Aus Martin Luthers Vorlesung über Psalm 51 von 1532 (gehalten vom 10.6. – 6.8. 1532)
Einleitung: Das Thema des Psalms und der Theologie (Vers 1–2)
Hier wird uns vorgelegt die Lehre von der wahren Buße. Es gehören aber zur wahren Buße zwei Stücke, die Erkenntnis der Sünde und die Erkenntnis der Gnade oder, um bekanntere Begriffe zu gebrauchen, die Gottesfurcht und das Vertrauen auf seine Barmherzigkeit. Diese beiden Stücke läßt uns David in diesem Gebet gleichwie in einem herrlichen Bilde sehen. Am Anfang des Psalms sehen wir ihn in Mühe und Not auf Grund der Erkenntnis seiner Sünde und Beschwernis des Gewissens. Am Ende aber tröstet er sich im Vertrauen auf die Güte Gottes und verspricht, er wolle auch andere unterweisen, damit sie sich bekehren. So ist ganz offensichtlich, daß der Prophet in diesem Psalm uns nach besonderem Ratschluß (Gottes) die wahre Weisheit göttlicher Religion hat hinterlassen wollen, verdeutlicht mit gesunden Worten und gesundem Sinn, damit wir lernen könnten, was Sünde Gnade und die ganze Buße sei …
Aber wenn nun auch der Psalm von dem ganzen Wesen und der Quelle der Sünde redet, so wollen wir doch die (besondere) Geschichte, auf die der Titel hinweist, nicht auslassen. Denn in diesen seinen besonderen Sünden erkennt David gleichwie in einem Spiegel die Unreinheit unserer ganzen Natur, so daß er denkt: ach, wie konnte ich, der ich den Staat so gut verwaltet, der ich Kirche und Gottesdienst eingerichtet, der ich (meine Leute) mit allem Fleiß geführt habe, wie Ps. 78(,72) geschrieben steht, in solche Schande, in so viele und so große Sünden fallen? Von seiner einen Sünde kommt er also zur Erkenntnis der ganzen Sünde, als wollte er sagen: wenn ich, ein so großer Mann, gleichsam vom Himmel in die Hölle gefallen bin, ist solcher Fall dann nicht für mich und andere Leute ein gewaltiger Beweis dafür, daß nichts Gutes in meinem Fleische ist? Darum ist es eine große Weisheit, wenn wir wissen, daß wir nichts als Sünde sind und nicht so leichtfertig von der Sünde denken wie die papistischen Lehrer, welche die Sünde dahin definieren, daß sie ein Reden Tun oder Denken gegen Gottes Gesetz sei. Du aber definiere sie nach diesem Psalm so: Sünde ist das Ganze, was von Vater und Mutter geboren ist, längst ehe ein Mensch alt genug ist, um etwas sagen tun oder denken zu können; aus solcher Wurzel aber kann nichts vor Gott Gutes erwachsen …
Ferner ist solche Erkenntnis der Sünde nicht nur ein Gedanke und eine Spekulation, die sich der Geist erdichtet, sondern wirkliche Empfindung, echte Erfahrung und schwerste Herzensnot. Dies bezeugt er, indem er spricht: ich erkenne meine Missetat d.h. ich empfinde sie und habe Erfahrung von ihr. Denn das meinen die hebräischen Worte eigentlich; sie meinen nicht nur, wie der Papst lehrte, eine Erinnerung an das, was man getan oder unterlassen hat, sondern ein Empfinden und Erfahren der unerträglichen Last des Zornes Gottes. Eben dies Empfinden der Sünde ist die Erkenntnis der Sünde. Und ein Sünder ist einer, der im Gewissen bedrückt ist, ängstlich hangt und bangt und nicht weiß, wohin er sich wenden soll. Wir handeln also hier nicht von philosophischer Erkenntnis, welche den Menschen als ein vernünftiges Wesen definiert. Dies ist Sache der Physik und nicht der Theologie. So reden auch die Rechtskundigen vom Menschen als Eigentümer und Herrn seines Vermögens und die Arzneikundigen reden vom gesunden und kranken Menschen, der Theologe aber redet vom Menschen als Sünder. In der Theologie ist dies das Wesen des Menschen: und der Theologe bemüht sich darum, daß der Mensch diese seine von der Sünde verdorbene Natur empfinde. Wo dies aber geschieht, folgt alsbald die Verzweiflung, welche zur Hölle sinken läßt. Denn was soll der Mensch vor dem Angesicht des gerechten Gottes machen, wenn er weiß, daß seine ganze Natur von der Sünde bedeckt und nichts übrig ist, darauf er sich stützen könnte, sondern seine ganze Gerechtigkeit schlechtweg zunicht geworden ist? Wenn man dies im Geist empfindet, dann muß der zweite Teil der Erkenntnis folgen, welche auch wieder nicht spekulativ, sondern ganz praktisch und empfindbar sein muß, nämlich was Gnade, was Rechtfertigung ist und daß der Ratschluß über den so zur Hölle gesunkenen Menschen der ist, daß er ihn durch Christus wieder Herstellen will. Da wird der niedergeschlagene Geist wieder aufgerichtet und nach dieser Gnadenlehre stellt er mit Freuden fest: bin ich auch ein Sünder in mir, so bin ich doch kein Sünder in Christus, der uns zur Gerechtigkeit gemacht ist, sondern bin gerecht und gerechtfertigt durch den gerechten und rechtfertigenden Christus, der darum ein Rechtfertiger ist und heißt, weil er zu den Sündern gehört und Sündern gesandt ist. Dies sind die beiden theologischen Erkenntnisse, welche David in diesem Psalm überliefert. Sie sind der Beitrag des Psalms zur theologischen Erkenntnis des Menschen und auch zur theologischen Erkenntnis Gottes, damit also niemand über die Majestät Gottes grüble oder darüber, was Gott gemacht hat und wie mächtig er ist, desgleichen nicht über den Menschen als Herrn seines Vermögens wie die Rechtskundigen oder über den kranken Menschen wie die Arzneikundigen, sondern über den Menschen als Sünder. Denn der eigentliche Gegenstand der Theologie ist der der Sünde schuldige Mensch und der rechtfertigende Gott und Heiland dieses Sünders. Was außer diesem Gegenstand in der Theologie gesucht und verhandelt wird, ist Irrtum und Gift.
2. Empfindliche und unempfindliche Sünder (Vers 3):
Gott, sei mir gnädig nach deiner großen Güte und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Hier ist zunächst zu beachten, daß er Gott anruft und Christus nicht erwähnt. Ihr sollt nämlich nicht meinen, David rede mit Gott wie ein Mohammedaner oder sonst ein Heide. Denn David redet mit dem Gott seiner Väter oder mit Gott, dem Verheißer. Denn das Volk Israel hatte keinen sozusagen spekulativen absoluten Gott wie der unwissende Haufe der Mönche, der mit seinen Spekulationen zum Himmel steigt und vom absoluten Gott grübelt. Vor diesem absoluten Gott soll vielmehr jedermann fliehen, wenn er nicht um. kommen will. Denn die menschliche Natur und der absolute Gott – nur der Belehrung halber gebrauche ich diesen bekannten Begriff – sind sich aufs grimmigste feind. Es kann auch gar nicht anders sein, als daß die menschliche Schwachheit von solcher Majestät erdrückt wird, wie die Schrift manchmal sagt (Spr. 25,27 Vulg.). Darum soll niemand meinen, David rede mit dem absoluten Gott, vielmehr redet er mit dem mit seinem Wort und seinen Verheißungen versehenen und bekleideten Gott und schließt deswegen den Namen Christi vom Gottesnamen grade nicht aus; denn eben Christus ward Abraham und den andern Erzvätern verheißen. Diesen nicht nackten, sondern mit seinem Wort bekleideten und umhüllten Gott müssen wir ergreifen, sonst wird uns gewiß die Verzweiflung niederschlagen. Dieser Unterschied zwischen der Weise, wie die Propheten mit Gott reden, und der Weise der Heiden muß allzeit festgehalten werden …
Sodann muß man auch beachten, wie sich das reimt, daß er spricht: erbarme dich mein! Denn wenn du auf die Personen siehst, die miteinander umgehen, nämlich Gott und den Sünder David, so ist hier die allergrößte Ungleichheit, ja unlösbarer Widerspruch. Denn geht nicht aller Menschen Urteil Empfinden und Wesen dahin, daß Gott die Sünde haßt? Darum spricht der Blinde in Joh. 9(,51): wir wissen, daß Gott die Sünder nicht hört, sondern so jemand gottesfürchtig ist und tut seinen Willen, den hört er. Desgleichen steht im Dekalog: ich bin ein eifriger Gott. Ja, der ganze Mose enthält fast nichts andres als lauter Drohungen gegen die Bösen und Ungehorsamen. Und mit dem Gesetz Mose stimmt das Empfinden unsrer Natur überein, das wir niemals verleugnen können … Wenn daher der Sünder David spricht: Gott, erbarme dich mein, so lautet das, als redete er wider den Dekalog, in welchem Gott gebietet: sei kein Sünder, und den Sündern Strafe androht. Wie soll ein Sünder zusammenstimmen mit dem Gott, der gerecht und wahrhaftig und den Sünden feind ist und von Natur keine Sünden ertragen kann? Dennoch ruft derselbe David, der hernach spricht ‚ich erkenne meine Missetat und meine Sünde ist immer vor mir‘, Gott an und spricht: erbarme dich mein. Dies heißt zwei unvereinbare Widersprüche miteinander verbinden. Also zeigt David alsbald im Anfang die Kunst und Weisheit an, die über alle Weisheit des Dekalogs geht und wahrhaft himmlische Weisheit ist, die kein Gesetz und keine Vernunft ohne den heiligen Geist erdenken und verstehen kann …
Darum muß man solch lästerliches Denken ausziehen und mitten in den Sünden, gleichsam mitten auf dem Meer der Sünden dies Mittel Davids anwenden, wenn das Gebet nicht unterbleiben soll. Denn was hätte das Wort ‚erbarme dich‘ für einen Sinn, wenn die, die also beten, rein wären und keiner Barmherzigkeit bedürften? Aber wie gesagt es ist ein sehr harter Kampf, bis man unsern Geist mitten im Empfinden der Sünden dazu bringen kann, daß er zu Gott schreit: erbarme dich mein! Ich, der ich solches lehre und andern gebiete, habe schon oft bei mir selbst erfahren, daß das Gebet fast das allerschwerste Werk ist. Darum meine ich nicht, daß ich diese Kunst verstünde, sondern bekenne, daß ich in höchster Not diese Worte ‚erbarme dich mein, Gott‘ oftmals nur sehr schwach ausgesprochen habe, weil ich an meiner Unwürdigkeit Anstoß nahm. Dennoch hat zuletzt der heilige Geist gesiegt und mir zugerufen: wie und was du auch immer bist, so ist doch gewißlich befohlen, zu beten; denn Gott will gebeten sein und hören nicht um deiner Würdigkeit willen, sondern um seiner Barmherzigkeit willen.
