Dietrich Bonhoeffers Bibelarbeit über Versuchung (1938): „Der Geist lehrt uns, dass die Zeit der Versuchungen noch nicht zu Ende ist, sondern dass den Seinen die schwerste Versuchung noch bevorsteht. Aber er verheißt uns auch: „Dieweil du bewahrt hast das Wort meiner Geduld, will ich dich auch bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen die da wohnen auf Erden. Siehe, ich komme bald“ (Offb 3, 10f). So beten wir wie Jesus Christus uns gelehrt hat zum Vater im Himmel: „führe uns nicht in Versuchung“ und wissen, dass unser Gebet erhört ist, denn alle Versuchung ist in Jesus Christus überwunden für alle Zeit bis ans Ende.“

Bibelarbeit über Versuchung (20.-25. Juni 1938)

Von Dietrich Bonhoeffer

Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.

I. 1. Der natürliche Mensch und der ethische Mensch kann dieses Gebet nicht verstehen. Der natürliche Mensch sucht die Bewährung seiner Kraft im Abenteuer, im Kampf, in der Begegnung mit dem Feind. Das ist das Leben. „Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein.“ Nur das in den Tod gefährdete Leben ist gewonnenes Leben. Das ist die Erkenntnis des natürlichen Menschen. Auch der ethische Mensch weiß, daß seine Erkenntnisse nur wahr und überzeugend werden in der Erprobung und Bewährung, daß das Gute nur leben kann vom Bösen, daß der Gute ohne das Böse nicht mehr gut wäre. So fordert der ethische Mensch das Böse heraus, [372] sein tägliches Gebet ist: führe mich in Versuchung, auf daß [ich] die Kraft des Guten in mir erprobe.

Wäre Versuchung wirklich das, was der natürliche und der ethische Mensch darunter verstehen, nämlich Erprobung der eigenen Kraft – sei es der vitalen oder der ethischen oder auch: der christlichen Kraft – am Widerstand, am Feind, so wäre allerdings dies Gebet der Christen unverständlich; denn daß Leben nur am Tod und das Gute nur am Bösen gewonnen wird, ist durchaus eine Erkenntnis dieser Welt, die den Christen nicht fremd ist. Aber das alles hat mit der Versuchung, von der Jesus Christus spricht garnichts zu tun. Es rührt überhaupt nicht an die Wirklichkeit, die hier ge- meint ist. Es kann ja in der Versuchung, von der die ganze Heilige Schrift spricht, gerade ganz und garnicht um die Erprobung meiner Kraft gehen, weil ja gerade dies das Wesen der biblischen Versuchung ist, daß sich hier zu meinem Erschrecken – ohne daß ich etwas dazu oder dagegen zu tun vermöchte – alle meine Kräfte gerade gegen mich selbst wenden, ja daß wirklich alle meine Kräfte, gerade auch meine guten und frommen Kräfte [–] Glaubenskräfte [–] in die Hände der feindlichen Macht gefallen sind und nun gegen mich zu Felde geführt werden. Ehe eine Erprobung meiner Kraft erfolgen könnte, ist mir meine Kraft schon geraubt. „Mein Herz bebt, meine Kraft hat mich verlassen und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir“ Ps 38, 11. Das ist die entscheidende Tatsache der Versuchung des Christen, daß er verlassen ist, verlassen von allen seinen Kräften, ja von ihnen bekämpft, verlassen von allen Menschen, verlassen von Gott selbst. Sein Herz bebt und ist hineingehalten in das völlige Dunkel. Er selbst ist nichts. Der Feind ist alles. Gott hat seine Hand von ihm gezogen, „hat [373] die Hand von ihm abgetan“ (C. A. XIX), er hat ihn einen kleinen Augenblick verlassen (Jes 54, 7). Der Mensch ist in der Versuchung allein. Nichts steht ihm bei. Der Teufel hat einen kleinen Augenblick Raum bekommen. Wie aber soll der verlassene Menschen dem Teufel begegnen? Wie sollte er sich seiner erwehren können? Es ist der Fürst dieser Welt, der hier gegen ihn steht. Die Stunde des Abfalles ist da, des unwiderruflichen, ewigen Abfalles; denn wer will uns aus den Klauen des Satans wieder freimachen?

Eine Niederlage zeigt dem vitalen und dem ethischen Menschen, daß die Kräfte noch wachsen müssen, ehe sie die Probe bestehen. Darum ist seine Niederlage niemals unwiderruflich. Der Christ weiß, daß ihn in der Stunde der Versuchung jedesmal alle seine Kräfte verlassen werden. Darum ist für ihn die Versuchung die dunkle Stunde, die unwiderruflich werden kann. Darum sucht er nicht nach der Bewährung seiner Kraft, sondern betet: führe uns nicht in Versuchung. Versuchung heißt also im biblischen Sinne nicht: Erprobung der Kraft, sondern Verlust aller Kräfte, wehrlose Auslieferung an den Satan.

2. Versuchung ist ein konkretes, aus dem Verlauf des Lebens jäh heraustretendes Ereignis. Für den vitalen Menschen ist das ganze Leben ein Kampf und für den Ethiker ist jede Stunde Versuchungszeit. Der Christ kennt Stunden der Versuchung, die sich von den Stunden gnädiger Behütung, Bewahrung vor der Versuchung unterscheiden, wie der Teufel sich von Gott unterscheidet. Der Satz, daß jeder Augenblick des Lebens Entscheidungszeit sei, hat für ihn in dieser Abstraktheit keinen Sinn. Er vermag sein Leben nicht grundsätzlich anzusehen, sondern nur von dem lebendigen Gott her. Der Gott aber, der es Tag und Nacht werden läßt, der gibt auf Zeiten des Durstes Zeiten der Erquickung, [374] Gott gibt Sturm und er gibt ruhige Fahrt, Gott gibt Zeiten der Sorge und Angst und Gott gibt Zeiten der Freude. „Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude“ Ps 30, 6 „Ein jegliches Ding hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist, würgen und heilen, brechen und bauen, weinen und lachen. Er aber tut alles fein zu seiner Zeit“ (Prediger Salomo 3, 1–4.11). Nicht was das Leben an sich sei, sondern wie Gott jetzt mit mir handelt, ist dem Christen wichtig. Gott verstößt mich und er nimmt mich wieder an, er zerstört mein Werk und er baut es wieder auf. „Ich bin der Herr und keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Übel“ (Jes 45, 7).

So lebt der Christ aus den Zeiten Gottes und nicht aus seinem eigenen Begriff vom Leben. So sagt er nicht, er stehe allezeit in Versuchung und allezeit in der Bewährung, sondern er betet in den Zeiten der Bewahrung, Gott wolle die Zeit der Versuchung nicht über ihn kommen lassen.

Plötzlich kommt die Versuchung über den Frommen. „Plötzlich schießen sie auf ihn ohne alle Scheu“ (Ps 64, 5), in der Stunde, in der er sich’s am wenigsten versah. „Auch weiß der Mensch seine Zeit nicht. so werden auch die Menschen berückt zur bösen Zeit, wenn sie plötzlich über sie fällt“ (Prediger Salomo 9, 12). („Sein Zorn kommt plötzlich und wird’s rächen und dich verderben“ (Jesus Sirach 5, 9).) Daran erkennt der Christ die List des Satans. Plötzlich ist der Zweifel ins Herz gesät, plötzlich ist alles so ungewiß, so sinnlos, was ich tue, plötzlich werden längst vergangene Sünden in mir lebendig, als seien sie heute geschehen und quälen mich und verklagen mich, plötzlich ist mein ganzes Herz erfüllt von tiefer Traurigkeit über mich selbst, über die Welt, über die Ohnmacht Gottes an mir, plötzlich will der Überdruß am Leben mich zu furchtbarer Sünde verleiten, plötzlich [375] erwacht die böse Lust, und plötzlich kommt das Kreuz über mich und ich gerate ins Wanken. Das ist die Stunde der Versuchung, der wehrlosen Auslieferung an die Finsternis, den Satan.

3. Aber: Muß denn die Stunde der Versuchung nicht kommen? Ist es nicht darum unerlaubt, so zu beten? Sollten wir nicht vielmehr allein darum beten, daß uns in der Stunde der Versuchung, die ja kommen muß, Kraft zur Überwindung geschenkt werde? Dieser Gedanke will mehr von der Versuchung wissen als Christus und will frömmer sein als der, der die schwerste Versuchung erfuhr. „Muß die Versuchung nicht kommen?“ Ja, warum denn? Muß denn Gott die Seinen dem Satan ausliefern? muß er sie denn an den Abgrund des Abfalles führen? muß denn Gott dem Satan solche Macht einräumen? Wer sind denn wir, daß wir davon reden könnten, daß Versuchung kommen müsse? Sitzen wir denn in Gottes Rat? Und wenn schon Versuchung kommen muß, – kraft eines uns unbegreiflichen göttlichen Muß – dann ruft uns eben Christus, der Versuchteste von allen auf, gegen dieses göttliche Muß anzubeten, nicht resigniert–stoisch sich der Versuchung auszuliefern, sondern von jenem dunklen Muß, in dem Gott dem Teufel willfährig ist, zu jener offenbaren göttlichen Freiheit zu fliehen und zu rufen, in der Gott den Teufel unter die Füße tritt. Führe uns nicht in Versuchung!

II. 4. Damit fangen wir nach diesen ersten Vorfragen an, uns an die Sache selbst, um die es in diesem Gebet geht, heranzutasten. Der die Jünger so beten lehrt, ist Jesus Christus, der allein wissen muß, was Versuchung heißt. Und weil er es weiß, darum will er daß seine Jünger beten: führe uns nicht in Versuchung. Allein von der Versuchung Jesu Christi her werden wir verstehen können, was für uns Versuchung heißt. Die Heilige Schrift erzählt uns nicht, wie ein Erbauungsbuch viele Geschichten menschlicher Versuchungen und ihrer Überwindung. [376] Sie berichtet genau genommen überhaupt nur zwei Versuchungsgeschichten, die Versuchung der ersten Menschen und die Versuchung Jesu Christi, d. h. die Versuchung, die zum Fall der Menschen führt und die Versuchung, die zum Fall des Satans führt. Alles was sich sonst an Versuchungen im menschlichen Leben zugetragen hat, steht offenbar im Zeichen dieser beiden Versuchungsgeschichten; entweder wir werden versucht in Adam oder wir werden versucht in Christus. Entweder der Adam in uns wird versucht, dann kommen wir zu Fall oder der Christus in uns wird versucht, dann muß Satan fallen.

