Der Kirche Tribut zollen? – Warum Kirchensteuern für Christen fragwürdig sind: Im Evangelischen Staatslexikon wird die Kirchensteuer wie folgt definiert: „Unter Kirchensteuern versteht man nichtständige öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben in Geld, die von Religionsgesellschaften mit öffentlich-rechtlicher Korporationsqualität (oder ihren Unterverbänden) zur Finanzierung kirchlicher Aufgaben kraft eines kirchenrechtlichen Anspruchs in der Regel nur von ihren Mitgliedern ohne Gegenleistung erhoben werden, wobei die Steuerpflicht an einen allgemein bestimmten Steuertatbestand anknüpft und eine Zwangsbeitreibung durch staatliche Hoheitsakt garantiert wird.“

Im neuen Korrespondenzblatt des bayerischen Pfarrervereins ist folgender Artikel von mir in Sachen Kirchensteuer erschienen:

Der Kirche Tribut zollen? – Warum Kirchensteuern für Christen fragwürdig sind

Das Forum „Aufbruch Gemeinde“ hat in der bayerischen Landeskirche die Erhebung und die Verteilung von Kirchensteuern neu zum Thema gemacht.[1] Zur Stärkung der jeweiligen Ortsgemeinde sollen dieser Initiative zufolge – zumindest langfristig – die Kirchensteuern vor Ort erhoben werden, so dass überparochiale Einrichtungen und Zwecke durch eine Umlage aus den Mitteln der Ortsgemeinden finanziert werden. Man kann skeptisch sein, ob solch eine Änderung hinsichtlich des Kirchensteuergläubigers wirklich zu einem gemeindlichen Aufbruch führt. Die Problematik ist tiefliegender als es uns allen lieb ist. Die Kirchensteuer selbst ist ein fragwürdiges Finanzierungsinstrument, das sich auf den Aufbau von Gemeinden kaum segensreich auswirken kann. Wo Kirchensteuern erhoben werden, entstellt sich Kirche als ein öffentliches Gut, dessen man sich ohne eigenes commitment fallweise zu bedienen weiß. Die soziologische Kurzformel hierfür heißt „believing without belonging“.[2]

Was man sich in Deutschland und in der Schweiz vor Augen halten muss ist, dass die Erhebung von Kirchensteuern ein Sonderweg in der Ökumene ist. So kennt denn auch das kanonische Recht der römisch-katholischen Kirche keine reguläre Kirchensteuer für die Gläubigen. Dem Codex Iuris Canonici von 1983 zufolge darf der jeweilige Diözesanbischof den Gläubigen „nur im Falle großen Notstandes“ eine „außerordentliche und maßvolle Abgabe (tributum)“ auferlegen (can. 1263). Die Gläubigen sind zwar verpflichtet, „für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten“ (can. 222 § 1), ohne dass jedoch die „erbetenen Unterstützungen (subventiones rogatae)“ sanktionsbewehrt sind (can. 1262).

Dass eine reguläre Kirchensteuer für Gläubige im kanonischen Recht nicht vorgesehen ist, hat mit deren Charakter als Tributzahlung zu tun. Kirchensteuern werden den Kirchenmitgliedern als Zwangsabgabe auferlegt, womit die Kirche gegenüber ihren Mitgliedern in einem hoheitlichen Verhältnis steht. Das kanonische Recht weiß um die Problematik eines solchermaßen lieblosen Handelns gegenüber den Gläubigen und hat daher die Erhebung von Kirchensteuern auf eine Notstandsmaßnahme beschränkt. Für den regulären Unterhalt der Kirche ist die Kirchensteuer nicht vorgesehen.

