Karl Steinbauer, Vom Gehorsam des Glaubens. Mosepredigten: „Die Kirche, die ihre Knie nicht mehr beugt vor der gegebenen Tatsache der Verheißung und Zusage Gottes und sie nimmer ernst nimmt, d. h. sie nimmer allein ernst nimmt, die muss sich zwangsläufig beugen vor den sogenannten gegebenen Tatsachen, d. h. diese werden sie beugen und knebeln und sie überwältigen, Herr über sie werden, Herren über sie werden, dass sie sich vor lauter Herren und Tyrannen nimmer auskennt.“

Vom Gehorsam des Glaubens. Mosepredigten (1946)

Von Karl Steinbauer

Meinen beiden Diaspora-Gemeinden
der Kirchenkampfzeit:
Penzberg – Kochel – Seeshaupt (Obb.) und
Ay – Senden – Weißenhorn (Schw.)

Vorwort

Die Geburtsstunde dieser Predigten ist eine Unterrichtsstun­de, wohl schon 1933, in der Sakristei der Kirche in Kochel am See, während der mich plötzlich das ganze Geschehen dieser Mosekapitel so ansprach, als geschähe dies alles heute unter uns. Seitdem ließ mich dieses Wort als ein Wort Gottes an uns heute nicht mehr los. Auch während des halben Jahres meiner zweiten Weilheimer „Schutzhaft“ hat es mich viel beschäftigt, und ich schrieb darüber in meinen „Sonntags-Briefpredigten“ an Frau und Gemeinde, predigte aber schon vorher und da­nach verschiedentlich darüber in meiner oberbayerischen Diasporagemeinde Penzberg-Kochel-Seeshaupt und Ende 1938 auch in Ay-Senden und Weißenhorn. Ich glaubte, gerade diese Mosekapitel könnten der Gemeinde deutlich machen, was uns als Kirche Jesu Christi in unseren entscheidungsvol­len Zeiten des neuen Aufbruches, den Gott Seiner Gemeinde in der Bekennenden Kirche geschenkt hatte, bewegen muß.

Freunde unter meinen Pfarrbrüdern und auch aus der Ge­meinde baten mich schon damals, die Predigten herauszuge­ben, und Herr Lempp war freudig dabei, sie als Existenzheft­chen erscheinen zu lassen. Aber es schob sich mancherlei da­zwischen, zwei neue Schutzhaften und schließlich Januar 1939 die Verbringung ins KZ Sachsenhausen – und danach fast 6 Jahre Krieg. Daß sie nunmehr im wiedererstandenen Christian Kaiser Verlag erscheinen können, ist mir im dank­baren Gedenken an den verstorbenen väterlichen Freund Al­bert Lempp eine besondere Freude.

Wer zu lesen versteht, kann unschwer die aktuellen kirch­lichen Entscheidungen bzw. Fehl­entscheidungen des hinter uns liegenden Abschnitts der Kirchengeschichte ablesen. Es ging damals um das Ringen, ob in der Kirche Glaube oder Poli­tik die Entscheidungen zu bestim­men habe, ob der von der Bi­bel gebotene Glaubensgehorsam oder die weltliche, rechneri­sche Verantwortlichtuerei der – vermeintlich – zu erwarten­den Folgen das kirchliche Handeln auszurichten habe.

Ebenso wird ein aufmerksamer Leser durch alle Predigten hindurch immer wieder beobachten können, wie sehr mich die rechte Praktizierung des in Römer 13 geforderten Gehor­sams gegenüber der gottgesetzten Obrigkeit bewegte. Die pseudolutherische Mißdeutung von Römer 13 (man lese doch nur etwa die Auslegung Luthers zum 82. Psalm oder seinen Kommentar zum Wormser Edikt), die uns mit Recht den Vor­wurf der Staatshörigkeit eingetragen hat, ist wohl eine der folgenschwersten Sünden unserer Kirche.

Von daher wird deutlich, wo meines Erachtens einer der wesentlichsten Punkte der Schuldfrage liegt. Der böse, über­hebliche Weg nach 1933 und der furchtbare katastrophale Zu­sam­menbruch unseres Volkes und Reiches ist wesentlich eine Folge davon, daß wir als Kirche Römer 13 selbst nicht mehr recht verstanden und auslegen konnten und deshalb auch nicht mehr befähigt waren, recht zu praktizieren, und umge­kehrt. Von daher müßten wir die Schuldfrage ernsthaft und bußfertig bewegen, an Hand der einzelnen, wirklich kirchli­chen Entscheidungen und der vielen kirchenpolitischen Fehl­entscheidungen. Ich kann mir schlecht vorstellen, wie wir dann um die Feststellung herumkommen können, daß an diesem Punkt die Kirche seit 1933 die Hauptschuld auf sich geladen hat. Das schlechte Beispiel und Vorbild der Kirchen­leitungen hat sich als eine besonders gefährliche, weil ansteckende Schuld gegenüber der Gemeinde ausgewirkt und dort verheerende, d.h. Gewissen zerstörende Folgen gezeitigt in al­len Schichten unseres Volkes. Es hat Schule gemacht: Mit bewußtem und unbewußtem Hinweis auf Römer 13 entzog man sich allenthalben gerade dem von Römer 13 geforderten Gehorsam; mit leichtfertigem, feigem und billigem Hinweis auf Römer 13 hat man sich jeglicher echten Verantwortlich­keit vor Gott entwöhnt.

Es mag dem und jenem scheinen, all diese Fragestellungen seien überholt. Ich glaube es nicht. Menschlich gesehen ist es gut begreiflich, daß man gerne dies und jenes vergessen ma­chen möchte. Aber gerade deshalb darf es nicht sein. Es ist nicht möglich, daß Kirche und Gemein­de mit einem Haufen Ungeklärtheiten im Rücken einen guten, verheißungsvollen Weg weiter gehen können. Wir müssen gerade in der Kirche und Gemeinde bereit sein, wenigstens von hinten her uns die­sen Fragen, ja Sünden redlich zu stellen. Und das braucht fürs erste seine Zeit, saubere innere Verarbeitung und Bereinigung. Wenn gestern etwa Männer den Entschluß fassen, einen Hauptmann zu wählen und nach Ägypten zu ziehen und da­durch vor aller Welt kundtun, daß sie Leben und Zukunft der Kirche auf Rechnen mit dem Staat stellen und nicht auf Glau­ben an die Verheißungen Gottes, dann können die gleichen Männer nicht morgen schon wieder nach Kanaan ziehen und meinen, wegen eines raschen Sündenbekenntnisses hätten sie auch das Recht dazu. Nein, auch im geistig-geistlichen Leben gibt es Ordnungen, die nicht unbeachtet gelassen werden dür­fen. Nur so kann der Weg für fruchtbaren Neuanfang freige­macht werden. Denn innerhalb der Kirche werden Sünden nicht bereinigt durch Vertrauenserklärungen jeglicher Art. Solche Gepflogenheiten mögen in Parlamenten möglich und nötig erscheinen. In der Gemeinde Christi wäre es böse, uns ein gutes Gewissen von Menschen geben lassen zu wollen und zu glauben, das ginge. Zudem gibt es ja keinen klareren Beweis, daß der ein schlechtes Gewissen hat, der ein gutes sich sozusagen beschließen lassen wollte. Gutes Gewissen und Glaube, Glaube und gutes Gewissen bedingen einander, „welches etliche von sich gestoßen und am Glauben Schiff­bruch erlitten haben“ (1.Tim 1,19 u. 3,9). Man stelle sich nur vor, unser Vater Luther hätte durch Abstimmung feststellen las­sen, ob er ein gutes Gewissen haben dürfe oder nicht! Soviel zur Schuldfrage. Wer diese Ausführungen nicht versteht, wird wohl auch meinen, er habe das Recht, sie nicht zu verstehen, d.h. er hätte nie Anlaß gehabt, derlei bußfertig bei sich zu be­wegen.

Möchten diese Predigten, die ja auch ein Gruß an meine alten Gemeinden sein wollen, auch sonst in Kirche und Ge­meinde zum segensreichen und bußfertigen Mitbewegen all dieser Fragen und Anliegen mithelfen.

Lehengütingen, am Tag von Christi Himmelfahrt 1946

Karl Steinbauer

I.

Kanzelspruch: „Lasset euch von niemand verführen mit vergeblichen Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens“ (Eph. 5,6)

Votum: Gnade sei mit allen, die da liebhaben unsern Herrn Jesus Christus unverrückt! Amen.

Wir hören auf das Wort Gottes, wie es aufgezeichnet steht im 4. Buch Moses Kapitel 13,1-3 und 25-33: „Und der Herr redete mit Mose und sprach: Sende Männer aus, die das Land Kanaan erkun­digen, das ich den Kindern Israels geben will, aus jeglichem Stamm ihrer Väter einen vornehmen Mann. Mose, der sandte sie aus der Wüste Pharan nach dem Wort des Herrn, die alle vorneh­me Männer waren unter den Kindern Israel. Und sie kehrten um, als sie das Land erkundet hatten, nach 40 Tagen, gingen hin und kamen zu Mose und Aaron und zu der ganzen Gemeinde der Kin­der Israel in die Wüste Pharan gen Kades und sagten ihnen wieder und der ganzen Gemeinde, wie es stände und ließen sie die Früch­te des Landes sehen. Und erzählten ihnen und sprachen: Wir sind in das Land gekommen, darin ihr uns sandtet, darin Milch und Honig fließt, und dies ist seine Frucht;
nur daß starkes Volk darin wohnt und sehr große und feste Städ­te sind; und wir sahen auch Enaks Kinder daselbst. So wohnen die Amalekiter im Lande gegen Mittag, die Hethiter und Jebusiter und Amoriter wohnen auf dem Gebirge, die Kanaaniter aber wohnen am Meer und um den Jordan.
Kaleb aber stillte das Volk gegen Mose und sprach: Laßt uns hin­ausziehen und das Land einnehmen; denn wir können es über­wältigen.
Aber die Männer, die mit ihm waren hinaufgezogen, sprachen: Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen das Volk; denn sie sind uns zu stark, und machten dem Lande, das sie erkundet hat­ten, ein böses Geschrei unter den Kindern Israel und sprachen: das Land, dadurch wir gegangen sind, es zu erkunden, frißt seine Einwohner, und alles Volk, das wir darin sahen, sind Leute von großer Länge. Wir sahen auch Riesen daselbst, Enaks Kinder von den Riesen; und wir waren vor unseren Augen wie Heuschrecken, und also waren wir auch vor ihren Augen.“

Gebet: Uns, deine Gläubgen, wollest du
fest in der Wahrheit gründen,
daß wir für unsre Seelen Ruh
in deiner Gnade finden.
Mach unsres Glaubens uns gewiß,
vor Irrtum und vor Finsternis
bewahr uns bis ans Ende! Amen.

Das Volk Gottes, die Gemeinde, die Kirche Gottes steht an den Grenzen des verheißenen, des von Gott ihm gelobten Landes.

Schon der Erzvater Abram war zu ihm dereinst ausgezo­gen, herausgerufen, ja weggerissen und herausgerissen aus sei­nem Vaterland, aus seiner Freundschaft, aus seines Vaters Haus. Heimatlos und vaterlandslos – wohl auch gescholten als ein „vaterlandsloser Geselle“ – machte er sich auf den Weg in ein Land, das er nicht kannte.

Es war ein „sehr gewagtes Manöver“, das er begann. Es war mehr als ein „gewagtes Manöver“, es war menschlich ge­sehen etwa das Verrückteste und das Verbotenste, was man sich denken könnte, alles, was sonst die Wurzeln unserer Kraft sind und heißen, zu verachten und ganz und gar ins Un­gewisse zu laufen. Aber „Mein Gott ist der Törichten Gott und spottet der Weisen“.

Und so ließ sich Abram im gebotenen Glaubensgehorsam vom Wort Gottes in Marsch setzen. (Luther, S. 24)[1]

Mit seiner eigenen Weisheit ließ er alle Menschen-Weisheit fahren, ließ er sich gerne töricht schelten von der Menschen-Weisheit und lief dem Wort Gottes nach. Und weil er Gott in Seinem Wort mehr Weisheit zutraute als seiner eige­nen und aller Welt Weisheit, die doch eitel Torheit ist vor dem Herrn, begann er weise zu werden, durfte weise werden über dem Gehorsam: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit An­fang“. Am Wort, an der Zusage Gottes hielt er fest und ließ sich daran genügen, glaubte und entfloh Gott nicht, und das machte sein „sehr gewagtes Manöver“ sinnvoll und seinen dunklen Weg helle. Denn wer dem Wort Gottes nachläuft, läuft in Wunder hinein: „Unterweise mich den Weg deiner Be­fehle, so will ich reden von deinen Wundern.“ (Psalm 119,27)

Aber wer will’s glauben, daß es immer und in jeder Lage das Gescheiteste ist: Gott über alle Dinge zu fürchten, zu lie­ben und zu vertrauend?

Abram wußte nichts weiter als nur dies eine: Gottes Wort hat mich zum Aufbruch gerufen, Gottes Wort hat mich in Be­wegung gesetzt. Und damit wußte er: den Weg und das Ziel brauche ich nicht zu wissen, kann und darf ich nicht wissen: „Gottes Gedanken sind nicht unsere Gedanken, und Gottes Wege sind nicht unsere Wege.“ ER weiß beides, Weg und Ziel, und ich gebe Ihm darin die Ehre. Der Glaube läßt alles fah­ren, damit er alles gewinne.

Wenn ihn darum einer gefragt hat: „Wo geht die Reise hin?“ „Was ist das Ziel?“, er gab die – für alle Wirklichkeits- und Tatsachen-Schwärmer – „schwärmerische“ Antwort: „In ein Land, das ER mir zeigen will.“ Die „schwärmerische“ Antwort der Kirche zu allen Zeiten, denn es steht geschrie­ben: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Wenn darum einer in ihn gedrungen ist: „Du siehst dich ja gar nicht hinaus! Wer beginnt eine Sache und kann das Ende nicht absehen!“ Dann hat er geantwortet: „Ich sehe mich freilich nicht hinaus, aber ER! Ich sehe das Ende nicht ab, aber ER! Wie soll und kann es anders sein?“ „Es ist allein der Glaube von Nöten, auf daß des Glaubens Sache nicht ohne Glauben sei.“ (Luther, S. 50) Könnte einer sagen: „Das ist aber ein armseliges und trauriges Wandern.“ Armselig, trau­rig! O nein! „Ich freue mich des Weges deiner Zeugnisse wie über allerlei Reichtum. Ich wandle fröhlich, denn ich suche deine (Gottes) Befehle.“ (Ps. 119,14.45.)

Aber wie sollte die Welt, die nur an sich glaubt, nicht belei­digt sein und nicht den Kopf schütteln über das wunderliche Häuflein derer, die dem Kyrios, dem Herrn hörig und gehörig sind, über die Kirche, die eben nicht an sich selbst glaubt, auch nicht an die Welt glaubt, sondern allein an die Zusage Gottes: „Das Land will ich dir und deinem Samen geben.“ „Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach Seiner Verheißung…“

Vor diesem Land, durch Gottes Zusage ihm zu eigen gege­ben, steht der Same Abrahams, steht die Gemeinde, die Kirche Gottes. Im Auftrag Gottes werden Boten ausgesandt, „vorneh­me Männer“, einer aus jedem Stamm, „die das Land Kanaan erkunden, das ich den Kindern Israel geben will“ (13,2).

Was war der Sinn dieser Erkundung?

Diese „Erkundung“ konnte nicht dazu gedacht sein und dazu dienen, festzustellen, ob es überhaupt möglich sei, ins Land Kanaan einzuziehen. Das stand von vornherein fest, mußte feststehen; denn es war das Land, von dem durch Got­tes gültiges Wort bestimmt ist: „das ich den Kindern Israel ge­ben will.“ Der Sinn der Erkundung konnte nur sein, die Wun­der Gottes, die ER seinem Volk vorbehalten hat, zu schauen.

Aus der Wüste kommend – der Wüste Pharan, in der die ganze Gemeinde und Kirche Gottes stand – werden die Boten „nach dem Wort des Herrn“ gesandt in das von Ihm ih­nen gelobte Land, und kehren, als sie das Land erkundet hat­ten, nach 40 Tagen – sie haben in die Auferstehungswelt hin­einschauen dürfen: welchen er sich nach seinem Leiden leben­dig erzeigt hatte … und ließ sich sehen unter ihnen 40 Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes (Apg. 1,3) – nach solchen 40 Tagen kehren sie zurück aus der Wüste Pharan ge­gen Kades „zu der ganzen Gemeinde der Kinder Israel… und sagten ihnen wieder und der ganzen Gemeinde, wie es stän­de …“ Sie erzählen ihnen begeistert vom verheißenen Land und bestätigen – und etwas anderes war nicht ihre Aufgabe –: es ist wirklich ein herrliches verheißungs-volles Land, also voll all der wunderbaren, köstlichen und zugesagten Verheißun­gen, ein Land, „darin Milch und Honig fließt –, und dies ist seine Frucht.“ – Da schaut nur all den Segen und versucht’s auch: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“

Erinnern wir uns, wir haben vor etlichen Jahren bis vor kurzer Zeit auch immer wieder von da und dort begeisterte Berichte gehört von mancherlei Kundschaftern über den Auf­bruch der Kirche und der Gemeinde Christi in unseren Tagen, die das Wort Gottes auf den Marsch und in Bewegung gesetzt hat. Da wurde z.B. erzählt von „Flammenzeichen in Westfa­len“, von Leiterwagen- und Autobusfahrten ganzer Gemein­den in verschiedenen Gauen Deutschlands hinter dem Wort her, weil ihre Kirchen ihnen versperrt oder wenigstens nicht dem lauteren Wort geöffnet waren, oder auch ihr Hirte ihnen genommen war. Wir haben gehört vom Hunger nach dem Wort, der durch ganze Landschaften läuft, von Erweckungen ganzer Gemeinden, die lange tot schienen. Eine neue Zukunft tat sich auf, ein neues Land der Verheißung für die Kirche.

– Nur, …

„Nur, – daß starkes Volk darin wohnt und sehr große und feste Städte sind; und wir sahen auch Enaks Kinder daselbst.“

„Nur“ – nur so ein kleines „nur“, was kann das alles zunichte machen! Wie geschickt und scheinbar fachkundig be­scheiden und schonend macht dieses „nur“ aufmerksam auf den kleinen Haken, den die Sache hat – „nur“. Und diese „Nur-Sager“ merken nicht die altkluge, unverschämte, gotteslästerli­che Anmaßung, die in ihrem „nur“ drinsteckt. Gerade als woll­ten sie sagen: „Gott hat sich da fraglos eine an sich recht feine Sache ausgedacht, und das ist auch unbedingt anzuerkennen. „Nur“, wie es eben so geht, wenn man wie der liebe Gott im­mer in höheren Sphären schwebt, dann verliert man die Maß­stäbe für das wirkliche Leben, ja man wird blind gegen die har­te Wirklichkeit. Es wäre wirklich alles wunderbar, „nur“ eben scha­de, daß die gegebenen, konkreten, realen Verhältnisse und Tatsachen so liegen, daß der fraglos sehr ideal gedachte Gottes­gedanke praktisch undurchführbar ist. Er kann wohl beitragen zur Bereicherung der Theologie – jener schöngeistigen Beschäf­tigung mit der Bibel und den dort vorgetragenen Gedanken am Feierabend nach den Bureau- und Amtsstuben, möchte man sa­gen –, kann etwa auch beitragen, insbesondere zu der Lehre von der „Unsichtbarkeit der Kirche“, aber das ist auch alles. Für die sichtbare Kirche ist er leider praktisch nicht zu gebrauchen, er ist zu sehr theoretisch und so gar nicht aus wirklich prakti­scher, nüchterner Lebenserfahrung herausgesprochen. Es ist vergessen, daß wir auf der Welt leben. So kann man gegebe­nenfalls im Jenseits, im Himmel reden.“

Und „es stehet geschrieben“, wenn ja schließlich auch nicht gerade in der Bibel so doch bei Friedrich von Schiller in Wallensteins Tod: „Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort, eng ist die Welt und das Gehirn ist weit, leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.“ – Wie gesagt, nicht die Bibel, nicht das Wort Gottes sagt so. Aber wenn der Unglaube, zu Wort kommt, erhält auch Schiller und Goethe oder sonst einer Schriftbedeutung und bindende Kraft, oder auch irgendeine Philosophie von Ideal und Wirklichkeit.

Dieses verfluchte „aber“ des Unglaubens, dieses verfluchte „nur“ der gegebenen Tatsachen, das Gott mit der empörenden Unverschämtheit, wie sie eben nur dem Unglauben eignet, zu einem wirklichkeitsfremden Schwärmer macht! Wann und wo du so einem „bescheidenen Nur-Sager“ begegnest, gerade innerhalb der Kirche, dann nimm das Schild des Glaubens und das Schwert des Geistes, das Wort Gottes und hau zu, denn dieser „Nur-Sager“ ist genau der gleiche, der auch heute noch – zwar nicht immer als Schlange, oftmals auch im Amts- und Lutherrock – mit gleicher „teuflischer Bescheiden­heit“ fragt: „Sollte Gott gesagt haben?“ Dieses teuflische dummdreiste „nur“ der Klugen, die Gottes Ehre damit retten wollen, daß sie Gott nicht dümmer sein lassen wollen, als sie selber in ihrer „Weisheit“ dumm sind, die immer Angst ha­ben, Gott könnte sich durch irgendein unüberlegtes Experi­ment in der Kirche mit seiner Theologie des Wortes, mit sei­ner Theologie des Gehorsams und des „allein aus Glauben“ blamieren, weil er die harte Wirklichkeit zu wenig berück­sichtigt, die sich in der nüchternen Wirklichkeit der Welt doch etwas genieren und schämen mit dem der Wirklichkeit oft so ganz und gar nicht angemessenen Wort Gottes. – „Wer sich aber mein und meiner Worte schämt unter diesem ehebreche­rischen und sündigen Geschlecht, des wird sich auch der Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln“ (Mk. 8,38).

Schon haben die Kundschafter vergessen, daß es das ver­heißene, das von Gott – „Ich bin, der ich bin, und werde sein, der ich sein werde!“ – schon unserm Erzvater, dem Vorbild des Glaubens-Gehorsams versprochene und gelobte Land ist. Schon haben sie vergessen, daß auch sie nicht auf eigene Faust losgezogen sind, sondern im Auftrag Gottes ausgesandt wa­ren, das Land Kanaan, „das ich den Kindern Israel geben will“, zu erkunden. Schon haben sie vergessen, daß Gott schon um seines guten Namens willen für Sein Wort einsteht und bürgt, haben vergessen, daß es wahrlich nichts Kleines ist, wenn man den Namen Gottes für sich, für seine Sache und sein Beginnen hat. Haben über dem „nüchternen“ – die Bibel freilich heißt das unnüchternen – Rechnen mit den „konkreten Tatsachen“ nicht glauben wollen, daß das Wort Gottes, der Name Gottes etwas sehr Greifbares, Reales, Kon­kretes, Handgreifliches ist, wogegen alle sogenannten gegebe­nen, konkreten, realen Verhältnisse und Tatsachen eitel nichts sind! In dieser biblischen Nüchternheit mahnt der Apostel Pe­trus: „Darum so begürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi“ (1.Petr. 1,13). Das heißt die Bibel nüchtern: Mit nichts, aber auch mit gar nichts anderem rechnen als mit der Gnade, die Gott uns anbietet in seinem Wort, im Herrn Christus; die of­fenbar geworden ist in Christus und an seinem Tage offenbar wird.

Nach dieser Rechnungsweise haben unsere Väter, die doch sehr nüchterne Leute waren, und denen die Zahl hundert und tausend noch nicht so geläufig über die Lippen sprang wie uns, nach solcher Rechnungsweise, sage ich, haben sie uns singen und beten gelehrt: „Mir ist nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun!“ – Wir sind die Wort-Kirche Lu­thers, und wir singen ihm nach und mit ihm: „Das Wort sie sollen lassen stahn!“ Sollten wir’s am Ende doch nimmer tun, damit wir „lutherisch-nüchtern“ sein und werden könnten?

Die Bibel freilich will auch die Gemeinde und Kirche auf jeder Seite dahin belehren und anleiten, daß das Wort Gottes, der Name Gottes schon ein Rechenfaktor ist, mit dem zu rechnen sich rentiert: „Der Name des Herrn ist ein festes Schloß, der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt.“ „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ Das Wort Gottes ist der allereinzige absolut wertbeständige Rechenfaktor: „Him­mel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Matth. 24,35).

Dies alles bedenken die Kundschafter nicht und verlernen über dem „Rechnen“ das Rechnen. Und was ist das für eine Plage und Jammer und Verdruß, wenn man dort sitzt und rechnet und rechnet und tut nichts als rechnen von früh bis in die sinkende Nacht, Tag um Tag, Woche um Woche, Jahr um Jahr, und immer wieder will die Rechnung nicht stimmen – kann nicht stimmen, weil gerade der entscheidende, allein ausschlaggebende Rechenfaktor nicht in Rechnung gesetzt ist! Sie bedenken auch nicht: „was es für Jammer und Herze­leid bringt, den Herrn, deinen Gott, verlassen“ (Jer. 2,19). Be­denken nicht, was es für Jammer und Herzeleid bringt, her­auszugehen aus dem festen Schloß des Wortes Gottes, das Wort der Verheißung zu verlassen und aufs blache Feld der „gegebenen Tatsachen“ sich herunter zu begeben. Bedenken nicht, daß wir da erst vollends den schwierigen gegebenen Tatsachen rettungslos ausgeliefert und preisgegeben sind; weil wir uns ja dabei der Kampfweise des Gegners – das ist: des Fürsten dieser Welt – anpassen und auf dem ihm geläufigen Kampfplan die Entscheidung austragen.

