Karl Barth, Christus und die Christen (1947): „Es geht für den Christen darum, die Freude zu bezeugen, die ‚im Himmel‘ ist. In dieser Freude dürfen wir leben, d. h. in Jesus Christus sind wir Menschen, die schon getröstet sind und die, auch wenn sie es schwer haben, nicht verzweifeln müssen, sondern die durch Christus fest genug gehalten sind, um gegen den Betrug der Welt, gegen den Unfug der Kirche und gegen ihre eigene Verkehrtheit immer wieder einen Abend und einen Morgen überstehen zu können. Das bißchen Manna, das die Israeliten in der Wüste jeweils gerade für einen Tag bekommen haben, um jeweils zu diesem Tag wieder herzlich Ja zu sagen, wird auch uns nicht fehlen, wenn wir nur hinlaufen, es aufzusammeln, wo es vom Himmel gefallen ist. So steht es mit dem Leben unter dem christlichen Trost. Man kann ihn nicht aufsparen, man kann ihn sich immer wieder schenken lassen. Aber er wird einem auch geschenkt. Und indem man ihn aufnimmt, muss man nicht verzweifeln, sondern ist man ein durch Christus Getrösteter, getröstet in der Welt und in der Kirche, getröstet auch in seinem eigenen Herzen und Gewissen.“

Christus und wir Christen (1947)

Von Karl Barth

Unser Thema hat die Eigenschaft, sehr einfach zu sein. Christus und wir Christen: da haben wir nicht von irgendwelchen Verwirklichungen, Aufbauten und Gestaltungen, sondern auf alle Fälle von einer Grund­legung zu reden, die sicher vieles im Gefolge hat, die aber in sich ganz einfach ist.

Was wir im heutigen Europa und insbesondere auch im heutigen Deutschland brauchen, das sind Grundlegungen. Wir stehen heute und hier vor einem unerhörten Zusam­menbruch: der Häuser, Kirchen und Städte nicht nur, son­dern des Staates, der Wirtschaft, der Gesellschaft, der individuellen und der sozialen Moral und alles dessen, was man bisher Kultur nannte. Und damit im Zusammen­hang und vielleicht zuerst und vor allem vor einem all­gemeinen Zusammenbruch der Lebensfreude und des Lebensmutes! Er ist nicht nur zu erklären durch den er­folgten äußeren Druck und Angriff auf das Gebäude des menschlichen Lebens und Zusammenlebens. Sondern wenn dieses Gebäude diesem Druck und diesem Angriff nach­gab, dann geschah das darum, weil seine Grundlagen ge­wichen waren. Ohne ein neues Suchen nach den Grund­lagen können heute auch die wichtigsten und brennendsten Fragen des Aufbaus nicht sinnvoll gestellt werden.

Der allgemeine Zusammenbruch betrifft auch uns Chri­sten, auch die christliche Gemeinde oder Kirche. Und es geht auch für uns Christen nicht in erster Linie um diese oder jene Fehler oder Mängel, sondern um eine Grund­lagenkrisis. Würden die Grundlagen draußen in der Welt, im Staat und in der Gesellschaft so versagt haben, wenn sie nicht vor allem auch drinnen, bei uns Christen, versagt hätten? Wir werden wohl tun, heute nicht zuerst nach dem zu fragen, woran es in diesem Volke oder bei den anderen Völkern politisch, kulturell, moralisch, sozial gefehlt hat und noch fehlt. Um dann die allgemeine Ermahnung anzu­schließen, daß die Welt zum „Christentum“ zurückkehren sollte! Wir werden vielmehr wohl tun, danach zu fragen, woran es bei uns fehlt, die wir mit Ernst Christen sein wollen!

Darum wählte ich nicht ein Thema, das vielleicht lau­ten könnte: „Christus und die Universität“ oder „Christus und der Kommunismus“ oder „Christus im Zeitalter der Atombombe“, sondern ganz einfach: „Christus und wir Christen“. Ich will jetzt auch Bismarck und Hitler, Natio­nalismus, Nationalsozialismus und Demokratie, so wichtig das Alles ist, für einmal auf sich beruhen lassen. Wer Ohren hat zu hören, wird ohnehin hören, was auch dazu zu sagen wäre. Sollen jetzt Grundlagen bereinigt werden, wie dies heute notwendig ist, dann soll ein Jeder, soll auch der Christ – zuerst vor seiner eigenen Türe wischen und nicht vor denen der Anderen. Wir kennen den Schlußvers in Luthers Kleinem Katechismus: „Ein Jeder lern’ sein Lektion, so wird es wohl im Hause stoh’n“. Solange wir Christen unsere eigene Lektion nicht gelernt haben – sie vielleicht noch nicht einmal richtig kennen -, kann auch alles andere nicht wohl stehen. Darum unser Thema: „Christus und wir Christen“.

I. Christus ist Gottes Wort

Wir Christen sind Menschen, für die dieser Name eine Verheißung und Zusage bedeutet – indem Christus uns dazu beruft, Christen zu sein.