In der kirchlichen Diskussion um die Kirchensteuer wird im Allgemeinen das unschöne Wort „Zwangsabgabe“ vermieden, obwohl dieser Sachverhalt staatskirchenrechtlich unstrittig ist. So wird im Evangelischen Staatslexikon die Kirchensteuer wie folgt definiert: „Unter Kirchensteuern versteht man nichtständige öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben in Geld, die von Religionsgesellschaften mit öffentlich-rechtlicher Korporationsqualität (oder ihren Unterverbänden) zur Finanzierung kirchlicher Aufgaben kraft eines kirchenrechtlichen Anspruchs in der Regel nur von ihren Mitgliedern ohne Gegenleistung erhoben werden, wobei die Steuerpflicht an einen allgemein bestimmten Steuertatbestand anknüpft und eine Zwangsbeitreibung durch staatliche Hoheitsakt garantiert wird.“[3] Im katholischen Lexikon für Theologie und Kirche heißt es ähnlich: „Die Kirchensteuer ist eine Zwangsabgabe an eine öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaft, die auf staatsgesetzlicher Grundlage in der Regel von der staatlichen Finanzverwaltung für Rechnung und im Namen dieser Religionsgemeinschaft erhoben wird und im Wege des Verwaltungszwanges ‚hoheitlich‘ (d.h. ohne vorherige Klageerhebung) beigetrieben werden kann.“[4] Dass die Kirchensteuer überwiegend als Kirchenlohnsteuer über ein Lohnabzugsverfahren und damit quasi automatisch erhoben wird, mag deren Zwangscharakter nur verdecken.

Nun wird immer wieder geltend gemacht, dass man sich dem Zwang der Kirchensteuer jederzeit durch einen Kirchenaustritt vor dem Standesamt entziehen könne. Doch kann diese Argumentation innerkirchlich nicht überzeugen: Wie kann es denn angehen, dass ein kirchentreuer Christ aus der Kirche standamtlich austreten und damit die Exkommunikation auf sich nehmen muss,[5] nur um sich einem Zwangsverhältnis innerhalb seiner Kirche zu entziehen?

Dass man evangelischerseits gegenüber einer „Kirche der Freiheit“ (Wolfgang Huber) auf Dauer tributpflichtig sein soll, vermag nicht einzuleuchten: Weshalb hat man als Christ gezwungenermaßen abzugeben, wenn doch innerhalb der Kirche das Evangelium Christi und damit ein „Liebesrecht“ (Martin Luther) zu gelten hat?[6] Wo in Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christen“ von christlicher Knechtschaft die Rede ist, handelt es sich dabei um eine selbstbestimmte Hingabe an andere Menschen mit deren Bedürfnissen.

Wenn sich evangelische Landeskirchen für die eigene Finanzierung staatlicher Vollzugsgewalt bedienen, ist dies nicht im Einklang mit ihrem eigenen Bekenntnis. Der einschlägige Artikel 28 „Von der Bischöfe Gewalt“ des Augsburger Bekenntnisses von 1530 spricht sich explizit gegen eine Vermengung von geistlicher und weltlicher Gewalt aus. Innerhalb der Kirche darf kein Zwang, sondern nur eine „Wortgewalt“ zum Einsatz kommen (sine vi humana, sed verbo).[7] Weiterhin dürfen die Bischöfe „nicht Macht haben, etwas wider das Evangelium zu setzen und aufzurichten“.[8] Von daher verwundert es auch nicht, dass Christen aus evangelischen Schwesterkirchen in den USA, Kanada oder Australien kaum Verständnis für das deutsche Kirchensteuersystem aufbringen.

Von irgendetwas muss doch unsere Kirche leben – warum denn nicht von Kirchensteuern, die die wenigsten Kirchenglieder wirklich stören bzw. übermäßig belasten? Was solch ein Pragmatismus aufwirft, ist die Frage nach der Identität von Kirche, an der sich die Geister scheiden. In Artikel 7 des Augsburger Bekenntnisses wird die Kirche bestimmt als „Versammlung aller Gläubigen […], bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.“[9] Genau diese Definition ist es, die den Lebensunterhalt der Kirche miteinschließt: Die Kirche als „Wortschöpfung (creatura verbi)“ lebt nicht von Kirchensteuern, sondern vom göttlichen Evangelium.[10] Und dieses Evangelium ist für uns Menschen unbezahlbar.

Der pragmatische Trugschluss in Sachen Kirchenfinanzierung ist nun, dass die Bereitstellung eines kirchlichen Dienstes vorfinanziert sein muss. Zuerst hat Geld zu fließen, bevor die Kirche in Sachen Seelenheil und Diakonie tätig werden kann. Eine solche Sichtweise missversteht Kirche als spirituellen Dienstleister im Dienst an der bürgerlichen Gesellschaft und verstellt damit den Blick aufs Evangelium. Folgt man dem biblischen Zeugnis, kehrt sich das Verhältnis um: Das Evangelium wird unentgeltlich verkündet und sakramental präsentiert (vgl. Mt 10,8-10; 2 Kor 11,7). Bei den Menschen, die ihm vertrauen, bringt es Frucht, die zur Gabe wird (vgl. Kol 1,6). In weihnachtlicher Weise hat dies Paul Gerhard wunderschön zur Sprache gebracht: „Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesu, du mein Leben; / ich komme, bring und schenke dir, / was du mir hast gegeben. / Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, / Herz, Seel und Mut, nimm alles hin / und lass dir’s wohlgefallen.“[11]

