Dorothy L. Sayers, Könige in Judäa. Ein Hörspiel um das Kind in der Krippe (1941): „MELCHIOR: Herrscher sind wir. Wir wissen, dass der Menschheit eine gute Regierung am meisten nottut, eine Regierung, die Ordnung bringt und Freiheit ge­währt. Dies aber ist die Frage, die uns quält: Werden Macht und Liebe endlich zusammen wohnen können, wenn das verheißene Königreich kommt?“

Könige in Judäa. Ein Hörspiel um das Kind in der Krippe

Von Dorothy L. Sayers

1941, also mitten im zweiten Weltkrieg hatte die BBC Dorothy L. Sayers gebeten, eine zwölfteilige Hörspielfolge über das Leben Jesu zu schreiben („The Man Born to Be King“). Hier die erste Folge zur Geburt Jesu auf Deutsch:

Personen:

EPHRAIM: Er ist, denke ich, in den Sechzigern und war die letzten 45 Jahre vollauf von dem Bemühen in Atem gehalten, seinen Kopf auf den Schultern zu behalten, keine ganz einfache Aufgabe an einem Königs­hof, an dem niemand in größerer Gefahr für Leib und Leben war als der Günstling von Gestern und jeder ständig beschäftigt, gegen jeden zu intrigieren… Die Erfahrung eines langen Lebens hat nicht ausgereicht, ihn begreifen zu lassen, daß man mit Herodes am besten fährt, wenn man ihm gegenüber Rückgrat zeigt.

PROCLUS: Er ist erst 28, aber ein hartes Leben und anerzogene Diszi­plin lassen ihn reifer wirken. Er ist ein Römer, der in Judäa als Haupt­mann in Herodes Leibgarde Dienst genommen hat. In seiner geistigen Haltung ist er durch und durch Rö­mer mit all der überlegenen Verach­tung des Hauptstädters für den Pro­vinzler, des Europäers für den Orientalen. Er hegt nicht die gering­ste Furcht vor Herodes und kommt daher ausgezeichnet mit ihm aus.

DER PAGE: Ein junger Sklave, etwa 13 Jahre alt, ist das übliche Stückchen lästiger Verzogenheit, wie sie an orientalischen Höfen großgefüttert werden. Er ist wahr­scheinlich griechischer oder levanti­nischer Herkunft, ein hübscher Ben­gel, naseweis und bis zur Verdor­benheit verwöhnt.

DIE WEISEN AUS DEM MOR­GENLANDE: Der Überlieferung nach – nicht nach der Bibel – werden die Weisen als Könige dargestellt, welche die drei menschlichen Ras­sen, die Kinder Sems, Hams und Japhets (Asien, Afrika und Europa), symbolisieren.

KASPAR: (der Asiate) Ist ein alter Mann, ein Gelehrter, dessen stille Würde ihn ein wenig versponnen und dem lauten Weltgetriebe fern­stehend erscheinen läßt. Er verkör­pert die Weisheit des Verstandes.

MELCHIOR: (der Europäer) Ist ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Er interessiert sich für die praktische Seite des Lebens, und wenn er die Sterne befragt, geht es ihm darum, herauszufinden, wie er handeln soll. Seine Weisheit ist die Weis­heit des Instinktes.

BALTHASAR: (der Afrikaner) Ist noch ein junger Mann. Er hat eine mystische Veranlagung und sucht, die Beziehungen zwischen Mensch und Mensch und zwi­schen Mensch und Gott zu er­gründen. Seine Weisheit ist die Weisheit des Herzens. Die Rollen der drei Könige sind so geformt, daß die Verschiedenartigkeit ihres Wesens klar zutagetritt, und sie müssen entsprechend aufgefaßt werden. Das Reich, das sie ver­künden, ist nicht von dieser Welt, und ich habe versucht, das anzu­deuten, indem ich sie mit einer märchenhaft anmutenden Atmos­phäre umgab (in ihren Träumen usw.) und sie so in deutlichen Ge­gensatz zu des Herodes sehr erd­gebundenem und wirklichkeitsna­hen Königtum brachte.

HERODES: Wir müssen uns frei­machen von der Vorstellung eines halbwahnsinnigen Ungeheuers, jenes „Über-Herodes“, „der auf dem Markt und auf den Gassen rast“, des Urbildes eines grausa­men Wüterichs, wie es durch die Überlieferung allmählich entstan­den ist. Dieser Mann wurde nicht umsonst der „Große“ genannt. Er ist schon 70 Jahre alt und siecht an einem scheußlichen Leiden un­ter gewaltigen Schmerzen lang­sam dahin; ein menschliches Wrack, aber das Wrack eines wirklich großen Mannes. Alles, was er von sich selber sagt, ent­spricht der Wahrheit. Er hat Judäa wirklich 30 Jahre lang den Frie­den gewahrt, nachdem das Land durch Glaubensstreitigkeiten zer­rissen und verheert worden war, und er hat es wirklich als blühen­des Land hinterlassen. Er ist wirk­lich verraten worden von allen, die er liebte, und seine Neffen ha­ben tatsächlich versucht, ihn zu vergiften. Er war ein glänzender Soldat und Politiker und sicher­lich nicht grausamer und barbari­scher als andere orientalische Für­sten seiner Zeit. Auch hat er nie aufgehört, unter dem Bewußtsein zu leiden, daß die strenggläubigen Juden ihn verachteten, weil er ein Edomit (ein Nachkomme des Esau) war und kein wirklicher Is­raelit aus Jakobs Geschlecht. Mit der jüdischen Religion nahm er es leicht und erlaubte, daß in den Randprovinzen heidnische Tem­pel gebaut wurden; allerdings er­richtete er in Jerusalem den großen Tempel und stattete ihn prächtig aus. Der römische Adler, den er daran anbringen ließ, er­füllte die Pharisäer mit Zorn, weil er anzudeuten schien, daß die jü­dische Religion dem römischen Staat unterstand. Über Herodes persönlichen Mut und seinen Sinn für Humor sind allerhand Anek­doten überliefert. Er war schlau, falsch, mißtrauisch und unbe­herrscht, aber in seiner Art genial. Der Kaiser wußte, daß Herodes der einzige war, dem man zutrau­en konnte, in Judäa Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten; und Herodes wußte, daß, wenn diese nicht aufrechterhalten würde, Ju­däa sein letztes bißchen Unabhän­gigkeit verlor. Im Augenblick, wo Herodes starb, geschah dies denn auch und Judäa wurde einem rö­mischen Gouverneur unterstellt. So war denn seine Sorge wegen des Auftretens eines jüdischen Messias und alles, was er unter­nahm, diese Gefahr abzuwenden, vom politischen Standpunkt völlig gerechtfertigt.

ELPIS: Ist Herodes achte Frau – ei­ne junge Frau, die mit einem alten Mann verheiratet ist und deren of­fizielle Funktion hauptsächlich im Beruhigen besteht.

ZORASTES: Diesen armseligen Wahrsager genauer zu charakteri­sieren, war kein Raum. So zeich­net ihn denn vor allem ein ängstli­ches Bestreben, nicht anzustoßen, aus und eine starkentwickelte Nei­gung, die Verantwortung auf je­mand anderen abzuschieben.

DER HOHEPRIESTER: Er ist eine Marionette von Herodes und ent­schlossen, sich seine Stellung un­ter allen Umständen zu erhalten. Sein Amt verleiht ihm ein wenig mehr Würde als Ephraim oder Zorastes, und er sagt seinen Teil ohne Stottern und Stammeln.

DER LEIBARZT: Seine Sorge um seinen eigenen Kopf wird durch die Autorität, die ein Arzt gegen­über seinem Patienten hat, etwas abgemildert. Er soll ganz ehrlich wirken und hat keinen Anteil an der Vergiftung des Herodes.

DIE FRAU DES SCHÄFERS: Ist eine nette, gutherzige, geschäfti­ge, mütterliche Person.

ZILLA: Etwa 9 Jahre, ein nettes, einfaches Kind, wie es viele gibt, gescheit und zugreifend bei der Hausarbeit. Sie nimmt das Chri­stuskind ganz selbstverständlich als das neue Baby.

JOSEPH: Etwa 50 Jahre, ein tüchti­ger Handwerker, ein wenig sal­bungsvoll und geneigt, die Heilige Schrift zu zitieren, und zu denen gehörig, die sie regelmäßig lesen.

MARIA: Sie muß mit Würde und Aufrichtigkeit gespielt werden und mit großer Einfachheit. Ihre Stimme ist wohltuend, aber nicht süßlich, und jede Spur von Ziere­rei muß vermieden werden.

ENGEL: Bitte ein männlicher En­gel mit einer Stimme, die in einen Traum paßt. Die Stimme muß an Wind denken lassen, der durch den Wald streicht.

Erste Szene: Jerusalem

DER EVANGELIST: Dies ist der Anfang des Evangeli­ums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.

Da nun Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Lande, zur Zeit des Königs Herodes, siehe da kamen die Weisen vom Morgenlande gen Jerusalem.

