Jürgen Moltmann, Das Bekenntnis Jesu Christi. Eine biblisch-theologische Betrachtung (1977): „Christlicher Glaube war von Anfang an bekennender Glaube. Das Bekenntnis Jesu Christi gehört konstitu­tiv zu diesem Glauben. Ohne dieses Bekenntnis hört er auf, christlicher Glaube zu sein. Das öffentliche Be­kenntnis Jesu Christi ist die göttliche Bestimmung die­ses Glaubens. Darum ist die Verleugnung Jesu Christi das Zeichen des Unglaubens. Bekennen oder Verleug­nen bedeutet Sein oder Nichtsein des christlichen Glaubens.“

Das Bekenntnis Jesu Christi. Eine biblisch-theologische Betrachtung

Von Jürgen Moltmann

I.

Christlicher Glaube war von Anfang an bekennender Glaube. Das Bekenntnis Jesu Christi gehört konstitu­tiv zu diesem Glauben. Ohne dieses Bekenntnis hört er auf, christlicher Glaube zu sein. Das öffentliche Be­kenntnis Jesu Christi ist die göttliche Bestimmung die­ses Glaubens. Darum ist die Verleugnung Jesu Christi das Zeichen des Unglaubens. Bekennen oder Verleug­nen bedeutet Sein oder Nichtsein des christlichen Glaubens.

Nun ist Christus aber von Anfang an mit immer neuen Worten, Bildern und Gebärden bekannt wor­den. Er ist in den verschiedenen Zeitaltern der Ge­schichte, in den vielfältigen Kulturen der Erde und an den feindlichen Fronten der sozialen und politischen Konflikte verschieden und vielfältig und widersprüch­lich bekannt worden. Wo ist die Gemeinsamkeit? Was sichert die Gemeinschaft der Bekennenden? Zu jeder Zeit muß sich die Christenheit darum fragen: Wer ist Christus für uns in Wahrheit? Wer sind wir für ihn ei­gentlich? Was fordert uns heraus, und wodurch kön­nen wir ihn bekennen?

Man kann versuchen, die Gemeinschaft im Beken­nen durch die Unveränderlichkeit der Bekenntnisfor­meln zu sichern, damit erkennbar wird, was «von al­len, zu allen Zeiten und überall» bekannt wird. Das Apostolikum z.B., in christlichen Gottesdiensten seit Jahrtausenden immer wiederholt, sichert die Konti­nuität in der Zeit und die Gemeinschaft im Raum. Aber meinen moderne Industriearbeiter damit das gleiche wie mittelalterliche Könige? Was – außer dem Klang der Worte – verbindet den hungernden Slum­bewohner in einer Basisgemeinde in Sao Paulo mit den reichen Christen in einer europäischen Stadtkirche? Das gemeinsame Ritual deutet wohl Gemeinschaft an, schafft sie aber noch nicht.

Bei aller Achtung des sonntäglichen Bekennens des Glaubens «mit der ganzen Christenheit auf Erden» muß man zugleich nach seiner Aktualität fragen. Des­halb sind «zu allen Zeiten, überall und von allen» Chri­sten auch neue Glaubensbekenntnisse entworfen wor­den. Das Apostolikum wurde oft «modernisiert», nicht wegen der Mode, sondern um zu aktuellen Be­kennen angesichts der Herausforderungen der eigenen Zeit anzuleiten. Aktualität ist im Glaubensbekenntnis ebenso wichtig wie Kontinuität, weil es anders keine Verbindlichkeit in der Glaubensentscheidung gibt.

Man kann scheinbar das eine nur auf Kosten des an­deren gewinnen: Kontinuität findet man in unverän­derlichen Formeln, Aktualität nur in veränderlichen Formeln. Gemeinschaft im Bekennen mit allen Chri­sten zu allen Zeiten und an allen Orten gewinnt man um den Preis der Abstraktion. Konkret bekennende Gemeinschaft in den entscheidenden Fragen der eige­nen Situation gewinnt man nur um den Preis der Partikularität. Hier entsteht ein echtes Dilemma, das man nicht verdrängen sollte. Die «mittlere Allgemeinheit» kirchlicher Erklärungen hilft niemandem. Sie wollen es oft allen recht machen und werden deshalb nieman­dem gerecht. Der christliche Glaube muß mit allen Christen zu allen Zeiten und überall in der Welt gemeinsam bekannt werden, und er muß hic et nunc auf unwiederholbare Weise konkret und mit eigener Ent­scheidung bekannt werden. Das einmalig aktuelle Be­kenntnis in statu confessionis kann nicht allgemein sein. Das allgemeine Glaubensbekenntnis in communione ecclesiae kann nicht aktuell sein.

