Siegfried Kettling, Eseleien. Einige Kapitel Eselspädagogik für solche, die ihm (nicht) ähnlich werden wollen: „»Alexamenos betet seinen Gott an« – ein Esel sei­nen Esel! Das älteste Christusbild, die älteste Kreuzesdar­stellung – eine Schmähzeichnung. Wir sollten das gerade heute nicht vergessen. Denn damit werden wir rechnen müssen, dass wir Christen nicht auf Dauer in einer Gesellschaft leben, die uns hofiert. Damit werden wir Christen wohl rechnen müssen, daß wir eines Tages spöttisch gefragt werden: »Wie, du stehst zu diesem gekreuzigten Juden?«

Eseleien. Einige Kapitel Eselspädagogik für solche, die ihm (nicht) ähnlich werden wollen

Von Siegfried Kettling

Inhalt

Einführung ………………………………………………  7

  1. Kapitel: Der dumme Esel ……………………  11
  2. Kapitel: Der störrische Esel ………………..  21
  3. Kapitel: Der faule Esel ………………………  29
  4. Kapitel: Der verspottete Esel ………………  37

Fazit ……………………………………………………..  44

Einführung

Ein zufriedenes Gemüt freut sich, wenn es Esel sieht

Dieses Motto, frei nach Wilhelm Busch, reißt das klaftertiefe Problem auf, das uns auf den folgenden Seiten beschäftigen soll.

Denn erstens: Wer sieht schon Esel? Ich meine die vierbeinigen, wohlgestalteten Grautiere – wo laufen sie uns noch über den Weg? Und zweitens (dies vor allem): Wer hat schon ein zufriedenes Gemüt?

Wenn nun beides fehlt – sowohl der leibhaftige Esel als auch das zufriedene Gemüt -, dann ge­schieht etwas Eigenartiges: dann bekommt die Vo­kabel »Esel« Hochkonjunktur, und zwar meistens in Verbindung mit dem persönlichen Fürwort der zweiten Person Einzahl – »Du«.

»Du Esel!« — das kennen wir. Da stehen sich zwei Menschen im Zorn gegenüber (in Familien soll das vorkommen, im Bekanntenkreis, aber auch in Klassengemeinschaften und am Arbeitsplatz), beide zu gebildet, um mit Fäusten aufeinander los­zugehen, das Gesicht des einen feurig entflammt, das des anderen ganz blaß, und nun kommt der Mensch auf die Tiere. Man wirft sich in bunter Rei­henfolge zoologische Gattungen an den Kopf, bis ein kleines Brehmsches Tierleben versammelt ist; und inmitten dieser Menagerie kommt todsicher auch der Esel vor, denn der scheint für diesen Zweck vorzüglich geeignet.

»Du Esel!« — was meint man denn damit?

Zunächst einmal gilt der Esel als ein besonders hervorragendes Exempel für den Mangel an Intelli­genz. Der entsprechende Quotient ist kaum mehr meßbar. Wer also »Du Esel« sagt, meint damit im­mer: »Du dummer Esel«.

Zum andern sind alle der Überzeugung, daß der Esel ein besonders widerspenstiges, bockiges Tier ist. Er ist sozusagen der geborene Rebell und Anar­chist. »Du Esel« heißt folglich auch: »Du störri­scher Esel«.

Schließlich hält man den Esel im allgemeinen für einen radikalen Verächter jeglicher Form von Lei­stungsgesellschaft. Er ist, behauptet man, jedem Denken im Akkord gänzlich abgewandt, ist lang­sam, unlustig, träge. In »Du Esel« steckt also fer­ner: »Du fauler Esel«.

Ich bin nun der Meinung, daß das schöne Grau­tier schon viel zu lange ein Opfer von solchen Vor­urteilen und Verleumdungen gewesen ist. Deshalb möchte ich endlich eine Lanze für den Esel bre­chen!

Ich entsinne mich noch gut, daß ich – ich glaube, ich war noch Schüler – voll freudiger Erwartung im Wartezimmer eines Zahnarztes saß und nervös in einer Zeitschrift blätterte. Dabei stieß ich auf einen Artikel von Werner Bergengruen.

Den Satz, mit dem er diesen Artikel anfing, habe ich merkwürdigerweise bis heute behalten:

»Einen Sinologen nennt man einen Chinaforscher, einen Asinologen (einen Eselskundler) nenne man mich.«

Nun ist die »Asinologie« ein weites Feld, und ich kann für mich nicht die Würde eines Doktors der Eselkunde in Anspruch nehmen. Unter dem Stichwort »Eseleien« will ich vielmehr nur einen Gesichtspunkt aufgreifen, die Frage nämlich, ob man von dem Esel, obwohl er eine so schlechte Pu­blicity hat, vielleicht doch etwas lernen könnte.

»Eseleien«, darunter verstehe ich also ein paar Kapitel Eselspädagogik für solche, die ihm natür­lich nicht ähnlich werden wollen – trotz der Klammer auf der Titelseite.

Oder etwa doch?

1. Kapitel: Der dumme Esel

In einem meiner ersten Schuljahre erlebte ich, wie ein Klassenkamerad, der ein wenig schlicht im Denken und auch sonst etwas langsam war, von unserem Lehrer in voller Phonstärke angebrüllt wurde: »Du Quadratesel!«

Ich war damals weit davon entfernt, auch nur zu ahnen, was ein Quadrat ist. Aber dieses Wort hatte einen so ungeheuren Effekt, daß ich beim bloßen Gedanken, ich könnte womöglich auch einmal als Quadratesel tituliert werden, erblaßte.

Inzwischen habe ich einiges mehr über den päd­agogischen Wert des Esels in deutschen Bildungs­einrichtungen gelernt – zum Beispiel dies: In den Schulen vergangener Jahrhunderte war es üblich, daß an der Wand ein mehr oder weniger wohlgestal­tetes Portrait eines Esels mittels einer Schnur auf­gehängt war. Je nach Verlauf der schulischen Lei­stungskurve wurde das Eselsbildnis diesem oder jenem Schüler um den Hals gehängt – als besondere Auszeichnung natürlich.