Die Versuchung der ersten Menschen stellt uns vor das Rätsel des Versuchers im Paradies. Unser Blick läßt sich dadurch leicht zurückwerfen auf jenes Geschehen, über das aber für uns gerade das Geheimnis des Nichtoffenbarten liegen soll, nämlich auf den Ursprung des Versuchers. Wir lernen aus jenem Geschehen im Paradies nur dies Dreifache:

1.), daß der Versucher immer auch schon da ist, wo Unschuld ist. Ja, der Versucher ist überhaupt nur da, wo Unschuld ist; denn wo Schuld ist, hat er schon die Macht gewonnen.

2.) Das völlig unvermittelte Erscheinen des Versuchers in der Stimme der Schlange im Paradies, die wahrhaftig durch nichts (eben auch durch keine Metaphysik des Lucifer) begründete und gerechtfertigte Anwesenheit des Satans im Paradies macht erst sein Wesen als Versucher aus. Es ist jene undurchdringliche, kontingente Plötzlichkeit, von der wir vorher sprachen. Die Stimme des Versuchers kommt nicht aus einem mir als „Hölle“ bekannten Abgrund, sie verbirgt ihren Ursprung vollkommen, sie ist plötzlich neben mir und spricht zu mir. Im Paradies ist es die Schlange, also doch offenbar ein Geschöpf Gottes, durch die [377] der Versucher zu Eva spricht. So bleibt der Ursprung in Feuer und Schwefel allerdings vollkommen unsichtbar. Die Verleugnung des Ursprungs gehört zum Wesen des Versuchers.

3.) Um aber Zugang zur Unschuld zu gewinnen, muß die Verleugnung des Ursprungs bis zum letzten erfolgen. Unschuld heißt ja, mit reinem, ungeteiltem Herzen an Gottes Wort hängen. So muß der Versucher sich in Gottes Namen einführen. Er führt Gottes Wort mit sich und wird ein Ausleger dieses Wortes. „Sollte Gott gesagt haben?“ – solltet ihr Gott, den Herrn, hier recht verstanden haben? sollte nicht hinter seinen Worten doch ein anderer Geist stehen? Wir können uns kein Bild machen von der namenlosen Angst, die den ersten Menschen vor solcher Möglichkeit befallen haben muß. Vor der Unschuld tut sich der Abgrund der noch unbekannten Schuld auf, vor dem Glauben der Abgrund des unbekannten Zweifels, vor dem Leben der Abgrund des noch unbekannten Todes. Diese Angst der Unschuld, der der Teufel ihre einzige Kraft, Gottes Wort, rauben will, ist die Stunde der Versuchung. Es geht hier nicht mehr um das Antreten zum Kampf, um die Freiheit der Entscheidung zum Guten oder zum Bösen – eben um jenen ethischen Begriff von Versuchung. Vielmehr ist Adam dem Versucher wehrlos ausgeliefert. Ihm fehlt jede eigene Einsicht, Kraft, Erkenntnis, die ihn zum Kampf mit diesem Gegner befähigt hätte. Er ist gänzlich allein gelassen. Der Abgrund hat sich unter ihm aufgetan. Nur eines bleibt: er ist mitten in diesem Abgrund von Gottes Hand, von Gottes Wort gehalten. So kann Adam nur die Augen schließen und sich halten und tragen lassen von der Gnade Gottes in der Stunde der Versuchung. Aber Adam fällt. „Sollte Gott gesagt haben?“ – in den Abgrund dieser Frage stürzt Adam und mit ihm das ganze Menschengeschlecht. Seit der Austreibung Adams aus dem Paradies wird jeder Mensch mit dieser Frage, die der Satan in Adams Herz gesät hat, geboren. Das ist die Urfrage alles Fleisches: „sollte Gott gesagt haben.“ An dieser Frage kommt alles Fleisch zu Fall. Die Versuchung Adams gereicht allem Fleisch zum Tod und zur Verwerfung. [378]

In dem Fleisch der Sünde aber kam der Sohn Gottes, Jesus Christus, unser Heiland, auf die Erde. Alle Begierde und alle Furcht des Fleisches, alle Verdammnis und Gottferne des Fleisches war auch in ihm. „Er wurde versucht allenthalben gleichwie wir – doch ohne Sünde“ (Hebr 4, 15). Wollte er dem Menschen, der Fleisch ist, helfen, so mußte er die Versuchlichkeit des Fleisches ganz auf sich nehmen. Auch Jesus Christus wurde geboren mit der Frage: sollte Gott gesagt haben? – doch ohne Sünde.

Die Versuchung Christi war schwerer, unaussprechlich schwerer als die Versuchung Adams; denn Adam trug nichts in sich, was dem Versucher Recht und Macht an ihm hätte geben können. Christus aber trug die ganze Last des Fleisches unter dem Fluch und der Verdammnis mit sich, und doch sollte seine Versuchung allem Fleisch, das versucht wird, künftig zur Hilfe und zum Heil gereichen.

Das Evangelium berichtet, daß Jesus vom Geist in die Wüste geführt wird, auf daß er vom Teufel versucht würde (Mt 4, 1). Also nicht damit beginnt die Versuchung, daß der Vater den Sohn ausrüstet mit allen Kräften und Waffen, damit er den Kampf bestehe, sondern: der Geist führt Jesus in die Wüste, in die Einsamkeit, in die Verlassenheit. Gott nimmt seinem Sohn alle Hilfe von Menschen und Kreatur. Die Stunde der Versuchung soll Jesus schwach, einsam und hungrig finden. Gott läßt den Menschen in der Versuchung allein. So muß Abraham auf dem Berge Morija ganz allein sein. Ja, Gott selbst verläßt den Menschen vor der Versuchung. So ist es wohl nur zu verstehen, wenn es 2 Chron 32, 31 heißt: Gott verließ den Hiskia also, daß er ihn versuchte; oder wenn die Psalmisten immer wieder rufen: Gott, verlaß mich nicht (Ps 38, 22 71, 9. 18 119, 8). „Verbirg Dein Antlitz nicht vor mir. laß mich nicht und tue nicht von mir die Hand ab, Gott, mein Heil“ (Ps 27, 9). Was allem menschlich–ethisch–religiösen Denken unbegreiflich bleiben muß: Gott erzeigt sich in der Versuchung nicht als der gnädige und nahe, der uns mit allen Gaben des Geistes ausrüstet, sondern er verläßt uns, er ist uns ganz ferne, wir sind in der Wüste. (Wir werden später mehr davon zu sprechen haben.) [379]

Im Unterschied von der Versuchung Adams und von allen menschlichen Versuchungen tritt hier der Versucher selbst zu Jesus (Mt 4, 3). Während er sich sonst der Kreatur bedient, muß er hier selbst den Kampf führen. Damit wird deutlich gemacht, daß es in der Versuchung Jesu um das Ganze geht. Dabei muß nun gerade hier die vollkommenste Verleugnung des Ursprungs den Versucher ausmachen. Paulus mag mit Bezugnahme auf diese Ursprungsverleugnung des Satans in der Versuchung Jesu gesagt haben: auch der Satan verkleidet sich zum Engel des Lichtes (2 Kor 11, 14). Wir dürfen dabei wohl nicht daran denken, daß Jesus den Satan nicht erkannt hätte, aber daß der Satan so versucherisch war, daß er damit Jesus zu Fall bringen wollte.

Jesus hat vierzig Tage in der Wüste gefastet und es hungerte ihn. Da trat der Versucher zu ihm. Der Versucher beginnt mit der Anerkennung Jesu als Gottes Sohn. Zwar sagt er nicht: Du bist Gottes Sohn – das kann er nicht! – aber er sagt: Bist du Gottes Sohn, so sprich du, der du jetzt Hunger leidest, daß diese Steine Brot werden. Der Satan versucht Jesus hier in der Schwachheit seines menschlichen Fleisches. Er will seine Gottheit gegen seine Menschheit führen. Er will das Fleisch gegen den Geist rebellisch machen. Der Satan weiß, das Fleisch ist leidensscheu. Warum aber soll der Sohn Gottes am Fleisch leiden? Das Ziel dieser Frage ist klar: Würde Jesus in der Kraft seiner Gottheit sich dem Leiden am Fleisch entziehen, so wäre alles Fleisch verloren. Der Weg des Sohnes Gottes auf Erden wäre zu Ende. Das Fleisch gehörte wieder dem Satan. Die Antwort Jesu mit dem Worte Gottes zeigt zuerst, daß auch der Gottessohn unter Gottes Wort steht und daß er kein eigenes Recht neben diesem Worte haben kann und will. Sie zeigt zweitens, daß Jesus an diesem Wort allein bleiben will. Auch das Fleisch gehört unter Gottes Wort und wenn es leiden muß, so gilt eben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Jesus hat seine Menschheit und seinen Leidensweg in der Versuchung bewahrt. Die erste Versuchung ist die Versuchung des Fleisches.

In der zweiten Versuchung beginnt der Satan wie in der ersten: Bist du Gottes Sohn – aber er übersteigt seine Versuchung nun noch, indem er selbst Gottes Wort gegen Jesus anführt. Auch [380] der Satan kann Gottes Wort in den Kampf führen. Jesus soll sich seine Gottessohnschaft beglaubigen lassen. Er soll ein Zeichen Gottes fordern. Das ist die Versuchung am Glauben Jesu, die Versuchung am Geist. Soll der Gottessohn schon im Leiden der Menschen sein, so fordere [er] ein Zeichen der Macht Gottes, die jederzeit retten kann. Die Antwort Jesu führt Gotteswort gegen Gotteswort, aber so daß daraus nicht eine heillose Ungewißheit wird, sondern so daß hier Wahrheit gegen Lüge steht. Jesus nennt diese Versuchung ein Gottesversuchen. Er will allein am Wort seines Vaters bleiben, das genügt ihm. Wollte er mehr als dieses Wort, so hätte er dem Zweifel an Gott in sich Raum gegeben. Der Glaube, der mehr will als das Wort Gottes in Gebot und Zusage, wird zur Gottversuchung. Gott versuchen aber heißt die Schuld, die Untreue, die Lüge in Gott selbst hineinverlegen, statt in den Satan. Gott versuchen ist die höchste geistliche Versuchung.

