Brief der Kirchenvorsteher aus Ay-Senden und Weißenhorn an den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert vom 15. Januar 1939: „Die ganze evangelische Kirchengemeinde Ay-Senden und Weißenhorn ist über den Überfall der S. A.-Leute auf das Pfarrhaus äußerst empört, erhebt flammen­den Protest und verlangt, dass Herr Pfarrer Steinbauer sofort wieder aus der Schutzhaft entlassen wird, um zu seiner Familie zurückzukehren und sein Amt in der Gemeinde wieder bekleiden kann.“

Nachdem Pfarrer Karl Steinbauer am 15. Januar 1939 nach seiner Predigt über Matthäus 2,13-23 in seinem Pfarrhaus in Senden-Ay von der SA überfallen und im Amtsgerichtsgefängnis Neu-Ulm (Ecke Schützen-/Luitpoldstraße) inhaftiert wurde, schreiben die Kirchenvorsteher der Kirchengemeinde Ay-Senden-Weißenhorn folgenden Brief an den damaligen Ministerpräsident Ludwig Siebert (vormals Oberbürgermeister in Lindau, dem sich ein antisemitisch koloriertes Kirchenfenster von 1934 in St. Stephan verdankt):

916 Schreiben der Kirchengemeinde Ay-Senden-Weissenhorn an Ministerpräsident Ludwig Siebert. 15. Januar 1939. Abschriftlich an das Bezirksamt Neu-Ulm

BayHStA, StK 7293

Am Sonntag, den 15. Jan., morgens um 3 Uhr zogen ca. 15 S. A.-Leute in Uniform von einer S. A.-Unterhaltung kommend, johlend vor das evang. Pfarrhaus in Senden und verlangten Einlass. Die Köchin, die durch den Lärm der S. A.-Leute aufgewacht ist, schaute durch das Fenster und fragte, was sie wollten. Sie sagten: „Der Pfarrer muss raus“, worauf die Köchin erklärte, bevor sie nicht sagen würden, was sie wollten, mache sie nicht auf. Hierauf haben die S. A.-Leute mit faustgrossen Steinen, die sie mit­gebracht haben müssen, und mit Latten sofort die Fenster bei der Köchin und auf der ganzen Hausfront eingeworfen und die Haustüre gewaltsam eingeschlagen und eingestossen. Dann zogen die S. A.-Leute lärmend im Pfarrhaus vor das Schlafzimmer der Pfarrer’s Eheleute und verlangten mit Drohungen, dass Herr Pfarrer Steinbauer aus dem Zimmer herauskomme. Frau Pfarrer rief aus dem Schlafzimmer, dass sie Herrn Pfarrer nicht heraus­lasse, bevor die Polizei nicht da sei, und durch die Polizei geschützt werden. Die S. A.-Leute stellten dann Herrn Pfarrer eine Frist von 3 Minuten zum Herauskommen, währenddessen die Gendarmerie, welche anscheinend ge­rufen wurde, erschien.

Die Gendarmerie hat dann Herrn Pfarrer Steinbauer auf die Station abge­führt und heute früh ins Amtsgerichtsgefängnis nach Neu-Ulm gebracht. Die ganze ev. Kirchengemeinde Ay-Senden und Weissenhorn ist über den Überfall der S. A.-Leute auf das Pfarrhaus äußerst empört, erhebt flammen­den Protest und verlangt, dass Herr Pfarrer Steinbauer sofort wieder aus der Schutzhaft entlassen wird, um zu seiner Familie zurückzukehren und sein Amt in der Gemeinde wieder bekleiden kann. Ebenso verlangt die ganze ev. Bevölkerung, dass die schuldigen S. A.-Leute über diesen Überfall zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden, denn Herr Pfarrer Steinbauer hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, das eine derartige Behandlung rechtfertigen würde.

Die Kirchenvorsteher der Gemeinden Ay-Senden-Weissenhorn

Hans Hos Ay                                     Christian Bühler, Senden
Gottlieb Notter Ay                             Georg Söll, Gerlenhofen
Ludwig Traub Senden                       Notz Friedrich Illerzell
Georg Henle Wullenstetten               Jakob Brändle Weißenhorn
Fritz Brick.

Quelle: Zustimmung – Anpassung – Widerspruch. Quellen zur Geschichte des bayerischen Protestantismus in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, zusammengestellt von Karl-Heinz Fix, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021, S. 1791.

Hier der Brief als pdf.

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