Warum eine progressive Einkommensteuer gesellschaftlich gerecht ist: „Steuern sind im Wesentlichen die angemessene Abgeltung für soziale und infrastrukturelle Voraussetzungen erfolgswirksamer ökonomischer Kommunikation, die man nicht selbst geschaffen hat.“

Warum eine progressive Einkommensteuer gesellschaftlich gerecht ist

Ist eine progressive Einkommensteuer, bei der sich der Steuersatz mit zunehmendem Steuerbetrag erhöht, gerecht? Da findet sich ja schnell der Einwand: Warum soll jemand, der sich mehr als andere erarbeitet bzw. mehr verdient hat, dem Staat prozentual mehr beizusteuern haben? Die Logik dieses vermeintlich meritokratischen Einwands ist der Subsistenzwirtschaft verhaftet: Man arbeitet auf eigenen Äckern und Feldern länger und härter im Schweiß seines eigenen Angesichts. Warum soll man mehr eigenen Ertragsüberschuss abgeben als andere, die weniger fleißig gewesen sind?

In einer hochdifferenzierten Marktwirtschaft bestimmt jedoch nicht eine quantifizierbare eigene Arbeitsleistung über die Höhe des eigenen Einkommens, sondern die je eigene Partizipation an ökonomischer Kommunikation anderer. Einkünfte werden durch rekursive Kommunikationsprozesse erzielt, die eben nicht einer Subsistenzwirtschaft auf eigenem Grund und Boden entsprechen. Je mehr einer an geldwerten Austauschverhältnissen und -vorgängen anderer zu partizipieren weiß, umso höher ist sein Einkommen. Umgekehrt profitiert man umso weniger von Austauschprozessen anderer, je mehr man selbst „eigenhändig“ erwerbstätig ist.

Damit ökonomische Kommunikationsprozesse einkommenswirksam werden, bedarf es umfangreicher sozialer Voraussetzungen. Ohne familiäre Erziehung und Fürsorge, ohne Bildung, ohne Infrastruktur, ohne funktionierende Rechtspflege und ohne staatliche und kommunale Verwaltung wären all die ökonomischen Austauschprozesse nicht möglich, an denen man einkommenswirksam zu partizipieren weiß. Je mehr jemand einkommenswirksam von Austauschprozessen anderer profitiert, umso mehr hat er auch von fremdfinanzierten Voraussetzungen ökonomischer Austauschprozesse profitiert. Löhne und Gehälter, die im Hinblick auf innerbetriebliche Wertschöpfungsprozesse gezahlt werden, gelten nicht die infrastrukturellen Voraussetzungen ab, die den Beschäftigungsverhältnissen zugrundeliegen. Stellt beispielsweise eine Unternehmerin einen Akademiker ein, sind dessen Schulausbildung und dessen Hochschulstudium im Wesentlichen durch staatliche Leistungen ermöglicht und finanziert worden. Der moderne Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat schafft immer mehr Voraussetzungen, von denen unternehmerisches Handeln zu profitieren weiß. „Mein Einkommen ist eben nicht mein eigener Verdienst“ lautet das Eingeständnis, wenn profitable ökonomische Austauschprozesse auf deren Bedingungen durchdekliniert werden.

Steuern sind im Wesentlichen die angemessene Abgeltung für soziale und infrastrukturelle Voraussetzungen erfolgswirksamer ökonomischer Kommunikation, die man nicht selbst geschaffen hat. Da man mit steigendem Einkommen überproportional an fremdfinanzierten Voraussetzungen gesellschaftlichen Wirtschaftens profitiert hat, ist eine progressive Einkommensteuer gerecht. Allerdings müssen die Einkommensteuersätze der Inflationsrate laufend angepasst werden, damit keine kalte Progression bezüglich inflationsausgleichender Lohnerhöhungen wirksam wird.

Hier mein Text als pdf.

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