Hans Walter Wolff, Faulenzen auf Befehl. Vom Ruhetag: „Der Sonntag will diese Freude des Spiels der Schöpfung weitergeben. Wir dürfen eintreten in einen von Gott bereitgestellten weiten Raum, heraus aus unserer muffigen Enge; das heißt konkret, wir dürfen die Freude aufleben lassen an dem überschwenglichen Luxus an Arten und an Farben, an der verschwenderischen Fülle bunten Lebens und „dass die Vögel viel mehr singen als nach Darwin erlaubt ist“, wie ein heutiger Biologe sagt.“

Faulenzen auf Befehl. Vom Ruhetag

Von Hans Walter Wolff

Sechs Tage kannst du schaffen, aber am siebenten Tage sollst du aufhören (2. Mose 34,21a).

Dies ist die knappste und wohl älteste Form des Feiertagsgebots. Viele andere Fassungen mit ausführlichen Erläuterungen gibt es daneben im Alten Testament. Innerhalb der zehn Gebote ist es breiter als alle anderen ausgeführt. Anscheinend wird keinem Gebot für den praktischen Lebensvollzug solch grundlegende und weitreichende Bedeutung zugemessen wie gerade diesem Aufruf zur Arbeitsniederlegung an jedem siebenten Tag zu einer ganztägigen Unterbrechung aller Geschäftigkeit, ja, zu einem regelmäßig zu wiederholenden demonstrativen Streik gegen alle aufdringlichen Arbeitgeber um uns und in uns.

Warum wird dieses Gebot (übrigens neben dem Elterngebot das einzige positive!) so kräftig herausgehoben? Antwort bekommen wir, wenn wir weiterfragen: was kehrt denn in all den verschiedenen Fassungen des Gebots wieder? Nur dies eine: am siebenten Tage sollst du deine Arbeit liegen lassen. Hier kommt am klarsten heraus, dass die Gebote eine wahre Wohltat sind, wie eine gute und angenehme ärztliche Verordnung: du darfst mit bestem Gewissen an jedem siebenten Tag nichts tun! Du darfst faulenzen auf Befehl! Wer es in den anderen Geboten nicht bemerkt, der kann es hier ein für allemal erkennen: es ertönt die Stimme der Barmherzigkeit, die Stimme der Freiheit. Anders wäre es wohl nicht Gottes heiliges Gesetz, nicht des biblischen Gottes heiliges Gesetz, nicht des Vaters Jesu Christi heiliges Gesetz, wenn es nicht dies wäre: Stimme der Freiheit, Einladung der Barmherzigkeit. Der Gott, der uns im Feiertagsgebot begegnet, will nicht – wie Martin Buber einmal sagte, – „nachträglich Orden oder Zuchthauszellen vergeben“, sondern er verschenkt mit seinem Gebot, in seinem Gebot Ehre und Freiheit, die Ehre des freien Menschen, der sich regelmäßig einen völlig freien Tag erlauben kann. Gottes Gebot ist immer ein Angebot. Das schärft das Feiertagsgebot vor allen anderen ein. Auch die anderen Gebote wollen ja viel mehr Unterlassungen von uns als Leistungen.

Was machen wir mit diesem Angebot? Ist unser siebenter Tag nicht weithin verwüstet, jedenfalls von allen Seiten bedroht? Die staatlichen Gesetze zur Sonntagsruhe seit denjenigen des Kaisers Konstantin aus dem Jahre 321 können die Zertrümmerung kaum abwehren. Akademiker nutzen es eifrig aus, dass das Rasseln ihrer Schreibmaschinen und das Rascheln der Pflichtlektüre am Sonntag seltener unterbrochen wird als in der Woche. Andere lassen sich von der Industrie der Freizeitgestalter verplanen und sind mit Freizeithobbies nicht weniger nervenaufreibend beschäftigt wie mit ihrem Beruf. Dritte protestieren gegen den bürgerlichen Sonntag als einen gemeinen Trick von Ausbeutern, die damit nur leistungsfähigere Arbeitskräfte züchten und bei guter Laune halten wollen; sie machen den Sonntag bewusst zu einem Werktag ihrer Aktionsplanungen. Das alte Israel kannte wohl ähnlich vielfache Bedrohungen. Jedenfalls musste ihm das Ruhetagsgebot immer neu eingeschärft werden.