Gewiß kann man das Allgemeine und das Aktuelle auf geschickte Weise in solchen Erklärungen verbin­den, die zwischen dem gemeinsamen Bekenntnis und dem aktuellen Bekennen stehen, aber man kommt über das Dilemma nur dann hinaus, wenn im Bekenntnis Jesu Christi das Subjekt wechselt: es sind nicht allein die Gläubigen, die Christus in Gemeinschaft und als Einzelne, allgemein und aktuell bekennen. Es ist zu­erst Christus selbst, der die Seinen vor seinem himmli­schen Vater bekennt. Das «Bekenntnis Jesu Christi» meint zuerst sein Bekenntnis zu uns und erst dann und daraufhin unser Bekenntnis zu ihm. Er ist unser Zeu­ge, bevor wir zu seinen Zeugen werden können. Ohne sein Bekenntnis vor Gott bleibt unser Bekenntnis vor den Menschen leer und beliebig. Er ist «unser göttli­cher Bekenner»: «Wer mich bekennt vor den Men­schen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater; wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will auch ich verleugnen vor meinem himmlischen Vater» (Mt 10,32.33; Lk 12,8; ähnlich Offb 3,5).

Unser Christusbekenntnis muß sich darum am be­kennenden Christus orientieren. In seinem Bekenntnis zu uns liegen die Kraft und die Gemeinschaft unseres bekennenden Glaubens. In den verschiedenen Zeital­tern der Geschichte, in den vielfältigen Kulturen der Erde, an den feindlichen Fronten der Sozialkonflikte ist einzig er selbst das Gemeinsame und Verbindende.

Dies zeigt sich darin, daß in der Geschichte christlicher Glaubensbekenntnisse nur der Name Jesus feststeht. Die Titel aber, die seine Würde und Wirkung, seine Person und seine Bedeutung aussprechen, sind va­riabel. Titel wie Josephsohn und Davidsohn sind ver­schwunden, neue Titel sind aufgetaucht wie Logos, Stellvertreter, Befreier. Der Name Jesus ist nicht über­setzbar, die Titel können dagegen in jede Sprache übersetzt werden.

Im Blick auf Jesus sind Glaubensbekenntnisse un­veränderlich, im Blick auf die Christustitel sind sie nach vorn offen und veränderlich. Doch müssen die al­ten und neuen Titel auf die Person und ihre einmalige Geschichte bezogen werden, die mit dem Namen Jesu bezeichnet ist, und von ihr her verstanden werden. Der Christus, der Herr, der Befreier ist Jesus. Was darum Hoffnung, Herrschaft und Befreiung in Wahrheit sind, das wird durch ihn, durch sein Leben und seinen Tod, und nicht durch unsere Träume offenbar. Das Subjekt bestimmt die Prädikate, die wir ihm aus den Erfahrungen und Hoffnungen unseres Glaubens ge­ben. Mit unseren Prädikaten und Titeln antizipieren wir jenes Reich, in dem Jesus die Wahrheit und das Le­ben für alle ist und «alle Zungen» ihn bekennen zur «Ehre Gottes des Vaters» (Phil 2,11). Unsere Glau­bensbekenntnisse zeigen durch ihre Struktur, ihren Fixpunkt im Namen Jesus und ihre Offenheit für neue Christustitel und Prädikate der Zukunft die eschatolo­gische Spannung zwischen Kreuz und Reich auf, in der wir existieren und glauben.

II.

Vom Zeugnis, vom Bekennen und Verleugnen wird im Rechtsstreit vor Gericht gesprochen. Hier werden nicht Gefühle bezeugt und Herzlichkeiten bekannt. Es wird durch Zeugen der Wahrheit «zum Recht verhel­fen». Werden in den alttestamentlichen Geschichten die großen Taten Gottes «bezeugt» und seine Herr­schaft über die Welt «bekannt», dann wird die eigene Geschichte im Forum des großen Weltgerichtes ver­standen: Der Gott Israels steht in einem Rechtsstreit mit den Göttern der Völker um sein Eigentum; näm­lich die Erde, die seine Schöpfung ist, und den Men­schen, der sein Ebenbild ist. In seinen Gerichtsreden entwirft Deuterojesaja dies Verständnis der Ge­schichte als Gerichtsprozeß zwischen Gott und den Göttern (43,9.13; 44,7-11): die Völker sind Zeugen ihrer Götter. «Ihr aber seid meine Zeugen, spricht der Herr». «Gibt es einen Gott außer mir?» ist die Frage Jahwes. Israel soll seine Gottheit dadurch «bezeugen», daß es den Völkern seine Treue erzählt: die Verkündi­gung des Zukünftigen und die Erfüllung des Verheiße­nen.