EPHRAIM: Vier, sechs, zwei … hör bloß auf mit deiner Nervensäge, du kleiner Affe … Ihr Wurf, Hauptmann.

PROCLUS: (wirft) Fünf, drei, sechs.

EPHRAIM: Sie haben gewonnen, Hauptmann Proclus … Was war das eigentlich für ein Krach auf der Straße, gestern nacht? Gerade unter den Fenstern des Pa­lastes! Ziemlich schändlich, wie?

PROCLUS: Nur eine Handvoll Narren, die so ein Gerücht gehört hatten (er wirft). Aha! Drei Sechsen! Die wollen geschlagen sein. Herr Baron!

EPHRAIM: Ein Glück haben Sie … was für ein Gerücht eigentlich?

PROCLUS: Ach, irgendeine Latrine! Gerade genug, um einen Grund zum Krachschlagen abzugeben.

PAGE: Auf dem Markt wird erzählt, daß Judäa einen neuen König haben wird.

PROCLUS: Heh? Hör auf mit dem Quatsch, mein Jun­ge!

EPHRAIM: So etwas darfst du nicht einmal wiederho­len! Das ist Hochverrat!

PAGE: Ich habe ja auch gar nichts gesagt, aber die Fremden, die gestern angekommen sind, die haben dem Türhüter erzählt…

PROCLUS: Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?

PAGE: (vorlaut) Sie brauchen nicht zu schreien. Ich ha­be Ohren.

EPHRAIM: Ohren hat jeder Esel. Lange Ohren mit Haaren dran. Die bekommen sie, weil sie auf jeden Klatsch hören.

PAGE: Na schön. Dann nicht! Aber ganz Jerusalem spricht von nichts Anderem. (er zupft an der Laute herum.)

PROCLUS: Das langt jetzt. Verblühe mein Junge und nimm dein verdammtes Wimmerholz mit. Los!

EPHRAIM: Aber bleib im Vorzimmer, und wenn die Fremden kommen, dann bring sie herein.

PAGE: Na schön, geh ich eben.

EPHRAIM: Und wenn ich dich wieder mit hochverräte­rischen Reden erwische, wirst du gepeitscht! Es gibt keinen König außer Herodes, verstanden?

PAGE: Gott schütze König Herodes!

PROCLUS: Und es gibt keinen Kaiser außer Augustus. Klar?

PAGE: Heil Caesar!

PROCLUS: Jawoll! Jetzt verschwinde!

EPHRAIM: Und mach die Tür hinter dir zu.

PAGE: (geht und knallt die Tür hinter sich zu.)

EPHRAIM: Das kleine Biest, (vertraulich) Wissen Sie, Hauptmann Proclus, die Sache gefällt mir nicht. Der König ist ein schwerkranker Mann, und wenn er stirbt, wird es eine Menge Ärger um die Nachfolge geben. Ich stehe eigentlich mehr oder weniger hinter dem Prinzen Archelaus. Sie sind Römer, Hauptmann. Glauben Sie, daß der Kaiser seinen Anspruch unter­stützen wird?

PROCLUS: Keine Ahnung. Soldaten kümmern sich nicht um Politik.

EPHRAIM: Natürlich, aber man muß ja schließlich sei­ne Interessen wahren, nicht wahr? Ich hoffe nur, daß es nicht zu einem Bürgerkrieg kommen wird.

PROCLUS: Nicht, wenn der Kaiser davon hört … wo­rauf Sie sich heilig verlassen können!

EPHRAIM: Herodes ist ein starker Herrscher – gewe­sen! Unter vier Augen gesagt – ich glaube nicht, daß er dies Jahr überlebt.

PROCLUS: Hm. Das ist faul.

EPHRAIM: So etwas sickert natürlich durch und verur­sacht eine Menge Unruhe. Wenn jetzt irgendein Fana­tiker aufsteht und eine Volksbewegung für die jüdi­sche Unabhängigkeit ins Leben…

PROCLUS: Das werden sie besser nicht erst versu­chen!

EPHRAIM: Sie wissen doch, daß siebentausend Pha­risäer sich geweigert haben, dem Kaiser den Treueid zu leisten … des Königs Bruder steht auf ihrer Seite … es heißt, eine große Verschwörung sei im Gange und (mit heiserem Flüstern) der Prinz Antipater heftig in die Geschichte verwickelt…

PROCLUS: Antipater? König Herodes Lieblingssohn?

EPHRAIM: Schsch … Wir sitzen auf einem Vulkan!

Diese Gerüchte sind ein böses Zeichen. Jerusalem ist voller Gesindel, das sich hier für die neue Volkszäh­lung einschreiben lassen will. Irgendeine Kleinigkeit kann zum Funken werden, der in den trockenen Zun­der springt. Erst in der vergangenen Woche ging eine tolle Geschichte um von Engeln, die in Bethlehem er­schienen sein und einen neuen Messias verkündigt ha­ben sollen.

PROCLUS: Nur ein paar Bauernlümmel. Nicht ganz richtig im Kopf, wahrscheinlich. Wer sind die Frem­den, von denen der Bengel sprach? Irgendwelche große Tiere?

EPHRAIM: Weiß der Himmel. Wahrscheinlich Sechs­groschenfürsten mit ausländischen Namen. Einer von ihnen ist ein Nubier, glaube ich. Jedenfalls ist er so schwarz wie Kohle. Sie behaupten, Astrologen zu sein und dem König eine erfreuliche Botschaft von den Sternen zu bringen.

PROCLUS: Dann wird er sie wohl vorlassen. Herodes hat eine Schwäche für Wahrsager.

EPHRAIM: Ja. Er sagt, daß er sie sehen will. Sie müß­ten sogar eigentlich schon hier sein. Ich wünschte nur, ich fände jemand, der mir die Zukunft voraussagt. Aber diese Magier sind alle so unzuverlässig.

PAGE: (draußen) Diesen Weg, bitte Edle Herren … bit­te zu folgen … (er wirft die Tür auf und meldet mit schriller Stimme) König Kaspar … König Melchior … König Balthasar erbitten eine Audienz bei König Herodes.

EPHRAIM: Guten Tag, Ihr Herren! Darf ich einen Platz … Lauf, Junge und berichte dem König von der Ankunft der edlen Herren … ich hoffe zuversichtlich, daß der König in der Lage ist… ehern … Sie wissen, er ist ein alter Mann und seit Wochen leidend…

KASPAR: Das tut uns leid. Sehr.

EPHRAIM: Und – bitte – nichts, was ihn erregen … Sie verstehen!

MELCHIOR: Unsere Botschaft wird ihm nur Freude machen. Wir sind die Bringer einer frohen Kunde.

BALTHASAR: Für ihn und seinen Sohn, den Erben von Judäa, den großen und mächtigen Herrscher der Zukunft.

PROCLUS: Das ist ja interessant. Welchen Sohn denn?

EPHRAIM: Hauptmann Proclus! Nicht so laut… Sie verstehen meine Herren – ach – die politische Lage ist ein wenig kompliziert. Wenn sie wahrsagen kön­nen, wäre ich für einen kleinen Tip…

KASPAR: Wir sind keine Wahrsager.

STIMMEN: (draußen) Platz für den König!

EPHRAIM: Nur einen Tip, bitte …

PROCLUS: Ruhig, Sie Narr! Da kommt er …

EPHRAIM: Man muß doch seine Interessen wahrnehmen.

STIMME: (an der Tür) König Herodes!

PROCLUS: (mit Kommandostimme) König Herodes!

(KÖNIG HERODES DER GROSSE tritt ein, begleitet von der KÖNIGIN ELFIS, dem HOHENPRIESTER, dem HOFPHYSIKUS, dem OBERSTERNDEUTER, RITTERN, DAMEN, GEFOLGE)

ALLE: Gott schütze König Herodes!

HERODES: (mit einer Stimme, die rauh ist vor Schmerzen und Erschöpfung) Vorsichtig absetzen. Vorsichtig! Für jeden Stoß lasse ich euch peitschen.

EPHRAIM: Hierher ihr Sklaven. Hierher. Wünschen Majestät auf diesem Ruhelager … es ist sehr weich …

HERODES: Meinen Sessel. Meinen Thronsessel! Narr und Verräter, möchtest mich wohl schon hilflos se­hen, was? Aber noch bin ich der König Herodes!

EPHRAIM: Und so Gott will noch viele lange Jahre!

HERODES: Du bist ein Heuchler. Denkst und hoffst, daß ich sterben werde, was! Ich weiß, daß du mit meinen verräterischen Söhnen zusammensteckst, die mir das Szepter aus der Hand winden möchten, bevor der Leichnam noch kalt ist! Leugne nicht! Ich habe doch selber gesehen, wie du dem Archelaus die Hand geküßt hast – wie du auf den Knien vor Antipater her­umgerutscht bist… nichts tust du als Ränkeschmieden … ringsum Verschwörungen und Verrat (seine Stimme erstirbt in einem Röcheln).

EPHRAIM: Wie können Majestät nur so etwas vermu­ten! Sind wir nicht alle Euer Majestät ergebenste, lie­bende, getreueste Untertanen!

