Gustav Landauer über Martin Buber 1913: „Er hat keinen Appell losge­lassen, hat nicht zur Scham und zur Einsicht oder zur Duldung und Menschlichkeit aufgerufen; er hat nur öffentlich zu den Juden gesprochen und ihnen an einem groß zusammengefassten, verklärten, fast zum Mythos gestalteten Bild der Vergangenheit und aus den Tiefen seiner eigenen Seele heraus gesagt, was sie damit sind, dass sie Juden sind.“

Martin Buber[1]

Von Gustav Landauer

Martin Buber war in diesen Jahren eine große Verheißung; er ist jetzt ein Gelöbnis ge­worden, zu dessen Zeugen er uns mit seinem Daniel gemacht hat.[2]

Schon vorher hat er ein innig Schönes getan, das bleiben und wachsen wird. In sei­nen Büchern vom Baalschem, vom Rabbi Nachman und vor allem in seinen Drei Reden über das Judentum ist er, um seine eigenen, leicht variierten Worte auf ihn selbst anzu­wenden, der Apostel des Judentums vor der Menschheit.[3] Er hat keinen Appell losge­lassen, hat nicht zur Scham und zur Einsicht oder zur Duldung und Menschlichkeit aufgerufen; er hat nur öffentlich zu den Juden gesprochen und ihnen an einem groß zusammengefaßten, verklärten, fast zum Mythos gestalteten Bild der Vergangenheit und aus den Tiefen seiner eigenen Seele heraus gesagt, was sie damit sind, daß sie Juden sind. Er ist kein Streitlustiger und hat nicht geeifert; er hat Seiendes, Verschüttetes, Unterirdisches heraufbeschworen und hat dürstenden Schatten den Trank des Lebens, der Schönheit und der Verwirklichung gereicht, der ihnen wieder zu einem Leibe ver­hülfen hat. Und für Juden und Nichtjuden ist das Bild jüdischen Wesens anders gewor­den. Das Verstandesmäßige, das Scharfe, Spitze, Stechende, das Witzige, Kritische, Zer­setzende, das Gewandte und in alle Formen sich Schmiegende hatte man für jüdisch gehalten, so daß, da das alles nur Reaktion und Negation war, wie sie jedes Volk und jeder Teil eines Volkes annimmt, wenn sie in Unterdrückung und Empörung gedrängt werden, das jüdische Volk das einzige zu sein schien, das Züge des Positiven nicht auf­wies. Und so sehr und so laut viele drängten,[4] dem Judentum eine äußere Volks- oder gar Staatsgestalt zu schaffen, es schien außer dem physiologisch-physiognomischen und dem geschichtlichen Band keine Einheit da zu sein, die aus dem östlichen orthodoxen Wiederholer unverstandener und sinnlos gewordener Religionsübungen, dem Berliner Bankier, dem süddeutschen Viehhändler und solchen aus Schwermut, Aufruhr, Zerset­zung und Imitation gemischten Gestalten wie Börne oder Heine ein Volk gemacht hätte. Da ist nun vielleicht noch wichtiger als der Inhalt von Bubers Eröffnungen, wesentli­cher als all das Erweckende, Mitteilende, Offenbarende und die Gewissen und das tief­ste Wissen Erschütternde der bezwingende, unvergeßliche, nicht umzustoßende Ein­druck der Wahrheit, den Martin Bubers Rede auf alle macht, die sie hören. Daß, was er jüdisches Wesen nennt, im Laufe von Jahrtausenden immer nur an wenigen in Fülle hervorgetreten ist und durch sie auf Volk und Menschheit gewirkt hat, ist gewiß kein Einwand gegen den Blick, den er in die Zeiten tut, und gegen die Erneuerung, die er kündet: denn so stehn alle Völker in der Geschichte da und schreiten ihren neuen Ge­schicken zu. Aber möchten selbst, was schwer zu glauben ist, die Züge wieder ausge­löscht werden, in denen Buber jüdisches Wesen gezeichnet hat, möchte gar ein völlig anderes Judentum für Vergangenheit und Zukunft festgestellt werden, eines wird blei­ben, eines, das Buber nicht geschaffen, das er geschaut und in sich gefunden und mit dem Zwange und der Stärke der Wirklichkeit gestaltet hat: daß dieses Volk vor sich selbst und den andern in Reinheit steht, und daß die Menschheit in diesem wie in je­dem echten und lebendigen Volke sich selbst und ein Abbild ihres Wesens gespiegelt findet.

