Sinn verleiht: „Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis! … Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blute; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!“ (eis ten emen anamnesin, 1 Kor 11, 24-25).

Dieses Wort „Gedächtnis“ ist in der tiefen Bedeutung der Eucharistie zentral. Das Gedächtnis ist nicht bloß subjektive Erinnerung, sondern ein liturgischer Akt, der das Ereignis des Opfers Christi vergegenwärtigt und durch den die Kirche dieses einzigartige Opfer als ihre Gabe der Danksagung und Fürsprache dem Vater darbringt. So heißt: „Dies tut zu meinem Gedächtnis“ in Wahrheit: „Tut dies, damit mein Opfer unter euch gegenwärtig sei und mein Vater zu eurem Wohle meiner gedenke.“ Dieses Wort „Gedächtnis“ gab dem jüdischen Passamahl seinen Sinn als Vergegenwärtigung der Befreiung des Gottesvolkes; es gibt der christlichen Eucharistie ihren Sinn als Vergegenwärtigung von Christi Opfer in der Kirche und vor dem Vater.

Für ein richtiges Verständnis der Eucharistie, die Jesus vor dem Hintergrund des jüdischen Passamahls gefeiert hat, ist eine Beschäftigung mit diesem liturgischen Mahl des Gottesvolkes hilfreich. Die Gebete der Mahlsegnung (birkat ha-mazon) als Teil des Passamahls können uns helfen, den Sinn des ersten Abendmahls und folglich der Eucharistie zu verstehen. Wir zitieren hier die einfache Form dieser Gebete, die in der Passaliturgie erweitert wurden; doch ihre Grundstruktur und der Sinn sind die gleichen. Jesus hat sicherlich eine dieser Gebetsformen verwendet:

1. „Gepriesen seist du, Herr unser Gott, König des Universums,
der du uns Menschen und die ganze Welt speisest
mit Güte, Gnade, Großmut und Erbarmen.
Gepriesen seist du, Herr, der du das Universum speisest. [112]

2. Lob dir (wir danken dir), Herr unser Gott,
denn du hast uns zum Erbe gegeben
ein gelobtes Land, gut und weit,
den Bund und das Gesetz, Leben und Speise;
für all das danken wir dir,
und wir preisen deinen Namen in Ewigkeit.
Gepriesen seist du, Herr, für das Land und die Speise.

3. Erbarme dich unser, Herr unser Gott,
und über Israel, dein Volk, Jerusalem, deine Stadt,
deinen Tempel, deine Wohnstatt,
über Zion, die Stätte deines Ruhms,
dein großes und heiliges Haus,
über das dein Name angerufen wurde;
stelle die Herrschaft des Hauses David wieder her
an ihrem Ort und zu unserer Zeit.

(Festliche Ergänzung für das Passafest:)
Unser Gott und Gott unserer Väter,
es steige herauf, es komme, es werde sichtbar und empfangen,
es werde gehört und angenommen, es werde zurückgerufen

das Gedächtnis unserer Personen, das Gedächtnis unserer Väter,
das Gedächtnis des Messias, des Sohnes deines Dieners David,
das Gedächtnis Jerusalems, deiner heiligen Stadt,
das Gedächtnis deines ganzen Volkes, des Hauses Israel,
es sei gegenwärtig vor deinem Angesicht, um uns zu erwirken
die Befreiung, das Wohl, die Gnade,
die Großmut, das Erbarmen, das Leben und den Frieden,
an diesem Festtag der ungesäuerten Brote.

Gedenke unser an diesem Tage, Herr unser Gott,
schenke uns das Heil,
suche uns heim an diesem Tag, und gib uns deinen Segen,
rette uns an diesem Tag, und spende uns das Leben.
Durch dein Wort des Heils und des Erbarmens,
vergib uns, schenke uns deine Gnade, erbarme dich unser,
und errette uns, denn unsere Augen sind auf dich gerichtet,
denn du bist der König voller Gnade und Erbarmen.

Erbaue Jerusalem, die Stadt deiner Heiligkeit
in Eile, zu unserer Zeit.
Gepriesen seist du Herr, der du in deinem Mitleid
erbaust Jerusalem.“

In diesen Gebeten finden wir die ganze Bedeutung wieder, die Jesus in die Eucharistie der Kirche hineinlegen wollte, indem er sie zugleich [113] seiner wirklichen Gegenwart versicherte im Leib und Blut des Gekreuzigten und Auferstandenen, der sich selbst zur Speise gibt.