Ich habe auch gelesen, daß vornehmere Schulen sich ein hölzernes Eselsgestellt leisten konnten, auf dem der Delinquent dann thronen durfte (auf­grund gewisser negativer Erfahrungen beim Gerä­teturnen habe ich den Verdacht, daß unser moder­ner Barren wohl von diesem Eselsgestell herzulei­ten ist).

Wenn eine bestimmte Gruppe von Menschen in einem Anflug geistigen Interesses an die Literatur gerät, sei es die schöngeistige oder die wissen­schaftliche, und dann, damit man diesen geistigen Kraftakt auch ja nicht vergesse, hinterher an den Büchern deutliche Spuren hinterläßt, dann spre­chen wir von – Eselsohren.

Für Menschen mit schlechtem Gedächtnis hat Friedrich Rückert den tröstlichen Spruch verfaßt:

Über alle Wissenslücken
geht’s sicher auf den Eselsbrücken.

Der dumme Esel — ob das so stimmt?

In der Bibel ist etwa 130mal vom Esel die Rede. Ich will nur einige interessante Stellen herausgrei­fen. Da steht ein ganz erstaunliches Wort am An­fang des Propheten Jesaja. Gott spricht dort selbst vom Esel und sagt: »Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht.« (Jes. 1,3).

Das heißt doch: Ein Esel ist sicher kein Intellek­tueller und ein Ochse wohl kein Intelligenzbulle; aber eines wissen sie, das eine, worauf es ankommt, das Lebensnotwendige: wohin sie gehören, wie ihr Herr aussieht, wie seine Stimme klingt, wie der Stall durftet, wo man Heu bekommt, wo man zu Hause ist. Da gehöre ich hin — das ist für einen Esel ganz selbstverständlich, auch wenn er nur ein Asinus ist.

Das scheint mir nun eine der ganz großen Ese­leien bei uns Menschen zu sein (die wir uns doch Homo sapiens, »den Weisen«, nennen), daß wir so oft nicht wissen, wohin wir eigentlich gehören. Wir haben es fertiggebracht, zum Mond zu fliegen und auch die Rückkehr fast auf die Minute und den Quadratmeter genau einzuplanen. Doch wo wir zu Hause sind, das wissen wir nicht.

Ich glaube, jedem Menschen haftet noch etwas von dem guten Stallgeruch an, so wie ein Esel nach dem Stall duftet, aus dem er herkommt. Jeder von uns trägt noch die Spuren dessen, der uns geschaf­fen hat. Doch wir Menschen sind Davongelaufene und dabei Verkommene. Selbst wenn wir äußerlich den schönen Schein aufrechterhalten, treibt uns ein großer innerer Hunger und Durst um. Die Sehn­sucht ist nämlich geblieben, aber es ist eine Sehn­sucht, die hin und her vagabundiert, das Zuhause nicht mehr findet und manchmal auch nicht finden will.

Ob das nervöse Hin- und Herrennen unter uns Menschen, all unser hektisches Suchen nicht viel­leicht da seine tiefste Ursache hat?

Da vergötzt man eine Zeitlang den Staat, etwa im Sinne Hegels: Der Staat ist die größte Offenbarung Gottes. Doch auf einmal kippt das Ganze um; das Heil trägt den Stempel »antiautoritär«, und der Heilsweg heißt Rebellion. Bald kommt eine kon­servative Welle, dann eine progressive, und das geht auf und ab, völlig sinn- und ziellos von einem Extrem ins andere. Eine Zeitlang erwarten wir alles von Naturwissenschaft und Technik; doch dann kommt der Zukunftsschock, die Umweltver­schmutzung, und plötzlich schreit alles nach den Humanwissenschaften. Irgendwelche »Künste« sollen den großen Umschwung bringen oder die transzen­dentale Meditation – vielleicht die Grup­pendynamik.

Sind das nicht alles Zeichen davon, daß wir her­umvagabundieren, unbehaust und heimatlos hin- und herlaufen?

Vielleicht kennen wir das, was der Philosoph Ernst Bloch die »Melancholie der Erfüllung« nennt: Da hat jemand davon geträumt, »Wenn ich dies oder jenes erreicht habe … wenn ich mein Examen gemacht habe .. . wenn ich den idealen Ehepartner gefunden habe … wenn meine Karriere läuft — wenn ich ein volles Bankkonto habe, dann bin ich am Ziel. Wenn ich nur schon da wäre!« Endlich ist der ersehnte Punkt erreicht, doch statt des Glücks meldet sich ein Gefühl der Leere, die »Melancholie der Erfüllung«, es war doch nicht genug!

»Glücklich mit neuen Möbeln!« verkündet die Werbeindustrie. Da glaubt’s und versucht’s einer. Bald steht das Eigenheim, der Umzug ist geschafft, das Wohnzimmer mit der hypermodernen Stereo­anlage eingerichtet – und dann trifft der Satz von Wilhelm Busch ins Schwarze: »Die Wohnung schön, die Möbel neu; der alte Lump ist auch da­bei.« Man ist sich selbst nicht entlaufen. Das alte Ich ist mit umgezogen, man ist wieder bei sich selbst angekommen.

Melancholie der Erfüllung — wir versuchen, un­ser inneres Defizit auszufüllen und schaffen es nicht, weil wir an der falschen Stelle suchen. Ob es nicht die größte Eselei ist, zu der wir Menschen fä­hig sind, daß wir nicht wissen, wo wir eigentlich hingehören? Daß wir den nicht mehr kennen, der uns geschaffen hat? Wenn es nämlich wahr ist, daß wir Geschöpfe Gottes sind, dann muß es doch wohl so sein, daß wir nur in seinem Umkreis wirklich le­ben und atmen können, wirklich frei und glücklich sind. Dann muß doch für uns Menschen das Her­austreten aus der Nähe Gottes dasselbe sein, was für den Fisch das Herausgeworfenwerden aus dem Wasser bedeutet – Todeskampf, Erstickungstod.

An einer Stelle begehen auch Christen immer wieder die eine riesengroße Eselei. Der französi­sche Philosoph Jean Buridan im 14. Jahrhundert hat sie in einer berühmten Parabel dargestellt. Es ist die Geschichte von einem Esel, den man genau in die Mitte zwischen zwei Heubündel plaziert. Beide Heubündel sind gleich groß, von derselben Form, durften ganz leicht und sind exakt jeweils 1,68 m vom Kopf des Esels entfernt.