Mit seinen Legenden aus dem Kreise der chassidischen Lehre und des chassidischen Lebens und seiner Darstellung des Chassidismus hat Buber uns eine neue Gestalt der Mystik gegeben.[5] Gleichviel, wie weit er da Entdecker, wie weit er Schöpfer ist, er ist in den magischen Kreis einer Überlieferung eingetreten und hat aus Trümmern und Ent­stellungen ein Ganzes und Neues gegossen.[6] So ist er immer, daß er uns, gleichviel zu welchen Völkern oder entlegenen Kulturen er reist, etwas mitbringt, was wie aus ihm selbst gewachsen ist und uns ein Bedürfnis ist. Nie ist er Historiker oder Alexandriner, immer erlebt und gestaltet er das Einstmalige als ein Heutiges und als ein Ewiges. Wenn man von den Legenden des Baalschem und des Rabbi Nachman herkommt, diesen so ganz weltlichen, zugleich kosmischen und irdischen Geschichten von dem, was niemals war und immer ist, diesem Einklang von Landschaft und Menschengeist, von Natur und Seele, dann merken wir selbst in den liebsten, köstlichsten Legenden von Franzis­kus und den ersten Franziskanern noch einen Rest konfessioneller Enge, eine Unaus­geglichenheit zwischen zufällig-geschichtlicher Anekdote und dem Gleichnis heiliger Wahrheit.[7] Aber selbst wenn das alles nicht so wäre, wenn diese jüdischen Legenden nicht diese völlige Freiheit und Tiefe hätten, wenn es nur ein modernes und also ver­gängliches Element wäre, was uns Heutige zu diesen Geschichten, die uns ein Zeitge­nosse gegossen hat, besonders hinzieht, so bliebe doch, daß wir in ihnen eine neue Ge­stalt der Mystik hätten, deren wir nie genug haben können. Diese Mystik hat nicht die leidenschaftliche, Innigkeit und trotzig-gesunde Wucht verbindende Gewalt Meister Eckharts, der sich mit sausenden Flügelschlägen aus der Scholastik emporschwingt, um wie ein Cherub, von Feuer umflossen, in der blauen Stille zu kreisen;[8] sie hat nicht die ekstatisch-erotische Färbung, die uns wie eine Mischung aus Derwischtanz und wil­dem Raubvogelschrei anmutet, wie wir sie aus manchen orientalischen Überlieferun­gen kennen. Die Weisheit und Abgründlichkeit dieser neujüdischen Mystik ist erfüllt von Melancholie, von sanfter Schönheit, und die Stille, die in ihr wie in jeder Mystik den Atem anhält, ist zugleich eine himmlische Ruhe und eine Sehnsucht aus irdischer Gedrücktheit heraus. Es lebt in ihr ein Pathos der Verbannung und Verstoßung, eine Hingebung ans Leid, eine Erschütterung bis zur Zermürbung, und dazu aus dem Ver­langen und Bangen und inständigem Sehnen heraus das Wissen um kindlich dankbar empfangene Freude ohne Ende. Die Leidenschaft ist ganz innig, der Flug ganz geistig geworden, und alles irdisch Grobe, alles metallisch Dämonische, alles Vulkanische und derb und entschieden die Fesseln Sprengende, alle Wildheit und alles, was jauchzender Überschwang und Wonneverzückung ist, fehlt durchaus. Wir finden nie starke Unbändigkeit, nie volle Herzhaftigkeit, nie den Schrei oder die Brunst; es ist immer Gemes­senheit, Gefaßtheit, Gehaltenheit, ein in aller Abstufung gleiches Pathos auf dem Grun­de der Trauer.

Unter Juden im Exil sind diese schwermütigen mystischen Gebilde entstanden; die gebannte Seele eines Juden hat sie in unsrer Zeit zu ihrer Vollendung erhoben; und die Worte, die hier gesagt wurden, bezeichnen nicht nur die Art dieser Gleichnisse und Legenden; gemessene Haltung mit einem Einschlag von Leid und Erhabenheit ist das Siegel all dessen, was Martin Buber uns sagt und formt.

Da ist in einer dieser Legenden ein Rabbi, der aus all seiner Weisheit und Überle­genheit heraus schließlich zu fassungslosem, herzbrechendem Weinen gedrängt wird, und der mit diesem Weinen die Seelen der Gemeinde zur himmlischen Klarheit, zur Weihe und Einung mit sich emporträgt. Man könnte mit nur scheinbarer Umkehrung sagen, was in Martin Buber Rabbi und Weisheit, Bild und Musik, ja sogar Kraft und Tat und schließlich Harmonie und gefaßte Freude ist, sei wie aus dem stillen Wimmern eines ausgesetzten Kindes, aus der Tränenqual und Erleichterung eines im Elend schmach­tenden, von sich selber verlassenen und sich selber suchenden Volkes geboren.[9]

Man konnte, bevor Martin Buber so weit war, wie er jetzt ist, hie und da in Zweifel sein, wo die Quellen seiner feinen und erlesenen Kultur her kämen. Er ist, wie alles Ech­te, langsam gereift und hat, wie das Echte so oft, die Zeichen der Reife und Vollendung schon an sich getragen, als er noch lange zu sich unterwegs war. Dem Stolzen sind Mit­tel gegeben, auf seinem Weg nach der Fülle schon Gaben des Reichtums zu verteilen, und oft hat einer den beginnenden Stil seines Wesens und den Ausdruck seiner Seele, ehe er noch von dem vollen Inhalt dieser Form, von der festen und gediegenen Inner­lichkeit seines Glanzes und Schwunges Besitz ergriffen hat. So konnte es, zumal in unsern Zeiten der vollendeten Imitation, niemandem verdacht werden, wenn er vor kurzem noch Bubers Wesen gemischt gesehn hätte aus einer zarten, melancholisch-pa­thetischen Natur, deren Wahrhaftigkeit nie zu verkennen war, und hinwiederum einer Feinstes erratenden und sich zu eigen machenden Bildung, einer gepflegten Kultur und einem aus allen Zonen und Zeiten gespeisten Talent zum schönen Ausdruck, zur glück­lichen Analogie und zur nachdenklich-ebenmäßigen Rede.

Dazu kommt, daß nicht jeder gleich merken konnte, was es mit einem Grundzug in Bubers Schriften auf sich hat, der zunächst als Mangel an Gegenständlichkeit, als scheue Flucht fast vor der konkreten Welt in die Erscheinung tritt, die so weit geht, daß er in seiner Bildersprache das Entfernte manchmal nicht durch Nahliegendes, sondern durch noch Entlegeneres in Beziehung zum Gefühl setzt. Er scheint eine entschiedene Abnei­gung vor dem Eintreten in die bunte Welt des Relativen, des Geschichtlichen und nun gar des Alltags und der Gewöhnlichkeit zu haben, und mancher, der an derbe Kost ge­wöhnt ist und es verträgt, sich unbesonnen der Natur und den Wogen des Elementaren zu überlassen, mag wohl manchmal festeren Schritt oder gar Hemdärmligkeit als befrei­enden Widerpart gewünscht haben.