Die beiden ersten Gebete, die einsetzen: „Gepriesen seist du …“ und „Lob dir …“, beziehen sich auf das, was die biblische Tradition Benediktion, Lobopfer oder Danksagung nennt. Der Stil des ersten Gebetes ist der, an die Wunder zu erinnern, die der Herr an seinem Volk gewirkt hat, und sie vor ihm auszubreiten. Die zweite Gebetsform ist eine Darbringung von Lob und Dank, die aus dem Preislied hervorgeht, wo die Wunder und Gnaden Gottes dargestellt wurden. Dieses Lobopfer und die Danksagung sind also eine Art Antwort auf die Wunder Gottes, die im Preislied besungen wurden. Jenes geistige Opfer ist in Israel allmählich an die Stelle der materiellen Opfer des Tempels getreten. Die Psalmen sind voll von diesem Gedanken des Lobopfers und der Danksagung. So ist Psalm 100 als Ganzes ein Dankopfer (vgl. Ps 27). Der Psalm 116 gehört zur Liturgie des Passamahls; Jesus hat ihn mit seinen Jüngern beim heiligen Abendmahl gesungen:

„Wie soll ich dem Herrn vergelten alles Gute,
das er an mir getan?
Ich will den Becher des Heils erheben
und den Namen des Herrn anrufen …
Dir will ich ein Opfer des Dankes bringen
und den Namen des Herrn anrufen …
in den Vorhöfen am Hause des Herrn,
in deiner Mitte, Jerusalem!“ (Ps 116,12-13/17/19).

Wie Petrus sagt, sind wir ein königliches Priestertum geworden, „damit ihr die herrlichen Taten dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat“ (1 Petr 2,9). Und der Verfasser des Hebräerbriefs beschreibt unser Dasein als Christen so: „Durch ihn (Christus) also lasset uns Gott jederzeit ein Opfer des Lobes darbringen, das heißt: eine Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Der Wohltätigkeit aber und der Pflege der Gemeinschaft vergesset nicht! Denn an solchen Opfern hat Gott ein Wohlgefallen“ (Hebr 13,15-16; vgl. Ps 50,14/23). Das christliche Leben wird hier als ein Opfer des Lobes und der Großmut dargestellt, wie eine Liturgie und Diakonie, die im Lobe Gottes eins sind.

So hat Jesus also im geistigen Horizont des Lobpreises der Wunder Gottes und des Lobopfers während des Passamahls die erste Eucharistie gefeiert. Die Kirche hat es immer so verstanden, denn schon die ältesten Liturgien stellen einen feierlichen Lobpreis der Großtaten der Schöpfung und Erlösung an den Anfang des eucharistischen Gebetes, worin deutlich wird, daß die Eucharistie Lobopfer und Danksagung ist: [114]

„In Wahrheit ist es würdig und recht,
dir, Herr, heiliger Vater,
immer und überall zu danken
durch deinen geliebten Sohn Jesus Christus.
Er ist dein Wort, durch ihn hast du alles erschaffen.”
(Anfang der Präfation) — Alle Kirchen beginnen ihr eucharistisches Gebet im Stil des Lobpreises/Segens (berakah) und des Lobopfers (todah).

Das dritte Gebet und seine festliche Ergänzung (Gedächtnis) ist Anrufung und Fürbitte: „Erbarme dich … Gedenke …“ In gleicher Weise ist die Eucharistie Anrufung und Fürbitte, begründet in der Erneuerung des Opfers Christi. Weil Jesus sich dem Vater und uns im Kreuzesopfer hingegeben hat, weil er für uns beim Vater Fürsprache hält, können wir im Vertrauen auf dieses Opfer und diese Fürbitte das eucharistische Gebet der Kirche als unsere Anrufung und Fürbitte darbringen. Dies nennt die Bibel Gedächtnis: vor Gott das zurückrufen, was er für sein Volk schon vollbracht hat, damit er uns heute alle Wohltaten gewähre. Das Gedächtnis ist Vergegenwärtigung von Gottes Werk, und es ist zugleich Erinnerung des Vaters im Gebet an das, was er getan hat, damit er sein Werk auch heute fortsetze.

Das Passamahl ist das Gedächtnis (zikkaron) par excellence, in dem das Gottesvolk seine historische Befreiung in einer Liturgie vergegenwärtigt und Gott daran erinnert, was er einmal getan hat, daß er es auch heute fortführe: „Unser Gott und Gott unserer Väter“, heißt es im jüdischen Passagebet, „es steige herauf … das Gedächtnis unserer Personen, das Gedächtnis unserer Väter, das Gedächtnis des Messias … Gedenke unser …“ Wieviele liturgische Gesten des Alten Testaments werden doch als „Gedächtnis“[4] bezeichnet, weil sie eine symbolische Form der Anrede an Gott sind: „Erinnere dich an uns aufgrund deiner Treue, die einst durch die Befreiung aus der Sklaverei und im Bund mit deinem Volk geoffenbart wurde!“

