Hoffnung
Von Jürgen Moltmann
1. Die europäische Geschichte des Hoffnungsbegriffs ist geprägt von der Spannung zwischen der griechischen Philosophie und dem biblisch-christlichen Verständnis. In der griechischen Antike bezieht sich Hoffnung formal auf die Zukunft als eine neutrale Erwartung, deren Inhalt sowohl angenehm als auch unangenehm sein kann. Diese mehrdeutige Zukunftsbezogenheit erscheint daher unter verschiedenen Aspekten: (a) als illusionäre Annahme; (b) als rationale Aussicht; (c) als existenzielles Vertrauen; oder (d) bei Platon als das Ausstrecken der Seele auf eine transzendente Zukunft hin. Obwohl im Fortgang der griechischen Denktradition Hoffnung zunehmend positiv gedeutet wird, bleiben die Untertöne von Unsicherheit und Unruhe im negativen Sinn bestehen.
Demgegenüber versteht das biblische Denken Hoffnung stets als Erwartung einer guten Zukunft, die auf Gottes Verheißung gründet. Weil Hoffnung durch das Gottesverständnis geprägt und durch die Beziehung zu Gott bestimmt ist, ist sie eindeutig. Die Grundlage der Hoffnung ist die Erfahrung des befreienden Handelns Gottes im Exodus Israels aus der Sklaverei und in der Überwindung des Todes durch Kreuz und Auferstehung Christi. Das Ziel der Hoffnung ist die ewige Gegenwart Gottes selbst im Reich der Herrlichkeit, das Himmel und Erde erneuert. Natürlich erwarten die Frommen im Alten Testament auch irdische Wohltaten wie Gesundheit und Frieden durch den Segen Jahwes, doch stehen diese konkreten Hoffnungen im Kontext ständiger Neuinterpretation und eschatologischer Erfüllung – ebenso wie die universalen Verheißungen der exilischen und nachexilischen Zeit: die Heimkehr (Ez 37), die Wiedervereinigung Israels und Judas (Jer 30f.), der messianische König des Heils (Jes 9,1–6), der Friede für die Völker (Jes 2,2–4), der Friede unter den Tieren (Jes 11,6–9), die Überwindung des Todes (Jes 25,8), ein neuer Himmel und eine neue Erde (Jes 65,17ff.). Jede historische, irdische Erfüllung wird als Unterpfand größerer Hoffnung verstanden und als Vorwegnahme der eschatologischen Zukunft Gottes gedeutet.
Diese Spannung zwischen Erfüllung früherer Verheißungen und dem Erwachen neuer Hoffnungen wird auch im Neuen Testament bewahrt. In Form und Inhalt christologisch ausgerichtet, richtet sich die früheste christliche Hoffnung – infolge der Verkündigung Jesu – auf die Parusie dessen, der kommen soll, und auf das Reich Gottes als Inbegriff der gemeinsamen Zukunft von Gott, Mensch und Welt.
Somit unterscheidet sich die Hoffnungsstruktur der beiden Testamente grundlegend von jeder außerbiblischen Erwartung: Der Akt der Hoffnung ist keine Extrapolation der Gegenwart in eine zu erwartende Zukunft, sondern die Vorwegnahme der verheißenen Zukunft selbst. Diese Zukunft ist bereits in der Gegenwart wirksam – in der Hoffnung auf Gottes Zukunft.
2. Auffällig ist, dass das Thema Hoffnung in der patristischen Theologie nur eine untergeordnete Rolle spielt. Augustinus individualisiert die Hoffnung – entsprechend seiner Konzentration auf die Beziehung zwischen Gott und der Seele – sodass sie zur Erwartung des Einzelnen wird: des künftigen Glücks (vita beata), der Schau (visio) und der Freude (fruitio) an Gott. Die apokalyptischen Elemente der neutestamentlichen Hoffnung wurden durch die Deutung des tausendjährigen Reiches (Offb 20) im Rahmen der römischen Staatskirche umgeformt und akzentuiert. Später wird die Hoffnung bei Thomas von Aquin zusammen mit Glaube und Liebe als eine der übernatürlichen Kardinaltugenden genannt. Doch auch Thomas misst der Hoffnung nur eine begrenzte Gewissheit zu. Luther kritisierte diesen Mangel an Gewissheit scharf. Auf der Grundlage der Gewissheit des rechtfertigenden Glaubens betonte er die Ganzheit der Hoffnung, wie sie bei Paulus beschrieben wird: Sie ist die Hingabe der Existenz an die Zukunft des Reiches Gottes. Doch auch bei Luther ist der Inhalt der Hoffnung auf den Glauben des Einzelnen bezogen; die allumfassende Erwartung des Reiches Gottes bleibt vernachlässigt.
