Heinz Dietrich Wendland über die Eschatologie (1964): „Wir sind berufen, im Zeichen der Auferstehung und damit des kommenden Sieges in der Liebe für die Gerechtigkeit zu handeln und dadurch den dämonischen Gewalten den Raum in der Welt streitig zu machen und zu bezeugen, dass Gott und seinem Christus die Herrschaft über die Welt gebührt.“

Eschatologie

Von Heinz Dietrich Wendland

Der theol. Begriff E. bedeutet Lehre vom „Letzten“ oder von den „letzten Dingen“. Diese redet sowohl von dem Endgeschick des einzelnen Menschen, indem sie die Auferstehung der Toten und das ewige Leben verkündigt, als auch von der end­gültigen Zukunft des ganzen Kosmos einschließl. des Endes der gesamten Menschheits-Geschichte. Daher wird vielfach die „individuelle“ und die „universale“ E. unterschieden; es ist jedoch sehr wichtig, sie niemals zu trennen. Die E. im Christl. Sinne darf nicht so ver­standen werden, als ob sie nur in das letzte Kapitel der christlichen Glaubenslehre gehöre, das von Welt­gericht und Weitende, Auferstehung der Toten und Vollendung des Reiches Gottes handelt. Vielmehr ist die ganze Botschaft des Evangeliums durch und durch „eschatologisch“ und der christl. Glaube durch und durch Erwartung, nämlich auf die Vollendung des göttl. Heilswirkens, und Hoffnung auf den wieder­kommenden Herrn (Parusie oder Wiederkunft), der „kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten“ (Apostol. Glaubensbekenntnis). Denn der Christi. Glaube richtet sich ja nicht bloß auf ein ver­gangenes Heilsereignis (Tod und Auferstehung Christus), auch nicht nur auf die von Christus erfüllte Gegenwart (Wirken Christus im Hl. Geiste hier und jetzt), sondern auf die Zukunft, die überhaupt erst die Vollendung des göttl. Erlösungswerkes und der Sendung Christus bringen wird. Wenn das, was Gott mit der geschichtl. Sendung Christus zu wirken begonnen hat, nicht vollendet werden würde, so hätten wir es mit einem ohnmäch­tigen Gott zu tun, der mit der Sünde der Menschen, mit dem Tode und mit den dämonischen Gewalten, die diese Welt durchherrschen, nicht fertig werden könnte, und sein Erlösungswerk bliebe ein Torso. Der Glaube ist Hoffnung. Er richtet sich auf die Zukunft Gottes, der kommen wird, um seine Herrschaft unwiderstehlich und endgültig über den ganzen Kos­mos aufzurichten, damit er sei „alles in allen“ (1.Kor. 15,28). Darum sind wir durch Hoffnung gerettet (Röm. 8,24). Ohne die Aussage, daß Gott sein Heils­werk an der Menschheit zu Ende führen wird, daß sein Sieg und seine Weltherrschaft am Ende aller Dinge stehen, kann das Evangelium nicht frohe Bot­schaft sein (vgl. Offb. Joh. 11,15; 19,6). Alle christl. E. hat ihre Mitte in der Erwartung des kommenden Sieges Christus, der der zukünftige Weltenrichter und Welterlöser sein wird. Diese Erwartung gründet sich auf die geschichtl. Sendung Jesu Christus, der als der Verkündiger und Bringer der Gottesherrschaft in die Welt gekommen ist, und auf sein gegenwärtiges, lebendiges Wirken in seiner Kirche durch den Hl. Geist, in Kraft seiner Auferstehung und Erhöhung. Der Glaube, der in Jesus den göttl. Offenbarer und Heilbringer erkennt, ist auf die Zukunft Christi gerich­tet; weil seine Sendung noch nicht vollendet ist, sind doch Sünde und Tod noch immer in der Welt am Werke. Aber das geschichtl. Wort und Wirken des Herrn mit allen seinen Folgen und Ausstrahlungen, die von Ostern ausgehen, ist selbst der Anbeginn, das Anfängen und Hereintreten des Reiches Gottes und des ewigen Heils, die in der Zukunft vollendet werden sollen, um über alle Feinde Gottes und Christus zu trium­phieren. Daher lebt die Christenheit schon jetzt und immer im Lichte der „letzten Dinge“; das „Ende“ der Weltzeit hat mit der Sendung Jesu in die Welt schon begonnen. So ist auch die Kirche eine „eschatologi­sche“ Größe. Denn sie lebt ja aus und in Christus; mit ihm bricht Gottes Reich herein in diese Welt. Wo Kirche ist, wo das Evangelium verkündigt wird, wo getauft wird, wo Menschen zum Glauben kommen, da ist „Endzeit“, da ist der Beginn der „letzten Dinge“, wenngleich noch in Niedrigkeit und Verborgenheit.