Die Berufung Israels zum Zeugen der Völker im Kampf Gottes mit den Göttern um die Weltherrschaft ist im Prinzip grenzenlos: «Ich habe Dich gemacht zum Licht der Heiden, daß Du seist mein Heil bis an der Welt Ende» (Jes 42,6; 49,6). Das Bekenntnis des einen, des wahren, weil treuen Gottes durch das Volk der Zeugen steht im weltgeschichtlichen Kampf Gottes gegen die Götter. Dieser Kampf um die Weltherrschaft wird vom Volk Gottes nicht anders als durch das Le­benszeugnis erfahrener Treue und geglaubter Verhei­ßung Gottes ausgefochten. Durch dieses Zeugnis wer­den jetzt schon Menschen von Göttern und Dämonen befreit und in die Wahrheit des einen Gottes gebracht.

Auf diesem Hintergrund muß man es verstehen, daß Jesus im Neuen Testament «der treue Zeuge» und «der wahre Zeuge» genannt wird (Offb 1,5; 3,14). Er ist in diese Welt gesandt, damit «er für die Wahrheit zeuge» (Joh 18,37): Darum wird er Verwahre Zeuge genannt. In dieser Berufung erwies er sich als zuverlässig, weil er sie im Leiden und Sterben erfüllte: Darum wird er der treue Zeuge genannt. Er ist der göttliche Zeuge der Wahrheit, die frei macht von gottlosen Gesetzen und Mächten (Joh 18,37). Indem er diese befreiende Wahrheit Gottes bezeugt, befreit er faktisch die Ge­bundenen.

Bei Deuterojesaja bleibt eine Differenz zwischen Gott und dem Volk, zwischen dem Bezeugten und den Zeugen. Im Neuen Testament aber fallen der Zeuge und das, was er bezeugt, so eng zusammen, daß Jesus dadurch den Vater bezeugt, daß er sich selbst als den Sohn offenbart (Joh 8,12ff): Darum ist Jesus nach dem Johannesevangelium der eine Zeuge Gottes. Er kommt selbst aus der Wahrheit, die er bezeugt: Darum ist sein Zeugnis die Wahrheit selbst. Sein Zeugnis für die Wahrheit Gottes ist sein Zeugnis von sich selbst, und sein Selbstzeugnis ist das Zeugnis dessen, der ihn gesandt hat. Er wird seinerseits durch den Geist be­zeugt und von denen, die ihn im Heiligen Geist beken­nen (Joh 15,26).

Darum fällt auch jene andere Differenz dahin, die bei Jesaja bestand: die Differenz zwischen dem Zeug­nis vor Gericht und dem Gerichtsurteil: das Zeugnis für die Wahrheit Gottes vor dem Gericht der Welt wird zum Gericht der Welt auf Grund der göttlichen Wahrheit des Zeugnisses. Zeugnis und Gericht fallen dann zusammen. Aus dem göttlichen Zeugen wird der Richter, und aus den Richtern werden Angeklagte und Freigesprochene. Aus der «messianischen Zeit», die nach Jesaja mit dem Rechtsstreit zwischen Gott und den Göttern beginnt, wird «die letzte Stunde». Nach Johannes wird das Endgericht im Zeugnis Jesu Christi schon vollzogen: wer glaubt, wird nicht gerichtet, wer nicht glaubt, ist schon gerichtet. Das ist eine großartige trinitarische Schau des gegenseitigen Bezeugens und Bekennens des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Welt und die Menschheit werden in die­sen trinitarischen Prozeß des Bezeugens Gottes durch Gott selbst hineingenommen.