Wo Menschen in die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott hineingenommen sind, werden sie zur eigenen Hingabe und zum eigenen Opfer befähigt (vgl. Röm 12,1-2). Das freiwillige finanzielle Opfer folgt dem Empfang des Evangeliums, gemäß dem Wort des Apostels Paulus: „Jeder aber gebe, wie er es sich im Herzen vorgenommen hat, ohne Bedauern und ohne Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat der Gott lieb.“ (2 Kor 9,7) Aus diesem Grund ist der genuine Ort der christlichen Gabe der Gottesdienst, wo Menschen im Namen Jesu Christi versammelt sind und freigiebig füreinander einstehen.[12] Nur diejenigen, die selbst empfangen haben, sollen und können geben. Die Gabe dient nicht einfach der Finanzierung eines Kirchenwesens, sondern wird auf die göttliche Heilsökonomie bezogen (vgl. 2 Kor 9,1-15).[13] Folgerichtig werden im angloamerikanischen Kontext die freiwilligen finanziellen Beiträge als Teil einer christlichen Haushalterschaft (stewardship) propagiert.[14]

Die Freiwilligkeit der Gabe schließt keinesfalls aus, dass Menschen, die im Dienst am Evangelium tätig sind, regulär besoldet werden (vgl. 1 Kor 9,3-18). Allerdings erwächst deren Verdienst aus der Verkündigung des Evangeliums, sollen sie sich doch selbst vom Evangelium nähren (1 Kor 9,14; vgl. Gal 6,6). Wenn gegenwärtig in Deutschland vor allem jüngere Berufstätige standesamtlich aus der Kirche austreten, vollziehen sie die Logik des christlichen Opfers – wenn auch unter negativem Vorzeichen – nach: Da sie selbst in der Kirche nichts Lebensentscheidendes empfangen haben, haben sie selbst auch nichts für die Kirche beizutragen.

Die Kirchensteuer als aliturgische Zwangsabgabe, die die Kirche vorzufinanzieren sucht, widerspricht dem Verständnis von Kirche als evangeliumsgestiftete Gemeinschaft der Gläubigen grundlegend. Und doch tragen die meisten Kirchenmitglieder in Deutschland ein derartiges Finanzierungssystem mit. Der Grund dafür liegt in den Anfängen der Germanenmission im ersten Jahrtausend. Dort hatte sich unter tribalen Vorzeichen die Bekehrung zum Christentum in der Regel kollektiv vollzogen, wobei die Initiative vom jeweiligen Stammesfürsten ausging. Die Kirche mit ihrem Kultus und ihren Kulturleistungen wurde dabei in den Dienst der tribalen, später territorialstaatlichen Wohlfahrt gestellt. Es lag am jeweiligen Herrscher, für den Bau und Unterhalt der Kirchen sowie den Unterhalt des Klerus zu sorgen, zunächst direkt im Rahmen des Eigenkirchenwesens, später indirekt durch die Stiftung von Kirchengut (Benefizial- und Fabrikgut).[15]

Wo Kirche außerhalb der Versammlung der Gläubigen flächendeckend institutionalisiert worden ist, waren die örtlichen Kirchenglieder für deren Unterhalt nicht selbst verantwortlich. Sie wurden jedoch über Zehnten, Reallasten sowie Fronarbeiten sehr wohl für die Finanzierung der Kirchengebäude und des Klerus in die Pflicht genommen und hatten darüber hinaus für personenbezogene geistliche Dienste Stolgebühren zu entrichten.

Dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts staatliche Kirchensteuern erhoben wurden, verdankt sich nicht etwa der Säkularisation von Kirchengütern. Diese vermeintlich eingängige Begründung[16] verkennt, dass es in den römisch-katholischen Diözesen vor der Säkularisation von 1802/1803 keine zentrale Kirchenfinanzierung gegeben hat. In der Tradition des Benefizienwesens existierte vielmehr ein stellen- bzw. ortsbezogenes, kleinteiliges Finanzierungssystem.[17] Obwohl das ortskirchliche Vermögen – so nicht in Hoch- und Domstiften, Abteien oder Klöster inkorporiert – von der Säkularisation ausgenommen war, wurden Kirchensteuern zunächst als Ortskirchensteuern erhoben. Der Grund hierfür waren gesellschaftliche Veränderungen, nämlich die Umstellung von einer Natural- auf eine Geldwirtschaft, der Wegfall des freudalrechtlich bestimmten Zehnten, die Trennung der Kirchengemeinden von den politischen Gemeinde infolge konfessioneller Mischung sowie die kirchliche Neuorganisation in den Städten infolge der Landflucht.[18]

Landeskirchensteuern wurden im größeren Umfang erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt, so z.B. in Bayern mit dem Gesetz betreffend die Kirchensteuer für die protestantischen Kirchen des Königreichs Bayern vom 15. August 1908.[19] Nach dem Ende des Staatskirchentums 1918 haben die selbstständig gewordenen Landeskirchen die Kirchensteuer als eigene Finanzierungsquelle geerbt. In den Ländern wurde auf Grundlage von Artikel 137 Absatz 6 der Weimarer Reichsverfassung das kirchliche Besteuerungsrecht gesetzlich neu geregelt, so z.B. in Bayern mit dem Religionsgesellschaftlichen Steuergesetz vom 27. Juli 1921, das nunmehr auch die römisch-katholischen Diözesen miteinschloss. Nach dem 2. Weltkrieg wurde schließlich das Lohnabzugsverfahren für die Kirchensteuer in allen Bundesländern gesetzlich eingeführt.[20] Über Grundgesetz (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 VI WRV) sowie Staatskirchenverträge und Konkordate rechtlich abgesichert machen Kirchensteuereinkünfte bis zu 90 % der Gesamteinnahmen in den einzelnen Landeskirchen und Diözesen aus.

Angesichts solcher Proportionen können Kirchenleitungen und Bischöfe nicht anders, als das gegenwärtige Kirchensteuersystem zu verteidigen. Dabei wird unter anderem argumentiert, die Kirchensteuer schaffe eine breite Finanzierungsgrundlage, die die Kirchen von einem Übergewicht kapitalkräftiger Gemeindeglieder unabhängig mache.[21] Wer Freikirchen in Deutschland sowie amerikanische Freiwilligkeitskirchen wie die Evangelical Lutheran Church in America (ELCA) kennt, weiß, dass diese Argumentation kein wirkliches Gewicht hat. Das kollektive Engagement der dortigen Gemeindeglieder macht eine finanzbedingte Einflussnahme einzelner Glieder in der Regel kaum möglich. Im Zweifelsfalle trennt man sich lieber von einem „wohltätigen“ Sponsor, als dass die betreffende Person die Geschicke der jeweiligen Gemeinde bestimmen kann.

Eine zweite Argumentation in Sachen Kirchensteuer betrifft den kirchlichen Beitrag zur öffentlichen Wohlfahrt, sei es durch Diakonie, Caritas, Kindergärten, Schulen, Erwachsenenbildung oder Kirchenmusik. Die Kirche brauche die Kirchensteuer, um ihre gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen. In dieser Argumentation zeigt sich das ganze Dilemma, in dem die beiden Volkskirchen in Deutschland stecken. Bedingt durch die eigene Vergangenheit wird Kirche immer noch als öffentliche Einrichtung verstanden, die religiöse, kulturelle sowie soziale Bedürfnisse der Bevölkerung zu bedienen sucht. Eine Unentbehrlichkeit des kirchlichen Kultur- und Sozialbeitrags wird jedoch in Deutschland immer weniger gesehen, wie nicht zuletzt die zunehmende Zahl von Menschen ohne Konfessionsangehörigkeit belegen. Man kann eben bei uns ganz gut auch ohne Kirchenmitgliedschaft leben.