Was soll uns der strenge Befehl zur Arbeitsniederlegung? Die Antworten entnehme ich den verschiedenen Fassungen des Ruhetagsgebots. Hoffentlich kann ich es so sagen und können Sie es so aufnehmen, dass wir uns an allen kommenden Sonntagen gerne daran erinnern. Ich erkenne fünf Antworten aus dem Ruhetagsgebot des Alten Testaments.

1. Die Erinnerung an geschenkte Freiheit

5: Mose 5,15: „Denke daran, dass du im Ägypterlande Sklave warst und der Herr, dein Gott, dich mit starker Hand und ausgestrecktem Arm herausführte. Darum gebot dir der Herr, dein Gott, den Sabbattag zu feiern!“ Das heißt für Israel und für uns: denke daran, dass ein Befreier für dich am Werk ist, der noch mit allen Sklavenhaltern fertig wurde, mit den Machthabern, die dich drangsalieren, aber auch mit dem, was du dir selbst auflädst, mit deinem selbstquälerischen Arbeitsbetrieb, deinen Freizeitbetrieben, die dich und andere nicht weniger unglücklich machen, wenn sie zu Zwingherren über dich heranwachsen. Die Christen fingen an, den ersten Tag der Woche als Tag der Auferstehung Jesu (Matth. 28,1) zu feiern, als „Herrentag“ (Offb. 1,10). Seither soll jeder siebente Tag dem Menschen vergegenwärtigen, dass unser Befreier von keiner Macht und keinem Tod mehr besiegt wird. Mit dem Aufhören von der Arbeit können wir uns selbst und andere daran erinnern: Gott selbst hat unsere Sache in seine Hände genommen – barmherzig und allmächtig. Der lebt für uns, der auf seinem Wege zum Kreuz Vergebung statt Vergeltung praktizierte. Wir alle sind von Gott voll akzeptiert, so wie wir sind, vor allen unseren Leistungen. So dürfen uns unsere Verfehlungen nicht mehr verklagen; unsere Halbheiten, die Fragmente der Arbeit aus der vergangenen Woche, die wir unfertig hinterließen, dürfen uns nicht mehr quälen.

„Mein guten Werk, die galten nicht,
es war mit ihn‘ verdorben.“

Aber:
„Er sprach zu mir: halt dich an mich,
es soll dir jetzt gelingen;
ich geb mich selber ganz für dich,
da will ich für dich ringen;
denn ich bin dein, und du bist mein,
und wo ich bleib, da sollst du sein,
uns soll der Feind nicht scheiden.“

Auch alle Weltverwirrung darf uns nicht mehr zu sehr imponieren. Das soll uns imponieren und an jedem Sonntag neu vergegenwärtigt werden, dass der Befreier aller als einziger den Tod hinter sich hat. Seit Ostern versammeln sich die Christen am ersten Tage der Woche, wie wir es in der Apostelgeschichte (20,7-12) von der Gemeinde in Troas hören, die zum Brotbrechen und zum Hören zusammenkommt, d. h. zum Festmahl der Verbundenheit mit ihrem lebendigen Herrn und miteinander und zum Hören. Sie haben am ersten Tage der Woche viel, viel Zeit zum Hören; Paulus redete, redete und redete bis zur Mitternacht, so dass einer aus dem Fenster fiel, aber dann doch nicht tot blieb; danach redete und redete Paulus weiter bis zum anbrechenden Tag, an dem er abreiste. So begehen Christen diesen Tag mit Brotbrechen und im Hören. Ohne eine ähnliche Zusammenkunft kommen Menschen wohl nicht los vom Drehen um sich selbst und um ihre Tätigkeiten. Mit unserer Rastlosigkeit, die in uns weiter schnurrt, können wir wohl nur aufhören, wenn wir hören auf die Vermittler geschenkter Freiheit. Calvin sagte, wir sollten Ruhe halten, damit Gott in uns arbeite. Es gilt aber auch umgekehrt: wo Gott in uns arbeitet, da, nur da kommen wir wirklich zur Ruhe und zu uns selbst. Gibt`s heute wohl ernstlich die Gefahr einer gesetzlichen Feiertagsheiligung? Nötiger als solche Furcht ist in unseren Zeiten, dass wir mit der Arbeitsniederlegung klar demonstrieren: zur Freiheit seid ihr berufen, lasst euch nicht mehr verknechten! (Gal. 5,1). Wir brauchen regelmäßige Erinnerung an die große Freiheit, die uns schon gewährt ist.

