Hans Asmussens Vortrag zur Barmer Theologischen Erklärung auf der Bekenntnissynode vom 29. bis 31. Mai 1934: „Wenn wir im Laufe des letzten Jahres und jetzt erneut immer wieder zum Ausdruck gebracht haben, dass die Verkündigung der Kirche nicht der menschlichen Selbstherrlichkeit zum Dienst bereitgestellt werden dürfte und nicht menschlich gewählten Wünschen, Zwecken und Plänen unterstellt werden kann, so sagen wir nicht, dass die­se Wünsche, Zwecke und Pläne nicht innerhalb der menschlichen Einsicht und des menschlichen Vermögens gut und wünschenswert seien; aber wir sind dessen eingedenk, dass dieses Urteil, sie seien gut und wünschenswert, menschliches Urteil ist.“

Für die Bedeutung der Barmer Theologische Erklärung für die Gegenwart ist zu beachten, dass auf der Barmer Bekenntnissynode vom 29.-31. März 1934 die Theologische Erklärung mit einer bestimmten Lesart, nämlich die des Vortrags von Hans Asmussen, beschlossen worden ist:

Vortrag über die Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche

Von Hans Asmussen

»Die Deutsche Evangelische Kirche ist nach den Eingangsworten ihrer Verfassung vom 11. Juli 1933 ein Bund der aus der Refor­mation erwachsenen, gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Bekenntniskirchen. Diese möchten sich durch ihre Vereinigung gemeinsam zu der kommenden Gottesgabe der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche im Sinn von Eph. 4,4–6 bekennen. Die theologische Voraussetzung der Vereinigung die­ser Kirchen ist in Art. 1, Art. 2,1 und Art. 4,1 der von der Reichsregierung am 14. Juli 1933 anerkannten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche angegeben:
Art. 1: Die unantastbare Grundlage der Deutschen Evangeli­schen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Refor­mation neu ans Licht getreten ist. Hierdurch werden die Voll­machten, deren die Kirche für ihre Sendung bedarf, bestimmt und begrenzt.
Art. 2,1: Die Deutsche Evangelische Kirche gliedert sich in Kir­chen (Landeskirchen).
Art. 4,1: Die Deutsche Evangelische Kirche will die in ihr ge­einte deutsche evangelische Christenheit für die Erfüllung des göttlichen Auftrages der Kirche rüsten und einsetzen. Sie hat des­halb von der Heiligen Schrift und den reformatorischen Bekennt­nissen her sich um eine einheitliche Haltung in der Kirche zu be­mühen und der kirchlichen Arbeit Ziel und Richtung zu weisen.«

Mit diesen Worten beginnt die theologische Erklärung zur gegen­wärtigen Lage in der Deutschen Evangelischen Kirche. Sie will mit ihnen Nachstehendes zum Ausdruck bringen:

Die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche ist nicht gleichbedeutend mit der Gründung einer neuen Kirche. Viel­mehr setzt sie sich zusammen aus Vertretern derjenigen Bekenntnis­kirchen, welche im Jahre 1933 durch die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche in diese zusammengefaßt wurden. Sie ist also Vertretung in, rechtmäßiger Nachfolge der bisherigen Landeskir­chen. In der Zusammenfassung durch die Verfassung von 1933 lag nach dem Willen des Gesetzgebers nicht, daß die bestehenden Kir­chen aufhören sollten zu sein, was sie sind: Bekenntniskirchen. Dar­um trug die Zusammenfassung den Charakter eines Bundes, in wel­chem weitergeführt wurde, was im Deutschen Evangelischen Kir­chenbund bereits angestrebt worden war. Jede Veränderung dieser Art der Zusammengehörigkeit hätte unabsehbare rechtliche und vor allen Dingen kirchliche Folgen nach sich gezogen.

Die Verfassung bringt zum Ausdruck, daß die Deutsche Evangeli­sche Kirche nur auf bestimmten kirchlichen und theologischen Vor­aussetzungen aufgebaut werden kann. Darum dürfen ihr auch nur bestimmte theologische und kirchliche Ziele gesteckt werden. Diese Voraussetzungen und diese Ziele ergeben sich für die Deutsche Evangelische Kirche allein »aus dem Evangelium von Jesus Chri­stus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekennt­nissen der Reformation neu ans Licht getreten ist.« Damit ist ausge­sprochen, daß der Ausgangspunkt der Arbeit und der erwünschten Entwicklung die bestimmte, durch den Charakter der einzelnen Be­kenntniskirchen festgelegte Grundlage eben dieser Bekenntniskir­chen ist. Diesen Tatbestand hat die Reichsregierung unter dem 14. Juli 1933 gesetzlich anerkannt.

Auf dem Grund dieser theologischen Voraussetzungen und mit gu­tem Gewissen gegen das Deutsche Reich — auf Grund dieser seiner Gesetzgebung — bestimmt die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche ihren Standort so:

»Wir, die zur Bekenntnis-Synode der Deutschen Evangelischen Kirche vereinigten Vertreter lutherischer, reformierter und unier­ter Kirchen, freier Synoden, Kirchentage und Gemeindekreise er­klären, daß wir gemeinsam auf dem Boden der Deutschen Evan­gelischen Kirche, d.h. dieses Bundes der deutschen Bekenntnis­kirchen stehen. Uns fügt dabei zusammen das Bekenntnis zu der einen Kirche Jesu Christi, welches bei der Vereinigung der Be­kenntniskirchen zur Deutschen Evangelischen Kirche ausgespro­chen ist.«

Damit bringt die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zum Ausdruck, daß man ihr nur zu Unrecht ein Verlassen der Bekenntnis-, Verfassungs- und Rechtsgrundlage vorwerfen kann. Wir sind keine Rebellen; aber wir müssen um unserer Verantwor­tung willen vor Gott und Menschen fordern, daß weder uns noch an­deren durch Verrückung der Bekenntnis- und Rechtsgrundlage die Möglichkeit genommen wird, dieser unserer Verantwortung vor Gott und Menschen gerecht zu werden. Wir können nicht mit gutem Gewissen Glieder der Deutschen Evangelischen Kirche sein, wenn sie nicht in Worten und Handlungen dem Tatbestände Rechnung trägt, daß sie in ihrer Verfassung mit ganzem Ernst und ohne Vorbe­halt sich auf jene Bekenntnisgrundlage bezieht. Uns wäre es unmöglich gemacht, weiter in der Deutschen Evangelischen Kirche zu ver­bleiben, wenn die angezogenen Artikel der Verfassung etwa nur den Sinn hätten, hinter ihrem Schutz allmählich eine grundsätzliche Um­wandlung des Wesens der Deutschen Evangelischen Kirche zu voll­ziehen.