Die Kirche, die Gemeinde Gottes ist nur stark und unbe­siegbar in der Burg des Wortes. Darum mahnt Sein Wort: „Ihr aber, meine Lieben, weil ihr das zuvor wisset, so verwahrt euch“ – verschanzt euch hinter das Wort Gottes –, „daß ihr nicht durch den Irrtum der ruchlosen Leute samt ihnen verführtwerdet und entfallet aus eurer Festung“ (2.Petr. 3,17).

Die Kirche, die ihre Knie nicht mehr beugt vor der gegebe­nen Tatsache der Verheißung und Zusage Gottes und sie nim­mer ernst nimmt, d. h. sie nimmer allein ernst nimmt, die muß sich zwangsläufig beugen vor den sogenannten gegebe­nen Tatsachen, d. h. diese werden sie beugen und knebeln und sie überwältigen, Herr über sie werden, Herren über sie wer­den, daß sie sich vor lauter Herren und Tyrannen nimmer auskennt.

Kaleb weiß davon, und das war Sinn und Inhalt seines Re­dens, als er das Volk stillt gegen Mose und spricht: „Laßt uns hinaufziehen und das Land einnehmen, denn wir können es überwältigen.“ Aber die „verantwortungsbewußten“, „real nüchtern denkenden Kirchenpolitiker“ fallen ihm sofort ins Wort und lassen ihn gar nicht ausreden. Wie kann und darf man auch in solch schwieriger, kirchenpolitischer Lage einen so unnüchternen Mann weiterreden lassen, der offenbar keine Augen und keine Ohren hat für die „reale Wirklichkeit“, für die „gegebenen Tatsachen“, der „Kirche bauen will im luftlee­ren Raum“, der dem Volk „der Volkskirche“ nur den Kopf ver­drehen kann und die Kirche nur in ein Manöver von unabseh­baren Folgen stürzen müßte!

Es ist gar nicht leicht, daß der Glaube zu Wort kommt und das Wort behält. Auch in der Gemeinde ist’s nicht leicht. Ein kleines Verslein (Vers 30) kommt er hier zu Wort, und dann wird er wieder zugedeckt von dem Wortschwall und den „nüchternen Tatsachen-berichten“ des Unglaubens. O wahr­lich, der Unglaube weiß Bescheid! Er kennt sich aus bis ins kleinste. Die Riesen kennt er alle genau mit Namen und Ortsangabe: „So wohnen die Amalekiter im Land gegen Mit­tag, die Hethiter und Jebusiter und Amoriter wohnen auf dem Gebirge, die Kanaaniter aber wohnen am Meer und um den Jordan.“ – Ja, der Unglaube weiß genau Bescheid, er ist „infor­miert“. Die Schuhnummern der Riesen kann er dir angeben, wenn du sie wissen willst. Aber daß der Herr auferstanden ist, daß er sich nach Seinem Leiden lebendig erzeigt hat durch mancherlei Erweisungen „und ließ sich sehen unter ihnen 40 Tage lang (!) und redete mit ihnen vom Reich Gottes“, daß Ihm gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, daß er zugesagt hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“, davon weiß er nichts zu erzählen. Wenngleich solcher Unglaube durchaus in der Lage ist, etwa im theologi­schen Ex­amen korrekt nach Schrift und Bekenntnis über die „Auferste­hungstheologie“ zu prüfen, aber gar kein Gefühl dafür hat, daß er im Umgang und bei den kirchenpolitischen Verhand­lungen mit den Riesen von diesen geprüft wird, ob er an den Auferstandenen glaubt.

Diese „Theologen der gegebenen Tatsachen“, diese Pseudo­theologen, diese Lügen- und Scheintheologen hätten zu Kaleb auch sagen können: „Was Sie hier sagen, Herr Kollege Kaleb, ist theologisch alles sehr fein, aber wir müssen mit gegebenen Tatsachen rechnen.“ – Man darf ja wohl noch dazwischen einwenden: „Es fragt sich nur, ob das Wort Gottes, die Verhei­ßung und Zusage Gottes, ob der Herr Christus für die Kirche doch auch noch eine gegebene Tatsache ist, mit der gerechnet werden darf?!“

„Und es sind ja doch nicht Lesewort, wie sie meinen, son­dern eitel Lebewort drinnen, die nicht zum Spekulieren und hoch zu dichten, sondern zum Leben und Tun dargesetzt sind“. (Luther, S. 60) Heißt denn nun Theologie treiben: mit al­lem praktisch rechnen, aber nur ja nicht praktisch rechnen mit dem Wort Gottes, nur ja nicht praktisch rechnen mit dem Herrn Christus? Oder heißt Theologie treiben nicht vielmehr dies: Allein – NB.!, allein, denn dabei kommt alles wirklich auf das allein an – danach zu fragen, was das Wort Gottes, die Zusage und Verheißung Gottes uns erwarten heißt?

Die „Theologen der gegebenen Tatsachen“ werden sagen und sagen es: „Wir kennen das Wort Gottes auch und sind auch in der Lage, den vom Wort jeweils befohlenen und ge­forderten Anspruch herauszustellen, einen sauberen theolo­gischen, d. h. allein vom Wort her geforderten Ansatz zu ma­chen, und tun das auch immer wieder. Wenn wir dann aber bedenken“, sagen sie, „was die Folgen sein müßten, wenn dieser theologische, allein in der Befragung des Wortes Got­tes und des von dort her geforderten Gehorsams gewonnene Ansatz praktiziert würde, dann muß eben dieser Ansatz wiederum in Berücksichtigung der zu erwartenden Folgen dementsprechend geändert werden. Luther schreibt: „Auch ist’s nicht unsere Sache, künftige Krie­ge zu weissagen, son­dern stracks zu glauben und zu bekennen“. (Luther, S. 135) Aber was hören die auf Luther, die nichts gemein haben mit ihm als den Namen!

Solche Bedenken gegenüber der Verheißung und Zusage Gottes sind als die Ursünde verboten – was hat denn Eva an­ders getan, als sie auf die Zuflüsterungen gehorcht hat: „Sollte Gott gesagt haben?“ – Jeder schlichte Christ, jeder Konfir­mand muß das wissen, und erst recht ein Theologe, d.h. ein allein aufs Wort Gottes Hörender und allein um den Gehor­sam gegen das Wort Bemühter. Es bleibt außerdem auch eine geradezu bubenhaft-altkluge und unverschäm­te, in Gottes Amt greifende Anmaßung, sich einbilden zu wollen, die Fol­gen zu wissen oder wissen zu können oder gar die Verantwor­tung dafür übernehmen zu sollen oder gar zu müssen. Das hieße ja geradezu praktisch: Wir klugen Menschen sehen uns dazu gezwungen und halten uns für verpflichtet – fast möch­te man sagen, schon „aus christlicher Nächstenliebe“ – dies Mal allerdings gegen Gott –, Ihm ein klein wenig helfend un­ter die Arme zu greifen und die Spannung zwischen dem Wort Gottes und der ganz anders gearteten harten Wirklich­keit auszugleichen und den Fehler, der Gott in seiner Verhei­ßung und Zusage unterlaufen ist, offenbar aus nicht genügen­der Kenntnis der in dieser unserer Erdenwelt geltenden und zu berücksichtigenden „konkreten gegebenen Tatsachen“ zu korrigieren. – Wohl sagt hier das Wort Gottes: „Das Land, das ich den Kindern Israel geben will.“ Aber schließlich sind ja doch wir „die verantwortliche Kirchenleitung“ und haben die Kirche durch diese schwierigen Zeiten möglichst gut hindurchzuretten. Wir sind ja doch auch wie sonst niemand ein­geweiht in die überaus verwickelten Verhältnisse, und wir ha­ben den Überblick und die Einsicht zu wissen: Jetzt, in dieser kirchenpolitisch kritischen Situation könnte der Gehorsam gegen die Forderung des Wortes Gottes nur das Ende für die Gemeinde und die Kirche bedeuten. Und aus dieser unserer Einsicht und Kenntnis der Sachlage und aus der Verantwor­tung als Kirchenleitung müssen wir sagen: „Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen das Volk, denn sie sind uns zu stark.“ – „Und sie machten dem Land, das sie erkundet hat­ten, ein böses Geschrei.“ – Wer erinnert sich nicht an so man­che Berichte von Kundschaftern über die und jene Erkun­dungsfahrten da- und dorthin und auch an das „böse Ge­schrei“, das sie dem neuen Land der Verheißung der Kirche gemacht habend

„Wir vermögen nicht hinaufzuziehen …“ Wenn wir beto­nen: Wir vermögen nicht …, denn sie sind uns zu stark, so ist dies eine durchaus richtige Erkenntnis. „Mit unsrer Macht ist nichts getan!“ Aber seit wann hat denn ein Christ das Recht, in anmaßendem Unglauben dabei stehen zu blei­ben und so zu tun, als habe Gott uns nötig, seine Verheißun­gen wahr machen zu können? Der Unglaube maßt sich an, die Verantwortung für die Durchführung und Verwirklichung der Verheißung Gottes, die allein Gott selber zusteht, in eige­ne Verantwortung übernehmen zu sollen und zu müssen, und wird damit anmaßend unverantwortlich. Denn dieser anma­ßende Unglaube entläßt ja damit Gott als unfähig aus der Ver­antwortung für sein eigenes Wort und seine Zusage und will die Verantwortung seinerseits übernehmen, will Wort und Verheißung Gottes praktisch nur insoweit gelten lassen, als er dafür die Verantwortung zu übernehmen gewillt ist und be­rechtigt zu sein glaubt nach dem Maße seines sogenannten gesunden Menschenverstandes.

Der Artikel von der Himmelfahrt: „Sitzend zur Rechten Gottes des allmächtigen Vaters …“ und: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, darum gehet hin … und sie­he, ich bin bei auch alle Tage bis an der Welt Ende“, bleibt dabei selbstverständlich „unangetastet“ und „unantastbar“ als ein „unveräußerliches Dogma“ stehen – kann und darf aber gerade in kirchenpolitisch schwierigen und kritischen Augenblicken nicht praktisch verstanden werden, sondern muß aus Gründen der Erhaltung der Kirche in solchen Situationen suspendiert und ausgesetzt bleiben. – Freilich will solcher Unglaube nicht Unglaube genannt werden, sondern beansprucht mitunter für sich den Mantel: die Sorge um die Zukunft der Kirche, und die große Verantwortung der Kirchenleitung. Auch dagegen hat Luther sich gewehrt: „Eurer großen Sorg, damit Ihr Euch plagt, wie Ihr schreibt, bin ich von Herzen feind. Daß sie in Eurem Herzen so überhand nimmt, ist nicht der großen Sache, son­dern unseres großen Unglaubens Schuld“. (Luther, S. 36)

Der Unglaube hat keine Ohren und will sich nicht sagen lassen: „Wir können es überwältigen“; denn es ist das Land, das Gottes Verheißung und Zusage – „das ich den Kindern Is­rael geben will“ – uns aufschließt. Der Unglaube hat ja eben nimmer das Wort, an das er sich hängt, auf das er sich ver­steift und gründet. Er macht sich selber arm, weil er nimmer sagen kann: „das Wort sie sollen lassen stahʼn!“, in unserer Geschichte dies Wort: „Das Land, das ich den Kindern Israel geben will“, oder neutestamentlich gesagt: „Wir warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach seiner Verhei­ßung …“ Der Unglaube hat nimmer den gewissen Trost, den etwa der Glaubensartikel von der Himmelfahrt gibt: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nö­ten, die uns betroffen haben“ (Ps. 46); „es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren“; „der Herr Zebaoth ist mit uns“, das heißt doch, der Herr der Heerscharen; und er kann deshalb auch nimmer sagen: „Ich fürchte mich nicht vor viel Tausenden, die sich umher wider mich legen“ (Ps. 3,7). – Der Unglaube kann sich nimmer verschanzen hinter das Wort: „Wenn Menschen wider dich (Gott) wüten, so legst du (Gott) Ehre ein; und wenn sie noch mehr wüten, bist du (Gott) auch noch gerüstet“ (Ps. 76,11). Der Unglaube hat ja Gott heimge­schickt in den Himmel – warum, weiß ich nicht, ich vermute, aber wohl wegen der Lehre von der „Unsichtbarkeit der Kir­che“ – und ihn aus der Verantwortung für seine Zusage hier auf Erden – das ist für die „sichtbare Kirche“ – ent­lassen und hat die Verantwortung in eigene Regie übernommen.

Luther wird nicht müde, gerade Philipp Melanchthon ge­genüber, vor der vom Unglauben angemaßten Verantwor­tung zu warnen: „Ich weiß und bin gewiß, wem ich glaube, dieweil derselbe mächtig ist zu tun über alles, das wir bitten und verstehen (Eph. 3,20), auch wenn Philippus denkt und wollte gern, daß er täte niedrig und nach seinem Rat, damit er dürfte rühmen: Wahrlich, so mußte es gehen, so hätte ichs gemacht. Nein, es muß nicht heißen: So ich Philippus. Das „ich“ ist zu gering. Es heißt ICH werde sein, der ICH sein werde. Das ist sein Name: der ich sein werde (2.Mose 3,14). Man siehet nicht, wer er ist, aber er wirds sein. Seid stark im Herrn (Eph. 6,10) und vermahnet Philippum von meinetwegen immerdar, daß er nicht zum Gott werde, son­dern streite wider die angeborene und uns vom Teufel im Paradies eingepflanzte Begierde der Gottheit. Denn sie ist uns nicht gut. Adam hat sie aus dem Paradies gestoßen. Die­selbe und nichts anderes stößt auch uns heute heraus und stößt uns aus dem Frieden. Wir sollen Menschen und nicht Gott sein. Das ist die Summa. Es wird doch nicht anders, oder es ist ewige Unruhe und Herzeleid unser Lohn. Lebet wohl in Christo“. (Luther, S. 50)

„Die reale Wirklichkeit, die gegebenen Tatsachen müssen in kirchenpolitisch schwierigen Zeiten sprechen und zu Wort kommen“, so sagt der Unglaube, und es kommt alles zu Wort, nur das Wort nicht! Alle „Tatsachen“ reden, nur die einzige ge­gebene Tatsache, das lebendige Wort Gottes, der Auferstande­ne hat zu schweigen. „Und ist freilich der größten Plage eine auf Erden, daß die Heilige Schrift so verachtet ist auch bei de­nen, die dazu gestiftet sind“. (Luther, S. 60)

Wohl, man weiß von dem Wort, meint es auch zu kennen, man kennt den „rechten Mann“, aber als einen, der einmal war, mit dem aber nicht als mit dem lebendigen, gegenwärti­gen Herrn der Kirche ernstlich zu rechnen ist und gerechnet werden darf. Ja, als müßte man ihn geradezu aus der großen Verantwortung für die Zukunft der Kirche mit rückwärts aus­gebreiteten Armen sachte zurückhalten und ihm wehren etwa mit folgenden Worten: „Es geht nicht, dir die Sache der Kirche zu überlassen, dich an die Front zu lassen; das war möglich zur Zeit der ersten Christenheit in der Urgemeinde, das war allenfalls auch noch möglich zu Luthers Zeiten, aber heute geht das wirklich nimmer. Die geschichtlich geworde­nen, verwickelten Verhältnisse, die schon damit gegeben sind, daß wir als Kirche „Körperschaft öffentlichen Rechtes“ sind und nur auf dem Boden einer staatlich genehmigten und zu genehmigenden Verfassung stehen können, machen das un­möglich. Ein Uneingeweihter oder auch nur ein nicht völlig Eingeweihter könnte hier allzu leicht alles verpfuschen. In der Dogmatik, in der Theologie bist du sicher einzig, und da hast du auch dein großes, einmaliges Verdienst, und darin liegt auch deine bleibende Bedeutung, und niemand soll und darf sie dir antasten oder gar nehmen. Aber von den überaus schwierigen und verwickelten gegebenen kirchenpolitischen Tatsachen von heute verstehst du leider zu wenig. Wir machen dir daraus ja absolut keinen Vorwurf, es kann ja auch nicht anders sein, und kein Mensch kann das von dir verlangen; denn es sind ja doch inzwischen immerhin fast 2000 Jahre ins Land gegangen. Darum muß es jeder einigermaßen Ein­sichtige auch begreifen können, daß wir unmöglich die Ver­antwortung auf uns nehmen können, auch heute noch dir und deinem Wort allein die Verantwortung für die Kirche zu überlassen oder gar bewußt zuschieben zu sollen, wie etwa die Urgemeinde es getan hat. Die ganzen kirchenpolitischen Schwierigkeiten sind im Laufe der Jahrtausende und insbe­sondere in den letzten Jahren so kompliziert und verwickelt geworden, daß man mit Dogmatik allein, mit Theologie al­lein, mit Glauben allein einfach nicht weiterkommt. Die gan­zen Fragen des Verhältnisses von Staat und Kirche, des Kir­chenvermögens, der Staatszuschüsse, der Finanzausschüsse, der Jugendfrage, der Konfessionsschule, die Frage der Körper­schaft des öffentlichen Rechts, der Volkskirche überhaupt sind Fragen, die uns heute vollkommen neu gestellt sind und die wirklich so schwierig sind, daß hier keiner verantwortlich mitre­den oder gar handelnd eingreifen kann und darf, der nicht genauen Einblick hat aus eigener Anschauung, der sich wenigstens von nüchternen Kundschaftern genauestens hat informieren und belehren lassen. – Auch muß man in politi­schen Zeiten politisch reden und handeln.“

Auf einer Konferenz hat ein Pfarrer diesen Tatbestand er­schreckend gekennzeichnet: „Ich habe es schon immer ge­sagt, mit Theologie – gemeint war tatsächlich der Wortgehor­sam und der daraus folgende Glaubensgehorsam – können diese schwierigen Verhältnisse in der Kirche nicht gelöst wer­den.“ (Luther schreibt an Melanchthon: „Eure Philosophia plaget euch also, nicht die Theologia“ (Luther, S. 36). Oder wie es bei gleicher Gelegenheit ausgedrückt wurde: „Den richtigen Weg kennen wir auch, aber dieser Weg ist nicht gangbar.“ Die Besinnung aufs Wort, das Wort Gottes selbst, kommt also praktisch nur „theoretisch“ in Frage. – „Aber mein Schreiben ist vergebens. Dieweil Ihr nach Eurer Philosophia diese Dinge regieren wollt, das ist, wie jener (Dichter) sagt: Mit Vernunft toll sein; Ihr martert Euch selbst und sehet nicht, daß diese Sache nicht in Eurer Hand und Klugheit stehet, auch ohne Eure Sorge will gehandelt werden. Da sei Christus vor, daß sie in Eure Klugheit oder Hand gerate, welches Ihr doch hartnäckig wollt. Denn dann wären wir allesamt fein und bald verlo­ren. Aber es heißt: Suche nicht, was dir zu hoch ist (Sir. 3,22), und: Wer schwere Dinge forschet, dem wird es zu schwer (Spr. 25,27). Solches geht auf Euch. Der Herr Jesus erhalte Euch, daß Euer Glaube nicht abnehme, sondern wachse und über­winde, Amen.“ (Luther, S. 48)

Müssen wir uns da nicht auch den brüderlichen Dienst tun und fragen: „Machen wir’s nach obiger Weise mit dem Wort Gottes nicht so: In den Amts- und Bureaustunden, im „harten Alltag“ führen die „gegebenen Tatsachen“ das Wort. Die Theologie mag dann ihr Recht als eine schöngeistige Be­schäftigung nach Feierabend finden oder am Sonntag auf der Kanzel. Im harten Werktag aber, in den harten Entscheidun­gen der Wirklichkeit haben dann „die gegebenen Tatsachen“ wieder das Wort. – Wir müssen als Brüder mit solchen Fragen einander zum Ernstnehmen des Wortes Gottes zu helfen ver­suchen und einander treiben, dem Anspruch und der Zusage Gottes in Seinem Wort gehorsam zu bleiben. „Was kränkt Ihr Euch denn selbst so ohne Unterlaß?, ist die Sache unrecht, so lasset sie uns widerrufen. Ist sie aber recht, warum machen wir Gott in so großen Verheißungen zum Lügner, da er uns doch heißt guter Dinge sein und ruhig schlafen? Wirf, sagt er, deine Sorg auf den Herrn (Ps. 55,23). Der Herr ist nahe allen be­trübten Herzen, die ihn anrufen (Ps. 34,19; 145,18). Meint Ihr, daß er solches in den Wind redet oder vor die Tiere wirft“? Es kommt mich auch oft ein Grauen an, aber nicht allewege. Eure Philosophia plaget Euch also, nicht die Theologia. Diesel­be naget auch Euren Freund Joachim wie mir dünkt. Als könntet Ihr mit Eurer unnützen Sorge etwas ausrichten. Was kann denn der Teufel mehr tun, denn daß er uns erwürge“? Was weiter“? Ich bitte Euch um Gottes willen, weil Ihr doch sonst in allen andern Sachen kämpft, so streitet auch wider Euch selbst. Denn Ihr selbst seid Euer größter Feind, weil Ihr dem Teufel so viel Waffen wider Euch selbst reichet. Christus ist für die Sünde gestorben einmal, aber für die Gerechtigkeit und Wahrheit wird er nicht sterben, sondern er lebet und re­giert. Ist das wahr, was sorgen wir denn für die Wahrheit, so er regiert?“ (Luther, S. 36f.)

Aber wie beängstigend ist es zu beobachten, daß bei Be­sprechung kirchlicher Fragen und Nöte und bei der Überle­gung, wie solchem Zustand praktisch zu begegnen sei, alles zum Wort kommt – nur das Wort nicht. Und doch sagt das Wort Gottes: „Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, so werde ich nicht zuschanden.“ Kann es uns wundern, daß dort, wo „die gegebenen Tatsachen“ auf Kosten des Wortes das Wort führen, daß dort, wo irgendein kleines Menschlein eher gegebene Tatsache ist als der lebendige Christus zur Rechten Gottes, daß dort gerade die Wirklichkeit nicht mehr gesehen wird, sondern wir anfangen, Gespenster zu sehen, zu denen sich die „Wirklichkeit“, „die gegebenen Tatsachen“ un­ter der Hand unheimlich und beängstigend auswachsen?

Der Unglaube ist eine ganz gefährliche Sache und schlägt wie die Untreue seinen eigenen Herrn. Der Unglaube mißt sich an der Welt. Der Glaube mißt die Welt an und mit dem Wort Gottes. Der Unglaube will der Welt doch irgendwie an weltlicher Macht gleich sein und es ihr darin gleichtun, und damit glaubt er eben nicht an Gott, sondern an die Welt und ihre Macht, d.h. er fürchtet, liebt und vertraut nimmer Gott über alle Dinge. Die Gottesfurcht ist ja die seltsame Furcht, die alle andere Furcht und Ängste auffrißt wie böses Ungezie­fer, wo sie aber nicht damit aufräumt, werden wir Tag und Nacht, im Wachen und Schlafen, von diesem Sorgengeschmeiß verstochen und gepeinigt und wissen nicht, wohin uns retten vor dieser Plage.

Der Unglaube schaut weg von Gott, weg von Gottes Wort und Gottes Verheißung und Zusage. Wer aber von Gott und Gottes Wort wegschaut, verliert den rechten Maßstab für die Wirklichkeit. Im angstvollen Stieren und Gaffen auf die „gege­benen Tatsachen“ fangen diese plötzlich zu wachsen an und wachsen uns schließlich zu unserem Schrecken über den Kopf, und wir werden von ihnen gebannt wie der Frosch von der Schlange. Wir werden dann auf einmal häßlich klein „vor un­seren Augen“ und häßlich klein „vor ihren Augen“, d.h. vor den Augen der Welt. Und dafür hat die Welt freilich einen gar scharfen Blick, wenn sie merkt, wir lassen uns von ihr nach ih­ren Maßstäben messen, und sie wird es dann auch tun in ihrer Überlegenheit, sich weidend geradezu in Wollust, die gar leicht in die ihr artgemäße Roheit und Brutalität umschlägt. So muß dann der Unglaube von Menschen sich imponieren, von „gege­benen Tatsachen“ sich scheu machen lassen.

Schon heißt es: „Alles Volk, das wir darin sahen, sind Leu­te von großer Länge. Wir sahen auch Enaks Kinder von den Riesen; und wir waren vor unseren Augen wie Heuschrecken und also waren wir auch vor ihren Augen.“ Wenn wir’s doch sehen könnten, wie der Unglaube die Riesen züchtet! Gar manches unbedeutende Menschlein ist, gehegt und genährt vom Unglauben, der ihn so wichtig nahm, zu einem „bedeu­tenden Mann“ geworden.

