Predigt über Matthäus 5,13-16 (1937)
Von Martin Niemöller
Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn daß man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. Also laßt euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen. Matth. 5,13-16
Und nun geht es doch wohl nicht anders, liebe Brüder und Schwestern, daß wir mit dem heutigen Abend und der Andacht, die diese Woche beschließt, als daß wir zunächst in stiller Fürbitte derer gedenken, die zu unserer Gemeinde, zur Gemeinde der Jünger Christi gehören und die an diesem Abend nicht hier in und bei der Gemeinde sein können. Wir hören die Namen derer, die um des Evangeliums willen in ihrer Freiheit behindert oder ihrer Freiheit beraubt sind.
[Es folgt die 5 Minuten dauernde Verlesung der Fürbittenliste, d. h. der Redeverbote, Ausweisungen und Verhaftungen.]
Liebe Gemeinde, diese Liste ist nun erschreckend lang geworden; sie umfasst – wenn ich recht gezählt habe – 72 oder 73 Namen, bekannte und unbekannte, Namen von Pastoren und Gemeindegliedern, Namen von Männern und von Frauen, Namen von Jungen und von Alten. Keiner im deutschen Vaterland kann sagen, ob die Zahl vollständig ist, und jeder ahnt, daß sie nur noch größer werden wird; wie sie denn in dieser Woche, die nun heute zu Ende geht, von einem Tag zum anderen gewachsen ist.
Was wirft man diesen Pastoren und Gemeindegliedern vor? Wir sind zu einem möglichst schlechten Denken erzogen worden in den letzten vier Jahren, zu einem möglichst schlechten Denken über alle, die als Glieder der Kirche in Haft gesetzt werden; und wenn wir von irgendeinem hören, der mit der Polizei in Berührung gekommen ist, so sind wir geneigt, an die Dinge zu denken, die heute in den Zeitungen breitgetreten werden. Gott sei Lob und Dank: Nicht der leiseste Anflug von menschlich verwerflichen Dingen kann unseren Brüdern und Schwestern zum Vorwurf gemacht werden; sondern es geht darum, daß alle diese aus ihrer Heimat verbannt, zum Schweigen verurteilt und ins Gefängnis geworfen sind, weil sie es als ihre Pflicht angesehen haben und weil sie es als ein Recht der evangelischen Christenheit in Anspruch genommen haben, Angriffe auf den christlichen Glauben frei und öffentlich als Angriffe, Abfall vom christlichen Glauben ganz offen als Abfall, Eingriffe in den christlichen Gottesdienst ohne Scheu als Eingriffe zu bezeichnen. Es ist niemand darunter, dem etwas anderes zum Vorwurf gemacht werden könnte; und unsere Brüder und Schwestern können sich darauf verlassen, daß die Zurückweisung von Angriffen auf den christlichen Glauben, die Bekanntgabe von Kirchenaustritten und das Sammeln von Opfergaben – das sind die drei Dinge, um die es heute geht –, sie können sich darauf berufen, daß das unbestrittenes Recht der christlichen Gemeinde stets gewesen ist und daß der Führer feierlich dieses Recht der Kirche zugesichert und stets bestätigt hat und daß es bis zum heutigen Tage kein Gesetz gibt, das dieses Recht der Kirche einschränkt. Unsere Brüder und Schwestern können sich darauf berufen, daß sie den Auftrag eines Höheren haben, der uns durch sein Wort ruft zum Widerstand gegen die Propaganda des Unglaubens, der die Gemeinde zur Warnung vor dem Abfall ruft und sie zur Fürbitte für die Abgefallenen bestimmt und der das Opfer – und zwar das geldliche Opfer für die Not der Gemeinde – geboten hat.
