Eberhard Jüngel, Zur Lehre vom heiligen Geist. Thesen: „Die Erkenntnis des Glaubens überbietet den Glauben nicht, sondern macht ihn konsensfähig und kommt so wiederum dem Glauben zugute: fides quaerens intellectum quaerentem fidem. Glauben ist als schöpferische Passivität die Fruchtbarkeit des Glaubens, die gerade dadurch, dass der Glaube vor Gott nichts zu leisten vermag und braucht, das Tun der Wahrheit aus sich heraussetzt. Im Glauben ruht der Mensch auf schöpferische Weise von seinen Werken und freut sich der Werke und der Wahrheit Gottes und so Gottes selbst.“

Zur Lehre vom heiligen Geist. Thesen[1]

Von Eberhard Jüngel

A. Die Aufgabe einer Lehre vom heiligen Geist

1. Die Lehre vom heiligen Geist gibt Antwort auf die Frage, wer oder was der heilige Geist ist, indem sie erörtert, was dieser Geist tut und bewirkt.

1.1 Es gibt vielerlei Geister. Und es gibt gegensätzliche Berufungen auf „den Geist“. Theologisch verantwortliche Rede vom heiligen Geist hat deshalb das Sein und Wirken des Geistes zu bestimmen, der in Wahrheit Gottes eigener Geist ist und deshalb heiliger Geist genannt zu werden verdient.

1.11 „Denn es sind sonst mancherlei Geist in der Schrift als Menschengeist, himmlische Geister und böser Geist. Aber Gottes Geist heißet allein ein heiliger Geist, das ist, der uns geheiligt hat und noch heiliget. … so soll … der heilige Geist von seinem Werk ein Heiliger oder Heiligmacher heißen“ (Μ. Luther, Der große Katechismus, 1529, BSLK 653,39-654,4).

1.2 Die Lehre vom heiligen Geist ist Lehre von der Unterscheidung der Geister (1Kor 2,12-15; 12,10): sowohl des heiligen Geistes von allem, was sonst Geist heißt, als auch der Geister untereinander (im Sinne der Unterscheidung von geheiligten und heillosen Geistern). An ihren Früchten kann man sie erkennen (vgl. Mt 7,16 mit Röm 6,21-23).

1.3 Der heilige Geist unterscheidet sich als „Geist aus Gott“ vom „Geist der Welt“ (1Kor 2,12), indem er alles, was zum „Geist der Welt“ gehört, als fleischlich (τό φρόνημα τής σαρκός: Röm 8,5-7; ὁ νούς τής σαρκός: Kol 2,18) identifiziert. Am Verhältnis zum Fleisch scheiden sich die Geister.

1.31 Fleisch ist der Inbegriff der in das tödliche Verderben führenden, weil gegen Gott gerichteten Selbstverwirklichung (Röm 6.21; 8,6 f; Gal 6,8). Das Fleisch drängt, indem es sich selbst potenziert, in die Verhältnislosigkeit des Todes, der der heilige Geist neue Verhältnisse und ein ihnen entsprechendes neues menschliches Ver-halten entgegensetzt.

1.32 Der Geist der Welt lebt sich fleischlich aus und richtet so die Welt zugrunde. Der heilige Geist belebt die Kreatur Gottes und erbaut sie zur Gemeinde Gottes.

1.33 In der Unterscheidung von Geist und Fleisch wird die Unterscheidung von Gott und Welt konkret.

2. Die Lehre vom heiligen Geist vollzieht die Unterscheidung der Geister als rechte Unterscheidung von Gott und Welt (Geist und Fleisch), indem sie den heiligen Geist als den in sich beziehungsreichen und neue Beziehungen schaffenden Geist des göttlichen Lebens identifiziert, „qui ex patre filioque procedit, qui cum patre et filio simul adoratur et glorificatur“ (Symbolum Nicaeno-Constantinopolitanum, BSLK 27,2-4).

2.1 Als in sich beziehungsreicher und neue Beziehungen schaffender Geist göttlichen Lebens ist der heilige Geist selber die Kraft rechter Unterscheidung. Unterscheiden heißt: in Beziehung setzen.

3. Die Lehre vom heiligen Geist identifiziert den in sich beziehungsreichen und neue Beziehungen schaffenden Geist des göttlichen Lebens

3.1 als den die Wahrheit des schöpferischen Werkes Gottes des Vaters und des versöhnenden Werkes Jesu Christi im Akt ursprünglichen Anredens verherrlichenden Geist der Wahrheit.

3.2 als den die von Gott geschaffene Kreatur im Akt ursprünglichen Unterscheidens heiligenden Geist der Liebe.

3.3 als den die Kreatur erlösenden und alle Werke des dreieinigen Gottes im Akt ursprünglichen Anfangens vollendenden Geist der Hoffnung.

4. Die Lehre vom heiligen Geist identifiziert den in sich beziehungsreichen und neue Beziehungen schaffenden Geist des göttlichen Lebens als die unbändige Macht befreiender Verbindlichkeit: unbändige Macht, insofern er wie der Wind wirkt, „wo er will“ (Joh 3,8); Macht befreiender Verbindlichkeit, insofern er das Einheit stiftende „Band des Friedens“ (Eph 4,3) ist.

4.1 „Spiritus … sanctus commune aliquid est patris et filii“ (Augustinus, De trinitate VI, 5, 7). Als die Gott den Vater und Gott den Sohn verbindende Wirklichkeit ist der heilige Geist das vinculum pacis, durch das die trinitarische Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins eine Gemeinschaft ursprünglichen Friedens und Ursprung des der Kreatur verheißenen Friedens ist.

5. Die Lehre vorn heiligen Geist hängt mit den anderen dogmatischen Lehrstücken formaliter zusammen, insofern auch die Lehre vom heiligen Geist wie alle anderen dogmatischen Lehrstücke eine aus Glaubenserkenntnis gebildete Glaubenslehre ist.

5.1 Die Erkenntnis dessen, wer oder was der heilige Geist ist und tut, ist eine Erkenntnis des Glaubens, in dem die Welt in ein Verhältnis kritischer Reflexion zu sich selbst tritt und der Mensch eine kritische Erfahrung mit der Erfahrung macht.

5.2 In der formalen Seite des sachlichen Zusammenhanges der Lehre vom heiligen Geist mit den anderen Lehrstücken als eines Zusammenhanges von Glaubenserkenntnissen meldet sich die materiale Seite dieses Zusammenhanges, insofern der Glaube seinerseits eine Wirkung des heiligen Geistes ist.

5.21 Der heilige Geist ist das πνεῦμα τής πίστεως (2Kor 4,13) und wird deshalb in CA V treffend bestimmt als „spiritus sanctus, qui fidem efficit“ (BSLK 58,6f).

