Kristlieb Adloff, »Mein ist die Rache, redet Gott«. Zum Umgang mit den biblischen Feindpsalmen: „Was ist das für ein Gott, dem wir uns so, von aller frommen Maskerade entblößt, in rückhalt­loser Wahrhaftigkeit zumu­ten können? Das ist der Punkt, um den es geht, wenn wir uns den befremdli­chen »Feindpsalmen« aussetzen. Es geht um Gott selbst, um einen befremdlichen Gott, von dem wir uns kein Bild machen dürfen, und sei es das Bild eines Gottes der Liebe nach menschlichen Maßstä­ben.“

»Mein ist die Rache, redet Gott«. Zum Umgang mit den biblischen Feindpsalmen

Von Kristlieb Adloff

»Herr, Gott, des die Rache ist, Gott, des die Rache ist, erscheine!« (Psalm 94,1, nach Luther, unrevidiert) Nachdem im Gefolge einer Kommando­aktion der USA der Topterrorist Osama Bin Laden getötet worden war, äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel öffent­lich ihre Freude über diesen Tod. Das hätte sie nicht tun sollen, wie sie wohl auch anschließend selbst bemerk­te. Jedenfalls schlugen die medial aufge­türmten Wellen kollektiver Empörung über ihre Äuße­rung danach hoch. Eine politische und völkerrechtliche Bewer­tung der USA-Aktion ist hier nicht das Thema. Insbesondere von christlicher Seite indes wurde der Pfarrerstochter Angela Merkel vorgehalten, die Freude über den Tod eines Menschen sei re­ligiös und moralisch inak­zeptabel, ein Ausdruck unterchristlicher Rachsucht. Dabei durfte das sattsam bekannte Kli­schee nicht ausbleiben, im Unterschied zu alttestamentlich-jüdischer (oder wie man gern sagt: »alttestamentarischer«) Frömmigkeit sei das christliche Neue Testament, das die Feindesliebe gebiete, frei von solchen niederen Gefühlen und Gesinnungen.

Gegen dieses wie jedes andere vorur­teilsbehaftete Klischee ist nicht nur nach meiner Erfah­rung schwer anzukommen. So muss hier der knappe Hinweis genü­gen, dass, was auch immer sich hinter dem noch aufzuklärenden Wort »Rache« verbergen mag, das Neue Testament kei­neswegs mit jenen »heilgen Hallen« des autoritären Sonnenpriesters Sarastro nach dem Schi­kaneder-Text von Mozarts »Zauberflöte« gleichzusetzen ist, in denen man die Rache nicht zu kennen behauptet. Man vergleiche dagegen nur Lk 21,22; Röm 12,19; 2. Kor 7,11; 10,6; 1. Thess 4,6; 2. Thess 1,8; 1. Petr 2,14; Hebr 10,30; Offb 6,10! (Dass die revidierte Lutherüber­setzung z. T. das Wort »Rache« vermeidet, im Unter­schied zu Luther, ändert nichts, ist aber bezeichnend.) Paulus begründet sogar die Feindesliebe in Röm 12,19ff. nicht mit dem Jesus­wort, sondern mit dem Hinweis auf den »alttestamentarischen« Gott, der sich die Rache an seinen und seiner Knechte Feinden zuspricht (5. Mose 32,35.40-43).

Umgekehrt gebietet gerade das »Alte« (nach Erich Zenger »Erste«) Testament die Feindes­liebe (3. Mose 19,17f.33f.), und zwar nicht im Sinne eines ethischen Ideals, sondern in Gestalt konkreter Ver­haltensweisen (2. Mose 23,4f.; 5. Mose 22,1-4; Spr 25,21f.). Das jüdische Buch Sirach, das die Römische Kirche unter die kanonischen Bibelbücher rechnet, zieht im 28. Ka­pitel eindrucksvoll die Summe: »Wer sich rächt, an dem wird sich der Herr wieder rächen … Gedenke an das Ende und lass die Feindschaft fahren … Gedenke an den Bund des Höch­sten und vergib, was dein Nächs­ter gefehlt hat …« (Vv. 1.6.9) Und das Buch der Sprüche mahnt: »Freue dich des Falles deines Feindes nicht.« (24,17) Aber damit ist die Frage nach der »Ra­che«, wie gerade der Hinweis auf das Neue Testament zeigte, biblisch na­türlich nicht beant­wortet. Und das Buch der Sprüche weiß, wenn es um das Gemeinwohl geht, immerhin auch: »… wenn die Gottlosen« (gemeint: die Gewalttäter!) »umkommen, wird man froh.« (11,10) So hätten die Betroffenen und Angehörigen der Opfer von 9/11 nach dem Tod von Bin Laden vielleicht doch einigen Grund zur Freude gehabt? Moralisierende Urteile reichen in dieser Sache nicht.