Wer näher zusah und die Steigerung dieses Wesens erlebte, merkte: die Gegenständ­lichkeit und der reiche Zusammenklang des extensiv und intensiv Einzelnen lebt in die­sen Darstellungen, wennschon fast nur in den oft ganz wonnesam eindringlichen und sinnlichen Bildern und Gleichnissen; und all diese Bilderwelt ist wiederum aufgegan­gen im Rhythmus der Rede. Und so sehr wir uns mit Buber im Allgemeinen und Ab­strakten bewegen, daß wir manchmal vermeinen, in einer Welt zu verweilen, deren kleinste Atomsplitter Begriffe seien, so kommt doch jeweils der Augenblick starker und bezwingender Gegenständlichkeit: da nämlich wird dieser seltsame Geist konkret, wo ihm, nachdem er ein Fundament von Begriffen gelegt hat, die Abstraktionen zu großen Zusammenhängen wachsen. Es ist, wie wenn einer, der sich auf tief vertrautem Boden bewegt, einem Zugereisten, den er führt, von einem Gipfel aus die Einheit einer Land­schaft zeigen wollte und ihn mit verbundenen Augen an den Einzelheiten vorbei berg­auf führte: sind wir oben, dann fällt die Binde, und wir schaun das Ganze klar und bei­sammen.

Diese Vertrautheit mit dem Abstrakten steht in unlöslicher Verbindung mit der Lie­be zum gefühlsmäßigen Ausdruck und seiner Bevorzugung vor dem logisch Bestimm­ten scharfer Terminologie. Von dieser Seite her möchte man ihn, wenn man nur hoffen dürfte, verstanden zu werden, einen Gnostiker nennen, eben einen Denker der Art, wo die Abstraktion sich nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Gefühl gattet. Daher rührt etwas, was sich schon heute zeigt, was aber, glaube und hoffe ich, bald noch viel merklicher werden wird: wie Buber der Apostel des Judentums vor der Menschheit ist, so wird er ein Erwecket und Fürsprecher des spezifisch frauenhaften Denkens sein, ohne das unsrer fertigen und gesunkenen Kultur keine Erneuerung und Erfrischung kom­men wird. Nur erst, wenn alles, was als Gedanke im Geist der Menschen lebt, wenn all unser abstraktes Denken zur Vermählung eintaucht in den tiefen Grund des Gefühls, wird aus unserm Denken Tat, wird aus unsrer logischen Öde wahrhaftes Leben erwach­sen. Dazu wird die Frau helfen; und wie Rahel, zu deren geistigen Familie Martin Bu­ber gehört, von dem frauenhaften Manne Goethe geweckt und gehalten worden ist, so werden die Frauen kommen und sind schon unterwegs, die in Bubers Gedankenmusik einstimmen.[10]

Es wäre billige Schubkasten- und Registraturart, Buber einen philosophischen Dich­ter oder poetischen Philosophen zu nennen. Wie seine Bilder und Gleichnisse nur Takt­gebilde seines Rhythmus scheinen, so ist all seine Abstraktionssprache Musik: man gibt sich ihr hin, man ist zauberhaft gefangen und wie in sie aufgelöst; man schwimmt in ihrem Strome, wohlig berührt und von Gefühl umflossen: und wer nichts weiter tut und nichts eigenes mitbringt, das festhält, der gerät in Gefahr, daß ihm, wenn er auf­blickt und zu sich kommt, nichts geblieben ist als der Eindruck und das Nachbild des Genusses, nichts als Rhythmus und Gefühl.

Solche kostenden und zerflossenen Leser mag Buber nicht zu wenige haben, wie denn manches Gebietende und Ordnende von manchen heutigen Tags hingenommen wird wie von triebhafter Jugend ein Märchen aus Tausend und einer Nacht[11], und wie es manchmal aussieht, als wachse ein Geschlecht heran, dem die Hände zum Zittern und die Augen zur Umflorung und der Mund als unersättlich lechzende fischähnliche Schnu­te umgebildet seien, und wie den Starken und Originalen heute das Leben weniger durch Verborgenheit und Unbekanntschaft vergällt wird, als dadurch, daß sie, statt auf ihresgleichen zu wirken, bei den Gecken in die Mode kommen und daß sie, wenn sie aus ihrer gestaltenden Einsamkeit heraus wie zu Felsen gekündet haben, ein Echo ver­nehmen, das nicht aus Stein, sondern aus Päpelbrei zu kommen scheint.

Martin Buber aber, wir wissen es jetzt, ist ein Starker, der keine genießende Hinge­bung brauchen kann, sondern nur leidende und zu Aufschwung und Tat bereite. Und solche Leser braucht er, die mit sich selber das festhaken, was ihnen geboten wird; die nicht bloß so träumerisch hinschwimmend oder sich zärtlicher Massage überlassend mit den Augen, sondern die fest und ordnend und unterscheidend, wie laut lesen und dem Rhythmus des Sprechers mit dem eigenen Tempo erwidern. Wohl ist Bubers Werk Mu­sik, und wohl gibt es keine Musik, die nicht aus Leid und Innigkeit geboren wäre[12]: aber doch gibt es herorische Musik und aus Not und Trauer und feiner Empfindlich­keit steigt dieses Menschen Fühlen und Denken und Gestalten zur Schau und zum Willen der Tat empor, dieses Menschen, der im Maßstab unsrer Zeit und als ein erst Beginnender, dessen Wachstum wir noch erleben sollen, uns repräsentiert, was die Pro­pheten waren, den heroischen Juden.