6. Die Lehre vom heiligen Geist hängt mit den anderen dogmatischen Lehrstücken materialiter zusammen, insofern

6.1 der Glaube an Gott den Schöpfer und der Glaube an Gott den Versöhner der durch den heiligen Geist wirkende Glaube ist: der Glaube an den heiligen Geist ist „im Grunde nichts anderes als der wirklich und wirksam werdende … Glaube an Gott den Schöpfer und Versöhner der Welt“ (G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 3, 1979, 52);

6.2 sich der schöpferische und versöhnende Gott als heiliger Geist in der Gegenwart durchsetzt: der heilige Geist ist die Durchsetzungskraft Gottes;

6.3 der heilige Geist das weltlich noch unabgegoltene Werk der Versöhnung so vergegenwärtigt, daß der Glaube jetzt der Liebe Gottes und in ihr der Güte des Schöpfers und der zukünftigen Herrlichkeit des kommenden Reiches Gottes gewiß wird: der heilige Geist ist die vergewissernde Macht der Selbstvergegenwärtigung Gottes.

6.4 Der heilige Geist ist dies alles als die lebendigmachende und von den Toten auferweckende Macht Gottes.

6.5 Der materiale Zusammenhang des Glaubens an den heiligen Geist mit dem Glauben an Gott den Schöpfer und Versöhner, insbesondere aber die Rede von der weltlichen Unabgegoltenheit des göttlichen Werkes der Versöhnung, das uns seinerseits allererst der Güte des Schöpfers gewiß macht, darf nicht dahin mißverstanden werden, als ob der dritte Glaubensartikel den ersten und zweiten Glaubensartikel äußerlich ergänzt oder überbietet. Im Glauben an den heiligen Geist erweist sich vielmehr die Wahrheit des Glaubens an Gott den Schöpfer und Versöhner der Welt.

6.51 im Glauben an den heiligen Geist und in der Erwartung der zukünftigen Herrlichkeit des kommenden Reiches Gottes hält der Mensch der Erde die Treue. Der Glaube, „daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christ, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann“ (Μ. Luther, Der kleine Katechismus, 1529, BSLK 511,46-512,1), erweist den heiligen Geist als den besten Freund des gesunden Menschenverstandes.

7. Die Lehre vom heiligen Geist steht gegenüber der Lehre von der Schöpfung und der Lehre von der Versöhnung vor der besonderen Schwierigkeit, ihre innere Einheit allererst begründen zu müssen: ein Vergleich des dritten Artikels mit dem ersten und zweiten Artikel des apostolischen und nicaeno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses macht die Schwierigkeit der Aufgabe erkennbar.

7.1 Während der erste und zweite Glaubensartikel den jeweiligen Adressaten des Glaubens nur durch Appositionen (substantivische Prädikationen im ersten Artikel, substantivische und verbale Prädikationen im zweiten Artikel) näher bestimmen, folgen im dritten Artikel auf den als Adressaten des Glaubens genannten heiligen Geist (der im Nicaeno-Constantinopolitanum ebenfalls durch substantivische und verbale Prädikationen appositionell bestimmt wird) in Gestalt einer Liste weitere „Glaubensgegenstände” (die mit Ausnahme der Kirche im Nicaeno-Constantinopolitanum sogar durch ein das credo ersetzendes confiteor und exspecto abgehoben werden). Während Gott der Vater, Jesus Christus und der heilige Geist als personales Gegenüber der Glaubenden zur Sprache kommen, kann man das von der im dritten Artikel genannten Kirche, der Sündenvergebung, den Sakramenten. der Totenauferstehung und dem ewigen Leben nicht sagen.

7.11 Calvin hat deshalb sogar von vier Teilen des Glaubensbekenntnisses geredet und die Letztfassung seiner Institutio Christianae religionis (1559) – nach dem Vorbild der Sentenzen des Petrus Lombardus? – in vier Teile gegliedert.

7.2 Die innere Einheit des dritten Glaubensartikels und der Lehre vom heiligen Geist wird erkennbar, wenn man die anderen „Glaubensgegenstände“ als präsentische oder futurische Näherbestimmungen der Glaubenden durch den Geist, an den sie glauben, identifiziert. Man kann an den heiligen Geist als personales Gegenüber nicht glauben, ohne durch denselben Geist schon von innen heraus auf eschatologische Weise (im Sinne des paulinischen ἀρρα­βών) präsentisch und futurisch bestimmt zu werden: zur Teilhabe an der Kirche, der Vergebung der Sünden, den sogenannten Sakramenten, der Auferstehung von den Toten und dem ewigen Leben.

7.3 Die innere Einheit der Lehre vom heiligen Geist besteht in der pneumatologischen Verschränkung zwischen der Externität des Geistes extra nos und der Internität seines Wirkens in nobis.

7.4 Die pneumatologische Verschränkung von Externität und Internität des heiligen Geistes ist konkret in dem Ereignis, in dem der deus superior summo meo mir näher kommt als ich mir selber nahe zu sein vermag und so zum deus interior intimo meo wird (vgl. Augustinus, Confessiones III, 6, 11).

7.5 Im Ereignis dieser pneumatologischen Verschränkung kommt es zu einer den hamartiologischen Gegensatz von Gott und Mensch überwindenden soteriologischen Differenz, in der sich die neue Beziehung der Nähe als heilsame und präzise Unterscheidung von Gott und Mensch ereignet.

7.6 Im Ereignis dieser pneumatologischen Verschränkung geschieht die Selbstverifikation Gottes als des zur Welt und zum Menschen Kommenden.

7.61 Die pneumatologische Selbstverifikation Gottes betrifft als existentielles Ereignis das Herz als die über den ganzen Menschen entscheidende Instanz, ist insofern aber auch ein Akt intellektueller Verifikation mit Hilfe des gesunden bzw. gesundenden Menschenverstandes.

7.7 Die Lehre vom heiligen Geist besteht in der Ausarbeitung

7.71 der pneumatologischen Verschränkung von Externität (extra nos) und Internität (in nobis) des Geistes,

7.72 der soteriologischen Differenz als Kennzeichnung des Ereignisses positiver Beziehung von Gott und Mensch,

7.73 des hamartiologischen Gegensatzes als Kennzeichnung des Ereignisses negativer Beziehung von Mensch und Gott.

8. Die Lehre vom heiligen Geist hat die Spannung von alttestamentlicher Geistverheißung und neutestamentlicher Geistesgegenwart in ekklesiologischer und anthropologischer Hinsicht auszuarbeiten.

8.1 Die Lehre vom heiligen Geist hat die alttestamentliche (Joel 3,1f) Verheißung der Ausgießung des Geistes Gottes über alles Fleisch (Israels) und die damit verheißene sichtbare Veränderung der Welt (Jes 32,15-20; 44,3f) als durch die neutestamentlich bezeugte Gegenwart des Geistes inmitten der aus allen Nationen und sozialen Schichten berufenen christlichen Gemeinde und im Herzen des einzelnen Christen (Apg 2,39) erfüllt, universal überboten und alteriert zur Geltung zu bringen.

8.2 Die alttestamentliche Verheißung der Ausgießung des Geistes ist durch die neutestament­lich bezeugte Gegenwart des Geistes erfüllt und überboten, insofern die Gegenwart des Geistes alle weltlichen Unterscheidungen und Gegensätze überwindet (1Kor 12,13; Gal 3,26-29 mit 4,6f).