Meinen Schulkindern habe ich bei der Behandlung dieser biblischen Geschichte es vorgemacht: „So, so, so groß waren diese Riesen“ – dabei habe ich mich, die Hand ganz hoch­streckend, auf die Zehenspitzen gestellt – „daß wir“ – dabei habe ich meine Hand etliche Zentimeter über den Fußboden gehalten – „Heuschrecken dagegen waren.“ – „Was sagt ihr dazu?“ „Das kann doch nicht stimmen, die lügen ja!“ Freilich lügen sie, wie gedruckt lügen sie. – Und dann haben wir uns überlegt, woher das kommt, daß der Unglaube so lügen muß, sich selbst so anlügen muß, und warum er einen so beängsti­genden, verbotenen, d.h. schriftverbotenen, gotteslästerlichen Respekt vor Menschen gar und daß dies ganz und gar nicht so sein müßte – ja nicht sein darf, denn „wer glaubt, der flieht nicht!“

Dabei haben wir uns auf eine andere biblische Geschichte besonnen, in der uns berichtet wird von einem noch nicht militärpflichtigen jungen Menschen, der schier noch ein Bub war. Dieser ist auch einem recht beachtlichen Riesen gegen­übergestanden. Und doch ist er sich gar nicht so arg klein vor­gekommen, vor allem ist ihm der andere gar nicht so übermä­ßig groß vorgekommen, obgleich er freilich menschlich gese­hen ein zum Fürchten großer Lümmel war. Im Gegenteil, als er diesen auf seine Waffen und Kraft pochenden Eisen so an­maßend lästern hörte, sagt er: „Wer ist dieser Philister, dieser Unbeschnittene, der das Heer des lebendigen Gottes höhnt?“

Woher kriegt denn David die ganz anderen Augen, „daß ihm werde klein das Kleine und das Große groß erscheine“? David sieht alles durch das Wort Gottes hindurch, dem er ge­horsam ist. Er versteht die große Kunst, im Glauben gleich­sam das Fernglas herumzudrehen, und da schauen sich die Burgen und festen Städte etwas anders an, wenn sie sichs ge­fallen lassen müssen, durchs Wort und durch die Verheißung Gottes hindurch angeschaut zu werden, und da schauen sich auch die Menschen, die sonst vor uns dastehen wie himmel­lange Riesen, vor denen wir uns mit Fug und Recht billig zu fürchten hätten, auf einmal erbärmlich klein an, wirklich zum Erbarmen klein an, sobald ihre ganze Macht und Scheingröße an Gottes Macht und Größe sich messen lassen muß, sobald auch ihr großes, lautes Lästermaul das Wort Got­tes als Maß sich gefallen lassen muß. Diese Schau durchs Wortglas „daß uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine“ hindurch ist uns bei David bezeugt nach der Weisung der Schrift: „Wenn ich schaue allein auf deine Ge­bote, so werde ich nicht zu Schanden.“

Es gibt nur eine Tatsache, auf die ein Christ schauen, von der allein er sich überwinden lassen darf, das ist die Zusage und Verheißung des Vaters unseres Herrn Jesu Christi, das ist der Herr Christus selbst, die einzige, ewig gültige Tatsache, das lebendige Wort Gottes, das im Bibelwort unsern Glauben und unseren Gehorsam fordert. Auf etwas anderes sich anre­den zu lassen, und sei es, was es wolle und wie freundschaft­lich oder gar väterlich wohlmeinend es auch geschehen mag, davor muß ein Christ sich ängstlich hüten, ja muß es sich ver­bitten, denn es geht wider die Ehre seines Herrn – und es geht ihm ans eigene Leben. Aus der Liebe zum Bruder, die weiß: anders geht er verloren, und allein der radikale Gehorsam führt zum Leben, müssen wir ihm in solchen Fällen sagen: weil du es gut meinst, gerade weil du es menschlich gut meinst, weiche von mir, Satan! Denn menschliches Gutmei­nen fragt nichts nach dem Gehorsam und drückt sich um ihn herum und führt – „sollte Gott gesagt haben?“ – in die Hölle! Das gilt für die alttestamentliche Gemeinde genauso wie für die neutestamentliche; denn „der geistliche Fels, der mitfolg­te“, war Christus. Darum und insofern gilt uns, der Gemein­de und Kirche Christi heute, was geschrieben ist im Alten Te­stament. Wir sind gewarnt durch das Wort Apostelgeschichte 7,51:„Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Oh­ren, ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist, wie eure Vä­ter also auch ihr.“ Es ist einfach eine teuflische Gemeinheit, wenn dann die Gemeinde plötzlich auf die Riesen deutet: „Ihr seid schuld, ihr seid allein schuld, ihr rohen, gewalttäti­gen, gemeinen Riesen, daß wir nicht ins gelobte Land kom­men, da Milch und Honig fließt.“ Unser Unglaube ist schuld, ganz allein unser Unglaube! Und der Teufel verwirrt so sehr, daß wir nun gar noch anderen die Schuld aufladen und diese noch zornig gegen uns machen und uns gegen sie.

Wir sind zum Glauben gerufen und zum Gehorsam! Mer­ken wir nun, daß diese Geschichte unsere Geschichte ist?

Wir beten:

Hilf, daß der losen Spötter Hauf
uns nicht vom Wort abwende;
denn ihr Gespött samt ihnen drauf
mit Schrecken nimmt ein Ende.
Gib du selbst deinem Donner Kraft,
daß deine Lehre in uns haft,
auch reichlich bei uns wohne! Amen.

II.

Kanzelspruch: Daß ihr nicht träge werdet, sondern Nachfolger derer, die durch den Glauben und Geduld ererben die Verheißungen (Hebr. 6,12).

Votum: Dem aber, der euch stärken kann, demselben Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesum Christum in Ewigkeit! Amen.

Text 4.Mose 14,1-4: „Da fuhr die ganze Gemeinde auf und schrie, und das Volk weinte die Nacht. Und die Kinder Israel murrten wider Mose und Aaron, und die ganze Gemeinde sprach zu ih­nen: ach, daß wir in Ägypten gestorben wären oder noch stür­ben in dieser Wüste! Warum führt uns der Herr in dies Land, daß wir durchs Schwert fallen und unsere Weiber und unsere Kinder ein Raub werden? Ist’s nicht besser, wir ziehen wieder nach Ägypten? Und einer sprach zu dem anderen: Laßt uns einen Hauptmann wählen und wieder nach Ägypten ziehen!“

Gebet: Führe uns nicht in Versuchung. Gott versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, daß uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge noch verführe in Mißglauben, Ver­zweiflung und andere große Schande und Laster; und ob wir da­mit angefochten würden, daß wir doch endlich gewinnen und den Sieg behalten. Amen!

Der Unglaube schlägt seinen eigenen Herrn; denn „der Teufel hat sein Werk in den Kindern des Unglaubens“ (Eph. 2,2). Der Unglaube macht taub (13,30; 14,6ff). Der Unglaube verstopft sich geradezu die Ohren; er will nicht hören. Kaleb wird niederge­schrien. Der Unglaube ist anmaßend-töricht und wird zum Empörer wider Gott und Gottes Wort (14,3 und 4; 14,10). Der Un­glaube macht blind, verdirbt die gesunden, nüchternen Augen und fängt an, Gespenster zu sehen: „Wir sahen auch Riesen daselbst, Enaks Kinder von den Riesen; und wir waren vor unseren Augen wie Heuschrecken, und also auch vor ihren Augen.“ Und wie der Unglaube das Gesicht raubt, die gesun­den Augen ruiniert, daß sie am hellichten Tage doch nicht se­hen, so raubt er auch den Verstand, das Gedächtnis. Was hatte die Gemeinde auf ihrem bisherigen Weg durchs Rote Meer und durch die Wüste alles sehen und erfahren dürfen an Wun­dertaten Gottes! Aber alles wie verflogen, alles wie wegge­wischt! Wie ein von der Schlange gebannter Frosch stiert der Unglaube auf die „gegebenen Tatsachen“. Der Unglaube stiert immer, und stieren heißt eben sehen und doch nicht sehen, nicht mehr das Auge frei bewegen können und Weitblick des Glaubens haben. Der Unglaube bekommt das Schlottern in den Knien und macht lahm (14,2), daß er keinen festen Schritt mehr tun kann. Der Unglaube macht feige (14,1) und ist ansteckend wie die Pest: „Da fuhr die ganze Gemeinde auf und schrie, und das Volk weinte die Nacht.“ Im Jähzorn, der aus der Angst des Ungehorsams kommt, toben sie wider Gott und Gottes Führung, wie ein ungezogenes Kind sich auf den Bo­den wirft und mit Händen und Füßen strampelt und um sich schlägt. Aus Todesfurcht und Feigheit wünschen sie den Tod: „Ach, daß wir in Ägypten gestorben wären oder noch stürben in dieser Wüste“, und hängen dabei doch wieder mit sinnlos gewordener Todesangst an ihrem bißchen Leben. Beides geht da mit der Logik und Folgerichtigkeit des geistverwirrenden Unglaubens erschütternd ineinander und durcheinander. Wir schauen hier in ganz furchtbare Folgen des Unglaubens hin­ein! Daß wir davor erschrecken könnten, wie blind und tö­richt der Unglaube macht, und daß solches Erschrecken die Gemeinde heute bewahren hülfe vor gleicher Blindheit und Torheit!

Der „Tatsachenbericht“ der „Kirchenpolitiker“ mit ihrer „Theologie der gegebenen Tatsachen“ hat auf die Gemeinde diese verheerende Wirkung. Wirklich wie eine böse Seuche, wie eine Glaubenspest steckt der Unglaube an und wirft die ganze Gemeinde reihenweise um. Es ist ein furchtbares Ster­ben, das hier umgeht, weit erschreckender als der Bethlehemitische Kindermord. In der Kirche bricht die Pest des Un­glaubens aus, und es beginnt ein Massensterben der Seelen. Sichtbar müßte es sein! Leichenwägen müßten fahren! Ja, Leiterwägen müßten fahren für die von der Seuche des Un­glaubens Gefallenen, dann würde uns die Haut schauern über die Haufen, über die Berge von Leichen! – Dazu das Jammern und Weinen der Gemeinde! Sie wissen und ahnen es nicht, daß es geradezu das irre und wirre Schreien von Sterbenden ist, die befallen sind vom Seuchenfieber des Unglaubens!

Ja, wenn das Weinen und Klagen Ausfluß echter Einsicht in die eigene Unfähigkeit wäre! Wenn es Trauer wäre über ihren Unglauben und Ungehorsam, wenn es ein Murren wäre über ihren eigenen Bankrott! Aber die am Unglauben kranke Ge­meinde fängt an gegen Gott zu murren; „alle Kinder Israel“ und „die ganze Gemeinde“ sprach: „Warum führt uns der Herr in dies Land, daß wir durchs Schwert fallen und unsere Weiber und unsere Kinder ein Raub werden?“ Welch erschütternde Einmütigkeit dieser anmaßenden Glaubenslosigkeit! Also so ist’s: Nicht die Kirche, nicht die Gemeinde hat bankrott ge­macht – Gott hat bankrott gemacht, sein Wort, seine Zusage und Verheißung haben sich als eine große Täuschung, als Irr­weg erwiesen. Wir haben zu Unrecht gesungen: „Dein Wort ist wahr und trüget nicht, und hält gewiß, was es verspricht im Tod und auch im Leben.“ Wir haben zu unrecht gesungen: „Das Wort sie sollen lassen stahn – nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib!“ Nein, so ernst haben wir’s nicht gemeint. Wir wissen und glauben, daß die Gemeinde und Kirche doch mehr lebt von Weib und Kind, von Kirchensteuern und Staatszu­schüssen als vom Wort Gottes. So lästert der Unglaube!

Das bringt die Gemeinde, die Kirche in Not, daß sie nim­mer weiß: es gibt nur eine Not für die Kirche, die nämlich, ohne das Wort Gottes ihren Weg gehen zu müssen. Das bringt die Gemeinde, die Kirche in Not, wenn sie den Weg, auf den das Wort sie geführt hat und den das Wort sie hat ge­hen heißen und den das Wort ihr helle macht, ohne und wi­der das Wort wieder zurückkehren will, weil das Laufen be­schwerlich wird. Das bringt die Gemeinde, die Kirche in Not, daß sie dem Wort Gottes nicht unter allen Umständen bedin­gungslos glaubt. Wohl, das Wort führt die Gemeinde oft harte und beschwerliche Wege – das Wort ist ja das Wort vom Kreuz! – und stellt uns oft vor erschreckende Tatsachen, aber dazu, daß wir Gott und seinem Wort die Ehre geben. „Was gilt’s?“ sagt Luther. „Es will gelitten sein, wer den Christum haben will. Wir könnten auch leichtlich große Herren sein, wenn wir Christum verleugnen und schmähen wollten. Es heißt aber: durch viele Trübsale … (Apg. 14,22). Das sind nun nicht mehr Wort, sondern ist ins Werk kommen, da mögen wir uns nach richten. Es ist aber einer, der macht, daß die Ver­suchung so ein Ende gewinnt, daß wirs können ertragen (1.Kor. 10,13).“ (Luther, S. 40)

Freilich stellt Gott der Herr seine Gemeinde immer wieder mitten hinein in die harten Tatsachen, aber wirklich ER, der Herr stellt uns hinein und nun eben nicht dazu, daß die gegebe­nen Tatsachen uns groß werden, sondern daß ER uns groß wer­de, und eben nicht dazu, daß die „gegebenen Tatsachen“ Herr – Herren – über uns werden und über uns triumphieren, son­dern daß das Wort Gottes als Gottes Wort triumphiere und als die einzige wirkliche Tatsache unsers Lebens sich erweise, und wir so lernen, Ihm allein in seinem Worte die Ehre zu geben.

Aber da steht nun hier die unheimliche Frage: „Warum führt uns der Herr in dies Land, daß wir durchs Schwert fal­len und unsere Weiber und Kinder ein Raub werden? (14,3)“ – Weshalb unheimlich? Noch wissen sie und sprechen es klar aus: „Der Herr, Gott, Gottes Wort hat uns hierher geführt. Es war nicht eine Laune von uns. Dem Wort Gottes gehorsam, seinem Ruf folgend und ihm vertrauend, sind wir bis an die­sen Platz gekommen, an dem wir stehen.“ Immer noch haben sie alles, denn noch reden sie von Gott, noch haben sie das Wort Gottes und wissen darum. Aber das ist das Unheimli­che, das Teuflische: Sie gebrauchen das Wort Gottes nicht im Glauben wider Gott, sondern im Unglauben wider Gott. An­statt im Glauben Gott auf Sein Wort und Seine Verheißung hin anzureden, anstatt im Glauben die Schwierigkeiten und die Not, in die der Wortgehorsam geführt hat, Ihm vor die Füße zu werfen und zu sagen: „So, Du hast uns durch dein Wort so in diesen Schlamassel hineingeführt, jetzt sieh auch Du zu, wie du uns auch hindurchbringst ans Ziel! Sieh Du zu, wie Du jetzt Deine Verheißung durchhalten kannst. Das ist Deine Sache. Das geht allein Dich und Deine Ehre an. Darum bekümmern wir uns nicht und lehnen alle Verantwortung ab.“ So hätte der Glaube gesagt und hätte Gott den ganzen Kram vor die Füße geworfen, d.h. auf den Hals und Rücken gelegt nach Seines Wortes eigener Anweisung: „Alle eure Sor­ge werfet auf Ihn, denn er sorget für euch … und die Herr­schaft liegt auf Seiner Schulter!“

So sehr verdirbt der Teufel den Verstand, daß der Unglaube in bodenloser, anmaßender Torheit meint, weise geworden zu sein, daß er in Stockblindheit meint, endlich sehend gewor­den zu sein und endlich den Grundfehler erkannt zu haben, indem er fragt: „Warum führt uns der Herr?“ Wir müssen uns diese furchtbare, entsetzliche, abgründige Frage noch einmal laut Wort für Wort wiederholen: „Warum führt uns der Herr?

Anstatt es zu machen wie jenes fromme alte Weiblein, das immer, wenn es in besondere Notlage gekommen war, gera­dezu aus einem schadenfrohen, schelmisch-neugierigen Glau­ben heraus zu sagen pflegte: „Gespannt bin ich, wie Gott da­mit wieder zurecht kommt?!“ Anstatt so zu reden, wenn ihr wollt in kühnem, wenn ihr wollt in unverschämtem Glauben, der über den Gehorsam gegen Gott und Gottes Wort hinaus alle Verantwortung, insbesondere die für die Folgen, strikte ablehnt und Ihm zuschiebt, ich sage, anstatt es so zu machen, tun sie das Furchtbarste, was eben nur der Unglaube tun kann: Sie entlassen Gott aus der Verantwortung!

Gerade, als sagten sie in unverschämtem, anmaßendem Unglauben: „Das ist der Fehler, daß wir Gott und Gottes Wort allein die Führung überlassen haben. Dem Wort allein zu trauen hier in der „sichtbaren Kirche“, ist Schwärmerei. Es wird höchste Zeit, daß wir die Sache der Kirche und Gemein­de selbst wieder verantwortlich in die Hand nehmen, sonst geht noch alles kaputt. Laßt sehen, was wir noch retten kön­nen! Das haben wir jetzt schon gesehen, wohin man kommt, wenn man sich allein auf Gott und Gottes Wort verläßt.“

„Ist’s zu wenig, daß du uns aus dem Lande geführt hast, darin Milch und Honig fließt“ – damit meinen sie Ägyp­ten! –, „daß du uns tötest in der Wüste? Wie fein hast du uns gebracht in ein Land, darin Milch und Honig fließt, und hast uns Äcker und Weinberge zum Erbteil gegeben!“ (4.Mose 16,13 u. 14). In solch lästerlichem Spott und Hohn meint der Unglaube, Gott zur Verantwortung ziehen zu können, d.h. der Verantwortung unfähig wegschicken zu können, als wollte er sagen:

„Wir können unter keinen Umständen länger noch verant­worten, Gott die Verantwortung zu überlassen; denkt doch nur an unsere Weiber und unsere armen, wehrlosen Kinder. Es ist offen am Tag, daß der Aufbruch der Kirche sonst in ei­ner vollkommenen Katastrophe endigt: Ist’s nicht besser, wir ziehen wieder nach Ägypten?! Da haben wir wenigstens. Was hilft uns die schönste „Verheißung“, wenn die gegebenen un­überwindlichen Tatsachen davor stehen und wir nicht an sie hinkommen können? An solchen Verheißungen verhungert man. Warum auch führt uns der Herr in dieses Land?!“ – Oder wie haben die Jünger damals gefragt: „Mei­ster, fragst du nichts danach, daß wir verderben?“ (Mk. 4,38). – Hörst du’s? Das Wort Gottes wird wiederum zu der unheimlichen Frage gebraucht: „Sollte Gott gesagt haben?“ Noch haben sie das Wort Gottes, aber sie gebrauchen es nimmer zum Glauben, sondern zum Unglauben, nicht zum Gehorsam, sondern zum Ungehorsam und nicht zum Trotzen wider den Versucher, sondern zur Empörung und Auflehnung wider Gott. Wer das recht bedenkt, der kann nur erschrecken vor der abgründigen Unheimlichkeit dieser Logik des Unglaubens, dieser vergifte­ten Logik des Teufels! Dieser aus dem Geist des Lügenvaters gewachsenen Pseudo= d.h. auf deutsch Lügentheologie!

Und doch, wie versteht er’s, seine vergiftete Teufelslogik absolut einleuchtend zu machen. Oh, er weiß gut: Innerhalb des Verbandes derer, die sich noch gerne Christen nennen, muß der Unglaube gut aussehen, denn im großen und ganzen möchte man in solchen Kreisen verständlicherweise nur in manierlichen und anständigen, wenn irgend möglich auch theologisch begründeten Formen irrgläubig und glaubenslos sein. Meint deshalb nicht, daß der Teufel nicht auch über gute Manier und ehrenwerten Anstand verfüge, und wisset, daß er sich gut darauf versteht, Glaubenslosigkeit und Ungehor­sam, wenn es gewünscht wird, auch theologisch zu begrün­den.

Der Teufel hat, wenn es gilt, viel zarten „Familiensinn“, ist auch durchaus „kinderlieb“, besonders, wenn er die Eltern aus dem Gehorsam der Gottesverheißung herausgerissen hat und meint, nunmehr die Kinder nach seinen Gesetzen und Ver­sprechungen erziehen zu können. Ist es nicht rührend – oder sollen wir sagen: teuflisch unverschämt – wie hier der Un­glaube plötzlich so „ergreifend fürsorglich“ auftritt, geradezu vorbildlich und ängstlich besorgt um das weitere Schicksal und die Zukunft von Weib und Kind? Wirklich, welch herzbe­wegliche, rührende Fürsorge – oder sollen wir sagen: welch unverschämter, anmaßender Unglaube, der es für nötig hält, Gott wie einen pflichtvergessenen Vater energisch daran erin­nern zu müssen, daß wir auch noch Weiber und Kinder ha­ben, die er nicht in unverantwortlicher Weise in so lebensge­fährliche Manöver hineinhetzen darf, ja, der Gott geradezu wie einem verantwortungslosen Vater die Kinder wegnimmt und sie in geordnete, verantwortliche Fürsorgeerziehung ge­ben will!

Das Erschreckende und Gefährliche dabei ist doch dies: diese anmaßende Glaubenslosigkeit tarnt sich und hängt sich das kleidsame Mäntelchen des „Verantwortungsbewußtseins“ um. Der Unglaube wird nicht wissen, daß er das tut. Wann weiß denn der Unglaube überhaupt, was er tut, er steht ja nimmer unter der echten Kontrolle und Klarheit des Wor­tes Gottes. Im Verantwortlichkeitsfimmel werden wir verant­wortungslos; denn was ist verantwortungsloser, als eine Ver­antwortung übernehmen zu wollen, die uns nicht zusteht, die wir nicht übernehmen können und dürfen. Was ist anma­ßender und verantwortungsloser, als verantwortungsbewuß­ter sein zu wollen als Gott selber und zu glauben, die Verant­wortung für die Folgen des Wort- und Glaubensgehorsams übernehmen und überprüfen zu können, ja zu müssen, damit sie von uns reguliert und in geordneten Bahnen gelenkt wer­de. – In dieser Sache schreibt Luther an Brenz: „Gnade und Friede in Christo. Lieber Herr Brenz, ich vermerk aus Euerm, auch Philippi und der andern Briefen, daß auch Ihr mit ihnen in dem Reichstag der Götzen Euch sehr bekümmert. Aber das Beispiel Philippi bewegt Euch hiezu.“ – Sehen wir, wie der Unglaube ansteckend ist! – „Denn er sorget für gemeinen Frieden und für die Nachkommen, welches wohl christlich ist, aber es ist kein weiser Eifer. Gleich als ob’s unserer Vorel­tern Werk und Geschäft wäre, daß wir sind, was wir sind, und nicht vielmehr göttlicher Vorsehung, der auch nach uns Gott und Schöpfer bleiben wird, wie er vor uns ist gewesen und noch heute bei uns ist. Denn er wird nicht mit uns ster­ben oder aufhören, Gott zu sein, der auch die Gedanken re­giert“ (Luther, S. 54)

Wer das Gehör und das Gesicht sich hat ruinieren lassen durch Unglauben und durch Einflüsterung dessen, der so ge­schickt, wenn es sein muß, auch theologisch geschickt zu fra­gen versteht: „Sollte Gott gesagt haben?“, der läuft weiter auf dem falschen Weg. Und wie gesagt, es ist des Teufels List und Schlauheit, daß er beachtliche, scheinbar auch theologisch echte Gründe für seinen Weg an die Hand gibt: „Das Volk, die Familie ist doch etwas Gottgegebenes. Der erste Glaubensar­tikel hat doch auch sein gutes Recht. Wir müssen darum auch in der Kirche unser Handeln ausrichten „im Blick auf das gan­ze Volk“ auf unsere armen, wehrlosen Weiber und Kinder, und schließlich auch auf uns. Und wir tun dies gerade mit Rücksicht auf den 2. und 3. Glaubensartikel. Niemand kann den Herrn Christus verkündigen, wenn wir nicht die äußere Lebensexistenz derer zu erhalten verstehen, die solche Predigt auszurichten haben, und vor allem auch derer, denen gepre­digt werden soll. Und die äußere Existenz der sichtbaren Kirche – „denn die unsichtbare Kirche ist ja „nur“ ein „Glau­bensartikel“ – wird eben, weil wir nun einmal auf dieser Welt leben und nicht in höheren Sphären schweben, immer irgend­wie von Ägypten aus erhalten. Die Gemeinde kann unmög­lich auf die Dauer ohne die „Fleischtöpfe“ Ägyptens auskom­men und auf sie verzichten. So unangenehm freilich die Knechtschaft in Ägypten ist, die gewährleistet und garantiert eben doch immer noch ein weit gesicherteres Dasein als die „unnüchterne, schwärmerische“ Freiheit der Kinder Gottes, die meint, auf äußere Sicherheit und Sicherung verzichten zu können und gegebenenfalls auch zu sollen. Es wird hier das Wort: ›Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden‹ viel zu ungeistig und grob augenfällig verstanden.“

Der Gemeinde wird angst vor der Freiheit der Kinder Got­tes, zu der der treue Gott sie eben hat befreien wollen, und so sucht sie doch wieder lieber aus Glaubenslosigkeit die gesi­cherte Knechtschaft Ägyptens als diese ungesicherte Freiheit Gottes. Sie will lieber selber die Garantie für ihre Existenz übernehmen oder sie immer noch lieber Ägypten überlassen, als daß sie diese Garantie Gott überlassen wollte.

Kennen wir diese Gedankengänge und Reden? – Wir müs­sen freilich wissen, Ägypten liegt nicht immer am Nil, und die „Pharaonen“ und auch die „Fleischtöpfe“ tragen nicht im­mer den gleichen Namen. Aber wer will es hören und es sich sagen lassen, daß die Angst um die äußere Existenz, die Angst um die „Fleischtöpfe“ die Kilometersteine aufrichtet auf dem Weg nach Ägypten? Es gelten auch heute noch die Lebens- und Sterbensgesetze für die Kirche, die ihr Herr ihr gegeben hat in seinem Wort: „Wer sein Leben erhalten will…“ Jede Kirche, die Angst hat um ihre Existenz, beweist ja nur er­schütternd, daß sie nicht wirklich an den Auferstandenen glaubt, in dem allein ihre Existenz gesichert ist. Wer will es ernst nehmen, daß an den „Fleischtöpfen“ Ägyptens die Ge­tauften verhungern, weil sie nur in der Freiheit der Kinder Gottes leben können von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht? Und das weißt du doch, daß etwa der Apostel Paulus im Gefängnis zu Rom in dieser Freiheit lebte, ja daß er in der damaligen Zeit offenbar die Freiheit der Kin­der Gottes nur noch im Gefängnis leben und diese Freiheit sich erhalten konnte, und du weißt doch auch, daß er in der Freiheit der Kinder Gottes hingerichtet worden ist und daß sein Gefängnis und sein Tod im Gefängnis die Freiheit der Kinder Gottes bis zum heutigen Tag verkündigen. – Und ne­benbei: Überlegst du dir auch, daß dieser Apostel Paulus Römer 13 geschrieben hat? Es scheint also die Auslegung und Praktizierung von Römer 13 doch nicht so harmlos und billig zu sein wie die es meinen, die sich um den echten, ernsten, barmherzigen Gehorsam gegen die Obrigkeit billig herumdrücken durch das oberflächliche Geschwätz: „Aber Römer 13!“ (Vgl. Dan. 3,28).