Sie soll uns wenigstens einmal wöchentlich zum Lachen bringen darüber, dass alle Quälgeister den Tod noch vor sich haben, dass aber die Liebe und Übermacht unseres Befreiers endgültig ist.

2. Befreit zur Freude an der Schöpfung

In 2. Mose 20 wird das Sabbatgebot so begründet: „In sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was drinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.“ „Er segnete ihn“; das heißt: er stattete ihn mit belebenden Kräften aus. „Er heiligte ihn“; das bedeutet: er beging ihn ganz anders als alle anderen Tage. Damit wird der Mensch daran erinnert, dass er in eine fertige Welt hineingestellt worden ist, die mit allem Nötigen und darüber hinaus mit viel, viel Schönem reichlich ausgestattet ist. Der erste Schöpfungsbericht schildert uns großartig, dass der erste Lebenstag des Menschen nach den sechs Tagen der Schöpfung Gottes sofort sein erster großer Ruhetag war, ein Tag der Freude an allem, was für ihn erschaffen war. So haben die Christen recht daran getan, dass sie die Woche nicht mit der Ruhe schließen wollten, sondern dass sie den ersten Tag der Woche als den Ruhetag feierten. Von da aus sollte es in der Woche munter bergab und nicht steil bergauf gehen. Da kann die Arbeit etwas mehr Spielcharakter gewinnen, auch Protestcharakter gegen Leistungsprinzip und Leistungsdruck. Ist doch alles Lebensnotwendige – daran erinnert uns Stumpfsinnige die erste Schöpfungsgeschichte – längst gegeben; wir haben nur dafür zu sorgen, dass wir das vom Schöpfer Gegebene recht einbringen; wir haben alle Hände voll damit zu tun, dass wir das Gegebene nicht verderben und verhunzen. Der erste Tag soll vor allen anderen die Freude an der Schöpfung wachrufen. Das ist wesentlich für unsere Einstellung zum Leben überhaupt. Ohne Gottes vorangegangenes Werk ist der Mensch überhaupt nicht denkbar. Versucht der Mensch sich dennoch ohne Gott zu denken, so wird ihm unter der Hand das Leben sinnlos. Dann findet er weder ein rechtes Verhältnis zur Arbeit noch zur Ruhe. Wir fragen dann verkrampft, wozu wir selbst da sind und wozu die Welt da ist. „Es gibt aber keine zweckrationale Begründung, dafür, dass überhaupt etwas ist“ (J. Moltmann). Die Bibel erklärt uns, warum Schöpfung geschah. Die Weisheit, die bei der Schöpfung Gottes zugegen war, sagt: „Ich war Gottes Entzücken Tag für Tag, ich spielte vor ihm allezeit“ (Sprüche 8,30).