Zum dritten Mal kommt der Satan anders als vorher, ohne die Beteuerung der Gottessohnschaft, ohne Gotteswort. Er kommt nun – und das ist das Erschreckende – in seiner ganzen unverhüllten Machtentfaltung als Fürst dieser Welt. Nun kämpft der Satan mit seinen eigensten Waffen. Hier ist keine Verschleierung, keine Verstellung mehr. Die Macht des Satans stellt sich der Macht Gottes unmittelbar gegenüber. Satan wagt das Letzte. Seine Gabe ist unermeßlich groß und schön und verlockend; und er fordert für diese Gabe – die Anbetung. Er fordert den offenen Abfall von Gott, der keine Rechtfertigung mehr hat als eben die Größe und die Schönheit des Reiches Satans. Es geht in dieser Versuchung um die in voller Klarheit und Erkenntnis vollzogene endgültige Absage an Gott und die Unterwerfung unter den Satan. Es ist die Versuchung zur Sünde wider den Heiligen Geist.

Weil hier der Satan sich ganz offenbart hat, darum muß er hier von Jesus selbst angeredet, getroffen und verworfen werden: [381] Heb dich weg von mir, Satan. Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten, Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen.

Jesus wird versucht am Fleisch, am Glauben und in seiner Gottessohnschaft. Es ist in allen drei Malen die eine Versuchung Jesus vom Worte Gottes loszureißen: die Natur des Fleisches wird vom Satan gegen den göttlichen Auftrag geführt. Hat der Satan erst Gewalt über das Fleisch Jesu, so ist Jesus in seiner Hand. Will Jesus nicht leiden, so ist er nicht der Christus. Von der Angst Jesu, daß sein Fleisch dem Satan anheimfällt, hören wir wieder in Gethsemane. In der zweiten Versuchung führt der Satan das geistliche Verlangen des Menschen nach Erfahrung, Bestätigung, Wunder, nach Schauen irgendwelcher Art gegen den Glauben, in dem der Mensch allein vor Gott bestehen kann. Hat der Satan erst Gewalt über die Frömmigkeit und Geistlichkeit Jesu, so ist Jesus in seiner Hand. Will Jesus nicht allein am Wort bleiben, nicht allein glauben, blind glauben und gehorchen, so ist er nicht mehr der Christus und Erlöser der Menschen, die allein durch Glauben ans Wort das Heil finden sollen. So hat der Satan das Fleisch und den Geist Jesu gegen das Wort Gottes versucht. Die dritte Versuchung geht auf die gesamte leiblich–geistliche Existenz des Gottessohnes. „Willst du dich nicht innerlich von mir zerreißen lassen, so gib dich mir ganz – und ich will dich groß machen in dieser Welt, im Haß gegen Gott und in der Macht gegen ihn.“ So erleidet Jesus die fleischliche Versuchung, die hohe geistliche Versuchung und zuletzt die vollkommene Versuchung überhaupt und in allen dreien doch nur die eine Versuchung des Wortes Gottes.

Auch die Versuchung Jesu ist nicht jener heldische Kampf des Menschen gegen böse Gewalten, wie wir es gern und leicht verstehen. Auch Jesus ist in der Versuchung aller seiner eigenen Kräfte beraubt, er ist alleingelassen von Gott und Menschen, den Raub Satans muß auch er in der Angst erleiden, er ist in das vollkommene Dunkel hineingehalten. Es bleibt ihm nichts als das rettende, haltende, tragende Wort Gottes, das ihn festhält und das [382] für ihn streitet und siegt. Die Nacht der letzten Worte Jesu: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, ist hier angebrochen, sie muß auf die Stunde dieser Versuchung folgen, als die letzte fleischlich–geistliche, vollkommene Versuchung des Erlösers. Indem Jesus die Verlassenheit von Gott und Menschen erduldet, ist Gottes Wort und Urteil für ihn. Indem er wehrlos und kraftlos der Macht Satans erliegt, ist die Versuchung bestanden. Er wurde versucht gleichwie wir – doch ohne Sünde.

So bleibt in der Versuchung Jesu wirklich nichts als Gottes Wort und Zusage, nicht eigene Kraft und Freudigkeit zum Streit gegen das Böse, sondern Gottes Kraft und Sieg, der mich im Worte festhält und durch das Wort dem Satan seine Macht raubt. Allein durch Gottes Wort wird die Versuchung überwunden.

„Da verließ ihn der Teufel“ – wie ihn anfangs Gott verlassen hatte, so verläßt ihn jetzt der Versucher – „und siehe da traten die Engel zu ihm und dienten ihm“. Auch im Garten Gethsemane „erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn“ (Lk 22, 43). Das ist das Ende der Versuchung, daß der in alle Schwachheit gefallene, aber vom Worte gehaltene Stärkung aller seiner Kräfte [des] Leibes und der Seele und des Geistes empfängt durch einen Engel Gottes.

III. 5. Durch die Versuchung Jesu Christi ist die Versuchung Adams zu Ende gebracht. Wie in der Versuchung Adams alles Fleisch fiel, so ist alles Fleisch in der Versuchung Jesu Christi der Macht Satans entrissen. Denn Jesus Christus trug unser Fleisch, er erlitt unsere Versuchung und trug den Sieg davon. So tragen wir alle heute das Fleisch, das in Jesus Christus den Satan überwand. Auch unser Fleisch, auch wir haben in der Versuchung Jesu überwunden.

Weil Christus versucht wurde und überwand, darum beten wir: führe uns nicht in Versuchung! Denn die Versuchung ist ja schon gekommen und überwunden, Er tat es an unserer Stelle. „Sieh auf die Versuchung deines Sohnes Jesu Christi und führe uns nicht in Versuchung.“ Der Erhörung dieses Gebetes aber dürfen und sollen wir gewiß sein, wir sollen unser Amen daraufsprechen, denn es ist erhört in Jesus Christus selbst. Von nun an werden wir nicht mehr in Versuchung geführt werden, sondern alle [383] Versuchung die nun noch geschieht, ist die Versuchung Jesu Christi in seinen Gliedern, in seiner Gemeinde. Nicht wir werden versucht, Jesus Christus in uns wird versucht. Weil der Satan den Gottessohn selbst nicht zu Fall bringen konnte, darum verfolgt [er] ihn nun in seinen Gliedern mit allen Versuchungen. Aber es sind diese letzten Versuchungen doch nur die Ausläufer jener Versuchung Jesu auf Erden; denn die Macht der Versuchung ist gebrochen in der Versuchung Jesu. In dieser Versuchung sollen sich seine Jünger finden lassen, dann ist das Reich ihnen gewiß. Es ist das grundlegende Wort Jesu an alle seine Jünger: „ihr aber seid’s, die ihr beharret habt bei mir in meinen Versuchungen und ich will euch das Reich bescheiden“ (Lk 22, 29). Nicht die Versuchungen der Jünger sind es, die hier die Verheißung empfangen, sondern die Teilnahme, die Gemeinschaft in der Versuchung Jesu. Die Versuchungen der Jünger fielen auf Jesus, und die Versuchungen Jesu kamen auf die Jünger. An der Versuchung Christi teilzuhaben aber heißt zugleich an der Überwindung und den Siegen Christi teilzuhaben. Es heißt nicht, daß die Versuchungen Christi ein Ende hätten und daß die Jünger nichts mehr davon erfahren würden; vielmehr werden sie Versuchungen erfahren, aber es sollen die Versuchungen Jesu Christi sein, die über sie kommen. So wird Christus auch den Sieg über diese Versuchungen davontragen.

Es entspricht der Teilnahme der Jünger an den Versuchungen Jesu Christi, daß Jesus seine Jünger bewahren will vor anderer Versuchung: „wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet“ (Mt 26, 41). Welche Versuchung droht den Jüngern in [384] dieser Stunde von Gethsemane, wenn nicht die, daß sie sich an dem Leidensgang Christi ärgern, also, daß sie nicht an seinen Versuchungen teilhaben wollend? So bestätigt Jesus hier die Bitte des Vaterunsers: „führe uns nicht in Versuchung.“ Es ist schließlich dieselbe Sache wenn Hebr 2, 18 sagt, „denn worin er gelitten hat und versucht ist, darin kann er helfen denen, die versucht werden“. Hier ist nicht allein von der Hilfe die Rede, die nur der leisten kann, der die Not und die Leiden des anderen aus eigener Erfahrung kennen gelernt hat, vielmehr ist der eigentliche Sinn der, daß in meinen Versuchungen wirklich nur seine Versuchung meine Hilfe ist, an seiner Versuchung teilzuhaben ist allein Hilfe in meiner Versuchung. So soll ich meine Versuchung nicht anders verstehen, denn als Versuchung Jesu Christi in mir. In seiner Versuchung ist meine Hilfe, denn nur hier ist Sieg und Überwindung.

So muß die praktische Aufgabe des Christen sein, alle Versuchungen, die ihn betreten, als Versuchungen des Jesus Christus in ihm zu verstehen und es wird ihm geholfen sein. Wie aber geschieht das? Bevor wir von den konkreten Versuchungen der Christen und ihrer Überwindung sprechen können, wird hier die Frage nach dem Urheber der Versuchung des Christen gestellt werden müssen. Denn erst, wenn der Christ weiß, womit er es in der Versuchung zu tun hat, kann er im konkreten Fall sich recht verhalten.