Wir wollen doch nicht vergessen, daß der Herr seine Ge­meinde und Kirche, reif gemacht in langer harter Knecht­schaft Ägyptens, endlich mit Weib und Kind herausgeführt hat und sie nach seinem Wort in die Freiheit zu führen verhei­ßen hat. Und Gottes Zusage gilt der Kirche zu allen Zeiten. Daß der „welt-nüchterne“ Teufel es immer besser wissen will als Gott und Gottes Wort, weiß der Unglaube nicht, der Glau­bensgehorsam aber sollte es wissen. – „Kann und darf man denn die ›Volkskirche‹ – und damit etwa das Vorrecht ›der Körperschaft öffentlichen Rechts‹ – einfach fahren lassen? Ist denn das Kirchenvolk, sind Weib und Kind denn gar nichts? Müssen wir sie in unserm Handeln nicht gebührend in Rech­nung setzen, wenn wir nicht verantwortungslos werden wol­len? Wir können die Frage einfach nicht ersparen: Ist’s nicht besser, sie in Ägypten zu erhalten, als in der Wüste sie um­kommen zu lassen? Denn so gut wir den richtigen Weg wis­sen – der richtige Weg wäre hinein ins Land der Verheißung so gut weiß jeder nüchtern denkende Mensch – nur der unnüchterne Gott, so mußt du dann schon dazu sagen, will es offenbar noch immer nicht einsehen –, daß dieser Weg mit der vollkom­menen Katastrophe und Vernichtung der Kirche enden müßte.“

Auch gegen diese „Unglaubens-Theologie der zu erwar­tenden Folgen“ hat Luther gestritten: „Das Ende und der Aus­gang der Sachen zermartert Euch darum, daß Ihr’s nicht be­greifen könnt. Aber wenn Ihr es begreifen könntet, so wollte ich nicht dieser Sachen teilhaftig sein und noch viel weniger ihr Haupt sein. Gott hat sie an einen Ort gesetzt, den Ihr in Eurer Rhetorika (in eurem ganzen Wortschatz und Sprachge­brauch) nicht findet, auch nicht in eurer Philosophia. Dersel­be Ort heißt Glaube, darin allein Dinge stehen, die wir weder sehen noch begreifen (Hebr. 11,1 u. 3). Wer sie will sichtbar ma­chen, daß man sie sehe und begreife, wie Ihr tut, der hat Her­zeleid und Heulen zum Lohn wie Ihr, davon wir alle Euch vergeblich abrufen. Der Herr hat gesagt, er wolle wohnen in einem Nebel (1.Kön. 8,12) und hat Finsternis zu seinem Zelt gemacht (Ps. 18,12). Wer da will, der mach’s anders. Hätte Mo­ses das Ende begreifen wollen, wie das Volk Israel dem Heer des Pharaos entgehen möchte, so wären sie vielleicht noch heut diesen Tag in Ägypten. Der Herr mehre Euch und uns allen den Glau­ben.“ (Luther, S. 41).

Es wird ja nun schon so sein müssen, wie der Unglaube unverantwortlich in seinem angemaßten und vorgetäuschten Verantwortungsbewußtsein lästert, daß Gott die ihm für die Weiber und Kinder und für die ganze Gemeinde und Kirche obliegende Fürsorge gröblichst verletzt hat und sie zu schlechthin nicht zu verantwortenden Manövern aus Ägypten heraus in Marsch gesetzt hat in eine völlig ungesicherte und unsichere Zukunft und sie dabei an den Rand des Verder­bens gebracht hat. Es wird wohl auch mit gutem Recht ge­schehen müssen, wenn der Unglaube gegenüber so „pflicht­vergessenem“ und „verantwortungslosem“ Singen Luthers: „… nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, laß fahrn dahin!“ wieder einmal die Eltern ernstlich an die Pflichten des 4. Gebotes gemahnt und er die Männer an den schuldigen Schutz, Obsorge und Liebe gegenüber ihren Frauen gemahnt. Es kann auch gar nicht verwundern, daß solch „gewissen­schärfendes“ Mahnen zu treuer Mannes- und Vaterpflicht ge­rade dort am erfolgreichsten einschlägt und freudigen Wider­hall findet, wo diese bisher nur sehr dürftig zu finden war oder ganz vergeblich gesucht wurde.

Wer im Gehorsam gegen Gottes Wort seinen Weg zu gehen sich müht, der durchschaut dieses teuflische Mahnen zum 4. Gebot auf Kosten und unter Verachtung des 1. Gebots: Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Das gäbe ja eine saubere Ordnung, wenn wir das 1. Gebot mit dem 4. Gebot ordnen wollten, anstatt umgekehrt! Nein, unsere Vä­ter haben uns nicht deshalb singen gelehrt: … Kind und Weib laß fahrn dahin!, weil sie das 4. Gebot nicht gekannt hätten, sondern gerade deshalb weil sie es kannten. Und sie kannten das 4. Gebot, weil sie das erste noch wirklich kannten! Sie wi­derstanden der Versuchung, Weib und Kind mit dem 4. Gebot von dem Lebensboden des 1. Gebotes herunter zu „lieben“. Sie liebten Weib und Kind auf den Boden des 1. Gebotes hinauf, weil sie diese in den Himmel hinein lieben wollten. „Ist aber kein zukünftiges Reich, so laßt uns auslöschen das 1. Gebot samt dem ganzen Evangelio. Denn was ist’s nötig, einen Gott zu haben nur für dies zeitliche Leben allein, das doch für die das beste ist, die keinen Gott haben? Ist aber ein Gott, so werden wir nicht allein hier leben, sondern dort, da er auch lebt. Ist das wahr, was ist dann das rasende Dräuen der Götzen, die jetzt nicht erst anfangen zu sterben, sondern schon tot sind? Der mich erschaffen hat, wird sein meines Vaters Sohn, meines Weibes Mann, meiner Gemeinde Bürgermeister, meiner Pfarre Prediger, und das viel besser denn ich. Ja er wird es selber besser ausrichten, so ich tot bin, denn bei meinem Leben, dieweil ich ihn mit meinem Leben hindere. Denn es steht geschrieben: Sein Same wird sein gewaltig auf Erden (Ps. 112,2). So hat wahr­lich das 1. Gebot auch unsere Nachkommen in Gottes Schutz gesetzt, da er sagt: Ich tue Barmherzigkeit in tausend Glied de­nen, die mich lieben und meine Gebote halten (5.Mose 5,10). Diesen Worten glaube ich, und ob der Glaube gleich schwach ist, so glaub ich dennoch“. (Luther, S. 55f)

Wir sehen, daß die Sorge um Weib und Kind die Gemü­ter auch damals stark beschäftigt hat. Wer nicht vorbehalt­los auf dem Boden des 1. Gebotes steht und zu leben be­müht ist, der kann freilich nie begreifen, daß wir mit un­serm „laß fahrn dahin“ unser Weib und Kind mehr lieben als ein Mensch Weib und Kind je lieben kann. „Daran er­kennen wir, daß wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten“ (1.Joh. 5,2). Und wenn du jetzt meinst, ich habe falsch zitiert, dann schlage es selbst nach und wirst es so, gerade so finden und nicht anders. So wenig Eva klug werden konnte durch Verachtung des Wortes, so wenig können wir einander lieben unter Verach­tung des Wortes und des von ihm geforderten Glaubensge­horsams. Wir wollen uns gegenseitig helfen, daß wir uns ja nicht von dem Lebensboden des Wortes herunter „lie­ben“, sondern mit Beten und Flehen, mit Furcht und Zittern dabei sind, einander auf den einen Lebensgrund hinaufzulieben: es ist in keinem andern Heil, und wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht und das Leben haben.

Begreifen wir es nun, daß wir uns bei all unserm Tun und Lassen nicht bestimmen lassen dürfen etwa von der Frage: „Wie erhalten wir uns unser Kirchenvolk? Wie erhalten wir uns Weib und Kind? Wie erhalten wir uns den kirchlichen Nachwuchs oder praktisch gesprochen, die christliche Unter­weisung in den Schulen? Wie machen wir’s, daß wir weiter Religionsunterricht in den staatlichen Schulen geben dürfen? Wie erhalten wir uns das Recht einer Körperschaft öffentli­chen Rechtes“?“ Solche Fragen sind keine echten Fragen und geben nicht die rechten Orientierungspunkte an die Hand. Es gibt eine „Verantwortlichkeit“ etwa gegen das Kirchenvolk oder die Jugend, die unverantwortlich ist, und gerade dann, wenn das Kirchenvolk selber, wenn die Jugend selber in den Mittelpunkt der verantwortlichen Besinnung rückt und wir fragen: „Wie treffen wir Vorsorge, daß wir nicht durchs Schwert fallen und unsere Weiber und Kinder nicht ein Raub werden?“ Der strackse Blick, der steife Blick auf Gott und sein Gebot und Verheißung hat die Verantwortung auszurichten und zu leiten. Weib und Kind, Kirchenvolk und Religionsun­terricht in den Schulen, Staatszuschüsse, Kirchensteuerfragen usw. sind keine Richtungspunkte und echten Ziele unseres Handelns. So wird das Handeln der Kirche verwirrt, nie aber geordnet. Und wo wir’s auf Kosten des Gehorsams gegen das Wort „gut meinen“ mit Weib und Kind, Volk und Vater­land usw, meinen wir’s böse. Aber was weiß denn der Un­glaube davon, daß Weib und Kind, Vater, Mutter, Sohn, Toch­ter, Freunde, Volk, Vaterland usw. keine rechten legitimen Richtungspunkte sind, daß alles über und durch den Filter des 1. Gebotes laufen muß? Eben wie wir’s vorhin gehört ha­ben vom Apostel Johannes: „Daran erkennen wir, daß wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Ge­bote halten.“ Was weiß der Ungehorsam, daß der Gehorsam fordern kann: Gehe aus deinem Vaterland und aus deiner Freundschaft und aus deines Vaters Haus …! Was weiß der Unglaube davon, oder was will er davon wissen, daß der „Weg des Lebens“ nicht markiert ist von Vater, Mutter, Sohn, Tochter, sondern geschrieben steht: „Wer Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert“?

Wie erhalten wir uns im Gehorsam des Wortes und der Verheißung Gottes, das allein ist die rechte Frage, und wo uns einer vom Weg des Gehorsams abdrängen will, wollen wir nur die Liebe aufbringen, die weiß, es geht um Tod und Leben und sagen: Satan, weiche von mir! und wollen uns frei und le­dig machen von allem, was uns dabei aufhalten will, mit ei­nem tapferen und barmherzigen: Laß fahren dahin! Denn es steht geschrieben: „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren!“ und wiederum: „und wer’s verliert um meinetwil­len, der wird’s finden.“ Es wird gut sein, wenn wir solches To­desgesetz und Lebensgesetz wieder recht bedenken, damit dann auch in unserem Tun und Lassen deutlich werde, daß wir wahrlich unser Weib und Kind zu sehr lieben, als daß wir sie uns für diese unsere Todeswelt erhalten wollen. Wir lieben sie aufs ewige Leben hin, weil wir sie im ewigen Leben bei uns haben und einstmals wie der Prophet Jesaja wollen sagen können: „Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir der Herr gegeben hat“ (Jes. 8,18). Und dabei denkt ein Pfarrer nicht nur an seine eigenen Kinder, sondern an alle seine Schulkinder, an seine Konfirmanden und Konfirmierten, an seine ganze Gemeinde. Wir können aber um sie alle nur besorgt sein in der Besorgnis um den Gehorsam gegen die wahrhaftige Zusa­ge und Verheißung Gottes in seinem Wort. Das Wort hält uns zusammen, der Gehorsam schafft die echten, innigsten Bande in der Familie, in der Gemeinde, schafft und bewährt Kind­schaft und Bruderschaft; denn beides gedeiht nur unter dem Wort Gottes. Der Unglaube, der Ungehorsam reißt uns aus­einander hier zeitlich und dort ewiglich. Darum „Laßt uns nur keck sein in Christo. Er lebt, so werden auch wir leben, auch im Tode. Er wird der Toten Weiber und Kinder versor­gen. Er herrscht, so werden auch wir herrschen, ja wir herr­schen bereits“ (Luther, S. 45).

Aber es steht doch auch geschrieben: „Seid klug wie die Schlangen …“ Dazu wäre viel zu sagen, aber wir wollen uns darauf beschränken, daß auch die Klugheit, die die Bibel meint, wie alles andere, was vor Gott Sinn und Bedeutung ha­ben soll, übers 1. Gebot: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen“ geht und daß darum geschrie­ben steht: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang“; denn „wer sich auf den Herrn verläßt, wird beschützt“, aber „vor Menschen sich scheuen, bringt zu Fall“ (Spr. 29,23), und Luther sagt: „Wer vom Dräuen stirbt, dem soll man mit Spott und Hohn zu Grabe läuten“ (S. 81). Wem aber Angst wird um seine und der Seinigen Existenz, um Leib und Leben, der trö­ste sich mit dem Wort des Herrn, das Er uns ja nicht umsonst gegeben haben möchte: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht können töten, fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle!“

Und doch stehet auch geschrieben: „Wer den Turm baut, muß die Kosten überschlagen und zusehen, daß er es habe hinauszuführen!“ Da schaut her! Der Unglaube weiß auch Bi­belsprüche und versteht es, sich dahinter zu verstecken. Recht wohl, so steht geschrieben. Aber auch dazu nur wenig, soviel auch hierzu gesagt werden könnte und müßte; denn dies Gleichnis wird gar nicht selten auch innerhalb der Kirche nach raffinierter Teufelsauslegung hundertprozentig gefälscht, und wir haben uns weithin diese schon als die kirchliche Aus­legung zu eigen gemacht. Nach dieser Teufelsauslegung ist es ja geradezu so, als habe der Herr Christus in seinem Gleichnis eine Anweisung zu einem Babelturmbau gegeben, der mit dem gesicherten Kapital menschlicher Vernunft und Schlau­heit gebaut werden müsse. Dabei kann einem das Wort Salomonis einfallen: „Ein Spruch in eines Narren Mund ist wie ein Dornzweig, der in eines Trunkenen Hand sticht.“ Jeder, der sich einigermaßen Mühe gibt, dies Gleichnis Lukas 14,25-35 recht zu lesen, kann merken, daß der Sinn der ist: der Herr Christus will uns alles menschliche Rechnen abgewöhnen! Er will sagen: Wer mein Jünger sein will, wer mir nachfolgen will, der darf nur noch mit mir als dem einzigen Rechenfak­tor rechnen, oder noch deutlicher: er darf nur noch mit mei­nem Kreuz rechnen! Und ob er das tun will, soll sich jeder gründlich überlegen, sonst wird der Bau, nämlich die Christusnachfolge, stocken, denn allein das Kreuz ist das Baukapi­tal, das alle Geld-, Religions- und sonstige Inflationen über­dauern und bis ans Ende durchhalten wird. Und daß wir’s ja recht verstehen, hat der Apostel Lukas die beiden Gleichnisbilder, das vom Turmbau und das vom Kriegführen, mit dem Kreuz eingerahmt. Zu Anfang Vers 26: „So jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“ Und dann am Schluß: „Also auch ein jeglicher unter euch, der nicht ab­sagt allem, was er hat, kann nicht mein Jünger sein.“ – Der Unglaube wird sagen: Diese Worte kenne ich wohl, aber ich glaube nicht, daß das für uns heute noch wirklich praktisch gilt. Er sieht in diesen Worten mehr oder weniger veraltete und überholte Hinweise und Berichtsbruchstücke alter kir­chengeschichtlicher Gruselgeschichten. Der träge, faule Un­glaube meint, solche Worte können erst wieder wahr werden und wahr sein, wenn uns die Kinder buchstäblich aus den Händen gerissen, wenn wir oder unsere Frauen buchstäblich verschleppt werden, und er weiß nicht, daß uns solche Frage schon längst vor solchem grob-augenfälligen Geschehen ge­stellt sein könnte und wir ob solcher nicht verstandener Frage oder ihrer Mißachtung längst schon gerichtet sein können. Was hilft es denn, wenn wir im letzten Gericht empört und betroffen fragen: Wann hast du mich aus meinem Vaterland, aus meiner Freundschaft, aus meines Vaters Haus weggerufen? Wann hast du mir Gelegenheit gegeben zu zeigen, daß ich dich mehr liebe als Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Weib und Kind und Geschwister? mehr liebe als Leib und Leben, Gut und Ehre, als Existenz und so? Wenn die Lage wirklich ein­deutig klar gewesen wäre, hätten wir dir’s schon bewiesen! – Und vor lauter Warten auf echte und klare Bekenntnissitua­tionen stirbt der Unglaube am Verleugnen und merkt es schließlich gar nimmer. Und wenn dann die Gerichte Gottes über die Kirche und Gemeinde kommen, weil sie nicht mehr unterm Kreuz Christi durch die Welt gehen wollten, dann passiert es wohl gar, daß solches Gericht für „Kreuz“ gehalten wird; und es ist doch nichts anderes als das Wegwerfen des dummen Salzes, das nicht einmal wert ist, auf den Kompost­haufen geworfen zu werden, sondern nur noch taugt, daß man es auf den Straßen zertrete. Davor warnt der Apostel Lu­kas die Gemeinde in den letzten Versen von Kap. 14 und will damit nichts anderes tun als der Apostel Paulus 1.Kor 1,17ff tut: „… auf daß nicht das Kreuz Christi zunichte werde.“

Vers 4: „Und einer sprach zum andern: Laßt uns einen Haupt­mann wählen und wieder nach Ägypten ziehen!“ Da kannst du es sehen, wie’s zugeht, wenn der Unglaube mobil macht. Die Mobilmachung des Unglaubens beginnt mit offener Meuterei.

Das Wort und die Verheißung Gottes – doch nicht Mose und Aaron – hatten das Volk Gottes, die Kirche und Gemein­de Gottes herausgeführt aus Ägypten, das ihre Lebensgesetze eingeengt und sie zu religiöser Fron- und Zwangsarbeit mißbraucht hat. Schon waren sie dem Lande der Verheißung nahe, in dem sie in der Freiheit der Kinder Gottes als Kirche und Gemeinde Jesu Christi sollten leben können. Da tauchen die „schwierigen gegebenen Tatsachen“ auf. Da beginnen dem Unglauben die Riesen und Burgen und festen Städte größer zu werden als die Zusage und Verheißung Gottes. Da fängt aller­orts das ängstliche, gottlose Lamentieren an, und der Unglau­be ruft zur Meuterei: „Laßt uns einen Hauptmann wählen und wieder nach Ägypten ziehen. Zurück nach Ägypten, das ist die einzige Rettung! Wenn wir aber dieses Ziel erreichen wollen, muß jetzt vor allen Dingen Einigkeit herrschen und Disziplin. Nur ja jetzt in diesen kritischen Zeiten nicht unei­nig und disziplinlos sein! Es geht unter gar keinen Umstän­den an, daß jetzt wieder einige ihrer Wege gehen und auf ei­gene Faust die Sachen machen wollen und aus der Reihe tan­zen. Wo wäre man denn im Krieg hingekommen, wenn da die kleinen Frontoffiziere den Befehlen des Generalstabs nicht Folge geleistet hätten“? Wir tragen die Verantwortung, darum müssen wir auch Gehorsam verlangen. Und aus unserer Ver­antwortung für die Zukunft der Kirche wissen wir, einen kirchlichen Weg gibt es hier nicht, darum muß ein unkirchli­cher versucht werden. Deshalb kommt es jetzt nicht so sehr darauf an, daß der Hauptmann gerade der kirchlich geeignetste Mann ist, sondern es kommt alles darauf an, daß er das Vertrauen des Pharao hat, in Ägypten gut angeschrieben ist und den Weg dorthin uns führen kann! Denn wir kommen ja einfach nicht mehr weiter, die einzige Rettung ist wirklich die, daß wir auf der ganzen Linie den Aufbruch der Kirche zurückblasen und schau­en, wie wir uns möglichst gut wieder zurückziehen in die alten Verhältnisse Ägyptens; natürlich möglichst unbeschadet unserer inneren Anliegen. Aber wir werden uns aufs Innerste beschränken müssen.“

Eine feine Innerlichkeit, die sich zu Tode schweigt! Der Herr Christus hat gesagt: Wer mich bekennt vor den Men­schen! ja so hat Er gesagt: vor den Menschen, und er hat nichts gesagt und gewußt von solch einem „inneren Herzensbe­kenntnis“. Und Er hat gesagt: Folge mir nach! Nachfolgen hat er gesagt, Ihm, über dessen Leben steht: Er war gehorsam, ge­horsam zum Kreuz, gehorsam zum Tode am Kreuz.

Wir brauchen zu all dem nur ein Wort zu sagen, und es ist ein böses Wort und das böse Wort heißt: Restauration! Und das heißt nicht: Siehe, es ist alles neu geworden. Sondern: sie­he, es soll alles wieder beim Alten bleiben! – Der verhei­ßungsvolle Aufbruch der Kirche, der ecclesia, des Häufleins derer, die wissen, daß nur beim Wort Gottes allein die Füh­rung und Leitung liegen kann, ist ins Stocken geraten. Alles steht wieder auf dem Spiel. Gerade nach Ägypten drängt der Unglaube, aus dem der Gehorsam herausführen sollte. Aus der Buße, aus der Umkehr zu Gott in die Freiheit der Kinder Gottes wird Rückkehr nach Ägypten! Ist das nicht ein unsäg­licher Jammer!

Daß bei solchem Treiben die Gemeinschaft der Gemeinde Gottes zerbrechen muß, will man nicht sehen. Aber was die Freude am Evangelium und die Bereitschaft zum Gehorsam ge­gen Gottes Verheißung (gerade darin sieht der Apostel Paulus den Inhalt seines Apostelamtes, „unter allen Heiden den Ge­horsam des Glaubens aufzurichten“ Römer 15!) nicht zusam­menhält, das kann kein Gesetz, das noch so laut von Einigkeit und Disziplin um sich schreit, zusammenhalten. Aber so ist’s: Wenn der Unglaube durch Meuterei und Rebellion gegen Gott und Gottes Wort die Gemeinde verwirrt hat, dann verlangt er noch von allen, daß sie geschlossen diese Verwirrung mitma­chen und preist dies als den einzigen Weg der Rettung an. Und solches Verlangen und Ansinnen nennt er Aufruf zur „Ei­nigkeit“ und „Disziplin“. So ist’s: Wenn der Unglaube durch Meuterei und Rebellion alles verwirrt hat, wenn er Gott und Gottes Wort nimmer die Führung läßt, dann schreit er nach „Führung“, dann schreit er nach dem „Hauptmann“, und wer dann nicht nach dem Kommando dieses Hauptmanns exer­ziert wie ein Rekrut – nein, was sag ich, wer nicht hem­mungslos mitmeutert wie einer, der durch’s „4. Gebot“ dazu noch verpflichtet sein soll –, der muß sich „disziplinlos“, der muß sich „Schwärmer“ usw. heißen lassen. Aber wie sollte der Unglaube noch den Unterschied kennen zwischen Glau­bensgehorsam und „Disziplin“, wenn er nimmer weiß und danach handelt, daß in der Kirche allein beim Wort Gottes Kommando und Befehlsgewalt liegt und daß das Kommando des Wortes Gottes wahrlich etwas anderes ist als die ägypti­sche Klugheit eines von kirchlichen Meuterern gewählten „Hauptmanns“ oder „Generalstabes“. Der Unglaube erwartet und sucht immer irgendwie von Ägypten die Hilfe und Ret­tung der Gemeinde, darin gerade erweist er sich ja als Unglau­ben.

Wer hört und nimmt zu Herzen das Weh und die Klage Gottes?! „Weh den abtrünnigen Kindern, spricht der Herr, die ohne mich ratschlagen und ohne meinen Geist Schutz su­chen, zu häufen eine Sünde über die andere; die hinaufziehen nach Ägypten und fragen meinen Mund nicht, daß sie sich stärken mit der Macht Pharaos und sich beschirmen unter dem Schatten Ägyptens! Denn es soll euch die Stärke Pharaos zur Schande geraten und der Schutz unter dem Schatten Ägyptens zum Hohn!“ (Jes. 30,1-3). – „Hie ist ihrer keiner, der hinauf gen Himmel seufzete und suchte Rat und Tat bei Gott. Denn sie sind entweder so gottlose Leute, daß sie ihr Gewis­sen nicht beten noch rufen läßt; oder sind ihrer Weisheit und Sachen also gewiß und sicher, daß sie es verächtlich verges­sen, als die es nicht bedürfen; oder sind sonst also gewohnt zu ratschlagen, in ihrem Unglauben verstarret. Also muß denn unser Herr Gott dieweil droben müßig sitzen und darf in solcher klugen Leute Rat nicht kommen, und schwatzet dieweil mit seinem Engel Gabriel und spricht: Lieber, was ma­chen die weisen Leute in der Ratsstuben, daß sie uns nicht auch in ihren Rat nehmen? Sie sollten wohl noch einmal wol­len den Turm zu Babylon bauen. Lieber Gabriel, fahr hin, und nimm Jesajam mit dir, und lies ihnen eine heimliche Lektion zum Fenster hinein und sprich: Mit sehenden Augen sollt ihr Nichts sehen, mit hörenden Ohren sollt ihr Nichts hören, mit verständigem Herzen sollt ihr Nichts verstehen. Beschließt ei­nen Rat und werde Nichts draus; beredet miteinander, und bestehe Nichts; denn mein ist beides, Rat und Tat. Et factum est ita, so solls sein“ (Luther, EA 39, 271).