Der Sonntag will diese Freude des Spiels der Schöpfung weitergeben. Wir dürfen eintreten in einen von Gott bereitgestellten weiten Raum, heraus aus unserer muffigen Enge; das heißt konkret, wir dürfen die Freude aufleben lassen an dem überschwenglichen Luxus an Arten und an Farben, an der verschwenderischen Fülle bunten Lebens und „dass die Vögel viel mehr singen als nach Darwin erlaubt ist“, wie ein heutiger Biologe sagt. Kleine Gruppen müssten sich zu wilden Streiks gegen unsere verplanten Sonntage bilden; sie sollten wieder hinausschwärmen und das, was vor unseren Toren liegt, neu entdecken, etwa den Odenwald, die Holdermannseiche, den langen Kirschbaum, das Saugehege dort und den Weißen Stein. Wir können wieder anfangen mit Spielen, mit Schwimmen und mit Tanzen. Mit den Spielen ist es ja so: da gewinnt sogar immer noch der Verlierer. Es ist schön, dass wir den Feiertag so begehen können. Sogar der gestrenge Calvin gestattete sich am Sonntagnachmittag ein Boccia-Spiel zur Ehre Gottes. Statt streng und hart weiter und weiter fanatisch zu diskutieren, dürfen wir unterwegs zum Weißen Stein die neuesten Witze erzählen und einander Geschichten ausplaudern. Ich habe in dieser Woche gelernt, dass selbst in der Zeit der trockenen Orthodoxie die Osterpredigten oft mit einem Witz begannen. Risus paschalis hieß das Ostergelächter, das dem Herrentag angemessen ist. Vielleicht beginnen sogar einige neu zu singen und zu musizieren, um die Freude an der Freiheit zu praktizieren. Das ist der Sinn gerade des gemeinsamen Ruhetags, soweit wir ihn gemeinsam halten können, dass wir Freude miteinander und Freude aneinander gewinnen, gemeinsame Freude an der Schöpfung.

Aber wie kann man denn guten Gewissens spielen und singen und feiern in einer Welt, die für viele eine Hölle ist, in Pakistan, in Vietnam, in Jordanien und auch in unserer Nähe? Was will das Ruhetagsgebot?

3. Hilfe für besonders Geplagte

Die besonders Geplagten finden in den großen Fassungen des Feiertagsgebots in der Reihe der zehn Gebote eine besondere Erwähnung. 2. Mose 20,10 heißt es: „Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt“; in der parallelen Fassung fügt 5. Mose 5,14 noch hinzu: „auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleich wie du“. Gleichordnung eröffnet der Feiertag. Die Eltern sollen wenigstens am Feiertag beginnen, damit aufzuhören, ihren Söhnen und Töchtern Befehle zu erteilen, geschweige denn ihren Untergebenen. Im Bundesbuch (in 2. Mose 23,12) wird in einer alten Fassung das Feiertagsgebot sogar so formuliert, dass der Geplagte und sein Schicksal zum einzigen Sinn des Gebots werden. Es heißt: „Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten Tage sollst du feiern, auf dass dein Rind und Esel ruhen und deiner Sklavin Sohn (das ist nämlich der letzte Abhängige, den man im Zweifelsfall immer noch zur Arbeit heranziehen kann) und dass der Fremdling (mit den Sklaven) aufatmen könne.“ Hier geht es zunächst um die Geplagten in der unmittelbaren Nähe. An einer der wenigen Stellen im Neuen Testament, an denen der erste Tag der Woche erwähnt wird, am Ende des ersten Korintherbriefes (16,2), soll der erste Tag der Woche dem Sammeln und Sparen von Geldern für die Hilfsbedürftigen in Jerusalem dienen.

Wer von uns würde an Release Heidelberg (ein Rehabilitationszentrum für Rauschgiftsüchtige), wer würde an die Verantwortung unserer Gemeinde für Indien denken, wenn wir nicht am Ruhetag daran erinnert würden? An die Heiligen in Jerusalem sollten die Korinther denken. Für die Geplagten und zu ihrer Hilfe ist uns der Ruhetag gegeben. Die Fremden fern von uns, die von unseren egoistischen Werktagen verdrängt werden, sollten uns in der Ruhe vor Gott nahekommen, so dass unsere selbstsüchtig geschlossene Gesellschaftsordnung zu ihnen hin umgestaltet wird.