Und so stehen wir bei dem, was heute passiert mit unseren Brüdern und Schwestern, vor einer unzweideutigen Frage, und die Frage lautet: »Hat die christliche Kirche in ihren Gliedern und Amtsträgern heute noch das Recht, das der Führer ihr mit seinem Wort bestätigt hat – mit seinem Ehrenwort –, daß wir uns gegen die Angriffe auf die Kirche wehren dürfen, oder haben die Leute recht, die die Abwehr gegen den Unglauben uns – der christlichen Gemeinde – verbieten und unmöglich machen, und die Leute, die sich wehren, dafür ins Gefängnis bringen?« Um solche Fälle handelt es sich bei dem Hauptpastor Dr. Jannasch, handelt es sich bei Pfarrer Busch und Pfarrer Held in Essen: Sie haben öffentliche Angriffe öffentlich zurückgewiesen und sind deswegen ins Gefängnis gekommen.
Es handelt sich darum: »Hat die christliche Kirche noch das Recht, der Gemeinde Mitteilung zu machen, daß Glieder der Gemeinde vom Glauben abgefallen sind, oder haben die Leute recht, die uns diesen Auftrag auszuführen verbieten und unmöglich machen?« Brüder und Schwestern, das ist die Lage, in der sich Pastor Niesel befindet und die verhafteten Mitglieder des preußischen Bruderrates – und wenn ich recht zähle, sind es im ganzen acht –; sie haben erklärt: »Die Bekanntgabe der Kirchenaustritte gehört vor die christliche Gemeinde, und es ist nicht recht, das zu verbieten«. Brüder und Schwestern, es handelt sich um eine ganz eindeutige Sachlage: ob die Gemeinde es erfahren darf, wer aus der Kirche ausgetreten ist und ob sie zur Fürbitte für die Abgefallenen aufgerufen werden darf, oder ob das nicht erlaubt ist.
Und die dritte Frage ist die: ob das Wort des Führers noch gilt, ob die Kirche das Recht hat – und dieses Recht ist ihr von alters her bestätigt –, ob sie das Recht hat, Almosen zu sammeln in der Gemeinde, oder ob durch einen Federstrich eines Ministers – oder auch zweier Minister – ihr dieses Recht, nach dem Willen des Herrn Christus Opfer darzubringen, ob ihr das verboten werden kann. Um dieses Verbotes willen ist noch keiner im Gefängnis, aber es hat vorgestern in der Zeitung gestanden, daß keine Kollekte mehr gesammelt werden darf, die nicht von der vom Staat eingesetzten Kirchenbehörde genehmigt ist.
Brüder und Schwestern, wenn ich auf diese äußerlichen Dinge hinweise, dann tue ich es deshalb, weil keiner heute weiß, ob und wann er noch einmal Gelegenheit hat, es der christlichen Gemeinde zu sagen, ob das Wort des Führers gilt, oder ob die Worte anderer gelten, die das Gegenteil von dem anordnen, was der Christenheit, der evangelischen Christenheit versprochen ist. Wir kommen daran nicht vorbei! Und solange noch einer im Gefängnis sitzt, solange noch einer ausgewiesen ist, solange noch einer Redeverbot hat, weil er Angriffe zurückgewiesen hat, oder weil er Abfall vom Glauben ganz klar Abfall genannt hat, oder einer ins Gefängnis kommen wird, weil er Gaben sammelt, so lange ist die Frage, ob das Wort des Führers gilt, negativ beantwortet.