Wir begreifen gut, wie es Mose und Aaron aufs Angesicht wirft vor Scham und Schreck über solch törichtes, anmaßen­des, rebellierendes Treiben des Unglaubens. Was ist das auch für ein unsäglicher Jammer, daß der Unglaube dem Volk Got­tes, der Kirche und Gemeinde Gottes aufhelfen will mit einer Geistes- und Kraftanleihe bei Ägypten, daß Ägypten sich noch mehr blähe – und falle! In Ägypten sucht die Kirche ihr Heil! Sie, die gesetzt ist, der heillosen Welt das Heil zu brin­gen, ihr den Heiland zu verkündigen, geht hausieren und bet­teln bei den „Heilanden“ der Welt. Sie, die die Welt retten soll mit der Botschaft von Christ, dem Retter, sucht Rettung bei der Welt! Dennoch aber erwartet und verlangt dann wieder eine solche heillose Kirche von der armen Welt, daß sie an ihre rettende Botschaft glauben solle, obgleich sie doch durch die Art und Weise ihres Handelns beweist, daß sie praktisch selbst nicht daran glaubt. An eine solche, im Glauben bank­rotte Kirche kann kein Mensch glauben.

Sie wollen die „Kirche retten“ sagen sie, und gerade damit wird der ganze bodenlose Unglaube offenkundig. Bodenlos deshalb, weil er nicht festen Boden unter den Füßen hat, weil er nicht den zum Grund hat, von dem die Apostel bezeugen: „Einen andern Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Wie könnte einer auf den verrückten und absurden Gedanken kommen, die „Kirche retten“ zu wollen, wenn er an den glaubte, der sitzt zur Rech­ten des Vaters? Und wiederum: wie kann eine solche Kirche in ihrer Unverschämtheit des Unglaubens von der Welt noch verlangen, an den zu glauben, der sitzt zur Rechten Gottes, wenn jedes Kind sieht, sie glaubt ja selbst nicht wirklich an ihn; sie glaubt auch an ein kleines Pharaönchen hundertmal mehr und respektiert es besser als den erhöhten Christus!

War das der Sinn des Aufbruchs des Volkes Gottes, der Gemeinde des Herrn, daß das die Parole wird: „Laßt uns ei­nen Hauptmann wählen und wieder nach Ägypten ziehen!“ Und so soll Kirche werden? Unter der Führung eines häreti­schen, ketzerischen, nicht auf dem Wort Gottes stehenden Hauptmanns, eines pharaonisch legitimierten Hauptmanns soll die Kirche gerettet werden? Wie oft haben wir’s gesungen: „Er ist bei uns wohl auf dem Plan mit seinem Geist und Ga­ben.“ Wie oft haben wirʼs gesungen:

Erhalt uns Herr bei deinem Wort
und steure deiner Feinde Mord,
die Jesum Christum, deinen Sohn
wollen stürzen von deinem Thron.

Und nun stößt der Unglaube in der Gemeinde Ihn vom Thron, schickt Ihn in Pension! „Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr’s denn nun im Fleisch vollenden?“ (Gal 3,3).

Vielleicht hört der und jener, der uns nicht hören will, auf Luther: „… was kann ich von den Widersachern Gutes hoffen? Was vom Kaiser, wiewohl er sehr trefflich ist, aber doch in des Teufels Gewalt? Christus lebt und sitzt nicht zur Rechten des Kaisers (denn dabei wären wir vor Zeiten schon vergangen), sondern er sitzt zur Rechten Gottes (Ps. 110,1: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich dei­ne Feinde zum Schemel deiner Füße lege). Istʼs wahr, so ist’s eine große Lüge. Dennoch hab ich mein Ergötzen an dieser Lüge und habe mir vorgenommen, darauf zu sterben. Warum sollte ich denn nicht auch darauf leben? Ach, daß doch Phil­ippus (Melanchthon) mit meinem Glauben, so er keinen an­dern hat, dies glaubte! „Zur Rechten“ ist wohl ein gering Ding, aber das „zu meiner Rechten“ – Teufel, wo hat das ein Ende! Das Fürwort „meiner“ wirds tun, denn das Hauptwort „der Herr“, darauf das „sprach“ folgt, wird das liebe „setze dich“ wohl erhalten, bis das „zum Schemel deiner Füße“ auch kommt. Was gilt’s, ob David lügen wird? Es sei denn, daß vielleicht allein die Stadt Augsburg in diesem Monat angefan­gen hat, zu herrschen und der Rechten entgegenzugehen, daß wir glauben müssen, Christus ist durch die Sakramentierer von seinem Sitz heruntergestoßen und David sei durch die Pa­pisten zurechtgestellt worden. Wenn dies geschehen ist, so wissen wir hier zu Gruboc (Coburg) nichts davon. Derhalben schreibt uns dies, lieber Jona (Justus Jonas), ob es so sei. Dann will ich einen andern Christum suchen und einen anderen David dichten, der mich nicht so betrügt und zum Spiel hält mit seinen leeren Worten. Aber genug von diesem lästerlichen Scherz, aber es ist Ernst damit und kein Scherz. Lebt wohl in Christo und glaubt mit uns, wie Ihr auch tut, daß Christus sei ein König aller Könige und Herr aller Herren. Verliert er den Titel zu Augsburg, so soll er ihn auch im Himmel und auf Er­den verloren haben, Amen.

Aus Gruboc, am 3. Juli 1530.

Euer Martinus Luther“ (S. 72 f.)

Wir schließen mit einem Gebetsvers von Justus Jonas, 1493-1555:

Wo Gott der Herr nicht bei uns hält,
wenn unsre Feinde toben,
und er unsrer Sach nicht zufällt
im Himmel hoch dort oben;
wo er Israels Schutz nicht ist
und selber bricht der Feinde List
so ist’s mit uns verloren.

Die Feind sind all in deiner Hand
dazu all ihr Gedanken;
ihr Anschläg sind dir wohl bekannt:
hilf nur, daß wir nicht wanken!
Vernunft wider den Glauben ficht;
aufs Künftig will sie trauen nicht,
da du wirst selber trösten.

Amen.

III.

Kanzelspruch: So spricht der Herr durch den Mund des Propheten: „Denn es ist ein ungehorsames Volk und verlogene Kinder, die nicht hören wollen des Herrn Gesetz, sondern sagen zu den Se­hern: Ihr sollt nichts sehen! und zu den Schauern: Ihr sollt uns nicht schauen die rechte Lehre; predigt uns aber sanft, schauet uns Täuscherei; weichet vom Wege, gehet aus der Bahn; lasset den Heiligen Israels aufhören bei uns!“ (Jes. 30,9-11).

Votum: Der Gott aller Gnade, der uns berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu, der wird euch vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei Ehre und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Wir hören auf das Wort Gottes, wie es aufgezeichnet steht im 4. Buch Mose Kapitel 14,5-10a:

„Mose aber und Aaron fielen auf ihr Angesicht vor der ganzen Versammlung der Gemeinde der Kinder Israels. Und Josua, der Sohn Nuns, und Kaleb, der Sohn Jephunnes, die auch das Land erkundet hatten, zerrissen ihre Kleider und sprachen zu der gan­zen Gemeinde der Kinder Israel: das Land, das wir durchwan­dert haben, es zu erkunden, ist sehr gut. Wenn der Herr uns gnä­dig ist, so wird er uns in das Land bringen und es uns geben, ein Land, darin Milch und Honig fließt. Fallet nur nicht ab vom Herrn und fürchtet euch vor dem Volk dieses Landes nicht; denn wir wollen sie wie Brot fressen. Es ist ihr Schutz von ihnen gewi­chen, der Herr aber ist mit uns. Fürchtet euch nicht vor ihnen. Da sprach das ganze Volk, man sollte sie steinigen.“

Gebet: Herr, stärke unseren schwachen Mut, dich treulich zu bekennen
und trotz der Feinde Hohn und Wut, die Deinen uns zu nennen;
Gib, daß wir ohne Heuchelei, durch deine Gnade stark und frei,
Dein ewig Lob verkünden!

So bleib’n wir ruhig denn dabei, von deiner Huld zu zeugen;
Und stören soll uns kein Geschrei, dir unsre Knie zu beugen!
Du hilfst uns ja, du starker Held, daß nicht die Furcht vor dieser Welt
uns treibt, dich zu verleugnen. Amen.

Der ganze Zusammenhang ist uns doch noch gegenwärtig: Der durch den Unglauben vereitelte Einzug der Gemeinde Gottes ins verheißene Land.

Der Unglaube hat Augen für Dinge, die nicht taugen, und ist blind für die großen und herrlichen Zusagen und Verhei­ßungen Gottes. Die Burgen, die festen Plätze und Städte, die Riesen, die sieht er und gafft sie wie ein Irrer ehrfurchtsvoll und doch voll banger Angst unverwandt an, wie ein Heide seine Götzen, bis sie durch seine Angstanbetung zu wachsen anfangen und ihm über den Kopf wachsen.

So muß es kommen, wenn wir nicht Gott über alle Dinge fürchten.

Eine weitere böse Folge solchen Unglaubens, solcher Angstanbetung der sogenannten gegebenen Tatsachen ist, daß der Unglaube sich seiner Familie, seines Weibes und sei­ner Kinder und seiner äußeren Lebensexistenz nimmer recht zu freuen vermag, da er alles ständig umdroht sieht. So ist’s aber: Wer nicht Gott über alle Dinge fürchtet, der betrügt sich, Weib und Kind um den starken Schützer und liefert sich und die Seinigen den bösen und erpresserischen Mächten und Ge­walten dieser Welt aus.

Aber der Unglaube versucht gar noch, seine Umkehr nach Ägypten zu entschuldigen, indem er sagt: „Ist denn die Für­sorge für Weib und Kind, Kirche und Volk, Volkskirche, ist die Liebe zu diesen gottgegebenen Größen nicht von Gott selbst geboten? Wir meinen es doch nur gut mit unsern Frauen und Kindern, mit Gemeinde und Kirche, wenn wir ihnen einen so völlig aussichtslosen Weg, der – wie jeder nüchterne Mensch sehen kann – in den sicheren Tod führt, nicht zumuten. Und muß man es den maßgeblichen Männern in Gemeinde und Kirche nicht zumindestens zubilligen, daß auch sie es gut meinen mit Kirche und Volk? Sie haben doch auch ein Gewis­sen und tragen überdies die schwere Verantwortung der Kir­chenleitung. Andere, die eben nicht die Gesamtverantwor­tung zu tragen haben, können da leicht reden.“

Wißt ihr noch? – oder wißt ihr’s nimmer? – wohin solche vom Wort Gottes unkontrollierte, sogenannte Liebe, solch wi­dergöttliches, menschliches „Gut-Meinen“, solch angemaßte, glaubenslose „Verantwortlich-Tuerei“ der maßgeblichen Män­ner in Staat und Kirche hinführt? Zu offener Meuterei, zu fre­cher Empörung gegen Gott und Gottes Wort, zu der unver­schämten Frage, zu der nur anmaßender, meuternder Unglau­be fähig sein kann: „Warum führt uns der Herr …?“ Und daß solch unverschämter Unglaube, der menschlichem „Gut-Mei­nen“ mehr vertraut als dem Locken und Rufen des lieben Va­ters durch Sein teures Wort, zwangsläufig in die Katastrophe führen muß, das sollte einem Christenmenschen keinen Au­genblick zweifelhaft sein.

Hört Luther: „Denn was hilft große, hohe Weisheit und trefflich, herzlich guter Mut und Meinung, wenn’s nicht die Gedanken sind, die Gott treibt und Glück dazu gibt? Es sind doch lauter Fehlgedanken und vergebliche Meinungen, ja auch wohl schädliche und verderbliche. Darumb istʼs sehr wohl geredt: die Gelehrten, die Verkehrten; desgleichen: Ein weiser Mann tut keine kleine Torheit; und zeugen alle Histo­rien, auch der Heiden, daß die weisen und gutmeinenden Leu­te haben Land und Leute verderbt, welchs alles gesagt ist von den Selbstweisen oder kranken Regierenden, die Gott nicht getrieben, noch Glück dazu gegeben hat, und habens doch wollen sein. Also ist ihnen das Regiment zu hoch gewest, haben’s nicht können ertragen noch hinausführen, sind also darunter erdrückt und umkommen, … und haben zuletzt das elend Klaglied singen müssen: Ich hätt es nicht gemeinet. Ja, Lieber, das gute Meinen macht viel Leute weinen.“ (E.A. 39, 259.)

Es ist eine sehr verhängnisvolle und folgenschwere Ver­wechslung, menschliches „Gutmeinen“ mit der uns von Gott gebotenen Liebe zu verwechseln. Denn „daran erkennen wir, daß wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und sei­ne Gebote halten“ (1.Joh. 5,2).

Darum ist uns geboten: „Wir sollen Gott über alle Dinge lieben.“

Und daran erkannten wir vor acht Tagen die wahnwitzige, unverantwortliche „Verantwortlich-Tuerei“ der Verantwortli­chen, daß sie Gott als unfähig aus der Verantwortung entlie­ßen und selber die ganze Verantwortung übernahmen. Und ihre erste Maßnahme war ein lauter, öffentlicher Aufruf zur Umkehr – nach Ägypten!! Anstatt, getrost der Zusage Gottes vertrauend, gar hineinzugehen ins Land der Verheißung, an das sie geradezu schon auf einige Meter Entfernung herange­kommen waren. So aber gereute sie der ganze Weg, den sie mit Gott und Gottes Wort gelaufen waren, und kehrten um, kehrten um – ja, nach Ägypten und taten damit vor aller Welt kund: im praktischen Ernstfalle kann und darf man doch nicht Gott vertrauen, sondern man ist immer noch bei Pharao am besten versorgt; man kann eben doch im Ernstfalle besser von den Fleischtöpfen Ägyptens leben als von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.

Wer solchem irrsinnigen, wahnwitzigen, unverschämten Tun des Unglaubens auch nur einmal wirklich ernsthaft nach­gedacht hat, dem müßte die Haut schauern über solch unaussagbarem, lächerlichem Gebaren. Die verantwortlichen Män­ner, die zu Hütern und Bischöfen der Gemeinde und Kirche gesetzt sind, wählen den Vertrauensmann des Pharao zum Hauptmann und verstehen es wohl auch noch, es so hinzu­stellen, als wenn dieses Tun der ganzen Gemeinde so von Schrift und Bekenntnis her geboten wäre.

Und woher kommt solche Verwirrung? Sie kommt daher, wenn man vergißt: „Wir sollen – wir dürfen! – Gott über alle Din­ge vertrauen.

Was schreibt Luther an seinen Kurfürsten, der nicht zuge­ben will, daß er von der Wartburg nach Wittenberg zurück­kehre: „Er sähe mein Herz wohl, da ich zu Worms einkam, daß wenn ich hätte gewußt, daß so viel Teufel auf mich ge­halten hätten als Ziegel auf den Dächern sind, wäre ich den­noch mitten unter sie gesprungen mit Freuden …“ „Und sin­temal der Vater der abgründlichen Barmherzigkeit uns durchs Evangelium hat gemacht (zu) freidige(n) Herren über alle Teu­fel und Tod und uns geben den Reichtum der Zuversicht, daß wir dürfen zu ihm sagen, herzliebster Vater: Kann Euer Kur­fürstliche Gnaden selbst ermessen, daß es solchem Vater die höchste Schmach ist, so wir nicht sowohl ihm vertrauen soll­ten … Er hält meinen Herrn Christum für einen Mann aus Stroh geflochten; das kann mein Herr und ich eine Zeitlang wohl leiden.“ Aber nicht auf die Dauer! „… wenn ich wüßte, daß mich E.K.G. könnte und wollt schützen, so wollt ich nicht kommen. Dieser Sachen soll noch kann kein Schwert raten oder helfen; Gott muß hie allein schaffen, ohn alles menschlich Sorgen und Zutun. Darumb, wer am meisten gläubt, der wird hie am meisten schützen. Dieweil ich denn nu spür, daß E.K.G. noch gar schwach ist im Glauben, kann ich keinerleiwege E.K.G. für den Mann ansehen, der mich schützen oder retten könnte.“ (E.A. 53, 106f.). Das schreibt Luther seinem Kurfürsten, seiner gottgesetzten Obrigkeit! So praktiziert er, das sei nebenbei gesagt, den im Römer 13 gefor­derten Gehorsam unter die Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.

Aber wiederum, was kümmert die meisten der lutheri­schen Gemeinde und Kirche Luther. Solche Briefe und Aus­sprüche Luthers sind wohl begehrte und gesuchte Rosinen für Jubiläumsvorträge, aber nichts für die kirchlichen Ent­scheidungen der Gegenwart. Ob man das Zeugnis unsers Va­ters Luther hört oder nicht, haben wir nicht in der Hand, aber mit Bewußtsein soll es immer wieder laut werden, damit kei­ner sich entschuldigen und unser Zeugnis gar zu billig und rasch als Schwärmerei abtun könne.

Unser ganzes Tun und Lassen, Fürchten und Lieben, Hof­fen und Bangen muß alles durch den Filter des 1. Gebotes lau­fen: Gott über alle Dinge fürchten, über alle Dinge lieben, über alle Dinge vertrauen. So wie etwa Milch gefiltert wird, durch Einlegen eines feinen dünnen Papierchens, das auch die klein­ste Unreinigkeit und Unsauberkeit auffängt, wodurch wir wirklich saubere, lautere Milch bekommen. Wie mancher meint, er ehrt, fürchtet, liebt und vertraut Gott lauter und rein. Da kommt die Probe, und da setzt sich auf den 1. Gebot-Filter der Schmutz der Eigenliebe und Selbstsucht nieder, der Bodensatz der Menschenfurcht und Menschenliebe, des Ver­trauens auf Menschen, der Menschensorgen und Menschen­wünsche, der stinkende Dreck der Fleischeslust, der Augen­lust und hoffärtigen Wesens.

Daß die Gemeinde Gott über alle Dinge fürchte, liebe und vertraue, darum geht es Kaleb und Josua. Darum ringen sie in der Versammlung der ganzen Gemeinde mit ihren Brüdern und Schwestern, daß sie ja nicht ihre Existenzgrundlage, das Wort des Lebens, verlassen und dadurch sich und ihre Kinder, indem sie ihr Leben erhalten wollen im Ungehorsam des Un­glaubens, dem sicheren Verderben preisgeben. Denn wenn wir’s auf Kosten des Wortes Gottes „gut meinen“, im Unge­horsam gegen Gottes Zusage, es „gut meinen“, dann ist’s aus mit uns! Nur der Glaubens-Gehorsam gegen Gottes Wort nährt zum Leben.

Der Herr Christus sagt: „Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen des, der mich gesandt hat und vollende sein Werk“ (Joh. 4,34). Allein darum geht es im Leben des Herrn Christus, und allein darum geht es bei denen, die nach Christus sich Christen nennen: um den praktischen Gehorsam gegen Gott und Gottes Wort.

„Ja, das ist alles schön und gut und auch wohl wahr“, wen­det der moderne „kirchliche“ Unglaube ein – sucht doch nicht immer den Unglauben nur unter den sogenannten Gottlo­sen! –, „aber davon kann eben trotzdem eine moderne Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechtes nicht leben, davon kann sie nicht herunterbeißen, davon kann sie nicht ihre Pfarrer be­solden und ihre Pfarrwitwen und -waisen ernähren. Davon können auch nicht ihre Gemeindeglieder und deren Familien leben, die Geschäftsleute, die boykottiert werden, und die Be­amten vor allem, die doch ganz und gar vom Staat abhängig sind und ihre Existenz ihm allein verdanken. Schließlich heißt es ja auch, ein Christ muß der Obrigkeit untertan sein, die Gewalt über ihn hat, und selbst, wenn der Spruch: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ dies ein­schränkt, die harte Wirklichkeit in einem totalitären Staat ist eben doch stärker. Schließlich fällt ja auch heute kein Manna mehr vom Himmel. Über lauter Gehorsam würden wir er­bärmlich und elendiglich verhungern und verkommen. Wir brauchen einfach den Staat – sollte heißen Ägypten – und sei­ne Zuschüsse, seine Gehälter, sein Wohlwollen, um existieren zu können. Wenn etwa der Staat droht: „Wenn ihr euch nicht fügt, sind außerordentlich ernste Folgen zu erwarten, denn der Staat ist nicht dazu da, kirchenpolitische Streitigkeiten zu finanzieren“, was können wir da anders tun, als eben den hö­heren Gewalten uns beugen?

Ägypten muß ja bei solchem Unglauben den Eindruck be­kommen: das sogenannte Volk Gottes, die Kirche und Ge­meinde, die sich nach Christus eine christliche nennt, lebt praktisch doch nur von mir und meinen Gnaden, ja von mei­nen Markstücken. Und daß Ägypten dann für sein Geld auch Fronarbeit fordert, ist doch wohl selbstverständlich. Damals hat Ägypten Ziegel verlangt, heute fordert Ägypten mehr: den ganzen Menschen mit Leib und Seele.

Dabei braucht es dem Volk, dabei braucht es der Kirche äu­ßerlich gar nicht schlecht zu gehen. Sie kann dabei dick und fett werden. Aber es geht ihr wie den Tauben, die nur mit ent­hülsten Körnern gefüttert wurden. Sie wurden auch dick und fett, bekamen aber Knochenerweichung und konnten eines Tages nimmer gehen und stehen, geschweige denn fliegen.

Eine Kirche, die nicht mehr wirklich allein vom Brot des Lebens sich nährt, die mag äußerlich in gutem Ansehen stehen bei der Welt, satt und wohlgenährt aussehen, es steckt ihr den­noch der Tod in den Gliedern, daß sie keine festen, klaren Trit­te zu tun vermag, geschweige denn zu freiem Glaubensflug auffahren kann mit Flügeln wie Adler.

Eine Kirche, die etwa das Wort Gottes damit verleugnet, daß sie die Geschichten des Alten Testamentes aus ihren Lehr­plänen streicht, damit sie Ägypten damit gefällig werde, die hungert sich selber aus. Eine Kirche, die auf Forderung des Staates den Ariernachweis von ihren Pfarrern verlangt, damit sie dadurch in den staatlichen Volksschulen die Botschaft des­sen verkündigen dürften, der nach solchem Maßstab nie ein Schulzimmer auch nur hätte betreten, geschweige denn die Kinder hätte lehren dürfen, weiß ganz offenbar nimmer, was der 2. Glaubensartikel bedeutet und was es heißt, daß das Wort Fleisch ward und unter uns wohnte, und daß er – der Jude war nach Fleisch und Blut samt seinen Aposteln – sich nicht schämte, unser Bruder zu heißen, und sich auch heute noch nicht schämen würde, bei mir einzukehren und sich mit mir an einen Tisch zu setzen; der aber andererseits auch sagte: „Wer sich mein und meiner Worte schämt unter diesem ehe­brecherischen – d.h. mit den Götzen hurenden – und sündigen Geschlecht, des wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln“ (Mk. 8,38). Eine solche Kirche weiß auch nichts mehr von dem Glauben eines Mose, der, „da er groß ward, nicht mehr ein Sohn heißen wollte der Tochter Pharaos, und erwählte viel lieber, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, denn die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, und achtete die Schmach Christi für größeren Reichtum denn die Schätze Ägyptens, denn er sah an die Belohnung“ (Hebr. 11,24ff), das Erbe, das den Glaubenden behalten wird im Himmel.

Meinen wir wirklich noch immer, wir leben in „Ägypten“ besser, und für unsere Kinder sei dort besser gesorgt, und dort gebe es günstigere, gesichertere Existenzmöglichkeiten als in der „Wüste“ der Freiheit der Kinder Gottes, auf dem bedrohli­chen Weg der Nachfolge Jesu Christi? Haben wir denn verges­sen, daß Ägypten keine Knäblein aufwachsen läßt, ja, sie nicht mehr zur Welt kommen lassen will, sie mordet und ihnen nach dem Leben trachtet wie Pharao oder später Herodes? Das war damals so und ist heute noch nicht anders. Denn Ägypten liegt nicht immer am Nil. Es gibt auch heute noch den ägyptischen und bethlehemitischen Kindermord, der deshalb nicht unge­fährlicher ist, weil er unblutig durchgeführt wird. Wie sagt man: „Die Alten sind nicht mehr zu ändern, die muß man ster­ben lassen, aber die Jugend, die werden wir weltanschaulich so beeinflussen, daß sie das Christentum jeder Form als un­deutsch und unserm Rasseempfinden zuwider ablehnt.“ Chri­stus soll also in den Kinderherzen ermordet werden. Die Kirche will man ohnmächtig erhalten und organisatorisch verküm­mern lassen oder – wie man auch gesagt hat – „austrocknen“.

Dieser böse Seelenmord Ägyptens, d.h. der Seelenselbst­mord der weltfürchtigen, weltgläubigen Gemeinde steht Mose und Aaron, steht Kaleb und Josua vor Herz und Gewissen. Sie können und wollen nicht ansehen „des Kindleins Sterben“, an dem die Gemeinde sich schuldig macht, indem sie sich fürch­tet vor denen, die höchstens – wenn’s Gottes Wille sein soll­te! – den Leib töten und die Seele nicht können töten, und so ins Gericht läuft des heiligen, eifrigen Gottes, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle! Die vielleicht noch wissen: „In der Welt habt ihr Angst“, die aber das wahrhaft befreiende und beseligende, siegesfrohe „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ nimmer praktisch glauben.

Diese Sorge, diese tiefe Sorge um Tod oder Leben von Volk und Gemeinde treibt Kaleb und Josua zum Reden. Und sie wissen: wir können füreinander nur besorgt sein in der Be­sorgnis um den Gehorsam gegen das wahrhaftige Wort des Le­bens. Das Wort Gottes erhält uns und hält uns zusammen. Der gemeinsame Gehorsam gegen das Wort schafft erst die innig­sten Bande in der Familie, in der Gemeinde. Der Unglaube aber reißt uns auseinander, hie zeitlich und dort ewiglich.

Darum geht es heute noch wie je um den Gehorsam! Und gehorchen kommt von horchen. Nur horchen auf das Wort Gottes kann zum Gehorsam helfen. Alles andere ist Willkür.