Beim Opfer oder der Darbringung der Opferbrote wird Weihrauch verbrannt, was nach dem Buch Levitikus „auf dem Altar als Gedächtnisanteil in Rauch aufgeht“ (Lev 2,2; 24,7 Einheitsübersetzung), d. h. wodurch der Opfernde Gott in Erinnerung gerufen wird. Wenn der Hohepriester ins Allerheiligste eintritt, trägt er ein liturgisches Gewand, das mit zwölf Edelsteinen geschmückt ist, auf denen die Namen der zwölf Stämme Israels eingraviert sind. „Also soll Aaron, wenn er ins Heiligtum hineingeht, die Namen der Söhne Israels in der Brusttasche für den Rechtsspruch immer auf der Brust tragen, damit der Herr ihrer gedenke“ (Ex 28,29). Dies ist wie eine symbolische Fürbitte, welche Gott an die zwölf Stämme erinnert. Man könnte zahlreiche Beispiele für das Gedächtnis anführen, die allesamt unser [115] Eucharistieverständnis erhellen. Aber dies ist nicht nur eine Vorstellung des Alten Testaments. So berichtet z. B. die Apostelgeschichte in der Erzählung über die Bekehrung des Cornelius folgende Worte vom Engel des Herrn: „Cornelius! Deine Gebete und deine Almosen sind als Opfer vor Gott aufgestiegen, und er hat ihrer gedacht. Und jetzt sende Männer nach Joppe, und laß einen gewissen Simon kommen, der den Zunamen Petrus trägt!“ (Apg 10,4-5;31-32) Die Gebete und Almosen des Cornelius wirkten also wie ein Anruf an die Erinnerung Gottes, und er hat seine Hoffnung erfüllt.

Als nun Christus beim heiligen Abendmahl während des Passamahls jene für die Juden bedeutungsvollen Worte sprach: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, da verstanden die Apostel genau, daß Jesus von ihnen verlangte, die Eucharistie in der Form eines Opfers der Anrufung und Fürbitte zu feiern, um dem Vater das Gedächtnis des Kreuzesopfers vorzustellen wie ein Gebet voller Verheißungen für alle Menschen. Daher konnte ein großer Exeget die Worte Christi beim Abendmahl so übersetzen: „Tut dies, damit der Vater meiner gedenke.“[5] Die Worte der jüdischen Passaliturgie aufnehmend könnte man das Wort Jesu so kommentieren: „Unser Herr und Gott unserer Väter, es steige herauf vor dein Angesicht das Gedächtnis des Messias, des Sohnes Davids, deines Dieners, das Gedächtnis seines Opfers … Gedenke unser!“

So läßt uns die jüdische Passaliturgie, in deren Rahmen Jesus das heilige Abendmahl gefeiert hat, verstehen, daß die Eucharistie ein Lobpreis der Wundertaten Gottes ist, Lobopfer und Danksagung, ein Gedächtnis, das heißt eine Vergegenwärtigung des Leidens, der Auferstehung und der Fürsprache Christi, ein Gedächtnis, das zum Vater aufsteigt wie die Gabe des Kirchengebetes, das alle Nöte der Menschen Gott in Erinnerung ruft: Gedenke, Herr, deiner Kirche und all derjenigen, für die wir das Opfer darbringen.[6] Ein sehr schönes Gebet der katholischen Meßliturgie formuliert so: „Schau gütig auf die Gabe deiner Kirche. Denn sie stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat …“ (Drittes Gebet)

Diese verschiedenen Momente des jüdischen Passagebets haben dem eucharistischen Gebet der Christen seine Grundstruktur verliehen: Es beginnt mit dem Lobpreis der Wunder Gottes und dem Dankopfer an den Vater (berakahtodah: Präfation — Sanktus), es folgt das Gedächtnis der Heilsereignisse in Christus, die dem Vater vorgetragen werden, damit er seines Volkes gedenke (Anamnese — Gedächtnisopfer), es schließt mit der Anrufung und Fürbitte, daß der Vater eine erneute Ausgießung des Heiligen Geistes über die Kirche gewähren und ihre Gebete erhören möge für alle, die sie nennt: „Gedenke, Herr . . .“ (Epiklese — Memento). [116]

Das Eucharistieopfer

Wenn wir die Einsichten aus der jüdischen Passaliturgie für ein vertieftes Verständnis der Eucharistie heranziehen, so können wir folgendes Schema als Erklärung aufstellen, warum man die Eucharistie als ein Opfer bezeichnen kann:

  1. sie ist ein Lob- und Dankopfer, das an die Wundertaten Gottes in der Schöpfungs- und der Erlösungsgeschichte erinnert;
  2. sie ist das Sakrament des einzigartigen Opfers Christi: die sakramentale Gegenwart des Opfers am Kreuz;
  3. sie ist die liturgische Darstellung durch die Kirche dieses Opfers des Sohnes vor dem Vater, damit er seines Volkes gedenke und ihm den durch dieses einzigartige Opfer erlangten Segen spende;
  4. sie ist die Teilhabe an der Fürbitte des Sohnes beim Vater um die Ausgießung des Heils auf alle Menschen und das Kommen des Reiches Gottes.