HERODES: So spricht jeder Verräter. Seht Euch vor, mein lieber Baron Ephraim!

EPHRAIM: Ich bin Euer Majestät niedrigster Sklave! Die Pest soll mich schlagen, wenn je ein unloyales Wort… oder nur ein Gedanke …

HERODES: Bah!

ELPIS: Lieber Baron, wenn mein königlicher Herr und Gemahl in dieser Stimmung ist, tut Ihr besser, ihm nicht zu widersprechen. Sein Leiden macht ihn unge­duldig … doch das wird vergehen.

HERODES: Doktor, gib mir was, diese Schmerzen zu lindern … obschon ich annehme, daß du im Bund mit meinen Erben bist und mich am liebsten vergiften möchtest.

PHYSIKUS: Da sei Gott vor, Majestät.

HERODES: Gott oder wer auch immer wird dich zu treffen wissen, wenn du mich betrügst… also gut. Wer sind die fremden Fürsten und was erbitten sie von Herodes, dem König der Judenheit?

KASPAR: O König, lang mögest Du leben! Ich bin Kaspar, König von Chaldäa.

MELCHIOR: Und ich bin Melchior, König von Pamphylien.

BALTHASAR: Ich bin Balthasar, König von Äthiopien.

HERODES: (mit äußerster Freundlichkeit, als ob ein ganz anderer Mann spräche) Die Königin und ich heißen Euch, meine königlichen Brüder, von ganzem Herzen willkommen.

KASPAR: Wir sind Magier, demütige Sucher nach den Quellen geheimer Weisheit.

ELPIS: Um so größer ist die Ehre Eures Besuches für meinen Gemahl und mich. Wir lieben die Gesellschaft guter und weiser Männer.

MELCHIOR: Euch, König Herodes, und der gesamten Judenheit bringen wir frohe Kunde von den Herr­schern der Himmelsräume …

BALTHASAR: Ruhm und Herrschaft bis an die fern­sten Enden der Welt in alle Ewigkeit…

HERODES: Das ist wahrlich eine gute Kunde.

MELCHIOR: Und darum, o König, bitten wir dich im Namen des Höchsten Gottes, uns zu gewähren, was wir ersehnen …

HERODES: Gewährt. Was immer Ihr wünscht. Unsere Gnade und Huld ist euch gewiß.

MELCHIOR: Dank, o König! Dann – bitte – lasse uns mit eigenen Augen das edle Kind schauen.

HERODES: Kind? Was für ein Kind?

MELCHIOR: Zeige ihn uns, den Knaben, der zum Kö­nig geboren ward, zum König der Juden.

BALTHASAR: Wir haben einen Stern im Osten aufleuch­ten sehen, und wir sind gekommen, ihm zu huldigen.

HERODES: (mit einem gefährlichen Klang in der Stim­me) Ich verstehe Euch nicht, Ihr Herren.

KASPAR: Verweigere es uns nicht, König Herodes. Wir sind viele Meilen gereist deswegen.

MELCHIOR: Wir wissen, daß der Knabe geboren ist. Neun Monate lang waren die Herren des Firmaments in unruhiger Bewegung. Der feurige Mars glühte wie Gold im Schmelztiegel, und Saturns bleierne Wange wurde fahl. Selbst Jupiter, der kaiserliche Stern, wurde bedrängt zwischen Sonne und Mond im Bilde der Jungfrau.

BALTHASAR: Wir fühlten das Kommen des Sterns, schon, während er noch unter dem Horizont stand, und wir wunderten uns sehr. Und wir lasen in unseren Schriften und fanden, daß die Wahrheit in Judäa ver­kündet werden sollte, in Judäa und im Hause des Löwen, das aber ist das Haus Juda.

HERODES: Juda!

EPHRAIM: (aufgeregt flüsternd) Jetzt haben Sie seine wunde Stelle berührt. Er ist doch Idumäer … nicht vom Stamme Juda. Ich flehe Sie an, vieledle Herren …

HERODES: Was flüsterst du da? Weiter, Ihr Herren. Weiter!

KASPAR: Dann stiegen wir zu Pferde und ritten quer durch die Wüste. Und als wir des nachts an den Was­sern des Araba saßen, da sahen wir den Stern aufge­hen. Zwischen Mitternacht und Tag stand er, leuch­tend über der Spitze des ersten Hauses, der Herr der Aszendenz.

MELCHIOR: Und alle Herren des Himmelsgewölbes sammelten sich, ihm zu huldigen. Noch nie gab es ei­ne solche Konjunktion im Horoskop eines irdischen Herrschers.

BALTHASAR: Und da wußten wir, daß die Stunde ge­kommen und er, der das Königreich errichten würde, als Fürst in Israel geboren war.

HERODES: Das genügt! Wer hat Euch hierherge­schickt, mich zu verspotten?

ELPIS: Wirklich, Ihr Herren, Ihr wißt nicht, was Ihr sagt!

HERODES: Hier ist Verrat im Spiel. Wer hat Euch ge­schickt?

KASPAR: Herodes, Herodes!

HERODES: Ich frage, wer Euch geschickt hat! Ant­wort! Oder ich lasse Eure alten verlogenen Zungen Euch aus dem Halse reißen.

KASPAR: Unser Auftrag stammt von den Göttern. Und vom Gott aller Götter.

HERODES: Schufte und Gauner! Spießen lasse ich Euch, pfählen, kreuzigen.

ELPIS: Herodes, mein Herr und lieber Gemahl, habt doch Geduld.

EPHRAIM: Ich habe Sie doch davor gewarnt, ihn zu erregen.

PHYSIKUS: Mäßigung, Majestät! Ihr macht Euch krank.

HERODES: Laßt mich zufrieden, ihr Narren, (er kämpft um Atem und fährt mit seidiger Stimme fort) Edle Könige! Weise Magier! Vergebt mir. Ich war so überrascht. Ihr seht ja, ich bin nur ein armer, kranker Mann. Kein Sohn ist uns geboren, Elpis, meiner Königin, und mir. Söhne zwar habe ich, aber die sind längst erwachsen und haben eigene Söhne. Ist es ein Enkel von mir, der auf meinem Throne sitzen wird und ein Weltreich beherrschen soll?

MELCHIOR: O König, das wissen wir nicht. Aber es steht geschrieben, daß Er, der jetzt geboren ist, Prie­ster sein wird und König zugleich.

HERODES: Priester und König? Priester? Seid Ihr ganz sicher?

BALTHASAR: Es steht also geschrieben.

HERODES: Das ist ernst. Ihr kennt nicht die Geschich­te dieses Königreiches. Viele Jahre lang wurde es zer­rissen durch Kriege und Aufruhr, bis Augustus Caesar es dem Schutze Roms unterstellte. In seinem kaiserli­chen Auftrage habe ich die Krone angenommen und dreißig Jahre lang habe ich dem Lande Frieden gege­ben – mit Klugheit oder durch Gewalt. Es war nicht leicht! Immer wieder gab es Aufstände gegen die rö­mische Ordnung – und stets, versteht Ihr – im Namen der Religion.

HOHERPRIESTER: Verzeihen Majestät – nicht mit un­serer Billigung.

HERODES: Ja. Wie der Hohepriester sagt, nicht mit der Billigung der Priester – die wissen besser, was gut für sie ist. Religion ist immer das Aushängeschild für politischen Ehrgeiz gewesen. Erst ich, Herodes, habe die Macht der Hasmonäer gebrochen. Die waren das priesterliche Geschlecht, erhoben Anspruch auf die­sen Thron, um zu herrschen als Priester und Könige. Verräter waren sie an Rom und mir – und ich habe sie niedergeschlagen. Meine eigenen Söhne habe ich um­gebracht für ihren Verrat. Auch meine Königin, mei­ne erste Königin Mariamne – die ich geliebt habe … meine Königin und meine Söhne, die ich liebte …

KASPAR: Herr, quält Euch doch nicht so, Euch und uns …

HERODES: Verräter waren sie. Ihre Kinder sind Ver­räter bis auf den heutigen Tag. Verschwören sich ge­gen mich. Gegen Rom. Sie warten unentwegt auf den kriegerischen Messias, der sie zu Sieg und Unabhän­gigkeit führen soll. Aber es gibt keine Sicherheit in der Unabhängigkeit. Die einzige Sicherheit für dies Land liegt darin, daß es sich einfügt in die neue Ord­nung des römischen Imperiums.

MELCHIOR: Mein König! Es steht in den Sternen ge­schrieben, daß er, der zum König geboren ward, herr­schen soll in Rom … (Gemurmel)

HERODES: Soso. In Rom auch? Was sagst du dazu, Hauptmann Proclus?

PROCLUS: Ich? Nichts! Ich bin Soldat. Meine Aufga­be ist es nicht, etwas zu sagen, sondern zu handeln. Wenn Caesar Taten will, wird er befehlen.

HERODES: Merkt Euch das, Ihr Herren. Ihr prophe­zeit, Herodes denkt darüber nach, aber der Kaiser be­fiehlt!