Die christl. E. bewirkt eine neue Anschauung von der Geschichte. Christus ist die Wende der Äonen, weil mit ihm das Reich Gottes in die Weltgeschichte ein­tritt. Von Christus her geht die Geschichte ihrem End­ziel entgegen. Weder läuft sie ins Unendliche weiter, noch endet sie im Nichts. Christus ist A und O, Anfang und Ende. Die Weltgeschichte hat eine unumkehrbare Richtung auf das End-Ziel hin, das in der endgültigen Aufrichtung des Reiches Gottes be­steht. Dies bedeutet jedoch, daß alle eschatolog. Aussagen eigentümlich doppelsinnig sein müssen: sie sprechen vom Ende der Geschichte und der Welt und zugleich von ihrer Vollendung, Verwandlung und Neuschöpfung. Denn die von Sünde und Tod durch­wirkte Welt muß im Weltgericht vergehen (Offenb. Joh. 20,11), und doch hält der Schöpfer fest an der Verwirklichung seines Planes mit seiner Schöpfung. Darum „warten wir eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt“ (2.Petr. 3,13). Das Ende der „alten“ ist der Beginn der „neuen“ Welt. Aber um einen neuen Kosmos handelt es sich, um die Welt der verklärten Krea­turen Gottes, nicht um ein bloßes „Jenseits“, das mit leiblosen Seelen bevölkert wäre. Paulus erwartet mit der Auferstehung der Toten zugleich die neue, pneu­mati­sche Leiblichkeit (1.Kor. 15,35ff. und 42ff.): Gott der Schöpfer ist auch der Neuschöpfer und Er­löser des Leibes, ist doch der Mensch nach dem Menschenbilde der Hl. Schrift immer der leibhafte und leibhaft handelnde Mensch, niemals bloß Geist oder Seele. Als neuer Kosmos hat die Vollendung aller Dinge also eine dem „Diesseits“, der Welt, der Erde zugewandte Seite. Vernichtet werden die dämo­nischen Gewalten, neugeschaffen und verherrlicht wird die Schöpfung Gottes.

Solche Aussagen führen an die Grenze aller theol. Begrifflichkeit. Vom „Letzten“ im Sinne der Voll­endung des Schöpfungs- und Heilswerkes durch Gott kann nur in andeutenden Bildern und Gleichnissen geredet werden, wie AT und NT dies tun. Wir können die eschatolog. Bildersprache auslegen, aber nicht ablegen. Mit dieser Bildersprache müßte die christl. E. selbst zugrunde gehen. Auch die eschatologischen Grundbegriffe wie „Reich Gottes“, „Auferstehung“, „ewiges Leben“, „geistl. Leib“ sind in Wirklichkeit Bilder. Die göttl. Offenbarung ermächtigt uns dazu, in diesen Bildern den göttl. Heils- und Vollendungs­willen zu verkündigen, sie zeigt uns aber auch (1.Kor. 13,8ff.), daß diese Bilder im Schauen des Vollkom­menen vergehen müssen, weil sie unvollkommen und gebrochen sind. Wenn das Vollkommene erscheint, werden Prophetie und Erkenntnis abgetan. Aber was die Hoffnung hofft, das ist ewig, so wenig seine göttl. Herrlichkeit in menschl. Begriffe voll eingehen kann.

Aus den mannigfaltigen Formen der Auflösung und Verweltlichung der christl. E. können hier nur zwei herausgehoben werden: 1. der individualistische Jen­seits-Glaube, der nur an die ewige Seligkeit des einzelnen denkt, die Hoffnung für die Welt aber preisgibt. Die Einwirkungen der platonischen Philo­sophie und der Mystik haben die kirchl. Frömmigkeit bis auf den heutigen Tag so stark beeinflußt, daß sie in weiten christl. Kreisen, insbes. der Staats- und Volkskirchen, die universale Hoffnung auf die Voll­endung des Reiches Gottes zurückgedrängt oder sogar völlig aufgelöst haben. Die Folgen waren vor allem die Zerstörung des Missionswillens, der Missionskraft der Kirchen und der eth. Verantwor­tung für die Leiden und Nöte der Völker, die in soz. —»Diakonie Gestalt annimmt. Die Erkrankung der christlichen Zukunftshoffnung ist eine Lähmung des christl., universal, u. soz. Ethos.