Was geschieht nun? Zwei gleichstarke Schlüssel­reize von rechts und links dringen auf den armen Kerl ein und lösen in ihm zwei gleichstarke Moti­vationen aus. Was tut das Eselchen? Es steht dazwi­schen, buschstäblich verzweifelt, entschlußunfä­hig, bis es schließlich verhungert.

Einem arabischen Sprichwort zufolge ist ein le­bender Esel besser als ein toter Philosoph; und was den Philosophen Buridan hier angeht, so hat er in bezug auf das Eselchen sicher unrecht gehabt, denn das Grautier hätte ohne Frage zuerst das eine und anschließend das andere Bündel genüßlich ver­zehrt. Doch für die Menschen, vielleicht gerade für die Christen, könnte diese Parabel passen.

Genau dazwischen zu stehen – das ist doch oft unsere Situation. Auf der einen Seite sind wir ge­packt von fesus Christus. Ihm nachfolgen, mit ihm leben, das wäre etwas! Und dann wieder der Blick zur anderen Seite. Auch von dort geht eine Faszina­tion aus: Ob man bei Jesus nicht doch viel Schönes verpaßt – Lustgewinn oder Karriere? Wer aber als Christ Buridans Esel spielt, zwischen Jesus und der »Welt« hin und her oszilliert, der geht daran ka­putt. Der begeht eine Eselei, über die ein gestande­ner Esel nur den Kopf schütteln kann.

Das Eselchen auf der folgenden Seite ist ein kleines Kunstwerk. Es handelt sich um eine Tonfigur von einem Bremer Bildhauer. Dieser Mann hat im Drit­ten Reich im KZ gesessen. Er war wohl Marxist. Rot war er, die damals herrschende Ideologie war braun, und im Machtkampf der Ideologien geriet er in die Folterkammer, in die Hölle des Konzentra­tionslagers.

Dort – in der äußersten Fremde — geschah etwas Eigenartiges mit diesem Mann: Er fand nach Hause. In den Mauern des KZs entdeckte er die Heimat, die Mitte seines Lebens, Jesus Christus. Der Gott, der angeblich nach Auschwitz tot sein soll, erwies sich eben dort in der scheinbaren Gottesferne als der le­bendige und ganz nahe.

Als er dann befreit wurde und seinen künstleri­schen Beruf wieder aufgreifen konnte, gestaltete er viele Krippen, und zu einer davon gehört diese kleine Eselsfigur. Daß bei den meisten Weih­nachtsbildern Ochs und Esel neben der Krippe ste­hen, geht ja auf die Jesaja-Stelle zurück, die wir am Anfang zitiert haben: »Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn«. Der Künstler wollte also offenbar sagen: Mir geht es wie dem Esel. Ich möchte ganz in der Nähe meines Herrn sein. Ich möchte dem Esel nicht nachstehen.

In der Gottesferne bleiben, ist Eselei. Es gab bei den Juden einen eigenartigen Brauch: die Synago­genstrafe, eine Art »Kirchenzucht« (5. Mose 25,3). Wenn da einer das Gesetz übertreten hatte, z.B. un­flätig über Gott geredet hatte, dann pflegte man ihn einer kräftigen Prügelstrafe zu unterziehen. Sie be­stand aus vierzig Schlägen, und damit es ja nicht zuviel wurden, gab man immer einen Schlag weni­ger (Paulus berichtet, er habe fünfmal vierzig Schläge weniger einen bekommen; 2. Kor. 11,24). Nun sagt ein kluger Schriftgelehrter: Die Peitsche für diese Synagogenstrafe müßte man eigentlich aus Eselshaut anfertigen. Dann kommt derjenige, der seinen Herrn achtet und die Krippe seines Herrn kennt, und verprügelt denjenigen, der keine Ah­nung von Gott hat – den Menschen.

Ich glaube allerdings nicht, daß man uns mit ei­ner Eselshautpeitsche nach Hause prügeln kann. Ich glaube vielmehr, daß die Heimkehr so zugeht, wie es der Künstler erlebt hat: Daß einer nach uns die Arme ausstreckt und sagt: Ich bin gekommen, daß ihr das Leben haben sollt. Leben rundum, Le­ben in jeder Weise und ohne Maß. Genug ist nicht genug bei diesem Herrn. Er will, daß wir Überfluß haben.

Und nun will ich mit dem kleinen Esel sprechen, der mir davon erzählen sollte, wie sein Meister nach Hause gefunden hat:

Man behauptet:
Das ist ein dummes Tier.
Man hat das sogar auf Menschen übertragen
und sagt: »Du Quadratesel!«
Sicher stimmt es,
daß du kein Intellektueller bist;
und was das ABC angeht,
bist du nie über das I und A hinausgekommen.

Aber eines weißt du:
Du weißt,
wo dein Platz ist,
wo du zu Hause bist,
wo dein Herr wohnt.

Nun habe ich einen Wunsch für mich:
Ich möchte wissen,
wo ich hingehöre,
wo ich mein Zuhause habe,
wo ich leben und atmen kann.
Ich möchte meinen Platz fürs Leben
und fürs Sterben kennen.

Ich möchte nicht dümmer sein als ein Esel.

2. Kapitel: Der störrische Esel

Schon in der antiken Welt wußte man: Wenn ein Esel dem Stall entläuft und in die frische Saat gerät, dann mag man ihn streicheln und liebkosen oder prügeln und treten – man wird ihn nicht von der Stelle bringen.

Jüdische Schriftgelehrte erzählen: Als Noah das Unternehmen »Arche« startete und seine Menage­rie zusammentrieb, hatte er keine Schwierigkeiten mit dem Löwen. Auch das Känguruh war ganz friedlich, vom Nilpferd ganz zu schweigen. Nur der Esel bockte und schuf ungeheure Probleme.

Der störrische Esel!

