Theologie – eine Aufgabe, die mit Freude erfüllt
Von Timothy Radcliffe OP
Ich danke vielmals für die mir erwiesene Ehre, einige kurze Worte an dieses Kolloquium zu richten. Ich habe noch schöne Erinnerungen an meine Teilnahme beim 25-jährigen Jubiläum vor zehn Jahren in Leuven. Beeindruckt war ich damals sowohl von der offiziellen wie der inoffiziellen Form der Veranstaltung. Bei den offiziellen Feiern entfaltete sich eine Hierarchie, die einer Kirchensynode ebenbürtig war. Der augenfälligste Unterschied bestand darin, dass der eigene Rang in der Statushierarchie beim Kongress an der Knopffarbe auf dem Revers, bei der Synode an der Hutfarbe auf dem Kopf erkennbar war. Außerhalb der offiziellen Sitzungen war ich überrascht von der Freundlichkeit, den niveauvollen Feiern, wozu das gute belgische Bier natürlich seinen gebührenden Beitrag leistete, sodass sogar berühmte Theologen so ganz untheologische Lieder anstimmten.
Da ich kein berühmter Theologe bin, nehme ich an, ich bin eingeladen worden, um den Dominikanerorden zu vertreten, der sich von Anfang an mit CONCILIUM eng verbunden fühlte. P. Kolvenbach, der Generalobere der Jesuiten, hat mich gebeten, die Gesellschaft Jesu ebenfalls zu vertreten. Wenn der Generalobere der Jesuiten stirbt, dann pflegt der Generalmeister der Dominikaner die Begräbnisliturgie zu halten. Dies ist nun das erste Mal, dass ein Jesuitengeneral zu seinen Lebzeiten sich von einem Dominikaner vertreten lässt. Da sage noch einer, die Zeiten ökumenischer Zusammenarbeit seien passe.
Zu den Gründungstheologen der Zeitschrift gehörten ein Jesuit und zwei Dominikaner: Karl Rahner, Yves Congar und Edward Schillebeeckx, und im ersten Direktionskomitee saßen sechs Dominikaner und zwei Jesuiten. So bin ich hier, um die weitere Unterstützung unserer zwei Orden für CONCILIUM durch meine Präsenz sichtbar zu machen. Zufällig stammte der erste Artikel des ersten Heftes der Zeitschrift von Congar und handelte von der Kirche als Volk Gottes, der dritte war von Schillebeeckx über Kirche und Menschheit. Zwischendrin gab es dann auch einen Beitrag von Joseph Ratzinger über die Kollegialität der Bischöfe. Zwei dieser Theologen sind inzwischen Kardinäle geworden, wir warten gespannt auf den dritten!
Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um Ihnen für Ihren Dienst als Theologen an der Kirche wie auch an der Gesellschaft zu danken. Ich möchte zugleich meine feste Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass wir in den letzten Jahrhunderten noch nie so dringend Theologen gebraucht haben wie heute. Die Zeitschrift CONCILIUM wurde gegründet, um die Tradition und den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils weiter lebendig zu erhalten. Vielleicht ist Ihre Aufgabe heute noch wichtiger als vor 35 Jahren. Wir brauchen Gaudium und Spes heute. Lassen Sie mich kurz sagen, warum, und seien Sie nachsichtig mit meinen wohl etwas vereinfachenden Worten.
Ich würde der Meinung beipflichten, dass die Krise, der unsere Welt heute gegenübersteht, letztlich eine Sinnkrise ist, verstanden sowohl als Sinnleere wie als Wettbewerb rivalisierender Sinnentwürfe. In beiden Fällen haben Theologen und eine Zeitschrift wie CONCILIUM eine einzigartige Aufgabe zu erfüllen.
Als CONCILIUM gegründet wurde, war die Welt in zwei Supermächte gespalten, die um Vorherrschaft kämpften: es waren zugleich zwei Visionen vom Sinn menschlichen Lebens und seiner Bestimmung. In den letzten Jahren sahen wir große Umwälzungen vor sich gehen, und dies in einer Welt, die in ein einziges globales System zusammenwächst. Globalisierung ist ein komplexes Phänomen, für dessen Analyse mir hier die Zeit fehlt. Sie hat sowohl Gemeinschaft wie Ausgrenzung im Gefolge, sie hat Kommunikation und Sprachlosigkeit sowie Reichtum und Armut hervorgebracht. Doch ihre radikalste Folge ist, wie gesagt, die Sinnkrise. Auf der einen Seite steht der Triumph einer Konsumkultur, die als leer und steril erfahren wird. Die Welt von Coca Cola und McDonald’s hält beileibe keine Sinnangebote menschlichen Lebens bereit.