EPHRAIM: (fühlt vor) Majestät! Wenn Euer Majestät unterwürfigster Diener es wagen darf, etwas zu sagen … ist es nicht möglich, daß diese weisen Könige in ih­rer Kalkulation einen Fehler gemacht haben? Wir ha­ben ja schließlich keine Beweise! Die Hofmagier Eu­rer Majestät haben keine offizielle Prophezeiung in Verbindung mit dieser – ehern – angeblichen astralen Erscheinung bekanntgegeben.

HERODES: Das ist wahr, (mit sofortigem Mißtrauen) Und warum nicht? Stecken sie auch schon in der Ver­schwörung? Hier – du, Zorastes! Was machst du da!? Ich seh dich doch – willst dich heimlich hinter den Röcken des Hohenpriesters verdrücken, was? Hast du uns nichts hierzu zu sagen? Komm vor, mein lieber Hofastrologe, komm vor und sage uns die Wahrheit! Wer hat dich bestochen, Herodes diese Dinge zu ver­heimlichen?

ZORASTES: Niemand, Majestät.

HERODES: (in wildem Spott) Natürlich niemand! Steh auf, Mann. Seht ihn euch an, weiß wie ein Laken und mit schlotternden Knien. Sprich, du Hund! Hast du den Stern gesehen, von dem diese Weisen sprechen?

ZORASTES: Den Stern? O ja. Jawohl, Majestät. Ein wirklich heller Stern. Sehr bemerkenswert.

HERODES: Und wie deutest du ihn?

ZORASTES: Ewig lebe Euer Majestät! Die Gnade des Königs leuchtet heller als alle Sterne, (aus der Fas­sung gebracht durch ein Knurren des Herodes fährt er eilig fort) Ohne jeden Zweifel, Majestät, eine ganz außerordentlich vorteilhafte Konstellation glückbrin­gender Gestirne und von allergünstigster Vorbedeu­tung für Jerusalem und das hohe, mächtige und erha­bene Haus…

HERODES: Laß den alten Schmarren! Hast du die jü­dischen Prophezeiungen gelesen?

ZORASTES: Gewiß, Euer Majestät.

HERODES: Schön. Und wo soll danach der Messias der Juden geboren werden?

ZORASTES: Majestät… man sagt… das heißt, es ist wahrscheinlich … aber das kann doch der Hoheprie­ster viel besser erklären …

HERODES: Also gut! Hoherpriester, wo wird der Christ geboren werden?

HOHERPRIESTER: Mutmaßlich, Majestät, in Bethle­hem in Judäa, denn so steht es geschrieben im Buch des Propheten Micha: „Du Bethlehem Ephrata, die Du klein bist unter den Städten in Juda, aus Dir soll mir kommen, der in Israel Herr sei!“

HERODES: Bethlehem. Soso. Dann, Ihr weisen Für­sten, ist Euer Weg nicht mehr weit. Ich glaube zwar nicht, daß Ihr viel finden werdet, wenn Ihr dort seid. Ein ganz miserables kleines Dorf. Im allgemeinen werden Könige ja nicht in einem solchen Haufen von Lehmhütten und Schafpferchen geboren. Page! Der Stallmeister soll sofort Pferde für die Herren satteln und sie nach Bethlehem auf den Weg bringen.

PAGE: Sofort, Majestät.

HERODES: Und jetzt geht. Geht alle. Ich will noch al­lein mit unseren königlichen Astrologen sprechen. Und merkt euch – kein Wort nach draußen!

ALLE: Wir sind des Königs gehorsame Untertanen. Gott schütze Euer Majestät!

PAGE: (mit dem boshaften Bewußtsein, daß er sticheln kann bei völliger Straffreiheit) Wir sind Caesars ge­horsamste Untertanen. Heil Caesar!

ALLE: (pflichtgemäß) Heil Caesar!

HERODES: Schließt die Türen.

(Türen schließen)

(spricht schnell und glatt) Ich bitte meine Lage nicht zu verkennen, Ihr Herren! Ich werde ein Tyrann und Autokrat genannt, aber ich bin auch nicht mein freier Herr. Die Faust Roms liegt auf Judäa, und ich darf nicht offen revolutionäre Umtriebe begünstigen. Aber … wenn es Gott gefällt, Israel einen Führer zu er­wecken, dann bin ich bereit – mit ganzer Seele bereit – für die Freiheit der Judenheit loszuschlagen. Darf ich Euch vertrauen?

KASPAR: Es gehört nicht zu unserem Auftrag, uns an­vertraute Pläne zu verraten.

HERODES: Gut, gut. So sagt mir eins: wann ist dieser königliche Stern erschienen? Ich muß es genau wissen.

BALTHASAR: Vor zwölf Tagen erblickten wir sein Licht im Osten.

HERODES: (nachdenklich) Vor zwölf Tagen … und im Hause des Löwen – des Löwen von Juda – im Hause Davids also. Das kann stimmen. Bethlehem wird die Stadt Davids genannt – wußtet Ihr das? Und die heili­gen Schriften erwähnten Bethlehem. Priester und Kö­nig? Habt Ihr sein Horoskop schon gestellt? Was für ein Mann wird das sein, der zum König geboren ist?

MELCHIOR: Stolzer als Caesar und demütiger als sein letzter Sklave. Sein Reich wird sich erstrecken von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, höher als alle Himmel, tiefer als das Grab und begrenzt wie des Menschen Herz.

KASPAR: Er wird opfern zu Jerusalem, und seine Tempel werden ragen in Rom und Byzanz. Er selbst aber wird beides sein – Opfer und Priester in einem.

HERODES: Rätselhaft ist Eure Rede. Jetzt sagt mir eins: Wird er ein Kriegerkönig sein?

BALTHASAR: Der größte aller Krieger, und doch wird man ihn einen Friedensfürsten nennen. Sieger und Opfer all seiner Kriege wird er sein, und aus der Niederlage wird er seinen leuchtenden Sieg holen. Wenn aber die Kriege vorüber sind, wird er mit Liebe die Seinen regieren.

HERODES: Man kann Menschen nicht mit Liebe re­gieren! Sagt das Eurem König, wenn Ihr ihn findet. Drei Dinge nur regieren ein Volk: Furcht und Gier und das Versprechen von Sicherheit. Wer weiß das besser als ich! Habe ich nicht auch geliebt? Oh, ich bin ein gestrenger Herr gewesen, gefürchtet und gehaßt, doch mein Land gedeiht und blüht und an den Grenzen herrscht Friede. Und wann immer ich liebte – stieß ich auf Verrat… Weib, Kinder, Bruder … sie al­le, alle! Liebe ist der große Verräter. Die Liebe hat mich betrogen, wie sie alle Könige betrügt. Auch Eu­rem Christus wird es nicht anders gehen. Das gebt ihm als Botschaft von Herodes, dem König der Juden.

KASPAR: Und dann, König Herodes, wenn wir den Christ gefunden haben…

HERODES: Natürlich. Ich vergaß. Wenn Ihr ihn findet, kommt zurück und sagt mir Bescheid. Wir müssen schnell handeln, schnell und geschickt. Die Partei der Patrioten braucht nur einen Führer und einen Namen … einen Namen, der sie einigt und nicht spaltet. Mir würden sie nicht folgen – ich bin nicht aus dem Hause Jakob – aber wenn ich – ich selber – hingehe und die­sem königlichen Kinde den Treueid leiste – dann wird sich keiner ausschließen. Ja. Aber erst müssen wir uns des Knaben versichern. Werdet Ihr mir bestimmt so­fort Nachricht bringen?

KASPAR: Politische Intrigen gehen uns nichts an. Das Ende, das einem jeden vom Schicksal bestimmt ist, wird ihn auch treffen, gleichgültig, ob der Weg zu diesem Ende im Dunkel verläuft und wieviel Umwe­ge er macht. Alle sind wir nur Werkzeuge des Schick­sals. Selbst Herodes ist nur ein Werkzeug in Gottes Hand.

HERODES: Wenn mir die Gnade werden sollte, dem Volke Israel das Königtum wiederzugeben, so ist das Haus des Herodes gesegnet! … Werdet Ihr mir den Gefallen tun, mich zu dem jungen König zu führen?

MELCHIOR: Wenn die Götter es erlauben – ganz gewiß.

HERODES: Ich danke Euch von Herzen. Herodes ist Euch zutiefst verpflichtet für Euren Besuch, Eure gute Botschaft und für die großen Möglichkeiten, die Ihr ihm gezeigt habt … Vergebt mir … es fällt mir schwer, mich zu bewegen … darf ich Euch bitten, diesen Gong zu schlagen? (Gong) Und vergeßt nicht … niemand darf etwas wissen – wenn Euch an der Sicherheit Eures jungen Königs etwas liegt!

BALTHASAR: Wir werden schweigen. (Page kommt herein)

PAGE: Majestät befehlen?

HERODES: Meine fürstlichen Gäste brechen sofort nach Bethlehem auf. Bringe sie zu ihren Pferden. Dann schicke rasch meinen Schreiber. Lebt wohl, Ihr Herren! Gott sei mit Euch auf Eurer Suche. Ich hoffe nur, Ihr seid nicht auf der Jagd nach einem Re­genbogen.