Wir Christen: Wie kommt es zur Zusammenstellung dieser beiden Worte? Jeder frage sich selber, ob sie nicht sehr merkwürdig ist? Nun, Luther hat einmal gesagt: „Ein Christ steht nicht im Gewordensein, sondern im Werden“. Lassen Sie mich das überset­zen: Wir sind Christen, indem es geschieht, daß Chri­stus uns. dazu beruft, Christen zu sein. Wir sind also nicht etwa Christen, indem wir Menschen des sog. christlichen Abendlandes sind. Wir sind auch nicht Christen, indem wir Glieder eines sog. christlichen Volkes sind. Wir sind es auch nicht, weil wir in einer sog. christlichen Familie und Umgebung aufgewach­sen sind. Wir sind es aber auch nicht, weil wir eine sog. religiöse Veranlagung haben. Eine solche reli­giöse Veranlagung könnte uns auch ganz anders­wohin führen. Religion hat an sich nichts mit Christen­tum zu tun, wie es andererseits auch Christen gibt, die gar nicht besonders religiös veranlagt sind. Und wir sind auch nicht Christen, weil wir eine sog. christliche Weltanschauung haben, weil wir uns einer christlichen Moral befleißigen oder vielleicht gar für Staat und Kir­che ein christliches Programm im Kopf haben! Man kann nicht Christ sein, wie man Mitglied einer Partei oder eines Vereins ist, und man ist auch nicht Christ, wie man katholisch oder lutherisch oder reformiert ist. Das alles gehört noch zum Gewordensein und hat mit dem Ruf Christi noch nichts zu tun.

Der Christenname bezieht sich also nicht auf einen gewissen Besitz gewisser Menschen, nicht auf ein Programm oder eine Theorie, nicht auf einen An­spruch, mit welchem ein Mensch sich getrauen dürf­te, vor Gott und die Menschen hinzutreten, oder mit welchem er sich auch nur vor sich selber rechtfertigen könnte. Wir Christen sind notwendig arme, beschei­dene Menschen, und zwar darum, weil wir ja nur Christen sind, indem der Ruf Christi an uns ergeht und so unser Christsein immer im Werden und im Gewordensein steht. Wir sind Christen, indem Christus ist und lebt und handelt, und zwar so ist und lebt und handelt, daß er dies auch für uns erkennbar und be­merkbartut. Das ist das Werden, in dem wir Christen stehen.

Um also zu erfassen, wer und was wir Christen sind, müssen wir vor allem fragen: Wer und was ist Chri­stus? Darauf ist zu antworten: Er ist 1. ein Mensch, Jesus von Nazareth, der als solcher Gottes Wort ist und als Gottes Wort für uns lebt und handelt. Und er ist 2. Gott selber, der in diesem Wort – und als dieses Wort für uns lebendig und kräftig ist.

Er ist Gottes Wort für uns, indem er zu uns redet und uns anruft. Der Inhalt aber dieses Gotteswortes ist ganz einfach wieder Er selber. „Ich bin für dich und du bist mein!“ Insofern ist das Wort Anrede und Aufruf und Berufung: „Folge mir nach!“ In dieser Be­rufung besteht die Kraft des christlichen Seins und Namens.

So sind der christliche Name und das christliche Sein eine „dynamische“ Wirklichkeit. Aber „Dynamis“ ist die Dynamis Gottes in seinem Wort und nicht die unsrige. Was wir haben und sind, das haben und sind wir in der uns in Christus gegebenen Verheißung und Zusage: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Was bleibt uns schon übrig, als mit Paulus zu sagen: „Nicht, als ob ich es schon ergriffen hätte …“ Aber nun wie­derum mit Paulus: „Ich vermag alles durch den, der mich stark macht, Christus!“ Wir werden Christen, indem Gott durch sein Wort unser Meister wird. „Er spricht, so geschieht es“. In diesem Geschehen sind wir Christen.

II. Christus ist Gottes Erbarmen in eigener Person

Wir Christen sind Menschen, die vor anderen nur dies voraus haben, daß sie Gottes Erbarmen in Christus zu erkennen und zu erfahren an fangen dürfen.

Niemand kann weniger geneigt sein als wir Christen, sich selber für besser, für frömmer, für gescheiter zu halten als die anderen. Und niemand kann tiefer, not­wendiger und vollständiger in der Solidarität mit allen Menschen stehen als wiederum wir Christen. Denn wir wissen, daß wir Menschen insgesamt und aus­nahmslos Erbarmen nötig haben, daß wir nur von Erbarmen leben können.