8.3 Die alttestamentliche Verheißung der Ausgießung des Geistes ist durch die neutestamentlich bezeugte Gegenwart des Geistes alteriert, insofern an die Stelle der verheißenen sichtbaren Veränderung der Welt fundamentale Unterscheidungen treten, nämlich:

8.31 die Unterscheidung der Offenbarung Gottes in eine Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium und eine Offenbarung des vom Gesetz gewirkten (vgl. Röm 4,15) Zornes Gottes vom Himmel herab (Röm 1,16-18);

8.32 die Unterscheidung des Wortes Gottes in Evangelium (Verheißung) und Gesetz (Gal 3,20-22; Röm 1,16 f mit 3,20f);

8.33 die Unterscheidung der Zeiten in die Zeit vor und die Zeit seit der Ankunft des Glaubens (Gal 3,23-25) bzw. in die alte Zeit des tötenden Buchstabens und die neue Zeit des lebendigmachenden Geistes (2Kor 3,4-18; Röm 7,6);

8.34 die Unterscheidung von Glaube und Werk bzw. Verkündigung des Glaubens und Werken des Gesetzes (Gal 3,2);

8.35 die Unterscheidung von Glaube (Gotteserkenntnis) und Unglaube bzw. Aberglaube (Gottlosigkeit) (Gal 4,8 f; Eph 2,12 f; 2Kor 6,15; Joh 20,27);

8.36 die Unterscheidung von Kirche (Glaubenden) und Welt (Röm 12,2; 1Kor 2,12; Joh 14,17; 16,20);

8.37 die Unterscheidung des Menschen in

8.371 geistlichen und natürlichen („psychischen“) Menschen (1Kor 2,12-16);

8.372 neuen und alten Menschen (Röm 6,4-8; Kol 3,9 f; Eph 4,22-24);

8.373 inneren und äußeren Menschen (2Kor 4,16; Eph 3,16; Röm 7,22f);

8.38 die Unterscheidung zwischen Unsichtbarem bzw. Ewigem und Sichtbarem bzw. Zeitlichem (2Kor 4,18; 5,7; Röm 8,24 f; Hebr 11,1-3).

8.4 Die neutestamentlich bezeugte Gegenwart des Geistes gibt dem heiligen Geist eine fundamentale anthropologische Bedeutung: in dem Maße, in dem der heilige Geist als eine den Menschen eschatologisch qualifizierende Gabe begriffen wird, wird Geist zu einer anthropologischen Kategorie.

8.41 Die weltlich identifizierbaren anthropologischen Erscheinungsweisen und Äußerungen des Geistes in der Gemeinde und im Leben des Christen bleiben weltlich vieldeutig und provozieren zu weltlichen Mißverständnissen und Selbstmißverständnissen der Pneumatiker (vgl. Apg 2,13; 1Kor 14).

8.42 Die weltlichen Mißverständnisse und Selbstmißverständnisse der durch die Gegenwart des Geistes ausgezeichneten Menschen dürften darin begründet sein, daß der Reichtum und die Kraft des heiligen Geistes keine ihm entsprechende weltliche Ausdrucksweise findet und deshalb sub contraria specie in der Armut und Ohnmacht des Menschen offenbar werden will (2Kor 4,7; 12,1-10; 13,3f).

8.43 Die Geistesgegenwart in der christlichen Gemeinde und im Leben des Christen gewinnt ihre Eindeutigkeit allein durch die sich im Wort vom Kreuz manifestierende Bindung des Geistes an die Person Jesu Christi.

8.5 Die neutestamentlich bezeugte Gegenwart des Geistes hat eine sozialisierende, die einzelnen Glaubenden in den Leib Christi inkorporierende, d.h. Kirche konstituierende, gerade so aber zwischen Kirche und Welt unterscheidende Funktion.

8.51 Die Gegenwart des Geistes überwindet die weltliche Alternative von Individualismus und Kollektivismus zugunsten der durch Wahrheit und Liebe konstituierten Gemeinschaft der Glaubenden, in der das menschliche Ich sowohl „ein freier Herr über alle Dinge und niemanden untertan“ als auch „ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“ ist (vgl. Μ. Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 1520, WA 7, 21,1-4).

8.52 Das die Gegenwart des Geistes bezeugende Bekenntnis des Glaubens provoziert das in es ein stimmende Ich zum homologischen Einverständnis und darf nicht als Glaubensgesetz mißverstanden werden, dem sich das Ich zu unterwerfen hätte.

8.53 Im Credo der Kirche spricht kein ekklesiologisches Über-Ich, das der Wahrhaftigkeit des menschlichen Individuums Gewalt anzutun ein Recht hätte. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17).

8.6 Die neutestamentlich bezeugte Gegenwart des Geistes zeichnet die Kirche gegenüber der prinzipiell partikularistisch orientierten Welt, in der jedes Volk und jedes Ich das Seine und jede Klasse das Ihre sucht, durch die Universalität der aus allen Völkern und Klassen berufenen Gemeinschaft der Glaubenden aus.

8.61 Die von der Welt unterschiedene Kirche ist in der Kraft des in ihr gegenwärtigen Geistes verheißungsvoll auf die Welt bezogen, der sie das kommende Reich Gottes als die den Unterschied von Kirche und Welt aufhebende Zukunft der Menschheit bezeugt.

9. Die Lehre vom heiligen Geist hat den Geist Gottes als Geist der Freiheit zur Sprache zu bringen. Sie tut es in Gestalt

9.01 eines Lehrstückes vom befreienden Gott,

9.02 eines Lehrstückes vom befreiten Menschen,

9.03 eines Lehrstückes vom Reich der Freiheit.

9.1 Das Lehrstück vom befreienden Gott erörtert

9.11 den Geist als den befreienden Geist der Wahrheit,

9.12 die Wahrheit Gottes als Wahrheit des Glaubens,

9.13 das Wort Gottes als Wort der Wahrheit,

9.14 die Sünde als des Menschen Unwahrheit, Unglauben und Sprachlosigkeit,

9.15 die Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben.

9.2 Das Lehrstück vom befreiten Menschen erörtert

9.21 den in das menschliche Herz gegebenen Geist als den heiligenden Geist der Liebe,

9.22 die Heiligung des Menschen durch die Heiligkeit der Liebe,

9.23 die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche als creatura verbi,

9.24 die Sünde als des Menschen Geistlosigkeit, Lieblosigkeit und Unfreiheit,

9.25 die Taufe und das Herrenmahl als die beiden Feiern des einen Sakramentes.

9.3 Das Lehrstück vom Reich der Freiheit erörtert

9.31 den Gottes Geschöpf erlösenden und alle Werke Gottes vollendenden Schöpfer Geist als Geist des Trostes und der Hoffnung,

9.32 die Gewißheit der Christen als Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes.

9.33 die zukünftige Polis als Gericht über und als Ziel für die Weltgeschichte,

9.34 die Sünde als des Menschen Selbstverwirklichung. Anarchie und Hoffnungslosigkeit,

9.35 die Herrlichkeit des Reiches Gottes als ewiges Leben.

B. Der befreiende Gott

10. Die Lehre vom heiligen Geist ist wesentlich Theologie der Freiheit.

10.1 „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17).

10.2 Freiheit ist im Zusammenhang der durch die Sünde des Menschen qualifizierten Wirklichkeit das Ereignis befreiender Freiheit.

10.3 Die Lehre vom heiligen Geist bringt als Subjekt der dem Men- sehen widerfahrenden Befreiung den befreienden Gott zur Sprache: Gott ist befreiend.