Der moderne Rationalismus wurde von diesem Individualismus geprägt und führt entweder zu einer völlig negativen Bewertung der Hoffnung (Descartes, Hobbes, Spinoza: Hoffnung ist illusionär, störend, zweifelhaft) oder – im Fall von Kant und dem Existentialismus Kierkegaards, Heideggers und Bultmanns – zu einer Reduktion des Hoffnungsinhalts auf den reinen Hoffnungsakt. G. Marcel und P. Teilhard de Chardin bemühten sich, diesen eingeschränkten Hoffnungsbegriff zu öffnen, aber erst E. Bloch – anknüpfend an biblische und marxistische Traditionen – machte das „Prinzip Hoffnung“ (sein gleichnamiges Werk, 1959) zum zentralen Thema philosophischer und theologischer Reflexion. In der Vermittlung anthropologischer Hoffnungen und materieller Tendenzen durch die Gesellschaft zielt Blochs „Ontologie des Noch-Nicht-Seienden“ auf die Überwindung der Entfremdung von Mensch und Natur. In seiner Theologie der Hoffnung (1964) betont J. Moltmann – in biblischer Tradition – den zukunftsbezogenen und umfassenden Charakter des gesamten christlichen Glaubens und Handelns.
3. Die neue Eschatologie richtet den Blick auch auf die apokalyptischen und chiliastischen Gruppen am Rand der Kirchengeschichte. So beschäftigten sich z. B. der Montanismus des 2. Jahrhunderts, die ketzerischen Bewegungen um das Jahr 1000 und die franziskanischen Spiritualisten, die dem Abt Joachim von Fiore im 13. Jahrhundert folgten, intensiv mit Gottes Zukunft. Schwärmer und Täufer im 16. Jahrhundert suchten die Ankunft des Eschaton aktiv herbeizuführen, indem sie ihre bedrückende Gegenwart zu verwandeln versuchten. Das Kreuz Christi ist natürlich – als Zeichen der Hoffnung für die, die im Schatten des Kreuzes leben – zugleich das Kriterium für alle Träume und Fantasien über die Zukunft. Die aus dem Kreuz geborene Hoffnung unterscheidet den christlichen Glauben von Aberglauben und Unglauben.
Wie der Glaube den Menschen an den gekreuzigten Christus bindet, so öffnet die Hoffnung diesen Glauben auf die allumfassende Zukunft des auferstandenen Christus. In der Hoffnung auf das Reich Gottes erfährt der Christ auch den Widerspruch zwischen Auferstehung und Leben und einer Welt des Bösen und des Todes. Glaube, der sich zur Hoffnung öffnet, bringt nicht Frieden, sondern Unruhe. Im Gegensatz zur erlebten Wirklichkeit nimmt die Liebe die Erde an, weil sie auf die neue Schöpfung hofft. So zieht die Hoffnung die Glaubenden hinein in das Leben der Liebe und befreit sie zur Solidarität mit der ganzen leidenden Schöpfung.
Eine Theologie der Liebe wurde im Mittelalter entwickelt, eine Theologie des Glaubens zur Zeit der Reformation; heute ist es wichtig, eine universale Theologie der Hoffnung zu entwickeln, die Kirche und Menschheit, Menschheit und Natur auf das Reich Gottes hin ausrichtet und auf dieses vorbereitet.
Literatur: R. A. Alves, A Theology of Human Hope, 1969 – E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 1959 – G. Marcel, Fresh Hope for the World, 1960 – J. Moltmann, Theologie der Hoffnung, 1964 – J. Pieper, Über die Hoffnung, 1949 – K. M. Woschitz, Elpis, Hoffnung, Geschichte, Philosophie, Exegese, Theologie eines Schlüsselbegriffes, 1979
Quelle: Alan Richardson/John Bowden (Hrsg.), A New Dictionary of Christian Theology, SCM Press, 1983.