Von Martin Luther
Die heilige Schrift ist Gottes Wort, geschrieben und (auf daß ich so rede) in Buchstaben gebracht, gebildet, gleich wie Christus, das ewige Wort Gottes, in die Menschheit verhüllet ist. Und gleich wie Christus in der Welt gehalten und behandelt ist, so gehets dem schriftlichen Gotteswort auch. Es ist ein Wurm und kein Buch, mit anderen Büchern verglichen. Denn solche Ehre mit Studieren, Lesen, Betrachten, Behalten und Brauchen geschieht ihm nicht, wie anderer Menschen Schriften. Gehts ihm gut, so liegts unter der Bank usw. Die andern zerreißens, kreuzigens, geißelns und tun ihm alle Marter an, bis sie es auf ihre Ketzerei, Sinn, Mutwillen deuten und dehnen, zuletzt ganz verderben, töten und begraben, so daß es aus der Welt gestoßen und vergessen wird. An seiner Stelle aber sitzet die Hure mit dem goldenen Kelche, Dekretalen und andern Rottenbüchern. Aber es muß doch bleiben und wiederaufkommen, da hilft kein Hüten noch Wehren.
Darum ist das ein gutes Zeichen; wem die teure Gabe geschenkt ist, daß er Liebe und Lust zur Schrift hat, sie gerne lieset, hoch und wert hält, den ehret umgekehrt gewißlich Gott, daß er das rechte Siegel der berufenen und erwählten Heiligen hat und unter der Apostel und anderer Heiligen Haufen gehöret, die nicht mit der verdammten Welt meinen, daß Christus ein Wurm sei usw., sondern mit Petrus (Matth. 16, 16) bekennen, er sei des lebendigen Gottes Sohn, und die Schrift sei von dem heiligen Geist geschrieben.
WA 48,31.
Quelle: Martin Luther, Auslegung vieler schöner Sprüche göttlicher Schrift, daraus Lehre und Trost zu nehmen, in: Luther Deutsch. Die Werke Luthers in Auswahl, hrsg. v. Kurt Aland, Bd. 5: Die Schriftauslegung, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 41990, S. 342f.