10.4 In der Person des heiligen Geistes setzt der dreieinige Gott sein eigenes Freisein als Befreiung ins Werk.

10.41 Freiheit ist ein kommunikables Attribut Gottes.

10.5 Befreiung ist im Zusammenhang der durch die Sünde des Menschen qualifizierten Wirklichkeit ein Prädikat der Wahrheit: „die Wahrheit wird Euch frei machen“ (Joh 8,32).

10.6 Wahrheit ist als göttliches Attribut in besonderer Weise dem heiligen Geist als dessen Seins- und Wirkungsweise zu appropriieren: der heilige Geist ist der Geist der Wahrheit (Joh 14,17; 16.13).

10.7 Der als Geist der Wahrheit tätige heilige Geist

10.71 wirkt im sündigen Menschen den Glauben,

10.72 redet in menschlichen Worten das Wort der Wahrheit,

10.73 überführt den Menschen der Sünde und deckt diese auf als Unwahrheit, Unglauben und Sprachlosigkeit,

10.74 vollzieht am Sünder dessen Rechtfertigung allein aus Glauben.

I. Der Geist der Wahrheit

11. Der Geist der Wahrheit ist als heiliger Geist von allem, was sonst Geist heißt, streng zu unterscheiden.

11.1 Geist erregt Staunen.

11.11 Staunen ist die durch ein Novum hervorgerufene befremdende Erfahrung einer Unterbrechung des gewohnten Lebens- und Wirklichkeitszusammenhanges.

11.12 Die Philosophie kennt (nach Platon, Theaitetos 155; Aristoteles, Met. A, 982b-983a) das Staunen (ϑαυμάζειν) als Ursprung des Philosophierens, insofern ein ἄτοπον zum Denken nötigt, um durch Denken dem Novum seinen τόπος zu bestimmen und so vom ϑαυμάζειν zum μηδὲν ϑαυμάζειν zu gelangen.

11.13 Im Unterschied zum als Ursprung des Philosophierens behaupteten und durch Philosophieren zu überwindenden Staunen gilt das vom heiligen Geist erregte Staunen (vgl. Apg 4.13; Joh 5,20) einem den Staunenden selbst erneuernden Novum, das in immer noch intensiveres Staunen hineinführt.

11.2 Die Unterscheidung des heiligen Geistes von allem, was sonst Geist heißt, ist nur möglich, wenn die Bedeutung dessen, was Geist heißt und insofern auch sprachlicher Ausgangspunkt der Rede vom heiligen Geist ist, hermeneutisch geklärt wird.

11.3 Die Grundbedeutung von Geist ist von dem hebräischen Wort a und seinen griechischen Äquivalenten her zu erhellen und durch Kontrastbegriffe zu präzisieren.

11.4 Die Grundbedeutung von Geist ist nur auf dem Umweg über fremde Sprachen zu erhellen. Der Weg des Geistes ist auch in dieser Hinsicht „der Umweg“ (G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Sämtliche Werke, hg. von H. Glockner, Bd. 17, 41965, 366).

11.41 Die Etymologie des deutschen Wortes „Geist“ ist nicht genau aufklärbar: Aufgeregtheit? Wüten?

11.411 Die Grundbedeutung von Geist wird durch die neuzeitlich-idealistische Identifikation von Geist und Bewußtsein eher verdeckt.

11.42 Bestimmend für die Grundbedeutung von Geist wurde die hebräische a und das griechische πνεῦμα im Sinne von bewegter und bewegender Luft, Wind, Atem, Lebensodem, Eigenleben, Kraft, der man angehören kann. Der Geist fängt mit sich selber an und hat die ganze Kraft des sich seine eigenen Bedingungen schaffenden Anfangs in sich.

11.43 Als der sich seine eigenen Bedingungen schaffende Anfang ist Geist eine bedingungslos ergreifende Macht, die. selber unsichtbar, sich in ihren Wirkungen am anderen manifestiert.

11.44 Die Bedingungslosigkeit und Voraussetzungslosigkeit der sich ihre eigenen Bedingungen schaffenden Macht des Anfangs legt das Mißverständnis des Geistes als einer Willkür-Macht nahe, das durch die ekstatischen Wirkungen des Geistes (Zungen-Rede usw.) noch begünstigt wird.

11.45 Die griechische Sprache hat – vielleicht deshalb? – dem pneumatischen Geistbegriff (πνεῦμα) den noetischen Geistbegriff (νούς) zur Seite gestellt, der den vom Wahrnehmungs- und Verstehensvorgang her begriffenen und sich (im Gegensatz zur Ekstase) in Nüchternheit manifestierenden Geist zur Sprache bringt.

11.451 Aristoteles nennt den das Ali auf den νούς zurückführenden Anaxagoras einen Nüchternen unter Trunkenen (Met. A, 984b 15-18).

11.452 „Wenn ich in Zungen bete, so betet mein Geist; aber was ich im Sinn habe, bleibt ohne Frucht. Wie soll es aber denn sein? Ich will beten im Geist und will auch verständlich beten“ (1Kor 14,14f).

11.46 Im deutschen „Geist“ vereinen sich die pneumatische und die noetische Dimension des Geistes.

11.5 Zur Grundbedeutung von „Geist“ gehört eine Bedeutungsvielfalt, die durch die Kontrastbegriffe zu „Geist“ bestimmbar wird.

11.51 Im biblischen Sprachgebrauch bilden Geist und Buchstabe, Geist und Fleisch, aber auch πνευματικός und ψυχικός Gegensätze, die auf den Gegensatz von Leben und Tod hinauslaufen.

11.52 Im allgemeinen Sprachgebrauch werden gegensätzlich oder komplementär aufeinander bezogen:

11.521 Geist und Materie,

11.522 Geist und Körper,

11.523 Geist und Sinnlichkeit,

11.524 Geist und Natur.

11.53 Von diesen Kontrastbegriffen her wird Geist verstanden als

11.531 formendes Prinzip gegenüber dem zu Formenden,

11.532 Freiheit gegenüber Notwendigkeit,

11.533 beherrschendes Prinzip gegenüber dem zu Beherrschenden,

11.534 das Unsichtbare gegenüber dem Sichtbaren,

11.535 das Unsterbliche gegenüber dem Sterblichen,

11.536 das Göttliche im Menschlichen.

11.6 Wesentliche Momente der Grundbedeutung von Geist:

11.61 Geist ist die voraussetzungslos mit sich selber und nur mit sich selber anfangende, sich selbst und anderes bestimmende Macht der Freiheit.

11.62 Geist ist die anderes ergreifende, mitreißende und gestaltende Macht. Mit sich selber anfangend fängt der Geist etwas an.

11.63 Geist ist die lebendigmachende, in andereseindringende und als dessen Lebenszentrum zentrierend und personbildend wirkende Macht.

11.631 Geistloses Dasein ist zerfahrenes Dasein.

11.64 Geist ist Selbstteilgabe, insofern es dem Geist wesentlich ist, in anderem zu sein und mit dem anderen aus dem Anderssein zu sich selbst zurückzukehren.

11.65 Geist ist zielgerichtete, gesammelte Unruhe, die den Menschen über jedes erreichte Ziel hinaustreibt, um in einem vermeintlich letzten Ziel oder Sinn zur Ruhe zu kommen.

