Herrlichkeit Gottes IV. Dogmatisch
Von Wolfgang Schoberth
Dem Begriff der Herrlichkeit kam in der christlichen, insbesondere der evangelischen Theologie selten eine zentrale Rolle zu; gleichwohl ist er nicht nur liturgisch fest verwurzelt (kābôd bzw. dóxa können sowohl mit Herrlichkeit als auch mit Ehre« wiedergegeben werden), sondern auch dogmatisch zur Artikulation der Präsenz Gottes unverzichtbar. Von seinem biblischen Gebrauch her bezeichnet Herrlichkeit als terminus technicus die Zusammengehörigkeit von Offenbarsein und Verborgenheit Gottes, damit zugleich die Gegenwart des unsichtbaren Gottes in seiner Schöpfung und bei seinem Volk. Der Begriff der Herrlichkeit impliziert demnach eine subtile Balance, die dogmatisch nicht immer gehalten wurde: Herrlichkeit darf weder mit irdischen Phänomenen (seien es auch religiös aufgeladene) identifiziert noch zum gänzlich Überirdischen stilisiert und damit zum Unanschaulichen verdünnt werden. Die paradoxe Pointe von Herrlichkeit besteht darin, diejenigen Erfahrungen zu benennen, deren Gegenstand die Unfaßbarkeit Gottes ist. Diese Spannung ist auch da festzuhalten, wo, der biblischen Redeweise entsprechend, mit Herrlichkeit die Einwohnung Gottes in seiner Schöpfung zur Sprache gebracht wird. Wenn Calvin die Schöpfung das »theatrum gloriae Dei« (CR 36, 294) nennt, ist damit Differenz und Gegenwart zugleich ausgesagt: Die Welt ist Bühne und Darbietung der Herrlichkeit Gottes, die in dieser Welt nicht aufgeht, aber gleichwohl durch sie und in ihr wahrgenommen werden kann, ja letztlich die Bestimmung der Schöpfung selbst ist. Als Ort der Herrlichkeit Gottes ist die Schöpfung weder bloße Materie und Material menschlicher Aktivität noch selbst göttlich und unantastbar.
Die gegenwärtig oft kritisierte Konnotation des Ausdrucks mit Herrschaft bringt das Moment zur Sprache, [1685] daß Herrlichkeit nicht in distanzierter Wahrnehmung erfaßt werden kann und also kein mögliches Objekt interesseloser Anschauung ist; die Herrlichkeit Gottes nimmt vielmehr das Leben in Anspruch. Die Gegenwart Gottes wird im Begriff der Herrlichkeit gerade nicht nach dem neuzeitlich gängigen Muster über das gläubige Ich und seinen (moralischen) Willen vermittelt, sondern als Widerfahrnis benannt, das ganz von Gottes Aktivität abhängt und zugleich in den Erfahrungen der Welt sich vollzieht. Die Erfahrung der Herrlichkeit Gottes in der Schöpfung verweist auf die ästhetische Dimension des Lebens; Herrlichkeit und Schönheit sind nicht zu trennen, wobei Herrlichkeit gerade nicht die Überhöhung des als schön Anerkannten ist: Herrlichkeit ist wie Schönheit kein isolierbares Prädikat, sondern gewinnt den theologische Sinn erst im Zusammenhang des Handelns Gottes; die Erfahrung der Herrlichkeit Gottes ist strikt pneumatologisch zu denken.
Daß in der lutherischen Dogmatik der Gedanke der Herrlichkeit Gottes wenig Aufmerksamkeit fand, liegt in Luthers Entgegensetzung von theologia gloriae und theologia crucis begründet, die freilich nicht gegen das Theologumenon der Herrlichkeit gerichtet ist, sondern gegen eine dogmatische Selbstverherrlichung der Kirche. Die undialektische Übertragung der Stiftszelttradition auf die Kirche, die als Repräsentation der Herrlichkeit Gottes fungieren soll, überfordert die Kirche und verdeckt die eschatologische Dimension von Herrlichkeit; Kirche ist nicht selbst Realisation der Herrlichkeit, sondern der Raum, in dem die Herrlichkeit Gottes erkannt und bekannt wird.
Im theologischen Sinn ist Herrlichkeit gerade keine Überhöhung jeweils gesellschaftlich vorgegebener Ideale; die Herrlichkeit Gottes kommt vielmehr in schärfstem Kontrast zu menschlichen Herrlichkeitsvorstellungen gerade am Kreuz Christi vollendet zur Erscheinung. Von hier aus sind Herrlichkeit Gottes und theologia crucis keine Gegensätze, sondern verweisen aufeinander. Für die christlichen Dogmatik erhält der Begriff der Herrlichkeit im Anschluß an das Neue Testament seinen Sinn erst durch die christologische und eschatologische Bestimmtheit: Herrlichkeit benennt zugleich die sinnliche Erfahrbarkeit des Heils wie seine Zukünftigkeit.
Lit.: K. BARTH, KD II/1, 1948, 364-368, 722-764; II/1, 1948, 184-191; IV/3, 1959, 155-188 • H.U.V. BALTHASAR, H., 1961-1969 • R. HOEPS, Das Gefühl des Erhabenen und die H.G., 1989 • CH. LINK, Schöpfung, Bd. 1, 1991, 120-175 (zu Calvin).
RGG4, Bd. 3 (2000), Sp. 1684f.