Man könnte uns fragen, inwiefern wir zur Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche gerade in dieser Zusammenset­zung uns versammelt haben. Denn wir sind ein Kreis, der sich zusam­mensetzt aus gesetzlichen Vertretern deutscher Kirchen, aber auch aus freien Vertretern freier Synoden, Kirchentage und Gemeinde­kreise, denen die gesetzlich anerkannte Berufung noch abgeht. Wir haben aber dabei ein gutes Gewissen. Nicht aus Vorwitz haben wir uns versammelt und nicht in Übereilung, sondern es haben sich hier die Vertreter solcher Kirchenkörper und solcher freien Kreise zu­sammengefunden, welche überzeugt sind, daß es nunmehr des Ein­satzes aller Kräfte, und zwar ohne Verzug, bedarf, weil ein Notstand, nämlich Bekenntnis- und Rechtsnot, eingetreten ist. Aus diesem Notstand, der die Bekenntnis- und Verfassungsgrundlagen der Deutschen Evangelischen Kirche bis aufs äußerste gefährdet, erklärt und rechtfertigt es sich, daß wir hier in dieser Zusammensetzung uns versammelt haben. Dem bestehenden Notstand geben wir mit fol­genden Worten Ausdruck:

»Wir erklären aber vor der Öffentlichkeit aller evangelischen Kir­chen Deutschlands ebenso gemeinsam, daß die Einheit dieses Be­kenntnisses und damit auch die Einheit der Deutschen Evangeli­schen Kirche aufs schwerste gefährdet ist. Sie ist nämlich bedroht durch die in dem ersten Jahr des Bestehens der Deutschen Evan­gelischen Kirche mehr und mehr sichtbar gewordene Lehr- und Handlungsweise der herrschenden Kirchenpartei der Deutschen Christen und des von ihr getragenen Kirchenregimentes. Diese Bedrohung besteht darin, daß die theologische Voraussetzung, in der die Deutsche Evangelische Kirche vereinigt ist, sowohl seitens der Führer und Sprecher der Deutschen Christen, als auch seitens der Kirchenregimente dauernd und grundsätzlich durch fremde Voraussetzungen durchkreuzt und unwirksam gemacht wird. Bei deren Geltung hört die Kirche nach allen bei uns in Kraft stehen­den Bekenntnissen auf, Kirche zu sein. Bei deren Geltung wird al­so auch die Deutsche Evangelische Kirche als Bund der Bekennt­niskirchen innerlich unmöglich.«

Unsere Bekenntnisgemeinschaft ist also nach der positiven und nach der negativen Seite hin begründet. Uns Vertreter dieser Synode eint das gemeinsame Bekenntnis zu der einen Kirche Jesu Christi; uns eint der verfassungs- und rechtmäßig feststehende Grund der Deut­schen Evangelischen Kirche. Uns eint aber ebensosehr der unerhörte, Grundlage und Wesen der Deutschen Evangelischen Kirche zer­störende Angriff, welchem die Deutsche Evangelische Kirche seit mehr als einem Jahr ausgesetzt ist. Wir würden uns vor Gott versün­digen, wir würden auch die uns gebotene Liebe zu Volk und Vater­land verleugnen, wenn wir diesen Tatbestand nicht mit dem Aus­druck des schärfsten Protestes vor der deutschen Öffentlichkeit dar­legen würden. Denn die Einheit des Bekenntnisses zu der einen Kir­che Jesu Christi ist in der Deutschen Evangelischen Kirche auf das schwerste gefährdet. Damit droht die Deutsche Evangelische Kirche überhaupt auseinanderzufallen. Denn nur in diesem Bekenntnis gibt es Deutsche Evangelische Kirche.

Offenbar geworden ist diese Gefährdung sowohl durch Lehr- und Handlungsweise der herrschenden Kirchenpartei der Deutschen Christen als auch durch die von ihr getragene Reichskirchenregie­rung. Dabei handelt es sich nicht um gelegentliche Versehen einzel­ner, denen man auf dem Verwaltungswege begegnen und sie so be­seitigen könnte; sondern es handelt sich um falsche Lehre auf der ganzen Front und um ein Verhalten, das nicht nur gelegentlich, son­dern grundsätzlich und in seiner ganzen Breite dem Evangelium, den in Kraft bestehenden Bekenntnissen und der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche widerstreitet. Wir müßten dicke Bände schreiben, um die Unsumme von Gewalttaten, Unrecht, Rechtsbeugung und Rechtsbruch aufzuzählen, in welchen diese Handlungsweise sichtbar geworden ist. Nicht mit Unrecht werden wir den neuesten Annäherungsversuch der Deutschen Christen an uns (vgl. die Pläne einer Aussprache in Erlangen) so deuten, daß auch ihnen selbst aufzugehen beginnt, welche unabsehbaren Folgen aus der bisher vertretenen falschen Lehre und aus den bisher began­genen unkirchlichen und rechtswidrigen Handlungen sich ergeben werden. Auch sieht jeder Einsichtige, daß die heillose Verwirrung der durch die Reichskirchenregierung geübten Gesetzgebung kaum noch übertroffen werden kann. Wenn man auch hin und wieder den gröbsten Entgleisungen auf dem Gebiet der Lehre widerstand, so se­hen wir mit Schrecken, daß dieser Widerstand nur dann erfolgte, wenn taktische Erwägungen ihn erwünscht erscheinen ließen.

Die von uns angefochtenen lehrhaften Äußerungen und die daraus fließenden unchristlichen und widerrechtlichen Handlungen sind aber nicht der tiefste Grund unseres Protestes. Vielmehr geht dieser Protest entscheidend gegen diejenigen der Kirche art- und wesens­fremden Voraussetzungen, mit denen die Reichskirchenregierung ebensowohl wie Führer und Sprecher der Deutschen Christen die theologischen Voraussetzungen der Deutschen Evangelischen Kir­che dauernd und grundsätzlich durchkreuzt und unwirksam ge­macht haben. Unser Protest ist also nicht ein zufälliger und gelegent­licher, sondern ein grundsätzlicher. Er ist nur so verständlich, daß er aus einer anderen Wurzel erwächst wie die grundsätzliche Haltung der Deutschen Christen und der Reichskirchenregierung. In dieser anderen Wurzel liegt viel mehr die drohende Auflösung der Deut­schen Evangelischen Kirche schlechthin begründet, als in dem viel­fach begangenen Unrecht und den häufig geäußerten lehrhaften Ungeheuerlichkeiten. Weil aber die Dinge, um die es geht, so tief greifen, ist auch die Einheit, die uns in unserer Synode zusammen­führt, so tief begründet, daß sie nur durch Abfall unserer Glieder vom lauteren Evangelium gefährdet werden könnte. Das möge Gott in Gnaden verhüten!