11.66 Geist ist Gemeinschaftsgeist.

12. Der Gottes Geist benennende Ausdruck „heiliger Geist“ ist alttestamentlichen Ursprungs: rwḥ hqdš (LXX: πνεῦμα ἅyιον, Röm 1,4: πνεῦμα ἁγιωούνης), tritt im Alten Testament aber hinter anderen Ausdrücken (LXX: πνεῦμα ϑeoῦ, πνεῦμα κυρίου, πνεῦμα ϑεῖον) zurück und findet erst im Neuen Testament reichliche Verwendung.

12.1 Während im Judentum der Geist Gottes zumeist mit dem als erloschen geltenden prophetischen Geist identifiziert wurde, der erst wieder als Gabe der Endzeit erwartet wurde, zeichnet sich das Urchristentum durch einen bemerkenswerten Reichtum an Geisterfahrungen aus, die sich in entsprechend reichlicher Verwendung des Ausdrucks πνεῦμα niederschlagen.

12.2 „Die terminologische … Festlegung auf den Ausdruck pneuma hagion scheint erst das Produkt einer sprachlichen Konsolidierung innerhalb des Urchristentums zu sein, wie insbesondere am Sprachgebrauch der Synoptiker und der Apostelgeschichte oder des Hebräerbriefs deutlich wird“ (G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 3, 1979, 96).

12.3 Die für das Urchristentum charakteristische neue Geisterfahrung besteht in einem die Gegenwart an die Geschichte Jesu Christi bindenden und so eschatologisch auf die Zukunft ausrichtenden Widerfahrnis.

12.4 Das für die urchristliche Geisterfahrung entscheidende Verhältnis von heiligem Geist und Jesus Christus ist weniger von der Verkündigung Jesu und seiner bestenfalls spärlichen Rede vom Geist (Mt 11,4-6 als verschlüsselter Hinweis auf den nach Jes 61,1ff mit Geist Gesalbten?) als von der österlichen Begegnung mit dem auferstandenen Christus bestimmt, von der her dann auch das irdische Leben Jesu als vom heiligen Geist bewegtes Leben erzählt wird (Mk 1,9-12 par.; Mt 1,18-20; Lk 1,35; Mt 12,28 statt Lk 11,20; Mt 12,30f).

12.5 Die Gegenwart des heiligen Geistes setzt die Abwesenheit des irdischen Jesus voraus (Joh 7,39), bringt aber die wahre Würde Jesu rein zur Geltung (1Kor 12,3). Der johanneische Paraklet, dessen Kommen die Abwesenheit Jesu voraussetzt, ist geradezu „eine Parallelgestalt zu Jesus selbst“ (R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, KEK 2, 1941, 437).

12.51 Die Gegenwart des heiligen Geistes löst die Geschichte Jesu nicht etwa ab, sondern setzt zu ihr in das rechte Verhältnis.

12.52 Der heilige Geist offenbart, wer Jesus war. und vollendet so das Offenbarungswerk Jesu.

12.521 Der „historische Jesus muß scheiden, damit sein Sinn, der Offenbarer zu sein, rein erfaßt werde“ (R. Bultmann, a.a.O., 430). Dem „Träger der letztgültigen Offenbarung“ ist es wesentlich, daß er „nichts für sich selbst beansprucht“ (P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. 1, 31956, 154.159).

12.522 Der Tod des Offenbarers ist der inhaltliche Höhepunkt der Offenbarung.

12.53 Im heiligen Geist ist Jesus Christus als Abwesender anwesend.

12.6 Der heilige Geist ist die in die Seinsweise Gottes erhebende, von den Toten auferweckende, lebendigmachende, von der Nichtigkeit des Vergänglichen befreiende Macht der Verherrlichung. Als Macht der Verherrlichung ist er die die Grenzen der irdischen Existenz und insofern die irdische Existenz selber verwandelnde Kraft Gottes.

12.61 Als Macht der Verherrlichung gibt der heilige Geist dem irdischen Dasein eschatologisch neue, nicht veraltende Zukunft und neue, durch Verwirklichung nicht zu erschöpfende Möglichkeit.

12.611 Was nicht veraltet, ist herrlich.

12.612 Veralten und alt werden ist zweierlei.

12.7 Als Jesus Christus in die Seinsweise Gottes erhebende Macht der Verherrlichung offenbart der heilige Geist den von den Toten Auferweckten innerhalb der Grenzen des irdischen Daseins durch die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus: „der wirkliche Christus ist der gepredigte Christus“ (Μ. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, neu hg. von E. Wolf, ThB 2, 41969, 44).

12.8 Der heilige Geist ist als Macht der Verherrlichung der Geist der Wahrheit, insofern er die Wahrheit innerhalb des durch Lüge und Finsternis qualifizierten Zusammenhanges der Welt zum Austrag bringt.

12.81 Als Geist der Wahrheit unterbricht der heilige Geist den durch Lüge und Finsternis qualifizierten Zusammenhang der Welt durch das Licht, als das Jesus Christus in die Welt gekommen ist.

12.82 Indem der Geist der Wahrheit den durch Lüge und Finsternis qualifizierten Zusammenhang der Welt unterbricht, kommt es zur Krisis der Welt (Joh 16,8.11).

12.821 Am Geist der Wahrheit scheiden sich die Geister.

12.83 Als Geist der Wahrheit geht der heilige Geist vom Vater aus (Joh 15.26) und wird er vom Vater und vom Sohn gesendet (Joh 14,26 mit 15,26; 16,7; 1Joh 3,24; 4,13; Mk 1,8; Lk 24,49; Apg 2,33): Gott von Gott.

12.84 Als vom Vater und vom Sohn herkommend ist der heilige Geist der Geist der Wahrheit, weil er nichts von sich selbst aus redet, sondern zur Sprache bringt, was er gehört hat (Joh 16,13).

12.841 Der heilige Geist ist in seiner ontologischen Selbstlosigkeit der Geist der Wahrheit und als solcher der Geist Jesu Christi.

12.842 Die Wahrheit ist für sich selber nichts. Das unterscheidet sie von der Wirklichkeit, die ihre eigene Herrlichkeit sucht (Joh 7,18).

12.85 Im Geist der Wahrheit kommt ein Anderer zur Sprache, der durch den Geist vergegenwärtigt wird.

12.851 Der heilige Geist ist die Macht der Vergegenwärtigung der Geschichte Jesu Christi, die als Geschichte zwischen Gott und Jesus die Geschichte Gottes mit der Welt ist.

12.86 Als Geist der Wahrheit ist der heilige Geist der ewig neue Anfang. den der dreieinige Gott mit sich selber macht.

12.861 Der heilige Geist nimmt sich selber hin und den Vater und den Sohn als seinen Ursprung wahr und vergegenwärtigt so das Sein des dreieinigen Gottes als Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins.

12.862 Als Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes ist der heilige Geist nicht nur der ewig neue Anfang, den Gott mit sich selber macht, sondern zugleich der zeitlich neue Anfang, den Gott mit dem Menschen macht.

Π. Die Wahrheit des Glaubens

13. Der Geist der Wahrheit ruft als das der Wahrheit entsprechende Ereignis den Glauben hervor.

13.1 Das Wesen des christlichen Glaubens kann nur verstanden werden, wenn die Korrelation von Wahrheit und Glaube verstanden wird.