1. Die Eucharistie als Lob- und Dankopfer

Wenn es ein Thema gibt, über das die gesamte christliche Tradition einig ist, so gewiß dieses: Die Eucharistie ist ein Lob- und Dankopfer. Der heilige Justin schrieb schon in der Mitte des 2. Jh.: „Das Opfer des Weizenmehles, welches nach der Überlieferung für die vom Aussatz Gereinigten dargebracht wurde, war ein Vorbild des Brotes der Eucharistie (Danksagung), deren Feier Jesus Christus, unser Herr, angeordnet hat zur Erinnerung an das Leiden, das er erduldete für die, welche sich von jeder Sünde gereinigt haben. Er wollte nämlich, daß wir Gott Dank sagen sowohl dafür, daß er die Welt mit allem, was in ihr ist, um des Menschen willen erschaffen hat, wie dafür, daß er uns von der Sünde, in der wir lebten, befreit hat.“[7]

Die Eucharistie ist nicht nur ein Sakrament im Zusammenhang mit der Befreiung der Menschheit durch Christus am Kreuz, sie ist auch ein Sakrament des Lobes und Dankes für das Werk der Schöpfung. Wie auch Irenäus von Lyon sagt: „Nur das reine Opfer der Kirche ist Gott wohlgefällig … Also soll man dem Herrn die Erstlinge der Schöpfung opfern.“[8]

Es ist sehr wichtig, daß wir in der Eucharistie die Schöpfungs- und die Erlösungsgeschichte wieder miteinander vereint sehen. Zu oft haben sich die Christen aus Puritanismus nur um ihr Heil und die Reinigung von ihren Sünden gesorgt, sie haben die Eucharistie zu einer frommen und traurigen Erinnerung an das Leiden Christi gemacht, ein Mittel zur Tilgung von Sünden. Aber die Kirchenväter erinnern uns daran, daß in der Eucharistie auch die gesamte Schöpfung und die von Gott geliebte Welt gegenwärtig sind und daß wir hier das Sakrament des [117] Lobes darbringen können als Danksagung für alles, was Gott an Gutem und Schönem in der Welt und an der Menschheit vollbracht hat. Die Kirche muß sich heute notwendig diese kosmische, ökologische, positive und optimistische Sicht der Eucharistie wieder zu eigen machen und in einer Liturgie feiern, die die Freude des Himmels auf Erden und die Erwartung des Mahls des Gottesreiches zum Ausdruck bringt.

Ich zögere hier nicht, einen schönen Text von Calvin zu zitieren, den die Geschichte so oft fälschlich als strengen, puritanischen Mann gezeichnet hat. Im folgenden seine Ausführungen über das heilige Abendmahl als Lobopfer: „Ohne die Opfer dieser Art kann das Mahl des Herrn nicht sein; denn wenn wir in diesem Mahle ,seinen Tod verkündigen’ (1 Kor 1,26) und unsere Danksagung kundwerden lassen, so tun wir damit nichts anderes, als daß wir ein solches Lobopfer darbringen. Aufgrund dieses Opferamtes werden wir Christen alle ein ,königliches Priestertum’ genannt (1 Petr 2,9), weil wir Gott durch Christus jene Opfergabe des Lobes darbringen, von der der Apostel spricht, nämlich ,die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen’ (Hebr 13,15). Denn wir erscheinen mit unseren Gaben nicht ohne den vor Gottes Angesicht, der für uns eintritt. Christus ist es, der als Mittler für uns eintritt, und in ihm bringen wir uns selber und unsere Gaben dem Vater dar. Er ist unser Hoherpriester, der in das Allerheiligste des Himmels eingegangen ist und uns den Zugang eröffnet. Er ist der Altar, auf dem wir unsere Gaben niederlegen, so daß wir alles, was wir wagen, in ihm wagen. Er ist es, so sage ich, der uns dem Vater zu einem Königreich und zu Priestern gemacht hat (Apk 1,6).“[9]

2. Die Eucharistie als Sakrament des Opfers

Ohne daß dadurch etwas von der Einzigartigkeit des Kreuzes, der Rechtfertigung, der Versöhnung und der Befreiung durch Christus weggenommen würde, ist die Eucharistie das Sakrament oder die Gegenwart des einzigartigen Opfers Christi, das heute für alle Menschen die Ausgießung des Heils fortsetzt. Die Eucharistie ist das in der Kirche gegenwärtige Kreuz, das das einzigartige und vollkommene Werk Christi auf alle Menschen in Raum und Zeit, und im Inneren, ausdehnt. In der Eucharistie begegnet die Kirche Christus, der jedem Gläubigen die Früchte des Kreuzesopfers und der gegenwärtigen Fürsprache des Erlösers mitteilt.