Woher wissen wir dies? Wir wissen es nicht auf Grund einer besonderen Theorie über den Menschen und die menschliche Situation und also nicht darum, weil wir besonders tief und gründlich ins Menschenle­ben hineingeblickt hätten und in der Lage wären, ernster und besorgter vom Menschen zu denken und zu reden: nicht also, weil wir Christen berufsmäßig Pessimisten wären! Sondern wir wissen das, weil wir wissen, daß uns Menschen Erbarmen widerfahren ist: Erbarmen, nicht Mitleid, echtes, freies und unver­dientes, wirksames Erbar­men Gottes. Wir Christen wissen, daß wir von diesem Erbarmen Gottes leben dürfen und von ihm allein leben können. Indem uns Jesus Christus zu sich ruft, ist uns ja Gottes Erbarmen in Person, ist uns der erbarmende Gott selber be­kannt: Immanuel, Gott mit uns, d. h. Gott mit einem sündigen Volk, der Heiland einer verlorenen Welt, das Licht, das in der Finsternis scheint, der König mitten unter seinen Feinden und Widersprechern. Wo man Gott so kennt – und wir Christen dürfen ihn so kennen da ist es zu Ende mit des Starken, des Reichen, des Mächtigen Stolz, aber auch mit aller Überheblichkeit des Geistesmenschen, des Mystikers, des Moralisten und des Frommen. Sie sind dann gegenstandslos. Denn wo man Gott so kennt, da ist man in der Wur­zel seines Daseins zusammen mit jedem – ausnahms­los jedem – Menschen in seiner Sünde und Not, und zwar so, daß dieses Zusammensein selbstverständlich ist.

Was unterscheidet uns Christen von den anderen Menschen? Genau nur das, daß wir den Ruf Christi gehört haben und also die Herrlichkeit des göttlichen Erbarmens in der Person dieses Einen an unserem Teil zu erfahren anfangen dürfen. Das Erbarmen Gottes gilt allen Menschen und wahrhaftig nicht nur uns Christen, wie auch alle es nötig haben und wir Christen wahrhaf­tig am meisten! „Gott war in Chri­stus und versöhnte die Welt mit sich selbst“ und: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einge­borenen Sohn dahingab“. Wer sind wir Christen? Wir sind nur diejenigen, denen Augen, Ohren und Herzen – nicht durch unsere Kraft, sondern durch die Kraft Gottes – geöffnet sind, so daß wir Gottes Erbarmen vor anderen bemerken und dafür dankbar sein dür­fen. Dieses Bemerken und diese Dankbarkeit, dieses Leben mit offenen Augen, Ohren und Herzen, das ist es, was man den christlichen Glauben nennt.

Wir dürfen anfangen, Gottes Erbarmen zu erkennen und zu erfahren. Aller christlicher Glaube kann nur ein Anfang sein. Es ist ein Anfang, daß wir inmitten aller Menschen, die noch nicht glauben oder nicht mehr glauben, diesen Glauben haben, daß wir diese Posi­tion einer Vorhut einnehmen dürfen. Und der Glaube ist auch in uns selber ein Anfang, denn unser Bemer­ken und Erkennen der göttlichen Verheißung und Zusage wird sich zu dieser Verheißung und Zusage selber immer verhalten wie eins zu unendlich: die Tiefe unserer Erkenntnis und Erfahrung zur Tiefe des göttlichen Erbarmens wie eins zu un­endlich, und unser Gehorsam zum Aufruf Christi selber wie eins zu unendlich. Und so wird gerade der, der glaubt, gern einstimmen in das Wort des Mannes im Evangelium: „Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben“.

So sind wir Christen anders als die anderen. Wir sind es, indem wir als Sünder unter Sündern, als Verlorene unter Verlorenen diesen Anfang machen und besser als sie wissen dürfen, daß wir nicht besser sind. Wir dürfen den anderen darin voran sein, daß wir besser als sie wissen, daß sie und wir allein durch Gottes Erbarmen leben dürfen.

III. Christus hat ein Feuer angezündet auf Erden

Wir Christen sind Menschen, die Christus die Freiheit verdanken, als Gottes Kinder der Offenbarung seines Reiches entgegenzusehen.

Indem wir Christen durch Christus zur Erkenntnis und Erfahrung des göttlichen Erbarmens aufgerufen sind, ist uns eine ganz bestimmte Freiheit geschenkt: die Freiheit, kraft welcher uns Sünde, Tod und Teufel, die materiellen, die geistigen und die politischen Mächte und Reiche dieser Welt in ihrer Gottesfeind­schaft und Lebensgefährlichkeit nicht mehr letzte und absolute Realitäten sein müssen, in der uns vielmehr alles das, was jetzt und hier in der Welt groß, stark, bedeutend, gottlos und bedrohlich sich gebärdet, durchsichtig geworden ist. Wir dürfen sehen und er­kennen, daß allen Reichen dieser Welt durch das Erbarmen Gottes eine Grenze gesetzt ist. Und sehen dürfen wir – das ist das eigentlich Wichtige – jenseits dieser Grenze das Reich Gottes, das, indem es Gottes Reich ist, zugleich die Welt des befreiten, des erlösten und ewig lebenden Menschen ist. Diesem Kommen­den sehen wir entgegen, dieser Zukunft harren wir.