Vielleicht wissen Sie, daß der Sturz der deut­schen Monarchie symbolisch durch einen ägypti­schen Esel vorweggenommen wurde. Der deutsche Kronprinz Friedrich befand sich auf einer Studien­reise in Ägypten und ritt auf einem Esel auf die Py­ramiden zu. Doch plötzlich kam es dem Esel in den Sinn, nun sei es genug. Das hatte zur Folge, daß »Ihro Gnaden« mit gespreizten Beinen über den Eselskopf hinwegflog und im Wüstensand auf dero allergnädigstem Hinterteil landete. Welche Re­spektlosigkeit eines ägyptischen Esels dem deut­schen Kronprinzen gegenüber!

Auf einem italienischen Tierfriedhof in Salerno gibt es ein schönes Grabmal, das einem Esel ge­widmet ist – einem Esel, der es sein Leben lang mit dem Militär zu tun hatte und den die Disziplin of­fenbar nicht sehr befriedigte. Der Gedenkstein trägt die Inschrift:

Hier ruht der Esel Maggie.
Er trat in seinem Leben
zwei Generälen,
sieben Obersten,
acht Majoren,
sechzehn Hauptleuten,
vierundzwanzig Leutnants,
neununddreißig Sergeanten
fünfhundertfünfundvierzig Soldaten
in den Bauch.
Sein letzter Tritt traf
den Zünder einer Zweizentnerbombe.

Muß das eine Explosion gegeben haben! Das hatte der störrische Esel nun davon.

Nun überlege ich, ob es bei den hundertdreißig Stellen in der Bibel auch etwas Passendes zu diesem zweiten Punkt – dem störrischen Esel – geben könnte.

Da findet sich im 4. Buch Mose tatsächlich eine Geschichte, die für unsere kleine Eselspädagogik von Bedeutung ist. Von den Moabitern wird dort berichtet, einem Volk, das Israel feindlich gesinnt ist und einen Krieg vom Zaun brechen will. Aller­dings sind die Moabiter schon zu der tiefen theolo­gischen Einsicht gekommen, daß mit dem Gott Is­raels nicht zu spaßen sei, daß man damit der nor­malen militärischen Strategie und Taktik nicht weit komme und mit konventionellen Waffen nichts ausrichten könne.

Was tim? Die Moabiter beschließen, eine magi­sche Superwaffe einzusetzen – den Zauberer Bile­am. Dieser Bileam soll auf einen Berg steigen und von oben herab Fluchworte über Israel ausrufen, wirkmächtige Worte, die so in Mark und Bein hin­einfahren, daß alle Israeliten Gelähmt und im Nu zu besiegen sind.

Dem guten Bileam ist das Unternehmen ein we­nig suspekt. Aber immerhin – man verspricht ihm eine Menge Geld, und so macht er sich mit seiner Eselin auf die Reise.

Er muß wohl unterwegs seinen goldenen Träu­men nachgehangen haben. Vielleicht hat er im Geist die einzelnen Goldstücke mit einem Woll­tuch poliert, bis sie glänzten. Jedenfalls gibt es plötzlich einen entsetzlichen Ruck. Was ist ge­schehen? Die Eselin ist vom Weg abgewichen und hat sich stolpernd über das Feld gemacht. Nun ist in Israel ein Feld kein Parkett. Da liegen massive Steinbrocken herum; es gibt Querrinnen und Schlaglöcher. Bileam wird höchst unsanft aus sei­nen goldenen Phantasien herausgerissen.

»Du elender Esel!« schreit er. »Du störrisches Vieh!« Und er schlägt auf den Esel ein. Der aber hat, so wird in der Geschichte erzählt, geschaut, wäh­rend Bileam nur träumte. Er hat gesehen, daß der Engel des Herrn sich in den Weg stellte und die Straße blockierte. Darum der plötzliche Schlenker. Bileam aber sah nichts.

Das Unternehmen wird fortgesetzt. Man kommt durch einen schmalen Hohlweg. Weinberge rechts und links, durch Mauern abgestützt. Ausgerechnet in diese Engstelle hinein platziert sich der Engel des Herrn mit dem Schwert!

Bileam schaukelt schon wieder sanft in goldenen Träumen. Der Esel versucht, sich an dem Engel vorbeizuschlängeln. Dabei quetscht er seinem Herrn an der Stützmauer kräftig das Bein. Wieder ein empörter Aufschrei: »Du störrisches Vieh!«, wieder die Peitsche.

Schließlich gelangen sie an einen Engpaß zwi­schen zwei Felsen. In die Mitte tritt der Engel des Herrn. Da gibt es kein Ausweichen mehr. Was tut der Esel? An allen Gliedern zitternd sinkt er zu Bo­den, stellt den Betrieb völlig ein. Bileam wäre es da­bei fast so ergangen wie dem deutschen Kronprin­zen. Nun ist er endgültig frustriert. Am liebsten würde er mit dem Schwert dreinschlagen.

Dann kommt in der Bibel der schöne Satz, bei dem man spürt, daß über dieser Geschichte etwas vom Humor, vom Augenzwinkern Gottes ist: »Da tat der Herr der Eselin den Mund auf, und sie sprach zu Bileam: Was hab ich dir getan, daß du mich nun dreimal geschlagen hast?« (4. Mose 22,28). Im nächsten Augenblick werden dem Bileam die Au­gen geöffnet, und er entdeckt, wer ihm da in den Weg getreten ist.

Wer ist eigentlich in dieser Geschichte der störri­sche Esel? Der Vierbeiner oder der Zweibeiner? Wer hat hier gebockt und rebelliert?

Ob wir in dieser Beziehung nicht auch oft man­che Eseleien begehen? Wie widerstehen wir, wenn der, der uns geschaffen hat und uns liebt, uns einen Weg führt, der uns gar nicht gefällt!

Vielleicht sind wir der Meinung, Gott sei so et­was wie eine Planierraupe. Ich möchte an mein selbstgewähltes Ziel, habe ganz bestimmte Wün­sche, und nun sage ich Gott: »Pack zu! Räum die Hindernisse weg! Bahne mir den Weg! Los, vor­wärts!« – Doch Gott funktioniert nicht, wie ich ihn gern programmiert hätte.

Vielleicht denken wir auch, Gott sei ein Esel. Wir könnten bei ihm aufsitzen und ihn antreiben, mal rechts, mal links, mal schneller, mal langsamer, mal hüh, mal hott, jetzt Trab, jetzt Galopp. Doch Gott spurt nicht.