Die Heilige Schrift nennt drei verschiedene Urheber der Versuchung: den Teufel, die Begierde des Menschen, Gott selbst.

a. Was sagt die Schrift, wenn sie den Teufel den Urheber der Versuchung nennt? Sie sagt erstens, daß die Versuchung das ganz und gar Widergöttliche ist. Es ist aus dem Wesen Gottes selbst unbegreiflich, daß der Mensch zum Zweifel an Gottes Wort und zum Abfall von Gott verführt werden soll. Der Versucher ist allemal der Feind Gottes. Zweitens: Der Feind Gottes erweist in der Versuchung seine Macht etwas zu tun, was Gottes Wille nicht ist. Was keine Kreatur aus sich heraus vermöchte, das kann der [385] böse Feind. D. h. also, daß die Versuchung eine Macht ist, die stärker ist als irgendeine Kreatur. Sie ist der Einbruch der Macht Satans in die Welt der Schöpfung. Ist der Teufel der Versucher, so kann keine Kreatur aus eigener Kraft der Versuchung widerstehen. Sie muß fallen. So groß ist die Macht Satans (Eph 6, 12). Drittens: Die Versuchung ist Verführung, Irreführung. Darum ist sie vom Teufel; denn der Teufel ist ein Lügner. „Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben“ (Joh 8, 44). Die Sünde ist ein Betrug (Hebr 3, 13). Der Betrug, die Lüge des Teufels liegt darin, daß er den Menschen glauben machen will, er könne auch ohne Gottes Wort leben. So spiegelt er seiner Phantasie ein Reich des Glückes, der Macht und des Friedens vor, in das nur der eintreten kann, der in die Versuch[ung] einwilligt und er verbirgt dem Menschen, daß er, der Teufel, das allerunseligste und unglücklichste Wesen ist, weil er endgültig, auf ewig verworfen ist von Gott. Viertens: Die Versuchung kommt vom Teufel; denn hier wird der Teufel zum Verkläger der Menschen. Es ist ein zweifaches Ziel in jeder Versuchung: der Mensch soll abwendig gemacht werden vom Wort Gottes und Gott soll den Menschen verwerfen müssen, weil der Verkläger seine Sünde aufgedeckt hat. Um dieses Zweite geht es hier. Die Versuchung Hiobs ist hier das Urbild aller Versuchungen. Die Frage des Satans heißt: „meinst du, daß Hiob Gott umsonst fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat ringsumher verwahrt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet und sein Gut hat sich ausgebreitet im Lande. Aber recke deine Hand aus und taste an alles, was er hat: was gilt’s, er wird dir ins Angesicht absagen?“ (Hiob 1, 9 ff). Hier wird der Sinn aller Versuchung deutlich. Es wird dem Menschen alles geraubt, was er hat, er wird völlig wehrlos gemacht bis zum letzten. Armut, Krankheit, Hohn und Verwerfung durch die Frommen lassen es tiefste Nacht um ihn werden. Alles, was der Satan als Fürst dieser Welt dem Menschen rauben kann, nimmt er ihm. Er treibt ihn in die Verlassenheit, in der dem Versuchten nichts mehr bleibt als Gott. Und eben hier soll es sich offenbaren, daß der Mensch Gott nicht [386] umsonst fürchtet, daß er nicht Gott um Gottes willen liebt, sondern um der Güter dieser Welt willen. An irgendeiner Stelle will es der Satan offenbar machen, daß Hiob Gott nicht über alle Dinge fürchtet, liebt und ihm vertraut. So wird jede Versuchung zur Offenbarung der Sünde und der Verkläger steht gerechter da als Gott; denn er hat die Sünde aufgedeckt. Er zwingt Gott zum Gericht.

So erweist sich der Teufel in der Versuchung als Feind Gottes, als Macht, als Lügner und als Verkläger. Für den Menschen in der Versuchung heißt das: Der Feind Gottes muß in der Versuchung erkannt werden; die widergöttliche Macht muß in der Versuchung überwunden werden; die Lüge muß in der Versuchung entlarvt werden; der Verkläger muß sein Unrecht erkennen.

Wie das praktisch sich vollzieht, davon später. Wir fragen jetzt weiter

b.) was sagt die Schrift, wenn sie die Begierde des Menschen zum Urheber der Versuchung macht? „Niemand sage, wenn er versucht wird: ich werde von Gott versucht. Denn Gott ist unversuchlich zum Bösen und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde. Die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod“ (Jac 1, 13 ff[–15]).

Erstens: Wer die Schuld für die Versuchung einem anderen zuschreibt als sich selbst, der rechtfertigt damit schon seinen Fall; denn bin ich nicht schuldig an meiner Versuchung, so bin ich auch nicht schuldig wenn ich darin umkomme. Versuchung ist Schuld, insofern als der Fall unentschuldbar ist. Ist es also schon unmöglich die Schuld der Versuchung dem Teufel zuzuschreiben, so ist es erst recht eine Gotteslästerung, Gott dafür verantwortlich zu machen. Das mag fromm scheinen, schließt aber in Wahrheit die Behauptung ein, Gott selbst sei dem Bösen in irgendeiner Weise zugänglich. Damit wird in Gott ein Zwiespalt hinein verlegt, der sein Wort und seinen Willen in sich fraglich, zweideutig, zweifelhaft macht. Weil in Gott das Böse auch nur in seiner Möglichkeit keinen [387] Raum hat, darum darf die Versuchung zum Bösen niemals auf Gott zurückgeführt werden. Gott selbst versucht niemand. In mir selbst liegt der Ursprung der Versuchung.

Zweitens: Versuchung ist Strafe. Der Ort an dem alle Versuchung entsteht, ist meine Begehrlichkeit. Mein eigenes Verlangen nach Lust und die Furcht vor dem Leiden verlockt mich Gottes Wort fahren zu lassen. Die ererbte verdorbene Natur des Fleisches ist der Ursprung böser Neigungen in Leib und Seele. Nicht die Schönheit der Welt und nicht das Leiden sind in sich böse und versuchlich, auch nicht die Menschen und Dinge, die mir zur Versuchung werden, sondern unsere Begehrlichkeit, die an dem allen Lust gewinnt und sich reizen und locken läßt macht das alles uns erst zur Versuchung. Während in dem teuflischen Ursprung der Versuchung die Objektivität der Versuchung deutlich werden sollte, wird hier die volle Subjektivität der Versuchung betont. Beides ist gleich nötig.

Drittens: Auch die Begehrlichkeit für sich macht mich nicht sündig. Aber „wenn sie empfangen hat, gebiert sie die Sünde und die vollendete Sünde gebiert den Tod“. Die Empfängnis der Begehrlichkeit geschieht in der Einigung meines Ich mit ihr, d. h. in der Preisgabe des Wortes Gottes, das mich hält. So lange die Begehrlichkeit unbefruchtet bleibt von mir selbst, ist sie ein „Es“. Sünde aber geschieht allein durch das „Ich“ selbst. So liegt der Ursprung der Versuchung in der epithymía, der Ursprung der Sünde in mir selbst und in mir allein. Ich soll also wissen, daß die Schuld mich allein trifft und daß ich selbst mir den ewigen Tod verschuldet habe, wenn ich in der Versuchung der Sünde unterliege. Freilich droht Jesus furchtbares Gericht dem [an], der den Unschuldigen versucht, der einen der Kleinen ärgert, also „weh dem, der den anderen zur Sünde versucht“ so heißt Gottes Wort an jeden Versucher; aber du allein bist an deiner Sünde und deinem Tod schuld, wenn du in die Versuchung deiner Begehrlichkeit einwilligst – das ist Gottes Wort an den Versuchten. [388]

c. Was sagt die Heilige Schrift, wenn sie Gott zum Urheber der Versuchung macht? Das ist die schwerste und abschließende Frage. Gott versucht niemand, sagt Jacobus. Aber die Schrift sagt auch, daß Gott den Abraham versucht habe (Gen 22, 1), daß Israel von Gott versucht wurde (Ex 16, 4 Deut 8, 2 Ri 2, 22 Ps 66, 10), ebenso daß Hiskia von Gott versucht wurde (2 Chron 32, 31); David aber wurde zur Volkszählung „gereizt vom Zorn Gottes“ (2 S[am] 24, 1), nach 1 Chron 21, 1 „vom Satan“. Und auch im Neuen Testament wird die Versuchung der Christen als Gericht Gottes angesehen (1 Petr 4, 11.17). Was bedeutet das alles?

Erstens: Die Schrift macht es deutlich, daß auf Erden nichts geschehen kann ohne Gottes Willen und Zulassung. Auch der Satan ist in Gottes Händen. Er muß gegen seinen Willen Gott dienen. Zwar hat der Satan Macht, aber doch nur dort, wo Gott sie ihm läßt. Das dient dem versuchten Gläubigen zum Trost. Zur Versuchung Hiobs muß der Satan Gottes Erlaubnis einholen. Von sich aus kann er nichts tun. Darum muß Gott den Menschen zuerst verlassen, damit der Satan Raum gewinnt zur Versuchung. „Gott verließ den Hiskia also, daß er ihn versuchte“ (2 Chron 32, 31). Hierher gehört alles, was früher über die Verlassenheit des Versuchten gesagt wurde. Gott gibt den Versuchten in die Hände Satans.