Daß es Menschen gibt, die in dieser Erwartung leben dürfen, das ist das Feuer, das Christus nach seinen eigenen Worten auf Erden anzuzünden gekommen ist. Das ist die Revolution, die in Christus auf Erden begonnen hat. Das ist das Werk des Heiligen Geistes, den er den Seinen verheißen hat.

Die Freiheit, solche Menschen zu sein, ist eine uns Menschen ganz fremde, ganz neue Freiheit. Luther sagt in der Erklärung zum 3. Artikel: „Ich glaube, daß ich nicht aus eigener. Vernunft noch Kraft an Jesum Christum meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen …“ Wir sind, wenn wir solche Menschen sind, die auf das Reich Gottes warten, was wir nur durch Christi Zuruf sein können: seine, des Sohnes Gottes Brüder und so Gottes Kinder, Mit­erben seiner Herrlichkeit, bewegt und getrieben von seinem Geiste. Aber solche Menschen der Erwartung und Hoffnung zu sein, das wird in Christus unsere eigene Freiheit. Durch den Heiligen Geist des kom­menden Reiches gewahr und gewiß sein, das bedeutet notwendig einen neuen Boden, auf dem wir stehen, eine neue Luft, in der wir atmen dürfen, eine be­stimmte Änderung unserer Sicht und Haltung schon in dieser Erwartungszeit. Eine Änderung, die erst ein Anfang ist: ein kleiner Anfang, mit dem wir immer wieder werden neu anfangen müssen, aber eine sehr reale Änderung.

Lassen Sie mich – nur als Beispiele des Vielen, das hier anzumelden wäre, zwei Dinge anführen, die mir gerade in Deutschland beachtlich erscheinen:

1. Der Heilige Geist, der uns diese Freiheit schenkt, ist der abgesagte Feind aller Metaphysik, das heißt aller Vernebelung der nüchternen und nüchtern zu be­trachtenden Gegebenheiten und Zusammenhänge des menschlichen Daseins und seiner Geschichte durch tiefsinnige Konstruktionen, durch positive oder negative Verabsolutierungen dessen, was eben nicht mehr absolute, sondern nur noch relative und prak­tische Bedeutung haben dürfte, was ernst zu nehmen ist, aber durchaus nur auf einer unteren Ebene ernst genommen werden darf. Der Heilige Geist macht uns damit frei, daß er uns resolut auf diese untere Ebene stellt: er stellt uns mit beiden Füßen auf diese Erde und verwehrt uns alle Freiballonfahrten in eine Höhe und alle Unterseebootfahrten in eine Tiefe, in denen nur Träumereien und Räusche zu holen und zuletzt Mord und Totschlag zu erwarten sind.

2. Der Heilige Geist, der der abgesagte Feind aller Metaphysik ist, ist der ausgesprochene Freund des gesunden Menschenverstandes, der die Dinge wer­tet, wie sie sind und der ihnen zugleich mit einer Qualität zu begegnen weiß, die heute unentbehrlicher scheint denn je: mit Humor nämlich, d. h. mit der Fähigkeit, sich selber im Abstand und also in seiner eigenen Komik zu sehen. Es ist eine schlimme Sache und vielleicht selber das Zeichen einer noch viel schlimmeren Sache, daß den Menschen gerade diese Fähigkeit so weithin abhanden gekommen ist. Zu einer wirklichen und gerade zu einer christlichen Erneuerung wird es dann erst gekommen sein, wenn einige von uns zu Verstand kommen, die Einsicht, daß zweimal zwei vier ist, vollziehen und dann auch und gerade über sich selber wieder ein wenig lachen werden. Der Heilige Geist erlaubt uns nämlich nicht nur, sondern gebietet uns die Besonnenheit, die schlicht nach dem fragt, was heute möglich und vernünftig ist, die alles ernst und gerade gar nichts „tra­gisch“ nimmt. Wie schön wäre es, wenn dieses Wort aus der christlichen Sprache wieder ganz verschwinden würde! Tragik ist nämlich die Quelle alles Unverstandes. Der Herr erlöse uns von der Tragik! Und eben das tut er auch.

Das alles, weil er der Heilige Geist, der Geist der Erwartung des Reiches Gottes ist. Wo er ist, da ist Freiheit.

IV. Christus ist der Herr

Wir Christen sind Menschen, die Christus gewürdigt hat, sie als seine Boten und Zeugen an seinem eigenen Dienst zur Ehre Gottes und zum Heil aller Menschen zu beteiligen.

Christus ist wie der Grund so auch das Ziel unseres Christennamens und unseres Christseins. Daß wir Christen sind, das ist ja nicht Selbstzweck, das ist nicht das Ende der Wege Gottes. Wenn Paulus davon redet, wie er von Christus gerufen wurde, um in Christus leben zu dürfen, dann war er nicht der Mei­nung, daß ihm das geschenkt worden sei, damit er ein großer und frommer Paulus sein dürfe, sondern immer wieder betonte er, daß sein Christsein unbe­dingt und unabtrennbar verbunden sei mit seiner Berufung zum Gesandten und Knecht Christi. Chri­stus gibt uns Christen das Leben und die Freude, die Freiheit und die Hoffnung dazu, daß wir tüchtig würden, Arbeiterin seinem Weinberg und Mitarbeiter an seinem Werk zwischen seiner ersten Erscheinung und der Offenbarung seines Reiches zu werden. Er hat uns gewürdigt, uns an seinem Christsein zu beteiligen.