Damit man aber dies, daß Gott die Sünder haßt und die Gerechten liebt, recht verstehe, muß man einen Unterschied machen zwischen dem Sünder, der seine Sünden empfindet, und dem Sünder, der sie nicht empfindet. Das Gebet des Sünders, der seine Sünden nicht empfindet, will Gott nicht; denn derselbe weiß und will das gar nicht, was er betet. So singt und murmelt ein Mönch in seinem Aberglauben wohl oftmals ‚Gott, erbarme dich meiner!‘, aber weil er dabei im Vertrauen auf seine eigene Gerechtigkeit lebt und die Unreinheit seines Herzens nicht empfindet, so sagt er nur Worte und Silben daher, die Sache selber aber versteht und will er gar nicht. Dazu macht er Zusätze, die seinem Gebet widersprechen. Er bittet wohl um Verzeihung und Barmherzigkeit, aber derweil trachtet er zugleich auf diese und jene Weise nach Sühne und Genugtuung für seine Sünde. Heißt dies aber nicht Gott ins Angesicht verspotten gleichwie wenn ein Bettler mit lauten zudringlichen Worten um eine Gabe bäte, er aber, wenn ihm jemand dieselbe gibt, auf sein eigenes Vermögen hinwiese, seine Bettelhaftigkeit rühmte und damit klar anzeigte, daß er der Gabe gar nicht bedarf? So sagen auch die Feinde des Evangeliums zwar die Worte daher, aber die Sache selber verstehen sie nicht, sondern tun das Gegenteil, indem sie allerlei Gottesdienste annehmen und mit ihren gottlosen Messen Wallfahrten und Anrufungen der Heiligen Vergebung der Sünden suchen. Diese Sünder sind wohl Sünder, aber sie empfinden sich nicht als Sünder, sondern fahren mit frecher Stirn daher, rechtfertigen sich selber und verfolgen das Wort Gottes … Die aber die Last ihrer Sünden empfinden, von denen gilt: der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten (Ps. 147,11). Denn dann hat das Gesetz genug ausgerichtet, dann dürfen die Donnerschläge des zornigen Gottes aufhören und die Lichter der Barmherzigkeit leuchten, die in Gottes Wort bereitgestellt sind: der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten (Ps. 147,11) und: ein geängstet und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten (Ps. 51,19) und: seine Ohren stehen offen für den Armen und seine Augen sind auf ihn gerichtet (Ps. 34,16 Vulg.), um ihn herauszuziehen aus dem Dreck, und: das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen (Jes. 42,3) … Da kommt unsre wahrhaftige Theologie und lehrt: wenn der Geist so erschrocken ist, dann ist der eine Teil der Theologie, der vom Gesetz und seinen Drohungen handelt, ausgerichtet, so daß der Sünder sich erkennt und die Sicherheit ablegt, in der wir alle natürlicherweise vor der Offenbarung des Zorns (Gottes) leben … Gleichermaßen muß man auch tun mitten in der Hitze der Anfechtungen, wenn der Geist von den Gedanken der Begehrlichkeit oder der Rache geplagt wird. Wenn man ihn da zum Gebet ermahnt, hält er einem alsbald die eigene Unreinheit entgegen, als könne bei so schmutzigen Gedanken das Gebet keinen Raum finden. Da muß man sich dagegenstemmen und ja nicht erst das Ende der Anfechtungen abwarten, bis die Gedanken der Begehrlichkeit oder eines andern Lasters gänzlich verschwinden, sondern im gleichen Augenblick, da du die Anfechtung am allerstärksten empfindest und dich am wenigsten zum Gebet bereit fühlst, gehe an einen einsamen Ort (Mt. 6,6 Vulg.) und bete ein Vaterunser oder was du sonst dem Teufel und seiner Anfechtung entgegenhalten willst. So wirft du merken, daß die Anfechtung nachläßt und der Teufel den Rücken kehrt. Wer das Gebet solang verschieben will, bis der Geist von unreinen Gedanken gereinigt ist, der hilft mit solcher Weisheit und Tugend nur dem Teufel auf, der ohnedies schon stark genug ist … Im Vertrauen auf den Geist Gottes, der für uns eintritt, muß man mitten im Streit und in der Anfechtung dem Teufel widerstehen und sprechen: bin ich ein Sünder, wohlan, Gott ist barmherzig; bin ich um meiner Sünden willen ungeschickt zum Gebet, wohlan, ich will gar nicht geschickter werden; denn, wenn ich so sehr ein Sünder bin, so bin ich zum Gebet gerade geschickt genug …
David spricht aber nicht allein: Gott, erbarme dich mein, sondern fügt auch noch hinzu: nach deiner großen Barmherzigkeit. Aber er schweigt gänzlich von allem Verdienst und aller Gerechtigkeit der Werke. Er spricht nicht wie jener (Pharisäer) im Evangelium: ich faste zweimal in der Woche (Lk. 18,12). Er spricht auch nicht: erbarme dich mein nach Vollverdienst oder Angemessenheitsverdienst. Denn was will das bedeuten gegen die Barmherzigkeit. Das ist nicht Davids Amt, sondern nur der Mönche Art, ihr Verdienst und andre Dinge zu rühmen, gleichwie auch von jenem Königsbruder erzählt wird, der in seiner Todesstunde zu Gott sprach: errette mich, wie du verheißen hast, denn ich habe geleistet, was du befohlen hast. So wollt ich in meiner Todesstunde nicht sprechen, sondern vielmehr: gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht (Ps. 141,2) oder: tilge meine Sünden. Darum wollen wir auch die hohen eingerissenen Irrtümer und falschen Meinungen abtun und nicht in der Weise der Mönche vom heiligen Hieronymus und heiligen Paulus u.dgl. sprechen. Denn sie sind alle in sich selber Sünder und Gott allein heilig. Die wir aber Heilige nennen, die sind durch die fremde Heiligkeit Christi geheiligt, welche eine Heiligkeit umsonst geschenkter Barmherzigkeit ist. Diese Heiligkeit besitzen alle Gläubigen in der Kirche und ist da kein Unterschied; wie Petrus heilig ist, so bin auch ich heilig, und wie ich heilig bin, so ist auch der Schächer zur Rechten Christi heilig. Daß Petrus und Paulus größere Taten getan haben als ich, bricht hieran gar nichts ab, denn von Natur sind sie ebenso Sünder und bedürfen der Barmherzigkeit ebensosehr als ich. Und wenn die Apostel auch weniger äußerliche Sünden gehabt haben, so haben sie doch oft genug in ihren Herzen Vermessenheit, Überdruß, Gedanken der Verzweiflung und Verleugnung Gottes und andre menschliche Schwachheiten erfahren, so daß am Menschen wirklich nichts Heiliges und Gutes zu sehen ist, wie Ps. (14,2f.) geschrieben steht: der Herr schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, aber da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer. Wenn aber unter den Menschenkindern keine Guten sind, wo sollen sie sonst zu finden sein? Seien wir also still mit Heiligkeit und Heiligen. Als geheiligt wollen wir allein diejenigen bezeichnen, die aus unempfindlichen Sündern empfindsame Sünder geworden sind, die sich ihrer eigenen Gerechtigkeit nicht vermessen, welche doch nichts ist, sondern anfangen, mit einem erleuchteten Herzen sich und Gott zu erkennen d.h. daß das, was unser ist, böse ist vor Gott und daß es uns aus umsonst geschenkter Barmherzigkeit vergeben wird …
3. Das christliche Leben und der Grund der Rechtfertigung (Vers 4–6)
Wasche mich mehr und mehr von meiner Missetat und reinige mich von meiner Sünde (V. 4 Vulg.). Oben haben wir die Sünde unterschieden in empfundene Sünde und nicht empfundene Sünde und demnach auch zweierlei Arten von Sündern, empfindliche und unempfindliche Sünder oder wahrhaftige und heilige Sünder und heuchlerische Sünder, die verstockt und sicher ihre Sünde nicht empfinden. Hier zeigt nu der Prophet an, daß auch die empfundene Sünde zweierlei Art ist oder auf zweierlei Weise zu behandeln ist. Die eine Sünde ist durch die Gnade vergeben, indem Gott um Christi willen uns nicht verlassen will, wie sehr wir auch Sünder sind, sondern uns vielmehr barmherzig verzeihen will, obwohl wir durch die Sünde verdorben und verloren sind … Darum soll ein Christ, wenn er durch den Glauben gerecht ist und die Vergebung der Sünden empfangen hat, nicht sicher sein, als wenn er schon gänzlich von allen Sünden rein wäre, sondern grade dann steht ihm der dauernde Kampf mit den Resten der Sünde bevor, von denen der Prophet hier gewaschen sein möchte. Trotzdem ist er gerecht und heilig aufgrund – um diesen Lehrbegriff zu gebrauchen – fremder Heiligkeit d.h. er ist gerecht durch Gnade und Barmherzigkeit Gottes … Gegen solche Sicherheit ist es nützlich, das Gebet Davids wohl zu bedenken, in dem er, nachdem er die Vergebung der Sünden hinsichtlich der Schuld erbeten hat und sich nun in Gottes Barmherzigkeit freut, dennoch auch noch darum bittet, von den Missetaten gewaschen zu werden und den heiligen Geist zu empfangen d.h. jene Kraft und Gabe Gottes, die innerlich