KASPAR, MELCHIOR, BALTHASAR: Lebt wohl! Möge der Name Herodes im Buche des Lebens ge­schrieben stehen. (Türen schließen)

HERODES: Narren! Mögen sie an ihren eigenen Pro­phezeiungen ersticken! Aber jetzt ist Gefahr im An­zug. Große Gefahr! Einerlei. So alt Herodes ist – dies Unwetter besteht er noch! Nachdenken muß ich … also zuerst einmal das Kind fassen. Gleich um­bringen! Das ist das einfachste. Wenn man nur die gesamten Verschwörer in die Sache-verwickeln könnte … man müßte sie zwingen, Farbe zu beken­nen … dann kurz zupacken und das ganze Hornis­sennest mit einem Schlage ausräuchern! Ja … so geht es … auf meine Art! … Aber nach Rom darf kein gefärbter Bericht kommen, dafür muß ich sor­gen. Ich muß schreiben …

SCHREIBER: Majestät befahlen einen Schreiber?

HERODES: Ja. Nimm deine Feder, ich diktiere: An den göttlichen Imperator Caesar Augustus, … von Herodes, König der Juden …

Zweite Szene: Bethlehem

Erster Abschnitt: Im Haus eines Schäfers

DER EVANGELIST: Als aber die Weisen den König Herodes gehört hatten, da brachen sie auf und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, der leuchtete vor ihnen her, bis er dort stand, wo das Kind lag.

WEIB DES SCHÄFERS: Zilla, Zilla ! Hast du den Tisch gedeckt?

ZILLA: Ja, Mutter.

WEIB: Dann lauf und sag dem Vater Joseph, daß das Abendessen bereit ist. Er wird draußen sein, hinter dem Haus. Und dann sieh mal auf die Straße, ob dein Pappi kommt.

ZILLA: Ja, Mutter, (sie läuft hinaus und ruft) Vater Joseph, Vater Joseph …

WEIB: So, kleine Mutter Maria, jetzt gib mir mal das Baby. Ich werde den kleinen Mann in die Wiege le­gen, während du einen Happen ißt. Komm, mein Liebling! So ein hübscher Junge bist du, gelt? Nun schlaf auch schön ein, wie sich das für ein artiges Kind gehört. Artig ist er ja immer, das muß ich schon sagen. Kaum, daß er mal schreit. Noch nie ha­be ich ein so zufriedenes Baby gesehen.

MARIA: Er kann schon froh und zufrieden sein. Ihr seid so gut zu uns. Aber – weißt du – als er geboren wurde – da hat er geweint.

WEIB: Ach, das tun sie alle, die armen kleinen Wür­mer, und verdenken kann man es ihnen nicht, wenn man so bedenkt, wie grausam die Welt ist, in die sie hineingestoßen werden. Aber laß nur gut sein. Es geht halt überall rauf und runter im Leben – ah, da ist ja auch dein guter Mann … komm her, Vater Jo­seph, hier ist ein schönes Stück Rostbraten für dich … das gibt was in die Knochen. Ich denke, du wirst ordentlich Hunger haben, was? So spät noch an der Arbeit! Konntest du denn überhaupt noch sehen?

JOSEPH: O ja, ist ‘ne ganz klare Nacht. Und der große, weiße Stern da oben scheint fast so hell wie der Mond – gerade über dem Haus. Den Zaun habe ich geflickt.

WEIB: Richtiges Glück haben wir, daß du ein so fei­ner Schreiner bist! Und wirklich anständig von dir, alles bei uns in Ordnung zu bringen.

JOSEPH: Na, das ist doch das wenigste, was ich tun kann, wenn ihr uns schon bei euch wohnen laßt.

WEIB: Das war ja wohl einfachste Menschenpflicht, oder sollten wir euch etwa in dem alten Stall da hin­ter der Kneipe lassen? Nicht ruhig schlafen hätten wir können in unseren Betten, solange eine junge Mutter mit ihrem Baby kein richtiges Dach überm Kopf hat … von den Engeln, von denen uns unser Pappi erzählte, will ich gar nicht erst reden, und daß dein kleiner Junge der Messias sein soll und so … hier, Mutter Maria, iß! Das tut dir gut. Sag mal, glaubst du, daß es wirklich wahr ist … ich meine, daß dein Baby der versprochene Erlöser ist und das Königreich Israel wieder errichten soll und so?

MARIA: Ich weiß es. Es ist wahr.

WEIB: Kannst du aber stolz sein! Aber kommt es dir nicht ein bißchen seltsam vor … ich meine, wenn du ihn jetzt so ansiehst und darüber nachdenkst?

MARIA: Manchmal schon. Sehr seltsam. Ich habe ein Gefühl, als hielte ich die ganze Welt in meinen Ar­men, Himmel und Meere und die grünende Erde … und alle Engel dazu. Und dann wieder ist alles so einfach und vertraut, und ich weiß genau, daß es nur mein eigener, liebster Junge ist. Und das wird er im­mer sein, selbst wenn er weiser wird als Moses, hei­liger als Aaron und prächtiger als Salomon. Immer wird er mein Kind bleiben, mein süßer, geliebter kleiner Jesus … nichts kann daran etwas ändern.

WEIB: Ganz sicher nicht, so ist das, und die Königin auf ihrem Thron kann auch nichts anderes sagen. Ja, Kinder sind schon ein Segen … wo bleibt denn die Zilla wieder? Hoffentlich ist sie nicht zu weit fortge­laufen. Nachts kommen manchmal Wölfe hierher … da… was?

ZILLA: (kommt hereingestürmt) Oh, Mutter, Mutter!

WEIB: Was hast du denn nun schon wieder?

JOSEPH: Hallo, Mädel, was gibt’s?

ZILLA: Sie kommen hierher. Sie kommen hierher! Pappi bringt sie her.

WEIB: Wer sie? Wer kommt?

ZILLA: Könige! Drei richtige Könige! Zu Pferde! Sie kommen, um das Baby zu sehen!

WEIB: Könige! Was du für einen Unsinn schwätzt! Könige werden grad hierher kommen!

ZILLA: Aber ja, Mutter! Richtige Könige! Sie haben Kronen auf dem Kopf und Ringe an den Fingern, und Diener laufen nebenher mit Fackeln. Sie haben den Pappi gefragt: Ist das hier, wo das Baby ist, und Pappi hat gesagt: Ja, das ist hier, und ich soll schnell vorauslaufen und sagen, daß sie kommen.

JOSEPH: Sie hat recht! Ich kann sie vom Fenster aus sehen … gerade biegen sie an den Palmen auf die Straße ein …

WEIB: Nein, so was aber auch … und das Geschirr nicht abgeräumt und alles durcheinander … komm, Mutter Maria, laß mich den Teller wegnehmen – so ist es besser. Zilla, schau mal in die Schublade und hol ein sauberes Lätzchen für unser Baby Jesus.

ZILLA: Hier, Mammi … einer von den Königen ist ein ganz alter Mann mit einem langen, weißen Bart und einem wunderschönen Scharlachmantel … und der zweite ist von Kopf bis Fuß in einer blitzenden Rüstung … oooh! Und der dritte ist ein Schwarzer mit dicken goldenen Ringen in den Ohren; und die Edelsteine in seinem Turban glänzen wie die Sterne … und sein Pferd ist milchweiß und hat silberne Glöckchen am Zaumzeug …

WEIB: Nein, nein, nein! Und all das wegen unserem Baby!

JOSEPH: Bleib ruhig, Maria, Alles kommt so, wie der Prophet gesagt hat: Die Völker werden kommen zu deinem Lichte und die Könige zu dem Glanz dei­ner Herrlichkeit.

MARIA: Legt mir meinen Sohn in meine Arme.

WEIB: Ja doch, ja. Und so brav wird er auf deinem Knie sitzen wie der König selber auf seinem golde­nen Thron, der süße Liebling. Oh, oh – da sind sie schon …

KASPAR: (an der Tür) Ist dies das Haus?

SCHÄFER: (an der Tür) Jawohl, Ihr Herren. Dies ist das Haus. Tretet ein, bitte, und drinnen werdet Ihr das Kind Jesus und seine Mutter finden.

WEIB: Tretet ein, edle Herren, tretet ein … und bitte, seht Euch vor an der Türe … wir haben nur eine armselige, niedrige Hütte …

KASPAR: Kein Ort ist zu niedrig, darin zu knien. Heiliger ist es hier, als im Tempel des Königs Herodes.

MELCHIOR: Größere Schönheit ist hier als im Palast des Königs Herodes.

BALTHASAR: Größere Güte wohnt hier als im Her­zen des Königs Herodes.

KASPAR: O Madonna, leuchtend wie die Sonne und lieblich wie der Mond! Die Völker der Erde grüßen deinen Sohn, den Mann, der zum König geboren ward. Gegrüßet seist du, Jesus! König der Juden!

MELCHIOR: Gegrüßet seist du, Jesus! König der Welt!

BALTHASAR: Gegrüßet seist du, Jesus! König des Himmels!

DIE DREI KÖNIGE: Heil dir. Heil dir!