Liebe Gemeinde, in diese Situation hinein, von der wir wohl sagen können, sie ist so dunkel und unsichtbar wie nur möglich – unstet und flüchtig irren die restlichen Mitglieder des preußischen Bruderrats durch Deutschland; Frau Asmussen ist heute stundenlang auf dem Alexanderplatz verhört worden, nachdem sie vier Stunden auf ihre Vernehmung hat warten müssen, weil sie nicht Auskunft geben konnte, wo ihr Mann ist; denn man will eben auch alle übrigen Mitglieder des preußischen Bruderrats hinter Schloß und Riegel setzen; die preußische Kirche ist ohne Leitung, die Diensträume der preußischen Kirchenleitung sind verriegelt, man hat ihnen die Schreibmaschinen weggenommen, sie haben keine Geldmittel, – in solche Situation hinein trifft uns dieses Wort recht sonderbar: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt.«
Als ich das Wort heute las, wurde mir dieses Wort wirklich neu, und ich mußte zurücklesen und hatte das Gefühl der inneren Erleichterung, als ich da das Wort fand, von dem ich wissen mußte, daß es da vorher steht, und von dem ich auch theoretisch längst wußte, daß es da steht im 5. Kapitel: »Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind!« [Mt 5,11 f.], und dann geht es weiter: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt!«, als ob zwischen der Verfolgung der Gemeinde Jesu Christi und dem: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt!« kein Bruch sei, sondern, als ob das unmittelbar zusammengehöre. Ich muß sagen, mir ist in diesem Zusammenhang dieser Bibelstelle – die ich doch von Jugend auf kenne – am heutigen Tage erst aufgegangen, daß der Herr Christus der Jüngergemeinde sagt: »Ihr werdet geschmäht werden und verfolgt werden, ihr werdet diffamiert werden, und zwar mit Lügen«, und darauf: »Ihr seid das Salz der Erde; ihr seid das Licht der Welt!«
Brüder und Schwestern, da muß doch etwas nicht stimmen mit unseren Sorgen. »Ihr seid das Salz der Erde«. Der Herr Christus meint doch nicht, daß wir sorgen sollen, daß wir das Salz unter die Leute bringen, sondern er weist uns auf eine andere Verantwortung hin: »Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man’s salzen, womit soll man es wieder zu Salz machen?« Nicht, wie wir das Salz weiterbringen, sondern daß das Salz wirklich Salz wird und bleibt, ist unsere Verantwortung, damit der Herr Christus – der ist nämlich der Koch in diesem großen Brodeln – dieses Salz für seine Zwecke verwenden und gebrauchen kann.
Brüder und Schwestern, auf die Frage, ob der Herr Christus heute noch praktisch die Möglichkeit zum Dienst an unserem Volke hat, auf diese Frage muß ich allerdings antworten: Ich sehe mit meinen Augen keine Möglichkeit, wie der Dienst im Volke heute noch ausgerichtet, wie heute im Volk noch das Salz angewendet werden kann. Aber, Brüder und Schwestern, das ist nicht unsere Sorge, sondern die des Herrn Christus. Wir haben nur dafür zu sorgen, daß das Salz nicht dumm wird, daß es nicht seine Salzkraft verliert. Was heißt das denn?
Das ist wohl die Frage, mit der wir uns zu befassen haben, daß sich die christliche Gemeinde in diesem Augenblick der Gefährdung nicht darauf einläßt, mit der Welt in einen Topf geworfen zu werden. Es heißt doch wohl, sie soll sich durch ihren Salzcharakter von der übrigen Welt unterscheiden. Wodurch unterscheidet sich die Gemeinde Christi von der Welt?
Wir haben eine Zeit der Gefährdung durchgemacht – und wir sind noch nicht hindurch –, wo man uns sagte: »Es wird alles anders, wenn ihr aufhört, als Kirche einen so ganz anderen Geschmack zu haben; wenn ihr aufhört, eine Verkündigung zu betreiben, die im Gegensatz zu dem steht, was die Welt um euch her verkündigt. Ihr müßt eure Botschaft der Welt anpassen; ihr müßt das Bekenntnis mit der Gegenwart in Übereinstimmung bringen. Dann werdet ihr wieder zu Einfluß und Wirkung kommen.«
Liebe Gemeinde, das heißt: Das Salz wird dumm. Nicht wie das Salz angewendet wird, ist unsere Sorge, sondern dass es nicht dumm wird; um ein altes Schlagwort von vor vier Jahren anzuwenden: Evangelium muß Evangelium bleiben; Kirche muß Kirche bleiben; Bekenntnis muß Bekenntnis bleiben; evangelische Christen müssen evangelische Christen bleiben. Und wir dürfen um Himmels willen aus dem Evangelium kein deutsches Evangelium machen; wir dürfen um Himmels willen aus der Kirche Christi keine deutsche Kirche machen; wir dürfen um Gottes willen aus den evangelischen Christen keine deutschen Christen machen!