im Herzen lebt und den Sündenrest ausfegt, der durch die Taufe wohl anfangsweise, aber noch nicht völlig begraben worden ist. Und dies ist das christliche Leben, wie es Kol. 3(,l) beschrieben ist, daß wir suchen sollen, was droben ist, weil wir der Welt gestorben und unser Leben in Christus verborgen ist, oder 2.Kor. 7(,l), daß wir uns reinigen sollen von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes. Dies bedeutet, daß in allen Christen noch solche Befleckungen des Geistes vorhanden sind d.h. schlechte Gedanken über Gott, und ebenso Befleckungen des Fleisches d.h. lasterhafte Begierden. Und wir müssen Mühe und Fleiß daran wenden, mit Hilfe des Geistes dieselben auszufegen. Die sich aber ganz heilig und fehlerlos vorkommen, die beflecken ihren Geist, verlieren den Glauben und erdichten sich Gedanken, die dem Glauben zwar sehr ähnlich, aber dennoch vom Teufel eingegeben sind; durch dieselben werden sie allmählich sicher und vom Wort Gottes weg und zur Gottlosigkeit verführt … Darum spricht der Prophet auch nicht einfach: wasche mich, sondern: wasche mich mehr und mehr oder: wasche mich viel, heute, morgen und fernerhin mein Leben lang von den Befleckungen des Fleisches und Geistes, damit ich von Tag zu Tag stärker und gewisser werde den Schrecken des Gesetzes gegenüber, bis ich durch die Fülle deiner Barmherzigkeit einmal des Gesetzes und der Sünde Herr werde. Dies ist die Lehre dieses Psalms. Bei ihr gehen wir allzeit zur Schule, in ihr werden wir niemals vollkommene Meister, weder wir noch die Apostel noch die Propheten. Hier bleiben wir allesamt Schüler und müssen alle bitten, solang wir leben, daß er uns mehr und mehr wasche …
Denn ich erkenne meine Missetat und meine Sünde ist immer vor mir (V. 5). Wir haben nu in den beiden letzten Versen gehört, daß David erstlich Gnade und Vergebung der Sünden erbittet, darnach auch die Gabe der Reinigung vom Sündenrest und -schmutz. Denn diese beiden Stücke machen vollkommen gerecht und heilig vor Gott ohne alle die Vorbereitungen und Genugtuungen und ohne jene erdichtete Buße, die man dem Volk zuvor gelehrt hat und die Papisten heute noch lehren. Denn es gibt nur einen einzigen Grund der Rechtfertigung, nämlich das Verdienst Christi oder die reine Barmherzigkeit Gottes, welche die vom heiligen Geist entzündeten Herzen ergreifen. Wenn man will, kann man die Anerkennung der Sünde eine Art Zweitursache (causa secunda) oder, wie die Gebildeten sagen, eine Art unerläßliche Bedingung nennen. Aber sie ist doch nur so Ursache, daß das Ganze von Gottes Barmherzigkeit oder Verheißung abhängt d.h. davon, daß er sich derer erbarmen will, die ihre Sünde anerkennen und nach der Gerechtigkeit dürsten … Die Anerkennung der Sünde ist eine Art Nebenerfordernis: denen, die ihre Sünden anerkennen, will Gott verzeihen, denen, die sie nicht anerkennen, nicht. Diese Verheißung aber ist Anfang Mitte und Ende aller Ursachen d.h. das Ganze der Rechtfertigung. Auf diese Verheißung sieht David, wenn er spricht: ich erkenne meine Missetat, als wollt er sagen: daß ich meine Sünde anerkenne, ist keinerlei Verdienst von mir, sondern weil du Gnade verheißen hast denen, die ihre Sünde anerkennen, so bekenne ich vor dir, daß ich meine Sünde anerkenne. – Das Wörtlein ‚erkenne‘ ist dabei im Hebräischen von tieferer Bedeutung als in andern Sprachen. Es bedeutet nämlich etwas empfinden und erfahren, wie es seinem Wesen nach ist. In diesem Sinn spricht die Schrift (1.Mos. 4,1) von Adam: und Adam erkannte sein Weib d.h. er hatte Erfahrung von ihr und empfand sie desgleichen (Ps. 1,6): der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber die Hochmütigen ,erkennt‘ er nicht d.h. er kümmert sich nicht um sie und hilft ihnen nicht. Gleichermaßen bedeutet hier das ‚ich erkenne meine Missetat‘ soviel als: es ist soweit mit mir gekommen, daß jetzt Zeit ist, zu erbarmen und zu helfen, denn ich bin aus einem unempfindlichen Sünder ein empfindlicher Sünder geworden und erkenne oder fühle die Sünde und Gottes Gericht … Und meine Sünde ist immer vor mir d.h. sie liegt mir auf dem Hals, drückt mich und ich kann sie nicht los werden. Aber hier muß man sich hüten, dies nicht von der Tatsünde zu verstehen, sondern der Prophet blickt dabei auf sein ganzes Leben mitsamt allen seinen noch so heiligen Gerechtigkeiten und empfindet, daß ihm dies alles nichts hilft, wenn keine Barmherzigkeit zu Hilfe kommt. So erzählt man auch von Bernhard, der doch ein Mann von bewundernswerter Heilig, keit war, sein gleichsam letztes Wort sei gewesen: ich habe verdorben gelebt! Das heißt wirklich die Sünde vor sich haben, nicht die eine oder andre böse Tat, sondern das ganze Wesen der Sünde, die Sünde in ihrer Totalität mit allen ihren Kräften, mitsamt aller Gerechtigkeit und Weisheit des Fleisches. Alles dieses ist vor Gottes Gericht nichts, und Bernhard muß mit David und David mit Bernhard sprechen: Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. (Ps. 143,2) … Wenn du aber erkennst, daß du Sünde hast, wenn du zitterst und geplagt bist vom Gefühl des Zornes Gottes, vom Schrecken vor Gottes Gericht und der Hölle, dann sei getrost. Denn dann bist du der, mit dem Gott reden will, dem er seine Barmherzigkeit erzeigen und den er erretten will. Denn seine Verheißungen lauten dahin, daß er ein Gott der Elenden ist und den Tod des Sünders nicht will; er ist auch nicht ein Gott der Wut, sondern der Gnade und des Friedens, darum will er, daß der Sünder sich bekehre und lebe … In solcher Weise führt David einen Grund dafür an, daß er Barmherzigkeit erbittet: denn, spricht er, meine Sünde ist immer vor mir d.h. meine Sünde treibt mich und läßt mir keine Ruhe und keinen Frieden, das Empfinden des Zorns und des Todes läßt sich mit keinem Wein und keinem Brot austreiben. In solcher Not ist kein andres Heilmittel übrig, als daß der Geist sich wider solch Empfinden erhebt und spricht: Herr, erbarme dich mein! …
An dir allein habe ich gesündigt (V. 6). In der Übersetzung ist hier noch eine gewisse Dunkelheit. Denn was in der Form der Vergangenheit über, setzt ist, muß eigentlich Gegenwart sein und heißen: an dir allein sündige ich d.h. ich erkenne an, daß ich vor dir nichts als ein Sünder bin, und: vor dir tue ich übel d.h. mein ganzes Leben ist böse und verdorben um der Sünde willen; ich kann vor dir kein Verdienst und keine Gerechtigkeit rühmen, sondern bin ganz böse; vor dir habe ich nur den einen Namen, daß ich übel tue, daß ich gesündigt habe, sündige und immer wieder sündigen werde. So weist uns die Wandlung der Vergangenheitsform in die Gegenwartsform von der Tatsünde zur Universalsünde …
4. Nur Gottes Worte vermitteln Erkenntnis der Sünde (Vers 6)
Auf daß du recht behaltest in deinen Worten und rein bleibest, wenn du gerichtet wirst (V. 6). Da ein Teil der Sünde darin besteht, daß sie in ihrem Wesen verborgen bleibt und nicht völlig erkannt werden kann, so muß sie uns von oben her offenbart werden. Diese Offenbarung der Sünde aber geschieht durch das Gesetz und das Evangelium oder die Verheißung. Denn diese beiden decken die Sünden auf, welche wir nicht als Sünden erkennen noch glauben noch empfinden, wenn wir nicht durch Gottes Wort daran gemahnt werden. Darum fügt der Prophet vielsagenderweise hinzu: auf daß du Recht behaltest in deinen Worten. Als wollt er sagen: wir sind alle Sünder und du allein gerecht, wie es dein Wort verkündigt; darum schreibe ich dir allein Gerechtigkeit, mir aber und allen Menschen die Sünde zu, so daß also nicht bei mir, sondern allein bei dir die Gerechtigkeit ist; das tue ich aber, weil mich deine Worte oder dein Wort darüber unterweisen. Ohne das Wort könnte ich solche Erkenntnis über mich und alle Menschen nicht haben. Denn wer dem Wort nicht glaubt, der wird weder Gott als allein gerecht noch sich als Sünder bekennen. Darum glaube ich deinem Worte und schließe, daß du mich und aller Menschen Wesen besser kennst als wir und daß wir Sünder sind und bleiben, du aber durch solch Bekenntnis gerecht bleibst und gerechtfertigt und verherrlicht wirst …