13.2 Die Korrelation von Wahrheit und Glaube ist ein Ereigniszusammenhang, der es verbietet, den Glauben als ein Werk des Menschen zu verstehen.

13.21 Der Mensch kommt nur insofern zum Glauben, als der Glaube zum Menschen kommt. Der Glaube ist wesentlich fides adventitia (Gal 3,23-25).

13.22 Der zur Welt kommende Gott bringt den Glauben mit sich.

13.23 Der Mensch glaubt, insofern er sich auf das Ereignis des Glaubens einläßt, das dem Ereignis der Wahrheit entspricht.

13.3 Die Wahrheit ist der Grund des Glaubens an die Wahrheit.

13.4 Die wichtigste Aufgabe des vom Glauben handelnden Lehrstücks ist die Beantwortung der Frage, wie der Grund des Glaubens zum Gegenstand des Glaubens werden kann.

13.41 Was heißt: Gegenstand des Glaubens?

13.5 Zur Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Grund und Gegenstand des Glaubens ist eine kritische Erinnerung an das altprotestantische Lehrstück de fide angebracht.

14. Während in der älteren lutherischen Orthodoxie vom Glauben im Zusammenhang der Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben gehandelt wurde, erörterte die Hochorthodoxie das Lehrstück de fide im Zusammenhang der Lehre von den Heilsmitteln.

14.1 Seit Quenstedt gliedert man die Soteriologie etwa folgendermaßen (weitgehend nach D. Hollaz, Examen theologicum acroamaticum, 1707):

14.11 De principiis salutis

14.111 De benevolentia Dei erga homines

14.1121 De persona Christi

14.1122 De officio Christi

14.1123 De statibus Christi

14.113 De gratia spiritus sancti applicatrice (der später sogenannte ordo salutis):

14.1131 vocatio

14.1132 illuminatio

14.1133 conversio et regeneratio

14.1134 justificatio et sanctificatio (renovatio)

14.1135 unio mystica

14.1136 glorificatio

14.1137 damnatio et vita aeterna – cf. 14.135

14.12 De mediis salutis stricte dictis

14.121 ex parte Dei:

14.1211 verbum divinum: lex et evangelium

14.1212 sacramenta

14.122 ex parte hominis:

14.1221 fides:

14.12211 notitia fidei

14.12212 assensus fidei

14.12213 fiducia

14.13 De mediis salutis late dictis (De novissimis):

14.131 mors

14.132 resurrectio

14.133 extremum judicium

14.134 consummatio mundi

14.135 damnatio et vita aeterna

14.14 De ecclesia

14.141 ecclesia stricte et late dicta:

14.1411 ecclesia universalis (invisibilis)

14.1412 ecclesia particularis (visibilis)

14.142 ecclesia synthetica et repraesentativa

14.143 ordo triplex hierarchicus:

14.1431 ministerium ecclesiasticum

14.1432 magistratus politicus

14.1433 status oeconomicus

14.2 Durch die Einordnung der fides unter die media salutis wird der Glaube als auf das Heil bezogener und d.h. als rechtfertigender Glaube thematisch gemacht.

14.21 Hollaz überschreibt das Lehrstück sogar konkret: De fide in Christum (Examen theologicum acroamaticum, pars III, sect. 2. cap. 7) und definiert den Glauben soteriologisch als die Gabe des heiligen Geistes, durch die der bekehrte und wiedergeborene Sünder die Verheißung des Evangeliums (von der Gnade Gottes und von der wegen der Genugtuung und des Verdienstes Christi erwirkten Vergebung der Sünden) heilsam erkennt, mit fester Zustimmung anerkennt und mit einzigartigem Vertrauen sich aneignet, damit er gerechtfertigt und ewiglich gerettet werde: „Fides in Christum est donum Spiritus Sancti, quo peccator conversus et renatus promissionem Evangelicam de gratia Dei et remissione peccatorum propter satisfactionem et meritum Christi impetranda salutariter agnoscit, solido assensu comprobat et singulari fiducia sibi applicat, ut justificetur, et aeternum salvetur“ (a.a.O., q. 1).

14.3 Durch die Einordnung des fides unter die media salutis ex parte hominis wird der Glaube jedoch einseitig als fides subjectiva oder fides qua creditur verstanden und in problematischer Weise abgehoben von einer fides objectiva oder fides quae creditur (die als doctrina fidei bereits in den Prolegomena bei dem Lehrstück de articulis fidei verhandelt wurde und nur uneigentlich fides heißt): „Non intelligitur hic fides objectiva. sive quae creditur, sed subjectiva, qua creditur“ (a.a.O., q. 2). Der Glaube wird im problematischen Modell neuzeitlicher Erkenntnistheorie begriffen: im Subjekt-Objekt-Schema.

14.31 Die Unterscheidung von fides quae creditur und fides qua creditur geht zurück auf Augustins Unterscheidung zwischen ea quae creduntur und fides qua creditur (De trinitate XIII, 2,5), wobei ea quae creduntur ihren Sitz in rebus haben, während die fides qua creditur als Glaubensakt in animo lokalisiert wird.

14.32 Die in der erkennenden Seele lokalisierte fides droht als mindere Weise des Erkennens aufgefaßt und mißverstanden zu werden.

14. 321 Das Mißverständnis des Glaubens als mindere Erkenntnisweise konnte begünstigt werden durch eine falsche Kombination neutestamentlicher Aussagen (1Kor 13,12; 2Kor 5,7; Hebr 11,1) mit der platonischen Distinktion (Politeia Z, 533e-534a) von νόησις (= ἐπιστήμη und διάνοια) und δόξα ( = πίστις und εἰκασία), dergemäß Glaube eine vom strengen Denken unterschiedene Weise des bloßen Fürwahrhaltens ist.

14.322 Der dem (als mindere Erkenntnisweise aufgefaßten) Glauben eignende Mangel an Strenge und Gewißheit wurde durch einen hinzutretenden Akt willentlicher Zustimmung ausgeglichen: „credere est cum assensione cogitare“ (Augustinus, De praedestinatione sanctorum 2,5). „Nullus enim credit nisi volens“ (Augustinus, In Iohannis evangelium tractatus CXXIV, 26, 2).

14.323 In dieser Tradition unterscheidet Thomas von Aquin zwischen scire (als strengem Wissen) und credere (als unvollkommenem Erkennen): „…nomen fidei importat imperfectionem cognitionis“ (Thomas von Aquin, Summa theologiae IIa IIae q. 174 a. 2 ad 3; vgl. I q. 12 a. 13 ad 3). Auch nach Thomas wird der Verstand durch den Befehl des Willens dazu angetrieben, dem Glaubensartikel zuzustimmen: „movetur enim intellectus ad assentiendum his quae sunt fidei, ex imperio voluntatis“ (S.th. Ia IIae q. 56 a. 3 c.).

14.324 Wird der Glaube als mindere Weise der Erkenntnis vom Wissen als strenger Weise der Erkenntnis unterschieden, dann ist es konsequent zu bestreiten, daß derselbe Gegenstand von ein und demselben Subjekt zugleich sowohl gewußt als auch geglaubt werden kann: „impossibile est quod ab eodem idem sit scitum et creditum: (S.th. IIa IIae q. 1 a. 5 c.). Unter der Prämisse des derart mißverstandenen Glaubens gilt: wer glaubt, kann das Geglaubte (noch) nicht wissen – wer weiß, muß es nicht (mehr) glauben.

