Fast dreizehn Jahre ist es her, dass die SARS-Epidemie im Frühjahr 20o3 Hongkong in Angst und Schrecken versetzte. Seinerzeit hatte ich für das Evangelische Sonntagsblatt in Bayern folgenden Artikel geschrieben:
Passionszeit in Hong Kong im Zeichen von »SARS«. Abendmahl mit Mundschutz und Latexhandschuhen
Palmsonntagsgottesdienst der evangelischen Praise-Lutheran-Church in einem Hochhaus in Mong Kok, Hong Kong. Gottesdienst im Zeichen von »SARS«, der hoch ansteckenden atypischen Lungenentzündung, die im November vom südchinesischen Guangdong, dem Hinterland von Hong Kong ausging und nun auf der ganzen Welt für Angst sorgt: Am Eingang der Kirche liegen Schutzmasken wegen des Virus auf.
Über 1000 Menschen haben sich im dicht bevölkerten Hong Kong bereits angesteckt, mehr als 40 sind gestorben.
Schon mehr als 40 Tote in der Stadt
Fast alle Besucher folgen der Aufforderung des Pfarrers, die Masken anzulegen – und so singt die sechzigköpfige Gemeinde die chinesische Fassung von »Amazing Grace« maskiert. Mit der Zeit – so mag es scheinen – kann man sich an eine tödliche Bedrohung gewöhnen. Nur die Kinder fehlen. Ihre Eltern haben sie aus Sicherheitsgründen zu Hause gelassen.
Hong Kong und die südchinesische Region Guangdong sind die am schlimmsten betroffenen Gebiete der Lungenkrankheit. Ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf hat SARS soeben als »erste ernsthafte und leicht übertragbare Seuche des 21. Jahrhunderts« bezeichnet. Bislang knapp 2800 Erkrankungen und 111 Todesopfer weltweit sind der WHO gemeldet worden.
Aber die Statistik hilft den Menschen kaum weiter: 99,98 Prozent der Bevölkerung Hong Kongs sind nicht SARS-infiziert. Dennoch dominiert das Virus das alltägliche Leben seit nunmehr vier Wochen. Die unsichtbare Gefahr, wie gering das Ansteckungsrisiko tatsächlich auch sein mag, weckt Urängste, die stärker als jede Vernunft sind. Kann man wirklich sicher sein, dass der Mann im Bus neben einem, der gerade so trocken gehustet hat, nicht infiziert ist? Andere Menschen werden mehr und mehr als »Ansteckungspotenzial« wahrgenommen.
Als vorbeugende Schutzmaßnahme hat man am Lutheran Theological Seminary, dem lutherischen theologischen Seminar in Hong Kong für zwei Wochen alle Lehrveranstaltungen abgesagt. Auch die gemeinsamen Morgen- und Abendgebete finden nicht mehr statt. Das macht manchem zu schaffen. Fragen tauchen auf: Nicht mehr gemeinsam Gott bitten und anbeten, weil das gefährlich ist? Und: Kann die Angst vor dem Virus nicht auch seelischen Schaden anrichten, indem sie Menschen in die Isolation treibt?
Beim Abendmahlsgottesdienst am vergangenen Freitag teilt der Pfarrer Brot und Wein mit Schutzmaske und Latexhandschuhen aus. Zwar schien diese Maßnahme nicht notwendig zu sein, weil es bislang am Seminar keinen Infektionsfall gegeben hat. Aber man will auf die Ängste anderer Rücksicht nehmen. Allein am Vortag waren drei neue Todesfälle in der Stadt bekannt geworden.
Passionszeit in Hong Kong – als sie begann, hatte niemand hier geahnt, mit welcher Macht der Tod das Leben umarmen kann. Das Oster-Troparion mag einem im Ohr klingen, wenn die byzantinische Liturgie das Ostergeschehen feiert: »Christus ist auferstanden von den Toten und hat den Tod durch den Tod besiegt und denen im Grabe das Leben gebracht.« Es gibt eine Hoffnung, die die Todesangst überwindet.
In meinem Artikel Angst essen Seelen auf. Entdeckungen und Erinnerungen angesichts von SARS habe ich mich noch einmal der Thematik angenommen.