Nu ist aber in den Schulen der Satz bekannt: wenn der Mensch tut, was an ihm ist, so gibt ihm Gott unfehlbar die Gnade. Heißt dies aber nicht Gott der Lüge zeihen, wenn er in seinem Wort sagt: alle Menschen haben gesündigt, da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer, sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig geworden (Röm. 3,12). Denn er zeiht uns nicht allein schmutziger Gier Begehrlichkeit und Habsucht, sondern größerer Dinge d.h. des Abweichens von Gott d.h. dessen, daß unser ganzes Wesen Gott nicht sucht noch sich um ihn kümmert, in Nöten ohne Glaube und im Glück ohne Gottesfurcht ist. Dies alles beweist, daß die menschliche Vernunft samt dem Willen verblendet und fern vom Guten und Wahren ist. Weil wir aber solches lehren und verteidigen, werden wir als Ketzer verdammt und an die Galgen geschleift. Das aber meint der Psalm, wenn er spricht, von den Gottlosen werde Gott in seinen Worten nicht gerechtfertigt, sondern gescholten und verdammt …
So gibt es denn zwei Arten von Menschen. Die einen bekennen mit David, Gott allein sei gerecht wahrhaftig und heilig. Die andern sind gottlos, streiten nach dem Exempel der Riesen mit Gott und sprechen: dein Wort ist nicht wahr, wir sind nicht blind, es ist in uns noch ein Licht vorhanden; wenn wir dem folgen, werden wir bei Gott in Gnaden sein. Dies aber heißt aus Gott einen Händler machen und zu ihm sprechen: gib du mir, so geb ich dir. Aber eben in dieser Meinung stimmen alle scholastischen Lehrer überein. Bekannt ist der Spruch des Scotus: wenn ein Mensch lieben kann, was weniger gut ist, dann kann er auch lieben, was besser ist; der Mensch liebt aber die Kreatur, also kann er noch viel mehr Gott über alles lieben. Das sind wahrhaftig theologische Folgerungen, eines Doktors der Finsternis in der Kirche wert! Dabei sieht er nicht, daß der Mensch, wenn er die Kreatur über alles liebt, sie keineswegs als Kreatur (Gottes) liebt. Wer hätte wohl jemals ein Mädchen oder Geld allein um des Mädchens und des Geldes willens geliebt? Diese Liebe ist mit Begehrlichkeit und Habsucht befleckt, sie kann hier im Fleisch niemals völlig rein sein. Aber derartige Sätze finden sich bei den neueren Schriftstellern ohne Zahl; sie zeigen den Streit an, den die menschliche Vernunft gegen die Worte Gottes führt …
5. Die Wahrheit der Erbsünde – die Wahrheit der Ehe und die politische Wahrheit (Vers 7–9)
Siehe, ich bin in Sünden empfangen und in Sünden hat mich meine Mutter empfangen (V. 7). Der Prophet geht bei der Lehre von der Buße in wunderschöner Ordnung vor: erstlich bittet er um Barmherzigkeit und gibt Grund und Ursach dazu an: ich bin ein Sünder und erkenne meine Sünde, auf daß du gerecht seist und wir alle zuschanden werden. Darnach fügt er den Ursprung solcher Erkenntnis hinzu, nämlich die Worte Gottes; denn durchs Wort wird die Sünde offenbart. Was aber nun folgt, das hängt mit dem Vorangehenden so zusammen, daß es dasselbe näher beleuchtet. Es zeigt die Ursache der Sünde an und deckt gleichsam den Grund des ganzen Handels auf, warum er so seine Sünde bekennt und um Barmherzigkeit fleht, nämlich: ich bin in Sünden empfangen. Klarer und deutlicher könnte mans nicht sagen. Denn er spricht nicht: ich habe Uria getötet, auch nicht: ich habe Ehebruch begangen, sondern er faßt die ganze menschliche Natur gleichsam in ein Bündel zusammen und spricht: ich bin in Sünden empfangen. Er redet nicht von einzelnen Werken, sondern von der Materie der Sünde selbst und spricht: der menschliche Samen, aus dem ich gebildet bin, ist bereits von Laster und Sünde verdorben. Die Materie (oder der Grundstoff) selber ist schon fehlerhaft, gleichsam schon der Ton, aus dem dies Gefäß gebildet werden soll, ist verdammenswert. Aber was willst du? so bin ich und so sind alle Menschen. Schon die Empfängnis, schon das Wachstum des Samens im Mutterleib ist Sünde, längst eh wir geboren werden und Menschen sind …
Hier könnte nu jemand fragen: wozu ist dann der Ehestand gestiftet und wozu hat Gott die Ehe gesegnet? … Gott duldet solch fehlsame Fortpflanzung um seiner Stiftung (der Ehe) willen; um des Fehlers willen hebt er die Kreatur nicht auf, sondern sieht bei diesem natürlichen Mangel durch die Finger, gleichwie er auch im Weltregiment bei den politischen Fehlern durch die Finger sieht … Darum ist um solcher Fehler willen weder die Ehe noch sonst etwas Gutes verdammt. Man muß nur auf den Endzweck sehen: derselbe ist in der Ehe die Nachkommenschaft, in der Politik die Erhaltung des Friedens. Wenn nu im Weltregiment die Formalursache, nämlich die Gesetze, oder die Wirkursachen, nämlich tyrannische Regenten, fehlerhaft sind, so soll dasselbe um der höheren, nämlich der Zweckursache willen (der Erhaltung des Friedens) dennoch gelten (und in Ehren bleiben), alles andre soll außer Betracht bleiben. Desgleichen in der Ehe: wenn auch die Wirkursachen d.h. die Eheleute selbst fehlerhaft sind, wenn auch die Formalursache (d.h. der menschliche Same selbst) fehlerhaft ist, so müssen diese fehler-haften Ursachen dennoch getragen werden, damit die Nachkommenschaft, dies herrliche und bewundernswerte Werk Gottes, erhalten werde …
Dieser Spruch von der Erbsünde ist einer der herrlichen Sprüche, die die Vernunft nicht versteht. Man lernt ihn aber, gleichwie auch andre Stücke, aus dem Gesetz und den Verheißungen Gottes. Von den Aposteln ist es aber allein Paulus, der diesen Spruch ausdrücklich und ausführlich mit großem Ernst behandelt hat … Und diese Lehre ist in der Kirche Gottes auch höchst nötig. Weder Papst noch Türke glauben sie. Ich kann das selbst bezeugen: als ich schon viele Jahre Doktor der Theologie war, habe ich diese Lehre noch nicht verstanden. Man disputierte zwar von der Erbsünde, aber man sagte, durch die Taufe sei sie nu hinweggenommen und neben der Taufe sei in unsrer Natur auch noch ein Licht übrig; wenn wir dem folgten, werde uns unfehlbar die Gnade gegeben. Ja, man lehrte sogar, selbst bei den Teufeln sei die Natur rein, sie hätten nur die Gnade verloren. Wer aber sieht das nicht, daß es sich aufs härteste widerspricht, zu sagen, die Natur sei rein, und gleichzeitig zu sagen, die Natur sei durch die Sünde verdorben? Gewiß ist der Wille ein natürlich Ding, aber sie reden nicht einfach vom Willen (an sich), sondern vom Wollen des Guten; und dies nennen sie natürlich. Hier aber liegt der Irrtum. Freilich bleibt der Wille auch im Teufel, auch in den Ketzern, insofern geb ich zu, er sei natürlich. Aber dieser Wille ist nicht gut und der Verstand ist auch nicht richtig und erleuchtet. Wenn wir darum recht von den natürlichen Gaben sprechen wollen in der Weise dieses Psalms und des heiligen Geistes, dann müssen wir das natürlich nennen, daß wir in Sünden und im Tode sind, daß wir das Böse und Verdorbene wollen verstehen und darnach trachten. Nur dies stimmt mit diesem Psalm zusammen und kann aus ihm bewiesen werden …
Siehe, du hast Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt, du lässest mich wissen die heimliche Weisheit (V.8). Es gibt in der Welt auch eine politische Wahrheit in Wort und Leben. Aber dieselbe ist der Art, daß ihr viele Fehler beigemischt sind. So waren Pomponius Atticus, Aristides und Sokrates wahrhastige Menschen ohne Falsch. So gab es auch unter den Heiden viele Eheleute, die ihren Weibern die eheliche Treue herrlich gehalten haben. So findet sich auch hie und da ein ehrlicher Kaufmann. Diese politische Wahrheit will Gott auch, und die täglichen Exempel zeigen, daß er es nicht ungestraft läßt, wenn man etwas gegen diese bürgerliche Wahrheit tut. Aber wenn du auf das Urteil Gottes siehst, ist diese Wahrheit nicht rein. Es hangen ihr viele böse Laster an und Gott sucht eine viel höhere Wahrheit. Darum heißt es: du hast Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt. Als wollt er sagen: die politische Wahrheit der Welt kann man haben, die Menschen können sie auch verstehen. Darum haben Aristides und Pomponius einen guten Namen unter uns. Aber doch hören wir auch täglich Klagen über Treulosigkeit Lug und Trug, die die Menschen gegeneinander üben. Die Wahrheit aber, die Gott liebt, liegt nicht so vor Augen, sondern im Verborgenen. Darum war Mohammed, auch wenn er politisch wahrhaftig war, dennoch vor Gott ein Lügner. Darum war auch ich, wiewohl ich ein rechter Mönch ohne Falsch gewesen bin – ich stelle mich selber oft als ein Exempel hin, gleichwie auch Paulus von sich schreibt, er sei ein Pharisäer ohne Falsch gewesen (Phil. 3,8) –, dennoch vor Gott ein Lügner um des Aberglaubens und der Heuchelei willen, die ich nicht sah, die vielmehr unterm Schein der Heiligkeit verborgen war, wie auch die Wahrheit verborgen ist, bis daß die verborgene Wahrheit durch das Wort mir angezeigt und offenbart wurde …