Er selber, Christus, ist ja nicht zu seiner eigenen Ehre gekommen, sondern er war und ist der Herr „zur Ehre Gottes des Vaters“. Und er ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern: „Ich bin gekommen zu dienen und mein Leben hinzugeben für viele“. Da­mit ist aber entschieden darüber, was Christsein bedeutet. Besser läßt es sich nicht sagen, als es im Heidelberger Katechismus in Frage 32 ausgeführt wird: „Warum aber wirst du ein Christ genannt? Weil ich durch den Glauben ein Glied Christi und also seiner Salbung teilhaftig bin, auf daß auch ich sei­nen Namen bekenne, mich ihm als ein Dankopfer dar­stelle und mit freiem Gewissen in dem Leben wider die Sünde und den Teufel streite und hernach in Ewigkeit mit ihm über alle Kreaturen herrsche.“ Das ist gemeint, wenn ich sage, Christus hat uns gewür­digt, uns an seinem Christ-Sein zu beteiligen. Was wir als Christen empfangen, empfangen wir als Aus­rüstung zur Beteiligung am Dienst Christi. Dieser Dienst Christi ist aber in der Sache derselbe wie der Dienst der Apostel: die durch unser Leben sichtbar zu machende Botschaft, der Dienst des Zeugen.

Botschaft und Zeugnis: mehr als das kann unser Dienst nicht sein. Es darf hier keine Konfusion geben: Christus ist der Herr, wir sind die Diener. Er ist es, von dem wir zeugen. Wehe uns, wenn wir selber kleine Christusse sein wollten! Weniger freilich als Botschaft und Zeugnis kann unser Dienst auch nicht sein. Unsere Aufgabe als Christen besteht darin, Christus bekannt und also Gottes Erbarmen sichtbar zu ma­chen. Nicht in einer Gleichung mit Christus, aber im Gleichnis unserer menschlichen Worte und Taten. Das ist der Sinn des Gesetzes und aller Gebote, daß wir, indem wir Christen sind und heißen, aufgerufen sind, Gleichnis zu werden mit allem, was wir sind und tun. Was man als die Aufgabe der Kirche der Welt gegenüber beschreiben kann, wird auf dieser Linie verlaufen müssen: Botschaft und Zeugnis in der Gestalt von Gleichnis. „Ihr sollt meine Zeugen sein.“ „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott.“ – Mehr ist nicht verlangt von uns – und wehe uns, wenn wir uns mehr zutrauen wollten! aber das allerdings ist verlangt – und wehe uns, wenn wir das unterlassen wollten! Denn das ist das Telos des Christenstandes unter der Herrschaft Jesu Christi.

V. Christus ist das Haupt seiner Gemeinde

Wir Christen sind Menschen, die durch Jesus Chri­stus zu einem einzigen, in seinem Dienst lebenden Leibe zusammengeschlossen sind.

Es muß in diesem Satz das Wörtlein „wir“ unseres Themas zu Ehren kommen. Wir Christen: Wer sind diese „wir“? Wir, d. h. zweifellos: ein jeder einzelne von uns in seiner einmaligen, unwiederholbaren Le­benssituation. Jeder einzelne mit seiner Erfahrung, seiner Sünde, seiner Not, mit allem, was so nur seine Sache ist, wo es gilt: „Da tritt kein anderer für ihn ein, auf sich selber steht er da ganz allein.“

Aber dieser Ruf Christi, der an jeden einzelnen ergeht, ist der eine Ruf, der sich als solcher an viele richtet, so daß wir alle von ihm gerufen sind und durch ihn in die Gemeinschaft des unergründlichen, göttlichen Erbar­mens und in die Hoffnung auf sein Gottesreich ge­stellt und der Freiheit des Geistes teilhaftig gemacht sind. Indem die Menge der einzelnen als einzelne zu­gleich die vielen sind, und indem wir es gewahr wer­den, daß wir nicht allein, sondern mit anderen zusam­men diese vielen sind, von denen ein jeder von Chri­stus gerufen ist, entdecken wir die Wirklichkeit der Gemeinde, man darf auch sagen: der Kirche, wenn man nämlich unter Kirche nicht irgendein in der Höhe schwebendes Dach mit einem Kreuz oder einem Gockelhahn versteht, eine Anstalt mit einem Dogma, einer Liturgie und einer Kirchenverfassung, repräsen­tiert durch Herren mit schwarzen Talaren und weißen Bäffchen, sondern wenn unter Kirche endlich wieder verstanden wird das Ereignis der Versammlung der vielen auf Grund des einen Rufes Christi. Wenn also unter Kirche nicht die Statik einer Institution und auch nicht die Dynamik eines menschlichen Enthu­siasmus oder einer menschlichen Frömmigkeit ver­standen wird, sondern die Statik und Dynamik Jesu Christi, seines Rufes, der uns nicht als einzelne in un­serer Ecke stehen läßt, sondern der uns zu Gliedern seines Leibes macht und uns herausholt in die Wirk­lichkeit seiner Gemeinde – dann mag man die Sache auch Kirche nennen und unter diesem Namen ehren, dann dürfen und wollen wir einstimmen in das Be­kenntnis: credo ecclesiam!