14.325 In der Tradition dieses Glaubensverständnisses „mußte“ dann, nachdem die natürliche Theologie der Aufklärung die Glaubensgegenstände auch als Wissensgegenstände reklamiert hatte, Immanuel Kant „das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen“ (Kritik der reinen Vernunft, B XXX).

14.4 Das altprotestantische Verständnis der „fides proprie dicta“ als fides subjectiva, „quae inest homini credenti tanquam subjecto“ (Hollaz. a.a.O., q. 2, prob. a), droht den neutestamentlichen Ereigniszusammenhang zwischen πίστις und πιστεύειν zu verfehlen, demgemäß der Glaube den Menschen aus sich heraus holt: „per fidem sursum rapitur supra se in deum“ (Μ. Luther, De libertate Christiana, 1520, WA 7, 69,14).

14.5 Das altprotestantische Glaubensverständnis unterscheidet im Begriff des Glaubens (im Anschluß an Augustinus, In Iohannis evangelium tractatus CXXIV, 29, 6; 54, 3 und an Petrus Lombardus, Sententiae, liber III, dist. 23, cap. 4):

14.511 ein credere Deum: notitia fidei,

14.512 ein credere Deo: assensus fidei,

14.513 ein credere in Deum: fiducia.

14.514 „Aliud enim est credere Deum, aliud credere Deo, aliud credere in Deum. Credimus esse Deum per notitiam, credimus Deo per assensum, credimus in Deum per fiduciam“ (Hollaz, a.a.O., q. 3). Dabei werden notitia und assensus dem intellectus, die fiducia der voluntas zugeordnet.

14.52 Die notitia fidei gilt im Unterschied zur augustinisch-thomistischen Tradition nicht als Erkenntnis minderen Ranges, sondern im Anschluß an die Reformatoren als eine – wenn auch noch nicht eschatologisch vollkommene – feste und gewisse Erkenntnis: „iusta fidei definitio nobis constabit si dicamus esse divinae erga nos benevolentiae firmam certamque cognitionem“ (J. Calvin, Institutio III, 2, 7; vgl. Μ. Luther, De servo arbitrio, 1525, WA 605,6-34).

14.521 Die notitia fidei wird bestimmt als

14.5211 „supernaturalis,

14.5212 evangelica,

14.5213 explicita,

14.5214 a Spiritu Sancto per gratiam illuminantem accensa“ (Hollaz, a.a.O., q. 14).

14.53 Der assensus fidei soll den Wahrheitsbezug des Glaubens im Sinne intellektueller und existentieller Verifikation zum Ausdruck bringen: „Assensus fidei est judicium intellectus approbans, quo ea, quae … sacra Scriptura tradit, vera esse judicantur“ (a.a.O., q. 15).

14.531 Der assensus fidei zielt auf soteriologische Glaubensvergewisserung und muß deshalb über einen assensus fidei generalis (der nur einer „fides historica, quae etiam dogmatica appellatur“ [a.a.O., q. 2, prob. d.] gilt) hinaus zum (die Wahrheit der Verheißung auf den Glaubenden als Individuum beziehenden) assensus fidei specialis werden, wenn der Glaube mich rechtfertigen können soll.

14.54 Die fiducia setzt die notitia und den assensus fidei voraus, insofern sie als Akt des Willens ergreift, was ihr durch den Verstand als verifiziertes Glaunenswissen (mithin als Glaubensgegenstand) dargeboten wird: „Fiducia est actus voluntatis, quo peccator conversus et renatus avide expetit et quaerit misericordiam Dei partam merito Christi, et hunc tum ut praesens suum bonum, tum ut causam remissionis peccatorum, aeternaeque salutis amplectitur, adversus omnes terrores ipsi innitur, atque in eodem secure re¬cumbit et acquiescit“ (a.a.O., q. 16).

14.541 Als Akt des Willens ist die fiducia nicht ein sich fremder Autorität gesetzlich unterwerfender, sondern ein freudiger Gehorsam: non oboedientia legalis, sed oboedientia evangelica.

14.542 Glücklicher als die auf Melanchthon zurückgehende Bestimmung der fiducia als Willensakt ist Luthers Rede vom „Trauen und Glauben des Herzens“ (Der große Katechismus, BSLK 560,16f) und die Antwort des Heidelberger Katechismus auf die (21.) Frage: Was ist wahrer Glaube? „Es ist nicht allein eine gewisse Erkenntnis, dadurch ich alles für wahr halte, was uns Gott in seinem Wort hat geoffenbart, sondern auch ein herzliches Vertrauen, welches der heilige Geist durchs Evangelium in mir wirkt“ (BSRK 687,30-33).

14.543 Entscheidend ist der Gegenwartsbezug der fiducia: „Fiducia versatur circa bonum praesens“ (Hollaz. a.a.O., q. 16, obs. 3).

14.544 Als credere in Christum ist die fiducia ein Akt, „quo homo credens quasi extra se in Christum feratur aut ipsi adhaereat“ (ebd.). An diese reformatorische Bestimmung des Glaubens ist anzuknüpfen, weil sie der eigentlichen Bedeutung des Glaubens am nächsten kommt.

14.6 Der altprotestantische Glaubensbegriff nennt zwei Zielbestimmungen des Glaubens:

14.61 „Finis fidei intermedius est justificatio et renovatio,

14.62 Finis ultimus

14.621 ex parte hominis est vita aeterna

14.622 ex parte Dei est gloria misericordiae divinae“ (Hollaz, a.a.O., q. 18).

14.7 Als die dem wahren Glauben eigentümlichen Wahrheits-Kriterien werden genannt:

14.71 „Certitudo,

14.72 Foecunditas, qua bona parit opera“ (a.a.O., q. 21).

14.73 Eine an den altprotestantischen Glaubensbegriff kritisch anknüpfende Erörterung der Wahrheit des Glaubens hätte vom Verständnis des Glaubens als fiducia auszugehen, um von hier aus das Verständnis des Glaubens als Urteilskraft (assensus) und Erkenntnis (notitia) zu entfalten. Die allein die fides subjectiva als fides proprie dicta verstehende Orientierung am erkenntnistheoretischen Subjekt-Objekt-Schema begünstigt eine problematische Interessenverlagerung von dem sich offenbarenden Gott auf das fromme Ich als Subjekt des Glaubens und droht die Wahrheit des Glaubens zu verfehlen. Statt den Glauben vom erkennenden menschlichen Subjekt aus gilt es das menschliche „Subjekt“ von der Wahrheit des Glaubens aus zu begreifen.

14.74 Das rechte Verständnis des Glaubens hat diesen von seiner Wahrheit her zu verstehen und insofern von dem die sogenannte fides subjectiva, qua creditur, und die sogenannte fides objectiva, quae creditur, als ursprünglichen und einheitlichen Ereigniszusammenhang begreifenden hebräischen Ur sinn von Glauben als Vertrauen, Sich-verlassen-auf, sich-gründen-in auszugehen·

15.1 h’mjn ist als Sich-verlassen-auf das der als Verläßlichkeit begriffenen Wahrheit ’mwnh entsprechende menschliche Verhalten.