Du lässest mich wissen die heimliche Weisheit. Übersetze du so: du lehrst mich im Dunkeln oder die verborgene Weisheit. Es ist derselbe Sinn wie im vorigen Satz. Denn Weisheit und Wahrheit sind dasselbe, gleichwie auch Paulus beide Begriffe gebraucht: die Gottes Wahrheit niederhalten mit Lügen (Röm. 1,18.25 Vulg.) und: wir reden von der heimlichen verborgenen Weisheit (1.Kor. 2,7). Dieselbe erkennt niemand, die Vernunft kann ihr nicht zustimmen und sich ihr nicht unterwerfen, wie auch Christus spricht (Mt. 11,25): du hast es den Weisen und Klugen verborgen und hast es den Unmündigen offenbart. Er spricht nicht, sie sei den Törichten und Einfältigen verborgen, sondern den Fürsten der Welt, den Allerbesten und Allerweisesten; sie verstehen nichts von dieser Weisheit. Darum ist es ganz klar, warum er Wahrheit und Weisheit verborgen nennt. Die Erfahrung lehrt es genug. Denn warum sonst verfolgen die Fürsten der Welt, Papst und Bischöfe unser Evangelium, als weil ihnen diese Lehre verborgen ist und sie sie nicht sehen noch ertragen können? … Aber warum spricht er: du lässest mich wissen die heimliche Weisheit, wo er dieselbe doch zuvor schon kannte? Da antworte ich: ein frommer Mensch empfindet immer mehr Sünde als Gnade, mehr Zorn als Gunst, mehr Gericht als Erlösung … Und je mehr er seine Schwachheit empfindet, desto fleißiger betet er. Darum geht das beständige Gebet neben dieser Weisheit her … Der fromme Mensch hat wohl angefangen fromm zu sein und hat Geschmack an dieser Lehre. Aber dieser Geschmack macht seinen Durst nur größer. Denn sein Geist ruht nicht aus bei den Erstlingen des Geistes, sondern hätte gern die Fülle, wie Paulus spricht (Phil. 3,12): ich habe es noch nicht ergriffen und bin noch nicht vollkommen, ich jage ihm aber nach, ob ichs ergreifen möchte, nachdem ich ergriffen bin. So macht es hier auch David, als wollt er sagen: ich weiß wohl, daß du diese Wahrheit liebst, die du in mir angefangen hast, aber hilf, daß ich sie fester ergreife und nicht an ihr zweifle …
Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich schneeweiß werde (V. 9). Die Summa dieses Verses ist, daß David erstlich alle gesetzlichen Reinigungen als unnütz für die Gerechtigkeit verwirft. Sodann bittet er, mit dem Wort des Glaubens vom kommenden Christus besprengt zu werden, welcher seine Kirche mit seinem Blut besprengen wird …
Hier erhebt sich aber nu die theologische Frage, wie wir denn schneeweiß“ werden können, wenn doch die Sündenreste uns immerdar anhangen. Da antworte ich, ich habe schon oft gesagt, daß man den Menschen in Geist und Fleisch teilen muß. Was nun den ganzen Menschen angeht, so bleiben an ihm die Sündenreste oder wie Paulus es nennt (2.Kor. 7,1) die Befleckungen des Geistes und des Fleisches. Die Befleckungen des Geistes bestehen im Zweifel an der Gnade, im unvollkommenen Glauben, in Murren und Ungeduld gegen Gott, in unvollkommener Erkenntnis des Willens Gottes und dergleichen. Die Befleckungen des Fleisches sind Ehebruch, Begehrlichkeit, Mord, Betrügereien und dergleichen. Aber die Befleckungen des Geistes nehmen noch zu durch die Ketzer und die Befleckungen des Fleisches durch andre Ärgernisse der Welt, so daß Geist und Leib besudelt werden. Um solcher Befleckungen willen sind wir zwar nie so rein und heilig, wie es sein sollte, dennoch aber haben wir die Taufe erhalten, die ganz rein ist, und das Wort, das ganz rein ist, und durch Wort und Taufe im Glauben auch das Blut Christi, das wahrhaftig auch ganz rein ist. Um dieser Reinheit willen, die wir im Geist und im Glauben haben von Christus und den von ihm eingesetzten Sakramenten, heißt ein Christ mit Recht schneeweiß oder reiner als Schnee, ja reiner als Sonne und Sterne. Und wenn ihm auch jene Befleckungen des Geistes und des Fleisches anhangen, so sind sie doch bedeckt von der Reinheit Christi, die wir im Hören des Worts und im Glauben erlangen …
6. Es liegt alles am Hören! (Vers 10–11)
Laß mich hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast (V. 10). Nicht ohne Grund wiederhole ich so oft, dieser Psalm enthalte nicht allein ein Exempel der Rechtfertigung in David, sondern überliefere uns die reine Lehre darüber, wie und auf welche Weise die Rechtfertigung bei allen Menschen vor sich geht. Der Psalm enthält die allgemeine Regel darüber, wie Sünder gerecht werden. Ein Stück dieser Regel haben uns die letzten beiden Verse vor Augen gestellt, in welchen alle andern Weisen, wie die Menschen sich von Sünden reinigen und mit Gott versöhnen möchten, widerlegt werden, ob es die Werke des Gesetzes oder andre selbsterwählte Werke sind. Denn Gott verlangt nicht nur anstelle der Heuchelei die verborgene Wahrheit, sondern auch eine andre Besprengung, als das Gesetz sie bietet. Damit man dies aber klarer verstehe, fügt er nu hinzu: laß mich Freude hören, als wollt er sagen: du mußt mich so besprengen, daß du mich Freude hören läßt d.h. daß ich Frieden des Herzens habe durch das Wort der Gnade. Es liegt ein Nachdruck auf dem Wort ‚hören‘ … Dasselbe meint einfach: die Vergebung der Sünden, welche allein Freude bringt, geschieht allein durch das Wort oder allein durch das Hören. Denn wenn du dich auch bis zum Tod plagtest und Blut vergössest, wenn du auch alles Menschenmögliche mit freudigster Bereitschaft auf dich nähmest und ertrügest, so würde es dir doch nichts nützen, weil allein das Hören Freude bringt. Alles andre läßt die Seelen im Zweifel …
Dieser Vers ist auch ein herrliches Zeugnis für das Predigtamt und das mündliche Wort. Denn indem er bittet, ihn Freude hören zu lassen, zeigt er deutlich an, daß das Wort zur Tröstung der Geister notwendig ist, ob dasselbe nu durch einen Bruder gesagt wird oder ob der Geist uns an das schon einmal gehörte Wort erinnert. Darum streitet dieser Vers erstlich gegen alle die, die das äußerliche Wort hassen oder verachten und sich von ihren eigenen faulen und leeren Spekulationen Hinreißen lassen. Sodann streitet es auch gegen die, die in der Drangsal ihrer Ängste das Wort nicht annehmen wollen, sondern entweder ungläubig sind oder vom Wort zu den Werken fliehen gleichwie jene andern zu ihren eigenen Gedanken. Nach beiden Seiten gehst du in die Irre, mit Denken und mit Tun; nur auf eine Weise irrst du nicht: wenn du hörst! …
Im Hebräischen heißt es: die Gebeine sollen fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Da erhebt sich nu die schwere Frage, warum die Propheten so ausdrücklich davon reden, daß auch die Übel von Gott selber kommen, da doch Gott kein Übel tut, sondern es (höchstens) wie ein Werkzeug benützt. Auch in Hiob (2,3) spricht der Herr zum Teufel: du hast mich bewogen, daß ich ihn (d.h. Hiob) ohne Ursache verderbt habe. Dabei zeigt die Historie doch deutlich an, daß der Teufel sein Haus anzündete, seine Kinder tötete und ihm Verzweiflung und Murren gegen Gott eingeflüstert hatte … Hierzu wollen wir antworten: die Ursache hiervon ist, daß wir bei dem Artikel unsers Glaubens bleiben sollen, daß nur ein einziger Gott ist, und uns nicht in der Manichäer Weise mehrere Götter machen sollen. Dieselben stellten nämlich zwei Prinzipien auf, ein gutes und ein böses. In allem Guten gingen sie auf den guten Gott, in allem Übel auf den bösen Gott zurück. Gott aber will, daß wir in Glück und Unglück allein zu ihm unsre Zuflucht nehmen; er will nicht, daß wir bei den Leuten sind, von denen Jes. (9,12) geschrieben steht: das Volk kehrt sich nicht zu dem, der es schlägt. Denn so pflegen wir von Natur zu tun, in plötzlichen Schrecken und Nöten kehren wir uns vom wahren Gott ab und meinen, er sei zornig, wie Hiob tat (30,21), indem er (zu Gott) sprach: du bist mir verwandelt in einen Grausamen. Dies aber heißt sich einen fremden Gott erdichten und nicht in der Einfalt des Glaubens bleiben, daß nur ein Gott ist. Gott ist auch nicht grausam, sondern der Vater unsers Herrn Jesus Christ und der Gott alles Trostes (2.Kor. 1,3). Weil er aber mit seiner Hilfe verzieht, so macht unser Herz aus dem beständigen und allzeit sich selbst gleichen Gott ein zorniges Götzenbild. Dies wollen die Propheten verhindern und sprechen daher wie mit einem Mund: ich bin der Herr, der ich schaffe Gutes und Übel (vgl. Jes. 45,7).
Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden und tilge alle meine Missetat (V. 11). Denn wenn der Geist ganz vom Empfinden der Sünde erfüllt ist, dann haben auch die Gerechten nicht genug Frieden, sondern, wenn sie auch Freude und Wonne hören, so ist doch Schmerz beigemischt, so daß sie nicht soviel Freude hören können, daß es genug wäre. Sie haben wohl die Erstlinge und gleichsam ein Tröpflein am Äußersten ihres Fingers, mit dem sie ihr Her; erfrischen können, aber die Fülle der Freude haben sie nicht. Sie hängen gleichsam an einem dünnen Faden und bedürften doch eines sehr dicken Seiles, um die Last ihres Leibes zu tragen. Desgleichen fangen auch die Heiligen erst an, Freude und Wonne zu hören, sie haben sie noch nicht ausgeschöpft und sind nicht trunken von ihr. Darum bittet David in diesem Vers um Mehrung des Hörens und völligeres Hören, damit das Herz von der Erkenntnis der Barmherzigkeit so erfüllt werde, daß ferner nichts mehr es verwirren kann. Solch Gebet brauchen auch wir unser Leben lang, damit die Kenntnis der Barmherzigkeit und das Vertrauen zu ihr von Tag zu Tag wachse, wie Petrus spricht: wachset in der Gnade und Erkenntnis unsers Herrn und Heilands Jesu Christi (2.Petr. 3,18) …
7. Die drei Geistesgaben: der gerade, heilige und freudige Geist (Vers 12–14)
Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist (V. 12). Nu haben wir den wichtigsten Teil des Psalms geschafft, in welchem die Hauptpunkte unsrer Religion behandelt sind, was Buße Sünde Gnade Rechtfertigung und welches die Ursachen der Rechtfertigung seien. Was nu noch folgt, betrifft m.E. die Gaben des Geistes, die der Vergebung der Sünden folgen. Diese Unterscheidung zwischen Gnade und Gabe stammt von Paulus. Die Gnade bedeutet die Gunst Gottes, mit der er uns umfängt, indem er die Sünden vergibt und umsonst durch Christus rechtfertigt … Die Gabe oder die Gnadengaben werden von Gott, wenn er bereits durch Christus versöhnt ist, den Gläubigen nach der Vergebung der Sünden gegeben. Auf diese Gnadengaben beziehen sich m.E. die nächsten drei Verse. Meiner Meinung nach gehören sie zusammen; denn der Begriff des Geistes kommt darin dreimal vor: der aufrechte, der heilige, der fürstliche Geist … Darum spricht er auch: schaffe in mir, Gott, ein rein Herz. Denn damit meint er nicht ein Werk eines Augenblicks, sondern die Fortsetzung des (von Gott) begonnenen Werks, als wollt er sagen: du hast dein Werk in mir angefangen, denn ich traue deiner Barmherzigkeit; darum führe nun hinaus, was du begonnen hast; befestige, Gott, was du in mir gewirkt hast. Denn nicht wer angefangen hat, sondern wer beharret bis ans Ende, der wird selig (Mt. 10,22).
Unsre Sophisten befinden sich in dem Irrtum, daß sie träumen, es sei genug, einmal angefangen zu haben. Denn sie lehren, die Gnade sei eine im Herzen liegende Qualität, gleich als wenn jemand einen Edelstein in seinem Herzen ver. schloffen hielte; wer denselben habe, der werde von Gott (wohl) angesehen, wenn er mit seinem freien Willen mitwirke. Desgleichen sagen sie: wer die erste Gnade habe, auch wenn sie kaum ein Fünklein groß wäre, der werde selig. Wir aber lehren und glauben von der Gnade ganz anders, daß sie nämlich ein beständig währendes Tun oder eine Übung sei, in welcher wir durch Gottes Geist gezogen und getrieben werden, damit wir seinen Verheißungen nicht ungläubig gegenüberstehen, sondern denken und tun, was Gott angenehm ist und ihm gefällt. Denn der Geist ist ein lebendig, kein tot Ding. Gleichwie aber das Leben niemals stille steht, sondern, solang es da ist, immer etwas tut – selbst im Schlaf ruht es nicht, sondern fördert das Wachstum der Leiber wie bei den Kindern oder es macht sich in andern Lebensregungen wie Atem und Puls bemerkbar – gleichermaßen ruht in den Frommen auch der heilige Geist niemals, sondern tut immer irgendetwas für das Reich Gottes. Darum vermahne ich euch, daß ihr euch gewöhnt, diese theologischen Begriffe recht zu verstehen. Und wenn ihr das Wörtlein ‚schaffen‘ hört, so denket nicht an das Werk eines einzigen Augenblicks, sondern an die beständige Lenkung Erhaltung und Mehrung geistlicher Handlungen im gläubigen Herzen.
Man muß aber auch die Antithese beachten, die der Prophet anzeigt, wenn er um ein reines Herz bittet. Dabei sieht er mit kritischen Augen auf die Larve der Werkheiligen, als wollt er sagen: ich sehe wohl allerlei Waschungen in den Heiligtümern und im Tempel, auch zuhause, Kleider Wände Leiber werden abgewaschen, wo aber bleibt die Reinigung des Herzens? Die Herzen sind befleckt mit Götzendienst, falscher Meinung von Gott, Begehrlichkeit und andern Lastern, die alle dann entstehen, wenn man die gesunde Erkenntnis Gottes nicht hat. Darnach aber fragen all diese guten Bader nichts, sondern sorgen sich nur darum, Leiber und Kleider weiß zu machen. Aber du, o Gott, reinige mein Herz, daß ich deinen Willen erkenne, wie er wirklich ist, nämlich als gut und gnädig, und nicht durch schwärmerische Gedanken zu gottlosen Meinungen verführt werde …
Es steht aber nicht in unsrer Gewalt, solch Her; zu bekommen, sondern ist allein göttliche Schöpfung. Darum hat der Geist das Wort ‚schaffen‘ gebraucht. Denn was die Scholastiker von der Reinigung des Herzens geschwatzt haben, sind leere Träume. Gleichwie nun aber solch reines Herz nicht in unsern Kräften steht, sondern göttliche Schöpfung ist, so können wir diese Schöpfung auch nicht gegen den Teufel erhalten. Wir erfahren ja, wie oft wir durch plötzliche Ängste und Traurigkeit befleckt werden. Darum kann solch Gebet um Schaffung und Erhaltung des reinen Herzens niemals aufhören.