Nicht mit donnerndem Bekennermut und Bekenntnispa­thos bezeugen Kaleb und Josua, was sie glauben. Sie sind auch nicht, was man so „Kämpfernaturen“ heißt. Der Unglaube nennt gern die Glaubenden „Kämpfernaturen“, dadurch glaubt er seinen eigenen Unglauben psychologisch vor sich selbst und anderen erklärt und entschuldigt zu haben. Nein, Kaleb und Josua sind keine „Kämpfernaturen“, sie sagen ihre Sache ganz schlicht und gerade heraus und decken damit den Grund der Hoffnung auf, der in ihnen ist; alles andere liegt ihnen voll­kommen fern. Aber weil sie zeugen und nicht nur Reden hal­ten, ist das, was sie sagen, dringlich und verbindlich, sie wei­chen keinen Deut davon.

Sie reden ja auch nicht von Dingen, die sie nicht kennen, sie gehören zu denen, die auch das Land erkundet hatten und dabei 40 Tage lang die Verheißungen haben schauen dürfen, die Gott seiner Gemeinde bereit hielt. Sie wissen also, was auf dem Spiel steht: die Verheißung Gottes, das ist ja, tiefer gese­hen, der neue Himmel und die neue Erde, das ist ja Tod und Leben, ewiges Leben oder ewiger Tod!

Dabei denken die zwei im Grunde nicht an sich. Sie ver­mögen gar nicht als Einzelmenschen egoistisch zu denken. Ein Christ denkt Christus nach, der nie an sich denkt, der an seine Herde denkt und sein Leben läßt für seine Herde. So denkt ein Christ nicht als einzelner, er denkt in „Gemeinde“ wie der Apostel: „So lasset uns nun fürchten, daß wir die Verheißung, einzukommen zu seiner Ruhe, nicht versäumen und unser kei­ner dahinten bleibe. Denn es ist uns auch verkündigt gleich­wie jenen; aber das Wort der Predigt half jenen nichts, da nicht glaubten die, so es hörten.“

Traurig, todtraurig zerreißen Kaleb und Josua ihre Kleider, wie die Juden es zu tun pflegten, wenn jemand gestorben war. Die Gemeinde glaubte nicht mehr, daß Gott im Himmel lebt. Gott war tot für sie. Was ist das für ein Jammer: Wenn der Glaube stirbt, stirbt Gott mit. Und ist Gott für uns tot, dann fallen wir haltlos in Mißglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster. Diese Gefahren erkennend, stehen Kaleb und Josua geradezu bittend und bettelnd da vor ihrem Volk, vor ihren Brüdern und Schwestern, vor der ganzen Ge­meinde: „Das Land, das wir durchwandert haben, es zu erkun­den, ist sehr gut. Wenn der Herr uns gnädig ist, so wird er uns in das Land bringen und es uns geben, ein Land, darin Milch und Honig fließt. Fallet nur nicht ab vom Herrn und fürchtet euch vor dem Volk dieses Landes nicht; denn wir wollen sie wie Brot fressen. Es ist ihr Schutz von ihnen gewichen; der Herr aber ist mit uns. Fürchtet euch nicht vor ihnen.“

Und die Antwort darauf? „Da sprach das ganze Volk, man solle sie steinigen!“

Woher kommt dieser abgründige Mordgeist, diese Brutalität? Es ist die gleiche brutale Angst ums irdische Leben wie etwa bei einem Kinobrand. Wer meint, kein anderes Leben zu haben als das, was ihm wirklich von einem anderen genom­men werden kann, der wird es mit allen Mitteln, ob guten oder bösen, zu erhalten trachten, eben aus letztem angstvol­lem Wissen, daß er sich sein Leben doch nicht erhalten kann. Wie sollte es auch anders sein? Er darf sich ja nicht des Worts des Lebens getrosten: „… und ich gebe ihnen das ewige Le­ben; und werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“

Die Gemeinde – oh, wir dürfen sie zu Recht gar nimmer so nennen – hat ihren Glauben an Gott verloren, hat geradezu den einhelligen Synodalbeschluß gefaßt, nicht mehr Gott die Verantwortung über ihr Leben zu überlassen, nicht mehr zu glauben, sondern Kirchenpolitik zu treiben, und hat dadurch nur noch ein irdisches, ägyptisches Leben und ist damit in die qualvolle, höllische Angst um ihr bißchen äußeres Leben ge­stoßen: Daher diese brutale Angst! Es ist letztlich eben so und ein mitfolgendes Zeichen: Wer nur ein irdisches Leben kennt, muß nur an sich denken und geht über Leichen. Wer ein ewi­ges Leben glaubt, der denkt nicht egoistisch, denkt „in Ge­meinde“ und läßt die Gemeinde nur über seine Leiche den bö­sen Weg gehen. „Daran haben wir erkannt die Liebe, daß er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen“ (1.Joh. 3,16). Dann sagt unser Vater Lu­ther: „Wir sind jeder einer dem andern einen Tod schuldig.“ (In einer Predigt von 1539). Aber die Gemeinde und Kirche, die in ägyptischem Irrglauben ihr biblisches Denken ruiniert hat, wird mit mehr oder weniger gutem Gewissen Kaleb und Josua „opfern“, wenn sie ihr auf dem Rückmarsch nach Ägypten in den Weg treten und ihr durch klares Zeugnis noch obendrein das Wohlwollen Ägyptens gefährden.

Daß die Gemeinde damit dem lebendigen Gott abschwört und an einen Moloch gläubig geworden ist, der nur mit Men­schenopfern versöhnt werden kann, merkt sie nicht, weil sie meint, nur im Tal Ben-Hinnom stehe der Molochaltar. Die so einleuchtende Begründung: „Ihr wisset nichts, bedenkt auch nichts; es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn daß das ganze Volk verderbe“ (Joh. 11,49f.) wird dabei in den verschiedensten Abwandlungen wiederholt, und kaum einer der hohen Herren merkt, daß er damit unter dem Hohen Rat, der Kirchenleitung, die den Herrn Christus verurteilt hat, Sitz und Stimme bekommen hat.

Solche Verurteilung wird oft auch scheinbar theologisch sehr einleuchtend begründet, daß schier ganze Landeskirchen durch derlei Begründungen beruhigt sind. Man begründet etwa: „Wenn man solch todgefährliche Auseinandersetzungen mit solch respektablen Gewalten, mit solch unheimlichen Rie­sen, die in ihren unerschütterlichen Positionen sitzen wie in uneinnehmbaren Burgen und festen Städten, hinstellt, als sei­en sie nichts anderes, als wenn einer sich zum Vespern und Brotzeitmachen an den Tisch setzt und, alles bagatellisierend, salopp sagt: „Wir wollen sie wie Brot fressen“, so kann doch jeder vernünftig und nüchtern urteilende Mensch, der mit konkreten, gegebenen Tatsachen zu rechnen weiß, erkennen, hier handelt es sich um eine kaum mehr zu umschreibende ge­fährliche Schwärmerei oder religiösen Wahnsinn.

Mögen alle Tatsachenschwärmer so urteilen, die biblische Botschaft Alten und Neuen Testamentes lehrt uns glauben und nicht rechnen: Es gibt eine biblische Nüchternheit des Glau­bens, die der Unglaube immer als Schwärmerei abtun wird. Pe­trus schreibt an seine Gemeinden, die draußen unter dem römi­schen Heidentum zu leiden hatten: seid nüchtern und rechnet nicht mit dem und jenem, und hofft nicht auf dies und das, son­dern „setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angebo­ten wird durch die Offenbarung Jesu Christi“ (1.Petr 1,13). Das ist apostolische, biblische, christliche Nüchternheit. Es sei denn, wir haben den Mut zu sagen: Petrus ist ein unnüchterner Schwärmer. Und gerade angesichts der Bedrohung durch die Feinde bekennt der Fromme im Psalter: „Du bereitest vor mir ei­nen Tisch im Angesicht meiner Feinde, du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.“ Heißt das nicht auch: „Wir wollen sie wie Brot fressen?“ Und das ist Bekenntnis des Glau­bens und nicht saloppes Bagatellisieren. Kaleb und Josua sagen hier praktisch nichts anderes als Petrus und der 23. Psalm.

Ob Kaleb es gemerkt hat, daß das Volk hitzig wird, daß die Volksseele kocht und jeden Augenblick explodieren kann? Hat er nicht gewußt, daß er in einen ausbrechenden Vulkan springt? Oder meint er gar, dadurch den Ausbruch hindern zu können? Weiß er nicht, daß er in höchster Lebensgefahr ist? – Ich meine, er hat’s gewußt! – „Ja, warum schweigt er denn dann nicht? Es ist doch völlig sinnlos, in solcher Lage etwas zu sagen. Ja, es ist ein verbotenes Sichdrängen zum Martyrium.“ Ja, so istʼs! Die Welt schließt: Wenn man in Le­bensgefahr kommt durchs Reden, dann muß man schwei­gen, weil sie gar nicht ahnt, was das eigentlich heißt: in Lebensgefahr sein!! Nein, weil er in Lebensgefahr ist, weil sein ganzes Volk in Lebensgefahr ist, darum zeugt er. Man ist ja darüber, ihm seine Lebensexistenz zu ruinieren, und da wehrt er sich, wehrt sich wahrlich nicht wie einer, der eine Meinung vertritt, eine Idee zum besten gibt – die Humani­sten ziehen den Schwanz ein, Luther sagt: „Hier steh ich!“ Keinen Millimeter weiter, sonst gibt’s Tote! und warum? Weil es ums Leben geht! um die Lebensexistenz! – Und dar­um vergeht dem Kaleb das pathetische Bekennertum, das sich etwa am Reformationsfest seit Jahrzehnten im Wett­brüllen von „Ein feste Burg“ geübt und heiser geschrien hat und sich an der Reformationsgeschichte weiden kann wie an einer kirchengeschichtlichen Grusel- und Heldengeschichte, aber nichts davon weiß und ahnt, wenn’s – nein nicht ums Leben, ums Leibesleben (vita), aber ums Leben, d.h. ums ewi­ge Heil und Leben (soteria) geht, und es deshalb auch nur so ganz von ferne und anfänglich ums äußere Leben gehen könnte. – Also wenn wir dem Kaleb sagen: „Um Gottes wil­len, Kaleb, gib Obacht, sei doch vorsichtig, Dir kannʼs ja glatt das Leben kosten!“ dann sagt der Kaleb: „Ja, Du hast wirk­lich recht, ich muß Obacht geben, ich muß auf der Hut sein, jetzt heißt es wirklich vorsichtig – d. h. voraus-sichtig sein, und zwar hübsch weit voraus-sichtig sein – voraussichtig bis zum Jüngsten Tag –, denn von dort her steht mein Leben auf dem Spiel!“ Und die Folget Er stellt sich mitten unter das sie­dende Volk und zeugt von den Verheißungen Gottes, obwohl er weiß, daß es ihn sein Leben kosten kann, wenn er davon zeugt. Obwohl? Nein, weil er weiß, daß es ihn todsicher sein Leben kostet, wenn er schweigt! Denn die Verheißungen Gottes sind seine Existenz und sein Leben! Daß wir das begreifen lern­ten! Kaleb springt mitten unter das gegen Gott meuternde Volk, weil er sein Leben unter keinen Umständen hergeben will. Er handelt, wenn wir einmal so sagen sollen, aus Todes­angst! Er hat Angst vor dem Tod, darum zeugt er. Wir müssen das wieder lernen, Menschen, die unter der Gewalt des Wortes Gottes stehen, ins Herz zu schauen, daß wir wieder lernen, Angst und Furcht zu haben, wahrhaftige Angst und Furcht! Ja, nicht einmal das können wir mehr ganz ehrlich und grade: uns fürchten. Aber dort, wo wir Gemeinde unter dem Wort sind, wo wir im Wort Gottes unsere Lebensexistenz gefunden haben, da wird davon etwas sichtbar werden. Und wer auf dem Wort steht, der wird, ob er will oder nicht, zum Zeugen, wenn man ihm das Wort unter den Füßen wegziehen will, es sei denn, er steht wirklich drauf. „ER hat uns gezeugt nach sei­nem Willen durch das Wort der Wahrheit, auf daß wir wären Erstlinge seiner Kreaturen“ (Jak. 1,10). Es ist wirklich so, das Wort Gottes schafft diese neue Existenz. Wer also ans Wort Gottes greift, greift ihm ans Leben, und wenn mir einer ans Leben greift, wehr’ ich mich meines Lebens und tu’s so, wie einer sich eben wehrt, wenn man ihm ans Leben will. Und so wird das Zeugnis recht, wenn es nichts anderes ist, als daß ich mich um mein Leben wehre, und nur so wird mir das Wort zum Wort des Lebens, wenn mein Leben mir nichts mehr gilt und das Wort mein Leben geworden ist. Um gar nichts anderes geht es hier bei Kaleb. Das Wort Gottes haben und davon zeugen und vom Leben etwas wissen und seines Lebens sich wehren, das gehört untrennbar zusammen. Man kann die Verheißung Gottes nicht haben und halten, ohne sie zu bezeugen. – Der Herr Christus sagt Matthäus 10,32: „Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor mei­nem himmlischen Vater …“ Es geht hier nicht um eine morali­sche Angelegenheit, daß wir uns mit unserm moralischen Ein­satz und Bekennertum für Christus einsetzen – es werden nicht alle, die zu mir Herr, Herr sagen, ins Himmelreich kom­men! –, es geht um die Lebensäußerung eines neuen Lebensstan­des und Lebenszusammenhanges, in den wir durch Christus ge­stellt werden. Es geht in dem, was durch dieses Jesuswort auf­gezeigt ist, doch darum: In dem Maße, in dem wir hier und jetzt (hic et nunc) die Bruderschaft Christi ernst nehmen, durch die uns, freilich in der vor der Welt verborgenen Knechtsgestalt, der verborgene Vater verkündigt wird, werden wir da­durch zur Gotteskindschaft berufen werden, und in dem Maße, in dem die durch Christi Leiden und Sterben erkaufte Gotteskindschaft unsere neue Lebensexistenz bedeutet – und zwar ganz wörtlich und konkret, d.h. handfest verstanden – und unser ganzes Tun und Lassen aus diesem neuen Leben fließt und davon zeugt, in dem gleichen Maße werden wir mit unserm Leben und seinem ganzen Tun und Lassen von Ihm zum Segen vor Gott, unserm Vater, ernst genommen. Es ist hier ganz deutlich: Es geht nicht um eine Philosophie oder auch Pseudotheologie eines „lieben Allerwelts-Vater-Gottes“ und nicht um dozierte Heroenreligion, die man mehr oder we­niger beteiligt, den jeweiligen gegebenen Umständen entspre­chend eben als etwaige Möglichkeit oder gedachte „Als-ob-Möglichkeit“ setzt.

Rosenberg hat in seinem Mythus etwa folgende Beweis­führung: Früher haben die Menschen wirklich an die Christusbotschaft, an Jungfrauengeburt, Auferstehung, Himmel­fahrt usw. geglaubt, weil sie noch so kindlich in ihrem Den­ken und Glauben sein konnten, vor allem, weil sie wissen­schaftlich noch nicht so weit waren. Heute ist das nicht mehr möglich. Es ist also danach gleichsam so, wie wenn ein Kind von 6 Jahren noch an den Osterhasen glaubt und mit 10–12 Jahren drüber draußen ist. So könnte man also sagen, hatte Luther beispielsweise noch diesen kindlichen „Osterhasen­glauben“ des Christentums, aber heute sind wir darüber hin­ausgewachsen. Dagegen haben wir’s mit dem Anlauf tiefer ari­scher Gotterkenntnis heute so weit gebracht, daß wir erken­nen: „Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu (nicht einen Augenblick) kann leben, werd ich zunicht, muß er von Not den Geist aufgeben.“ Gott erbarme sich solcher anmaßenden, tö­richten Schwätzer und Lästerer! – Nein, es geht um eine inni­ge, echte, endgültige Lebensverbindung zwischen Gott und der Welt, deren jenseitige Bedeutung im Ernstnehmen oder in der Verachtung seiner diesseitigen Bedeutung besteht.

Die Verheißung ist von Gott gegeben, daß wir davon leben und sie bezeugen und weitergeben, damit auch andere davon leben. Kaleb hat die Verheißung Gottes im tiefsten Sinn ver­standen, weiß, daß der Mensch nicht lebt vom Brot allein, auch nicht von den Fleischtöpfen Ägyptens, sondern von ei­nem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. Ein Wörtlein, ein allereinziges Wörtlein aus Gottes Mund, das reicht aus zum Leben. Aber er hat uns sein Wort reichlich gegeben. Wo wir aber kein Wort von ihm haben, bringen wir unser Leben zu wie ein Geschwätz und ersticken an Phrasen, die Phrasen blei­ben, auch wenn sie sich kunstvoll in Stein und Erz und Bau­werken, und was es sonst an hohen Kulturgütern sein sollte, niederschlagen. Das ganze Meer menschlichen Geschwätzes und menschlicher Phrasendrescherei enthält nicht ein Wort, das uns unser Leben hat geben können, wie sollte es eines enthalten, das uns im und am Leben erhalten kann?! Das hat Kaleb begriffen! Und es ist nicht ein intellektuelles, vernunft­mäßiges Begreifen. Kaleb lebt im und vom Wort der Verhei­ßung Gottes, darüber zu philosophieren ist dem nicht mehr möglich und völlig unverständlich, so gewiß ein anderer mit all seiner gescheiten Philosophie nicht in und hinter das Wun­der des Lebens kommt, das aus einem jeglichen Wort kommt, das durch den Mund Gottes geht. Kaleb lebt vom Wort und weiß, es gibt nichts Größeres, als daß wir aus dem Geschwät­ze gerettet, das Wort Gottes haben, seine Zusagen und Verhei­ßung, und es gibt kein größeres Unglück, als es wieder zu ver­lieren, und keinen größeren Wahnsinn, als vom Grund und Fels des Wortes Gottes gar wieder in die Bodenlosigkeit menschlicher Ideen und Geschwätzes herunterzusteigen und rettungslos drin zu versinken und zu ersticken, wie einer im Moor versinkt und erstickt. Gegen solchen Sumpf- und Moortod wehrt sich Kaleb für sich und sein Volk, und das will er ver­hindern helfen, solange er nur kann. Und daß er sein Leben drüber verlieren könnte, das hat er gewußt und hat eben des­halb nicht geschwiegen; denn wer schweigt, verliert den Glauben und damit das Leben. Ich glaube, darum rede ich!“ Der Glaube lebt im Zeugnis. Das Wort des Zeugnisses aber verliert auch für sich selber jeder, der schweigt, der nimmer zeugt, zeugt vor den Menschen, frei öffentlich (parresia kai demosia), nicht mit einem feigen „Herzenszeugnis“ sich selber zu Tode lügt. Der In­halt des Zeugnisses ist sein Leben, und daß er davon zeugt, zeigt eben, daß er davon lebt. Das Zeugnis, das Bezeugen des Wor­tes Gottes gehört zum Christen wie das Atmen zum Men­schen. Das Zeugnis ist der Pulsschlag des Lebens. Er weiß wohl, daß ihm die Steinigung blühen kann, aber was kann er, der im Wort Gottes sein Leben hat, anders tun, als zu zeugen und damit zu zeigen, was der Pulsschlag seines Herzens ist? Noch dazu ist’s ihm auch aufgetragen: „Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige!“ (1.Kor. 9,16). Einem Zeugen Gottes graut davor, sich sein Leben erhalten zu wollen und das Leben drüber zu verlieren und sich dann zu Tode schämen zu müssen, und wie „ein stummer Hund“ (Jes. 56,10) verenden zu sollen. Wie kann denn Kaleb schweigen, wo er mit ansieht, wie das blinde Volk, angeführt von blinden Blindenleitern, drauf und dran ist, das Wort des Lebens wie einen Plunder wegzuschmeißen und wie törichte Tiere nach dem Trog der „Fleischtöpfe Ägyptens“ brüllt. Wie kann Kaleb schweigen, wo er mit ansieht, daß sein Volk drauf und dran ist, den höch­sten Reichtum, die Zusage und Verheißung Gottes, fahren zu lassen, wie Esau sein Erstgeburtsrecht drangibt um einen Eß­napf voller Linsen. Wie soll Kaleb dazu schweigen können, wo er mit ansieht, wie das Volk in dem Unverstand des Unglau­bens und Ungehorsams das Heiligste und Teuerste, was wir Menschen haben können, das Wort Gottes, mit Füßen in den Schmutz tritt. Kaleb muß zeugen. Wahrlich nicht pharisäisch, pathetisch und polternd, das vergeht dem, der den tiefen Ernst und die große Entscheidung solcher geschichtlichen Stunden durchschaut, aber er zeugt eben deshalb eindeutig und klar. Eben wie einer, der den Lebensboden verteidigt, auf dem er steht und lebt, und der ihn nährt: es geht um die Existenz! Wer nicht weiß, was die Verheißung Gottes bedeutet für uns, der weiß nicht, was Existenzfrage und Existenzkampf ist. Er muß Zeugnis ablegen von seinem Leben und, wenn sein Tod die Zeugenschaft weiter übernehmen müßte, für das Leben, in dem er lebt und an das er glaubt, ob er gleich stürbe. Das Zeugnis darf nicht abreißen, kann nicht abreißen, es geht wirklich nicht. Wie kann einer sein eigenes Leben leugnen, dieweil er lebt? Wie kann einer sich selber das Leben nehmen, in­dem er schweigt und nicht Zeugnis gibt? Das freilich begreift einer nicht, der nicht weiß, daß eine Zusage Gottes, und wäre sie noch so klein, mehr wiegt als tausend Welten. Was helfen mir da die ganze Welt und alle Schwatzereien der Menschen, und sollten sie noch so geschickt als heilige Idee sich ausgeben und schmücken oder als weiseste Philosophie formuliert sein, sie sind ja doch alle vollkommen ungedeckte und gefälschte Wechsel.

Das Wort Gottes haben und nicht aufgeben können, das heißt aber, es nicht verleugnen, gerade dann, wenn die Lebens-, wenn die Existenzfrage gestellt ist, das heißt dafür zeugen, das heißt darauf stehen und sich nicht ums Sterben hinunter­werfen lassen, auch nicht durch brüllende Volkshaufen – eben durch gar nichts. Gar nichts in der Welt kann uns vom Lebensbo­den herunterbringen, aber auch gar nichts, nur wir selbst, unsere Verleugnung, nur unser Ungehorsam, nur unser Unglaube. Da­mit aber die Welt es sehen kann, daß die Verheißung steht und gilt und Leben und Seligkeit ist und gibt, müssen Menschen sich daraufstellen, und Gott sorgt dafür um der Ehre Seines Wortes willen, und wenn’s auch nur noch zwei oder drei wä­ren, die genügen, wenn es gerade sein muß, ob sie nun Kaleb und Josua oder Sadrach, Mesach und Abed-Nego, David, Pe­trus, Luther oder sonstwie heißen.

Damit wird offenbar, daß wir das Wort Gottes nur solange haben, solange wir es bezeugen, aber es doch nicht so ist, daß das Wort Gottes von uns lebt. So gewiß die Zeugen Gottes nicht aussterben werden, so gewiß verdankt das Wort Gottes doch nicht diesen Zeugen sein Leben, sondern die Zeugen le­ben vom ewigen Wort Gottes. Die Verheißung lebt nicht von den Bekennern, sondern die Bekenner leben von der Verhei­ßung. Dazu lese man Apostelgeschichte 1, horche gleich die ersten Verse gründlich ab, dann wird einer wohl merken, ob das Christentum von den Aposteln lebt, oder ob der Herr Christus das Le­ben seines Leibes ist, das ist die Gemeinde. Der Herr Christus ist das Leben Seiner Gemeinde, und es braucht sich keiner klug zu errechnen in seiner anmaßenden Torheit, wann der Herr Christus ausstirbt. Und will er’s tun, dann tritt er in die Ge­sellschaft der Pharisäer und Schriftgelehrten der Aposteltage, die dem Herrn Christus absolut verbieten wollten, daß ER auf- erstanden ist, und die Auferstehung absolut nicht genehmigen wollten, und daß ER das, was ER „anfing“ (Vers 1), auch voll­enden werde, bis auf die Zukunft Seiner Wiederkunft. – Darum zeugen in aller Anfechtung, die auf dem Wort des Lebens ste­hen, vom Leben, auch, nein gerade angesichts des Todes, daß wohl einer, der nicht verstockt ist, es ihnen anmerken kann: Wenn man dem die Verheißung, von der er zeugt, nehmen könnte, dann hätte man ihm seinen Schatz und Reichtum, sein Alles, sein Leben genommen. Aber die läßt er sich nicht nehmen, die kann ihm kein Mensch nehmen, durch nichts, nicht durch Anfeindung, Spott, Schimpf, Schande, Verfolgung, Boykott, Hunger, Elend usw. Die Verheißung ist Gottes Verhei­ßung, und darum bleibt sie, weil nichts, was aus dem Munde Gottes geht, nicht ein Wort, vergehen kann, und darum lebt der Mensch nicht vom Brot allein, sondern vom Wort des Le­bens.

Noch eines sehen wir klar: das Wort Gottes haben, es ken­nen, darauf stehen, ist nie eine Privatsache, mit der ich mich fein stille und schön beschaulich zurückziehen könnte für mich allein. Das Wort Gottes ist immer auf Eroberungskriegen, es will bezeugt sein. Auch geht es notwendig dem Kaleb, der sel­ber auf dem Lebenswort steht, darum, daß auch die andern alle möchten drauf stehen bleiben oder, so sie nicht darauf ste­hen, jetzt herkommen, und will sich und die Gemeinde durch „die schwierige Lage“ keinesfalls hinunterschieben lassen.