15.2 Während im Alten Testament die Glaubensterminologie relativ selten ist, weist das Neue Testament eine auffallende quantitative Steigerung der Glaubensterminologie auf. für die deren überwiegend christologische Prägung charakteristisch ist.

15.3 Der üblichen Fehlorientierung, die den Glauben primär vom Glaubenden als einem erkennenden Subjekt her („fides … quae inest homini credenti tanquam subjecto“ [vgl. 14.4] versteht, entgeht man, wenn man den Glauben mit Gal 3,23-25 als fides adventitia (J.A. Quenstedt, Theologia didactico-polemica, 1691, pars IV, cap. 8, sect. 1, th. 2) begreift.

15.31 Als kommender Glaube ist der Glaube durch seine Herkunft und die Weise seines Kommens qualifiziert.

15.311 Die Herkunft des Glaubens ist bestimmt durch den in Jesus Christus zur Welt kommenden und sich so als Wahrheit erweisenden Gott.

15.312 Die Weise seines Kommens ist das Wort des Glaubens (Röm 10,8; Gal 3,2), das als solches das Wort der Wahrheit (2Kor 6,7: Eph 1,13; Kol 1,5) ist.

15,4 Die erst im Urchristentum entstehende und für dieses charakteristische Wendung πιστεύειν bedeutet das Sich-gründen-in einem verläßlichen Grund, der als solches ein Sich-verlassen-auf und ein Glauben-an impliziert.

15.5 Die christologische Ausrichtung des πιστεύειν setzt Jesus Christus als Glaubensgrund voraus.

15.51 Jesus Christus ist Glaubensgrund, weil und insofern er die Wahrheit Gottes in Person ist (vgl. Röm 3,3.7 mit Joh 14,6).

15.52 Jesus Christus ist die Wahrheit Gottes in Person, weil und insofern er nichts für sich selbst sein will und so ganz auf den himmlischen Vater verweist.

15.53 Als Wahrheit Gottes in Person ist Jesus Christus die Vertrauen ausstrahlende und Vertrauen einflößende Person und insofern die wahrmachende Wahrheit Gottes.

15.54 Als Vertrauen ausstrahlende und Vertrauen einflößende Person ist Jesus Christus Grund und Herkunft des zum Menschen kommenden und diesen wahrmachenden Glaubens.

15.55 Der zum Menschen kommende Glaube ist die Anmutung zum Glauben als menschlichem Akt.

15.6 Glauben ist als Akt des Menschen das dem wahrmachenden Gott entsprechende menschliche Verhalten. Im Akt des Glaubens entspricht der Mensch Gott in der Weise

15.61 des Gottvertrauens als eines Sich-gründen in der Wahrheit,

15.62 der Gotteserkenntnis als des urteilsfähigen Anerkennens der Wahrheit.

15.63 der schöpferischen Passivität als zum Tun der Wahrheit führender Freude an der Wahrheit.

15.7 Glauben ist als Gottvertrauen ein Akt freiester Subjektivität, in dem aus dem auf sich selbst bezogenen menschlichen Subjekt ein ek-zentrisch existierender, außerhalb seiner selbst gegründeter freier Mensch wird.

15.71 Glauben ist ein personales Geschehen,

15.72 in dem das von außen angesprochene Herz über den ganzen Menschen von innen heraus entscheidet.

15.73 indem es das eigene Ich in freiester Subjektivität dazu bestimmt, sich auf Gott als die allein die menschliche Existenz gründende Wahrheit zu verlassen.

15.74 Insofern das Vertrauen des Herzens fehlorientiert ist oder irregeleitet wird, entsteht Aberglaube.

15.75 Als personales Gegenüber wird der Grund des Glaubens zum Gegenstand des Glaubens, insofern er sich dem glaubenden Ich Halt bietend gegenüberstellt.

15.751 Die so verstandene Gegenstandsbeziehung ist dem Glauben wesentlich.

15.7511 Ohne Gegenstand wäre der Glaube grundlos und haltlos.

15.7512 Ohne Grund wäre der Glaube gegenstandslos.

15.76 Indem der Mensch sich von Jesus Christus begrenzen und Halt geben läßt, ist sein Glaube rettender Glaube: fides salvifica.

15.8 Glaube ist als Gotteserkenntnis ein sich auf den Grund des Glaubens als Gegenstand richtendes Erkennen der sich selbst gegenständlich darstellenden und dem glaubenden Ich einleuchtenden Glaubenswahrheit.

15.81 Die Korrespondenz des Sich-darstellens und des Einleuchtens der Glaubenswahrheit, die die Glaubenserkenntnis ermöglicht, ist das Werk des Geistes der Wahrheit.

15.82 Glaubenserkenntnis ist ein die Existenz des Glaubenden ändernder, sein Selbstverständnis erneuernder Wahrheitsbezug.

15.83 Das neue Selbstverständnis des Glaubens äußert sich konkret im Urteil des Glaubens, das die elementare Unterbrechung des gewohnten Lebenszusammenhanges durch die Wahr­heit des Glaubens bejaht und so dem durch diese elementare Unterbrechung geforderten elementaren Unterscheiden (Ur-teilen) entspricht.

15.84 Glaube, der nicht unterscheidet, kann seinen Gegenstand nicht erkennen und verkommt zum Aberglauben.

15.85 Die Wahrheit des Glaubens spricht sich als Glaubens-Wissen aus, das seinerseits die als Glaubensgewißheit zu verstehende Selbstverständlichkeit des Glaubens homologisch und theologisch formuliert.

15.86 Die Erkenntnis des Glaubens überbietet den Glauben nicht, sondern macht ihn konsensfähig und kommt so wiederum dem Glauben zugute: fides quaerens intellectum quaerentem fidem.

15.9 Glauben ist als schöpferische Passivität die Fruchtbarkeit des Glaubens, die gerade dadurch, daß der Glaube vor Gott nichts zu leisten vermag und braucht, das Tun der Wahrheit aus sich heraussetzt.

15.91 Im Glauben ruht der Mensch auf schöpferische Weise von seinen Werken und freut sich der Werke und der Wahrheit Gottes und so Gottes selbst.

15.92 Ein nicht zum Tun der Wahrheit führender Glaube wäre toter Glaube und als solcher eine contradictio in adiecto.

15.93 Als Freude an der Wahrheit unterbricht der Glaube den Leistungszusammenhang des sich selbst verwirklichenden Menschen zugunsten des schöpferischen Sabbats des Glaubens, der, weil er nicht auf seine Werke als seine Werke fixiert ist, in Wahrheit gute Werke hervorbringt.

Quelle: Die Mitte des Neuen Testaments. Einheit und Vielfalt neutestamentlicher Theologie. Festschrift für Eduard Schweizer zum siebzigsten Geburtstag, hrsg. v. Ulrich Luz u. Hans Weder, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983, S. 97-118.


[1] Die Thesen, die einen Teil der Tübinger Vorlesung des WS 1981/82 zusammenfassen, brechen mit der Lehre vom Glauben ab. Ihre Fortsetzung soll bei anderer Gelegenheit zur Diskussion gestellt werden.

Hier der Text als pdf.

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