MARIA: Gott segne euch, dich, den weisen Greis, dich, den stolzen Krieger, und dich, du dunkler Fremdling aus der Wüste. Seltsam ist die Art eures Kommens und seltsam ist eure Botschaft. Aber daß Gott euch sandte, das weiß ich gewiß, denn ihr und seine Engel sprecht die gleiche Sprache. König der Juden … ja. Sie haben mir’s verkündet, daß mein Sohn der Messias der Juden sein würde. König der Welt … das ist ein großes Wort, doch bei seiner Ge­burt verkündeten sie große Freude allen Völkern der Erde. König des Himmels? Das verstehe ich nicht ganz – aber sie sagten auch, daß er Gottes Sohn heißen würde … Ihr seid große und weise Männer, und ich bin nur eine einfache Frau. Was kann ich euch sagen … bis die Zeit kommt, in der mein Sohn für sich selber euch antworten kann?

KASPAR: Wehe! Je mehr wir wissen, um so weniger verstehen wir das Leben. Zweifel lassen uns zögern zu handeln, und viel kaltes Wissen vertrocknet unse­re Herzen. Dieses aber ist die Frage, die uns quält: werden Weisheit und Liebe endlich zusammen leben können, wenn das verheißene Königreich kommt?

MELCHIOR: Herrscher sind wir. Wir wissen, daß der Menschheit eine gute Regierung am meisten nottut, eine Regierung, die Ordnung bringt und Freiheit ge­währt. Aber die Ordnung beschränkt die Freiheit, und die Freiheit empört sich gegen die Ordnung, so daß Liebe und Macht in ewigem Streit liegen. Dies aber ist die Frage, die uns quält: Werden Macht und Liebe endlich zusammen wohnen können, wenn das verheißene Königreich kommt?

BALTHASAR: Ich spreche für ein Volk voller Sorge und Kummer, für die Unwissenden und Armen. Wir erheben uns zur täglichen Fron und legen uns nieder zum Schlaf, und die Nacht ist nur eine Pause zwi­schen unsrer alten Last und der neuen. Die Furcht ist unser täglicher Gefährte: Furcht vor der Not. Furcht vor Krieg, Furcht vor einem grausamen Tode und Furcht vor einem noch grausameren Leben. Doch al­les dies könnten wir ertragen, wenn wir nur wüßten, daß unsere Leiden nicht umsonst sind; wenn wir nur wüßten, daß Gott uns beisteht in unserem Kampf, mit uns leidet unter der Not seiner eigenen Welt. Dies aber ist die Frage, die uns quält: Werden Sorge und Liebe sich endlich in Einklang bringen lassen, wenn das verheißene Königreich kommt?

MARIA: Das sind gar schwierige Fragen … aber mit mir, seht Ihr, steht es so: Als ich des Engels Bot­schaft erhielt, hat Gott eine Melodie in mein Herz gesenkt. Und da verstand ich, daß Reichtum und Klugheit nichts sind vor Gott: Niemand ist zu unbe­deutend, sein Freund zu sein. Das hab’ ich mir so gedacht – weil gerade mir das alles geschehen war. Ich bin von bescheidener Herkunft – doch Gottes Allmacht kam zu mir! Dumm bin ich und ohne Wis­sen – doch Gottes Wort wurde zu mir gesprochen! In tiefer Not und Sorge war ich, als mein Kind geboren wurde und mein Leben mit Liebe erfüllte. Darum weiß ich, daß Weisheit, Macht und Sorge wohl sein können neben und mit der Liebe. Und für mich, seht, für mich ist dies Kind in meinen Armen die Antwort auf alle Fragen.

KASPAR: Weise sind deine Worte, Maria. Gesegnet bist du unter den Weibern, und gesegnet ist Jesus, dein Sohn. Kaspar, König von Chaldäa, huldigt dem König der Juden mit einer Gabe Weihrauch.

MELCHIOR: O Maria! Ein gewaltiges Wort hast du gesprochen! Gesegnet bist du unter den Weibern und gesegnet ist Jesus, dein Sohn. Melchior, König von Pamphylien, huldigt dem König der Welt mit goldenem Geschenk.

BALTHASAR: Ein Wort der Liebe hast du gespro­chen, Maria, Mutter Gottes! Gesegnet bist du unter den Weibern, und gesegnet ist Jesus, dein Sohn. Balthasar, König von Äthiopien, huldigt dem König des himmlischen Reiches mit Myrrhen und edlem Gewürz …

ZILLA: Oh, sieh die große goldene Krone! Und wie das Weihrauchfaß blinkt von Rubinen und Diaman­ten … und der blaue Rauch … sieh nur, wie er steigt! Wie süß das riecht… und die Myrrhen, und Aloe … wie die Nelken duften und der Zimt. Ist das nicht herrlich? Und alles für unseren kleinen Jesus! Wol­len wir mal sehen, was er am liebsten mag? Schau her, Baby – lache doch mal die hübsche Krone an …

WEIB: Puh, was für ein feierlich langweiliges Gesicht er macht!

ZILLA: Aber er lacht das Weihrauchfaß an …

WEIB: Ja, das Tingeln von den silbernen Ketten … das mag er…

JOSEPH: Jetzt streckt er seine kleine Patsche aus und greift nach den Myrrhen.

WEIB: Nein, so was! Man weiß doch nie, was ihnen gerade gefällt…

MARIA: Werden nicht die Toten mit Myrrhen einbal­samiert? Seht Ihr es, König der Sorge? Mein Sohn hat Eure Sorge auf sich genommen.

JOSEPH: Myrrhen sind auch das Zeichen der Liebe. Ihr wißt doch, wie es heißt im Liede Salomos: „Mein Freund ist wie ein Büschel Myrrhen.“

MARIA: Ihr edlen Herren, wir sind Euch sehr dank­bar für alle Eure Gaben … und was Eure Worte an­geht, seid gewiß, daß ich sie wahren und sie in mei­nem Herzen bewegen werde.

Zweiter Abschnitt: Das Zelt der drei Könige

KASPAR: Tja, meine königlichen Brüder! Das waren etwas unerwartete Wege, die uns der Stern geführt hat.

MELCHIOR: Und die Schätze, die wir für einen Kö­nigspalast auswählten, die sind jetzt zum Spielzeug für ein Kindlein geworden. Und wo blieben all unse­re höflichen Artigkeiten und klugen Weissagungen?

BALTHASAR: Ich glaube, wir haben unsere Weis­heit vergessen und nur Fragen stellen können wie die Schulkinder.

KASPAR: Alles Wissen der Menschen ist nichts, und Spielzeug sind all seine Schätze. Aber du, Balthasar, hast ein seltsames neues Wort geprägt. „Heil, König des himmlischen Reiches“ hast du gesagt, und dann „Maria, Mutter Gottes“. Wer hat das deinem Herzen eingegeben?

BALTHASAR: Frag’ nicht mich. Ich sprach wie ein Mann in einem tiefen Traum. Ich sah das Kind an, und ich sah über ihm den Schatten des Todes, aber in ihm leuchtete das Licht des Lebens, und ich wußte, daß ich vor dem Sterblich-Unsterblichen stand – vor dem tiefsten Geheimnis der Welt.

KASPAR: Du bist der Weiseste von uns dreien, Balt­hasar. Doch komm, laß uns jetzt schlafen, damit wir frisch sind für unsere Reise morgen. Sag unseren Musikern, sie möchten leise im Außenzelt spielen.

MELCHIOR: Musikanten! Spielt uns auf. Laßt Laute und Harfe sanft zusammen erklingen.

(Musik. Langsam abschwächend, dann wieder an­schwellend. Darauf die Stimme des Engels, die durch die Musik dringt)

ENGEL: Kaspar! Melchior! Balthasar!

KASPAR: (im Schlaf) Wer ruft?

ENGEL: Ein Warntraum aus dem Grauen eines schrecklichen Dunkels.

MELCHIOR: (im Schlaf) Was ist? Was ist denn?

ENGEL: Ein Schwert liegt über dem Weg auf der Straße nach Jerusalem.

BALTHASAR: (im Schlaf) Wie kann ich zu Dir kom­men? Wo soll ich Dich finden?

ENGEL: Bei dem hohen Baum auf dem Hügel. (Musik verklingt)

BALTHASAR: Rufe noch einmal. Ich komme! (Musik bricht ab) o, … es ist vorbei. Kaspar!

KASPAR: Bist du das, Melchior?

MELCHIOR: Ich dachte, du hättest geschrien …

BALTHASAR: Ich hatte einen Traum …

KASPAR: Ich auch …

MELCHIOR: Und ich auch …

KASPAR: Mir träumte, ich ging in der Nacht nach Je­rusalem, aber der Wind löschte meine Laterne. Da reckte ich meine Hand zum Himmel und holte den Stern herunter, um mir zu leuchten … und alles wur­de dunkel … und ich fiel … tiefer … immer tiefer … und dann wachte ich auf, als eine Stimme meinen Namen rief.