Wenn nun jemand sagen wollte, daß die Einheit, die uns zusammen­führt, eine unredliche Einheit ist, oder ein neuer Versuch, die alte Union wieder zu erneuern, so müssen wir dagegen auf das schärfste protestieren, auch dann, wenn uns dieser Einwand nicht aus takti­schen und propagandistischen Erwägungen heraus gemacht würde. Wir bestimmen das Verhältnis der in unserer Gemeinschaft vorhan­denen Konfessionen wie folgt:

»Wir dürfen aber auch nicht schweigen, da uns in einer Zeit ge­meinsamer Not tatsächlich ein gemeinsames Wort des Glaubens in den Mund gelegt ist. Wir befehlen es Gott, was diese Tatsache für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander für die Zu­kunft bedeuten mag.«

Als Lutheraner, Reformierte und Unierte sind wir heute zusammen­gekommen. Eine frühere Zeit hat meinen können, daß die zwischen uns noch unerledigten Fragen unwesentlich seien. Wir erachten es als ein Geschenk Gottes, daß wir in den letzten Jahren gelernt haben, wie wesentlich diese Fragen sind. Es seien nur einige dieser Fragen genannt: Wie kann und soll das vor mehr als 300 Jahren abgebroche­ne Gespräch zwischen Lutheranern und Reformierten über das hei­lige Abendmahl, über die Lehre von Christus, über die Erwählung wieder aufgenommen werden? — Kann und darf man die Union als Bekenntniskirche parallel den lutherischen und reformierten Kir­chen bezeichnen? — Hat die Union überhaupt ein Bekenntnis? — Uns ist bewußt, daß diese und andere Fragen noch ihrer einheitli­chen Beantwortung harren, und nichts liegt uns ferner, als sie in ir­gendeinem Sinne zu verharmlosen. Dabei ist uns bewußt, daß die neuerworbenen Erkenntnisse über den Unterschied des genuin Re­formatorischen und der später aufkommenden orthodoxen Theolo­gien erheblicher ist, als man lange Zeit meinte. Uns als Schülern der Reformatoren geht es darum, das Gespräch dort wieder anzuknüp­fen, wo es im 16. Jahrhundert abgebrochen worden ist, nicht aber darum, den Ausgangspunkt im 17. Jahrhundert zu wählen. Wird das beachtet, dann wird das Verhältnis der Konfessionen sehr viel ech­ter.

Wir sind der Überzeugung, daß die Erkenntnis von diesem Unter­schiede bei uns sehr viel klarer und theologischer ist als bei unseren Gegnern, und verabscheuen es, die konfessionelle Frage mit einer politischen zu verquicken, als ob der Unterschied von Luthertum und Calvinismus durch völkische Verschiedenheiten erklärt werden könnte. Aber bei dieser Erkenntnis können wir nicht umhin, jetzt gemeinsam zu reden und gemeinsam zu kämpfen. Denn der Angriff auf die christliche Substanz, wie er von Seiten der Deutschen Glau­bensbewegung und von Seiten der Deutschen Christen erfolgt, liegt restlos außerhalb des Verhältnisses der Konfessionen. Wir vermö­gen die Deutschen Christen nicht anders zu verstehen denn als die Vorläufer und — gewiß meist ungewollt — Vorkämpfer der Deut­schen Glaubensbewegung selbst. Damit wollen wir nicht gesagt ha­ben, daß es unter ihnen nicht Menschen gäbe, die nur aus einem Irr­tum heraus sich in der Front der Deutschen Christen befinden; aber so lange sie sich dort befinden, können wir sie nur mit den extremen Gegnern zusammen in einer Front stehend erblicken. Daran ändert auch nichts der kürzlich von den Deutschen Christen eingeschlagene Kurs, solange wir nicht der Überzeugung sind, daß die neuerliche Betonung des lutherischen Bekenntnisses bei den Deutschen Chri­sten aus anderen als aus taktischen Erwägungen erfolgt. Hierfür muß von ihnen der Beweis geliefert werden, indem sie durch sicht­bare Zeichen den Willen bekunden, die durch ihre Mitschuld her­beigeführte Zerstörung der Reste evangelischer Kirchen in Deutschland wiedergutmachen zu wollen.

Es erhebt sich die Frage, wie wir uns unsere Bekenntnis- und Ar­beitsgemeinschaft in Zukunft denken. Wir können darauf nur ant­worten, daß wir das nicht wissen und nicht den Mut haben, Gott in sein Weltregiment hineinzupfuschen. Denn wir sehen unsere Be­kenntnisgemeinschaft so: Gott hat sie — und nicht wir haben sie her­beigeführt. Denn unsere theologische Entwicklung ging, weit ent­fernt davon, eine Annäherung der Konfessionen herbeizuführen, vielmehr in der Richtung, daß wir uns unseres Konfessionsstandes von Tag zu Tag mehr bewußt wurden. Darum mag Gott sehen, nach­dem er uns diese große und schöne Gemeinschaft gegeben hat, wie es weiter geht. Wir trauen ihm zu, daß er es herrlich hinausführt. Nachdem es denn vor aller Welt Augen ist, daß Gott uns ein gemein­sames Wort des Glaubens bereits seit langem in den Mund gelegt hat, versuchen wir jetzt auch, diesem gemeinsamen Wort Ausdruck zu verleihen:

»Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Chri­sten und der gegenwär­tigen Reichskirchenregierung insbesondere zu folgenden evange­lischen Wahrheiten, die auf Grund der theologischen Vorausset­zung der Deutschen Evangelischen Kirche notwendig Geltung beanspruchen und deren Leugnung oder Verkehrung gegen die Heilige Schrift und gegen die Bekenntnisse verstößt.«

Die sechs Sätze, die nun folgen, sind nicht zu verstehen als Verhand­lungsbasis mit unseren Gegnern, als könnte noch etwas davon abge­marktet werden, als könnten wir uns von diesen Ausgangspunkten aus auf einer gemeinsamen, mittleren Linie mit unseren Gegnern ei­nigen. Sondern sie sind zu verstehen als conditio sine qua non. Das zu bezeugen, ist uns ein sehr ernstes Anliegen; denn der gegenwärti­ge Kampf in der Kirche ist wahrlich keine Parteiauseinandersetzung im Sinn der letzten 14 Jahre, sondern es geht hier um die letzten Din­ge-

1.