Zweitens: Die Kinderfrage: warum schlägt Gott den Satan nicht einfach tot? fordert eine Antwort. Wir wissen, daß dieselbe Frage auch heißen kann: warum mußte Christus versucht werden, leiden und sterben? warum mußte der Satan solche Macht an ihm haben? Gott gibt dem Satan Raum um der Sünde der Menschen willen. Der Satan muß den Tod des Sünders vollstrecken; denn nur wenn der Sünder stirbt, kann der Gerechte leben; nur wenn der alte Mensch täglich und gänzlich verdirbt, kann der neue Mensch auferstehen. Indem der Satan so sein Amt tut, dient er dem Ziel Gottes, „der tötet und macht lebendig, er führt in die Hölle und wieder heraus“ (1 Sam 2, 6). So muß der Satan wider Willen Gottes Erlösungsplan dienen; dem Satan bleibt der Tod und die Sünde, Gott aber das Leben und die Gerechtigkeit. Auf dreierlei Weise tut der Satan in der Versuchung sein Amt: Er führt zur Erkenntnis der Sünde. Er läßt das Fleisch leiden. [389] Er gibt dem Sünder den Tod.

a.) 2 Chron 32, 31: „Gott verließ ihn also, daß er ihn versuchte, auf daß kund würde alles was in seinem Herzen ist.“ In der Versuchung wird das Herz des Menschen offenbar. Der Mensch erkennt seine Sünde, die er ohne die Versuchung nie hätte erkennen können; denn in der Versuchung erkennt der Mensch, woran sein Herz hängt. Das Ans–Licht–Kommen der Sünde ist das Werk des Verklägers, der damit den Sieg gewonnen zu haben meint. Aber gerade die offenbar gewordene Sünde kann nun bekannt und darum auch vergeben werden. So gehört das Offenbarmachen der Sünde zum Heilziel Gottes mit dem Menschen, dem der Satan dienen muß.

b.) In der Versuchung gewinnt der Satan Macht über den Gläubigen sofern er Fleisch ist. Er quält ihn durch Verlockung zur Lust, durch die Schmerzen der Entbehrung und durch zugefügte leibliche und seelische Leiden aller Art. Er raubt ihm alles, was er hat und reizt ihn zugleich zu verbotenem Glück. So treibt er ihn, wie Hiob, an den Abgrund, in die Dunkelheit, in der der Versuchte nur noch gehalten wird von der Gnade Gottes, die er nicht spürt und erfährt, die ihn aber dennoch festhält. So scheint der Satan völlige Macht über den Gläubigen gewonnen zu haben, aber wiederum schlägt ihm dieser Sieg zur vollkommenen Niederlage aus. Denn die Tötung des Fleisches ist ja nur der Weg zum Leben im Geist; und indem der Versuchte in die volle Leere und Wehrlosigkeit getrieben wird, treibt ihn der Satan unmittelbar in Gottes eigene Hand. So erkennt der Christ in dem Wüten des Satans gerade die gnädige Züchtigung Gottes (Hebr 12, 4 ff[–11] des Vaters, an seinem Kind; das Gnadengericht Gottes (1 Petr 4, 17), das vor dem Zornesgericht bewahrt. So wird die Stunde der Versuchung zur Stunde größter Freude (Jac 1, 2 ff[–4]).

c.) Der letzte Feind ist der Tod. Er ist in Satans Hand. Der Sünder stirbt. Der Tod ist die letzte Versuchung. Aber eben hier, wo der Mensch alles verliert, wo die Hölle ihre Schrecken offen sichtbar werden läßt, ist für den Gläubigen das Leben angebrochen. So verliert hier der Satan seine letzte Macht und sein letztes Recht am Gläubigen. [390] Wir fragen nun noch einmal: Warum gibt Gott dem Satan Raum zur Versuchung? Erstens um den Satan endgültig zu überwinden. Indem Satan sein Recht bekommt, ist er vernichtet. Wie Gott den Gottlosen darin straft, daß er ihn gottlos sein läßt, daß er ihm sein Recht und seine Freiheit [läßt] und wie der Gottlose an dieser seiner Freiheit stirbt (R[öm] 1, 19 ff), so vernichtet Gott den Satan nicht durch einen Gewaltakt, sondern Satan muß sich selbst vernichten. Zweitens: Gott gibt dem Satan Raum, um die Gläubigen zum Heil zu führen. Nur durch Erkenntnis der Sünde, durch Leiden und Tod kann der neue Mensch leben. Drittens: Die Überwindung des Satans und das Heil der Gläubigen ist allein in Jesus Christus wahr und wirklich. An Jesus suchte der Satan alle Sünde, alles Leiden und den Tod der Menschheit heim. Damit aber war sein Recht zu Ende. Er hatte Jesus Christus alles genommen und ihn damit Gott allein übergeben. sind wir zu der Erkenntnis geführt, von der wir ausgingen: Die Gläubigen müssen alle ihre Versuchungen verstehen lernen als Versuchung des Jesus Christus in ihnen, so werden sie an der Überwindung teilhaben.

Wie kann also die Schrift davon reden, daß Gott die Menschen versuche? Sie spricht vom Zorne Gottes, dessen Vollstrecker der Satan ist (s. 1 Sam 24 1 Chron 21, 1). Gottes Zorn lag auf Jesus Christus von der Stunde der Versuchung an. Er schlug Jesus um der Sünde des Fleisches willen, das er trug. Aber indem der Zorn Gottes Gehorsam fand, um der Sünde willen, Gehorsam bis zum gerechten Tode dessen, der die Sünde aller Welt trug, da war der Zorn gestillt, da hatte der Zorn Gottes Jesus zum gnädigen Gott hingetrieben; da hatte die Gnade Gottes den Zorn besiegt. Da war die Macht Satans überwunden. Wo aber alle Versuchung des Fleisches, aller Zorn Gottes, gehorsam getragen wird in Jesus Christus, dort ist die Versuchung in Jesus Christus überwunden, da findet der Christ hinter dem zornigen Gott, der ihn versucht, den gnädigen Gott, der niemand versucht.

IV 6. In der konkreten Versuchung des Christen geht es immer darum, die Hand des Teufels und die Hand Gottes zu unterscheiden, [391] geht es also um Widerstand und um Unterwerfung an der rechten Stelle, bzw. ist Widerstand gegen den Teufel nur möglich gerade in der völligen Unterwerfung unter die Hand Gottes.

Das muß nun im Einzelnen klar werden. Weil alle Versuchungen der Gläubigen Versuchungen des Christus in seinen Gliedern, des Leibes Christi, sind, sprechen wir von diesen Versuchungen in der Analogie der Versuchung Christi: 1. Von der fleischlichen Versuchung. 2. Von der hohen geistlichen Versuchung. 3. Von der letzten Versuchung Von aller Versuchung überhaupt aber gilt 1 Kor 10, 12 f: „Darum, wer sich läßt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, daß er nicht falle. Es hat euch noch keine, denn menschliche Versuchung betreten; aber Gott ist getreu, der euch nicht läßt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihr’s könnt ertragen.“ Damit ist zuerst aller falschen Sicherheit und sodann aller falschen Verzagtheit vor der Versuchung entgegengetreten. Keiner sei auch nur einen Augenblick sicher, daß er frei bleibe von Versuchung. Es gibt keine Versuchung, die mich nicht in dieser Stunde noch überfallen könnte. Keiner meine, daß der Satan ihm ferne sei. „Denn er gehet umher wie ein brüllender Löwe und sucht welchen er verschlinge“ (1 Petr 5, 8). Wir sind in diesem Leben keinen Augenblick vor Versuchung und Fall sicher. Darum überhebe dich nicht, wenn du andere straucheln und fallen siehst. Solche Sicherheit wird dir zum Fallstrick werden. „Darum sei nicht stolz sondern fürchte dich“ (R 11, 20). Sei vielmehr allezeit bereit, daß der Versucher keine Macht an dir findet.

„Wachet und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet“ (Mt 26, 41). Wachsein gegen den listigen Feind, beten zu Gott, daß er uns fest an seinem Wort und seiner Gnade halte, das ist die Haltung des Christen vor der Versuchung.

Aber der Christ soll sich auch vor der Versuchung nicht furchten. Kommt sie über ihn trotz Wachens und Betens, dann soll er wissen, daß er jede Versuchung überwinden kann. Es gibt keine [392] Versuchung, die nicht überwunden werden könnte. Gott kennt unser Vermögen und er läßt es nicht zu, daß eine Versuchung über unsere Kraft gehe. Es ist „menschliche Versuchung“, die uns betritt, d. h. sie ist für uns Menschen nicht zu groß. Gott mißt einem jeglichen das Maß zu, das er tragen kann. Das ist gewiß. Wer vor der Plötzlichkeit und der Schrecklichkeit der Versuchung verzagt wird, der hat schon die Hauptsache vergessen, nämlich daß er ganz gewiß die Versuchung bestehen wird, weil sie Gott nicht über sein Vermögen gehen lassen wird. Es gibt Versuchungen, vor denen wir uns besonders fürchten, weil wir schon oft an ihnen gescheitert sind. Sind sie dann plötzlich wieder da, dann geben wir uns oft schon von vornherein verloren. Aber gerade diesen Versuchungen dürfen wir in großer Ruhe und Gelassenheit entgegentreten; denn sie können überwunden werden und sie werden überwunden, so gewiß Gott getreu ist. In Demut und in Siegesgewißheit soll die Versuchung uns anfinden.

Die fleischliche Versuchung. Wir sprechen zuerst von der Versuchung durch die Lust und dann von der Versuchung durch das Leiden.

1.) Lust. Das in unseren Gliedern schlummernde Verlangen nach Lust wird plötzlich und wild angefeuert. Mit unwiderstehlicher Gewalt ergreift die Begierde Herrschaft über das Fleisch. Ein verborgen schwelendes Feuer ist auf einmal angefacht. Das Fleisch brennt und steht in Flammen. Ob [es] die geschlechtliche Begierde nach Lust ist, ob es der Ehrgeiz, die Eitelkeit, ob es Rachgier, ob es Ruhmsucht und Machtlust, ob es die Geldgier ist, ob es schließlich jene unbeschreibliche Lust an der Schönheit der Welt, der Natur überhaupt ist, ist hier kein Unterschied. Die Freude an Gott ist nun erloschen in uns, und wir suchen alle Freude in der Kreatur. In dieser Stunde wird Gott uns ganz unwirklich, er verliert alle Realität und das allein Wirkliche ist die Lust an der Kreatur, die einzige Realität ist der Teufel. Nicht mit Haß gegen Gott erfüllt uns der Satan hier, sondern mit Gottvergessenheit. Zu diesem Machterweis Satans kommt nun auch seine Lüge. Die entfachte Begierde hüllt Denken und Wollen des Menschen in tiefe Dunkelheit. Die Klarheit der Unterscheidung und der Entscheidung wird uns geraubt. Sollte [393] es wirklich Sünde sein, was das Fleisch hier begehrt? Sollte es nicht gerade jetzt, gerade hier, gerade in meiner Lage ganz und gar erlaubt, ja geboten sein, die Lust zu stillen? Der Versucher stellt mich unter Sonderrecht, wie er den hungernden Gottessohn unter Sonderrecht stellen wollte. Ich poche auf mein Sonderrecht gegen Gott.