Diese sakramentale Gegenwart des Kreuzesopfers erfüllt sich durch die Macht des Heiligen Geistes und des Wortes. Keine Handlung der Kirche kann außerhalb des Wirkens des Heiligen Geistes begriffen werden, und keine Sakramentsliturgie kann auf seine Nennung ver-[118]zichten. Die wirkliche Gegenwart Christi und seines Opfers in der Eucharistie geht aus der Verheißung seines Wortes hervor: „Das ist mein Leib … Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut … aber dieses Wort ist keine magische Formel, die allein durch ihr Aussprechen wirken würde. Es ist vielmehr der Heilige Geist, der dieses Wort mit Leben erfüllt und es in dem von der Kirche gefeierten Sakrament gegenwärtig werden läßt. Ohne den in der Eucharistie wirkenden Geist bliebe dieses Wort nur leerer Buchstabe. Eine wahre Feier des eucharistischen Opfers ist daher eine Feier im Heiligen Geist mit dem Wort Christi. Das bedeutet, daß in einer eucharistischen Liturgie Jesu Einsetzungsworte des Abendmahls sowie eine Anrufung des Heiligen Geistes enthalten sein müssen. Beide zusammen erfüllen das Geheimnis der lebendigen Gegenwart Christi und seines Opfers. „Der Heilige Geist macht im eucharistischen Mahl den gekreuzigten und auferstandenen Christus für uns wahrhaftig gegenwärtig, indem er die Verheißung der Einsetzungsworte erfüllt … Damit soll nicht die eucharistische Gegenwart Christi spiritualisiert, sondern die unauflösbare Einheit zwischen dem Sohn und dem Geist bekräftigt werden. Diese Einheit macht deutlich, daß die Eucharistie nicht eine magische, mechanische Handlung ist, sondern ein an den Vater gerichtetes Gebet, das die völlige Abhängigkeit der Kirche von ihm betont. Es besteht eine wesenhafte Verbindung zwischen den Einsetzungsworten, der Verheißung Christi, und der Epiklese, der Anrufung des Heiligen Geistes, in der Liturgie.“[10]

Zahlreiche Kirchen im Westen haben mittlerweile eine Epiklese an den Heiligen Geist in ihre eucharistischen Liturgien aufgenommen. Als Beispiel wird nachstehend die Epiklese aus der für den Gottesdienst der Kommission am 15. Januar 1982 in Lima ausgearbeiteten Liturgie angeführt:

„Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt,
Du bist heilig, und Dein Ruhm ist ohne Grenzen,
sende herab auf unsere Eucharistie den lebenspendenden Geist,
der durch Mose und die Propheten gesprochen hat,
der die Jungfrau Maria mit Gnade überschattete,
der auf Jesus am Jordan herabkam
und auf die Apostel am Pfingsttag.
Laß das Ausgießen dieses feurigen Geistes
unser Mahl der Danksagung so verwandeln,
daß dieses Brot und dieser Wein
für uns zum Leib und Blut Christi werden.
Laß diesen Schöpfergeist die Worte
Deines geliebten Sohnes erfüllen,
der in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, Brot nahm …“[11]

So wird also kraft des lebendigen Wortes Christi und durch die Macht des Heiligen Geistes die Eucharistie Sakrament oder Vergegenwärti-[119]tigung des einzigartigen Opfers des gekreuzigten und auferstandenen Christus, unseres Hohenpriesters und Fürsprechers vor dem Angesicht des Vaters.

3. Die Eucharistie als Darbringung des Opfers

In der Eucharistie wird durch die Kirche das Opfer des Sohnes dem Vater liturgisch dargebracht. Diese liturgische Darbringung ist der Akt, der Gottvater das einzigartige Opfer seines Sohnes, das ewig gegenwärtig bleibt, ins Gedächtnis ruft und wo er durch dieses Opfer angefleht wird, seinem Volk Gnaden und Segen zu gewähren.