Dann kann es geschehen, daß wir rebellieren.

So kann es einem mit Gott ergehen. Es kann vor­kommen, daß Pläne und Träume zerrissen werden. Das kann so aussehen, daß man durch ein Examen fällt, daß eine Freundschaft in die Brüche geht. Das kann sich so vollziehen, daß ich mich an einem Tage plötzlich mit ganz anderen Augen ansehe – dunkel, zerrissen —, und gar nicht mehr stolz auf mich sein kann.

Und dann? Dann wehre ich störrisch, bockig, dann rebelliere ich.

Dieses Eselchen ist kein Kunstwerk. Es stammt auch nicht von einem bekannten Bild­schnit­zer, sondern von einem einfachen Arbeiter, der nun schon über 30 Jahre tot ist. Vor seinem Tode litt er 20 Jahre lang an einer Rückenlähmung, mußte viel Schmerzen und viele finanzielle Sorgen durchste­hen.

Dieser Mann saß, mit Mühe aufgerichtet, auf seinem Bett und schnitzte. Unter anderem gestal­tete er für alle seine Kinder und Enkelkinder (eines dieser Enkelkinder bin ich) Weihnachtskrippen. Aus solch einer Krippe stammt dieser Esel. Das Be­sondere an dem gelähmten Mann ist nicht, daß er etwa große Kunstwerke hervorgebracht hätte, nein, das Besondere an ihm war: Er hatte es gelernt, sei­nen Weg als Gottes Weg ganz zu bejahen. Er konnte sagen: »Dieses Leben ist für mich das bestmögli­che.«

Das Bild meines Großvaters steht mir bis zum heutigen Tag als eine große Einladung, als Ermuti­gung zum Glauben an Jesus Christus, vor Augen. Ich möchte es lernen, mit ihm zusagen: »Der Weg, den dieser Herr mich führt, ist in jedem Fall opti­mal. Ich könnte mir viele andere Wege ausdenken. Ich könnte viele Wünsche vor mich aufbauen und vielen Träumen nachhängen – sie wären alle schlechter.«

Ich vergesse den Tag seiner Beerdigung nicht; der Pfarrer sagte: »Ich bin oft von Amts wegen gekom­men, um den Kranken zu trösten. Aber derjenige, der als Getrösteter von diesem Krankenbett fort­ging, das war ich.«

Das Eselchen auf unserem Bild ist kein Kunst­werk und doch eine Kostbarkeit. Es ist ein Esel­chen, das jemand geschnitzt hat, der »ja« gesagt hat zu dem Weg, den Gott ihn führte; der nicht rebel­lierte und bockte, sondern der es Gott abnahm: es gibt nichts Besseres als den Weg, den er für mich ausgesucht hat.

Nun muß ich wieder mit dem Eselchen spre­chen:

Man sagt also von dir,
daß du störrisch bist,
bockig, hartnäckig
und deinen eigenen Kopf durchsetzen willst.

Da sind wir ganz verwandt –
insofern nämlich,
als auch ich rebelliere und mich auflehne,
wenn das, was in meinem Leben geschieht,
nicht so läuft,
wie ich es gern möchte.

Jetzt habe ich einen Wunsch,
wenn ich an den Esel des Bileam denke:
Ich möchte da, wo es darauf ankommt,
so offene Augen haben wie er.
Ich möchte den richtigen Weg sehen
und ein fröhliches Ja dazu haben.

Ich möchte nicht störrischer sein als ein Esel.

3. Kapitel: Der faule Esel

Ruhe sei dem Menschen heilig,
nur die Narren haben’s eilig.

Wenn dieser Satz gilt, dann gehört der Esel jeden­falls nicht zu den Narren. Der läßt sich nämlich Zeit – schon bei der Geburt. Ein Eselsbaby wartet immerhin 11 Monate, bis es zur Welt kommt. Des­halb ist es in manchen Gegenden üblich, ein Men­schenbaby, das im 9. Monat keine Lust zeigt, sich das Licht der Welt anzusehen, ein »Eselchen« zu nennen.

Der Esel ist sicher der Meinung: Was lange währt, wird dann auch von entsprechender Quali­tät.

Franz von Assisi hat seinen Körper immer den »Bruder Esel« genannt. Warum? Der erschien oft auch träge, unlustig; der mußte an den Zügel ge­nommen werden – komm, Bruder Esel!

Der faule Esel, dabei denken wir an das Tier, das man weder mit Zuckerbrot noch mit Peitsche be­wegen kann.

Nun kenne ich unter den 130 Stellen in der Bibel, an denen der Esel vorkommt, zumindest eine, an der er ganz besonders wacker und eifrig unterwegs ist. Ich meine jenen Esel, der mit seinem Herrn auf dem Rücken in Jerusalem einmarschiert. Ich stelle ihn mir immer so vor, daß er dabei den Kopf hoch erhoben hat, ganz stolz seines Weges geht und laut sein Ja posaunt.

Nun ist ein Eselsreiten im Orient ja keinesfalls ein ungewöhnliches Bild. Bemerkenswert wird die Szene dadurch, daß Jesus bewußt auf ein Wort des Alten Testamentes zurückgreift, nämlich auf den Ausspruch des Propheten Sacharja: »Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin« (Sacharja 9,9).

Das Pferd ist in der Antike das Reittier des Star­ken. Beim Zug durch die Stadt Rom ist das weiße Roß Kennzeichen des triumphierenden Generals. In der Offenbarung des Johannes wird auch von Je­sus gesagt, daß er auf einem weißen Pferd reitet und Gericht hält. Aber hier, bei seinem Einzug in Jeru­salem, ist er unterwegs als der Eselsreiter.

Daß er auf dem Esel und nicht auf dem Pferd da­herkommt, bedeutet jedenfalls: Gott hat eine to­tale Abrüstung vorgenommen. Er begegnet uns nicht mit Gewalt. Er begegnet uns nicht mit Mani­pulation. Er begegnet uns mit seiner ohnmächti­gen, allmächtigen Liebe – als derjenige, der für uns in den Tod geht.