Auf der anderen Seite können wir, als Reaktion auf die sterile westliche Konsumwelt, etwas beobachten, was man die Resakralisierung der Welt genannt hat. Wohin ich auch gehe, ich sehe das Wiedererwachen der alten religiösen Traditionen, die zu sinn- und identitätsstiftenden Brennpunkten werden: das westliche Christentum und die Orthodoxie, das Judentum und der Islam, der Hinduismus und der Konfuzianismus. Sie alle geben heute die globalen Grundmuster vor. Der Fall der Berliner Mauer bedeutete keineswegs das Ende der Geschichte, sondern das Auftauchen alter, schon tot geglaubter Erinnerungen. Als ich letzten Samstag von Albanien nach Rom zurückflog, sang der Mann vor mir die ganze Zeit hindurch den Koran, und der neben mir las ein Buch über die Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1453. In einer so strukturierten Gesellschaft, die gezeichnet ist von Sinnleere und konkurrierenden Sinnangeboten, brauchen wir mehr Theologinnen und Theologen als Wirtschaftswissenschaftler.
Letzten Sonntag feierten wir Pfingsten. Wir beteten um das Kommen des Heiligen Geistes, Veni dator munerum: „Komm, du Geber aller Gaben“. Im Innersten des Lebens eines Theologen wird das Schenken, die Gabe, gefeiert und erforscht. Der Sinn, den wir suchen, ist geschenkter Sinn. Das bringt den Theologen in ein unmittelbares Spannungsverhältnis zu den dominierenden Werten westlicher Kultur, die auf dem Markt gegründet ist, auf dem man alles kaufen und verkaufen kann, aber nichts geschenkt erhält. Wie sollen Theologinnen über das Geschenk des Heils nachdenken, wenn der gesamte Kontext ihres Lebens sie zu einer ganz anderen Weitsicht zu verleiten sucht? Die meisten von ihnen im Westen, denke ich, arbeiten an Universitäten. Doch auch an den modernen Universitäten dominieren die Imperative globaler Geschäftskultur, mit Produktion, Marketing und Wettbewerb. Jedes Jahr werden Quantität und Umfang unserer Produkte gewogen und gemessen. Wenn man seinen Job nicht verlieren will, muss man sich in die vorgegebene Produktionskette einreihen.
So sind Theologinnen gefragt, die eine unverwechselbare Lebensart vorleben. Und ich meine, der Prüfstein und die Frucht eines solchen Lebens ist die Freude. Es ist die Freude, dem begegnet zu sein, der den Sinn unseres Lebens ausmacht. Als ich hörte, man werde mich um ein Grußwort an Sie alle bitten, überlegte ich lange, was ich eigentlich sagen soll. Dies ist es: Dass aus unserer theologischen Arbeit diese Freude hervorgehe. Thomas von Aquin (als Dominikaner muss ich ihn ja wenigstens einmal zitieren) schrieb in seiner Summa Contra Gentiles: „Denn von den höchsten Dingen auch nur in bescheidener und unzulänglicher Betrachtung etwas erschauen zu können, bereitet höchste Freude“[1], iucundissimum est. Unser geschätzter Mitbruder Edward Schillebeeckx schrieb ein Buch mit dem Titel Sono un teologo felice. „Ich bin ein glücklicher Theologe.“ Damit wollte er gewiss nicht sagen, er sei als Theologe zufällig auch einmal glücklich. Nein, dieses Glück ist die Mitte der Berufung von Theologinnen und es ist Teil unserer Antwort auf den Hunger nach Sinn in unserer Gesellschaft.
Dieses Glück ist nicht leicht zu erreichen. Es ist die Frucht des Glaubens und harter Arbeit auf der Suche nach der Wahrheit, im Bemühen um Verstehen und um Weite des Geistes. Und das in einer Gesellschaft, die allzu oft das Vertrauen in die Möglichkeit verloren hat, Wahrheit überhaupt erkennen zu können. Frucht und Prüfstein eines Theologenlebens ist diese Freude: Gaudium et Spes. Doch wie können Theologinnen in dieser Gesellschaft ein Leben, das Freude schenkt, vorleben?
Theologinnen können diese Freude dort einbringen, wo Religionen aufeinanderstoßen, wo die Begegnung zwischen ihnen voll ist von potentieller Gewalt und Hass. Pierre Claverie, der Bischof von Oran in Algerien, war ein Dominikaner, der ermordet wurde, weil er an einem Ort lebte, wo konkurrierende Sinnangebote aufeinanderprallten. Er schrieb einmal:
„Die Kirche erfüllt ihre Sendung, wenn sie an jenen Bruchstellen präsent ist, wo die Menschheit in ihrer lebendigen Einheit an Fleisch und Blut gekreuzigt wird. Jesus starb ausgestreckt zwischen Himmel und Erde, mit ausgebreiteten Armen, um die Kinder Gottes zu sammeln, die durch die Sünde zerstreut sind, eine Sünde, die trennt, isoliert und die Menschen gegeneinander und selbst gegen Gott aufbringt. Dieser Gott hat sich gerade auf diesen von der Sünde gezogenen Bruchlinien niedergelassen. In Algerien befinden wir uns auf einer dieser seismischen Linien, die die Welt durchlaufen: Sie spalten den Islam vom Westen, den Norden vom Süden, die Armen von den Reichen. Genau dort ist auch unser Platz, denn genau dort scheint das Licht der Auferstehung durch.“[2]
In dieser neuen Welt, die durch das Wiederaufleben der Religion von Brüchen durchzogen ist, brauchen wir Theologinnen und Theologen, die in der Lage sind, an diesen tektonischen Bruchlinien, den Schauplätzen der Gewalt, präsent zu sein. Und es ist gewiss Ihre Aufgabe als Theologen, diese Schauplätze in Orte umzuwandeln, wo man sich in Freude und nicht mit Gewalt begegnet, wo man sich gegenseitig anerkennt und nicht hasst. Wenn wir Gaudium et Spes in diese Welt einbringen sollen, dann müssen wir an diesen Plätzen von luctus et angor, von „Trauer und Angst“, präsent sein.