Hier steht alles in mir auf gegen das Wort Gottes. Die Kräfte des Leibes, des Denkens und des Wollens, die unter der Zucht des Wortes im Gehorsam gehalten waren, über die ich Herr zu sein glaubte, machen mir deutlich, daß ich keineswegs Herr über sie war. „Alle meine Kräfte verlassen mich“ klagt der Psalmist. Sie sind alle übergegangen zum Gegner. Der Gegner führt meine Kräfte gegen mich. Hier kann ich in der Tat nicht mehr als Held gegen sie antreten, hier bin ich ein wehrloser, kraftloser Mann. Gott selbst hat mich verlassen. Wer kann hier überwinden und siegen?

Kein anderer als der gekreuzigte Jesus Christus selbst, um dessentwillen mir dies alles widerfährt; denn weil er bei mir und in mir ist, ist die Versuchung über mich gekommen, wie sie auch über ihn kam.

Der alleinigen Realität der Lust und des Satans gegenüber gibt es nur eine stärkere Realität: das Bild und die Gegenwart des Gekreuzigten. An dieser Macht zerbricht die Macht der Lust in Nichts zusammen; denn hier ist sie überwunden. Hier hat das Fleisch sein Recht und seinen Lohn empfangen, nämlich den Tod. Hier erkenne ich, daß die Begierde des Fleisches nichts anderes ist als die Angst des Fleisches vor dem Sterben. Weil Christus der Tod des Fleisches ist und weil dieser Christus in mir ist, darum bäumt sich das sterbende Fleisch gegen den Christus auf. Nun weiß ich, in der Versuchung des Fleisches ist das Sterben des Fleisches offenbar. Das Fleisch stirbt, darum entfacht es Begierde und Lust. So gewinne ich in der fleischlichen Versuchung Anteil an dem Sterben Jesu nach dem Fleisch. So treibt mich die fleischliche Versuchung, die mich in den Tod des Fleisches hineinziehen wollte, in den Tod Christi hinein, der nach dem Fleisch stirbt, aber nach dem Geiste auferweckt [394] wird. Der Tod Christi allein rettet mich aus der fleischlichen Versuchung.

Darum lehrt uns die Schrift in der Stunde fleischlicher Versuchungen zu fliehen: fliehet die Hurerei (1 Kor 6, 18), – den Götzendienst (10, 14) – die Lüste der Jugend (1 T 2, 22) – die vergänglichen Lüste der Welt (2 Petr 1, 4). Hier gibt es keinen anderen Widerstand gegen den Satan mehr als die Flucht. Jedes Ankämpfen gegen die Begierde aus eigener Kraft ist zum Scheitern verurteilt. Fliehet – das kann ja nur heißen, fliehet dorthin wo ihr Schutz und Hilfe erfahret, fliehet zum Gekreuzigten. Sein Bild und seine Gegenwart helfen allein. Hier sehen wir den gemarterten Leib und erkennen daran das Ende aller Lust, hier durchschauen wir den Betrug des Satans bis ins letzte, hier wird unser Geist wieder nüchtern und erkennt den Feind. Hier erkenne ich die ganze Verlorenheit und Verlassenheit meiner fleischlichen Art und das gerechte Gericht des Zornes Gottes über alles Fleisch. Hier weiß ich, daß ich mir in dieser Verlorenheit niemals selbst hätte helfen können gegen den Satan, sondern daß es der Sieg Jesu Christi ist, der mir nun zufällt. Hier finde ich aber auch den Grund zu der Haltung, in der allein ich alle Anfechtungen überwinde, zur Geduld (Jac 1, 2 ff[–4]). Auch gegen die Versuchungen des Fleisches soll nicht ich mich auflehnen in unerlaubtem Hochmut, als sei ich zu gut dafür. Auch hier soll ich mich und kann ich mich nur beugen unter die Hand Gottes und die Demütigung solcher Versuchungen geduldig ertragen. So erkenne ich mitten in dem tödlichen Werk des Satans, die richtende und gnädige Züchtigung Gottes. Im Tode Jesu finde ich die Zuflucht vor dem Satan und die Gemeinschaft des Sterbens am Fleisch unter der Versuchung und des Lebens im Geist durch seinen Sieg.

2.) Leiden. Es ist damit schon deutlich geworden, daß die Versuchung durch Lust dem Christen nicht Lust, sondern Leiden bedeutet. Die Versuchung zur Lust schließt immer die Entsagung von der Lust, also Leiden, ein. Die Versuchung zum Leiden [395] schließt immer das Verlangen nach Freiheit von Leiden, also nach Lust ein. So ist die fleischliche Versuchung durch Lust und Leiden imgrunde ein und dieselbe.

Wir sprechen zuerst von der Versuchung des Christen durch die allgemeinen Leiden, also Krankheit, Armut, Not aller Art; danach von der Versuchung des Christen durch das Leiden um Christi willen.

Fällt der Christ in schwere Krankheit, in bittere Armut oder sonstiges schweres Leiden, so soll er wissen, daß hier der Teufel seine Hand im Spiel hat. Die stoische Resignation, die alles als notwendigen Ablauf nimmt, ist ein Selbstschutz des Menschen, der Teufel und Gott nicht erkennen will. Sie hat mit dem christlichen Glauben nichts zu tun. Der Christ weiß, daß das Leiden in dieser Welt mit dem Sündenfall zusammenhängt und daß Gott Krankheit, Leiden und Tod nicht will. So erkennt der Christ im Leiden eine Versuchung des Satans, ihn von Gott zu trennen. Hier hat das Murren gegen Gott seinen Ursprung. Während im Feuer der Begierde Gott dem Menschen entschwindet, führt die Hitze der Trübsal leicht ins Hadern mit Gott. Der Christ droht an Gottes Liebe irre zu werden. Warum läßt Gott dieses Leiden zu? Gottes Gerechtigkeit wird ihm unbegreiflich: warum muß es gerade mich treffen? Warum habe ich das verdient? Gott soll durchs Leiden zu unserem Feind gemacht werden. Hiob ist das biblische Urbild dieser Versuchung. Alles wird Hiob vom Satan geraubt, damit er zuletzt Gott fluche. Ein heftiger Schmerz, Hunger und Durst schon können dem Menschen alle Kraft rauben und ihn an den Rand des Abfalles führen.

Wie überwindet der Christ die Versuchung des Leidens? Der Ausgang des Hiobbuches gibt uns hier eine wichtige Hilfe. Hiob hat dem Leiden gegenüber seine Unschuld bis zuletzt beteuert und die Bußreden seiner Freunde abgewehrt, die sein Unglück auf eine besondere, vielleicht verborgene Sünde Hiobs zurückfuhren wollten. Dabei hat Hiob große Worte über seine eigene Gerechtigkeit gemacht. Nach der Gotteserscheinung erklärt Hiob: „Darum bekenne ich, daß ich unweise geredet habe, … [396] darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche“ (42, 3.6). Aber Gottes Zorn ergrimmt nun nicht über Hiob, sondern über seine Freunde: „Denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob“ (Vers 7). Hiob bekommt also Recht von Gott und bekennt sich selbst doch schuldig vor Gott. Das ist in der Tat die Lösung. Hiobs Leiden hat seinen Grund nicht in seiner Schuld, sondern gerade in seiner Gerechtigkeit. Um seiner Frömmigkeit willen wird Hiob versucht. So hat Hiob recht, gegen das Leiden zu murren, als träfe es ihn als Schuldigen. Aber dieses Recht hört für Hiob selbst dort auf, wo er nicht mehr Menschen gegenübersteht, sondern Gott. Vor Gott bekennt sich auch der fromme, unschuldige Hiob schuldig.

Das bedeutet für den vom Leiden versuchten Christen: er darf und soll murren gegen das Leiden, sofern er darin gegen den Teufel murrt und seine Unschuld beteuert. Der Teufel ist in Gottes Ordnung eingebrochen und hat das Leiden angerichtet (Luther bei Lenchens Tod!). Aber vor Gott erkennt auch der Christ sein Leiden als Gericht über die Sünde alles Fleisches, die auch in seinem Fleische wohnt. Er erkennt seine Sünde und bekennt sich schuldig. „Es ist deiner Bosheit Schuld, daß du so gestäupt wirst und deines Ungehorsams, daß du so gestraft wirst. Also mußt du innewerden und erfahren, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den Herrn deinen Gott verlassen und ihn nicht furchten, spricht der Herr Zebaoth“ (Jer 2, 19 cf. 4, 18). So führt das Leiden zur Erkenntnis der Sünde und damit zur Hinkehr zu Gott. Erkennen wir aber unser Leiden als Gottes Gericht über unser Fleisch, so gewinnen wir Grund zum Danken. Denn das Gericht über das Fleisch, der Tod des alten Menschen ist ja nur die der Welt zugekehrte Seite des Lebens des neuen Menschen. Darum heißt es nun: „wer am Fleisch leidet, der hört auf von Sünden“ (1 Petr 4, 1). So muß alles Leiden den Christen statt zum Abfall zur Stärkung seines Glaubens führen. Während das Fleisch das Leiden scheut und verwirft, erkennt der Christ sein Leiden nur als das Leiden des Christus in ihm. Denn auch unsere [397] Krankheit hat er getragen und unsere Schmerzen lud er auf sich. Er trug darin Gottes Zorn über die Sünde. Er starb nach dem Fleisch und so sterben auch wir nach dem Fleisch, weil er in uns lebt.

Jetzt versteht der Christ auch sein Leiden als Versuchung des Christus in ihm. Das führt ihn in die Geduld, in das stille, wartende Ertragen der Versuchung und es erfüllt ihn mit Dank; denn je mehr der alte Mensch stirbt, desto gewisser lebt der neue; je tiefer er nun ins Leiden getrieben wird, desto näher kommt er Christus. Gerade weil der Satan Hiob alles nahm, warf er ihn allein auf Gott. So wird dem Christen das Leiden zum Murren gegen den Teufel, zur Erkenntnis seiner Sünde, zum Gnadengericht Gottes, zum Tod seines alten Menschen und zur Gemeinschaft mit Jesus Christus.