Das ist unsere Verantwortung: »Ihr seid das Salz der Erde«. Gerade da, wo wir das Salz in Anpassung und Übereinstimmung bringen mit der Welt, bringen wir den Herrn Christus um die Möglichkeit, durch seine Gemeinde irgendetwas auszurichten in unserem Volk. Aber wenn das Salz Salz bleibt, dürfen wir’s ihm schon zutrauen: er wird es so anwenden, daß Segen daraus erwächst.
Und das andere Bild, das der Herr Christus vor uns hinstellt: »Ihr seid das Licht der Welt«. Wir hören das und werden daran erinnert, daß wir uns da Sorgen machen, die vor dem Herrn Christus keinen Bestand haben. Wohin geht unsere Sorge? Als ich vorhin die Namen gelesen habe, haben wir da nicht gedacht: »Um Himmels willen, dieser Wind, dieser Sturm, der jetzt durch die Welt geht, wird der nicht das Lichtlein des Evangeliums ausblasen? Und so haben wir die Botschaft herauszunehmen aus dem Sturm und in einen sicheren Winkel zu bringen«.
Erst in diesen Tagen ist es mir klar geworden, erst seit heute verstehe ich, was der Herr Christus meint: »Nehmt nicht das Scheffelmaß! Ich habe das Licht nicht angezündet, damit ihr es unter den Scheffel stellt, um es vor dem Wind zu schützen. Weg mit dem Scheffelmaß! Das Licht gehört auf den Leuchter! Es ist nicht eure Sorge, ob das Licht von dem Luftzug ausgelöscht wird«. Wir haben nicht dafür zu sorgen, ob das Licht auslöscht – das ist seine Sorge; nur daß wir das Licht nicht verstecken – vielleicht in edler Absicht verstecken, um es in ruhigeren Zeiten wieder hervorzuholen – nein: »Lasset euer Licht leuchten vor den Leuten!« [Mt 5,15 f.; Mk 4,21; Lk 8,16]
Brüder und Schwestern, das ist der besondere Punkt, an den wir heute geführt sind. Es ist ja doch an dem, daß wir von allen Seiten, von Staatsmännern wie vom »kleinen Mann«, angegangen werden: »Um Gottes willen, redet doch nicht so laut, ihr kommt ja sonst ins Gefängnis. Redet doch nicht so deutlich; man kann das alles doch auch undeutlicher sagen!« Brüder und Schwestern, wir dürfen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, sonst sind wir ungehorsam; sondern wir haben den Auftrag dessen, der das Licht in der Welt ist. Er braucht uns nicht als Docht, er kann sich auch andere Dochte nehmen, denen er sein Licht aufsteckt.
Die stumme Kirche, die nicht mehr sagt, wozu sie da ist, verleugnet sich selbst. Das Wort Gottes laut und deutlich zu verkündigen, das ist unser Dienst; aber daß die Kirche weiter lebt und nicht umgebracht wird, daß das Licht nicht ausgepustet wird, Freunde, das ist nicht unsere Sache. »Wer sein Leben erhalten wird, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden« [Mt 16,25; Mk 8,35; Lk 9,24; Lk 17,33]. Und das gilt vom Leben der Gemeinde genau so, wie es im Leben des einzelnen Christen seine Geltung hat. Das heißt doch wohl praktisch: ich muß heute noch mal so reden, vielleicht kann ich es nächsten Sonntag nicht mehr; ich habe euch das heute noch einmal mit aller Deutlichkeit zu sagen – denn wer weiß, was nächsten Sonntag ist? Aber es ist unsere Pflicht, zu reden; an diesem Auftrag hängt die Verheißung, daran hängt es, ob Gott sein Wort, ob er das Licht – »das arme Windlicht des Evangeliums«, wie D. Martin Luther sagt – in unserem Volk erhält; das hängt daran, ob wir bereit sind, zu tun, was uns geboten ist: die Botschaft zu verkündigen, das Licht leuchten zu lassen.