»Jesus spricht: ›Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.‹ (Joh. 14,6) »Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder. Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden. (Joh. 10,1+9)«

Jeder unserer Sätze beginnt mit einer Schriftstelle, in welcher nach unserer Überzeugung eine ganze Reihe von Schriftstellen zusammengefaßt sind, die Gehorsam heischend vor uns treten und zeigen, daß es uns nicht um programmatische Forderungen geht, über die man allenfalls reden kann, sondern daß wir auf Leben und Seligkeit hin gerufen sind. Wir stehen an einem Ort der Kirchengeschichte, an welchem nach unserer Überzeugung versucht wird, an einer anderen Stelle in den Schafstall einzusteigen als durch die Tür. Wir stehen an einem Punkt der Kirchengeschichte, an dem jedem, dem Gott Glau­ben gegeben hat, einsichtig geworden sein muß, daß es um die Ret­tung und das Seligwerden von Sündern geht. Mag die Frage der Art des Einsatzes der Kirche im Dritten Reich eine dringende Frage sein, so wissen wir, daß es für die Kirche noch viel dringlicher ist, ob ihre Diener wirklich durch die Tür in den Schafstall gehen.

Uns ist für die heutige Zeit dieses Verständnis der Bibelstelle gege­ben:

»Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.«

Dieser Absatz besagt, daß es die Aufgabe ist, und zwar die einzige und vordringliche Aufgabe der Kirche, Jesus Christus zu predigen. Es ist nur durch einen Irrtum möglich, ihn als Idee zu predigen, die in der Geschichte mehr oder weniger verwirklicht wird. Wäre es so, dann wäre die Deutung einer gegenwärtigen Geschichte und die Verkündung von Jesus Christus ein und dasselbe. Vielmehr ist es so, daß Jesus Christus nicht verwirklichte Idee, sondern ins Fleisch ge­kommener Gott ist, der sich erniedrigt hat, um uns von den Versu­chen der Selbsterhöhung und der Selbstüberhöhung zu erlösen, der noch heute zu uns kommt in seinem Wort als der einmal Erniedrigte. Denn er selbst ist das Wort, das von Anfang war, das in der Zeit er­schienen ist und das uns offenbar wird bei der Predigt, die in der Ge­meinde geschieht. Daraus folgt aber, daß in der Gemeinde nur er ge­hört werden soll. Alles Vertrauen und aller Gehorsam, der im Leben und Sterben getätigt wird, darf nur Vertrauen und Gehorsam ihm gegenüber sein. Wo er im Leben oder Sterben einen Grund schenkt, ist dieser Grund so viel fester als alle an­deren, die man nennen möchte, daß diese anderen Grundlagen im Leben oder Sterben schlechthin nicht wert sind, neben ihm genannt zu werden. Wo ein Anspruch von ihm her uns im Leben oder Sterben trifft, ist dieser Anspruch so dringlich, daß alle anderen noch so ernsten Ansprüche in diesem Augenblick als Gehorsamsforderung hinfällig sind, wo er Gehorsam von uns erheischt.

Eben dieses wird heute von denen bestritten, die sich fälschlicher­weise auch Kirche nennen.

»Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Of­fenbarung hören, anerkennen und verkündigen.«

Wir dürfen um unseres Herrn Jesu Christi willen nicht müde werden, immer wieder zu betonen, daß es falsche Lehre ist, wenn man neben die Bindung an das in Christo fleischgewordene Wort und das in ihm gepredigte Wort noch andere Bindungen für die Kirche stellt. Das geschieht heute. Man ist dauernd und nachhaltig an die Kirche und an ihre Glieder mit dem Anspruch herangetreten, die Ereignisse des Jahres 1933 als bindend für Verkündigung und Schriftauslegung, als Gehorsam heischend neben der Heiligen Schrift und über ihren An­spruch hinaus anzuerkennen. Wenn wir dagegen protestieren, dann protestieren wir nicht als Volksglieder gegen die jüngste Geschichte des Volkes, nicht als Staatsbürger gegen den neu­en Staat, nicht als Untertanen gegen die Obrigkeit, sondern wir erheben Protest gegen dieselbe Erscheinung, die seit mehr als 200 Jahren die Verwüstung der Kirche schon langsam vorbereitet hat. Denn es ist nur ein relati­ver Unterschied, ob man neben der Heiligen Schrift in der Kirche ge­schichtliche Ereignisse oder aber die Vernunft, die Kultur, das äs­thetische Empfinden, den Fortschritt oder andere Mächte und Grö­ßen als bindende Ansprüche an die Kirche nennt. Alle diese Größen können die Verkündigung von Christus nicht begrenzen, sie können auch nicht neben Christus als Gegenstände der Verkündigung tre­ten, sie können vielmehr in der Verkündigung keinen anderen Raum haben als diesen: Sie sind verschiedene Malzeichen der einen und im Grunde unveränderten Welt, die in Christus, aber nur in Christus, Erlösung finden kann.

2.

Wir wissen uns gerufen, gerade heute zu sagen, worin das Werk Christi für uns, an uns und in uns besteht. Wir müssen diesem Ruf folgen, damit wir als Lehrer, Diener und Glieder der Kirche die Menschen, soweit möglich, vor einer Verwechselung des Werkes Christi mit anderen Werken bewahren. Das Werk Christi ist zusam­menfassend ausgedrückt in den Worten der Schrift:

»›Jesus Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.‹ (1. Kor. 1,30.)«

Dieses Bibelwort faßt die Botschaft der Heiligen Schrift so zusam­men, daß offenbar wird: Das Werk Christi ist nicht eine Teilerschei­nung in einem in sich selbst ablaufenden Erlösungsprozeß der Men­schen, es ist auch in keinem Sinne Fundament für ein von Menschen zu leistendes Werk, sondern es ist als sein, und nur als sein Werk um­fassend. Es begreift in sich alles, was Gott zur Behebung menschli­chen Elends getan hat, tut und tun wird. Es leidet keinerlei Ergän­zung und Unterstützung von Seiten sündiger, ungläubiger oder gläu­biger Menschen. Es ist allgenugsam und erträgt darum auch keiner­lei Zerteilung und Zerspaltung.