Auch die christliche Gemeinde ist nicht Selbstzweck. Auch der Leib Christi lebt wie sein Haupt Jesus Chri­stus nicht für sich, sondern zuerst für dieses Haupt und, um dieses Hauptes willen, in seinem Dienste. Die Christengemeinde ist von diesem Haupt her not­wendig ausgerichtet auf das Heil aller Menschen. An der Stelle im Neuen Testament, an der zum erstenmal der Name „Christen“ erscheint, heißt es: „Und es geschah, da sie unter sich zu einem Ganzen zusammenkamen und viel Volk lehrten, daß sie zuerst in Antiochien Christen genannt wurden“ (Apostelgesch. 11,26). Der Christenstand steht von Haus aus unter dem Wort: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Dieses Licht­sein der Gemeinde in der Welt umfaßt beides: Anbe­tung und Verkündigung, das Zusammen kommen der Christen unter sich und ihre Zuwendung nach außen, daß sie viel Volk lehrten. Der Dienst Gottes und der Dienstanden Menschen sind also nicht voneinander zu trennen, sondern der eine bildet notwendig den Sinn und die Kraft des anderen. Eine Anbetung – Litur­gie! – die nicht unmittelbar zur Verkündigung führt, wäre eine faule Sache, und umgekehrt wäre eine Verkündigung, die nicht in der Anbetung grün­dete und nicht immer wieder in sie mündete, eine hohle Sache. Man darf in der christlichen Gemeinde nicht hin und her eilen zwischen diesen zwei Polen, so daß man vielleicht, wenn man nicht mehr versteht, was Anbetung ist, sich um so eifriger in die Verkün­digung stürzt, oder daß man, wenn man in der Aus­richtung der Botschaft nicht mehr getreu ist, sich in die schöne Welt der Liturgie flüchtet. Weder die Litur­gie noch die Verkündigung darf zur Fluchtbewegung werden, bei der notwendig eines vernachlässigt wer­den müßte. Kirche ist Kirche für Gott und gerade so Kirche für die Welt, Kirche für die Welt und gerade so Kirche für Gott. Nur eine „Kirche für sich“ gibt es nicht. Die Kirche kann niemals Selbstzweck sein, sie steht ihrem Wesen nach im Dienste Gottes und der Menschen.

Und diesem Dienst sind alle Christen in gleicher Weise verpflichtet und verantwortlich. Das Wort „Amt“ würde vielleicht gleichfalls am besten eine Zeitlang aus dem christlichen Sprach­gebrauch verschwinden. Es gibt nicht Christen verschiedenen Ranges und ver­schiedener Stellung. Das wäre ein frecher Angriff auf die christliche Grundwahrheit. Es gibt keine „Geist­lichen“, die nicht auch „Kirchenvolk“ wären, und kein „Kirchenvolk“, das nicht auch „geistlich“ wäre! Wenn es Besonderungen gibt, so können sie nur in einer Verschiedenheit des Dienstes bestehen. Jeder Dienst aber ist charismatischer Dienst. Es ist die Erinnerung an das Charisma und damit an den Heili­gen Geist, die in unserer Kirche neu lebendig werden muß, wenn es wieder lebendige Gemeinde geben soll. Außerhalb der Einheit dieses Dienstes, der allen auf­getragen ist und für den alle verantwortlich sind, gibt es keinen Christenstand. In diesem Sinne: Extra eccle­siam nulla salus! Wer nicht dienen will, der hat nicht begriffen, was Christ-sein heißt. Die Gemeinde ist die Bruderschaft und Schwesternschaft, in der das Lob Gottes, die Anbetung der Engel, das „Ehre sei Gott in der Höhe“ aus der Weihnachtsgeschichte und in der – und das ist nicht vom Ersten zu trennen – der „Friede auf Erden unter den Menschen des Wohlge­fallens“ abgebildet wird. Christ-sein heißt: mit ande­ren in dieser Bruderschaft zum Lobe Gottes und zur Verkündigung des Friedens auf Erden verbunden sein.

VI. Christus ist der Tröster

Wir Christen sind Menschen, denen es durch Gott ge­geben ist, an der Welt, an der Gemeinde, an uns selbst nicht verzweifeln zu müssen, sondern in aller Widrigkeit guten Mutes sein zu dürfen.