Und der Herr Christus hat uns noch ein drittes Bild von der Kirche gegeben: »Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt«. Und endlich: »Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein«. Und mit diesem Bild, das einmal durch den Text hindurchleuchtet, soll unser Blick gelenkt werden von dem Salzfaß und dem Lichtleuchter zu der Stadt auf dem Berge. Das Salz vergeht, indem man es ausstreut. Das Licht verbrennt; so soll sich die Christenheit verzehren im Dienst ihres Herrn. Aber die Stadt, die ewig bleibt, ist fest gegründet auf heiligem Berge. In der Wirrsal und Not unserer Tage wird uns die Hoffnung vor Augen gestellt: Gottes Stadt ist fest gegründet!
Liebe Freunde, in unserem Dienen und Nicht-aufhören-müssen um der Verkündigung des Wortes willen ist das Wort des Herrn Christus an uns erfüllt. Wir sind die Stadt auf dem Berge, der verheißen ist, daß auch die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Und da heißt es dann nicht: »es mögen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen«; aber dann gilt das andere Wort: »Meine Gnade soll nicht von dir weichen, spricht der Herr, dein Erbarmer« [Jes 54,10].
Es geht das Gerede durch das deutsche Land, von den Thüringer Deutschen Christen ausgehend, daß morgen über acht Tagen überraschend die Kirchenwahlen auf telegraphische Anweisung stattfinden sollen. Aber acht Tage sind eine lange Zeit; man weiß das noch nicht genau. Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir jetzt in die Kirchenwahlen hineingehen in einer Zeit, wo die Bekennende Kirche in ganz Preußen ihrer Leitung beraubt ist, dann mag das eine starke Quelle der Nöte und Sorgen sein, dann mag die kommende Woche noch um vieles härter und schwerer werden als die Bedrückung dieser Woche, die heute durch Gottes Gnade ein Ende findet; und wir fragen, wo bleibt die Hoffnung, die uns hindurchträgt durch die Not der Zeit, die wächst und wächst und nun bis an die Kehle geht?
Es kann die Stadt Gottes nicht verborgen bleiben. Brüder und Schwestern, die Stadt Gottes wird durch den Sturmwind nicht umgeweht; sie wird nicht erobert, selbst wenn sich die Feinde ihrer äußeren Mauern bemächtigen. Die Stadt Gottes steht, weil ihre Kraft aus der Höhe kommt, weil das Lamm bei ihr ist, und darum wird sie fest bleiben.
Ich habe heute morgen meinen Brüdern, meinen Pfarrbrüdern in Berlin gesagt: »Vielleicht sind wir heute an dem Punkt, nachdem wir uns vier Jahre lang an seiner Führung, an einer bekenntnistreuen Führung erfreuen durften, wo Gott den Beweis von uns fordert, daß wir nun auch allein den richtigen Weg finden, daß wir uns nicht an Menschen gebunden haben, sondern daß wir die Verbindung gefunden haben zu dem einen Herrn, der der Erzhirte seiner Gemeinde ist und bleibt.«
Darum wird es bei der Wahl gehen, daß wir das Salz nicht vermengen, daß wir das Licht nicht in die Ecke stellen, sondern daß wir sagen: »Himmel und Erde mögen vergehen«, wie Gottes Wort sagt, Himmel und Erde werden vergehen! [Lk 21,33] – aber Gottes Worte vergehen nicht! Brüder und Schwestern, darauf wollen wir uns verlassen. Wohl dem, der das Gnadenzeichen nimmt, der sich darauf zu verlassen gelernt hat und darauf allein gelernt hat, sich so zu gründen, daß er fest steht und fest gegründet ist, wenn dann auch die Stürme brausen und wenn dann auch die Wasser steigen. [Ps 93,3]
Und dazu helfe uns Gott!
Amen.
Gehalten am 19. Juni 1937 im Wochenschlussgottesdienst am Vorabend des vierten Sonntags nach Trinitatis in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem.
Quelle: Martin Niemöller, Dahlemer Predigten. Kritische Ausgabe, hrsg. v. Michael Heymel, Gütersloh 2011, S. 642-649.