Während der Christ die Leiden dieser Welt erfahren muß, wie die Gottlosen auch, so ist dem Christen ein Leiden vorbehalten, das die Welt nicht kennt: das Leiden um des Herrn Jesu Christi willen (1 Petr 4, 12–17). Auch dieses Leiden geschieht ihm zur Versuchung (pròs peirasmón 1 Petr 4, 12 cf. Richter 2, 22). Kann der Christ nämlich alle allgemeinen Leiden als Folgen der allgemeinen Sünde des Fleisches, an der auch er teilhat, verstehen, so muß ihn die Tatsache eines Leidens um seiner Gerechtigkeit willen, also um seines Glaubens willen, allerdings befremden. Daß auch der Gerechte um seiner Sünde willen leidet, ist noch begreiflich, daß der Gerechte aber um seiner Gerechtigkeit willen leidet, das kann ihn leicht zum Anstoß an Jesus Christus führen. Die Versuchung wird hier darum noch umso größer, als es ja in den allgemeinen Leiden (Krankheit, Armut u. s. w.) kein Ausweichen gibt, daß aber dieses Leiden um Christi willen mit der Verleugnung Christi sogleich ein Ende haben würde. Es ist also gewissermaßen ein freiwilliges Leiden, dem ich mich auch wieder entziehen kann. Und eben hier hat der Satan ein freies Feld der Wirksamkeit. Er schürt das Verlangen des Fleisches nach Glück, er führt nun auch die fromme Erkenntnis des Christen gegen ihn zu Felde, um ihm die Torheit und die Ungöttlichkeit seines freiwilligen Leidens, um ihm den frommen Ausweg, die Sonderlösung seines Konfliktes, zu zeigen. [398] Ist schon das unvermeidliche Leiden schon eine schwere Versuchung, wieviel mehr das Leiden, das nach Meinung der Welt und meines Fleisches und selbst meiner frommen Gedanken, vermeidlich wäre. Die Freiheit des Menschen wird gegen die Gebundenheit des Christen [ins Feld] geführt.

Das ist echte Versuchung zum Abfall. Aber über diese Versuchung soll der Christ sich nicht verwundern, er soll vielmehr erkennen, daß er gerade hier in die Gemeinschaft der Leiden Jesu Christi geführt wird (1 Petr 4, 13). Die Versuchung des Teufels treibt den Christen auch hier wieder in die Arme Jesu Christi, des Gekreuzigten. Gerade dort, wo der Satan dem Menschen seine Freiheit raubt und sie gegen Christus führt, wird die Gebundenheit des Christen an Jesus Christus in herrlichster Weise sichtbar. Was bedeutet die Gemeinschaft der Leiden Christi? Sie bedeutet zuerst Freude (chaírete 4, 13). Sie bedeutet Erkenntnis der Unschuld dort wo der Christ als Christ (hõs Christionós Vers 15) leidet. Sie bedeutet eine Ehrung Gottes in dem Christennamen, den ich trage (dóxazéto Vers l6). Der Christ leidet „für Christus“ (Phil 1, 29). Sie bedeutet aber schließlich auch und notwendig die Erkenntnis des Gerichtes das hier am Hause Gottes anfängt (Vers 17). Dieser Gedanke aber macht Schwierigkeiten; denn wie kann das Leiden, das ich gerade als Christ, als Gerechtfertigter leide zugleich als Gericht verstanden werden, das über die Sünde ergeht; und doch liegt gerade an dem Zusammenhang dieser beiden Erkenntnisse schlechthin alles. Ein Leiden um Christi willen, das eben darin das Gericht nicht anerkennt, ist Schwärmerei. An was für ein Gericht ist hier gedacht? An das eine Gericht Gottes, das über Christus erging und das am Ende über alles Fleisch ergehen wird, das Gericht Gottes über die Sünde. Keiner aber kann sich zu Christus stellen, ohne daß auch er teilbekäme an diesem Gericht Gottes; denn eben dies unterscheidet Christus von der Welt, daß Er das Gericht [399] trug, das die Welt verachtet und abschüttelt. Nicht dies ist der Unterschied, daß über Christus kein Gericht erging, aber über die Welt. Sondern Christus der Unschuldige trägt Gottes Gericht über die Sünde. Das aber heißt „zu Christus gehören“: sich unter Gottes Gericht beugen. Das unterscheidet auch das Leiden in der Gemeinschaft Jesu Christi von dem Leiden in der Gemeinschaft irgendeines ethischen oder politischen Helden. Der Christ aber erkennt in dem Leiden die Schuld, das Gericht. Welche Schuld ist es, über die [er] hier Gericht erkennt: es ist die Schuld alles Fleisches, das auch der Christ trägt bis an sein Lebensende; aber es ist nun darüber hinaus zugleich die Schuld der Welt in Jesus, die hier auf ihn fällt und ihn leiden läßt. So wird sein Gerichtsleiden in der Gemeinschaft Jesu Christi zum stellvertretenden Leiden für die Welt.

Weil aber Christus sich dem Gericht Gottes unterwarf, darum ist er „aus dem Gericht genommen“ (Jes 53[,8]), und weil sich die Christen hier dem Gericht beugen, darum werden sie vor dem zukünftigen Zorn und Gericht bewahrt. „Wenn aber der Gerechte kaum errettet wird“ (nämlich aus der Versuchung die in diesem Leiden über ihn kommt) „wo will der Gottlose erscheinen“ (Vers 18). So ist das Gericht am Hause Gottes Gnadengericht über die Christen, dem das letzte Zornesgericht über die Gottlosen folgen wird. So erkennt der Christ in seinem Leiden um Jesu Christi willen erstens den Teufel und seine Versuchung zum Abfall von Christus; zweitens die Freude für Christus leiden zu dürfen; drittens [das] Gericht Gottes am Hause Gottes. Er weiß, daß er leidet nach Gottes Willen (Vers 19) und erfaßt in der Gemeinschaft des Kreuzes die Gnade Gottes.

[IV b] Die geistlichen Versuchungen.

Jesus schlug die zweite Versuchung des Satans mit dem Wort zurück: „Du sollst Gott nicht versuchen. “ Der Satan aber hatte [400] Jesus versucht, nach einer sichtbaren Bestätigung der Gottessohnschaft zu verlangen, also sich an Gottes Wort und Zusage nicht genügen zu lassen, mehr zu wollen als Glauben. Solches Verlangen aber nennt Jesus Gott versuchen, d. h. die Treue Gottes, die Wahrheit Gottes, die Liebe Gottes auf die Probe stellen und d. h. wiederum die Untreue, die Lüge, die Lieblosigkeit in Gott hinein verlegen, statt sie bei sich selbst zu suchen. Alle Versuchung, die sich unmittelbar auf unseren Heilsglauben richtet bringt uns in die Gefahr des Gottversuchens.

Die geistlichen Versuchungen, mit denen der Teufel die Christen anficht, haben dabei ein doppeltes Ziel: Der Gläubige soll der Sünde des geistlichen Hochmutes verfallen (securitas) oder soll in der Sünde der Traurigkeit (desperatio) untergehen. Beide Sünden aber sind die eine Sünde des Gottversuchens.

Zu der Sünde des geistlichen Hochmutes versucht uns der Teufel indem er uns über den Ernst des Gesetzes Gottes und des Zornes Gottes täuscht. Er nimmt das Wort von der Gnade Gottes in seine Hand und flüstert uns ein, Gott sei ja ein gnädiger Gott, er werde es so ernst mit unserer Sünde nicht nehmen. So erweckt er in uns das Verlangen auf Gottes Gnade hin zu sündigen und uns schon vor der Sünde die Vergebung zuzusprechen. Er macht uns sicher in der Gnade. Wir sind ja seine Kinder, wir haben ja Christus und sein Kreuz, wir sind ja die wahre Kirche, nun kann uns nichts Böses widerfahren. Gott wird uns unsere Sünde nicht mehr zurechnen. Was den anderen zum Verderben wird, hat für uns keine Gefahr mehr. Wir haben ja durch die Gnade ein Sonderrecht vor Gott. Hier droht die mutwillige Sünde auf Gnade hin (Jud 4), hier heißt es: „wo ist der Gott der da strafe?“ (Mal 2, 17) und „wir preisen die Verächter; denn die Gottlosen nehmen zu; sie versuchen Gott und alles geht ihnen wohl aus“ (3, 15). Aus solcher Rede aber folgt alle geistliche Trägheit zum Gebet, zum Gehorsam, folgt Gleichgültigkeit gegen Gottes Wort, folgt die Ertötung des Gewissens, die Verachtung des guten Gewissens (1 Tim 1, 19 Schiffbruch am Glauben), und schließlich die völlige Verhärtung und Verstockung des Herzens [401] in der Sünde in Furchtlosigkeit und Sicherheit vor Gott, er verharrt in unvergebener Sünde und häuft täglich Schuld auf Schuld, geheuchelte Frömmigkeit (Acta 5, 3 und 9!). Nun ist kein Raum mehr zur Buße, der Mensch kann nicht mehr gehorchen. Dieser Weg endet mit der Abgötterei. Der gnädige Gott ist mein Götze geworden, dem ich diene. Das aber ist offenbar gewordene Gottesversuchung, die den Zorn Gottes herausfordert.

Geistlicher Hochmut entsteht durch Mißachtung des Gesetzes und des Zornes Gottes, sei es, daß ich meine nach dem Gesetze Gottes, in meiner Frömmigkeit bestehen zu können (Werkgerechtigkeit), sei es daß ich mir durch die Gnade ein Sonderrecht zur Sünde verleihen lasse (Nomismus und Antinomismus). In beidem besteht die Gottesversuchung darin, daß ich den Ernst seines Zornes auf die Probe stelle und über das Wort hinaus das Zeichen fordere.