Der folgende Esel, auf ein massives Eichenbrett montiert, ist ein Palmsonntags-Prozessions-Esel. Anknüpfend an die biblische Geschichte vom Ein­zug in Jerusalem hat man im Mittelalter und auch später noch am Palmsonntag Umzüge mit einem solchen Esel und dem darauf reitenden Christus unternommen. Betrachten wir dieses Bild genauer! Ist das nicht ein merkwürdiger Mann, der auf ei­nem Esel thront, als trüge er eine Krone? Ein Esels­rücken als Königsthron? Ein Esel als Zeichen des Königs, am Esel soll man ihn erkennen?

In der Weihnachtsgeschichte wird den Hirten auch ein Zeichen für die Geburt des Retters ge­nannt: die Windeln. Woran erkennt man Gott, wenn er zu uns Menschen kommt? An Windeln, und die sind etwas sehr Profanes. Bevor es die be­quemen Wegwerf-Windeln gab, erzeugten Windeln in einer Wohnung ein oft durchdringendes »Par­füm«. Dieser Gott macht die Windeln zum Kenn­zeichen seiner Wirklichkeit in dieser Welt – die Windeln und den Esel. Jesus Christus, der Gott, der in Windeln gewickelt wird, der König, der auf ei­nem Esel einreitet!

Doch zurück zu unserem Palmsonntag-Prozessions-Esel. Die Umzüge sahen vielfach so aus, daß sich fromme Ratsherren – Patrizier, Adlige – mit einem Strick vor diesen massiven Esel spannten und ihn vorwärts zerrten. Sie hielten das für eine wirksame Bußleistung. Das holprige Pflaster, der Weg bergauf und bergab — und dazu dieses massive Gewicht, das war schon eine arge Strapaze. Eine dermaßen anstrengende Buße hielten die hohen Herren allerdings nicht sehr lange durch. Aus dem 16. Jahrhundert haben wir schon Nachrichten, daß man andere Leute dazu anheuerte. Man engagierte die »Heber«, jene Männer, die für Transportge­schäfte zuständig waren, zum Beispiel Weinfässer schleppen mußten. Die Heber bekamen für diesen schwierigen Dienst der stellvertretenden Buße Steuererlaß.

Ich meine: Das ist eine Eselei.

»Tut Buße! Kehrt um!« sagt dieser Herr. Ob das so aussieht, daß man einen Palmsonntagsesel über die Straße zieht? Wenn solch eine Betätigung einen Steuererlaß verschafft, so ist das sicher eine ange­nehme Sache; doch das für Buße zu halten, ist ge­wiß eine komplette Eselei.

In Verona wurden die Reliquien jenes berühmten Esels vom Palmsonntag – des christlichen Uresels sozusagen – ausgestellt; und Calvin berichtet, der Schwanz dieses Esels sei in der Kathedrale von Ge­nua zu sehen gewesen. Wer andächtig davor ver­weilte, erhielt Ablaß.

Was sollen wir denn anfangen mit diesem grauen »Faultier«, mit diesem Esel, der sich im entschei­denden Augenblick gar nicht als faul erweist? Sein Bild in einer Prozession durch die Stadt zu transpor­tieren, seine Knochen als Reliquien zu verehren oder einen Eselsschweif als Statussymbol zu tragen (wie bayrische Jäger den Gamsbart), das alles ist Unfug, eine Super-Eselei sozusagen. Das wäre ganz verfehlte Eselspädagogik. Das einzig Richtige sieht so aus: Wir selbst können zu Wesen werden, die dem Herrn Jesus Christus für seine Wege zur Verfü­gung stehen. Wir selbst können »Christusesel«, besser Christopheroi, Christusträger, werden, die diesen Herrn dorthin tragen, wo es wichtige Aufga­ben gibt. Wir selbst dürfen Menschen werden, die sich von Jesus Christus benutzen lassen und dabei – wie dieser Esel – stolz und fröhlich den Kopf nach vorn strecken.

An dieser Stelle muß ich noch eine biographische Notiz zu jenem Künstler aus Bremen hinzufügen, der den Esel aus Ton gestaltet hat. Er arbeitete nach seiner Befreiung aus dem KZ zunächst als Bildhau­er, aber von einem bestimmten Tage an legte er sei­nen künstlerischen Beruf auf die Seite und versuch­te, als Sozialarbeiter jungen gefährdeten Menschen zu helfen.

Er selbst hat einmal von einem Gespräch mit seinem kleinen Sohn berichtet. Da kommt der Junge und fragt: »Papa, warum bildhauerst du jetzt eigentlich nur noch, wenn du Urlaub hast, und mußt sonst immer zum Jugendamt gehen? Es war doch viel schöner, als wir immer zu dir in die Werk­statt laufen konnten, und du warst immer da.«

Darauf der Vater: »Wenn ich’s mir recht überlege -vielleicht ein wenig dem Jesuskind zuliebe. Wenn man so viel geschenkt bekommt, möchte man an­deren auch gern helfen, vor allem solchen, die es besonders nötig haben.«

Da stellt jemand bereitwillig seinen künstleri­schen Beruf zur Seite, weil ihm der lebendige Herr begegnet ist und ihm eine neue Berufung gab.

Dieser Mann hat, glaube ich, sein Kapitel Esels­pädagogik gelernt. Ob dies »Esel-Einmaleins« auch bei uns praktisch wird?

Das mag so aussehen, daß ich einen anderen Menschen ansprechen und um Verzeihung bitten muß. Dieser Schritt sieht klein und unscheinbar aus und ist doch unendlich schwer! Oder: Dieses Bereitsein zum »Eselsdienst« kann meine Berufs­wahl bestimmen. Vielleicht werde ich aufgerufen, für diesen Herrn Jesus Christus mit meiner ganzen Zeit und Kraft da zu sein. Gott hat Tausende von Wegen und braucht die unterschiedlichsten »Last­tiere«. Um eins aber geht’s in jedem Fall: Das Ziel meines Lebens liegt nicht mehr in mir selbst. Nicht »Selbstfindung« oder »Selbstverwirklichung« steht als Programm über meinem Leben. Sein Ziel ist auch nicht, daß ich mit mir selbst identisch werde. Es geht im letzten nicht um Glück oder Lustgewinn.