In der Eucharistiefeier legt die Kirche die Zeichen von Christi Opfer, das Sakrament seines Leibes und seines Blutes, auf den heiligen Tisch, wie die Israeliten zum Gedächtnis die Opferbrote auf den goldenen Tisch vor den Herrn legten. Das Opfer Christi verkündend legt die Kirche dieses Opfer des Sohnes vor dem Vater auf den Altar, indem sie ihm dankt und ihn um Gnade anfleht. So nimmt die Kirche in jener Geste des Vorlegens des Kreuzes an der Hingabe des Lammes teil, wie es auf dem himmlischen Altar geopfert wird, und an der Fürsprache des Sohnes vor dem Angesicht des Vaters.

Die französischen reformierten Theologen des 17. Jh. betonten dieser Gedächtnis- und Opferaspekt im heiligen Abendmahl. So sagte der Pariser Pfarrer Pierre du Moulin: „Es gibt besondere Gründe dafür, daß das heilige Abendmahl als Opfer bezeichnet werden kann:

  1. Dieses Sakrament ist geschaffen worden, um den Tod des Herrn zu verkünden bis zu seiner Wiederkehr; so kann das Abendmahl Opfer genannt werden, denn es stellt den Opfertod des Herrn dar …
  2. Man kann sagen, wir bringen im Abendmahl Jesus Christus Gott dar, indem wir Gott bitten, er möge das Opfer seines Todes für uns annehmen;
  3. Das Abendmahl ist ein Opfer der Eucharistie, das heißt der Danksagung für die Wohltaten Gottes …“[12]

Ein anderer Theologe des 17. Jh., Jacques Basnage (1653-1723), faßt diesen Begriff von der Darbringung des einzigartigen Opfers des Sohnes vor dem Vater als Fürbitte für die Kirche in einer vielleicht zu scharfen, aber klaren Formel zusammen: „(In der Eucharistie) geschieht kein neues Opfer, sondern eine Gedächtnisfeier für das Opfer des Gottessohnes, das in der Darstellung durch die Zeichen von Brot und Wein den Vater zwingt, sich rühren zu lassen und uns die Früchte des wahren Opfers, welches das Kreuz ist, zu gewähren.“[13]

4. Die Eucharistie als Teilhabe an der Fürsprache des Auferstandenen

In der Feier der Eucharistie stellt sich die Kirche in die Nähe ihres Herrn und bringt seine einzigartige und ewige Fürsprache in immer neue Gestalt.

Die Eucharistie ist eine der wesentlichen Formen des Lebens Christi, als Hoherpriester und Fürsprecher, in der Kirche. Es geht für die Kirche darum, in ihrer Liturgie die einzige und ewige Fürsprache des gekreuzigten und auferstandenen Christus zum Ausdruck zu bringen. Diese Fürsprache hat er historisch ein für allemal am Kreuz durchlebt, und er lebt sie fortan ewig in der Herrlichkeit und sakramental in seinem Leib, der Kirche. Die Kirche enthüllt und verwendet die erlösende Fürsprache des Gottessohnes durch die Eucharistie, die sein Leiden und seine Auferstehung sichtbar und gegenwärtig werden läßt.

Luther hat gezeigt, wie in der Eucharistie die Fürsprache Christi und die Opfergabe der Kirche eng miteinander verbunden sind: „Christus nimmt uns auf, er führt uns (vor Gott) hin, uns, unser Gebet und unser Lob; er opfert sich auch selbst für uns im Himmel … Er opfert sich für uns im Himmel und uns mit sich.“[14]

In der Liturgie der Reformierten Kirche Schottlands wird diese Vereinigung mit der Fürsprache Christi in einer sehr schönen Formulierung ausgedrückt:

„Therefore, having in remembrance the work and passion of our Saviour Christ, and pleading His eternal sacrifice, we Thy servants do set forth this memorial, which He hath commanded us to make; and we most humbly beseech Thee to send down Thy Holy Spirit to sanctify both us and these Thine own gifts of bread and wine which we set before Thee, that the bread which we break may be the Communion of the body of Christ, and the cup of blessing which we bless the Communion of the blond of Christ; that we, receiving them, may by faith be made partakers of His body and blond, with all His benefits, to our spiritual nourishment and growth in grace, and to the glory of Thy most holy name.“[15]

Diese Darstellung des Gedächtnisses in Gemeinschaft mit der Fürsprache Christi, die selbst auf dem Kreuzesopfer gründet, ist eine genaue Beschreibung des Eucharistieopfers; um so mehr als dieses Gedächtnis an anderer Stelle als Dankopfer und Fürsprache erklärt wird, die mit der Kommunion eng verbunden sind:

„And here we offer and present unto Thee ourselves, our souls and bodies, to be a reasonable, holy, and living sacrifice; and we beseech Thee mercifully to accept this our sacrifice of praise and thanksgiving, as, in fellowship with all the faithful in us, and in all men, the purpose of Thy redeeming love …”[16]

Das eucharistische Opfer erfleht die Ausgießung des Heils auf alle Menschen: die Erfüllung der Heiligung der Gläubigen bis zur Wieder-[121]kunft Christi und die Gabe der Befreiung für die Menschen, die si noch nicht kennen.