Wir glauben, diesem Bibelwort heute folgende Auslegung geben zu müssen:

»Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unse­rer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräfti­ger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.«

Wir versuchen also, dem umfassenden Charakter des Werkes Christi dahin Ausdruck zu verleihen, daß er uns nicht nur aus der Sünde in den Stand der Gnade versetzt, um uns dann uns selbst zu überlassen, sondern daß er vielmehr uns darum aus Gottlosigkeit und Sünde er­löst, damit wir sein eigen seien und unter ihm leben, so daß seine Ge­genwart in dem von ihm geschenkten Leben als richtender und uns rettender Anspruch dauernd an uns herantritt, aber zugleich uns fro­he Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt bedeutet, so daß wir ihm frei und dankbar an seinen Geschöpfen dienen.

Denn nicht darum lehnen wir es ab, daß neben ihn und sein Wort in der Heiligen Schrift noch andere Offenbarungsquellen treten, weil wir uns etwa gerufen wüßten, eine bestimmte theologische Erkennt­nistheorie durchzufechten. Vielmehr geschieht unser Protest gegen andere Offenbarungsquellen in der Erkenntnis, daß der Anspruch solcher anderen Quellen ein Anspruch göttlicher Bindung und da­mit eine Leugnung der in Christo uns widerfahrenen Weisheit, Ge­rechtigkeit, Heiligung und Erlösung ist.

Wer uns vorwirft, daß unsere Verkündigung kein Verständnis für die göttliche Schöpfung und das göttliche Weltregiment habe, der macht uns diese Vorwürfe aus Unverstand oder aus Böswilligkeit. Wir erfahren die Schönheit der Kreaturen Gottes und ihre Dämonie, wir erfahren Höhepunkte und Tiefstände in der unter Gottes Welt­regiment sich vollziehenden Geschichte genau so wie andere Leute. Was wir aber fürchten mehr als den Tod, ist die Tatsache, daß die Kreaturen Gottes und Geschehnisse der Geschichte uns in Versu­chung führen, wie sie im Lauf der Geschichte alle Menschen in Ver­suchung geführt haben. Diese wurden zu Heiden, wenn sie der Ver­suchung unterlagen, aus ihnen und in ihnen Gott ohne Christus zu suchen. Wo immer das geschieht, ob unter heidnischen oder christli­chen Bezeichnungen, vollzieht sich eigene Weisheit, eigene Gerech­tigkeit, eigene Heiligung, eigene Erlösung. Es gewinnen andere Herren als Jesus Christus, andere Gebote als seine Gebote über uns Gewalt. Sie bieten sich uns an als Erlöser, aber sie erweisen sich als Folterknechte einer unerlösten Welt. Darum ermahnen wir alle Christen, sich mit äußerstem Fleiß vor der Irrlehre zu hüten, als kön­ne man Rechtfertigung und Heiligung auseinanderreißen. Wir war­nen alle vor dem Mißbrauch des göttlichen Angebotes, in welchem man Zuspruch der Sündenvergebung will, aber Gottes Anspruch auf Grund der Sündenvergebung verweigert. Diese Erkenntnisse fassen wir so zusammen:

»Wir verwerfen die falsche Lehre, als gäbe es Gebiete unseres Le­bens, auf denen wir nicht Jesus Christus, sondern Herren außer ihm gehören, nicht seinem, sondern einem von ihm unabhängigen Gebot verantwortlich wären.«

Nun ist uns sehr wohl bekannt, daß solche Erkenntnis und solcher Glaube nur der christlichen Kirche gegeben ist, und also auch nur von ihr und ihren Gliedern, vor allem von ihren Dienern verlangt werden kann. Darum würden wir auch in einem anderen Ton spre­chen und sprechen müssen, wenn wir zu der Welt sprächen, die kei­nen Wert darauf legt, Kirche zu sein. Wir sprechen aber zu der Welt, die den Anspruch erhebt, Kirche zu sein, und den Christen, die sich dieser Welt verbündet haben. Um diese zu locken und zurückzuru­fen, müssen wir sie, in deutlicher Absetzung zu ihnen, bekämpfen. Würden wir zu der Welt reden, die nicht Kirche sein will, so würden wir sie damit, daß wir sie locken, bekämpfen.

3.

Aus diesem Grunde haben wir auch an die Brüder und Schwestern, die mit uns in der Bekenntnisgemeinschaft zusammen sind, keine dringlichere Mahnung als diese, daß sie recht Kirche seien und als Glieder der Kirche in Bewußtheit kämpfen. Wir finden, daß diese biblische Mahnung ihren zusammenfassenden Ausdruck findet in Eph. 4,15.16:

»»Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist.‹ (Eph. 4,15–16)«

Wenn der Apostel so spricht, so redet er nicht von einer moralischen Rechtschaffenheit oder einer dem Blut entwachsenen Liebe. Täte er das, dann würde er von einer menschlichen Gesellschaftsform, aber nicht von der Kirche reden. Denn die Kirche wird nicht aus bürgerli­cher Rechtschaffenheit und blutmäßiger Liebe, sondern sie wird aus Christi Gerechtigkeit und Christi Liebe. So allein kann sie etwas an­deres sein als Größe innerhalb der menschlichen Gesellschaft und als soziologische Größe; so allein kann sie in rechtschaffener Liebe zusammengefügter Leib sein, an welchem Christus das Haupt ist. Würden wir von der Kirche nicht glauben, daß sie etwas anderes ist als menschliche Gesellschaftsform, so würden wir den ganzen von uns geführten Kirchenkampf als unberechtigt, ja als verbrecherisch halten. So aber glauben wir von der Kirche dies gemeinsam beken­nen zu müssen:

»Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Je­sus Christus als der Herr verkündigt wird. Sie hat mit ihrem Glau­ben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde und selber als die Kirche der Sünder zu bezeugen, daß sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung und in Erwartung sei­ner Erscheinung lebt und leben möchte.«