Zwischen der Differenz zwischen Gott und dem Volk seiner Zeugen bei Jesaja und der Identität zwi­schen dem bezeugten Vater und dem bezeugenden Sohn bei Johannes finden wir die anderen Vorstellun­gen von Zeugnis und Bekenntnis bei den Synoptikern und bei Paulus: Gegenstand des Zeugnisses Jesu ist die Gottesherrschaft. Als der Messias bezeugt Jesus die Gottesherrschaft und setzt sie zugleich durch das Evangelium an die Armen, Mahlfeiern mit Sündern und Krankenheilungen in Kraft. Er beruft Jünger, die an seiner messianischen Sendung teilnehmen und das «Evangelium vom Reich» der ganzen Welt verkündi­gen: «zum Zeugnis für alle Völker» (Mt 24,14). Jesus vollendet sein messianisches Zeugnis durch sein «gutes Bekenntnis» vor Pilatus und durch seinen Zeugentod (Mk 14,63; Mt 26,65). Werden seine Jünger angeklagt und gefoltert, dann geschieht das analog «den Völkern zum Zeugnis» (Mt 10,18). Wie Jesu eigenes Zeugnis, so hat auch das Zeugnis der Jünger befreiende Kraft für Glaubende und belastende Wirkung für Nichtglau­bende. Denn nach ihrem Zeugnis wird im Endgericht geurteilt. Das ist eine messianische Schau des ge­schichtlichen Bezeugens der Zukunft Gottes. Das Evangelium ist ein vermittelndes Zeugnis. Im Evange­lium werden Reich und Gericht Gottes in der Ge­schichte präsent. Am Evangelium entscheiden sich deshalb Heil und Verderben der Menschen. Christli­cher Glaube ist bekennender und bezeugender Glau­be. Das Bekenntnis des Evangeliums macht seine eschatologische Struktur aus.

III.

Ob man im Neuen Testament der johanneischen Iden­tifikation des göttlichen Zeugen mit dem bezeugten Gott oder der synoptisch-paulinischen Vermittlung beider durch das Evangelium folgt, immer gewinnt das Zeugnis der Zeugen Christi am Zeugnis Christi selbst Grund und Maß. Die bekennende Kirche richtet sich am bekennenden Christus aus, aus dem sie lebt.

Wie Christi Zeugnis ein öffentliches Zeugnis der be­freienden Wahrheit ist, so wird auch ihr Zeugnis in Öf­fentlichkeit geschehen, um Menschen von öffentlicher Lüge und öffentlicher Angst zu befreien. Der «Nikodemusglaube», heimlich, privat und bei Nacht, ist noch kein christlicher Glaube. Das hat Calvin den hu­manistischen Sympathisanten der Reformation immer eingeschärft. Die moderne Politik, die Glauben zur «Privatsache» erklärt, behindert mit der Öffentlichkeit auch den Zeugnischarakter und damit die Substanz des christlichen Glaubens. Christlicher Glaube braucht darum das «Recht öffentlicher Religionsausübung». Wird ihm dieses verweigert, dann beginnt er zu leiden und kann nur noch durch Widerstand und Leiden das Zeugnis der befreiende Wahrheit öffentlich ausrichten.

Wie Christi Zeugnis ein ungeteiltes Zeugnis der hei­lenden Wahrheit ist, so wird auch das Zeugnis der Christen ungeteilt sein und keinen Bereich des Lebens auslassen. Die Begrenzung des Zeugnisses auf einen re­ligiösen oder einen privaten oder einen innerlichen Be­reich würde eine Reduktion bedeuten, in der das Zeugnis des Heils verdirbt. Wer das Zeugnis teilt, «zerteilt» Christus. Das ist die «fromme» Verleugnung des ganzen Christus. Christus wird der «wahre Zeuge» genannt, weil er die Wahrheit bezeugt. Er wird der «treue Zeuge» genannt, weil er sie bis zum Tod be­zeugt hat.

Das Zeugnis der Christen ist entsprechend nicht nur ein Zeugnis in Worten, sondern das Zeugnis durch ihr ganzes Leben und ihre Treue bis zum Tod. Es gibt kein lebendiges Zeugnis ohne ein bezeugendes Leben und Sterben. Christusbekenntnis und Nachfolge Christi gehören untrennbar zusammen, hat die Weltkirchen­konferenz in Nairobi 1975, Sektion I, mit Recht er­klärt. Sie sind zwei Seiten desselben christlichen Le­bens. Erst in der Nachfolge erkennt man wirklich und persönlich Christus. Und im Bekennen folgt man ihm nach und verleugnet sich selbst.

Wo wird Christus heute bekannt? Die theologische Antwort lautet: Christus wird im Heiligen Geist und durch ihn bekannt. Das ist zugleich eine höchst prakti­sche Antwort, denn der Heilige Geist ist in der Ge­schichte die Macht der neuen Schöpfung. Er ist der Geist der Befreiung von Sklaverei und die Kraft der Auferstehung vom Fall in Sünde und Tod. Christus wird also dort bekannt, wo die Kräfte der neuen Schöpfung wirksam werden. Er wird bekannt, wo Ge­fangene sich von der Unterdrückung befreien. Er wird bezeugt, wo Schuldige zum neuen Leben aufstehen. Er ist lebendig, wo Menschen sich nicht mehr dem Tod ergeben, sondern auf den Sieg des Lebens hoffen.