Wer für die Beibehaltung der Kirchensteuer argumentiert, kommt nicht umhin, eine gesellschaftliche Funktionalisierung der Kirchen trotz abnehmender Akzeptanz zu befürworten. Was an Strategien gegen den eigenen Mitgliederverlust sichtbar wird, sind ausdifferenzierte Anpassungsversuche an vermeintlich allgemeinreligiöse Bedürfnisse. Damit ist man nicht weit davon entfernt, was einst Rudolf Bohren in polemischer Weise als „Baalisierung“ der kirchlichen Kasualrede abgekanzelt hat.[22] Konnte in einer ständischen Gesellschaft die kirchliche Botschaft dank eines autoritativen (und wohl auch autoritären) Monopolanspruchs distinkt gehalten werden, so ist dies in einer bürgerlichen Gesellschaft mit deren Meinungsvielfalt auf Dauer nicht möglich. Will Kirche als gesellschaftliche Institution in der Öffentlichkeit Gehör finden, muss sie das zusagen, was man selbst von sich aus glauben kann (und will) und sich demzufolge am kleinsten gemeinsamen Nenner des allgemein zumutbar Bedeutsamen ausrichten. Ein gesellschaftskritisches Wächteramt ist für eine „öffentliche“ Kirche unmöglich, heißt es doch mit den Worten Jesu: „Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und bei seinen Verwandten und in seinem Hause.“ (Mk 6,4)

Der Preis einer kirchensteuerfinanzierten, „öffentlichen“ Kirche ist die semantische Ausdünnung der christlichen Botschaft, die auf Dauer in deren gesellschaftlichen Liquidation als platonische civil religion endet.[23] Insofern ist es für die Zukunft der Kirche in Deutschland keine wirkliche Alternative, wenn an Stelle der konfessionsbestimmten Kirchensteuer eine allgemeine Kultursteuer wie in Italien eingeführt werden würde, bei der die Steuerschuldner den Steuergläubiger selbst bestimmen können.

Will man einer Evangeliumsvergessenheit wirksam begegnen, kann die Zukunft der evangelischen Kirche nur in einer kongregationalen Form („believing as belonging“) liegen, die sich mit einer Christusbestimmten Lebensform von der bürgerlichen Gesellschaft zu unterscheiden weiß (vgl. Röm 12,1-3). Der katholische Neutestamentler Gerhard Lohfink hat hierfür die Wendung „Kirche als Kontrastgesellschaft“ geprägt.[24]

Sucht man als „Lutheraner“ nach kirchlichen Organisationsformen, die sowohl dem Freiwilligkeitsprinzip als auch dem eigenen Bekenntnis Rechnung tragen, wird man bei den Schwesterkirchen in Amerika und Australien mit deren kongregational-synodalen Verfassungen fündig. Dass die Arbeit einer kongregationalen Kirche – die Besoldung von Pfarrerinnen und Pfarrern eingeschlossen – auch in Deutschland sehr wohl durch freiwillige Beiträge ihrer Mitglieder getragen werden kann, beweisen nicht zuletzt die Evangelisch-methodistische Kirche (EmK), die Selbständig-Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) sowie die Freien evangelischen Gemeinden (Baptisten).

Was christliche Haushalterschaft von Gemeindegliedern in finanzieller Hinsicht alles bewirken kann, wird in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Hongkong (ELCHK) sichtbar. Dort ist es keine Seltenheit, dass eine 80köpfige Gemeinde neben einer Pfarrerin auch noch einen Evangelisten als Vollzeitkraft besoldet und darüber hinaus noch mehr als 1500 Euro Monatsmiete für die Büroräumlichkeiten, in denen die Gottesdienste stattfinden, aufbringt. Mancher mag da denken, dass es sich bei den Gemeindegliedern um reiche Banker handelt. Wer jedoch die betreffenden Gemeinden besucht, wird feststellen, dass die Gemeindeglieder in der Regel aus der unteren Mittelschicht stammen. Zudem gehören ihnen eine beträchtliche Anzahl junger Menschen ohne eigenes Einkommen an.

„Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Schwestern und Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.“[25] Wem die dritte These der Barmer Theologischen Erklärung ernst ist, kann nur hoffen und beten, dass die Kirchensteuer in Deutschland in nicht allzu ferner Zukunft ihr Ende finden wird.

Jochen Teuffel, Pfarrer in Vöhringen/Iller.


[1] Siehe die Artikelsammlung „Forum Aufbruch Gemeinde“ im Korrespondenzblatt 123, Nr. 12 (2008), 179-186.

[2] Die britische Religionssoziologin Grace Davie hat diese knappe Wendung geprägt in Dies., Believing without Belonging. A Liverpool Case Study, ASSR 81 (1993), 79-89; Dies., Religion in Britain since 1945. Believing without Belonging, Oxford u.a. 1994. Vgl. außerdem David Kettle, Believing without Belonging? Cultural Change Seen in Theological Context, IRM 94, Nr. 375 (2005), 507-523.

