Mit Deines Leids Gewalten,
Aus Deines Todes Kraft
Hast Du den Fels gespalten
Und uns dem Tod entrafft.
Nun ziehst Du alle Pfade
Tief in Dein Leid hinein;
Es will die größte Gnade
Im größten Leiden sein.
Du siegst, wenn Abendschauer
Ein irrend Volk erreicht
Und rätselvolle Trauer
Der Frommen Herz beschleicht;
Wenn ferner Größe Bilder
Im fahlen Blitze stehn
Und schrecklicher und wilder
Die Wetter niederwehn.
Du siegst mit jedem Weinen,
Das Sturmesnacht durchdringt,
In Seufzern, die Dich meinen,
Im Tod, der um Didi ringt;
Wo Sieg und Ruhm veraltet
In Erdenniedrigkeit,
Da wird Dein Leib gestaltet,
Wird Dir ein Herz bereit.
Du siegst, wenn Welttyrannen
Der Völker stürmisch Blut,
Was fromme Väter sannen,
Verderben in der Glut.
Wenn die Dämonen schwanden,
Steht groß Dein Zeichen da:
Die Weltnacht ist bestanden,
Tag kommt von Golgatha.
Glorreicher Herr des Todes,
Tod, der gesund uns macht,
Dem Schwerte des Herodes
Gleicht jeden Reiches Pracht.
Dein Tod ist unser Leben.
Dein Grab ist unser Haus,
Und glaubensmächtig streben
Wir übers Grab hinaus.
Du schwebst, mit Grabesschleiern
Wallt schon ein Licht herab,
Wir beten an und feiern
Geburt in Deinem Grab.
Unsägliche Schmerzen brennen
Der Erde Völker rein;
Die Deinen Tod bekennen,
Gehn herrlich zu Dir ein.
Der Du, von Macht umflossen,
Da Dich die Stadt geehrt,
Dich, still in Dir entschlossen,
Zum Opfer abgekehrt,
Laß Welt und Völker schauern
Vom letzten Schwertesschlag
Und hingebrochne Mauern
Erglühn von Deinem Tag!
Reinhold Schneider
26.-27. März 1945
Ursprünglich veröffentlich in: Reinhold Schneider, Herz am Erdensaume, Heidelberg: Kerle, 1947.
Quelle: Reinhold Schneider, Gesammelte Werke, Bd. 5: Lyrik, Frankfurt a.M.: Insel, 1981, S. 333f.