Das ist auch eine polemische Antwort: wo die Kräfte der neuen Schöpfung wirksam werden, versteift sich der Widerstand der Mächte der alten Welt. Wo Unterdrückte sich befreien wollen, wird die Macht der Unterdrücker härter. Wo Menschen zum Leben auf­stehen, wachsen die Schatten des Todes. Das aber heißt: Christus wird heute bekannt und bezeugt im Kampf der Kräfte des Reiches Gottes gegen die gottlo­sen Mächte des Todes. Das hatte Jesaja im Blick, wenn er das Volk zum Zeugnis im Rechtsstreit zwischen Gott und den Göttern aufrief. Zeugen werden nur im Streit gebraucht. Im Kampf zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwi­schen Leben und Tod, sollen sie für die Wahrheit, die Freiheit und das Leben eintreten. Die «Götter», deren Nichtigkeit heute bezeugt werden muß, wenn Chri­stus als die Wahrheit und das Leben bekannt wird, sind nicht allein die religiösen Götzen und Dämonen, son­dern die vergötterten Mächte der Rasse, des Ge­schlechts, des Staates und des Kapitals. Es ist der Dä­mon der Macht selbst, der Menschen terrorisiert und dem Millionen geopfert werden. Wo aber der Geist des Herrn ist, da wird Freiheit von Angst und Aggression bezeugt.

Wie wird Christus heute bekannt? An Israel und an den Aposteln ist zu erkennen, daß Christus durch Wort und Tat, durch Tat und Leid, durch Leid und Schweigen, durch Schweigen und Sterben bezeugt wird. Die Einheit von Wort und Tat ist selbstverständ­lich, wenn das ganze Leben zum Zeugnis wird. Die Einheit von Tat und Leid folgt daraus. Daß Christus auch durch Leid und Schweigen der Zeugen bekannt wird, ist eine überraschende Erfahrung durch die ganze Geschichte der Märtyrer: Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche.

Genau deshalb ist es wichtig, auf den Heiligen Geist als den göttlichen Zeugen der Wahrheit Christi zu ver­trauen. Denn Gott ist es, der das Wort und die Tat, die Tat und das Leid, das Leid und das Schweigen, das Schweigen und das Sterben zum überführenden Zeug­nis an anderen verwendet. Die Christen stehen mit ih­rem Zeugendienst nicht einsam in einer feindlichen Welt. Sie stehen mit ihren Möglichkeiten und erst recht mit ihren Behinderungen in der Geschichte des sich selbst bezeugenden, dreieinigen Gottes. Im Reden und Schweigen, in Handeln und Leiden und in ihrem Ge­schick ist der Heilige Geist «ihr Zeuge».

Das ist der Grund, warum das Zeugnis ohne Sorge in großartigem Freimut geschehen darf: «Sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt, denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt» (Mt 10,19). «Der Heilige Geist wird euch zu derselben Stunde lehren, was ihr sagen sollt» (Lk 12,12). Das Bekennt­nis der Glaubenden zu Jesus Christus ist getragen vom Bekenntnis Jesu Christi zu ihnen und ist nur eine kleine menschliche Antwort. Das Bekenntnis Jesu Christi zu ihnen wird durch das Zeugnis des Heiligen Geistes aufgenommen, der die neue Schöpfung herauf­führt.

JÜRGEN MOLTMANN

1926 in Hamburg geboren. Mitglied der evangelisch-reformierten Kirche. Er studierte an der Universität Göttingen, promovierte und habilitierte sich in Theologie, war 1958-1963 Professor an der Kirchli­chen Hochschule Wuppertal, 1963-1967 Professor für systematische Theologie an der Universität Bonn und ist jetzt Professor für systema­tische Theologie an der Universität Tübingen. Er ist Herausgeber von «Evangelische Theologie» und veröffentlichte u.a.: Prädestination und Perseveranz (1961), Theologie der Hoffnung (101976), Perspekti­ven der Theologie (1968), Der Mensch (31977), Die ersten Freigelasse­nen der Schöpfung (51976), Der gekreuzigte Gott (31974), Kirche in der Kraft des Geistes (1975), Zukunft der Schöpfung (1977). An­schrift: Liebermeisterstraße 12, D-7400 Tübingen.

Concilium 14, 1978, S. 504-507.

Hier der Text als pdf.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s