[3] Christoph Link, Kirchensteuer, EStL3 1 (1987), Sp. 1695-1707, 1695. Die Definition geht zurück auf Friedrich Giese, Deutsches Kirchensteuerrecht. Grundzüge und Grundsätze der in den deutschen Staaten für die evangelischen Landeskirchen und für die katholische Kirche gültigen kirchlichen Steuerrechts, Stuttgart 1910, 576.

[4] Joseph Listl, Kirchensteuer I.-III., LThK3 6 (1997), Sp. 62-65, 63.

[5] Vgl. Leitlinien kirchlichen Lebens der VELKD. Handreichung für eine kirchliche Lebensordnung: Ausgabe für die ELKB, Gütersloh 2003, C 5, S. 102.

[6] Martin Luther, Vorlesung zum Galaterbrief (1519), WA 2,617,2f. Vgl. Johannes Heckel, Lex charitatis. Eine juristische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, hg. v. Martin Heckel, Köln-Wien 21973; bzw. Martin Heckel, Rechtstheologie Luthers, EStL3 2 (1987), Sp. 2818-2849.

[7] CA 28,21 (BSLK 124,9).

[8] CA 28,34 (BSLK 126,4-6).

[9] CA 7,1 (EG 906, S. 1567).

[10] „Ubi est verbum, ibi est ecclesia.“ (Martin Luther, Promotionsdisputation Scotus, 1542, WA 39 II, 176,8f).

[11] EG 37,1.

[12] Siehe Mark P. Bangert, Liturgy and Stewardship, CTM 36 (2009), 341-350.

[13] Vgl. John H.P. Reumann, Stewardship and the Economy of God, Grand Rapids 1992.

[14] Siehe Richard Boeckler, Haushalterschaft, EKL3 2 (1988), Sp. 390-391; bzw. John K. Brackett, On the Pilgrim’s Way: Christian Stewardship and the Tithe, Harrisburg 1996.

[15] Immer noch grundlegend hierfür Ulrich Stutz, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens von seinen Anfängen bis auf die Zeit Alexanders III, Bd. I/1, Berlin 1895; Ders., Die Eigenkirche als Element des mittelalterlich-germanischen Kirchenrechts, Berlin 1895. Vgl. außerdem Susan Wood, The Proprietary Church in the Medieval West, Oxford u.a. 2006.

[16] So z.B. bei Heiner Marré, Die Kirchenfinanzierung durch Kirchensteuer, in: Erwin Gatz (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Bd.VI: Die Kirchenfinanzen, Freiburg i.Br. u.a. 2000., 213-227, hier 216f; bzw. Listl, Kirchensteuer, 63.

[17] Vgl. Erwin Gatz, Kirchengut und Kirchenfinanzierung im späten 18. Jahrhundert, in: Ders., Die Kirchenfinanzen, 21-28, hier 24f.

[18] Vgl. Hans Liermann, Abgaben, Kirchliche, TRE 1 (1977), 329-347, 338-340; bzw. Giese, Deutsches Kirchensteuerrecht, 15-24.

[19] Siehe dazu Giese, Deutsches Kirchenrecht, 365-371. Der Gesetzestext ist in Auszügen abgedruckt in Ernst Rudolf Huber/Wolfgang Huber, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts, Bd. 3: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Berlin 1983, 61-64. Vgl. außerdem Theodor Karg, Die Einführung der Landeskirchensteuer in Bayern, ZBKG 29 (1960), 237-244.

[20] Vgl. Heinz Gefaeller, Die Kirchensteuer seit 1945, ZEvKR 1 (1951), 80-100.382-403. In Bayern war mit dem Kirchensteuergesetz vom 27.3.1934 schon während des NS-Regimes das Lohnabzugsverfahren vorübergehend eingeführt. Im „Gesetz über die Erhebung von Kirchensteuern“ vom 1.12.1941 wurde jedoch festgelegt, dass die Kirchensteuern von den Kirchen selbst festgesetzt und erhoben werden müssen (Art. 8, Abs. 1). In dessen Folge wurden 1942 in Bayern kirchliche Kirchensteuerämter eingerichtet, die bis heute Bestand haben, auch wenn die Verwaltung der Kirchenlohnsteuer der staatlichen Finanzverwaltung übertragen ist. Vgl. Hartmut Böttcher, 60 Jahre eigene Steuerverwaltung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, in: Heinrich de Wall/Michael Germann (Hg.), Bürgerliche Freiheit und Christliche Verantwortung. Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2003, 199-212.