„Da sprach das ganze Volk, man solle sie steinigen.“ (Vers 10). Auch eine Einmütigkeit, die Einmütigkeit des Unglaubens, wie dort Apostelgeschichte 7,56!: … und stürmten einmütig auf ihn ein, stie­ßen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. – Es ist doch er­schreckend und sollte uns zur Warnung dienen: Gerade in äu­ßerster Not, wo es keine Hilfe mehr gibt, wo Gott uns gleich­sam an die Wand drückt, daß wir nimmer aus und ein wissen und können, und ER uns keinen Ausweg offenläßt, damit wir uns Ihm ergeben und ausliefern, damit wir erweisen können, ob es uns ernst ist mit unserm Glauben, ob wir Ihn ernst neh­men und gewillt sind, wirklich ganz praktisch und konkret mit Ihm zu rechnen, da schreien die „Gläubigen“: „Schwär­mer! Wie kann man so unnüchtern sein! Jetzt heißt es, die Sa­che selber in die Hand nehmen und selber anpacken und den Ausweg suchen – alles andere hieße Gott versuchen!“ Hätten sie sie schon gekannt, sie hätten wohl auch die Versuchungs­geschichte Jesu angeführt, das Herunterspringen von der Tem­pelzinne. Es ist furchtbar und erschreckend, wie „bibelfest“ auch der Unglaube sein kann. – Es ist doch ein Unterschied, ob ich einen Weg eigenwillig oder im Gehorsam, dem Wort nach­laufend, gegangen bin. „Wir haben uns doch nicht hierher ge­führt, sondern Gott mit Seinem Wort.“ – Wenn uns Gott auf des Tempels Zinnen führt, dann wollen wir in Gottes Namen hinunterspringen. Als der Herr Christus auf den Fels hinaus­geführt worden ist von den Nazarenern, daß sie ihn hinab­stürzten, da heißt es: und er ging mitten durch sie hinweg! Durch Gefahren, in die uns das Wort Gottes bringt, wird Gott uns schon den Durchgang schaffen, ER allein hat dafür die Verantwortung.

Es ist merkwürdig, daß zwei hier und die drei von Daniel 3 usw. haben nicht Angst, daß durch ihren Tod die Zeugenschar aussterben und dem Zeugnis Einbuße erwachsen könnte. Aber es gibt „Zeugen“, die über dem Sichaufsparen zum rechten Zeugen, zu den „bekenntnismäßig eindeutigen“ Gele­genheiten, alt werden und sterben – und zwar gern, zu gern gezeugt hätten – wie sie sich und anderen vorlügen –, nur daß sich die rechte rentierliche und rentable, lohnende Gelegenheit nicht bieten wollte,

Kaleb möchte sagen: „Da muß was geschehen, dazu kann ich nicht schweigen!“ – „Halt, Mensch sei gescheit!“ – „Du hast recht,“ in solcher Lage muß man klug, muß man weise handeln – und gerade darum rede ich und schweige nicht!“ – „Bei deiner Logik komme ich nimmer mit! Du bist offenbar nicht mehr recht bei Trost?“ – „Du hast recht, es ist wohl eine sehr törichte und tolle Weisheit, aber es ist doch Weisheit; denn es stehet geschrieben: Die Furcht des Herrn ist der Weis­heit Anfang!“ – „Halt! Bedenk doch und überleg dir’s, was du tust, es könnte dich dein Leben kosten!“ – „Ja, ich bin dir dankbar, daß du mich darauf noch aufmerksam machst, denn es geht dabei wahrlich ums Leben, und es möchte wohl sein, daß einer dabei sein Leben verlieren könnte – und darum gehe ich! Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren, und wer’s verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ „Mensch, ich bewundere deinen Mut!“ – „Mut? Angst willst du sagen; denn nichts als die Angst und Furcht vor dem leben­digen, heiligen Gott und der Gehorsam gegen Sein Wort treibt mich, und wer dabei von Mut redet, gar von heroischem Mut, hat noch keinen blassen Dunst von dem, worum es dabei geht, und der soll sich die Lutherlieder: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ oder „Aus tiefer Not schrei‘ ich zu dir“ und „Nun freut euch lieben Christengmein“ genau anse­hen, dann kann er merken, was dieser Luther für ein „heroi­scher“ Mann war und kann sehen, daß er aus Angst vor Gott mutig geworden ist. Und darum sag ich dir: „Ich bewundere deinen frivolen Mut, mit dem du gar so keck schweigst und Gott und Gottes Wort verachtest und verachten und verspot­ten läßt.“

Es ist schon so, nicht einmal mehr recht fürchten können wir uns, so ein gar „verkehrtes“, verdrehtes Geschlecht sind wir. Es ist keine Seltenheit, daß Menschen etwa das Knie­schlottern kriegen, nur wenn sie einen Winkel am Kragen oder Ärmel sehen, aber die Furcht und das Zittern vor dem lebendi­gen, heiligen Gott ist ihnen eine abgetane, lächerliche Sache, weil sie – wie sie töricht lästern – nicht mehr dumme Kinder sind, als die sie noch an einen Kinderschreck geglaubt haben. Das ist eben die böse Sache, wenn ein Mensch die Maßstäbe verliert. Wenn ich in Penzberg vor einem großen Misthaufen stehe, dann erscheint er mir freilich größer als die Zugspitze, die da irgendwo im Südwesten wie ein kleiner Höcker am Ho­rizont zu sehen ist. Einem Gockel, der auf dem Misthaufen steht und gewaltig kräht, wird jener Misthaufen ja sicherlich als der Gipfelpunkt alles Hohen erscheinen. Trotzdem dürfte es doch nicht dienlich sein, diesen Rekordmisthaufen von Penzberg für den höchsten Berg Deutschlands oder gar der Welt halten zu wollen. Es mag die Phantasie dabei mächtig an­geregt werden und starken Auftrieb bekommen, der Geogra­phie in diesem Falle aber wäre dabei nicht gedient. Du kannst dir dazu Jesaja 2 aufschlagen. Tu’s aber auch!

„Ich glaube, darum rede ich“, das steht über dem Zeugnis des Kaleb und Josua. Die Schwärmer, die Tatsachenschwär­mer schreien „Schwärmer“ und schreien: „das hieße Gott ver­suchen“. Gott aber antwortet in Bezeugung seiner Herrlich­keit und redet davon, daß die anderen ihn nun zehnmal ver­sucht und Seiner Stimme nicht gehorcht haben (Vers 22). Gott bekennt sich klar zu den beiden Zeugen, daß man sie nicht steinigen kann.

Es kann einer kirchlich oder politisch „stephaniert“ wer­den, d.h. gesteinigt werden wie Stephanus, ohne daß deswe­gen Steine fliegen müßten; denn im großen und ganzen ist diese Methode heute nicht mehr üblich. Daß Gott seine Hand schützend hält über Kaleb und Josua, tut er nicht um der bei­den willen, sie hätten dessen nicht bedurft (vgl. Dan. 3,17 u. 18). Wenn Gott seine Herrlichkeit bezeugt, ist es immer schon auch Gnadenerweisung. Daß Gott hier diese treuen Zeugen im Leben erhält, ist die Vergebung der Sünden für die ganze Gemeinde, ist Erbarmung, ist Verheißung für sein armes, tö­richtes Volk, für seine glaubenslose, ungehorsame Kirche, in dem Augenblick, da das Volk sie ausstoßen will, da gibt Gott ihm diese Zwei als ein köstliches Kleinod zurück; denn Josua und Kaleb, die treuen Zeugen ¿eines lauteren Wortes und Sei­ner treuen Verheißung, sind der letzte Trost für die Zukunft. Sie werden es bald erkennen, daß dies noch ihr Segen in ih­rem Elend ist, daß sie mit den Zweien Sein lebendiges Wort in die Wüste mitnehmen dürfen.

Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort
und steure deiner Feinde Mord,
die Jesum Christum, deinen Sohn,
wollen stürzen von deinem Thron!

Gib, daß wir leben in dein’m Wor
 und darauf mutig fahren fort
von hinnen aus dem Jammertal
zu dir in deinen Himmelssaal!

Amen.

IV.

Kanzelspruch: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürch­ten“ (Ps. 103,8.10.13).

Votum: Der allmächtige Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, der Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, stärke euch mit Seiner Gnade zum Gehorsam im Glauben. Amen.

Wir hören auf Gottes Wort, wie es geschrieben steht 4.Mose 14,10-24.

„Da sprach das ganze Volk, man sollte sie steinigen. Da erschien die Herrlichkeit des Herrn in der Hütte des Stifts allen Kindern Israel. Und der Herr sprach zu Mose: Wie lange lästert mich dies Volk? und wie lange wollen sie nicht an mich glauben durch al­lerlei Zeichen, die ich unter ihnen getan habe? So will ich sie mit Pestilenz schlagen und vertilgen und dich zu einem größeren und mächtigeren Volk machen, denn dies ist. Mose aber sprach zu dem Herrn: So werden’s die Ägypter hören; denn du hast dies Volk mit deiner Kraft mitten aus ihnen geführt. Und man wird es sagen zu den Einwohnern dieses Landes, die da gehört haben, daß du, Herr, unter diesem Volk seist, daß du von Angesicht gese­hen werdest und deine Wolke stehe über ihnen und du, Herr, ge­hest vor ihnen her in der Wolkensäule des Tages und Feuersäule des Nachts. Würdest du nun dies Volk töten wie einen Mann, so würden die Heiden sagen, die solch Gerücht von ihnen hörten, und sprechen: der Herr konnte mitnichten dies Volk in das Land bringen, das er ihnen geschworen hat; darum hat er sie ge­schlachtet in der Wüste. So laß nun die Kraft des Herrn großwer­den, wie du gesagt hast und gesprochen: der Herr ist geduldig und von großer Barmherzigkeit und vergibt Missetat und Über­tretung und läßt niemand ungestraft, sondern sucht heim die Missetat der Väter über die Kinder ins dritte und vierte Glied. So sei nun gnädig der Missetat dieses Volkes nach deiner großen Barmherzigkeit, wie du auch vergeben hast diesem Volk aus Ägypten bis hierher. Und der Herr sprach: Ich habe es vergeben, wie du gesagt hast. Aber so wahr, als ich lebe, so soll alle Welt der Herrlichkeit des Herrn voll werden. Denn alle die Männer, die meine Herrlichkeit und meine Zeichen gesehen haben, die ich getan habe in Ägypten und in der Wüste, und mich nun zehnmal versucht und meiner Stimme nicht gehorcht haben, de­ren soll keiner das Land sehen, das ich ihren Vätern geschworen habe; auch keiner soll es sehen, der mich verlästert hat. Aber meinem Knecht Kaleb, darum, daß ein anderer Geist mit ihm ist und er mir treulich nachgefolgt ist, den will ich in das Land brin­gen, darein er gekommen ist, und sein Same soll es einnehmen.“

Gebet: Er hat uns wissen lassen sein herrlich Recht und sein Gericht
dazu sein Güt ohn Maßen; es mangelt an Erbarmung nicht.
Sein’n Zorn läßt er wohl fahren, straft nicht nach unsrer Schuld;
die Gnad tut er nicht sparen, den Blöden ist er hold;
sein Güt ist hoch erhaben ob den’n, die fürchten ihn;
so fern der Ost vom Abend ist unser Sünd dahin. Amen.

„Da sprach das ganze Volk, man soll sie steinigen.“

Wer ist denn nun eigentlich in Lebensgefahr? Kaleb und Josua? – Die tobende Masse kann das Leben nicht geben und kann es nicht nehmen. Wer freilich nichts weiß vom Wort des Lebens, der weiß auch noch nicht, was es eigentlich heißt, in Lebensgefahr sein. Kaleb und Josua stehen zeugend auf dem Wort Gottes, wie sollten sie in Lebensgefahr sein?!

Eine andere Situation, die Steinigung des Stephanus. Wer ist denn dort eigentlich in Lebens­gefahr? Etwa Stephanus? Gewiß, er sinkt unter den Steinwürfen sterbend zusammen. Aber sogar seine Feinde und Richter sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht, und er selbst bezeugt uns. voll des heiligen Geistes, er habe während seines Todesprozesses den Himmel offen gesehen. Wenn einer den Himmel offen sieht, kann der in Lebensgefahr sein?!

Wer ist denn nun eigentlich in Lebensgefahr? Der Apostel Paulus, der im Gefängnis von Rom auf seine Aburteilung wartet?- Er weiß sehr gut, daß es um seinen Kopf geht, aber nicht um sein Leben! „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein“ (Phil. 1,21 u. 23). Und wieder nebenbei: Paulus wurde von seiner Obrigkeit enthauptet. Hat sich Paulus gegen den von ihm in Römer 13 geforderten Gehorsam der Obrigkeit gegen­über, die Gewalt über uns hat, versündigt oder schuldig ge­macht, oder war’s am Ende doch die rechte und letzte Ausle­gung und Praktizierung von Römer 13? Das jedenfalls wisse, die Berufung auf Römer 13 ist nicht eine harmlose Sache, son­dern da geht’s um Leben und Tod für beide Teile. Und Tod aus Gehorsam gegen Gottes Wort ist Eingang ins Leben.

Noch einmal: Wer ist denn nun eigentlich in Lebensge­fahr? Sadrach, Mesach und Abed-Nego?, denen dort in Da­niel 3 Nebukadnezar droht mit der Verbrennung im Verbren­nungsofen und sie antobt: „Laßt sehen, wer Gott sei, der euch aus meiner Hand erretten werde!“ Sie aber wissen und glau­ben- „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht können töten; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in die Hölle“ (Matth. 10,28), und sie bekennen: „Siehe, unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten aus dem glühenden Ofen, dazu auch von deiner Hand erretten. Und wo er’s nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, daß wir deine Götter nicht ehren noch das goldene Bild, das du hast setzen lassen, anbeten wollen.“ – Wieder nebenbei: So praktizieren diese drei den in Römer 13 befohlenen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, die Gewalt über sie hat! Und gerade für diesen Ungehorsam, diesen schein­baren Ungehorsam gegen sein Gebot dankt am Schluß der arme, maßstablose – er hatte das rechte Maß nicht mehr- und daher anmaßend gewordene Nebukadnezar, der dadurch endlich wieder das rechte Maß und seine Grenze zu sehen ge­lernt hat: Gelobt sei der Gott Sadrachs, Mesachs und Abed-Negos, der seinen Engel gesandt und seine Knechte errettet hat, die ihm vertraut und des Königs Gebot nicht gehalten, sondern ihren Leib dargegeben haben, daß sie keinen Gott ehren noch anbeten wollten als allein ihren Gott.“

Ja, wer ist denn dann in Lebensgefahr? Alle, die nicht Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Alle, die nicht wissen, daß sie ihre Lebensexistenz aus und in der Hand Got­tes haben. Die Richter des Stephanus und Paulus, Nebukadne­zar, Herodes, Kaiphas, Pontius Pilatus, diese alle sind in Le­bensgefahr, gerade weil sie in dem anmaßenden Größen­wahnsinn leben, über Tod und Leben von Menschen verfügen zu können, und nimmer wissen: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von oben herab gegeben“ (Joh. 19,11). Und damit sind alle die in Lebensgefahr, die denen, die sie bedrohen, nicht deutlich zu machen verstehen, eben weil sie’s selbst nicht wissen und glauben, daß es ja ums ewi­ge Leben geht und daß darüber ein anderer verfügt als die, die den Leib töten können. Darum sind die in Lebensgefahr, die meinen, ihr Leben Menschen zu verdanken, Menschen, die, wie sie, Staub und Asche sind, und die ihr Leben meinen da­durch erhalten zu können, daß sie Menschen mehr fürchten und mehr lieben und ihnen mehr zutrauen als ihrem himmli­schen Vater. Von oben her haben wir unser Leben. Von oben her nur wird es bedroht oder erhalten. Und wer dies weiß und glaubt, wird’s auch bezeugen, und wir sind dieses Zeugnis der armen, größenwahnsinnigen Welt schuldig. Und Gott be­kennt sich zu solchem Zeugnis.

„Da erschien die Herrlichkeit des Herrn in der Hütte des Stifts allen Kindern Israel.“ Gott selber bezeugt sich herrlich zu seinem in der Stiftshütte verwahrten Wort und Gesetz. Ja, das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit. Wer aber dem Wort des Lebens nicht gehorsam wird und ihm nicht vertraut, der ist schon durch das gleiche Wort gerichtet; denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. (Joh. 3,18)

Und der Herr sprach zu Mose: „Wie lange lästert mich dies Volk? Und wie lange wollen sie nicht an mich glauben durch allerlei Zeichen, die ich unter ihnen getan habe?“ – Ja. horcht nur richtig hin: „Wie lange lästert mich dies Volk?“ sagt Gott klar und nachdrücklich. Da könnte einer sagen: Ja, es ist aber doch nicht ein lästerliches Wort in dieser ganzen Geschichte gefallen?“ – Ja, so sind wir, so taub und blind, daß wir nicht einmal mehr Ohren und Augen haben für das, was Gotteslä­sterung ist. Das Volk hat in seiner Notlage nicht Gott ange­schrien nach seinem eigenen Befehl: „Rufe mich an in der Not“, hat sich nicht ihm gegenüber auf Seine Zusage und Ver­heißung berufen, wie ER es haben will, sondern hat die läster­liche Frage gestellt: „Warum führt uns der Herr?“ Und dann haben sie Gott und Gottes Wort nicht mehr die Führung über­lassen und haben sich selber einen Hauptmann gewählt, von dem sie alle meinten, er könne es besser als Gott, haben Marschrichtung und Marschziel selber bestimmt, den klaren Befehlen, Weisungen und Zusagen Gottes zuwider. Mit ande­ren Worten: sie haben eben Gott und seinem Wort nicht ge­traut. Unglaube aber ist nicht etwas, was nur mich selber an­ginge, ist nicht etwa nur meine Privatsache, sondern Unglau­be ist, ob wir uns dessen bewußt werden oder nicht, Gotteslä­sterung. Ja, horch nur nochmal gut auf: Einfacher Unglaube, Unglaube, auch aus Trägheit und Gleichgültigkeit, ist Gottes­lästerung. Es brauchen keineswegs öffentlich böse und läster­liche Reden geführt worden zu sein. Nein, auch schon, wer die Zusagen und Verheißungen Gottes unbeachtet liegen läßt und sein Tun und Lassen nicht danach ausrichten und gestal­ten läßt, der macht sich der Gotteslästerung schuldig. Denn praktisch sagt er doch damit: „Was Gott sagt, ist mir völlig gleichgültig, meinetwegen hätte er genauso gut nichts zu sa­gen brauchen, ich tu ja doch, was ich will, und richte mir mein Leben nach meinen eigenen Gedanken ein. Ja, der Un­glaube, der es nicht über sich bringen kann, sich dem Wort Gottes anzuvertrauen und von ihm sich den Weg weisen zu lassen, der sagt doch praktisch, wenn wir die Dinge klar se­hen und uns nichts vormachen: Mit Gott und Gottes Wort ist man, gerade wenn’s drauf ankommt, auf deutsch gesagt, an­geschmiert, Gott lügt und trügt. Ach, daß wir doch für die lä­sterliche Unverschämtheit allen Unglaubens und Ungehor­sams helle Augen und scharfe Ohren bekämen! Denn Gott läßt sich nicht spotten.

Und noch ein zweites müssen wir beachten: In unserer Geschichte hat doch bisher Gott nicht geredet. Nur zwei Leutlein, Kaleb und Josua, haben geredet, haben mancherlei gesagt von Gott und Gottes Wort – und Gott sagt dennoch: „Wie lan­ge lästert mich dieses Volk?“ Das ist sehr tröstlich für die ein­samen Zeugen, daß sie wissen dürfen, Gott steht zu ihrem Zeugnis und bestätigt ihr Zeugnis damit als Gottes Wort und sieht die Verachtung der zwei Einsamen als Verachtung seiner selbst an, d.h. als Gotteslästerung. Wie sagt doch der Herr Christus zu seinen Jüngern: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“ (Luk. 10,16). Gott bindet sich und Sein Wort an das Zeugnis Seiner Zeugen, und Zeugen heißt man solche, die ihren Leib darbieten und darüber zu lassen bereit sind, aber vom Glauben ans Wort lassen sie nicht.

Und nun überlegt euch auch noch diese Tatsache recht ernstlich: die ganze Geschichte hat sich innerhalb des Volkes Gottes, also innerhalb der Gemeinde und Kirche abgespielt. Wenn die Gemeinde in Auseinandersetzung mit der Welt steht, dann sollte man meinen, müßte innerhalb der Gemein­de Klarheit herrschen und gar kein Zweifel aufkommen kön­nen, wie man sich zu entscheiden hat, wo man zu stehen hat, was man zu tun hat. Das ist aber nicht so. Vergegenwärtigen wir uns nochmals kurz die Lage unserer Geschichte: Gott hat die Gemeinde zum Aufbruch gerufen und sie in Marsch ge­setzt: Hinter ihnen liegt die ägyptische Knechtschaft mit har­ter Fronarbeit und planmäßiger Volksausrottung – vor ihnen liegt, schon auf Sehweite, auf wenige Kilometer Entfernung das ihnen von Gott feierlich zugesprochene Land, darin Milch und Honig fließt. Das ist doch, sollte man meinen, eine wirk­lich eindeutige Lage, und man möchte mit dem Herrenwort sagen: „Ihr sollt wissen, daß euch das Reich Gottes nahe ge­wesen ist“ (Luk. 10,11). Da gibt’s nun Schwierigkeiten mit der Welt: die Riesen, Burgen, festen Städte verbauen den Weg, und angesichts dieser Notlage bricht die Frage auf: „Wonach haben wir uns jetzt zu richten, woran haben wir uns zu hal­ten?“ Man sollte wirklich meinen, bei solch eindeutiger Lage könnte es keinen Augenblick Zweifel geben und alle müßten einhellig antworten: „Wir halten uns selbstverständlich nach wie vor an Gott und Gottes Wort. Denn das ist die einzige richtige Orientierungsmöglichkeit in Zweifelsfällen: „Ich be­trachte meine Wege und kehre meine Füße zu deinen Zeug­nissen“ (Ps. 119,59). Zudem sollte die Anfechtung lehren, aufs Wort zu merken. Ja, Einhelligkeit herrscht hier auch: „Da sprach das ganze Volk, man sollte sie steinigen.“ – Ja, und das sagen nicht etwa absolute Gottesleugner und Menschen, die überhaupt von Gott und Gottes Wort nichts wissen und nichts wissen wollen, nein, im Gegenteil, das sagt die Ge­meinde, die Kirche Gottes. Sie sind sich alle darin praktisch einig: In dieser Lage können und dürfen wir uns nicht nach dem Wort Gottes richten. Wenn wir das täten, würden wir alle zugrunde gehen, wir und die ganze Gemeinde und Kir­che mit uns.

Wenn du sie nun etwa fragtest: Ja, steht denn nicht in der Bibel: „Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, so werde ich nicht zu Schanden“ (Ps. 119,6) und „Dein Wort macht mich klug, darum hasse ich alle falschen Wege“ (Ps. 119,104) dann werden sie dir sicherlich sagen: „Grundsätzlich denken wir genauso wie Sie, aber es ist praktisch so nicht durchführbar.“ Oder sie werden sagen: „Den richtigen Weg wissen wir auch, aber der ist nicht gangbar.“ – Habt ihr noch Ohren zu hören, welch unheimliche Gotteslästerung in solchen Reden steckt, gerade, weil sie aus dem Mund von Männern der Kirche und Gemeinde kommen, und zwar oftmals in recht verführeri­schen manierlichen Formulierungen?

Nur ganze zwei Männlein halten hier die Verheißungen Gottes hoch wie ein Panier in der Schlacht und sind gewillt, in ihren praktischen Entscheidungen darauf zu leben und zu sterben. Dazu mag auch noch jeder dies sich gut überlegen, damit er nicht den und jenen einsamen Rufer allzu billig ab­tut, wie es die Gemeinde hier macht mit Kaleb und Josua und gleichsam sagt: „Das sind ja nur zwei völlige Außenseiter. Alle andern denken ja genau so wie ich und sind nicht so überspannt aufs Wort Gottes versessen. Sollten denn alle an­deren kein Gewissen haben, nur ausgerechnet diese zwei?“ Oh, auf welch billige Weise vermag der Unglaube sich mit dem Unglauben anderer zu beruhigen! Das merk dir von unserer Geschichte gut: „Die Zahl ist absolut kein Maßstab, fest­stellen zu können, bei wem die richtige Entscheidung getrof­fen worden ist. Die rechten Zeugen waren immer selten und mußten immer in großer Einsamkeit ihren Weg gehen. Im al­ten Bund war’s schon so, zur Zeit des Herrn Jesu und seiner Apo­stel war’s so, meinst du, es sei heute etwa anders? Schau ja nicht auf die Zahl. Schau allein auf das, was einer sagt und mit welcher Begründung er es sagt. Prüfe, wer dich zum Glau­bensgehorsam gegen das Wort und die Verheißung Gottes ruft und selber dafür lebt und seinen Leib darbietend auch dafür zu sterben bereit ist.

Gott steht zum Zeugnis seiner Zeugen, und wer ihr Zeug­nis lästert, den trifft die Strafe Gottes für Gotteslästerung: „So will ich sie mit Pestilenz schlagen und vertilgen und dich zu einem größeren und mächtigeren Volk machen, denn dies ist.“ Gott macht es mitunter vor aller Welt sichtbar auch für die primitivsten Augen, daß es keine gefährlichere, tödlichere Pest gibt als die Pest des Unglaubens.

Müssen wir jetzt noch einmal fragen: „Wer ist denn hier eigentlich in Lebensgefahr?!“ Kaleb und Josua jedenfalls nicht. Stephanus und der Apostel Paulus auch nicht; aber die, die Steine aufheben und, indem sie ihr Leben zu erhalten trachten, auch die Kirche und das Reich Gottes glauben mit zu erhalten und nicht wissen, daß sie mit solchem Tun nur er­weisen, wie sehr sie dem Pestfieber des Unglaubens verfallen sind. Das Reich Gottes kann nicht mit Steinen, Schwertern, Zaunlatten und anderen Machtmitteln dieser Welt verteidigt und gebaut werden, sowenig es durch derlei Mittel vernichtet werden kann, sondern allein durch Gott und Gottes Wort und den aus Seinem Geist geübten Gehorsam des Glaubens.