Wenn ich diesen Jesus Christus kennenlerne, dann liegt das Ziel meines Lebens außerhalb mei­ner selbst, bei ihm. Er gibt das Thema an. Doch wenn ich ein solcher Christusträger werde, ein Ve­hikel, das er benutzt, dann kommt das andere ne­benbei – die Selbstfindung, die Freude und die Weite des Lebens. Am Anfang aber steht: Ich ge­höre nicht mir selbst. Ich bin für ihn da.

Wieder spreche ich mit dem Esel:

Da sagt man von dir,
daß du faul und träge bist, wenig spontan
und ganz gewiß nicht irre kreativ.
Aktiv wirst du angeblich nur dann,
wenn es um deine eigenen Belange geht.
Ich kann das gut nachempfinden.

Aber einmal
hast du mit deiner durchdringenden Stimme
etwas Merkwürdiges getan:
Dein unverwechselbares »IA«
hat sich zu einem »Ja« geformt.

Da bist du bereit gewesen,
deinen Herrn auf den Rücken zu nehmen
und an den Platz zu tragen,
an den er gehen wollte.

Nun habe ich einen Wunsch:
Ich möchte bereit sein,
mich gebrauchen zu lassen
von dem Herrn,
der gute Pläne hat mit meinem Leben,
mich hinschicken möchte zu anderen,
durch mich anderen begegnen möchte.

Ich möchte nicht fauler sein als ein Esel.

4. Kapitel: Der verspottete Esel

Wenn der Esel auch weithin als dumm, als störrisch und faul gilt, so haben wir Menschen doch anderer­seits bemerkt, wie nützlich er sein kann. So hielt sich zum Beispiel Lady Poppäa, die Gattin Kaiser Neros, als sehr kosmetikbewußte Dame eine Herde von 500 Eselinnen, um jeden Tag ein Vollbad in Eselsmilch nehmen zu können. Das war angeblich gut gegen unreine Haut.

Überhaupt waren die Römer überzeugt, daß der Esel eine medizinische Kostbarkeit ersten Ranges sei. Nicht nur sein Blut und sein Harn, selbst der Eselsmist wurde pharmazeutisch ausgewertet.

Auch mit der Haut des Esels läßt sich allerlei ma­chen. Das kostbarste »Schreibpapier« der antiken Welt — Pergament – ist sorgsam geschabte Esels­haut. Die wertvollsten alten Bibelhandschriften sind darauf geschrieben. Auch die Trommeln in der alten Welt wurden aus Eselsfell hergestellt. Eine griechische Fabel sagt einmal sehr bitter: »Da hat der Esel gedacht, mit dem Tode habe ich endlich Ruh‘, doch sieh, auf’s neue paukt man den Toten!«

Der Esel ist also trotz all seiner Charakterschwä­chen sehr wertvoll. Er wird zum Beispiel in den orientalischen Ländern benutzt, um eine Karawane anzuführen. Ein Esel ist nötig, damit die Reihe der Lastkamele wirklich Tritt faßt. Ohne den Esel als Spitze einer solchen Karawane geht es nicht.

Irgendwann während des Dritten Reiches ge­schah es in einem Seminar einer theologischen Fa­kultät, daß der damals sehr bekannte Professor Al­brecht Alt seinen Studenten ein wenig den farbigen Hintergrund der biblischen Geschichten erläutern wollte und ihnen deshalb erzählte, wie der Esel bei Kamelkarawanen den Anführer und Schrittmacher spielt.

Da meldete sich ein Student: «Herr Professor, habe ich recht verstanden, für jedes Kamel einen Esel?«

Darauf Professor Alt (mitten im Dritten Reich!): »Aber meine Herren, das hieße doch das Führer­prinzip ein wenig übertreiben!«

Doch all die genannten Qualitäten haben nicht verhindern können, daß der Esel das verspottete, verachtete Tier geblieben ist.

Die nebenstehende Zeichnung ist das vermutlich älteste Christusbild, zugleich die älteste Kreuzes­darstellung, die wir kennen. Entdeckt wurde diese Wandzeichnung 1856; sie befindet sich auf dem Hügel Palatin in Rom.

Eine solche Zeichnung nennt man, vornehm ausgedrückt, ein Graffito, eine Ritzarbeit im Putz. In unsere Alltagssprache übersetzt kann man sa­gen: Das ist ein Beitrag zu dem weltweiten Thema: Narrenhände beschmieren Tisch und Wände.

Was hier in die Wand eines Hauses hineinge­kratzt worden ist, sieht merkwürdig genug aus. Da hängt einer mit dem Kopf eines Esels am Kreuz; und darunter steht ein anderer mit ausgebreiteten Händen, also in der Gebetshaltung der alten Welt. Daneben findet sich in griechischer Sprache der Text: »Alexamenos betet seinen Gott an.«

Aus welcher Situation heraus mag diese Schmähzeichnung entstanden sein?

Auf dem Palatin befand sich ein Pädagogium – eine Lehranstalt für Sklaven höheren Grades, die dort als »Butler« für den kaiserlichen Hof abgerich­tet wurden. Da muß es sich eines Tages zugetragen haben, daß ein Neuer kam, eben Alexamenos.

Am Abend verrichtete er sein Gebet.

Nun war man im Römischen Reich tolerant, und so fragte man ihn: »Alexamenos, was hast du denn für ein religiöses Hobby? Mit wem hältst du’s denn?«

Da beginnt er, von einem gekreuzigten Juden zu erzählen, zu dem er betet, von Jesus Christus.

Nun ist in der alten Welt der Jude eine verachtete Gestalt. Höhnisch erzählt man, daß der hellenisti­sche Herrscher Antiochus IV., als er den Tempel in Jerusalem eroberte, dort einen goldenen Eselskopf als Gottesbild entdeckt habe. Natürlich war das eine gemeine Lüge, aber seither stellte man die Ju­den gern als Leute dar, die einen Gott mit Eselskopf anbeteten.

