Fridolin Stier – Der Gott der Philosophen: „Als Er das Gemächt sah, das Seines Geistes Abhauch aus Ihm gemacht hatte, als Er das gespenstische Denkgespinst sah, da ward Ihm leid, daß Er den Menschen gemacht auf der Erde, und ging Ihm der Kummer ins Herz.“

Stier

Fridolin Stier (1902-1981), katholischer Priester und westallgäuer Theologe, der in besonderer Weise der biblischen Denkungsart verpflichtet gewesen ist, hat in seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen sich immer wieder leidenschaftlich gegen ein metaphysisches Gottdenken gewandt. Hier sein Text „Das Denkgemächt oder der Gott der Philosophen“ vom 10. August 1972:

Das Denkgemächt oder der Gott der Philosophen

Von Fridolin Stier

Als der Mensch Gott begegnet war, verschlug es ihm vor Schreck und Freude die Sprache, die nur mehr zu stammeln vermochte: Du … du … du. Aber da war etwas Starkes im Geiste des Menschen, das sich alsbald ermannte, aufstand und Gott bei der Hand nahm, um ihn auf der Steige der Steigerung, via eminentiae genannt, hoch, immer höher bis auf den Gipfel des höchsten, alle anderen Berge überragenden Berges zu führen. Unterwegs verlor Gott seine Hände und Füße, ein Glied um das andere, dann seinen Mund, seine Augen, seine Ohren, sein Herz – ein Organ um das andere, und mit dem Leib verlor Gott auch die Seele. Das gewisse Starke im Geist des Menschen vergeistigte/vergeistete alles Leib-und Seelhafte Gottes zu geistig Gemeintem – zu Metaphern, Analogien, um am Ende des Hohen Weges, der inzwischen – via negationis – in die reine Leere eingemündet war, auch für die letzteren, die „Entsprechungen“, nichts Entsprechendes mehr prädikabel zu finden. Und da stand nun der Menschengeist allein mit Gott – mit seinem Gott! Und da fror ihn, und auch dem Gotte war kalt, denn nichts war ihm übriggeblieben als das nackte Sein …

Ein Glück, daß es nur der Denk-Gott menschlichen Geistes, einiger weniger Menschen war, dem dieses Geschick widerfuhr …

Er selber, der Wirkliche, der mit Behemoth und Leviathan Spielende, hatte dem dritten der großen Ungeheuer, mit dem Er zu spielen gedachte, das Spiel nicht verderben gemocht – es war das genialste und gewagteste seiner Werkstücke, da Er es mit Geist von Seinem Geiste – „Ihm ähnlich“ – begabte und es, wie es dem Geiste gebührt, von der Leine löste und frei laufen ließ, und der Geist ging ins Spiel, und das liebste seiner Spiele war, den nachzumachen, nach dem er gemacht war … Und da der Spielgenosse, der inzwischen stark und kühn geworden war, den zu denken – zu zerdenken sich vermaß, der ihn gedacht hatte, machte er diesen zu seinem Denkgemächt, und er sah sein Machwerk und rühmte sich dessen gar sehr. Es steht geschrieben: „Und Gott sah, daß es gut war“ – aber als Er das Gemächt sah, das Seines Geistes Abhauch aus Ihm gemacht hatte, als Er das gespenstische Denkgespinst sah, da „ward Ihm leid, daß Er den Menschen gemacht auf der Erde, und ging Ihm der Kummer ins Herz“ (Gen 6,6) … Und Er ging spielen mit Behemoth und Leviathan, und Sein Herz fand Trost.

Quelle: Fridolin Stier, An der Wurzel der Berge. Aufzeichnungen II, Freiburg i.Br.: Herder 1984, 154f.

Hier der Text als pdf.

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