2. Die zweite Auflösungsform ist der Fortschritts­glaube, der mit der Utopie eines innerweltl. Reiches der Wohlfahrt, des Glückes und der Gerechtigkeit aufs engste verbunden ist, das den Vollkommenheits­zustand am Ende der Menschheitsgeschichte darstellt und aus den Kräften der Menschheit errichtet wird. Vernunft und Humanität reichen sich die Hände, um an Stelle des Reiches Gottes, das von „oben“ kommt und von Gott durch Christus errichtet wird, das Endreich des Menschen zu setzen (Chiliasmus). Hier wird das universale Ziel für die Menschheit zwar fest­gehalten, das der kirchl. Jenseitsglaube preisgegeben hat, zugleich aber die Macht der Sünde verkannt und ein optimistischer Glaube an den Menschen verkündet, der der Wirklichkeit nicht standhält, wie vor allem die geschichtl. Katastrophen des 20. Jh.s gelehrt haben. Daher haben die beiden Auflösungsformen schließl. beide das universale Ziel des Gottesreiches verloren. Der Fortschrittsglaube zersetzte sich. Das Ende der Krisis der entchristlichten E. ist Hoffnungslosigkeit und Nihilismus, schauerliche Vereinzelung des Menschen im Nichts, Sinnlosigkeit des Weltgesche­hens im Ganzen. Dem Zeitalter der Weltangst und Hoffnungslosigkeit, die Welt und Mensch preisgibt, haben wir die christl. Hoffnung auf das allum­fassende, Welt und Mensch erneuernde Reich Gottes neu zu verkündigen. Die ges. Christenheit ist heute nach ihrer Hoffnung gefragt. Dies gilt um so mehr, als ihr in der bolschewistischen Welt die mächtigste Form weltl. Hoffnung auf die Selbsterlösung der Menschheit durch die Errichtung der klassenlosen Ges. gegenüber­steht. Zw. dem kommunistischen Chiliasmus und der nihilistischen Hoffnungslosigkeit wird heute die Welt hin- und hergerissen.

In unserem Zusammenhange ist bes. der unlösliche Zusammenhang von Sozialethik und Eschatologie wesentlich. Das christl. Ethos ist ein „eschatolog.“ Ethos, ein Ethos der Erwartung, der Hoffnung. Christen handeln in der Hoffnung auf das kommende Reich Gottes. Darum ist ihr Handeln nicht fruchtlos und nicht vergeblich. Es geschieht von Ostern her, im Lichte der eschatolog. Tatsache der Auferste­hung Jesu Christus, der der „Erstgeborene von den Toten“ ist (Kol. 1, 18). Seine Auferstehung ist der Anfang und Durchbruch der kommenden Aufer­stehung der Toten (1.Kor. 15,12-28). „So die Toten nicht auferstehen, lasset uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot“ (1.Kor. 15,32), dann gilt also nur noch die materialistische Hoffnungslosigkeit, dann gibt es keine Überwindung der Sünde und kein neues Leben der Christen (15,14-17), ohne diese Hoffnung also auch kein christl. Ethos. Es beruht auf der Hoffnung für die Welt, die Gott selbst ge­offenbart und zu der er uns berufen hat. Mit dieser Hoffnung empfangen wir das neue Gebot der Gottes­herrschaft, zuhöchst das Gebot der Liebe (vgl. die Bergpredigt Mt. 5-7).