Wenn es nu weiter heißt ‚und erneure einen aufrechten Geist in mir‘ (V. 12 Vulg.), so ist damit dasselbe gemeint als mit dem reinen Herzen. Bei uns Deutschen bedeutet das Wort ‚Herz‘ auch fast dasselbe als bei den Hebräern ,Geist‘. Denn die lateinischen Worte ‚anima, intellectus, voluntas, affectus‘ kann man fast alle mit dem deutschen Wort ‚Herz‘ übersetzen. Das Beiwort aber, das hier dem Geist gegeben ist, hebräisch ‚nechon‘, bedeutet eigentlich stabil solide völlig fest gewiß unzweifelhaft. Wir haben viel darüber nachgedacht und sind schließlich dran verzweifelt, dies Wort gut deutsch wiederzugeben. Auf jeden Fall wird es immer zweifelhaften und wandelbaren Meinungen entgegengesetzt. Es ist also recht eigentlich ein gewisser gerader Geist, der das Herz gegen alle Zweifel und Meinungsverschiedenheiten, auch gegen die Einflüsterungen des Teufels fest macht, sodaß wir uns nicht in dem Glauben irre machen lasten, daß Gott barmherzig und gnädig ist …
Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir (V. 13). Hieran erkenne die schöne Demut (Davids): ängstlich fürchtet er sich vor den Gefahren, die denen drohen, welche gerechtfertigt sind und Vergebung der Sünden haben. Ohne den heiligen Geist könnte er nicht so beten. Grade wer den heiligen Geist hat, der bittet und seufzt darum, daß er nicht verworfen und verlassen werde, nicht wiederum sündige und falle. Als wollt er sagen: ich habe noch Fleisch an mir, welches wider den Geist streitet, darum hilf mir und erhalte mich, daß ich nicht wieder sündige, wie ich zuvor gesündigt habe, als ich von dir verlassen war. Verwirf mich nicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir d. h. gib mir Beharrlichkeit, daß auch mein Leib geheiligt werde. Denn gleichwie er zuvor um den gewissen Geist gebeten hat d. h., wie Paulus es nennt (Kol. 2,2), um die Fülle der vollen Erkenntnis von der Barmherzigkeit Gottes, so bittet er jetzt, daß der heilige Geist nicht von ihm genommen und er nicht verworfen werde, was ich auf die Heiligung des Fleisches und die Ertötung (desselben) oder den neuen Gehorsam beziehe …
Gib mir wieder die Heilsfreude und mit einem fürstlichen Geist rüste mich aus (V. 14 Vulg.). Dies ist nu die dritte Gabe des heiligen Geistes, um die er bittet. Der Prophet hält dabei eine schöne Ordnung, als wollt er sagen: ich bin nu gerecht durch Gottes Gnade, denn ich bin der Vergebung der Sünden gewiß, sodann bin ich auch geheiligt, denn ich wandle in Gehorsam und der Ehrfurcht vor den Geboten des Herrn und diese Gabe des Geistes nimmt täglich zu, nu fehlt noch das Dritte: der hohe und starke Mut, der solchen Rechtfertiger und Heiliger vor der Welt bekennt und sich durch keinerlei Gefahren von solchem Bekenntnis abhalten läßt. Darum haben wir im Deutschen diesen Vers so wiedergegeben, daß er um einen freudigen, alle Gefahren verachtenden Geist bittet. Denn Freude meint hier ganz besonders Beständigkeit oder Unerschrockenheit, welche weder Welt noch Tod noch Teufel fürchtet … Wenn er aber spricht: gib mir wieder die Freude, so zeigt das an, daß er von allerlei Gefahren schier gebrochen ist. Darum bittet er, daß ihm die Freude wiedergegeben werde. Er bittet aber um eine Heilsfreude d.h. darum, daß Gott seinen Mut so stärken wolle, daß er nicht mehr daran zweifle, Gott wolle ihm in den Gefahren, die das Bekenntnis mit sich bringt, beistehen und helfen … Denn Christus will ja in der Welt nicht verborgen, sondern gepredigt sein; das Evangelium will nicht innerhalb der Wände bleiben, sondern auf die Dächer (Mt. 10,27), es will leuchten in der Welt wie eine Fackel auf einem hohen Berg oder Turm. Wenn dies aber geschieht, so ist alsbald allerlei Gefahr vorhanden und hangen wir, wie man im deutschen Sprichwort sagt, in Wahrheit zwischen Tür und Angel. Da kann uns sonst nichts trösten als die Verheißung Gottes, daß er uns nicht verlassen wolle … Was aber nu das Beiwort ‚nadib‘ angeht, so bedeutet es den Fürsten. Darum hat die Vulgata übersetzt: mit einem fürstlichen Geist. Aber ‚nedaba‘ kommt ohne Zweifel von dem Zeitwort ‚nadab‘ und bedeutet einen Menschen, welcher freiwillig, aus freien Stücken, von sich aus und in einem hochgemuten Sinn etwas angreift. Ein solcher Geist aber ist eine Gabe Gottes, mit der er unsern Geist erfüllt, damit Teufel und Welt uns nicht mehr schrecken können; ein solcher Geist greift ein Ding an nicht unter Gesetzeszwang, sondern gern und bereitwillig. Man kann es freilich auch in passivem Sinn übersetzen; großzügiger Geist, weil er nämlich rein aus Gnaden geschenkt worden ist.
So legt also der Prophet in diesen drei Versen die Gaben aus, die den Gerechtfertigten durch Glauben Gerechtfertigten geschenkt werden. Die erste ist der Freimut oder die gewisse Zuversicht der Barmherzigkeit Gottes. Die zweite ist die Heiligung, durch die der alte Mensch mit seinen Leidenschaften getötet wird und der neue aufersteht in neuem und heiligem Gehorsam. Die dritte ist das freie Bekenntnis, durch das alles, was dieser gesunden Lehre nicht weichen will, ohne Unter-schied verdammt wird, auch Kaiser Fürsten Päpste samt der ganzen Welt …
8. Das gute Werk des Gerechtfertigten: die Verkündigung (Vers 15–17)
Ich will die Übertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren (V. 15). Hier erst beginnt der Prophet, von seinen Werken zu reden, nachdem zuvor die Person gerechtfertigt und durch den heiligen Geist geheiligt war. Der Baum muß ja vor der Frucht vorhanden sein, wie auch Christus spricht (Mt. 12,33): setzt entweder einen guten Baum, so wird die Frucht gut, (oder setzt einen faulen Baum, so wird die Frucht faul). Als wollt er sagen: man müht sich vergeblich um die Frucht, wenn nicht zuvor der Baum gut ist … Unsre Widersacher aber behalten trotz Kuttentragen Fasten Beten und Wachen die alte Gottlosigkeit ihres Herzens bei, gleichwie Horaz sagt: die übers Meer fahren, wechseln zwar das Klima, aber nicht ihren Sinn. So wandeln auch diese Kleider Sprache und Übungen, aber ihr Sinn bleibt derselbe. In der Theologie aber geht es zuallererst darum, daß der Mensch gut werde durch die Wiedergeburt des Geistes, der ein gewisser und heiliger und hochgemuter Geist ist. Darnach erwachsen daraus gleichwie aus einem guten Baum auch gute Früchte. … Diese Werke (oder Früchte) sind aber nu nicht solche, wie sie das Papsttum geraten hat, nämlich Wallfahrten oder Eintritt in Klöster – denselben haben sie Christus zu höchster Schande eine zweite Taufe genannt –, sondern sie bestehen darin, daß man diesem gnädigen und barmherzigen Gott Dank sagt, seine Gaben preist und auch andre Leute zu solcher Gnade unterweist … Dies sind die vornehmsten Werke, welche beweisen, daß aus einem unfruchtbaren ein fruchtbarer, aus einem dürren ein vollsaftiger und blühender Baum geworden ist …
Es liegt aber ein Nachdruck auf dem Fürwort ‚deine‘ (ich will die Übertreter ‚deine‘ Wege lehren). Damit will er sagen: die Sünder haben schon auch ihre Wege und gefallen sich wohl auf denselben, aber es sind nicht die Wege des Herrn, sondern Menschenwege, auf denen sie nicht selig werden können; darum will ich sie deine Wege lehren. Damit zeigt er wieder auf die Gefahr hin, die solcher Lehrer wartet. Denn die Welt will ihre Wege nicht als Irrwege verdammt haben, sondern verteidigt sie als rechte Wege. Wer darum Gottes Mönch werden will und nicht des Papstes, wer die härteste Regel auf sich nehmen und Gott wirklich ein Opfer bringen will, der treibe nur dies, daß er die Sünder Gottes Wege lehrt. Dann wird ihm widerfahren, daß er nicht allein den Teufel mit seiner Hölle und die Welt mit ihren Heiligen gegen sich aufreizt, sondern auch oftmals wider sich selbst reden muß. So wird er durch Erfahrung lernen, welches wahrhaft gute Werke sind. Darum spricht Christus auch (Lk. 8,15): er wird Frucht bringen in Geduld …
Er setzt aber noch hinzu: daß sich die Sünder zu dir bekehren. Hier wird die Ursache angezeigt, deretwegen solch Werk fromm und köstlich in Gottes Augen ist. Die erste Ursache war, daß es voller Gefahr ist und nur von Herzen ausgerichtet werden kann, die zuvor mit einem beständigen und tapferen Geist ausgerüstet worden sind. Die zweite Ursache aber ist eben diese, daß solch Werk die allerschönste Frucht bringt. Wie sehr darum auch die Gefahren abschrecken mögen, so muß doch der Nutzen (oder die Frucht) dazu reizen; denn es ist unmöglich, daß Gottes Wort ohne Frucht gepredigt werde. Und wenn sich auch nicht alle Sünder bekehren, so doch etliche, die aus Sündern Gläubige und selig werden. Denn der Erfolg des Predigtamts steht nicht in Menschen –, sondern in Gottes Hand, wie Salomo spricht (Spr. 20,12): ein hörend Ohr und ein sehend Auge, die macht beide der Herr d.h. beides ist Gottes Geschenk: etliche müssen sein, die da gesund lehren, und etliche, die solchen Lehrern folgen. Darum spricht David: ich will tun, was ich kann, ich will die Übertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren d.h. ich will lehren, wie sich die Sünder bekehren sollen, den Erfolg aber will ich Gott befehlen; denn daß etliche sich bekehren, ist gewiß …
Errette mich von den Blutschulden, Gott, der du mein Gott und Heiland bist, daß meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme (V. 16). Durchbricht der Prophet hier nicht seine Ordnung, wenn er hier aufs neue um das bittet, was er doch schon erlangt hat? Antwort. Er hat bekannt, er wolle die Sünder die Wege Gottes lehren. Nun ist es aber nicht allein schwer, sondern bringt auch Schmach und Schande ein, wenn man andre Leute lehrt und dabei den Vorwurf aushalten muß, man habe selbst öffentlich gesündigt, wie es denn im Sprichwort heißt: Dem Lehrer steht es übel an, zu strafen, was er selbst getan. Gleichwie nu David zuvor Vergebung seiner Sünden vor Gott erbeten und erlangt hat, so bittet er nu hier um die Vergebung seiner Sünden vor der Kirche: die Kirche soll es wissen, daß ihm vor Gott verziehen ist, aus daß seine Lehre nicht gehindert sei. Darum haben wir Sakramente und gebrauchen sie auch dazu, damit die ganze Kirche wisse, daß wir unsre Sünde erkennen und glauben, daß sie uns um Christi willen vergeben ist. Darum verstehe ich, ohne andrer Leute Urteil ablehnen zu wollen, diesen Vers von der äußerlichen Absolution vor der Kirche, so daß also Gott die ‚Blutschulden‘ d.h. die Schuld so hinwegnimmt, daß sie denen kein Ärgernis mehr gibt, deren Ohren und Augen an Davids Sünden Anstoß genommen hatten. Denn wer sollte nicht verstehen, wie schändlich es für einen Lehrer ist, wenn er des Ehebruchs und Mordes schuldig ist? …
Daß meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme (V. 16). Dies betrifft nu die Predigt des Worts, als wollt er sagen: nachdem ich nu vor dir und vor der Welt Verzeihung erlangt habe und gerechtfertigt bin, kann meine Zunge rühmen d.h. mit Freuden deine Gerechtigkeit verkündigen und predigen, d.h. die Gnade, mit der du Sünden verzeihst und dich erbarmst …
Herr, tue meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige (V. 17). Es gibt freilich mancherlei Anlässe, die die Lippen verschließen: manchmal Furcht vor Gefahren, manchmal Hoffnung auf Gewinn, oft versucht der Teufel auch, durch Ratschläge guter Freunde solch (Lob-)Opfer zu verhindern, wie ich selbst oftmals erfahren habe. Dennoch hat mir in allen großen Sachen, da es um Gottes Ehre ging, Gott beigestanden und mir Mund und Lippen aufgetan allen Hindernissen zutrotz. Er spricht demnach hier vom öffentlichen Predigtamt. Denn im Winkel sitzen und andrer Leute Taten kritisieren ist weibisch. Aber im Senat und auf den Versammlungen der Fürsten freimütig seine Meinung sagen, das wäre nützlich und nötig. Und dennoch wagens nur die Wenigsten. Noch größer und schwerer aber ist es, von heiligen Dingen reden und lehren vor dem Angesicht Gottes und der Engel und gegen den Willen nicht allein von Fürsten und Königen, sondern auch des Teufels und aller Welt. Hier ist die Gefahr noch größer als im Staatsleben, wiewohl auch dort ein hochgemuter Geist vonnöten ist. Hier aber ist Gottes Geist und Finger vonnöten, damit die Lippen sich öffnen und der Mund aufgehe zum Lob Gottes.