Die härteste Probe, der sich christliche Mentalität zu stellen hat, begegnet ausgerechnet im Psalmenbuch, das als einziges alttestamentliches Buch gern im Druck mit dem Neuen Testa­ment verbunden wird (»Neues Testament und Psalmen«). Im Psalter finden sich im Blick auf die hier allgegenwärtigen »Feinde« keineswegs vereinzelt derart schockierende Sätze und Textpassagen, dass man sie am liebsten als unzumut­bar streichen möchte, was ja auch in der kirchlichen und liturgischen Praxis weithin geschieht. Abgesehen davon, dass solche bibli­schen Äußerungen dem Klischee von »alttestamentarischer« Rachsucht reichlich Nahrung geben, lie­fern sie jedenfalls den Gegnern der Kir­che willkommene Argumente. Was soll man christlich auch mit Psalmen wie 58 und 83, was mit Stellen wie 21,9-13; 54,7f.; 55,16; 56,8; 59,6.14; 69,23-29; 79,6.12; 139,19-22; 140,10-12; 143,12 und vielen anderen anfangen, die in z. T. unerträglich anmutenden drastischen Wendungen Gott um die Vernichtung der Feinde anrufen? Und wer könnte den letzten Satz in dem ansonsten so zu Herzen gehenden Psalm 137 (»An den Wassern Babels«) in irgendeiner Weise rechtfertigen wollen, der denjenigen preist, der die jungen Kinder der Tochter Babel am Felsen zerschmettert (V. 9)? Doch ist hier grundsätzlich weder mit Streichungen noch mit im Einzelfall zu erwägenden Erklärungen (s. u. zu Ps 137,9) und die Extreme mildernden Übersetzungen geholfen. Zwar hat es in der Ge­schichte der Kirche immer wieder Versuche gegeben, die Bibel zu »reini­gen«, doch geht es dabei nie ohne Will­kür und Gewaltsamkeit ab. Marcion im 2. Jahrhundert verwarf das ganze Alte Testament mit seinem »gerechten« Gott und reduzierte das neutestamentliche Evangeli­um auf das ideologische Kons­trukt von einem »guten« Gott, der ange­sichts der Wirklichkeit mit ihren Schre­cken der Schöpfer nicht sein konnte. Die nazihörigen »Deutschen Christen« unternahmen es, das Neue Testament von allem »Jüdischen« zu reinigen (»Volkstestament«) und sanktionierten auf ihre Weise die Verbrechen derer, die eine »judenreine« Welt zu schaf­fen sich vorgenommen hatten.

Barbarisch und weitgehend willkürlich erscheint mir auch das heute unter dem Diktat einer »wissenschaftlichen« Welt­anschauung naheliegende Unterfangen, die Bibel nach Art eines Leichnams zu sezieren und in einzelne Stücke zu zerlegen, die man dann je nach Gusto in (heute noch) brauchbare oder un­brauchbare selek­tiert. Da ist dann frei­lich der Geist, der Atem des Schöpfers, entflohen, und die Bibel kommt nicht als lebendiges Ganzes in ihren Höhen und Tiefen, in ihren Gipfeln und Ab­gründen, in ihren Brüchen und (zum Himmel schreien­den!) Widersprüchen in den Blick, anders gesagt: nicht als ein kunstvolles Gewebe (textus), aus dem man nicht einzelne Fäden herausziehen darf, ohne alles zu zerstören, in diesem Sinn: die Bibel als Text der Offenbarung Gottes in ihrem unerschöpflichen, ab­gründigen Reichtum.

Wenn es denn also zutrifft, dass die ge­nannten Psalmen und Psalmstellen uns in schier uner­träglicher Weise schockie­ren, so werden wir uns diesem Schock auszusetzen haben. Der Ein­wand, mit den sich hier aussprechenden Gewalt­phantasien ließe sich jedwede Bruta­lität und Grausamkeit rechtfertigen, ist natürlich ernst zu nehmen. Die Ge­schichte der Kirche liefert dazu ja auch erschreckende Beispiele, etwa, wenn die »Feinde« mit Juden identifiziert wur­den. Doch ist dagegen immerhin der alte Grundsatz abusus non tollit usum, der Missbrauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf, in Erinnerung zu rufen.