[21] So jüngst wieder Thomas Begrich, der Leiter der Finanzabteilung im Kirchenamt der EKD, in einem Interview mit dem Rheinischen Merkur Nr. 46 vom 12.11.2009 unter der Überschrift „Die Steuer macht Kirchen unabhängig“ (http://www.merkur.de/38384.0.html).

[22] Unsere Kasualpraxis – eine missionarische Gelegenheit?, TEH NF 147, München 51979, 19f. u. ö.

[23] Anders Wolfgang Huber, Öffentliche Kirche in pluralen Öffentlichkeiten, EvTh 54 (1994), 157-180; Ders., Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, Gütersloh 1999.

[24] Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Zur gesellschaftlichen Dimension des christlichen Glaubens, Freiburg i.Br. u.a. 1983, 142-154. Vgl. außerdem Ders., Wem gilt die Bergpredigt. Beiträge zu einer christlichen Ethik, Freiburg i.Br. u.a 1988, 99-160.

[25] EG 907, S. 1579.

Quelle: Korrespondenzblatt, herausgegeben vom Pfarrer- und Pfarrerinnenverein in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, 125. Jahrgang, Nr. 2 (Februar 2010), Seiten 29-32.

Hier der Artikel aus dem Korrespondenzblatt als pdf: Teuffel – Der Kirche Tribut zollen (kblatt-1002)

2 Kommentare

  1. Dass wir von einer monopolistischen Religion, einer Kirche des Zwanges und der Pflicht schon längst unterwegs zu einer Beteiligungskirche sind, dürfte jedem, der die letzten 30 Jahre der Entwicklung unserer Kirchen in Deutschland mitverfolgt hat, klar sein.

    Dieser Übergang geht anscheinend nicht ohne gewisse schizophrene Züge und unausgesprochenen Paradoxien, wie einer konfessionellen Kirchensteuer.

    Was mir in JT Beitrag zu kurz kommt:
    1) Systemisch: Wenn ein Ziel aufgezeigt wird, aber noch nicht einmal die ersten 2-3 Schritte dorthin, dann weiß ich nicht, ob das „Ziel“ zielführend sein kann.

    2) Politisch: Die besondere Verfassungssituation Deutschlands wird von JT nicht berücksichtigt. Die Kirche konnte ihre „Privilegien“ in immer größerer Freiheit von der Macht hinüberretten, weil der Staat selbst sich ein ideologisches Vakuum gelassen hat, das Weltanschauungsgemeinschaften als Subsysteme füllen dürfen und sollen – und dafür sogar gefördert werden. Aktive Religionsfreiheit. Das ist schwer zu verstehen, aber für mich ein interessanter Weg im Verhältnis Staat und Religionen. Wie lange dies vermittelbar bleibt, ist eine andere Frage.

    3) Theologisch: war wohl nicht vorherzusehen, dass diese verfassungsmäßige Situation seinerseits Einfluss auf das Kirchenmitgliederverhalten in der Weise haben würde, dass (paradoxerweise) recht stabil die Mitglieder sich nicht mehr aktiv beteiligen, aber umgekehrt ihre Ansprüche an die Kirche beibehalten und dabei sogar bereit sind, die Kirchensteuer mitzutragen.

    4) Wirtschaftlich gesehen nimmt JT die Folgen nicht in den Blick: die Finanzierung von 250.000 Hauptamtlichen allein in der evangelischen Kirche in Deutschland (Zahlen von 2005): Kirchen, Caritas und Diakonie ca 1,2 mio Menschen [Vollzeitstellen]. Siemens hat in Deutschland als nächstgrößter Arbeitgeber gerade einmal 62000 MA. Das ist ein großer Tanker mit ebenso großen Rechtsansprüchen mit Pensionen und so weiter. Mir ist nicht klar, wie dieser Betrieb abgewickelt werden sollte …

    5) Daraus folgt: der Vergleich der deutschen Sondersituation mit anderen Kirchen zeigt nur eine sehr unterschiedliche Komplexität der Verwobenheit Kirche und Gesellschaft auf, die so sicherlich nicht aufzulösen ist. Die deutschen Kirchen werden aber ihre Einnahmen sehr gut investieren müssen, um längerfristig auch theologisch wirksam zu bleiben.

    6) Es ist außerdem schwierig, ein Normverhalten von Christen aufzustellen …

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