Wenn in der Gemeinschaft der Brüder, die nicht aus Geburt, son­dern aus Wiedergeburt Brüder sind, Jesus Christus als der Herr ver­kündigt wird, so geschieht etwas grundsätzlich anderes, als wenn ei­ne weltanschauliche oder kulturelle Gemeinschaft sich die Pflege ih­rer Überzeugungen angelegen sein läßt. Denn in der Verkündigung Jesu Christi als des Herrn geschieht es, daß die in der Kirche Zusammengefaßten neue Schöpfung werden, wie Christus spricht: »Ihr seid rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.« Dar­um ist es wesentlich, daß die Kirche mit ihrem Wort bezeuge und durch die Art ihres Daseins ein aufgerichtetes Zeichen sei, daß sie nur Kirche ist als Eigentum Jesu Christi, daß sie nur leben kann von seinem Trost und seiner Weisung. Sie bezeugt, in diesem Trost und in dieser Weisung so reich geworden zu sein, daß sie auch nicht mehr anders leben möchte. In dieser Weise ist die Kirche Missionarin der Welt, indem sie unter allen menschlichen Gesellschaftsformen als besonderes Zeichen in die Augen fällt, und in ihrer Verkündigung deutet, warum es so und nicht anders mit ihr bestellt ist. Das gilt von der Kirche unbeschadet der Tatsache, daß sie für die Gemeinschaft der Brüder, die im Worte rein geworden sind, dennoch zugleich eine Gemeinschaft der Sünder ist, aus demselben Blut und von derselben Herkunft wie die Kinder der Welt. Wie könnte sie sonst Mission trei­ben, wenn sie nicht in Wort und Wandel bezeichnete, daß gerade so unvollkommene, so verlorene, so gottlose Menschen wie die Glieder der Kirche zu dem werden und das sein können, was sie als Glieder der Kirche sind: im Worte durch das Blut Jesu Christi gereinigte Gotteskinder.

Diese Botschaft und diese Existenz werden aber der Kirche unmög­lich gemacht in dem Augenblick, wo man die Grenze zwischen ihr und der Welt verwischt. Das geschieht immer dann, wenn das freie Belieben der Sünder und nicht mehr das unwandelbare Wort Gottes von der Vergebung in Christo die Kirche beherrscht. Wir verstehen sehr wohl, daß man die Wünsche unserer Zeitgenossen und den Wechsel ihrer Überzeugung als kirchenbildende Macht in den Raum der Kirche hineinbeziehen möchte. Man möchte der Welt deutlich machen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, kirchlich und christlich zu sein, um auf diese Weise die Welt zu missionieren. Aber gerade dagegen müssen wir protestieren. Denn so wenig wie die Untertanen sich damit bei der Obrigkeit beliebt machen können und dürfen, daß sie obrigkeitliche Allüren annehmen, so wenig der Lehrer ein guter Lehrer wird dadurch, daß er mit den Schülern ge­meinsame Sache macht, so wenig wird die Kirche dadurch missions­tüchtig, daß sie sich mit der Welt, welche durch sie missioniert wer­den soll, auf eine Ebene stellt. Es muß jeder sich selbst treu bleiben, sonst kann er seinem Nächsten nicht dienen. Es muß die Kirche Kirche bleiben, sonst kann sie nicht missionarisch wirken.

4.

Darum muß auch die Gestaltung der Kirche ihrem innersten Wesen entsprechen. Unser Herr Christus spricht:

»›Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen, und die Ober­herren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch; sondern, so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener.‹ (Matth. 20,25.26.)«

Christus wendet sich nicht dagegen, daß im Raume der Welt die Für­sten herrschen und die Oberherren Gewalt haben. Auch uns ist es ei­ne ernste Sorge, daß wir diesem Rechte der Welt Rechnung tragen. Aber ebenso ernst möchten wir als Lehrer, Diener und Glieder der Kirche gerade in diesem Punkte uns nach dem Wort des Herrn von den weltlichen Fürsten und Oberherren unterschieden wissen. »So soll es unter euch nicht sein.« Mit diesem Wort zeigt Christus klar und deutlich, daß die christliche Gemeinde nur als Umkehrung der Welt Bestand hat und nur dann ihrer Verpflichtung nachkommt, wenn sie diese Umkehrung des weltlichen Schemas auch zum Aus­druck bringt. Im Blick auf die Gestaltung der Kirche verstehen wir das angezogene Wort des Herrn so:

»Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herr­schaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.«

Auch in der Kirche gibt es ein Unten und Oben, ein Geführtwerden und ein Führen. Pfarrer und Gemeinden sind gehalten, ihrer recht­mäßigen kirchlichen Obrigkeit zur rechten Zeit die Kollekten und Steuernachweise einzuliefern, die Statistiken aufzustellen, die Ord­nung der Kirche bei Wahlen und im Gottesdienst aufrechtzuerhal­ten. Aber wehe der Kirche, wenn dieses Obrigkeitsverhältnis zum Wesen der Kirche wird. Schon einmal in der Geschichte der christli­chen Kirche ist es dazu geworden: im Papsttum des Mittelalters. Zum zweiten Male wird es heute so. Denn die in der Kirche zur Herr­schaft gekommene Führeridee beschränkt sich gerade nicht auf Kollektennachweisung, Steuereintreibung, Statistiken und äußere Ord­nung des kirchlichen Lebens, sondern sie bestimmt gewisse inhaltli­che Bedingungen, ohne deren Erfüllung es nach ihrer Meinung we­der geistliches Amt noch Presbyterium, noch Kirchenvorstand, noch Stimme der Gesamtgemeinde in der Synode geben soll. So wird aus dem anvertrauten und befohlenen Dienst eine selbstge­wählte und usurpatorisch an sich gerissene Herrschaft. Aus dem: »So soll es unter euch nicht sein« wird ein: »Noch schlimmer soll es unter euch sein«.

Auf Grund der neutestamentlichen Verkündigung erkennen wir al­so die Möglichkeit und die Notwendigkeit verschiedener Ämter in der Gemeinde an. Wir wissen auf Grund des Befundes im Neuen Te­stament, daß für die Art und die Zahl der verschiedenen Ämter kei­ne endgültige und überall einzuführende Ordnung besteht. Wir mei­nen, daß in der christlichen Gemeinde eine bischöfliche Verfassung und eine presbyteriale Verfassung sein kann. Wir sind aber auch überzeugt, daß in der christlichen Gemeinde sowohl unter der bi­schöflichen Verfassung als auch unter der presbyterialen Verfassung der Teufel zur Herrschaft kommen kann. Keine der möglichen Ver­fassungen garantiert christlichen Brauch und christliches Leben. Vielmehr sollen Verfassungen der Kirche der Versuch sein, ein Zei­chen aufzurichten, welches der Welt deutlich macht, was der Herr sagt: »So soll es unter euch nicht sein«. Präses und Bischof, Bischof und Präses, Pastor und Diakon, Diakon und Pastor sind in umge­kehrtem Verhältnis zu ihrem Rang die untersten Diener der Ge­meinde. Die entscheidenden Vorgänge aber vollziehen sich außer­halb dieser Rangordnung überall da und dann, wo und wann Gott durch sein Wort und sein Sakrament Menschen aus dem Tode zum Leben, aus dem Reich der Finsternis in das Reich des lieben Sohnes Gottes durch seine machtvolle Hand versetzt.