9. Rechtes und falsches Opfer (Vers 18–21)
Denn du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollt dir es sonst wohl geben (V. 18). Dies ist der Grund, dessetwegen er Gottes Lob verkündigen will: weil Opfer Gott nicht gefallen. Aber ist dies nicht eine ketzerische Rede, zu einer Zeit, da das Gesetz und der ganze Kultus noch im Schwang war: du willst keine Opfer, Brandopfer gefallen dir nicht? Ich habe mich oft über die Kühnheit der Propheten gewundert, daß sie dem Gesetz Mose’s und dem Ritus ihres Volkes zutrotz so verächtlich von den Opfern geredet haben … Aber diese Predigten der Propheten sind freilich nicht so zu verstehen, als verdammten sie Opfer und Zeremonien überhaupt. Denn die Propheten sehen dabei vor allem auf die Meinung, in der solche Zeremonien von den Gottlosen gehalten werden. Denn der Zweck der Opfer und Zeremonien des Gesetzes war gar nicht der, daß man durch dieselben gerechtfertigt werde und Gott gefalle … Solche Zweckbestimmung ist vielmehr vom Teufel. Gleichermaßen verdammen auch wir die Messen der Widersacher nicht darum, weil etwa der Brauch des Abendmahls überhaupt böse wäre. Wir üben es ja selbst. Aber weil sie die gottlose Meinung vom Vollzug an sich, von der Verwendung derselben für Lebende und Tote hinzufügen, (darum verdammen wir sie). So halten wir auch bei der Taufe vom Vollzug an sich gar nichts, sondern sagen: zum Empfang der Gnade, die in der Taufe uns angeboten wird, ist Glaube vonnöten … Darum muß man den Grund beachten, dessetwegen David die Opfer verdammt, wenn sie nämlich den Zweck haben sollen, an die Stelle der Rechtfertigung zu treten …
Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten (V. 19). Diesen Spruch sollt man mit goldenen Buchstaben schreiben. Denn hieraus siehst du, welch Opfer er den Opfern des Gesetzes und aller Welt entgegenstellt. Weil aber zum Opfer ein Priester gehört, so ist hier der ganze Opferdienst des Gesetzes verworfen und ein neues Priestertum mit neuen Opfern gestiftet. Darum wollen wir zuerst zweierlei Opfer unterscheiden, eines, welches er verwirft, und eines, welches er billigt. Das Opfer, das er verwirft, ist das Opfer von Brandopfern und andern im Gesetz eingerichteten Opfern. Das Opfer aber, das er billigt, ist die Darbringung nicht von Tieren, sondern von geängsteten und zerschlagenen Herzen. Diese Unterscheidung wollen wir zuallererst festhalten und glauben, daß sie nicht von David, sondern vom heiligen Geist selber kommt …
Zum zweiten wird hier nicht allein diese den Juden unerträgliche Unterscheidung von (zweierlei) Priestertum und Opfer mitgeteilt, sondern auch eine Beschreibung Gottes gegeben, wie sie lieblicher und freundlicher nicht zu finden ist … nämlich nicht eine Beschreibung des unbegreiflichen göttlichen Wesens, sondern eine theologische Definition seines Willens und Gemüts und dessen, was ihm gefällt und nicht gefällt. Man kennt ja auch einen Fürsten nicht dann, wenn man seine Macht und Schätze kennt, sondern erst dann, wenn man seine Meinung und all seinen Rat kennt. So steht uns die Schöpfung der Welt und Gottes Macht zwar wohl vor Augen. Aber das Wesentliche ist, wenn man weiß, wozu und in welcher Meinung Gott all dies geschaffen hat. Eben diese Erkenntnis aber teilt uns dieser Psalmvers in einzigartig schöner Weise mit, (indem er spricht:) Gott ist ein solcher Gott, der endlich und eigentlich nichts andres tut, als daß er zerschlagene heim gesuchte und verstörte Leute ansieht und liebt und also ein Gott der Geängsteten und Zerschlagenen ist. Wenn einer diese Definition in seinem Geist fassen könnte, wäre er ein rechter Theologe. Denn in seiner Majestät und Macht kann man Gott nicht begreifen. Darum macht uns nur diese Definition den Willen Gottes kund … Aber diese Theologie muß man durch Erfahrung lernen. Ohne Erfahrung kann man nicht verstehen, woher die Armen im Geist wissen sollten, daß sie dann in Gnaden sind, wenn sie den Zorn Gottes am meisten empfinden, und wie man in der Verzweiflung die Hoffnung auf Barmherzigkeit und in der Sicherheit die Gottesfurcht festhalten kann, wie an andrer Stelle geschrieben steht (Ps. 147,11): der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen. Denn nach diesem Vers ist Gott wesentlich nichts andres als Gnade und Gunst, aber nur gegen Geängstete und Angefochtene …
Tue wohl an Zion nach deiner Gnade, baue die Mauern zu Jerusalem (V. 20). Nu geht der Prophet von der Lehre über zum Gebet, als wollt er sagen: bisher hab ich die Weise der Rechtfertigung angezeigt oder welches die Art rechter Buße und Vergebung der Sünden ist. Nu bleibt nichts mehr übrig, als daß wir bitten, daß solche Erkenntnis in allem Volk ausgebreitet und geübt werde … Man soll dabei nicht denken, er bete für den zeitlichen Tempel. Derselbe stand nämlich dazumal noch in Blüte zu Jerusalem, welches reichlich versehen war sowohl mit Gesetzen als auch den besten Fürsten. Dennoch betet David, daß seine Mauern gebaut werden mögen, aber nicht von Baumeistern, welche (irdisches) Material, Steine Holz und Kalk, verwenden, sondern vom Herrn. Die Mauern Jerusalems standen, dennoch betet er, daß sie mögen gebaut werden. Also redet er vom allegorischen Jerusalem und versteht, wenn er die Stadt nennt, darunter das Volk Gottes oder die Kirche in dieser Stadt und dem ganzen Reich: gleichwie die Stadt durch ihre Mauern gegen den Angriff der Feinde genugsam geschützt ist, so soll sie nu auch geistlich geschützt sein gegen die Gewalt des Teufels und geistliche Anschläge …
Dann werden dir gefallen die Opfer der Gerechtigkeit, die Brandopfer und ganzen Opfer, dann wird man Farren auf deinem Altar opfern (V. 21). D.h. dann wollen wir die Opfer loben, die wir zuvor verdammt haben, und sie werden dir gefallen. Opfer kann man hier ganz allgemein verstehen, sowohl im Sinne von Opfern, die nach dem Gesetz geschehen, wie auch im Sinne von geistlichen Opfern; beides sind dann Opfer der Gerechtigkeit. Denn es ist alles an Gottes Güte und der göttlichen Wohltat gelegen. Vertrauen die Menschen auf die Barmherzigkeit Gottes, so gefällt es Gott wohl, wenn ihm ein Ochse geopfert wird, und ist er ein Opfer der Gerechtigkeit. Ist der Ochse aber nicht vorhanden, so gefällt ihm auch das Opfer der Lippen, von dem Hosea (14,5) spricht … Der Prophet spricht also von einem zwiefachen Opfer. Das erste ist das zerschlagene Herz und der geängstete Geist, die im Streit liegen mit den Gedanken an Gottes Zorn und Gericht. Hierbei siehe zu, daß du nicht verzweifelst, sondern vertraust und wider Hoffnung hoffst … Das ist das erste und das beste Opfer. Dann aber, wenn du Gott als solchen Rechtfertiger der Sünder erkannt hast, kannst du ihm ein Deo gratias singen und auch das andre Opfer bringen, ein Opfer der Vergeltung und Dankbarkeit für die empfangene Gabe. Solch Opfer ist kein Verdienst, sondern ein dankbares Bezeugen der Gnade, die Gott dir aus reiner Barmherzigkeit erwiesen hat …
Auszüge aus der 1538 von Veit Dietrich herausgegebenen Vorlesung. (WA 40 II, 315-470)
Quelle: D Martin Luthers Psalmen-Auslegung, 2. Band: Psalmen 26-90, hrsg. v. Erwin Mühlhaupt, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1962, 203-225.