Doch auch der Fremde in unserer Stadt soll in unsere Freude an der Freiheit hineingeholt werden. Wann sonst hätten wir soviel verordnete Freizeit für Einladungen, dass der Fremde aufatmen kann in unserer Wohnung, in unserem Garten? Nicht zuletzt ist uns für den Kranken, den Vereinsamten, den Bedrückten in unserer Umgebung die Ruhe verordnet. Für den modernen Sklaven, in welcher Gestalt er auch vor uns steht, sind wir am Ruhetag endlich frei, mit ihm mehr als nur ein oberflächliches Gespräch zu führen. Wir können denen, die längst auf einen Gruß von uns warten, mehr als eine flüchtige Postkarte schreiben. „Er hat Zeit für mich gehabt! Vor Gottes Thron wird kaum größeres Zeugnis von dir gegeben werden können“ – schreibt Ludwig Köhler einmal. „Er hat Zeit für mich gehabt!“ Wenn nur alles aus der Freude an geschenkter Freiheit kommt und aus der Gewissheit, dass gar nichts uns trennen kann von der Liebe Gottes. Denn Jesus schärft uns ein, dass der Sabbat um des Menschen willen gemacht ist und nicht der Mensch um des Sabbats willen (Mark. 2,27). Es sollte nichts zu scheinfrommer Geschäftigkeit geraten. Nichts darf am Ruhetag in Arbeit ausarten. Aber auch die scheinfromme gesetzliche Untätigkeit ist abgewiesen. Wieviel Zeit gewinnen wir, wenn wir wirklich nach sechs Tagen einen runden, vollen Tag unsere Berufsarbeit und unsere Freizeitbetriebsamkeit ruhen lassen!

4. Die Sinnlosigkeit pausenlosen Durcharbeitens

Die Mannageschichte in 2. Mose 16 sagt das auf eine fast humorvolle Weise: jeden Tag fällt frisches Brot, jeden Tag in der Woche will es neu gesammelt sein, das gestrige stinkt; aber am sechsten Tage fällt die doppelte Menge. Was für den siebenten Tag bestimmt war, „das wurde nicht stinkend und es war auch kein Wurm darin“, heißt es (V. 22-24). Einige Leute können es natürlich auch am siebenten Tag nicht lassen – wie die modernen Menschen – doch wieder hinzugehen, um zu sammeln, – „und sie fanden nichts“ (V. 27). So wird die Geschäftigkeit am siebenten Tag als Missachtung der Vorsorge Gottes schlicht als umsonst verspottet. Der Prophet Amos verurteilt die Getreidehändler, die das Ende des Sabbats nicht abwarten können, weil sie wieder Korn verkaufen und Leute mit schlechter Ware, falschen Gewichten und überhöhten Preisen übers Ohr schlagen wollen. Der alte Text, den wir zu Beginn lasen (2. Mose 34,21a), hat eine Erweiterung erfahren. Wir hörten: „Sechs Tage kannst du schaffen, aber am siebenten Tag sollst du aufhören!“ Hinzugefügt wird noch:

„auch in der Zeit des Pflügens und Erntens“ (V. 21b).

Gerade dann, wenn die Arbeit besonders drängt und sich häuft, braucht der Mensch den Ruhetag. Der Heilige Geist hat bei dem Zusatz wahrscheinlich schon an die Zeit des Abschlusses von Seminararbeiten und Examensvorbereitungen gedacht, und für uns Dozenten an die Häufung von Sitzungsterminen und Vortragsverpflichtungen, die neben dem üblichen Pensum der Woche das letzte fordert. Ein Handschuhsheimer Winzer erzählte mir kürzlich, er habe es oft erlebt: wer den Feiertag nicht heiligt, der bekommt in der Woche irgendwann Zeit, es nachzuholen. Mancher, der in der Erdbeerzeit meinte, auch Sonntags aufs Feld gehen zu müssen – in Handschuhsheim gedeihen die Erdbeeren sehr gut, man kann gute Geschäfte damit machen! –, der musste die Zeit in wochenlanger Krankheit nachholen. So erzählt mein schlichter Winzer. Im Alten Testament lese ich eine merkwürdige Regelung: Israel hätte eigentlich seinem Land in jedem siebten Jahr eine völlige Sabbatruhe gönnen sollen (3. Mose 25,2-7).