Das konnte man ahnen nach manchen der Legenden, aus der und jener Stelle der Drei Reden-, man erfährt es jetzt aus dem Buche: Daniel. Gespräche von der Verwirk­lichung.

Es wäre leicht und würde doch nur vom Wesentlichen ablenken, zu Bubers Grund­gedanken Vorgänger aufzustöbern. Man könnte an Heraklit erinnern als den die Welt in ihrer Fülle und Gegensätzlichkeit stark akzeptierenden Gegner aller Hinterweitler, der dem Schattensystem der Monisten von Elea sein hen kai pan, sein Eins und Alles entgegenrief, der in all und jedem das Eine und im Kleinsten das Ganze gefunden hat; an spätere ähnlichen Schlages, die gestaltender Hand und schreitendem Fuß den Weg auf der »klirrenden Heerstraße« des Lebens nicht von den grauen und dürftigen Gespinsten der Abstraktion verlegen lassen wollten, könnte man denken, an Nicolaus Cusanus vor allen, selbst an manches bei Leibniz und Herbart; aber man käme durch all diese Reminiszenzen nicht weit in Bubers Welt hinein, da sie uns in Verstandes­metaphysik, in Naturphilosophie oder Erkenntnistheorie führen würden, statt zu dem Mittelpunkte, der Ethos heißt.

Denn nun sehn wir: dieses Denken, das vom Allgemeinen aus zu großen Zusam­menhängen aufsteigt und die Welt der Sinne fast nur im Bilde verträgt, dieser Geist, der im Abstrakten zu Hause ist, hat sich auf den Weg gemacht, um der Abstraktion zu entrinnen und im Jungbad des Gefühls und der lebendigen Regsamkeit eine Wirklich­keit zu finden, in der das Allgemeine und gebietend Zusammenhaltende nicht mehr ein Gedankengebilde aus der dünnen Luft unsrer von der Oberfläche verdunstenden Denkatmosphäre, sondern der zutiefst in verborgenem Schacht unsers Innern gewach­sene Kern unsers Wesens ist. Er sucht und akzeptiert nicht das Eine, das gedacht wird, so wenig wie das Eine, das resigniert wird, sondern die Ganzheit, aus der heraus die Welt ergriffen und das Leben bezwungen wird. Man möge an das denken, was Nietz­sche seinen dionysischen Pessimismus genannt hat, ob wir schon bei Buber von sol­chen inferior und doch allzu keck gestellten Fragen wie Optimismus und Pessimismus weltenweit entfernt sind, wenn hier Bubers Lehre im Gegensatz zu den Ruhegelegen­heiten sämtlicher Monismen ein heroischer Dualismus genannt wird. Ja doch, scheint er sich und der Welt zuzurufen, mag doch das Zwiefache, das Geteilte und Ausein­andergefallene in der Welt sein, und wenn es nicht wäre, so soll es da sein, von uns nach der Einheit verlangenden und sie nicht habenden Menschen gerufen und gewollt, denn wir sind berufen, die Einheit, die ist und nicht ist, aus unsrer inneren Ganzheit heraus zu schaffen und zu tun. Wie ich sie nicht in mir finde, sondern in mir gestaltend und mich ergreifend und haltend zu wirken habe, so habe ich sie aus mir dem Selbstschöpfer heraus wie einen Bogen und ein zwingendes Band um die Welt zu schlagen, um nun erst das, was nicht ist, sondern nur durch mich wird, das Weltich zu schaffen. Es gibt keine Einheit in meinem Innern als die Spannung meiner gerichteten Kraft; es gibt kei­ne Einheit der Welt als die zusammenschaffende, ordnende und gebietende, haltende und zerstörende und wieder aufbauende, aus dem magisch geeinten Innern heraus er­neuernde Tat.

Und hier sei an einen erinnert, der uns weiter hilft als all die andern Reminiszenzen, weil diese Zusammenstellung gar noch ein Beispiel ist für Bubers Lehre von der Zwei­heit und Einheit und ihrer Polarität. Was für Zwei, was für Getrennte nach individuel­ler und nationeller Natur sind Fichte und Buber, und wie fehl würde man gehn, wenn man um oberflächlicher Anklänge willen Buber zu den Neufichteanern stellen würde, die sich damit abgeben, die Sprungbretter und Eselsbrücken des gewaltigen Meisters mit ihrem gelehrten Hobel zu überfahren![13] Aber im Kern und der Richtung sind sie so nah mit einander verwandt und so fern von einander abgekehrt wie der deutscheste und der jüdischste Philosoph der Deutschen im Denken des Nämlichen sich zu einan­der verhalten müssen. Mit einer Macht, einer Gesundheit, einer Abstraktionsgewalt, einem zur Mystik gesteigerten und doch immer klaren und klingenden, logisierend ra­tionalistischen Ethos ohne gleichen hat Fichte das Ich und die Welt und den Gott zur Tat des Schaffenden gemacht, als der deutscheste der Deutschen und der männlichste der Menschen. Viel mehr Farbigkeit, viel mehr gebrochene Töne, viel mehr Dunkel­heit, viel mehr Empfindung und Phantasie, viel mehr Menschenleid, viel mehr Traditi­on und Verbundenheit und doch eine unsäglich viel größere Einsamkeit und Not bringt Buber mit. Hier aber dürfen wir die Vergleichung nicht weiter treiben; denn Fichte steht als ein Fertiger und Vollendeter, wennschon in seiner Wirkung noch ganz Junger und Werdender vor uns, Buber aber in jeglicher Hinsicht als ein Beginnender.