Der Versuchung zur securitas entspricht die Versuchung zur desperatio, zur Traurigkeit (acedia). Hier soll nicht das Gesetz und der Zorn, sondern die Gnade und Verheißung Gottes angegriffen und auf die Probe gestellt werden. Dazu raubt der Satan dem Gläubigen alle Freude an Gottes Wort, alle Erfahrung der Güte Gottes, statt dessen erfüllt er das Herz mit den Schrecken der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Alte, längst vergessene Schuld steht plötzlich vor mir als sei sie heute geschehen, der Widerspruch gegen Gottes Wort und der Unwille zu gehorchen wird groß, und die ganze Trostlosigkeit meiner Zukunft vor Gott überwältigt das Herz. Gott war niemals bei mir, Gott ist nicht bei mir, Gott wird mir nie vergeben?, denn meine Sünde ist zu groß, als daß sie mir vergeben werden könnte. So ist der Geist des Menschen in Aufruhr gegen Gottes Wort. Er verlangt nun endgültig Erfahrung, Erweis der Gnade Gottes. [402] Sonst will er in der Verzweiflung an Gott sein Wort nicht mehr hören. Und diese Verzweiflung wird ihn entweder in die Sünde der Gotteslästerung oder der Selbstzerstörung treiben bis zur äußersten Tat der Verzweiflung, zum Selbstmord, wie Saul und Judas, oder der Mensch wird in der Verzweiflung an Gottes Gnade sich selbst das Zeichen zu schaffen versuchen, das Gott ihm ver- sagt, er wird aus eigenen Kräften ein Heiliger werden – Gott zum Trotz – in selbstvernichtender Askese und Werkerei oder gar durch Zauberei.

In Undankbarkeit, in Ungehorsam und in Hoffnungslosigkeit verstockt sich der Mensch gegen die Gnade Gottes. Satan fordert ein Zeichen, daß er ein Heiliger sei. Die Zusage Gottes in Christus genügt nicht mehr. „Und das ist die schwerste und höchste Anfechtung und Leiden, damit Gott zuweilen seine hohen Heiligen angreift und übet, welche man pfleget zu nennen desertionem gratiae, da des Menschen Herz nichts anderes fühlet, denn als habe ihn Gott mit seiner Gnade verlassen und wolle sein nicht mehr.“ „Aber das menschliche Herz kann schwerlich Trost annehmen, wenn unser Herr Gott einen also herzet, daß ihm die Seele ausgehen will und die Augen davon übergehen und der Angstschweiß darüber ausbricht“ (zu Gen 35, 1 Luther).

Wenn hier der Satan Gottes Wort im Gesetz gegen Gottes Wort in Christus fuhrt, wenn er hier zum Ankläger wird, der den Menschen keinen Trost mehr finden läßt, dann sollen wir folgendes wissen: Erstens: es ist der Teufel selbst, der hier Gottes Wort im Munde führt. Zweitens: wir sollen über unsere Sünde niemals mit dem Teufel disputieren, sondern über unsere Sünde sprechen wir mit Jesus allein. Drittens: wir sollen dem Teufel vorhalten, daß Jesus nicht die Heiligen, sondern die Sünder zu [403] sich gerufen hat und daß wir – dem Teufel zum Trotz – Sünder bleiben wollen, um bei Jesus zu sein, lieber denn als Heilige beim Teufel. Viertens: wir sollen erkennen, wie in solcher Versuchung unsere eigene Sünde von Gottes Zorn gestraft wird und ans Licht kommt, nämlich zuerst unsere Undankbarkeit gegen alles, was Gott bis zu dieser Stunde an uns getan hat („Vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat“ [Ps 103, 2]. Wer Dank opfert, der preiset mich und ich will ihm zeigen mein Heil. Ps 50 [,23]); sodann unser gegenwärtiger Ungehorsam, der nicht Buße tun will für unvergebene Sünde und nicht von der Lieblingssünde lassen will (denn unvergebene liebgewonnene Sünde ist das beste Einfallstor für den Teufel in unser Herz), schließlich unsere Hoffnungslosigkeit, als sei unsere Sünde zu groß für Gott, als habe Christus nur für die Puppensünden gelitten und nicht für die wirklichen, großen Sünden der ganzen Welt, als habe Gott nicht auch mit mir noch große Dinge vor, als habe er nicht auch mir ein Erbe im Himmel bereitet. Fünftens soll ich Gott für sein Gericht an mir danken, das mir zeigt, daß er mich „herzet“ und liebt. Sechstens aber darf ich in alledem erkennen, daß ich hier vom Satan hineingestoßen bin in die tiefste Anfechtung Christi am Kreuz, als er schrie: Mein Gott, warum hast du mich verlassen. Wo aber Gottes Zorn und Gericht erging, dort war Versöhnung. Wo ich von Gottes Zorn getroffen alles verliere, dort höre ich nun: laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig (2 K 12, 7). Letztens: In dem Dank für die überwundene Versuchung weiß ich zugleich, daß keine Anfechtung furchtbarer ist, als ohne Anfechtung zu sein. [404]

IV c Die letzte Versuchung.

Wie der Satan die dritte Versuchung Jesu an den Gläubigen wiederholt, darüber soll wohl nicht viel gesagt werden. Es geht hier ja um die unverhüllte Erscheinung des Satans, in der er uns zum wissentlichen und endgültigen Abfall von Gott versucht, indem er uns durch Satansanbetung alle Macht und alles Glück auf dieser Erde verspricht. Wie schon die geistlichen Anfechtungen nicht von allen Christen erfahren werden, weil sie über ihr Vermögen gehen würden, so kommt diese letzte Versuchung gewiß nur über einige wenige Menschen überhaupt. Christus hat sie erlitten und überwunden; und wir dürfen wohl sagen, daß der Antichrist und die antichristoí diese Versuchung erlitten haben müssen und gefallen sind. Wo der wissentliche Bund mit dem Satan geschlossen ist durch Geist oder auch durch Blut dort ist die Nacht hereingebrochen, die die Schrift bezeichnet als die mutwillige Sünde, für die es keine Buße gibt, die den Sohn Gottes mit Füßen tritt, die sich selbst den Sohn Gottes wiederum kreuzigt, die Schmähung des Geistes der Gnade (Hebr 10, 26 f und 6, 6), die Todsünde, für die man nicht mehr beten soll (1 Joh 5, 16 f), die Sünde wider den Heiligen Geist, für die es keine Vergebung gibt (Mt 12, 31 f)· Wer aber diese Versuchung erfahren und überwunden hat, der hat in ihr gewiß über alle Versuchungen den Sieg davongetragen. V. 7. Alle Versuchung ist Versuchung Jesu Christi und aller Sieg ist [Sieg] Jesu Christi.

Alle Versuchung führt den Gläubigen in die tiefste Einsamkeit, in die Verlassenheit von Menschen und Gott. Aber in dieser Einsamkeit findet er Jesus Christus, den Menschen und den Gott. Das Blut Christi und das Vorbild Christi und das Gebet Christi sind seine Hilfe und seine Kraft. Von den Erlösten sagt die Offenbarung: „sie haben überwunden durch des Lammes Blut“ ([Apk] 12, 11). Nicht durch den Geist, sondern durch das Blut Jesu ist der Teufel überwunden. Darum [405] müssen wir in aller Versuchung zurück zu diesem Blut, in dem alle unsere Hilfe ist. Dazu kommt das Bild Jesu Christi, das wir ansehen sollen in der Stunde der Versuchung: „sehet an das Ende des Herrn“ (Jac 5, 11). Seine Geduld im Leiden wird die Lust unseres Fleisches töten, wird uns das Leiden unseres Fleisches gering erscheinen lassen, wird uns vor allem Hochmut bewahren und uns in aller Traurigkeit trösten. Das Gebet Jesu Christi, das er dem Petrus verheißen hat (: Simon, der Satan hat euer begehrt, daß er euch sichte, wie den Weizen, ich aber habe für dich gebeten, Lk 22, 31 [f]) vertritt unser schwaches Gebet vor dem Vater im Himmel, der uns nicht versuchen läßt über unser Vermögen. Und erst wenn das ganz klar erfaßt ist, daß der Gottverlassene die Versuchung bestehen muß, kann nun zuletzt daran erinnert werden, daß die Schrift auch vom Kampf der Christen [redet].

Wehrlos erleiden die Gläubigen die Stunde der Versuchung. Ihr Schutz ist Jesus Christus. Aber vom Himmel herab gibt der Herr den Wehrlosen das himmlische Waffenkleid, das zwar Menschenaugen nicht sehen, vor dem aber der Satan flieht, Er legt uns den Harnisch Gottes an, Er gibt uns den Schild des Glaubens in die Hand, Er setzt uns den Helm des Heils aufs Haupt, Er gibt uns das Schwert des Geistes in die Rechte. Es ist das Christuskleid, das Kleid seines Sieges, das er seiner kämpfenden Gemeinde anlegt.

Der Geist lehrt uns, daß die Zeit der Versuchungen noch nicht zu Ende ist, sondern daß den Seinen die schwerste Versuchung noch bevorsteht. Aber er verheißt uns auch: „Dieweil du bewahrt hast das Wort meiner Geduld, will ich dich auch bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen die da wohnen auf Erden. Siehe, [406] ich komme bald“ (Offbg 3, 10 f) und „Der Herr weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu erlösen“ (2 Petr 2, 9). So beten wir wie Jesus Christus uns gelehrt hat zum Vater im Himmel: „führe uns nicht in Versuchung“ und wissen, daß unser Gebet erhört ist, denn alle Versuchung ist in Jesus Christus überwunden für alle Zeit bis ans Ende. So sprechen wir doch zugleich mit Jacobus: „selig ist der Mann, der die Versuchung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn liebhaben“ (Jac 1, 12). Die Verheißung Jesu Christi aber heißt: „ihr seid’s, die ihr beharret habt bei mir in meinen Versuchungen und ich will euch das Reich bescheiden“ (Luk 22, 28 f).

Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werke, Band 15: Illegale Theologenausbildung Sammelvikariate 1937-1940, hrsg. v. Dirk Schulz, München: Chr. Kaiser Verlag 1998, S. 371-406.

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