Wir Christen leben in der Welt, das heißt aber in einer Umgebung, die Christus noch nicht oder nicht mehr kennt und die darum Versuchung und Anfechtung bedeuten kann. Es gibt aber eine Versuchung und Anfechtung, die den Christen stärker anficht als die Welt, und das ist die, die von der Gemeinde selber ausgeht. Die Heiden und die Gottlosen müßten es schon arg treiben, wenn sie uns in unserem Glauben erschüttern wollten. Aber man möchte wohl mitunter irre werden, wenn man sieht, was im Raum der Kirche alles möglich wird! Und wie die Gemeinde in ihrem Dienst versagen kann! Die größte Versuchung und Anfechtung aber kommt aus uns selber. Wir Christen sind Menschen, und das heißt Geschöpfe, deren Undankbarkeit und Verstocktheit gen Himmel schreit. Wir sind also auf der ganzen Linie: in der Welt, in der Kirche und vor allem bei uns selber in einer noch nicht erlösten, der Offenbarung des Rei­ches erst entgegengehenden Welt voll Ungenügen und Widrigkeit.

Hier, in dieser Welt, haben wir unsern Stand und unsere Aufgabe als Christen. Hier soll unser Dienst stattfinden zur Ehre Gottes und zum Heil der Men­schen. Hier, hinter diesem Stacheldraht, dürfen wir die frohe Botschaft ausrichten und dann selber auch ein wenig froh sein. Diese Freude kann man sich nicht verschaffen, indem man sich mit irgendeiner christ­lichen Weltanschauung tröstet, in der vielleicht „alles nicht so schlimm“ scheint. Aber wir müssen uns ja auch gar nicht selber trösten. Wir sollen es gar nicht.

Und es ist vor allem einfach nicht nötig, daß wir uns selbst trösten. Denn es geht für den Christen ja dar­um, die Freude zu bezeugen, die „im Himmel“ ist. In dieser Freude dürfen wir leben, d. h. in Jesus Christus sind wir Menschen, die schon getröstet sind und die, auch wenn sie es schwer haben, nicht verzweifeln müssen, sondern die durch Christus fest genug ge­halten sind, um gegen den Betrug der Welt, gegen den Unfug der Kirche und gegen ihre eigene Ver­kehrtheit immer wieder einen Abend und einen Mor­gen überstehen zu können. Das bißchen Manna, das die Israeliten in der Wüste jeweils gerade für einen Tag bekommen haben, um jeweils zu diesem Tag wie­der herzlich Ja zu sagen, wird auch uns nicht fehlen, wenn wir nur hinlaufen, es aufzusammeln, wo es vom Himmel gefallen ist. So steht es mit dem Leben unter dem christlichen Trost. Man kann ihn nicht aufspa­ren, man kann ihn sich immer wieder schenken las­sen. Aber er wird einem auch geschenkt. Und indem man ihn aufnimmt, muß man nicht verzweifeln, son­dern ist man ein durch Christus Getrösteter, getröstet in der Welt und in der Kirche, getröstet auch in sei­nem eigenen Herzen und Gewissen.

Als solche Getröstete bekommen wir, was wir brau­chen: ein bißchen Geduld (auf griechisch Hypomone: Ausharren) und ein bißchen Zuversicht (Parrhesia: Freudigkeit) und ein bißchen Entscheidungskraft (Hypakoe: Gehorsam), um die nötigen Schritte zu tun: daß wir in aller Widrigkeit guten Mutes sein dürfen. Dieser „gute Mut“ ist uns in Christus gewährleistet und damit nicht ein Lebensprogramm, aber die Mög­lichkeit einer schmalen und klaren Lebenslinie, auf der es (über Berge und durch Täler) aufwärts und vorwärts geht, „daß wir je länger je mehr zu dem Ebenbilde Gottes erneuert werden, bis wir das Ziel der Vollkom­menheit nach diesem Leben erreichen“ (HK Fr. 115).

VII. Christus ist Sieger

Wir Christen sind Menschen, denen Christus die ein­zige, dafür aber die gewisse Hoffnung für alle und alles ist.