Als ein Beginnender, der mehr als eine Hoffnung, der eine Gewähr ist. Aus Leid und Umdunkelung heraus war er als Feiner, Zarter, von Bildern und Klängen Erfüllter gekommen und war manchmal wie verborgen unter Kultur, Bildung und Geschmack Nun aber erleben wir, wie die Natur rückhaltlos über die Bildung emporwächst, wie die Zartheit zäh und stark ist und zu einer festen Geschlossenheit, zu Halten und Bewäl­tigen und zu tapferer Einkehr in tiefe Geheimnisse gekommen ist. Hier ist, was uns wahrlich dringender not tut als die vielen Talente, deren wir herzlich überdrüssig sein dürften, eine produktive Natur, die, nicht zufrieden mit dem überkommenenWeh, aus dem sie aufstieg, bereit ist, sich um ihrer Ganzheit und äußersten Formung willen von sich aus noch immer weher zu tun, auf daß die Welt nicht draußen lagere wie ein drükcender Koloß, sondern sich aus dem eigenen Innern emporhebe und sich ausspreche wie eine erwachende und zu sich kommende Urgestalt.

Hier, im Besten, was Buber uns gegeben hat, ist es nicht so, daß irgend schön an die Dinge hin geredet, über die Welt weg gestreichelt wird; es ist das Höchste erreicht, was die Sprache kann: vollkommene Sachlichkeit. Buber hat in diesem Werk von der Zwei­einheit in einer Sprache, die mehr ist als Stil und Schönheit, eben das erreicht, wovon sein Werk handelt. Es ist ganz Sprache des Sprechenden und doch zugleich ganz sich aussprechende Sache; ganz persönliches Bekenntnis und ganz lautere Sachlichkeit; eine Subjekt-Objektivität, wie wenn die Welt Rede geworden wäre und sich darstellte.[14] Nicht von jedem Teil dieser fünf Gespräche gilt dieses Höchste, das hier gesagt wird. Aber seien wir beglückt, daß er auf diesem Wege nach einer Vollendung ist, die bisher unter deutsch Sprechenden nur einer erreicht hat: Kleist. Bei diesem einzig Bezwingen­den ist die Rede Tat und Magie, die aus Zweien Eins macht: da spricht die Sache, als wäre nichts als diese seiende Sache, wo doch nichts ist als die Sprache einer Seele. Wie Beethoven Musik ist und nichts als Musik, und wir doch erleben, wie wir nicht mehr in der Zeit und im Reich der Töne sind, sondern wie da nichts ist als auf einander getürm­te plastische Hochwelt, die wir selbst sind, so macht diese Sprache aus Begriffsmusik plastisch sich offenbarende Welt. Das aber ist die höchste und seltenste Prosa, die wir haben. Selbst in Goethes, und erst recht etwa in E.T.A. Hoffmanns und Jean Pauls er­zählender Prosa sind immer zwei: die Sachrede und der Sprecher, der nicht einmal im­mer ein Sprecher bleibt, der manchmal ein wohlweiser Beredet wird. Und auch Nietz­sches Zarathustrareden und Dithyramben sind Kundgebungen, in denen dies Beiderlei noch zu unterscheiden ist: die Sache, die ihre Macht und ihr Geheimnis kündet, und die Person, die sich selbst und der Welt über die Achsel sieht und über die eigene Sach­sprache pathetische Erschütterung zeigt.[15]

Wir ehren diese produktive Kraft, die sich selbst in Strenge und Arbeit geschaffen hat, die nicht sein, sondern werden will, am besten, wenn wir alles, was erreicht ist, als einen Beginn und ein Gelöbnis nehmen. Wir danken ihr am besten, wenn wir ihr sagen: du bist einer, an den wir Forderungen stellen dürfen und von dem wir viel zu verlangen gesonnen sind. Wir wollen dich nicht mit andern vergleichen, sondern mit dir selbst.

Die Zierlichen, die Preziosen, die süß-modisch-schwermütig Plätschernden, die Vir­tuosen und Bequemen, die sich längst vor der grauenhaften Gefahr der Genialität und des abgründlichen Mutes wehleidig in ihr schönes und abbaufähiges Talent gerettet haben, werden ihn mit aller liebreizenden Wortanmut ihres Beifalls besäuseln und als den ihren haben wollen. Wir aber vertrauen, daß er halten wird, was er verspricht.

Das nämlich ist die Gefahr und die Ärmlichkeit dieser Zeit, daß sie von ihren füh­renden Geistern im Stich gelassen wird. Kraft und wahrhafte Produktivität, Persönlich­keit und Tiefengewalt hat nur, wer sie haben will, und alle reichgesäten Talente können diesen Urgrund nicht ersetzen. Produktion tut weh und tut vielleicht heute noch weher als einst, heute, wo alles auf Verwirklichung und Erfüllung drängt. Produktion tut weh, und die produktive Natur, die sich ihrer Berufung nicht entzieht, scheut die unnenn­baren Wehen nicht, das Äußerste heraufzuholen und immer noch tiefer tief in sich hin­einzubohren. Zur sieghaften Wahrheit, zur originalen Schönheit tut Kraft not, Kraft, die ungenügsam und Redlichkeit vor sich selber ist. Die produktive Natur holt ihre Gaben an die Menschheit aus dem Volk hervor, das sie gesammelt in sich trägt, sie gräbt sie in wilder Not aus der Wüstheit heraus. Die produktive Kraft setzt ein aus Anlage und steter Übung stammendes fast grenzenloses Vertrauen in ihre nicht umzubringen­de Gesundheit: sie martert sich und wird immer freier, sie wühlt sich in immer ur­sprünglichere Stärke hinein, denn sie weiß, sie ist ihrem Beruf eherne Stimme, letztes Geheimnis, duftigste Süßigkeit schuldig. Man klagt über den bald unermeßlichen Ab­stand zwischen den Vorderen und dem zurückgebliebenen Volk. Nur die, die vielleicht am meisten Schuld daran tragen, klagen nicht; die Modischen sind mit ihrem Publi­kum zufrieden. Wir andern aber sollen weder über sie noch über das Volk uns der Klage überlassen. Der Stolz und die Aufgabe verlangen, daß wir nicht mit der Masse, sondern mit uns selber unzufrieden sind. Wir machens noch nicht gut genug, wir sind noch nicht rein und stark genug wir selber, haben noch nicht das bezwingendste Wort ge­sprochen, das die Masse schmilzt und in Fluß bringt. Es gilt, unser Werk aus solchen Tiefen zu holen und uns selbst so furchtbar zu erschüttern, daß unser Wollen ein heili­ges Muß wird; unser Wesen muß unrettbar und unüberwindlich ansteckend und fort­reißend werden. Haben wir nur Vertrauen, daß das Werk in uns ist und daß die Qual uns nicht umbringt, es zu schaffen, so bereiten wir wenigstens den Größeren, die dann kommen, den Boden. Aber freilich, wer mag solche Worte hören in diesem Geschlecht, das gewarnt ist? Besser als jung sterben oder wahnsinnig werden oder arm bleiben ist doch, der Jugend ersterben und dem Zeitalter leben.