MELCHIOR: Auch ich ging nach Jerusalem und plötzlich brach vor mir die Erde auf. Ich zog mein Schwert und überquerte den tiefen Abgrund … auf der schmalen Schneide des Schwertes. Aber als ich hinüber war, entdeckte ich, daß die Spitze des Schwertes tief in Marias Herz gedrungen war, und in meinen Ohren klang das trostlose Weinen eines Kin­des.

BALTHASAR: Auch ich ging nach Jerusalem durch ein tiefes Tal zwischen bewaldeten Bergen. Da hörte ich Marias Stimme rufen: Komm zurück! Komm zurück! Mein Kind hat sich verirrt in den Bergen. Da suchte ich, suchte lange zwischen den Dornbü­schen, denn ich wußte, daß ich niemals die Stadt er­reichen würde, ehe ich nicht den Christ gefunden.

KASPAR: Brüder, ich kann nicht glauben, daß dies nur leere Träume gewesen sind.

MELCHIOR: Ich glaube, daß wir ein Schwert über unserem Wege finden werden, wenn wir jetzt nach Jerusalem zurückkehren.

KASPAR: Wir haben in das Herz des Herodes ge­blickt und sahen in das Grauen eines schrecklichen Dunkels.

MELCHIOR: Ehrlich gesagt, ich mißtraue seinen Ab­sichten sehr.

BALTHASAR: Tut Ihr, was Ihr wollt, Brüder. Ich für meinen Teil gehe nicht nach Jerusalem zurück.

KASPAR: Dann sind wir also alle einer Meinung. He­da! Brecht die Zelte ab. Sattelt unsere Pferde! … Wir kehren auf einem anderen Wege nach Hause zurück.

Dritte Szene: Jerusalem

DER EVANGELIST: Als Herodes nun sah, daß er von den Weisen betrogen war, ward er sehr zornig …

PROCLUS: Sie sind am Zug, Baron …

EPHRAIM: Wie bitte? O ja. So, Herr Hauptmann … Um Himmels willen, Junge, hör auf mit deinem Ge­dudel. Wie oft soll ich dir das noch sagen! Es schickt sich doch nicht, wenn im Nebenzimmer der König im Sterben liegt…

PAGE: Ooch, dem König macht das nichts mehr aus, der merkt das gar nicht mehr.

EPHRAIM: Das ist mir ganz egal, aber mir geht’s auf die Nerven.

PROCLUS: Jetzt habe ich Sie, Baron.

EPHRAIM: Verflixt und zugenäht! Wie konnte ich das nur übersehen.

PROCLUS: Ihre Gedanken sind nicht beim Spiel, heute.

EPHRAIM: Stimmt, ich meinte etwas zu hören … wirst du nun endlich mit dem widerlichen Geklim­per aufhören?

(PAGE hört mit einem trotzigen Diskord auf)

Da, was habe ich gesagt? Da wird doch geschrien. Hören Sie?

(Man hört draußen das Lärmen der Volksmenge)

PAGE: Mann, beim Tempel muß was los sein, sie lau­fen alle in der Richtung.

EPHRAIM: Eijeijei, was für Zeiten! Das will ich Ih­nen sagen, Hauptmann Proclus – wenn es Unruhen gibt…

PROCLUS: Da ist doch jemand an der Türe … Herein … Wer bist du? Was willst du?

BOTE: Ich bringe einen Brief für den König.

PROCLUS: Der König ist krank und kann dich nicht empfangen. Besser, du gibst den Brief mir.

BOTE: Ich habe Befehl, das Schreiben nur dem Kö­nig persönlich zu geben – aber sie erzählen auf der Straße, der König Herodes sei tot?

EPHRAIM: (nervös) Wie können sie nur so was sa­gen? Der König ist nicht tot. Ganz und gar nicht. Ein wenig unpäßlich, das ist alles … setz dich hin und warte ein Weilchen, das wird das beste sein.

(In der Straße beginnt ein Aufruhr loszubrechen)

O Gott Abrahams, was ist denn nun schon wieder?

PAGE: (erregt) Jetzt geht’s los, glaube ich – alle sind sie oben beim Tempel – mit Fackeln – jetzt kommen sie hierher – die ganze Straße wimmelt nur so … (der Lärm wird stärker)

PROCLUS: Was schreit die Bande eigentlich dauernd?

PAGE: Ich kann es nicht verstehen … da, jetzt ist der Hohepriester aus seinem Haus gekommen … gleich ist er wieder rein wie der Blitz … jetzt kommen sie näher …jetzt kann ich sie deutlich sehen …

PROCLUS: Jetzt wirst du gleich mit der Nase auf dem Pflaster liegen …

PAGE: Sie tragen da was … halten es hoch … etwas Großes und Leuchtendes … o Gott o Gott… den Ad­ler haben sie runtergerissen …

PROCLUS: Was haben sie? Sag das noch mal!

PAGE: Den Adler … den goldenen Adler vom Tem­peltor, sie haben ihn runtergerissen …

PROCLUS: Was? Roms Adler? … Heruntergerissen? … Weg da, Junge … laß mich sehen …

EPHRAIM: (winselnd) O Gott, dieser Unglücksadler … ich habe schon immer gesagt, sie hätten ihn nie dort anbringen sollen … er beleidigt die Gläubigen … und jetzt alle diese hitzigen jungen Leute …

MENGE: (näher kommend) Nieder mit den Adlern … Judäa für die Juden … der König ist tot… hoch Ar­chelaus … lang lebe Antipater … Hoch die wahre Re­ligion … Nieder mit den Tyrannen … Nieder mit Rom … werft Feuer in den Palast.

SKLAVEN: (stürzen herein) Hilfe! Hilfe! Die ganze Stadt ist in Waffen.

PROCLUS: Sklavenpack. Was tut ihr hier? Habt ihr den König allein liegenlassen?

EIN SKLAVE: Der König ist ohne Besinnung … oder tot. glaube ich …

EPHRAIM: Umbringen werden sie uns, mein Gott. Alle werden wir umgebracht werden …

MENGE: (unter dem Fenster) Freiheit … Los von Rom … ein freies Reich der Juden … nieder mit den Götzenbildern … nieder die falschen Götter … Gotteslästerung ist es … Schändung des Allerheilig­sten … Nieder mit Caesar … zerbrecht die Ketten Roms … freies Judenreich für ewige Zeiten … Ein Messias … Ein Messias … Steinigt, steinigt, steinigt … (andere Schreie mischen sich dazwischen) Heil Caesar … nieder mit den Rebellen … Nieder mit den Priestern … Verrat… steinigt die Verräter … (Lärm einer Schlägerei)

EPHRAIM: Hauptmann Proclus, mein Gott… so tun Sie doch schon was …

PROCLUS: He, ihr da, ihr Judenhunde …

(Steine fliegen krachend, Sklaven heulen ängstlich)

EPHRAIM: Schnell… fort … sie werfen mit Steinen (ein neuer Krach. Geschirr zerdeppert) Gott Isra­els … Das waren die etruskischen Vasen … (Krach) und jetzt die Lampe – zu Hilfe …

PROCLUS: Im Namen des Königs …

MENGE: Der König ist tot… (Bravorufe und Hohn­gelächter)

PROCLUS: Im Namen des Kaisers …

MENGE: (nicht ganz so zuversichtlich) Nieder mit dem Kaiser…

STIMME: Hau ab nach Rom, kleiner Zinnsoldat … (Gelächter)

STIMME: (entfernter) Frieden hier. Gebt Ruhe. Laßt mich sprechen.

MENGE: Matthias … hört auf Matthias … laßt den Rabbi Matthias sprechen … helft ihm aufs Rostrum …

MATTHIAS: Volk Israels … Diener des einzigen und wahren Gottes … (hört hört) Hier seht ihr dies Götzen­bild (Stöhnen)… dies ekelhafte Symbol heidnischer Macht (Zischen) … von gottlosen Mächten über die Tore des heiligen Tempels gesetzt (Schande, Schande. Judäa den Juden) … das Gesetz verhöhnend, das sagt: Ihr sollt euch kein Bildnis machen … Schämt ihr euch nicht, daß ihr es solange geduldet habt? Seid ihr noch Juden? Seid ihr noch Gläubige? Seid ihr noch Män­ner? Wovor fürchtet ihr euch denn …

(die Menge murmelt, der Lärm läßt soweit nach, daß man deutlich und unerwartet plötzlich mitten im Raume die Stimme des HERODES hört)

HERODES: Platz da am Fenster.

EPHRAIM: Der König … (ehrfürchtig flüsternd) Er lebt … er ist aufgestanden … Hoheit … um Gottes willen, zeigt Euch ja nicht, sie werden Euch angrei­fen (der Aufruhr dauert an).

HERODES: Still, du Narr. – Kerzen her … Proclus …

PROCLUS: Zu Befehl, mein König.

HERODES: Schnell zur Festung. Alarm. Hol die Wachkompanie.

(PROCLUS klirrt hinaus)

He, Page …

PAGE: Herr König?

HERODES: Kerzen her, Pack. Schnell. Kerzen. Leuchtet mein Gesicht an.