Welches wäre dann aber der rechte Ge­brauch? Am Anfang sollte die Erkennt­nis stehen, dass die in den Psalmen zur Sprache kommenden seelischen Re­gungen für uns u. a. auch deshalb so schockierend wirken, weil sie keinerlei frommer Zensur, keinerlei »political correctness« unterliegen. Diese Gebete sind in einer Weise aufrichtig, die wir uns kaum zutrauen, weil wir den Blick in die Abgründe unseres Herzens scheu­en. Nimmt man Luthers berühmte Wen­dung aus seiner Vorrede auf den Psalter ernst, hier sehe man »allen Heiligen ins Herz«, so dürfte unsere Gebetssprache nicht so ängstlich, so gezähmt, so lei­denschaftslos, nicht so harmonie­süchtig sein. Nur wo der Beter aus seinem Her­zen keine Mördergrube machen muss, da ist auch der Tempel des Herrn kei­ne »Mördergrube« (Jer 7,11; Mt 21,13; Mk 11,17; Lk 19,46: Luther; revidiert: »Räuberhöhle«), kein Ort ideologisch verordneter Orwell’scher Sprachlügen und Schönfärberei. Gerade vor dem Gott, der das Herz ergründet (Ps 7,10; 139,1.9; Jer 17,9f.; Offb 2,23), darf und muss so geredet werden! »… und was du keinem darfst erzählen, magst du Gott gar kühnlich sagen.« (Paul Gerhardt, EG 371,5)

Was ist das für ein Gott, dem wir uns so, von aller frommen Maskerade entblößt, in rückhalt­loser Wahrhaftigkeit zumu­ten können? Das ist der Punkt, um den es geht, wenn wir uns den befremdli­chen »Feindpsalmen« aussetzen. Es geht um Gott selbst, um einen befremdlichen Gott, von dem wir uns kein Bild machen dürfen (2. Mose 20,4 vgl. mit Röm 1,23; 11,33), und sei es das Bild eines Gottes der Liebe nach menschlichen Maßstä­ben. Zerbricht aber das Wunschbild ei­nes »lieben« Gottes an der Wirklichkeit, dann stellt sich Verzweiflung an Gott und der Welt ein. Nicht so in den Psal­men: Gegen alle Resignation wird hier der Schrei nach Gerechtigkeit als Schrei nach Gott laut, schrill und disharmo­nisch, so wie Jesus am Kreuz seinen Gott angeschrieen hat, psalmengerecht, warum und wie lange er ihn da noch hängen lasse in dieser Gottesfinsternis (Ps 22,2; Mt 27,46; Mk 15,34.37).

Wir verstehen das nicht, solange wir das Recht verachten und das irdische Mühen ums Recht im menschlichen Zu­sammenleben, wie unvollkommen das auch immer sei. Das Recht ist Gottes heilsames Gebot, wie man in Israel weiß (Ps 37,28; 99,4). Der immer zerbrech­liche und fragwürdige Rechtsstaat ist etwas Gutes (3. Mose 24,22, recht ver­standen auch Röm 13,1-7), und die Kla­ge aus den neuen Ländern nach 1989: »Wir hofften auf Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat« war falsch, weil ins Leere adressiert. In den Psal­men wird dem das Recht liebenden Gott gerade sein Gebot anklagend vorgehal­ten, um nicht zu sagen: um die Ohren geschlagen (Ps 27,8.11). Hier sagt man nicht räsonierend: »Wie kann Gott das zulas­sen?«, ein gottloses Räsonnement (Ps 14,1; 53,2), sondern fordert von Gott um seines Na­mens, um seines Gottseins willen eine Änderung der Verhältnisse, eine Wiederherstellung des verletzten Rechts, dies, dass »Gott allen bösen Rat und Willen bricht und hindert, die uns den Namen Gottes nicht heiligen und sein Reich nicht kommen lassen wol­len« (Luther, Ausle­gung der 3. Bitte des Vaterunsers im Kleinen Katechismus). Die »Feinde« in den Psalmen sind kei­ne Projektionen, auch nicht Ergebnis misslungener mitmenschlicher Kom­munikation und entsprechend Ziel von Versöhnungs- und Friedensbemühun­gen, sondern Urheber von Rechtsbruch und mörderischer Gewalt, deren Taten kein irdisches Gericht (auch kein In­ternationaler Strafgerichtshof) sühnen kann, so notwendig solche Institutio­nen auch sind. Die Frage sei erlaubt, ob wir im Deutschland eines unverdienten Friedens seit 1945 noch ein Ge­spür da­für haben, welch verstörender Schrei nach Gerechtigkeit tagtäglich von den »Ver­dammten dieser Erde« aus allen Ge­genden und Höllen der Welt (vielleicht auch bei uns?) an Gottes Ohr dringt. Und wenn wir‘s spürten und uns zu Herzen nähmen: hätte das nicht Folgen für unser Verständnis der Sprache der Leidenden und in eins damit für unser Gottesverhält­nis? Das jüdische Volk hält aufgrund seiner geschichtlicher Erfah­rungen hier eine Frage für uns offen, die Theologen die »Theodizeefrage« nennen, die Frage nach der Rechtfertigung Got­tes, und fälschlicherweise bisweilen meinen beantworten zu können, etwa: »Gott hat damit nichts zu tun«. Die Bi­bel, nicht nur in den Psalmen, kennt das nicht, bis in das letzte Buch der Bibel hinein (Offb 22,20).