Der mit Tat und Werk geladene Produktive aber schont sich nicht. Auch das ist Schonung, wenn einer, durch Beobachtung und Übung, des Stils seiner schöpferischen Stunden mächtig ist und in unproduktiven Stunden die Form der produktiven gemäch­licher und mit Fleiß aber ohne echte Not imitiert. Dadurch entsteht das Schönreden und die Lückenlosigkeit des Stils und die soignierte Haltung, die in der Sphäre der Kul­tur und des Verstandes Surrogate findet, die dem aus schöpferischem Drang Gewach­senen täuschend angeähnelt sind. Wir haben von den Mimikrykünsten der begnadeten Talente, denen das gute Leben mehr not zu tun schien als ihr Beruf, die zu Apostaten ihrer selbst geworden sind und sich nur darum zu glattrasierten Schönbärten gemacht haben, weil sie Angst vor der lebensgefährlichen Genialität hatten, die in ihnen verbor­gen lag und die sie lieber nicht wecken wollten, wir haben von all der Jugend, die ver­spricht und in der Reife nicht hält, so bitter genug, daß wir einer ungemeinen Natur wie Buber sogar mit der Forderung kommen dürfen, er möchte uns ab und an etwas ganz Gewöhnliches, ganz Irdisches zu schmecken geben. Denn wahrlich, immer aus der Tiefe reden kann und soll keiner. Aber von Buber gönnen wir den Delikaten nicht das kleinste Teilchen, und noch sind Stellen in seinen Gesprächen, wo ein Mißverhältnis besteht zwischen der abgeklärten Schönheit der Rede und der Tiefe des Erlebnisses, die eher Urwüchsiges und, wenns nicht anders geht, Knorriges statt geziemend Schö­nem und Geebnetem verlangt. Ist zum Beispiel, wie im letzten und bedeutendsten Ge­spräch Daniels, von der Verzweiflung die Rede, so hätten wir eine rechte Sehnsucht nach weniger mildem Fluß der Worte, nach mehr Gärung, vulkanischem, volksmäßig schwe­rem und selbst gemeinem Ausdruck.[16] Er hat uns zu der hohen Achtung berechtigt, die äußerste, unbedingte Forderungen stellt, aber keine einzige, die er nicht selbst schon mit seinem Besten erfüllt hätte.

[Und zu ihm darf man als ein Fordernder kommen nicht nur, weil er uns hoffen läßt, daß all dieses Reiche und Starke erst ein Beginn ist, sondern weil er sich als ein wundervoll Arbeitskräftiger erwiesen hat. Darauf muß nun zum Schlüsse wenigstens hingedeutet werden, was alles Buber uns an Wertvollem und Förderndem als Neben­werk leistet: mustergültige Übersetzungen, Sammlungen und Neuausgaben, sein gro­ßes Sammelwerk Die Gesellschaft, seine Arbeit auf den verschiedensten Gebieten allge­meiner wie jüdischer Wissenschaft und Organisation, seine Hilfe, die er unausgesetzt Männern und Frauen bei wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten angedeihen läßt. Er ruht sich, mit seinen Worten zu sprechen, vom Unbedingten und dem starken Schaffen aus, indem er im Lande der Orientierung nützliche Arbeit tut, und wenn er vom Drang und Wehtun der Produktion kommt, geht er zum Fleiß und zur Treue der Leistung über.][17] Martin Buber ist ein kategorischer und ungenügsamer Mann; wir dür­fen ihm keinen Beifall spenden, dessen er sich schämen würde; wir wollen das Ganze und Äußerste, das Große und Hohe, das uns völlig Unbekannte weil ursprünglich Sei­ne von ihm erwarten und ihm sagen, daß wir es ihm zutrauen und daß er uns Teile davon, die aus der Ganzheit stammen, schon gegeben hat.

Ursprünglich erschienen in: Neue Blätter, Hellerau, 3. Folge 1913, Heft 1/2, S. 90-107 (Buber-Heft) auch: Gustav Landauer: Der werdende Mensch. Aufsätze über Leben und Schrifttum, hg. von Martin Buber, Potsdam 1921 1921, S. 244-258; Teilabdruck in einem Verlagsprospekt des Jüdischen Verlags, Ber­lin zu Bubers Werken über das Judentum, Leipzig 1916, S. 1-8.