Damit ist bereits ausgelegt, was wir mit dem zweiten Absatz meinen, der so lautet:

»Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kir­che abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnis­sen ausgestattete ›Führer‹ geben oder geben lassen nach dem Vor­bild bestimmter Staatsformen.«

5.

Aus dem Gesagten wird aber auch jeder ehrlich denkende Mensch sehen, wie wir zu Staat und Volk stehen. Damit wir aber den Lüg­nern auch das Maul stopfen, lassen wir noch einmal die Stimme der Heiligen Schrift laut werden, welche spricht:

»»Fürchtet Gott, ehret den König!‹ (1. Petr. 2,17.)«

Dazu ist nur zu bemerken: Wenn wir auch aus keiner anderen Erwä­gung heraus uns mit ganzem Ernst bemühten, gute Staatsbürger zu sein, so soll doch alle Welt wissen, daß uns dieses eine Wort der Schrift fester bindet und hält, als tausend Eide und irdische Bindun­gen uns halten könnten. Oft genug schon haben wir zum Ausdruck gebracht, daß man nur im Unrecht gegen Zeit und Ewigkeit uns als Rebellen verdächtigt, offenbar mit dem stillen Wunsche, uns da­durch auch kirchlich unmöglich zu machen. Um aber noch einmal bindend und eindeutig unsere auf die Schrift gegründete Überzeu­gung auszusprechen, fassen wir die aus der ganzen Heiligen Schrift gewonnene Auslegung unseres Bibelwortes so zusammen:

»Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Ordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, der auch die Kirche angehört, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschli­chen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Sicherheit zu sorgen. Die Kirche, frei in der Bin­dung an ihren Auftrag, begleitet mit Dank und Ehrfurcht gegen Gott den in der Bindung an seinen Auftrag ebenso freien Staat mit ihrer Fürbitte, aber auch mit der Erinnerung an Gottes ewiges Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit.«

Damit ist ausgesprochen, daß wir Glieder der Bekenntnisfront im Gehorsam und in der Treue gegen Volk und Staat durch ein göttli­ches Gebot gehalten sind. Nur deshalb, weil man nicht mit uns die Heilige Schrift ernst nimmt, kann die ewig neue Verdächtigung ge­gen uns ausge­sprochen werden. Sonst müßte man und würde es uns unterstellen, daß es keine stärkere Bin­dung für uns geben kann als die, die bei uns mit Gottes Hilfe bereits vorhanden ist. Die ewig neu­en Verdächtigungen machen sichtbar, daß die Heilige Schrift bei un­seren Gegnern nicht das Ansehen hat wie bei uns, und daß man vom Staate mehr erwartet, als ihm die Schrift für seinen Bereich zu­schreibt.

Beide, Staat und Kirche, sind Gebundene, diese im Bereich des Evangeliums, jener im Bereich des Gesetzes. Ihre Bindung bezeich­net den Raum ihrer Freiheit. Jede Überschreitung der Bindung führt sowohl die Kirche wie auch den Staat in eine ihrem Wesen fremde Knechtung. Allein aus der jeder der beiden Größen eigenen Bin­dung erwachsen ihr Dienst und ihre Aufgaben aneinander. Verkün­digt der Staat ein ewiges Reich, ein ewiges Gesetz und eine ewige Gerechtigkeit, dann verdirbt er sich selbst und mit sich sein Volk. Verkündigt die Kirche ein staatliches Reich, ein irdisches Gesetz und die Gerechtigkeit einer menschlichen Gesellschaftsform, dann überschreitet sie ihre Grenzen und reißt den Staat in ihre eigene Ver­sumpfung mit sich hinab.

Das meinen wir, wenn wir in Abweisung falscher Lehre sagen:

»Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne ein Staat die einzige und ›totale‹ Ordnung menschlichen Lebens werden. Wir verwer­fen die falsche Lehre, als habe sich die Kirche mit ihrer Botschaft oder auch nur mit ihrer Gestalt einer bestimmten Staatsform an­zugleichen.«

Wir glauben, nichts zu tun als unsere Pflicht vor Gott, dem allein Weisen und allein Gerechten, wenn wir in Abwehr deutsch-christli­cher Irrtümer darauf aufmerksam machen, daß auch die Staatsweis­heit in unserer gegenwärtigen Staatsform, über die wir uns sonst kein Urteil erlauben, nicht Gottes Weisheit, daß auch das Maß der Ge­rechtigkeit, welches in unserem Staatswesen herrscht, nicht das Maß göttlicher Gerechtigkeit ist. Und ein für allemal müssen wir es beto­nen, daß wir kein irdisches Gesetz kennen, durch welches mit Recht göttliches Gesetz gebrochen werden könnte. »Totaler Staat«, das kann nur heißen: ein Staat, der sich bemüht, innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen das gesamte Leben des Volkes zu umfassen. Wollen die Deutschen Christen eine Umfassung über diese Grenze hinaus, dann verleugnen sie die Realität und die Aktualität des gött­lichen Gebotes.

6.

Wir geben abschließend Zeugnis davon, warum uns die Kirche so groß ist, trotz ihrer vielleicht äußerlich geringen Gestalt, daß wir im­mer wieder ihre Einzigartigkeit und ihre Uneinholbarkeit betonen. Dieses Zeugnis ist beschlossen in den Worten der Schrift:

»›Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.« (Matth. 28,20.)
›Gottes Wort ist nicht gebunden.« (2. Tim. 2,9.)«

Es gibt kein Staatswesen, es gibt auch kein Volk, für welche das Wort Gültigkeit hätte, daß Christus bei ihnen wäre bis an der Welt Ende. Aus diesem Grunde gibt es auch keine Politik, auch keine Kirchen- politik, die nicht unter das Wort der Schrift fällt: »Alles Fleisch ist wie Gras«. Jede politische Rede ist den Machtmitteln dieser Erde mit Recht ausgesetzt. Das Wort Gottes kann nicht gebunden wer­den, weil Er bei uns ist bis an der Welt Ende. In dem einen besteht das andere.