Um diese Fragen ringen in freiem und öffentlichem Zeug­nis Kaleb und Josua mit der ganzen Gemeinde auf Tod und Leben. Während aber Kaleb und Josua ihren harten Kampf ausfechten, stehen Mose und Aaron nicht minder im Feuer: „Mose aber und Aaron fielen auf ihr Angesicht vor der ganzen Versammlung der Gemeinde der Kinder Israel“, hieß es schon im vorausgehenden Text. Sie lagen im heißen Gebetsringen vor Gott, weil sie wußten, welche Gefahr von dorther auf solch lästerliche Empörung und Meuterei des Unglaubens droht. Da prasselt auch schon das Gewitter des Gerichts her­nieder: „Und der Herr sprach zu Mose: Wie lange lästert mich dies Volk? und wie lange wollen sie nicht an mich glauben durch allerlei Zeichen, die ich unter ihnen getan habe? So will ich sie mit Pestilenz schlagen und vertilgen und dich zu ei­nem größeren und mächtigeren Völk machen, denn dies ist.“

Gegen dieses furchtbare, heilig-zornige Gerichtsurteil läßt sich im Grunde nichts sagen und vorbringen. Es ist verdient, allzu verdient! In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir – von Ägypten durch die ganze Wüste bis hierher – Flügel gebreitet, hat dir herausgeholfen aus völlig aussichtslosen und verzweifelten Lagen! Durch all diese herrlichen Zeichen und Wunder wollte Gott seinem Volk helfen und ihm Mut ma­chen, Ihn wirklich als seinen gnädigen, barmherzigen und allmächtigen Gott und Vater zu erkennen. Wie man mit Kin­dern in der Schule verfährt, die eine Aufgabe immer wieder nicht begreifen wollen, so ist Gott mit seinem Volk, seiner Ge­meinde und Kirche damals und doch auch diese vergangenen Jahre verfahren: Ihr habt’s noch nicht verstanden! Also gut, wir wiederholen’s und üben’s noch einmal. Jetzt muß es aber gehen, jetzt werdet ihr’s doch wohl endlich begriffen haben. Nein! Wieder nicht! Also noch einmal, und jetzt paßt aber das nächste Mal gut auf, damit ihr’s nicht wieder verdummt: Ihr sollt lernen, in allen Lagen Mir kindlich zu vertrauen und Meiner Stimme zu gehorchen (V. 22). Aber bei der nächsten Bewährungsprobe kam wieder der alte, törichte, unver­schämte Unglaube heraus, der Gott mißtrauisch versuchen und meistern will, anstatt Ihm mit Leib und Seele bedin­gungslos zu vertrauen. Und das nicht nur einmal, zehn ganz krasse Fälle hat Gott dabei im Auge (V. 22). Sollen wir unsere krassen Fälle der letzten Jahre aufzählen? Es wären rasch zehn beisammen! Nichts, aber auch gar nichts hat Seine Ge­meinde gelernt. Bei jedem neuen Fall der Entscheidung gab eben wieder nicht das kindliche, gehorsame Vertrauen Gott gegenüber den Ausschlag, wie es Kindern dem Vater gegen­über ziemt, sondern jämmerliche Angst um das bißchen irdi­sche Leben, das glaubenslose, ängstliche Schauen auf die ver­meintlichen Folgen, Furcht vor Menschen und Buhlen um de­ren Gunst, die man für lebenswichtiger hielt als Gottes Wohl­wollen. Oh, es ist einfach ein Jammer, solch glaubenslose, töricht-rechnende Art, die mit jedem aufgeblasenen Mensch­lein mehr rechnet als mit dem allmächtigen Gott, Jahr um Jahr mit ansehen zu müssen. O weh der verderbten Kinder, die den Herrn verlassen, den Heiligen in Israel lästern und zurückweichen. Was soll man weiter an euch schlagen, so ihr des Abweichens nur desto mehr machte Das ganze Haupt ist krank, das ganze Herz ist matt. So hören wir Gott klagen (Jes. 1,4f.).

Gott hat das Recht, von Seiner Gemeinde blinden Glauben und Gehorsam zu fordern, aber er hat immer seine gütige und strafend-helfende Vaterhand gezeigt und hat es an gar nichts fehlen lassen, Ihn als einen gnadenreichen Gott zu erkennen, der große Wunder tut und der auch ihr erwiesen das, was ihr nütz und gut. Und anstatt Ihm zu lobsingen und Ihm zu dan­ken, murrt sie offen gegen Ihn, ja ihre Leitung ruft offen zur Meuterei gegen Gott auf und merkt es gar nicht. Und darum steht nun das unheimliche Urteil da, ein fertiger und unabän­derlicher Gerichtsbeschluß Gottes: „Mit Pestilenz will ich sie schlagen, sie vertilgen, sie ausrotten bis zum letzten Mann!“ Also sprach der Herr zu Mose, heißt es in unserm Text.

Mose aber sprach zu dem Herrn.“ – Das ist unerhört!! Da verkündigt Gott dem Mose feierlich Seinen Gerichtsbeschluß, und Mose setzt sein „Aber“ dagegen. Gerade als wollte er zu Gott sagen: „Halt, da hab’ ich auch noch ein Wörtlein mitzu­reden!“ Das ist ja eine unerhörte Unverschämtheit – oder es ist unerhörter Glaube! „Oh, dieses feine, kühne, ja, wenn Du willst, unverschämte ›Aber‹ des Glaubens! Da tun wir einen ganz seltenen, wunderbaren Blick in die ungeheuerlichen Möglichkeiten wahren Glaubens, des Gebetes im Glauben. Ein einziges kleines, hinfälliges Menschlein unterfängt sich, Gott zu widersprechen, wagt es, dem zum Schlag ausholen­den Richter-Gott in den Arm zu fallen. „Der Herr sprach zu Mose“ – „Mose aber sprach zu dem Herrn.“ Haben wir noch Ohren für solche Wunder? Wahrlich, das ist Glaube!

Es ist wie bei der Belagerung der Stadt. Ein mächtiges Heer unter einem noch mächtigeren und unerbittlichen Feld­herrn steht schon rings um die Stadt. Schon ist eine Bresche, ein Riß in die Mauer geschlagen, die Heerhaufen drängen her­ein …, da springt einer kühn und entschlossen in den Riß! Siehst du’s? „Mose aber sprach zu dem Herrn.“ Dieses feine „Aber“ ist dieser Sprung. Wie ist Mose tollkühn! Gott wagt er zu trotzen! Und wie er trotzt, wie er zuschlägt! Die Ehre Got­tes steht wider ihn, mit der Ehre Gottes ficht er dawider! Auch Mose geht’s um die ersten Bitten des „Vater Unser“, daß Sein Reich komme, Sein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden. Da sehen wir, was glauben heißt! Glauben heißt, mit Gott und Gottes Wort wider Gott streiten. Mit dem Gnadenwort Gottes wider das Gerichtswort Gottes ankämp­fen. An solcher Kühnheit des Glaubens hat Gott Seine Freude, ja ER wartet geradezu darauf und ist traurig, wenn er vergeb­lich wartet: „Ich suchte unter ihnen, ob jemand sich zur Mau­er machte und wider den Riß stünde vor mir für das Land, daß ich’s nicht verderbte; aber ich fand keinen“ (Hes. 22,30). Hier steht einer im Riß, und er weiß zu stehen im Streit wider den Gerichtszorn Gottes. Wollen wir diesen Kampf im einzel­nen verfolgen.

„Du willst uns zerschlagen und völlig aufreiben?“ beginnt Mose: „So werdenʼs die Ägypter hören; denn Du hast dies Volk mit Deiner Kraft mitten aus ihnen herausgeführt. Sie würden dann wohl sagen: Aha! Da schaut her, wie sie wieder angewinselt kommen! Sie hatten es nicht, nein ihr Gott hatte es nicht, es hinauszuführen!“ „Ja, die Einwohner dieses Lan­des und alle Heiden, die weit und breit bei der Kunde der Er­weisung Deiner Wundermacht aufgehorcht und nach Dir auf­zuschauen und zu fragen angefangen haben, die werden als­bald überlegen und überheblich Deiner Allmacht und Maje­stät spotten (Vers 16): Der Herr konnte mitnichten das Volk in dies Land hineinbringen, das ER ihnen geschworen hatte; darum hat ER sie geschlachtet in der Wüste.“ Als wollte Mose sagen: Was Du da vorhast, das darfst Du, das kannst Du nicht tun, Du läßt Dich ja selber fallen, wenn Du uns fallen läßt, und machst Dich zum Gespötte unter den Heiden. Ja, Du gefährdest die ganze Verkündigung, den ganzen Heilsplan für die Welt. Die Welt hat Anspruch darauf, daß Du Dich an ihr erweisest durch Wunder- und Gnadenerweisungen an Deiner Gemeinde und Kirche. Die Heiden würden Dich lä­stern in ihrer Unwissenheit um des Unglaubens und Unge­horsams Deiner Gemeinde und Kirche willen. Wollest Dich der armen Heiden und der töricht-anmaßenden Widerchri­sten erbarmen und uns gnädig sein. „Erlöse mich um meiner Feinde willen“ (Ps. 69,19). Wir haben ja Deinen Auftrag an die Welt und schulden auch ihr den Glauben und den Gehorsam gegen Dich und Dein Wort. Wir sehen’s wohl, unser Unglaube ist Gotteslästerung und Versündigung auch an den andern Menschen, denn unser Unglaube macht die Heiden, die Un- und Widerchristen erst recht lästernd wider Dich. Uns fallen die Lästerungen der Welt als unheimliche Sündenschuld gar hart auf die Seele. Laß uns solches Erbarmen mit den armen Heiden Dir ans Herz legen und uns selber zur Buße werden, daß wir aus solchem Erbarmen fleißig werden zum Glauben. Die armen Leute verrennen sich ja sonst immer mehr in er­schrecklichen Unglauben und schauerliche Gotteslästerung, weil unser Glaube und unsere Gottesfurcht ihnen kein „Halt!“ mehr bietet. Herr, Du wollest dies alles um deiner Liebe und Ehre willen gnädiglich bedenken und uns Demut schenken, solches fern von aller pharisäischen, kalten Überheblichkeit fleißig und ernstlich in uns zu bewegen. Wollest Dich unser erbarmen, damit wir nicht auch das Gericht der Heiden auf uns laden, die schon das Gerücht Deiner Wundererweisungen erreicht hat, nun aber, ehe sie recht zum Glauben an Dich kommen konnten, um unsers Unglaubens willen völlig ins Lästern fallen müßten.

Vers 17: „So laß nun die Kraft des Herrn groß werden, wie Du gesagt hast“ – damit bringt Mose das schwerste Geschütz in Stellung; welch kühner Glaube, er schießt mit Gottes Ge­schütz wider Gott – „und gesprochen:“ – und jetzt zieht er ab –: „Der Herr ist geduldig und von großer Barmherzigkeit und vergibt Missetat und Übertretung!“ – Wie fein versteht Mose sein Kriegshandwerk, und wie steht er auf seinem Po­sten! Gerade er, der ja auch gemurrt hat wider Gott und Ihn versucht. Wie rasch überschaut er die Kampflage und weiß, woher die größte Gefahr droht: „Weh uns, wenn Sein Zorn jetzt niederfährt.“ Da bringt er sein Geschütz, nein, denn was könnte das hier helfen, Sein Geschütz bringt er in Stellung, er, der gerade noch wider sein Volk stand, ändert rasch die Front und Schußrichtung, er schießt auf Gott, schießt in den Him­mel! Mit dem weitesttragenden Geschütz und mit dem größ­ten Kaliber, das es gibt und gegen das die 42-cm-Haubitzen nur jämmerliche Hollerbüchsen sind, er schießt – mit4 – mit der „Barmherzigkeit Gottes? Und er kann zielen, und er trifft mitten ins Vaterherz Gottes! Wer so schießen könnte! Wer so trifft! Da rührt sich etwas! Da kann einer etwas in Bewegung bringen! – Das heißt man: beten können! So müssen die Ge­schütze in Feuerstellung sein! Tag und Nacht schußbereit! Und wir brauchen Himmelskaliber und die Rohre dürfen nicht kalt werden, sagt der Herr Christus im Gleichnis von der Witwe und dem ungerechten Richter, „daß man allezeit beten und nicht laß werden solle“ (Luk. 18,1-8 nachlesen!). – „Laß nun die Kraft Gottes groß werden.“ Ist’s nicht, als wollte Mose sagen: „Jetzt zeige, was Du kannst! Zeig Deine Kunst an uns ungehorsamen, glaubenslosen Menschen!“ Und die Kraft, die hier eingesetzt werden muß, ist eine gar große und wunderliche Kraft, und ist eine Kraft, die nur Gott verwaltet, und die niemand ohne großen Schaden sich selber rauben kann: Geduld, Erbarmung, Sündenvergebung. Vers 19: „So sei nun gnädig der Missetat dieses Volks nach Deiner großen Barmherzigkeit, wie Du auch vergeben hast diesem Volk aus Ägypten bis hierher.“ Als wollte Mose sagen: Du weißt doch selber gut, daß der ganze bisherige Weg doch nichts ist als lau­ter Vergebung, mich auch eingeschlossen. Schau, wenn Du darum die Vergebung fahren läßt und aufgibst, wie willst du dein Werk an uns, dem verkehrten Geschlecht, weitertreiben? Gibst Du die Vergebung der Sünden auf, dann gibst Du alles auf! Keinen Schritt kannst Du mehr mit uns gehen. Alles ist aus! Von gar nichts anderem als von der Vergebung der Sün­den haben wir bisher Tag um Tag gelebt und können auch in Zukunft von nichts anderem leben. Durch den Hunger nach der Vergebung der Sünden hast Du uns doch immer wieder zurückgezogen auf deinen Weg und uns zurechtgebracht. Wenn Du uns den Glauben an die Vergebung der Sünden auch noch nimmst, dann sind wir uns selber rettungslos ausgelie­fert und laufen unsere Irrwege und wissen’s gar nimmer. Dar­um erhalt uns im Hunger nach Dir und Deiner Gerechtigkeit, daß wir nicht ganz toll und los werden und gar keine Bande uns mehr bindet an Dich und wir in solcher losen Freiheit und Ungebundenheit uns selber versklaven wie Tiere. Bei Dir ist die Vergebung, daß man Dich fürchte! Wollest uns immer wieder mit dem Hunger nach der Vergebung durch ein gedemütigt und zerschlagen Herz zu Dir ziehen, Du heiliger und barmherziger Herr und Gott, zu dem wir um Christi willen doch schreien dürfen „Abba“, lieber Vater.

Merken wir da, wie himmelweit der Mensch von Gott weg ist, der keine Vergebung der Sünden braucht und dabei gar meint, daß er Ihm im Schoße sitze. Und dagegen wie gar nahe ER einen zu sich hinzieht, den ER das Schreien nach der Vergebung der Sünden nicht hat verlernen lassen. Oh, was ist das für ein Wunder, daß Gott den ganz zu sich zieht, der weiß, daß himmelweit ihn seine Sünde von Ihm trennt, und der darüber immer wieder schier verzweifeln möchte. Das heißt Christ sein: Gott immer wieder auf die Vergebung der Sünden hin anrufen. Und da könnten wir bei Mose schon in die Schule gehen, der ganz und gar im Gesetz doch Kern und Stern des Christenglaubens gar gut gekannt und zu brauchen verstanden hat. Da könnte einer wohl auch lernen, wie eine Kirche zu leiten, wie echte Kirchenpolitik zu treiben ist, daß ich sie allein mit Gott treibe, gerade dann, wenn alles ganz und gar verfahren ist. Dann heißt es, allen Ungehorsam ganz offen und wahrhaftig als Sünde bekennen und damit durch Gottes Barmherzigkeit uns wieder auf den rechten Weg brin­gen lassen. Nicht alten Ungehorsam durch neuen vor der Ge­meinde und der Welt verkleistern wollen, sondern klar und eindeutig die Sünden bekennen, daß Gott uns wieder festen Boden und klaren Ausgangspunkt schenken kann. – Wer’s könnte, könnte wohl deutlich zeigen, wie wir etwa in diesem Gebet Moses (oder Daniel 9, bes. Vers 9 und 18)! Blicke tun dürfen in die Taktik echter Kirchenführer, und wir tun gut dar­an, wenn wir auf solche Spuren kommen, dem nachzuspüren und in die Schule zu gehen, damit wir möchten unsere oft gar großen Albernheiten und Wichtigtuereien verlernen und red­lich und offen von der Vergebung leben. Das hieße Haubitzen in die Schlacht bringen und aufhören, selber mit Knallerbsen zu schießen oder mit solchen sich erschrecken zu lassen. Ob­gleich ich weiß, daß wir wohl nie ganz es verlernen können, vor des Teufels Hollerbüchsen zu erschrecken – „In der Welt habt ihr Angst“ – dürfen wir doch getrost mit unseren Haubit­zen antworten: „Aberda haben wir wieder so ein herrliches Bibel-Aber! – „seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Gott hat Seine Sache in die Geschichte der Menschheit eingehen lassen. Wir sehen, was ein einziger Mose an Gericht abfangen und damit vorwärtsbringen und entscheiden kann, was aber auch von Menschen aufgehalten werden kann und wie wir so die Sache des Reiches Gottes wieder um 40 und mehr Jahre zurückwerfen können. Ja, „das Wort ward Fleisch“, d. h. auch, daß alles im Zusammenhang mit dem Reich Got­tes wirklich Menschen in die Hand gegeben ist. Gott handelt in und an der Welt durch Menschen von Fleisch und Blut. Wenn es darum mit dem Himmelreich nicht vorwärtsgeht, so ist’s nicht Seine Schuld oder gar Seine Schwäche – ER könnte wahrlich, dazu auch mit Fug und Recht, die Welt im Gericht zusammenschlagen-, sondern es ist Seine Geduld und Seine Barmherzigkeit mit uns hinfälligen, wankelmüti­gen, glaubensschwachen, anmaßenden Menschen, die ER in Gericht und Gnade ruft und lockt. Es kann darum wohl sein, daß die Sache des Reiches Gottes durch ein träges, ungehor­sames, glaubensloses und feiges Geschlecht aufgehalten und dieses in die Wüste geführt wird und darin stirbt und ver­dirbt. Denn die Wüstenzeit mit dem großen Sterben und Ver­derben bleibt nicht erspart. Wohl die Schuld, die Sünden­schuld ist vergeben, nicht aber sind die Folgen dieser Sünde aufgehoben. Das ist wohl zu beachten. Die Folgen meiner Sünde muß ich vielleicht mein Lebtag weiter tragen, die kann und will mir Gott gegebenenfalls nicht abnehmen, wohl aber die Qual der lastenden Schuld. Darüber ist sich auch Mose im klaren, wenn er Gott Sein eigenes Wort vorhält (V. 18): Der Herr ist geduldig und von großer Barmherzigkeit und vergibt Missetat und Übertretungen und läßt niemand ungestraft …“Und Gott antwortet: „Ich habe es vergeben“, … dennoch aber schickt ER sie in die Wüste, damit sie dort samt ihren Leibern verfallen und dadurch innewerden, was es sei, wenn Gott die Hand abziehe (V. 32 u. 34). Ja, auch die unschuldigen Kinder – wie wir sagen würden – müssen die Untreue ihrer Väter tra­gen 40 Jahre hindurch! Sie, denen sie um den bösen Preis des Unglaubens, des Ungehorsams und böser Wege eine harte Zukunft glaubten ersparen zu können. Oh, daß wir’s doch ler­nen wollten, es nicht menschlich mit unsern Kindern „gut zu meinen“, sondern sie in Geist und in der Wahrheit Gottes zu lieben und mit ihnen zusammen uns übten: Gott wirklich über alle Dinge zu fürchten, zu lieben und zu vertrauen. Im andern Falle ersparen wir unsern Kindern wahrlich nichts, sondern eines Tages werden sie unsere Glaubenslosigkeit, un­seren Ungehorsam gegen Gott bitter mit Zins uns Zinseszins als unsere Untreue tragen müssen. Wir wissenʼs sonst doch auch etwa, lieber Unrecht leiden als Unrecht tun. Glauben wir wirklich, durch Feigheit, Verleugnung, Glaubenslosigkeit, Un­wahrhaftigkeit unsere Kinder lebenstüchtig zu erziehen und ihnen durch solch böse Mittel eine gute Zukunft erschwin­deln zu können? Wir werdenʼs eines Tages mit Jammern und Wehklagen erkennen und bereuen, daß es so nicht geht. Und wenn wir’s erst im letzten Gericht erkennen.

Aber Gott ist doch auch im Gericht barmherzig: „Eure Kinder, von denen ihr sagtet: Sie werden ein Raub sein, die will ich hineinbringen, daß sie erkennen sollen das Land, das ihr verwerft.“ Während die böse Gemeinde in der Wüste in 40 Jahren aufgerieben wird bis zum letzten Mann, darf gera­de in der harten Wüstenzeit ein neues glaubensfreudiges Ge­schlecht heranwachsen.

Aber auch die Gemeinde schickt Gott nicht ungetröstet in die Wüste. Das war noch ein Segen, daß sie einen Kaleb und Josua mit in die Wüste nehmen durften. Zwei Männlein sind es hier, dort bei Daniel drei, die noch im Glaubensgehorsam stehen. An dem Gehorsam von zwei oder drei kann Gott gan­ze Völker retten. Welche Verheißung hat der Gehorsam! Da verstehen wir, daß wir um nichts bitten als um den rechten, ganzen Gehorsam, dann werden Wunder geschehen!

„Da erschien die Herrlichkeit Gottes.“ Das ist reine Gnade! „Halt, Leute, daß ihr euch nicht ganz verrennt.“ Gott erhält der Welt immer wieder die paar Zeugen, die sie braucht. Das wissen rechte Zeugen und wollen sich auch nicht für ihr Le­ben selbst erhalten dadurch, daß sie plötzlich kreuzlahm, d.h. mit gebrochenem Rückgrat herumlaufen. Gott erhält für Sein Zeugnis die Zeugen. Wenn uns Gott Sein Wort nur im Munde etlicher treuer Zeugen erhält! Zwei genügen. Einer ge­nügt und kann eine neue Zeit heraufführen. Das dürfen wir an Luther sehen und hier an Kaleb. – „Aber meinen Knecht Kaleb, darum daß ein anderer Geist mit ihm ist und er mir treulich nachgefolgt ist, den will ich in das Land bringen, dar­ein er gekommen ist, und sein Same soll es einnehmen.“ – „Mein Kaleb“, sagt Gott. Ich weiß keine Stelle, wo Gott so traulich und geradezu so stolz von einem Menschen sagt „Mein“. Ja, bei der Taufe Jesu: dies ist mein lieber Sohn … und davon fällt hier ein Verheißungsstrahl auf Kaleb, den Sohn Jephunnes des Stammes Juda (13,6). Ja, diese Kaleb-Leute, das ist Gottes Stolz und Hoffnung und der Gemeinde Kleinod. „Ja, da kann Ich anknüpfen, da kann Ich ein klein wenig meine Hand darauf legen, kann ihn für Meine Sache brauchen und ihm ein klein wenig anvertrauen und auflegen.“ „Mein Kaleb.“ – Damit trägt Kaleb dieses „Mein“ Gottes wieder mit hinein in das ganze Volk und die ganze Gemeinde und darf fruchtbar werden: Mein Knecht Kaleb und sein Same soll das Land einnehmen. Noch ist der Same Abrahams nicht ausge­storben! Das ist die große Verheißung des Glaubens! Darüber loben wir zusammen mit Abrahams Samen den ewig reichen Gott.

Dem steht das klare Gericht des Ungehorsams zur Seite. Es ist hart und unerbittlich. Nicht ein Mann von denen, die Gott durch Ungehorsam und Verantwortlichtuerei gelästert haben, darf ins Land einziehen. Eine ganze Generation schei­det aus, wird von Gott als im Glauben untüchtig ausgeschie­den und in die Wüste geschickt zum Sterben. Das Volk, die Gemeinde und Kirche will sich nicht beugen unter Gottes Ur­teil. Sie sagen, Gott hat uns verziehen, also ist alles wieder gut. Meinen tun zu können, als wenn nichts gewesen wäre. Sie wollen nicht begreifen, daß eine Generation, die sich of­fenkundig lästerlich ungehorsam und ungläubig erwiesen hat, nicht einfach mir nichts dir nichts wieder weiter machen kann. So wollen sie nun heute plötzlich das tun, was sie ge­stern nicht tun wollten: Machen sich früh auf eigene Faust auf und wollen jetzt plötzlich den Einzug halten. Aber das geht nicht. Gott ist wohl ein gnädiger Gott, der geduldig und von großer Barmherzigkeit ist und Missetat vergibt, der aber auch ein eifriger Gott ist, der die Sünden heimsucht an den Kindern bis ins 3. und 4. Glied. Bei Gott ist die Vergebung, daß man ihn fürchte. Wohl, Gott vergibt die Missetat, aber er kann und will deshalb den lästerlichen Unglauben nicht ungeschehen machen. Es gibt auch hier eine gewisse, saubere, innere Ord­nung, die eingehalten werden muß.

Wo stehen wir heute? Sind wir noch auf dem Weg ins ver­heißene Landi Oder sind wir schon auf dem Weg in die Wü­ste? Wer weiß es sicher zu sagen? Aber das können wir gewiß sagen: Uns ruft das Wort Gottes noch immer, dieweil wir noch auf dem Wege sind, auch dieses Wort von 4. Mose 13 und 14. Daß wir uns rufen ließen!

Schaff in mir, Herr, den neuen Geist,
der dir mit Lust Gehorsam leist’t
und nichts sonst, als was du willst, will
ach Herr, mit ihm mein Herz erfüll!

Amen.

Quelle: Karl Steinbauer, Vom Gehorsam des Glaubens. Mosepredigten, Theologische Existenz heute, Neue Folge Nr. 2, München: Christian Kaiser, 1946.


[1] Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Lutherzitate aus: Martin Luther, Des Glaubens Trost und Trutz; Briefe aus der Veste Coburg, Chr. Kaiser Verlag, München 1936. Mit gutem Bedacht sind die Zitate aus der Zeit des Augsburger Reichstags genommen, zwei­fellos einer der entscheidungsschwersten Zeiten unserer evangel.-luth. Kirchengeschichte.

Hier der Text als pdf.

Hier Günther Dehns Rezension.

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