Und so haben wir kein Recht, die Feind­bitten und Racheschreie der Opfer von Gewalt und Lüge in den Psalmen, »vom sichren Port aus gemächlich ratend«, unserer frommen Gedan­kenpolizei zu unterwerfen. Das gilt zumal dann, wenn wir Grund haben, uns in den »Feinden« selbst als »Täter«, als mitschuldig an weltweitem Unrecht zu erkennen. Bis­weilen kann übri­gens auch sorgfältige Untersuchung einzelner Psalmstellen dazu helfen, Missverständnisse auf­zuklären. So ist z. B. der inkriminierte Vers Ps 137,9 keine Aufforderung zum Massen­mord an unschuldigen Kindern, sondern zielt auf die Beseitigung einer tyrannischen Herr­scherdynastie »bis ins dritte und vierte Glied« (2. Mose 20,5). Wir dürfen heute an die Fami­lienclans der Mubaraks, der Gadhafis, der Assads oder auch der Kims in Nordkorea den­ken.

Verstehen sollten wir in jedem Falle, dass in den Psalmenbitten um Vergel­tung hier alles, wirklich alles zu Gott gesagt und Gott anheim gestellt wird, womit gerade ausgeschlossen ist, dass der Beter die Sache nach Maßgabe sei­ner Wünsche selbst in die Hand neh­men kann. In Conrad Ferdinand Meyers Gedicht »Die Füße im Feuer« ringt sich der Ehemann in einem Seelenkampf auf Leben und Tod zum Verzicht auf Rache am Folterer und Mörder seiner Frau durch, weil er weiß, was er am Ende bekennt: »Mein ist die Rache, redet Gott«. Das heißt aber auch, dass über dem Jakobskampf um und mit Gott, wie er in den Feindpsalmen stattfindet, sich die Seele des Betenden verändert, seine Klagen und Anklagen verwandelt wer­den. Er weiß ja nicht, wie Gott mit den Feinden verfahren wird, ob nicht gerade der Gott, des die Rache ist, sich als All­erbarmer erweisen könnte (Röm 11,32). Nur eben teilnahmslos und gleichgültig gegenüber dem Unrecht ist dieser Gott auf keinen Fall, sondern leidenschaftlich selbst davon betroffen. Das emotional starke Wort »Rache« (vgl. die Wörterbü­cher) als Ausdruck des menschlich Allzumenschlichen, des kleinlichen Hasses, des destruktiv Bösen mag im Blick auf Gott unangemessen erscheinen. Es ist ja damit auch nicht das Wesen Gottes als eines »Rachegottes« bezeichnet, ja, nach Paulus, ist es unsere Sünde, von der sich Gott betreffen lässt (Röm 8,3; 2. Kor 5,19.21). Hier gilt wie auch von anderen menschlichen (an­thropomorphen) Redeweisen von Gott in der Bibel: Sie entstammen »dem unverkümmer­ten Wissen um die Art, wie Gott dem Menschen begegnet: so nämlich, dass er in seine, des Ge­schöpfs konkrete, d. h. augenblickliche leiblich-seelische Wirklichkeit mit gleich konkret au­genblicklichem leibhaft-seelenhaftem Begegnen eingeht«, sie »beziehen sich, ihrem durch­aus nur konkret-momenta­nen Charakter gemäß, immer nur auf das geschöpfliche Gegenüber und nur auf diesen seinen augenblicklichen Au­genblick.« (Franz Rosenzweig, S. 127). So konkret begegnet Gott einerseits den Leidenden, den Opfern der Gewalt, und zieht anderer­seits »uns« aus unserer Gleichgültigkeit, Teilnahmslosigkeit und Feigheit ins tätige Mitleiden hinein, in den Kampf um SEINE Gerechtigkeit.