Dies Gebot ist 1. die radikalste Kritik aller menschl. Zustände, Gesellschaftsordnungen und Verhaltensweisen; denn es ist die Kritik der göttl. Liebe, die von dem Menschen ein neues Sein durch radikale Umkehr und radikale Erfüllung des Liebesgebotes fordert. Alle Utopien hinsichtl. der eth. Möglichkeiten des Menschen, aber auch aller Pessimismus und soz. Konservativismus sind durch das Gebot der un­bedingten Nächstenliebe gerichtet. 2. Wenn Paulus sagt, daß die Liebe des Gesetzes Erfüllung sei (Röm. 13,10), so ist dieser Satz nur möglich in der eschatolog. Weltstunde, in der Christus erschienen ist. Er zeigt darum auch, daß die richtende Liebe mit der barm­herzigen Liebe unlöslich verbunden ist, ja daß alles Gericht der Gnade dient. Aus Liebe zur Welt und den Menschen erkennt die christl. Gemeinde daher die höchst vorläufigen Ordnungen an, in denen die Menschen nach Gottes Willen bis zum Tage des Weltgerichtes leben (vgl. Röm. 13,1ff.); sie dient in ihnen, setzt sich nicht hochmütig über sie hinweg und tut alles, was sie kann, zu ihrer Besserung in Wirt­schaft, Gesellschaft und Staat, ohne damit der Illu­sion einer perfekten Welteinrichtung nachzulaufen. Die „Fortschritte“ der Vernunft und Moral sind fragwürdig und doppeldeutig, d. h. sie führen stets die zerstörenden Wirkungen der Sünde mit sich. Die Fruchtbarkeit der Christus-Liebe aber ist unendl., und mit der Liebe zum Nächsten werden alle Ordnungen und Gesetze erfüllt, ob sie nun das Leben, das Eigentum und die Menschenwürde schützen oder der soziale Gerechtigkeit dienen sollen. 3. Endlich kann nur eine durch die Hoffnung auf Gottes Reich begründete Ethik die wirklichen Gefahren erkennen, die durch die Dämonisierung der soz. Gefüge u. Ordnungen die Menschheit und den Menschen bedrohen (vgl. den totalen Staat). Diese Dämonisierung der Ordnungen beschränkt sich nicht etwa auf eine be­stimmte Haltung des Menschen zu ihnen (daß er z. B. Staat, Volk, Rasse, Klasse an die Stelle Gottes oder des Erlösers setzt: Vergöttlichung, Deifizierung, innerweltlich-geschichtl. Ordnungen), son­dern sie verändert die Struktur dieser Gebilde selbst. Sie nehmen antichristliche Züge an und müssen zum Kampf gegen die Kirche Christus übergehen. Um des Menschen willen, um der Liebe willen muß die christl. Sozialethik eschatolog. begründet und aus­gerichtet sein. Nur dann weiß sie, was ihres Amtes ist, nur dann sieht sie auch ihre Begrenztheit. Wir denken und handeln auch als Christen zw. Ostern und dem Ende der Welt, vor dem Tage göttlicher Vollendung und göttl. Gerichts, angefochten durch Sünde und Tod, zugleich aber ohne jede Resignation, ohne Pessimismus wegen der Unvollendbarkeit der Welt; denn Gott wird sie vollenden, und wir sind berufen, im Zeichen der Auferstehung und damit des kommen­den Sieges in der Liebe für die Gerechtigkeit zu han­deln und dadurch den dämonischen Gewalten den Raum in der Welt streitig zu machen und zu bezeugen, daß Gott und seinem Christus die Herrschaft über die Welt gebührt. Dieses Handeln bedarf natürlich auch der innergeschichtl. relativen Zielsetzungen und der „kleinen“ Hoffnungen wie Friede, Freiheit, Gerech­tigkeit, Humanität in konkreter soz. Gestalt der G., Institutionen und soz. Gefüge. Solche Ziele des Die­nens in konkreter geschichtl. Situation soll die Sozialethik aufweisen. Aber keines von ihnen ist mit dem Reiche Gottes identisch, und sie liegen alle vor dem letzten Gericht. Diese „kleinen“ Hoffnungen dürfen also niemals zum Ersatz der Reich-Gottes-Hoffnung gemacht werden, oder sie verwandeln sich sofort in trügerische Illusionen und Wahnbilder. Wir müssen in dem Gebet „Dein Reich komme“ bleiben, dürfen aber zugleich handeln als Glieder dieses zu­gleich gegenwärtigen und zukünftigen Reiches.

Lit.: P. Althaus, Die letzten Dinge (1949)5. — E. Brunner, Das Ewige als Zukunft und Gegenwart (1953). — K. Heim, Jesus der Weltvollender (1952)3. — E. Hirsch, Die Reich- Gottes-Begriffe des neueren europ. Denkens (1921). — F. Holmstroem, Das eschatolog. Denken der Gegenwart (1936). — J. Pieper, Über das Ende der Zeit (1950). — H. D. Wend­land, E. und Sozialethik, Ökumenische Rundschau, 2. Jg., H. 1 (1953). — Ders., Christl. und kommunistische Hoffnung. Marxismusstudien (1954). — W. Kreck, Die Zukunft des Gekommenen (1961).

Quelle: Friedrich Karrenberg (Hrsg.), Evangelisches Soziallexikon, Stuttgart: Kreuz-Verlag, 41963, Sp. 358-362.

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