Wenn nämlich Christus alles für das Heil aller Menschen getan hat wenn die objektive Erlösung und Versöhnung eine am Kreuz voll brachte Tatsache sind, dann muß die Kirche als Leib Christi in der Tat das Instrument der Ausgießung der Heilsgnaden auf alle und jedes sein. Durch die Eucharistie als Opfer der Fürsprache vereint sich die Kirche mit der Fürsprache Christi, gegründet auf sein Kreuzesopfer, sie ruft den Vater für alle Menschen um Vergebung ihrer Sünden, und Befreiung und Glück an, und sie erfleht die herrliche Offenbarung des Gottesreiches.

In der Gemeinschaft mit der Fürsprache und dem Kreuzesopfer Christi opfert sich die Kirche selbst, indem sie dem Vater das Gedächtnis jenes Opfers als Lob und Anrufung vorstellt, und jeder Gläubige opfert sich selbst in einem Akt der Anbetung und Weihe. Luther hatte geschrieben: „… wir erscheinen vor Gott mit unserem Gebet, Lob und Opfer nur im Namen Christi und durch seine Mittlerschaft … Er opfert sich für uns im Himmel und uns mit sich.“[17] Und Calvin gebrauchte jenes wunderbare Bild: Jesus Christus im Heiligtum des Himmels „ist der Altar, auf dem wir unsere Gaben niederlegen; so daß wir alles, was wir wagen, in ihm wagen.“[18]

Aus sich selbst kann die Kirche Gott nichts darbieten oder vorstellen als ihr Elend, aber in Christus kann sie ein wahres Opfer der Danksagung und Fürsprache darbringen, denn sie kann dem Vater das Kreuzesopfer darbringen, indem sie sich der Fürsprache des Sohnes anschließt; sie opfert den Leib Christi und opfert sich als Leib Christi: Dies ist ihr wahres Lob, ihr wirksames Gebet, ihr mögliches Opfer, denn es ist ja das Opfer Christi, das von ihm selbst dargebracht wird.

Die Eucharistie als Opfergabe der Schöpfung

Bei der Lektüre der Kirchenväter und der Liturgien der Alten Kirche ist man überrascht von der Gegenwart der Schöpfung in der Eucharistie und der Liturgie im allgemeinen. Irenäus von Lyon zeigt uns, daß in der Eucharistie zuallererst ein Opfer der Erstlinge der eigenen Geschöpfe Gottes stattfindet.[19] Brot und Wein stammen aus der Schöpfung und werden dem Schöpfer dargebracht zum Dank für seine materiellen Wohltaten, damit er sie durch sein Wort segne und sie zu Leib und Blut Christi mache, dem einzigen vollkommenen Opfer. Das Offertorium ist ein wichtiger Augenblick in der Eucharistiefeier: Es macht deutlich, daß die Kirche die Darbringung der Erstlingsfrüchte der Erde bewahrt hat und daß dieses Meßopfer die Verbindung zwischen der Schöpfungs- und Erlösungsgeschichte herstellt, die im [122] Gedächtnisopfer dargestellt wird. Die Theologen und Liturgiker, die das Offertorium beschränken, um das ganze Gewicht auf das Gedächtnisopfer Christi zu verlegen, trennen Schöpfung und Erlösung voneinander, nehmen die Eucharistie aus der Welt der Schöpfung und der Menschheit heraus und machen sie zu einem bloßen Mittel geistlicher Gnade. Hier liegt eine Gefahr, die die Fülle des eucharistischen Mysteriums beeinträchtigen kann.

Die neuen Worte des Offertoriums in der katholischen Liturgie sind voll tiefer Bedeutung. Das Brot ist Frucht der Erde, der Wein Frucht des Weinstocks; beides sind Früchte der menschlichen Arbeit; wir bringen sie dem Herrn des Universums dar, damit sie Brot des Lebens und Wein des ewigen Reiches, Leib und Blut Christi werden. Die Liturgie deutet hier einen doppelten Übergang an: Weizen und Weinstock sind vom Menschen bearbeitet und zu Brot und Wein geworden; der Mensch bringt sie dem Schöpfer dar, damit er sie durch seinen Heiligen Geist bearbeite und sie zu Leib und Blut Christi werden. Dieser doppelte Übergang der Schöpfung wird durch Offertorium und Konsekration bezeichnet.[20]

Auch der heilige Hippolyt von Rom spricht Anfang des 3. Jh. öfters von der Darbringung der Erstlinge der Schöpfung. Man opfert Brot und Wein, aber auch Milch und Honig, Wasser, Öl, Oliven, Früchte, Blumen …[21] Die Liturgie verkündet zugleich die Wunder der Schöpfung und der Erlösung.