Wie aber können Christen solch – jü­dische! – Gebete wie die Feindpsalmen sich aneignen? Aneignen gerade nicht. Wir wissen ja nicht, »was wir beten sol­len, wie sichs gebührt« (Röm 8,26). Es ist nicht unser Geist, es ist ein fremder Geist, der Geistatem des Gottes Israels, der uns im Beten »mit unaussprechli­chem Seufzen« vertritt. So scheint mir der Vorschlag Erich Zengers (S. 846) hilfreich zu sein, anstelle des gewohn­ten Betens der Psalmen im Wechsel dem Kantorenvortrag des ganzen, sprachlich-poetisch wohlstrukturierten Psalms den Vorzug zu geben, an geeig­neten Stellen unterbrochen durch pas­sende Antiphonen und Akklama­tionen. Der Psalm wird damit der Gemeinde unverkürzt als von außen kommendes Wort (ver­bum externum: Luther) zuge­sprochen. Man muss hier wie auch sonst nicht alles »verste­hen«, was uns Gott als Brot des wahren Lebens darbietet. Versuchen wir’s, schmecken wir’s – und machen unsere Erfahrungen.

Diejenigen, die sich über die spontane und sicherlich ehrliche (was ein Politiker tunlichst ver­meiden sollte!) Äußerung der Kanzlerin zum Tod Bin Ladens em­pörten, eignen sich nicht als Seelsorger Angela Merkels. Der wahre Seelsorger stünde mit ihr vor Gott – mit offenem Aus­gang für beide. Wohl aber sollten die Empörten sich prüfen und prüfen lassen (Ps 139,23!), ob ihrer Reaktion nicht ein gerüttelt Maß an Heuchelei beigemischt sein könnte, schlimmer noch: die alte Judenverachtung als eine Ursünde des Christentums. Nicht nur dagegen wäre der rechte Umgang mit den biblischen Feindpsalmen das reinste Therapeutikum. Nicht die Bibel bedarf der Reinigung, sondern mit Hilfe der Bibel ein un(auf)geklärter abendlän­discher See­lenhaushalt.

Kristlieb Adloff, Dr. theol., Pfarrer i. R., von 1980-1996 Dozent am Missionsseminar Her­mannsburg, jetzt in Wolfenbüttel. (Zuerst veröffentlicht in: Aufschlüsse Nr. 42. Hier abge­druckt mit freundlicher Erlaubnis der Herausgeber.)

Literaturhinweise

Einen ebenso kundigen, wie auch den Autor die­ser Zeilen reich belehrenden Beitrag zur Sache verdankt man dem 2010 verstorbenen Münste­raner katholischen Alttestamentler, Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille, Erich Zenger: »Ein Gott der Rache? Feindpsalmen verstehen«, zuerst 1994, jetzt in: ders., »Psalmen. Auslegungen«, 2 Bde., Freiburg/Br. 2011, 677-863, dort auch wei­terführende Literatur. Die Psalmenauslegungen in diesen Bänden sind allesamt Kostbarkeiten!

Eindringliche Psalmenmeditationen hat Klaus Schwarzwäller erscheinen lassen: »Flehen und Fluchen. 11 Psalmen paraphrasiert – meditiert – variiert. Mit Bildern von Uwe Appold«, Neu­endettelsau 2011.

Zum Anthropomorphismus: Franz Rosenzweig, Anmerkung über Anthropomorphismus, in: ders. Die Schrift. Aufsätze, Übertragungen und Briefe, hg. v. K. Thieme, Königstein/Ts. 1984, 121-128.

Korrespondenzblatt, 126. Jahrgang, Nr. 12, Dezember 2011, S. 203-205.

Hier der Text als pdf.

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