Daraus und daraus allein ergibt sich das der Kirche Eigentümliche, was wir zur Geltung bringen müssen:

»Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, be­steht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.«

Wenn wir um die Freiheit des kirchlichen Auftrages kämpfen, dann meinen wir grundsätzlich etwas anderes, als das, was die vergangene Zeit meinte, wenn sie von der Freiheit des Menschen sprach. Wenn wir betonen, daß die Gemeinde nicht mundtot gemacht werden kön­ne, dann bringen wir damit kein demokratisches Prinzip zur Gel­tung. Wenn wir zum Ausdruck bringen, daß der einzige Rahmen, in­nerhalb dessen zu stehen von dem Verkündiger gefordert werden kann, der Rahmen der Heiligen Schrift in der Gemäßheit des Be­kenntnisses dieser Kirche ist, so meinen wir damit nicht, daß dem Verkündiger neben anderen Staatsbürgern ein Sonderrecht zukä­me. Alle diese Anliegen sind nichts als der Ausdruck unseres Glau­bens, daß in der Gemeinschaft von Brüdern, von der wir oben ge­sprochen haben, die man Kirche heißt, Christus nicht nur als Idee, sondern als der lebendige Herr, nicht nur in unerreichbarer Feme, sondern mitten unter uns lebt, wirkt und regiert, wie die Schrift spricht: »Das Wort Gottes ist dir nahe, in deinem Munde und in dei­nem Herzen«. Und eine andere Schrift spricht: »Sie werden alle von Gott gelehrt sein«. Es ist dringliche Aufgabe der Kirche, durch sicht­bare Zeichen zum Ausdruck zu bringen, daß die Belehrung durch den Heiligen Geist und daß die Gegenwart Christi nicht erstrebens­werte Ideale der Kirche, sondern geschenkte Ausgangspunkte ihres Handelns sind in Wort und Werk.

So und so allein ist es zu verstehen, wenn wir die falsche Lehre ver­werfen, als könne

»die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig ge­wählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.«

Wenn wir im Laufe des letzten Jahres und jetzt erneut immer wieder zum Ausdruck gebracht haben, daß die Verkündigung der Kirche nicht der menschlichen Selbstherrlichkeit zum Dienst bereitgestellt werden dürfte und nicht menschlich gewählten Wünschen, Zwecken und Plänen unterstellt werden kann, so sagen wir nicht, daß die­se Wünsche, Zwecke und Pläne nicht innerhalb der menschlichen Einsicht und des menschlichen Vermögens gut und wünschenswert seien; aber wir sind dessen eingedenk, daß dieses Urteil, sie seien gut und wünschenswert, menschliches Urteil ist. Wir überlassen es aber Gott, am Jüngsten Tage darüber zu entscheiden, ob diese Pläne und Wünsche auch göttlich erstrebenswert sind. Aus diesem Grunde können wir es nicht dulden, daß die Verkündigung in ihren Dienst gestellt wird, weil das soviel bedeuten würde, wie wenn die Gegen­wart Christi und die Ungebundenheit des Wortes durch den Heili­gen Geist in diesen menschlichen Plänen und Wünschen ebenso wirksam wäre wie in dem in der Gemeinde gepredigten Wort und dem in der Gemeinde gespendeten Sakrament.

Zusammenfassend beurteilt die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche diese sechs Punkte wie folgt:

»Die Bekenntnis-Synode der Deutschen Evangelischen Kirche erklärt, daß sie in der Anerkennung dieser Wahrheiten und in der Verwerfung dieser Irrtümer die unumgängliche theologische Be­dingung der Einheit und damit des Bestehens der Deutschen Evangelischen Kirche sieht. Sie fordert alle, die sich ihrer Erklä­rung anschließen können, auf, bei ihren kirchenpolitischen Ent­scheidungen dieser theologischen Erkenntnisse eingedenk zu sein. Sie bittet alle, die es angeht, in die Einheit des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zurückzukehren.«

Das bedeutet also, wie schon oben erwähnt, daß diese Punkte nicht ein Programm zur Geltung bringen, sondern vielmehr Äußerungen eines von Gott geschenkten Glaubens sind, über den man eben dar­um nicht verhandeln kann, weil er von Gott geschenkt ist. Es bedeu­tet, daß die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche dieser Sache so gewiß ist, daß sie andere mit in diese Verantwortung hineinzuziehen wagt. Es bedeutet im Hinblick auf die Deutschen Christen, insonderheit auf ihre neuerdings angewendete Taktik, die Notwendigkeit des lutherischen Bekenntnisses zu bezeugen, daß wir um der Wahrheit willen diese Bezeugung nicht als Wiedergutma­chung und damit als Erledigung unserer Beschwerdepunkte anse­hen können. Nicht aus Hochmut, sondern aus ernsten Bedenken heraus müssen wir bezeugen: Wir wollten gern mit ihnen einig sein, aber der Preis dieser Einigkeit wäre das von den Deutschen Christen deutlich ausgesprochene Bekenntnis, daß sie ihre bisherige Lehre und Praxis als kirchenzerstörend anerkennen und ihre Bereitschaft bekunden, nach anderen Grundsätzen und in anderer Ordnung zu­künftig Kirche zu bauen, als sie das bisher versucht haben. Denn wir sind ja nicht frei, zu tun und zu lassen, was wir möchten. Uns liegt Frieden und Gemütlichkeit mehr als Kampf und Risiko. Wir sind aber gebunden durch den unaufhebbaren Tatbestand:

»Verbum Dei manet in aeternum.«

Beschlußfassung zur Theologischen Erklärung

1. Synode erkennt die Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche im Zusammenhang mit dem Vortrag von Pastor Asmussen als christliches, biblisch-refor­matorisches Zeugnis an und nimmt sie auf ihre Verantwortung.

2. Synode übergibt diese Erklärung den Bekenntniskonventen zur Erarbeitung verantwortlicher Auslegung von ihren Bekenntnissen aus.

Quelle: Alfred Burgsmüller/Rudolf Weth (Hrsg.), Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 21984, S. 41–58.

Hier der Text als pdf.

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