Dieser Sinn des Schöpfungsopfers in der Eucharistie müßte wiedergefunden werden, um richtig darzutun, daß die Liturgie nicht vom Menschen getrennt ist, sondern seine ganze Natur aufnimmt: Er kann gleichzeitig die Gaben der Schöpfung und die höchste Gabe des Leibes und Blutes Christi opfern.

Das Offertorium der Kirche, in dem sie die materiellen und geistigen Güter der Gläubigen zum Altar bringt, ist gleichsam eine Opferbewegung, die eine Krise enthält. Wenn die Kirche alles gesammelt hat, um es vor Gott zu bringen, erkennt sie ihre Armut; so bleibt ihr nur, dieses Elend in die Hände Christi zu legen, der es in sein fürbittend dargebrachtes Opfer hineinnimmt und daraus ein wahres Lob, ein wirksames Gebet, ein gültiges Opfer macht, „durch ihn und mit ihm und in ihm“.

„Indem sie dankbar Gottes große Taten der Erlösung in Erinnerung ruft, bittet die Kirche ihn, die Früchte dieser Taten jedem Menschen zu schenken. In Danksagung und Fürbitte ist die Kirche mit dem Sohn, ihrem großen Hohenpriester und Fürsprecher, vereinigt (Röm 8,34; Hebr 7,25). Die Eucharistie ist das Sakrament des einzigartigen Opfers Christi, der ewig lebt, um Fürsprache für uns einzulegen. Sie ist das Gedächtnis all dessen, was Gott für das Heil der Welt getan hat. Was nach Gottes Willen in der Menschwerdung, in Leben, Tod, [123] Auferstehung und Himmelfahrt Christi vollbracht wurde, wiederhol er nicht. Diese Ereignisse sind einmalig und können weder wiederhol noch zeitlich ausgedehnt werden. In dem Gedächtnis der Eucharistie jedoch bringt die Kirche ihre Fürbitte in Gemeinschaft mit Christus unserem großen Hohenpriester, dar.“[22]

Quelle: Max Thurian (Hrsg.), Ökumenische Perspektiven von Taufe, Eucharistie und Amt, Verlag Otto Lembeck Frankfurt am Main/Verlag Bonifatius-Druckerei Paderborn, 1983, S. 110-123.


[1] Didache, 14.
[2] Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 33: Des Heiligen Philosophen und Martyrers Justinus Dialog mit dem Juden Tryphon. (Aus dem Griech. v. Ph. Haeuser), München 1917, § 41.
[3] Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 4: Des heiligen Irenäus fünf Bücher gegen die Häresien. (Übers. v. E. Klebba, 11. Band), München 1912, Buch IV, 18,1.
[4] Die hebräischen Wörter zikkaron und azkarah werden im Griechischen übersetzt mit anamnesis oder mnemosunon. Vgl. mein Buch The Eucharistic Memorial, 1960, Vol. I.
[5] J. Jeremias, The Eucharistic Words of Jesus (Transl. of the 2nd ed.), 1955, S. 161ff.
[6] Vgl. mein Buch The Eucharistic Memorial, 1960, Vol. II.
[7] Dialog mit Tryphon, op. cit., § 41.
[8] Irenäus, op. cit., 4,18.1.
[9] Johannes Calvin: Unterricht in der christlichen Religion. (Übers. v. Otto Weber), Dritter Band, Neukirchen 1938, Buch IV, 18, 17.
[10] Lima-Text über die Eucharistie, Nr. 14, und Kommentar.
[11] Lima-Liturgie, s. S. 231.
[12] Le bouclier de la foi, 1635, S. 629ff.
[13] Histoire de l’Eglise, 1966, S. 995.
[14] 1520, Weimarer Ausgabe IV, S. 369.
[15] Book of Common Order of the Church of Scotland, 1962, S. 119.
[16] Ibd., S. 120.
[17] 1520, Weimarer Ausgabe VI, S. 369.
[18] Calvin, op. cit., IV, 18, 17.
[19] Irenäus, op. cit., 4,17-18.
[20] Worte aus der Lima-Liturgie s. S. 230.
[21] Hippolyt, Apostolische Überlieferung, 5-6, 23, 28.
[22] Lima-Text über die Eucharistie, Nr. 8.

Thurians Text „Das Eucharistische Gedächtnis: Lob- und Bittopfer“ findet sich hier als pdf.

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