Im Falle des Alexamenos kam noch die Kreuzi­gung hinzu. Sie ist ja in der alten Welt eine Strafe, die man einem Menschen nicht antun darf. Kein Mensch wird gekreuzigt. Kreuzigen kann man Sklaven, aber das sind Untermenschen, Maschi­nen. Kreuzigen kann man politische Rebellen, aber das sind Bestien. Der berühmte Römer Cicero sagt einmal: »Nicht einmal die Vokabel Kreuz soll je das Ohr eines Römers beleidigen.«

Nun betet also dieser Alexamenos zu einem ge­kreuzigten Juden. Schallendes Gelächter in der Runde. Als er dann weiter erzählt, warum es zu die­ser Kreuzigung gekommen sei – daß es da um die Schuldfrage der Menschheit gehe und daß dieser Mann am Kreuz alle Bosheit der Menschen auf sich gezogen hätte in den Tod hinein da wird das Ge­lächter noch brüllender.

Am nächsten Morgen kann Alexamones die in die Hauswand eingekratzte Quittung bewundern: »Alexamenos betet seinen Gott an« – ein Esel sei­nen Esel!

Das älteste Christusbild, die älteste Kreuzesdar­stellung – eine Schmähzeichnung. Wir sollten das gerade heute nicht vergessen. Denn damit werden wir rechnen müssen, daß wir Christen nicht auf Dauer in einer Gesellschaft leben, die uns hofiert. Damit werden wir Christen wohl rechnen müssen, daß wir eines Tages spöttisch gefragt werden: »Wie, du stehst zu diesem gekreuzigten Juden?«

Alexamenos betet seinen Gott an, und es bringt ihm Schande und Spott ein. Mit weniger sollten auch wir nicht rechnen.

In einer Kirchengeschichte, die um das Jahr 1950 geschrieben wurde, erfährt man, daß allein in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die Zahl der christlichen Märtyrer größer war als in der ganzen frühen Christenheit. Wir werden uns als Christen auf eine Situation einrichten müssen, wo ringsum das Gelächter (und vielleicht Härteres als nur Ge­lächter) aufbrandet: »Alexamenos betet seinen Gott an.«

Dann wird das die Frage sein: Wie stehen wir zu diesem gekreuzigten Jesus Christus? Wir sind ja ständig in der Versuchung, Jesus nach unserem Geschmack aufzupolieren, ihn umzumodeln, zu ver­zieren, zu verdrängen. Ein Jesus, der indiskret auf unsere Schuld zu sprechen kommt, der sagt: »Nur durch Vergebung kann dir geholfen werden«, ein solcher Jesus ist eine Provokation. Aber ein Jesus, der uns bestätigt, ein Jesus, der als Revolutionär die Welt verändert oder sich als ethisches Vorbild präs­entiert, der die Gefühlswelt aufblühen läßt und happy und high macht, solch ein Jesus als »Super­star« – der scheint attraktiv.

Und deshalb ist es schon heute die Frage: Wie stehen wir zu diesem Jesus Christus als dem Ge­kreuzigten, d.h. als dem, der mit uns über unsere Schuld redet und uns am Ende das eine sagt: »Ich habe sie durchgestrichen«? Wollen wir mit Alexamenos diesen Gott anbeten?

Nun muß ich noch ein letztes Mal mit meinem Eselchen sprechen:

Es ist schon merkwürdig,
daß man deinen Kopf
dort an die Wand gekritzelt hat.
Damit wollte man deinen Herrn
natürlich schmähen.

Bestimmt hat man nicht bedacht,
welch eine große Ehre es für dich war,
daß du, der dumme, faule, störrische Esel,
deinem Herrn nicht nur den Rücken
zur Verfügung gestellt hast,
daß er darauf reiten konnte,
sondern ihm sogar das Gesicht geliehen hast,
damit man sein Portrait malen konnte.
Welche eine Ehre für dich, den Esel!

Ich bin der Überzeugung,
daß dein Herr darüber nicht beleidigt war.
Denn wenn es von Gott gilt,
daß er Fleisch wurde,
Kreatur wurde,
sich unter uns Menschen stellte,
sollte er sich dann eines Esels schämen?

Diesen einen Wunsch habe ich für mich:
Daß auch ich mit meinem Gesicht,
mit meinem menschlichen Gesicht,
etwas von der Art Jesu Christi
deutlich machen kann.

Allerdings möchte nicht ich ihm
mein Gesicht leihen,
damit man sein Portrait danach malt,
sondern ich bitte ihn,
daß er mir sein Gesicht leiht
und mein ganzes Wesen,
meinen ganzen Stil,
meine ganze Art, mit anderen umzugehen,
von seinem Gesicht her prägt.

Etwas von Jesus möchte ich widerspiegeln.

Fazit

Vier Kapitel Eseleien, vier Kapitel Eselspädagogik. Ob man von einem Esel etwas lernen kann?

Ich möchte nicht dümmer sein als ein Esel, der weiß, wo er zu Hause ist.

Ich möchte nicht bockiger sein als ein Esel, wenn es um den guten Weg Gottes für mich geht.

Ich möchte nicht fauler sein als ein Esel, wenn dieser Gott einen Auftrag für mich hat.

Und schließlich möchte ich die Kraft haben, mich auch verlachen zu lassen, wenn es um diesen gekreuzigten Gott geht.

Da will ich gern ein Kamel sein, wenn solch ein Esel den Schrittmacher spielt.

»Eseleien – einige Kapitel Eselspädagogik für sol­che, die ihm (nicht) ähnlich werden wollen«, so hieß das Thema.

Zu Anfang habe ich mich fast für die Klammem entschuldigt, die das Wörtchen »nicht« einrahmen. Nicht einklammern, unterstreichen hätte man es müssen. Denn natürlich wollen wir einem Esel nicht gleichen.

Doch am Schluß tue ich das Gegenteil: Ich unter­streiche keinesfalls das Wörtchen »nicht«, setze es auch nicht bloß in Klammem, ich streiche es weg, ich radiere es ganz aus – für solche, die (wie ich) dem Esel wenigstens etwas ähnlich werden möch­ten. Wir befinden uns dabei in bester Gesellschaft.

Martin Luther sagt einmal:

«Derohalben sollen wir unsere Häupter vor den Eseln als vor unseren Lehrmeistern entblößen.«

Quelle: Siegfried Kettling, Eseleien. Einige Kapitel Eselspädagogik für solche, die ihm (nicht) ähnlich werden wollen, R. Brockhaus Taschenbuch Bd. 298, © 1980 R. Brockhaus Verlag Wuppertal.

Hier der Text als pdf.

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