Dann heißt es weiter, die Exilszeit habe den Sinn gehabt, dass dem Land die versäumten Sabbatjahre erstattet werden sollten (3. Mose 26,43). Eine weise Regel empfiehlt: „Wenn es sehr eilt, dann setz dich hin und tue einmal gar nichts; es geht auch so.“ – Der gemeinsame Ruhetag verschafft doppelte Ruhe. Nur durch den Mut zu den Pausen behält unsere Arbeit etwas von dem Glanz der Freiheit der Erlösten und von der Freude der Schöpfung. Nur so kommen wir noch zu uns selbst und auch zur Sinnerfüllung unseres ganzen Lebens. Karl Barth fragt einmal: „Kann man den Werktag verstehen, bevor man den Ruhetag verstanden hat?“ – nämlich als Fortsetzung der geschenkten Freiheit und als Freude an der Schöpfung mit anderen Mitteln.

Jetzt haben wir vier Erkenntnisse eingebracht: Das Ruhegebot will an geschenkte Freiheit erinnern, zur Freude an der Schöpfung freigeben, die besonders Geplagten mit unserer Hilfe aufatmen lassen und die Sinnlosigkeit des Durcharbeitens einschärfen. Aber wir alle wissen um den praktischen Gegensatz, ja den Streit zwischen Arbeitslast und Feiertag. Er zerreibt uns oft. Das mag manchen vielleicht jetzt schon unruhig machen. Trotz aller Anläufe des Glaubens bleibt der Zwiespalt für uns schwierig. Darum ist noch eine letzte Bedeutung des Ruhegebots zu bedenken.

5. Vorspiel und Anspiel endgültiger und völliger Freiheit

Im Kolosserbrief (2, 16 f.) lesen wir, die Sabbate seien als Schatten des Künftigen zu verstehen, das in Christus leibhaftig geworden sei. In der Zeit des Exils, in der babylonischen Verbannung, in der Israel in der Fremde ganz besonders bedrängt war, wird der Ruhetag, den die Umwelt nicht kannte, zum Bundeszeichen, zum Konfessionszeichen. Der Prophet Hesekiel sagt: „Meine Sabbate sollt ihr heiligen, dass sie ein Zeichen seien zwischen mir und euch, damit ihr wisst, dass ich, der Herr, euer Gott bin“ (Hes. 20,20). Das bedeutete in jener Zeit der Bedrängung viel. In 2. Mose 31 (V. 12-17) wird sogar der Sabbatschänder – unglaublich für unsere Ohren – mit dem Tode bedroht. Dabei ist keinerlei Leistung gefordert, nicht einmal eine gottesdienstliche Leistung, sondern nur eben das Nichtstun, das Ruhehalten. Damit soll Israel demonstrieren, dass es allein von den Werken Gottes lebt. So soll der Sabbat Unterpfand des ewigen Bundes, ein dauerhaftes Zeichen sein für ein Volk, dem die Freiheit in Hoffnung geschenkt ist. Wir wissen von unserer Leistungsgesellschaft, dass sie ihre Verstorbenen noch auf den Todesanzeigen rühmt: „Nur Arbeit war sein Leben.“ Gottes Volk hat gerade das Umgekehrte lernen müssen und muss es noch lernen: Wer nicht Ruhe halten kann, der ist schon dem Tode verfallen.