Quelle: Gustav Landauer, Dichter, Ketzer, Außenseiter. Essays und Reden zu Literatur, Philosophie, Judentum, Werkausgabe, Bd. 3, hrsg. von Hanna Delf, Berlin: Akademie Verlag, 1997, S. 162-170.263-265.


[1] Martin Buber hatte Landauer gebeten, den Artikel zu übernehmen: »Noch eins, lieber Landauer, die Redaktion der Neuen Blätter schrieb mir vor kurzem, sie wolle mir, wie neulich Kassner, eine Sondernum­mer widmen; ob ich damit einverstanden wäre, daß X (er bleibe lieber ungenannt, sonst müßte ich sehr ausführlich werden) den Aufsatz übernähme, oder ob ich einen anderen vorziehen wür­de. Ich antwortete, daß ich Sie, wenn Sie Lust dazu hätten, allen andern vorziehen würde. Ich fand nun einen Brief der Redaktion vor, sie wolle sich an Sie wenden.« (Brief vom 11. 9. 1912: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 312.)

[2] Martin Buber: Daniel-Gespräche von der Verwirklichung, Leipzig 1913. Zu Martin Buber vgl. Hans Kohn: Martin Buber. Sein Werk und seine Zeit, 4Köln 1961 (darin zu Chassidismus-Studien und Dani­el: S. 68-136; vgl. auch Gerhard Wehr: Der deutsche Jude. Martin Buber, München 1977, S. 58-76 und Maurice Friedman: Martin Buber’s Life and Work, 3 Bde., New York 1983, Bd. 1).

[3] Martin Buber: Die Legende des Baal Schem, Frankfurt/Main 1908, Martin Buber: Die Geschichten des Rabbi Nachman. Ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt/Main 1906 und Martin Buber: Drei Reden über das Juden­tum, Frankfurt/Main 1911. Vgl. allgemein Margot Cohn/Rafael Buber: A Bibliography of his Writings. 1897-1978, Jerusalem 1980.

[4] Die Forderung nach praktischer Besiedelungsarbeit Palästinas wurde seit Herzls Tod (1904) innerhalb der zionistischen Bewegung immer lauter und setzte sich dann auch organisatorisch gegenüber dem politischen Zionismus Herzlscher Prägung auf dem XI. Zionistenkongreß (September 1913 in Wien) durch (JL IV/2, Sp. 1587-1600; zur zionistischen Bewegung vgl. Stephen M. Poppel: Zionism in Germany 1897-1933. The Shaping of a Jewish Identity, Phila­delphia 1977 und Jehuda Eloni: Zionismus in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914. Schrif­tenreihe des Instituts für deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv, Gerlingen 1987, S. 250 bis 356). Gleichzeitig gewannen die Ideen Achad Haams an Bedeutung, der ein geistiges Zen­trum für die Judenheit in Palästina forderte, aber auch der sozialen und kulturellen Arbeit in den Ländern des Galuth größere Bedeutung beimaß. Bubers Rede Die Erneuerung des Juden­tums (Martin Buber: Drei Reden, a. a. O., S. 67-71) setzt sich mit Achad Haarn auseinander. In der zionistischen Organisation wuchs das Bedürfnis nach geistig-kultureller Fundierung und Ver­innerlichung des jüdischen Nationalismus; besonders in der jungen Generation, die im Sam­melbuch Vom Judentum, hg. vom Prager Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba, Leipzig 1913 ihre Ideale formuliert sah (vgl. auch Grete Schaeder in Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 44-49 und Kohn, a. a. O. S. 139-161).

[5] Im Zuge einer sich wandelnden Auffassung der jüdischen Geschichte hatten sich jüdische Gelehrte und Schriftsteller schon vor Buber um die Rekonstruktion des chassidischen Schrift­tums bemüht; so Simon Dubnow in zahlreichen russischen und hebräischen Zeitschriften­artikeln (vgl. deutsch: SD: Geschichte des Chassidismus, ü. von Aron Steinberg, 2 Bde., Berlin 1931), Samuel Horodezky (von dessen Arbeiten damals zwei übersetzt waren: Rabbi Nachman von Bratzlav. Beitrag zur Geschichte der jüdischen Mystik, Berlin 1910 und Mystisch-religiöse Strömungen unter den Juden in Polen im 16.—18. Jahrhundert, Leipzig 1914), Jizchak Leib Perez (deutsch: JP: Chassidische Geschichten, ü. von Ludwig Strauß, Berlin 1935) und Micha J. Berdiczewski (Martin Buber: Sagen der Juden, ü. von Rahel Ramberg-Berdiczewski, Frankfurt/Main 1913 bis 1927 und Vom östlichen Judentum. Religiöses, Literarisches, Politisches, Wien 1918; vgl. auch den Artikel Chassidismus: JL I, Sp. 1339-1345). Mit Horodezky, Dubnow und Berdiczewski stand Buber in brieflichem Kontakt, den letzteren gilt sein ausdrücklicher Dank im Vorwort des Rabbi Nachman. Eine breitere Wirkung erreichten jedoch allein Bubers Publikationen.

[6] Diese Frage wurde schon in den ersten Reaktionen laut, so in den Stellungnahmen von Si­mon Dubnow (Brief vom 17. 1. 1907: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 252f.) und Micha J. Berdiczewski (Brief vom 9. 4. 1908: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 261f.). Später ist dies Gegenstand des sogenannten Chassidismusstreites zwischen Buber und Gershom Scholem (vgl. David Biale: Gershom Scholem. Kab­balah and Counter-History, 2Cambridge/London 1982).

[7] Vgl. die Legende in Martin Buber: Ekstatische Konfessionen, Jena 1909 (mit einem Nachwort neu hg. von Paul Mendes-Flohr, Heidelberg 1984, S. 59-62).