MATTHIAS: Mut, Volk Israel. Erhebt euch … nicht länger werden wir die Knechtschaft tragen … (Bra­vorufe) Frohlockt, Freunde. (Bravorufe) Herodes, der Tyrann, ist tot.

(Ungeheurer Beifall und Rufe wie vorher)

HERODES: (mit einer furchtbaren Stimme, die den ge­samten Aufruhr übertönt) Ruhe, Rebellen … Kennt ihr mich? … Kennt ihr Herodes noch? (ein tödliches Schweigen breitet sich aus, man könnte eine Nadel fal­len hören)

(eisig und mit unheilverkündender Ironie) Ich sehe, ihr kennt mich noch. Ich möchte euch danken für die charmanten Grabreden … sie kamen ein wenig zu früh, aber Herodes wird sie nicht vergessen, (mit stark erhobener Stimme) He da. Stehengeblieben, mein Bursche … (lähmend ruhig) Wenn jemand sich zu drücken ver­sucht, während ich rede, lasse ich ihn aufs Rad flech­ten … Es scheint mir, daß jemand in seiner begeisterten Ergebenheit für das kaiserliche Symbol ein wenig zu weit gegangen ist. Der Adler, den ihr da habt, ist nicht zum Privatgebrauch als Gartenornament gedacht … ich werde aber nicht verfehlen, den Kaiser von eu­rem ergebenen Eifer zu informieren. Er wird sich zweifellos außerordentlich darüber freuen. Wenn ihr wieder einmal eure edle Begeisterung für Rom und Reich auf der Straße austoben wollt, sucht euch aber bitte eine passendere Stunde dazu aus. Ihr habt nicht nur meine Ruhe gestört, sondern auch alle diese bra­ven Bürger aus ihren warmen Betten gescheucht.

(Man hört eine marschierende Truppe)

Da seht ihr es. Schon kommt die Wache, weil ihr solch ruhestörenden Krach macht, (aus der Menge kommt erregtes Murmeln: Achtung … das Militär kommt… lauft… flüchtet… usw.)

Ich glaube auch, daß ihr besser nach Hause geht, meine Lieben.

(Wirres Durcheinander in der Menge)

Darius? … Hallo, du unten … Hauptmann

DARIUS: Zur Stelle, Hoheit.

HERODES: Verhaften Sie die vier Männer, die den Adler halten … und den Lümmel mit dem grünen Rock … und den eifrigen Herrn mit dem Hammer … und die beiden Rabbis, die sich gerade vom Rostrum dünne machen wollen … dann zum Hause des Hohenpriesters. Verhaften. Die anderen Idioten laßt laufen.

DARIUS: Zu Befehl, Hoheit.

HERODES: Anschließend kommen Sie mit Proclus zum Rapport.

DARIUS: Zu Befehl! … Los, Jungens, ihr habt den Befehl gehört… Beeilung.

(Die Menge wird abgedrängt, die Geräusche werden schwächer und schwächer)

HERODES: Reizend. Wirklich ganz reizend, das muß ich schon sagen. Der Hohepriester wird sich zu ver­antworten haben für sein unerhörtes Benehmen. Gebt mir einen Stuhl. Und ein Glas Wein.

EPHRAIM: (mit kriechendem Plärren) Jawohl, Ho­heit. Eine Sekunde, Königliche Hoheit. O, Euer Gnaden … wir hatten solche Angst… wir fürchteten, daß Euer Gnaden … ich will sagen, wir glaubten … wir dachten … err … sind Hoheit auch sicher, daß Euer Gnaden nicht vielleicht… äh … verletzt…?

HERODES: Hör auf mit dem Gewinsel, Mann. Hier, Sklaven, nehmt die Lampe und schafft den Dreck weg … Was ist das denn da in der Ecke?

EPHRAIM: Das? Wie? Ach so … der Bursche kam mit einen Brief. Richtig, mit einem Brief, (er lacht al­bern) Hatte ich doch ganz vergessen, Hoheit. He he.

HERODES: Ein Brief? Von wem?

BOTE: Vom hochedlen König von Chaldäa, Euer Gnaden, mit dem Befehl, ihn Euer Majestät persön­lich zu überreichen.

HERODES: Sieh an, vom Kaspar von Chaldäa. Gib her.

EPHRAIM: Soll ich ihn lesen, Euer Gnaden?

HERODES: Nein. (Stille, während er den Brief öffnet und liest)

Die Pest über die Bande … der Aussatz soll sie ver­faulen lassen … Hört euch diese Unverschämtheit an: (er liest vor) Wir haben gesehen; Wir haben gehört; Wir haben angebetet. Jedoch werden wir wohl kaum zurückkehren, wie wir es versprochen hatten, denn der Befehl des Höchsten verbietet es. Lebt wohl … Schreibt so ein König an seinen Bru­der?

EPHRAIM: (eifrig) Unerhört. Ich habe keine Ah­nung, was es bedeuten soll, aber es ist einfach un­glaublich …

HERODES: Es bedeutet Unruhen. Wenn nicht mehr .. Aufstand. Rebellion. Bürgerkrieg …

(EPHRAIM quietscht einen Protest)

Aber ich werde schon mit ihnen fertig. Ich will Ru­he und Ordnung in Judäa haben, – und ich erreiche das auch. Ich werde ein Netz über das ganze Land werfen … ein Netz, so stark und feinmaschig, daß ihr Messias sauber darin hängenbleibt… Proclus …

PROCLUS: Mit Hauptmann Darius zur Stelle. Die Stadt ist wieder ruhig.

HERODES: Gut so. Ein weiterer Befehl… Nehmen Sie eine Abteilung meiner Thrazier. Sie marschieren nach Bethlehem und stöbern jedes einzelne männli­che Wiegenkind auf. Dann …

PROCLUS: Kinder, König Herodes?

HERODES: Jawohl, Hauptmann. Kinder. Alle bis zwölf Tagen … nein … ich muß sichergehen … er­greift alle männlichen Kinder bis zu zwei Jahren und bringt sie um. Alle. Das ganze junge Otternge­zücht. Verstehen Sie, Hauptmann? Nicht einer darf leben bleiben. Ausrotten. Restlos. Klar?

PROCLUS: Ich bin Soldat, Hoheit, kein Kinder­schlächter.

HERODES: Sie haben den Befehl gehört, Hauptmann Proclus … Sie werden gehorchen.

PROCLUS: Ich denke nicht daran! Ich bin ein Rö­mer. Wir sind keine Kindermörder. Warum schickt Ihr nicht einen Eurer eigenen Barbaren?

HERODES: Unverschämtheit, Hauptmann. Sie stehen in meinem Dienst.

PROCLUS: Ich bitte gehorsamst um Verzeihung, Ho­heit. Ich stehe in Euer Hoheit Diensten, aber ich bin immer noch ein Römer. Euer Hoheit können mich entlassen – selbstverständlich, aber wenn ich einge­kerkert oder hingerichtet würde … ich fürchte, das zöge Unannehmlichkeiten nach sich … für Euer Ho­heit.

HERODES: Proclus, Sie sind ein Narr … aber ein ehr­licher Narr. Darius …

DARIUS: Zu Befehl, Hoheit.

HERODES: Sie haben den Befehl gehört?

DARIUS: Zu Befehl.

HERODES: Der Befehl ist sofort auszuführen.

DARIUS: Zu Befehl. Sofort ausführen.

(Der Hauptmann DARIUS nimmt Haltung an und stampft hinaus)

PROCLUS: Damit darf ich mich wohl als entlassen betrachten …

HERODES: Unsinn, Hauptmann. Ich weiß, Sie mei­nen es gut. Aber was ist denn schlimmer … ein paar Dutzend plärrende Bauernbabies umbringen oder ein ganzes Königreich in den Bürgerkrieg treiben las­sen? Die Juden schreien nach ihrem Messias. Schön. Soll ich Ihnen sagen. Hauptmann, wie er heißt, die­ser Messias? Feuer und Schwert, heißt er. Mord und Brand. Ich will das nicht. Ich werde es nicht dulden, verstehen Sie? Dies Land soll Frieden haben, und solange Herodes lebt; wird es nur einen König in Ju­däa geben…

STIMME: (von draußen) ‘paniiii … Stillgestanden. Rechts … um. Im Gleichschritt… marsch.

(Die Truppe marschiert ab)

HERODES: Ich bin krank, Proclus. Bring mich zu Bett.

PROCLUS: Hm. Das ist also das Ende des neuen Messias?

EVANGELIST: Aber der Engel des Herrn erschien dem Joseph in einem Traumgesicht, und er sprach: Stehe auf und nimm dieses Kind und seine Mutter und fliehe ins Ägypterland, denn Herodes wird das Kind suchen, es umzubringen. Und er erhob sich in der Nacht und nahm das junge Kind und dessen Mutter, und sie flohen nach Ägypten und verweilten dort bis zum Tode des Herodes.

Quelle: Dorothy L. Sayers, Zum König geboren. Eine Hörspielfolge um das Leben Jesu Christi (The Man Born to Be King), aus dem Englischen übersetzt von Heinz Geck, Hamburg: Hoffmann & Campe, 1949.

Hier der Text als pdf.

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