Vorspiel endgültiger Freiheit, ein eschatologisches Ereignis mitten in unserer Vorläufigkeit, ein Zeichen des Endgültigen sollte der Feiertag in doppelter Hinsicht sein: Er sollte zunächst ständig Modelle freiheitlicherer Gestaltung der ganzen Woche anregen, wie er es schon im Laufe der Jahrhunderte direkt oder indirekt getan hat. Er sollte der Norm- und Mustertag, der eigentliche Tag des Auflebens sein. Man sollte geradezu die Umkehrung jenes Spruchs der Leistungsgesellschaft „Nur Arbeit war sein Leben“ wünschenswert finden: Nur Ruhe, nur Freiheit, nur Freude war sein ganzes Leben einschließlich seiner Arbeit. Das wäre ein Ruhm, wenn einer so von unseren Wochen sagen könnte. Die Muße des Ruhetags kann erfinderisch machen, auch die Arbeiten in der Woche freiheitlicher zu gestalten. Freilich, das allein wäre noch viel zu wenig, weil es sich noch im Rahmen der Todeswelt bewegt.

Vor allem ist der Ruhetag ein Zeichen der Hoffnung auf die ganze Freiheit der Kinder Gottes, auf die alle geängstete Kreatur wartet. Wie jeder Sonntag als erster Tag der Woche an die Erschaffung des Lichtes erinnert und vor allem an die Auferweckung Jesu von den Toten, als Unterpfand der Auferweckung aller, als Unterpfand der neuen Welt, die Gott uns verheißen hat, –  so darf jeder Ruhetag ein kleines Vorspiel und Anspiel der neuen Menschheit sein, in der alle Tränen abgewischt sein werden, der Tod und das Leid nicht mehr sein werden, Geschrei und Schmerz nicht mehr zu hören sind (Offb. 21,4). Die Christenheit spottet ja und höhnt schon in ihren Osterliedern und ihren Sonntagsliedern: „O Tod, wo ist dein Stachel nun? Wo ist dein Sieg, o Hölle?“ Der Psalm (126) präludiert: „Dann wird unser Mund voll Lachens sein. Der Herr hat Großes an uns getan. Des sind wir fröhlich.“ Hinweis auf den „Jüngsten Tag“ (welch ein herrliches Wort!) sollte jeder erste Tag der Woche für jeden von uns sein. Wir sollten bedenken, dass wir noch viel zu wenig aus dem Sonntag machen, wenn er uns nicht wenigstens von ferne an den Tag gänzlicher, völliger Freiheit erinnert. Eine neue Generation könnte wieder Lust daran bekommen, den Sonntag dementsprechend etwas festlicher auszugestalten, vom Frühstückstisch angefangen. Aber viel wichtiger im Blick auf den vollendeten Tag ist etwas mehr Heiterkeit: „Ein fröhliches Herz macht ein fröhliches Angesicht“ (Spr. 15,13). Wir dürfen mehr Frohsinn in den Sonntag hinein investieren.

Die Gemeinde muss in unserer neuen Zeit neue Bräuche entwickeln, allein und in der Gemeinschaft, damit unsere Umwelt mehr mitbekommt von der Vergegenwärtigung schon geschenkter Freiheit, von der Freude an der Schöpfung, von der Hilfe für besonders Geplagte, von der Sinnlosigkeit des pausenlosen Durcharbeitens und von diesem Vorspiel endgültiger, völliger Freiheit. Uns und unserer Umwelt gilt wirklich die Wohltat des Gebotes Gottes:

Sechs Tage kannst du schaffen,
aber am siebenten Tag sollst du aufhören,
auch zur Zeit des Pflügens und Erntens.
Amen.

Quelle: Porta 17 (1973), S. 19-26, ursprünglich erschienen in: Hans Walter Wolff, Menschliches. Vier Reden über das Herz, den Ruhetag, die Ehe und den Tod im Alten Testament, Kaiser Traktate 5, München: Chr. Kaiser, 1971.

Hier der Text als pdf.

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