[8] Vgl. Ls Eckart-Übersetzung.

[9] Vgl. Das Rufen in Martin Buber: Die Legende des Baal Sehern, a. a. O., S. 243.

[10] Über das »frauenhafte Denken« entspinnt sich zwischen GL und Buber ein Briefdialog: Auf Buber, der in den beiden »Erscheinungsformen des Geschlechtsdenkens« lediglich »Vorstu­fen und Voraussetzungen des Geistes«, des Ich-Sagens sieht (Brief vom 18. 3. 1913: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 324), antwortet L: »[…] wenn man den Juden sagt, ihr seid gar keine Juden, ihr seid zu­gleich Deutsche, Franzosen usw., ihr seid Menschen, hat man recht und nicht recht. […] Es handelt sich um die durchaus konkrete Frage der Gegenwart: ist um des Menschendenkens willen ein stärkeres Hervortreten des Elementes des spezifischen Frauendenkens in diesem Menschendenken zu erwarten und zu wünschen? Und da sage ich: Ja, ich gewahre etwas der­art mit Freude, gewahre es in Goethe und seinem Iphigenienreich, […], in mir, der dabei männisch genug ist, in Ihnen, gewahre es in Rahel, Bettine, Margarete Susman usw. Die alle sind Menschentuende, Einheittuende, Ganze, weil in ihnen das Frauendenken lebendig ist und weil sie Einmalige sind. ›Nur Strom, nur Verbindung kann Ich werden‹ [vgl. den Dialog Von der Einheit. Gespräch am Meer, a. a. O., S. 125ff, auf den Buber angespielt hatte] – sehr recht; aber es wäre viel darüber zu sagen, daß der Satz sich umkehren läßt und daß nur die beiden Sätze zusammen wahr sind: ›Nur Ich kann Verbindung, kann Strom werden‹ […]« (Brief vom 19. 3. 1913: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, 1, S. 325f.).

[11] Deutsch zuerst: Die noch nicht übersetzten Erzählungen der Tausend und einen Nacht, Stutt­gart 1823.

[12] Landauer hatte das Entstehen des Buches lesend und kommentierend begleitet (Briefe vom Sommer/ Herbst 1912: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 306-313).

[13] Zur nationalen Fichte-Renaissance in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gehörte nicht nur die Fichteverehrung der Jugendbewegung, die sich auf dem freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner 1913 manifestierte und für die zahlreiche Publikationen des Eugen Diede­richs-Verlags stehen (dazu zwei frühe Arbeiten: A. Messer: Die freideutsche Jugendbewegung, 3Langensalza 1920 und Max Adler: Neue Menschen, 2Berlin 1926; Landauer dazu: Briefe I, S. 83-120), sondern auch die Hochschätzung Fichtes von Seiten der national-jüdischen Bewegung (vgl. Robert Weltsch: Zum Fichte-Jubiläum 1913, Die Welt, 1. 6. 1913 siehe u. a. auch die Briefe von Siegfried Lehmann und Hugo Bergmann an Buber: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 401f. und 388f.; allge­mein zur Fichterezeption in der jüdischen Bewegung: Hans Kohn: Bürger vieler Welten, Frau­enfeld 1964, S. 92f. und zum jüdischen Nationalismus auch HK: Nationalismus. Über die Be­deutung des Nationalismus im Judentum und in der Gegenwart, Wien 1922 mit einem Motto von GL). Auch Buber griff Fichtes Gedanken der Nationalerziehung auf (vgl. Martin Buber: Der Geist des Orients, Der neue Merkur, 2. Jg., Nr. 3, Juni 1915, S. 353-357, vgl. auch: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I). Hugo Bergmann widmete seinen Beitrag zu Bubers 50. Geburtstag diesem Thema: Begriff und Wirk­lichkeit. Ein Beitrag zur Philosophie Martin Bubers und J. G. Fichtes, Der Jude. Sonderheft zu Martin Bubers 50tem Geburtstag 1928, S. 89ff.) Auch GL setzt sich immer wieder intensiv mit Fichte auseinander (siehe neben den zahlreichen brieflichen Äußerungen auch: GLAJ 14, 19, 24), er arbeitet am Nachlaß Fichtes an der Königlichen Bibliothek, Berlin, um für Mauthners Bibliothek der Philosophen eine Fichte-Edition zu erstellen (Brief vom 9. 7. 1911: Briefe LM, S. 236-238; ein Plan, der nicht realisiert wurde) und hält Vorträge über ihn. Der Sozia­list enthält seit 1913 zahlreiche Hinweise und Auszüge aus Fichtes Schriften, richtungwei­send für Ls Fichterezeption ist seine Äußerung in Zur Geschichte des Wortes ¡Anarchie‘ (S, 1. Jg., Nr. 7, 15. 5. 1909, S. 50-53 und Nr. 8, 1. 6. 1909, S. 61-64).

[14] Vgl. den Brief vom 25. 7. 1912: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 306f.

[15] Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (1883-85), Sämtliche Werke, 15 Bde., hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1980, Bd. 4 und FN: Dionysos-Dithyramben (1891), ebd., Bd. 6, S. 375-411.

[16] Vgl. Martin Buber: Von der Einheit. Gespräch am Meer, Daniel, a. a. O., S. 125-154.

[17] Der Passus [in eckigen Klammern] fehlt in Der werdende Mensch 1921. Landauer hatte an dieser Stelle auf Bubers Wunsch hin bereits in der ursprünglichen Fassung eine Kürzung angebracht (Brief vom 16. 3. 1913: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, I, S. 323).

Hier der Text als pdf.

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