Karl Barths Vorwort zu seinem Büchlein „Gebete“ (1963): „Meine Vorstellung dabei ist nicht einfach die, dass die Gebete von den Gemeinden bzw. von ihren Predigern so, wie sie dastehen, übernommen werden sollten, wohl aber die, sie möchten von Dem und Jenem als Anregung zu einer energischen Besinnung darüber gelesen werden: ob er das Beten in und mit der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde nicht ganz anders als heute üblich zum Gegenstand seiner eigenen besonders sorgfältigen Aufmerksamkeit und Arbeit machen sollte?

Vorwort zu „Gebete“ (1963)

Von Karl Barth

Daß unter meinem Namen noch einmal ein Gebetbüchlein erscheinen werde, hätte ich mir in früheren Jahrzehnten meines Lebens gewiß nicht träumen lassen. Ich hatte nämlich schon in meiner Jugend eine Abneigung gegen alle kultische Feierlichkeit. Und von mir ist noch vor wenig Jahren von dem bekannten, mir sehr sympathischen Führer der Alpirsbacher Bewegung gesagt worden, daß ich von Liturgie gar nichts verstehe. Vor den «Altären» der deutschen Kirchen wußte ich mich denn in der Tat, wenn ich dort zu predigen hatte, immer nur ungeschickt zu bewegen. In alten Bonner Tagen habe ich mich einmal in entschlossener Eigenmächtigkeit hinter statt vor den «Altar» gestellt, durfte das aber kein zweites Mal tun. (Nun ja: heute wird ja sogar die römische Messe nicht selten von dort aus zelebriert!) Aus anderen Gründen hat mich mein Freund Günther [Dehn] noch nach dem Krieg unter der Türe der dortigen Poppelsdorfer Kirche mit der strengen Zensur: «Predigt Note 1, Liturgie Note 5» entlassen müssen. Und so bin ich auch mit dem Inhalt dieses Büchleins gewissermaßen nur durch eine Hintertüre in die Gesellschaft der eigentlichen Liturgiker herein geraten.

Mir war schon seit längster Zeit nicht wohl zumute gewesen, wenn ich mich vor und nach meinen Predigten der Ordnung halber (oder auch einfach aus Bequemlichkeit?) an die da und dort üblichen Agendenbücher halten zu sollen oder zu dürfen meinte. Mich störte die sachliche Beziehungslosigkeit, aber auch das unorganische Verhältnis zwischen der (altertümlichen oder auch modernen) Fassung und Sprache dieser Gebete und der meiner Predigt. Ich suchte mir dann eine Weile dadurch zu helfen, daß ich die Darbietungen der Agende — nicht etwa (das habe ich nie riskiert!) durch extemporierte Gebete, sondern durch freie Zusammenstellungen von biblischen Psalmworten ersetzte. Erst in vorgerückteren Jahren begann ich solche Texte zuerst für den Schluß, dann auch für den Anfang der Hauptaktion des Gottesdienstes im Zusammenhang mit der Vorbereitung meiner Predigt selber wörtlich festzulegen. Mit den Predigten zusammen sind sie dann einzeln und in den Sammlungen «Fürchte dich nicht!» und «Den Gefangenen Befreiung» veröffentlicht worden; und ich habe mich immer dagegen gewehrt, daß die Predigten ohne die zu ihnen gehörigen Gebete nachgedruckt würden.

Die Erwägungen, die mich dabei leiteten, waren, kurz gesagt, diese: Der Gottesdienst als Zentrum des ganzen Lebens der Gemeinde hat sich seinerseits als ein Ganzes, und zwar als ein Ganzes der Anrufung des gnädigen Gottes darzustellen. Er beginnt nach der Begrüßung der Gemeinde als des Volkes dieses Gottes mit ihrem (wie ich denke: nicht genug wichtig zu nehmenden und zu pflegenden) gemeinsamen Gesang. Er geht fort in der Aussprache ihres Dankes, ihrer Buße, ihrer besonderen Bitte um Gottes Gegenwart und Beistand in dem besonderen Tun ihrer gottesdienstlichen Versammlung durch den Mund des als Leiter der Aktion dienenden Gemeindegliedes. Er steigt auf zur Predigt, in der die Anrufung in Auslegung und Anwendung eines (besser kurzen als langen!) Schriftwortes zur Anrede und Verkündigung wird. Er gestaltet sich von da aus absteigend zum Schlußgebet, in welchem die Aussage der Predigt (nun wieder in direkter Anrufung Gottes) straff zusammenzufassen ist, in welchem sich aber der Gottesdienst vor allem als möglichst ausgebreitete Fürbitte (wird sie nicht zu oft vernachlässigt?) nach außen, nach allen anderen Menschen, nach der übrigen Kirche und Welt hin zu öffnen hat. Im zweiten gemeinsamen Gesang macht sich die Versammlung dieses Schlußgebet zu eigen. Sie wird mit der Erteilung des Segens durch das dienende Gemeindeglied: «Der Herr segne euch …!» [vgl. Num. 6,24–26] (nicht uns!) entlassen. (Auf denselben Linien würde sich, wenn es nach mir ginge, auch das Tauf- und das Abendmahlsformular zu bewegen haben.) Wobei die Würze in allen Stücken an aller geistlichen und theologischen Gesprächigkeit vorbei auch in der Kürze zu bestehen hat!

Die im Blick auf diesen Zusammenhang formulierten Gebete findet man in diesem Büchlein gesammelt. Die dem «Kirchenjahr» folgende Einteilung, in der sie hier erscheinen, und die beigegebenen Titel stammen nicht von mir; ich kann sie aber gerne gut heißen. Allzu zeitbedingte Elemente, besonders der Fürbitte (in der Kriegszeit ist da öfters der unsere Grenzen bewachenden schweizerischen Armee — es ist seinerzeit aber auch des eben gewählten Papstes Johannes XXIII. ausdrücklich gedacht worden) konnten hier in Wegfall kommen.

Daß meine zur Aufklärung der Sachlage vorhin skizzierte Auffassung vom Wesen und Gang des Gottesdienstes allgemeinen Beifall finden werde, kann ich nicht erwarten. Es mag aber sein — und das ist wohl die Meinung der Freunde, die sich um die Sammlung und Veröffentlichung dieser Gebete bemüht haben —, daß sie sich auch ohne die Voraussetzung meiner vielleicht allzu reformierten «liturgischen» Konzeption als dienlich erweisen können. Meine Vorstellung dabei ist nicht einfach die, daß sie von den Gemeinden bzw. von ihren Predigern so, wie sie dastehen, übernommen werden sollten, wohl aber die, sie möchten von Dem und Jenem als Anregung zu einer energischen Besinnung darüber gelesen werden: ob er das Beten in und mit der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde nicht ganz anders als heute üblich zum Gegenstand seiner eigenen besonders sorgfältigen Aufmerksamkeit und Arbeit machen sollte? Darüber hinaus können und mögen sie da und dort auch zu privatem Gebrauch willkommen sein.

Basel, im Advent 1962                                      Karl Barth

Quelle: Karl Barth, Gebete, München, Chr. Kaiser, 1963, S. 5-9.

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