Abschließend möchte ich feststellen, dass Theologinnen auch im Leben der Kirche selbst eine absolut zentrale Aufgabe zu erfüllen haben. Bisweilen mag Sie wohl das Gefühl befallen, am Rande zu stehen, doch dies ist keineswegs der Fall. Und zwar deshalb nicht, weil unsere Gemeinschaft als Kirche, so wie die globale Gesellschaft auch, unter Spannungen und Spaltungen leidet, jenen Bruchlinien, die als tektonische Verwerfungen die Erde durchqueren. An diesen Bruchlinien treffen unterschiedliche Auffassungen über unseren Glauben und unsere Kirche aufeinander. Gerade hier können Theologinnen diese Schauplätze in Orte verwandeln, wo man sich in Freude begegnet und nicht im Konflikt trennt.
Die letzte Grundlage der Einheit der Kirche ist die Einheit Gottes, der all unser Begreifen übersteigt. Die Versuchung, die uns in solchen Zeiten großer Spannung überfallen kann, ist die eines triumphierenden theologischen Fundamentalismus innerhalb wie außerhalb der Kirche. Es ist die Versuchung, dass die Konfliktparteien den Anspruch erheben, Gott zu besitzen, ihn in ihr theologisches System eingefangen zu haben. Doch die Theologie hält uns trotz aller Differenzen zusammen, indem sie uns diese Arroganz überwinden lässt und, um es noch einmal mit Thomas zu sagen, daran erinnert, dass „die sinnfälligen Dinge, aus denen die menschliche Vernunft den Anfang der Erkenntnis nimmt, zwar in sich irgendwie eine Spur der Nachahmung Gottes enthalten, jedoch eine so unvollkommene, dass sie sich zur klaren Darstellung der Substanz Gottes als ganz und gar ungenügend erweist“[3]. Theologinnen können die Wunden der Kirche heilen, indem sie uns aus der ideologischen Enge herausführen. Dann werden wir auch fähig, frei zu sein für die Freude, im Anderen Gott zu begegnen, dem Deus Humanissimus, dem Gott, der ganz und gar Mensch ist, wie unser Mitbruder Edward es einmal formuliert hat. Gott möge Sie mit dem Mut segnen, zu Ihrem theologischen Beruf zu stehen. Haben Sie das Vertrauen und die Freiheit des Herzens und Geistes, dieses Leben als Theologinnen zu leben und diesen Dienst zu leisten. Seien auch Sie glückliche Theologen!
Grußwort an das Kolloquium zum 35. Jubiläum von CONCILIUM
Der Autor Timothy Radcliffe OP, geb. 1945, besuchte die Oxford University und trat 1965 in den Dominikanerorden ein. Von 1981-1988 war er Mitglied der Theologischen Fakultät der Oxford University; 1982-1988 Prior der Blockfriars und Geschäftsführer der Zeitschrift New Black friars; 1988-1992 Provinzial der Englischen Provinz; seit 1992 Generalmeister des Dominikanerordens; in seinen Beiträgen für Zeitschriften und Bücher widmet er sich vor allem neutestamentli- chen Themen. Anschrift: St. Dominic’s Priory, Southampton Road, London NW5 4LB, England, Tel. (0) 1-485-2760.
Aus dem Englischen übersetzt von Franz Schmalz.
Concilium 36 (2000), 380-384.
[1] Thomas von Aquin, Summa Contra Gentiles, I 8: „quia de rebus altissimis, etiam parva et debili consideratione, aliquid posse inspicere, iucundissimum est, ut ex dictis apparet“ Deutsch in: K. Albert/P. Engelhardt (Hg. und Übs.), Thomas von Aquin, Summe gegen die Heiden I, Kapitel 8, Darmstadt31994, 29.
[2] Lettres et Messages d’Algerie, Paris 1996.
[3] Thomas von Aquin, aaO. 27 („… quod res quidem sensibiles, ex quibus humana ratio cognitionis principium sumit, aliquale vestigium in se divinae imitationis retinent, ita tamen imperfectum quod ad declarandam ipsius Dei substantiam omnino insufficiens invenitur“, 26).