Christus ist Sieger. Sieg ist mehr als Trost. Und Hoff­nung ist mehr als guter Mut. Vielleicht krankt das über­lieferte Christentum vor allem auch daran, daß wir Christus im besten Fall als Tröster und seine Gabe im besten Fall als guten Mut, als die Gabe der Geduld und der Zuversicht und der Entscheidungskraft ver­stehen. Das ist nichts Geringes, aber es gibt noch einen weiteren Horizont. Wir würden als Gemeinde Jesu Christi nicht nur uns selbst, sondern auch Gott und den Menschen ein Entscheidendes schuldig blei­ben, wenn wir uns nicht klarmachen wollten, daß das Christentum nicht nur eine Karfreitagsseite hat, son­dern auch eine Osterseite. Das Kreuz ist ja eben recht verstanden nicht ein Zeichen des Paradoxes und der dunklen Rätselhaftigkeit, sondern das Zeichen des Sieges. In hoc signo vinces! Was uns not tut, das ist eine Christenheit, die an die Botschaft der Ostern glaubt. Bleibt man beim Geheimnis des Kreuzes als solchem stehen und läßt den „Trost“ das letzte Wort sein, dann liegt die Gefahr nahe, daß das Evangelium, die frohe Botschaft, doch wieder als unfrohe Bot­schaft verstanden wird, als Verkündigung eines neuen und ganz schweren, ganz hohen, ganz heiligen, ganz verpflichtenden Gesetzes, in dem Christus als Ur- und Vorbild seiner Erfüllung dann nur eine Art vorletzter Helfer ist. Der wirkliche Christus aber ist Sieger. Er ist auferstanden von den Toten, und ihm ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Und so ist seine Gabe nicht nur der Trost, sondern darüber hinaus eine Überwindung, das heißt eine an seinem Sieg über den Tod und alle Mächte und Gewalten jetzt schon teil­nehmende und darum lebendige Hoffnung. Die frohe Botschaft lautet: Es ist vollbracht! Alles ist vollbracht, was zur Ehre Gottes und zu unserem Heil notwendig ist. Wir sehen es nur noch nicht. Wir machen es wie eine Armee, die noch einige Tage weiterschießt, weil die Kunde sie noch nicht erreicht hat, daß die Schlacht geschlagen und der Sieg errungen ist. Die Abrech­nung uns zugute – allen zugute! – ist in Christi Tod und Auferstehung schon geschehen. Und christliche Hoffnung sieht vor sich, was dort sich ereignet hat. Aller Widerstand und Widerspruch, den wir in der Welt, in der Kirche und in uns selber finden mögen, ist im Grunde schon überwunden. Wir Christen, die wir zurückblicken dürfen auf das, was auf Golgatha geschah, auf den Frieden, der da geschlossen wurde, wir können nicht anders, als mit der Hoffnung auf das Kommen dessen, der schon gekommen ist, in die Zukunft blicken. In dieser Hoffnung dürfen wir leben und damit rechnen, daß der Sieg nicht nur für uns, sondern für alle errungen ist. So dürfen wir leben als Menschen, die Vertrauen haben und die darum nicht im Mißtrauen verkümmern müssen. Wir dürfen um Christi willen, der den Sieg errungen hat, und um der Hoffnung auf ihn willen, die nicht zu Schanden wer­den läßt, solche vertrauende Menschen sein. Wir werden dann gewiß den Menschen nicht begegnen als solche, die den „Totalitätsanspruch Christi“ ihnen entgegenzuschleudern haben. Das ist noch so ein Wort aus der Hitlerzeit, das wir auf Christus lieber nicht anwenden wollen! Es handelt sich ja hier um ein totales Angebot Christi. Wir dürfen unter diesem totalen Angebot leben und dürfen darum auch den anderen den Weg zu einem Leben unter der Herr­schaft dieses totalen Angebotes zeigen.

In dieser Hoffnung lebend, werden wir Christen zwar von ferne keine „Optimisten“ sein, wohl aber – und gerade auch im einzelnen und im kleinen – immer für die Sache der Hoffnung eintreten, und nicht für die Verzweiflung, sondern dankbar sein auch für die kleinen Lichter. Wir werden an ihnen nicht achtlos vorübergehen, sondern den Widerschein der großen Hoffnung in jeder kleinen wiedererkennen. Wir wer­den die kleinen Dinge ernst nehmen und den großen Schwierigkeiten nicht ausweichen, sondern ein bißchen tapfer leben und getröstet nicht nur, sondern in der Hoffnung auf den Einen, der Sieger ist. Es wird dafür gesorgt sein, daß auch wir Christen immer wie­der einsam sind in der Welt, weil wir ja wissen, daß es um diesen Einen geht, und nur um ihn. Es wird gesorgt sein dafür, daß wir damit immer wieder An­stoß geben, aber hoffentlich nützlichen Anstoß, des­sen wir uns darum auch nicht zu schämen brauchen.

Das ist die christliche Grundlegung. Wir Christen sind allerdings der Meinung, daß ihre Erneuerung dring­licher ist als jede andere und daß erst von ihr aus alle anderen Grundlegungen wirklich dringlich und aus­sichtsreich werden können. Sie muß allen anderen vorangehen. Wir sind uns aber hoffentlich auch klar darüber, daß wir bei dieser Erneuerung bei uns selbst anfangen müssen: daß eine neue Christenheit, eine neue Kirche das ist, was heute vor allem not tut. Wir hörten, was unsere „Lektion“ ist. Ob wir sie schon gelernt haben?

Vortrag gehalten im Sommer 1947 in Köln, Aachen, Hamburg, Münster i. W., Berlin und München.

Quelle: Karl Barth, Christus und wir Christen, Zollikon-Zürich, Evangelischer Verlag A.G., 1947.

Hier der Text als pdf.

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