Ermutigung zum Reden von Gott. Lehrpredigt über den ersten Artikel des Augsburger Bekenntnisses
Von Gerhard Sauter
Zuerst wird gemäß dem Beschluß des Konzils von Nicäa (325) einmütig gelehrt und festgehalten, daß ein einziges göttliches Wesen sei, das Gott genannt wird und wahrhaftig Gott ist und doch drei Personen in diesem einen göttlichen Wesen sind, jede gleich mächtig, gleich ewig: Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Alle drei sind ein göttliches Wesen, ewig, unteilbar, unbegrenzt, von unermeßlicher Macht, Weisheit und Güte, ein Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Unter dem Wort „Person“ wird nicht ein Teil oder eine Eigenschaft von etwas anderem verstanden, sondern etwas, das in sich eigenständig ist, so wie die Kirchenväter diesen Begriff in dieser Sache gebraucht haben.[1]
Womit beginnt ein christliches Bekenntnis, liebe Gemeinde? Mit Gott, so werden wir wohl unwillkürlich sagen. Das war augenscheinlich auch die Meinung der Vertreter evangelischen Glaubens, die am 25. Juni 1530 in Augsburg ihr Bekenntnis vor Kaiser und Reich ablegten. Der erste Artikel dieses Augsburger Bekenntnisses ist überschrieben „Von Gott“. Aber was heißt: mit Gott beginnen? Fangen wir etwa deshalb an, von Gott zu reden, weil wir mit dem für uns nächstliegenden und wichtigsten Wort beginnen wollen, mit einem alles weitere umfassenden Begriff, mit dem schlechthin grundlegenden Thema? Dann könnten wir freilich fragen: Haben die Theologen, die dieses Augsburger Bekenntnis verfaßt haben, nicht viel zu unvermittelt angefangen? Kann man denn einfach mit dem Wort „Gott“ sozusagen mit der Tür ins Haus fallen? Müssen wir uns nicht erst einmal darauf vorbereiten und vorbereitet werden? Wäre nicht vor allem anderen zu erklären, wie wir dazu kommen, von Gott zu reden?
Hier bereitet uns das Augsburger Bekenntnis eine erste Überraschung. Es beginnt gar nicht so selbstverständlich von Gott zu reden. Allerdings breitet es auch nicht zum Eingang eine Fülle von Bedenken und Zweifeln aus, die uns längere Zeit aufhalten könnten und jeden weiteren Schritt erst einmal erschwerten. Das Bekenntnis beginnt mit einem bestimmten Blick: mit dem Blick auf die eine und einmütige Kirche. „Unsere Kirchen“, so sagt es der lateinische Text, „lehren in voller Übereinstimmung“, und dann folgt die Umschreibung eines der großen Glaubensbekenntnisse der Alten Kirche aus dem 4. Jahrhundert. Dieses Bekenntnis wird heute nur noch sehr selten, vielleicht einmal an den hohen Kirchenfesten, in unseren Gottesdiensten laut. Es spricht vom Geheimnis des einen und dreieinigen Gottes, von Gott, der Vater, Sohn und Geist ist: drei Personen in einer göttlichen Wesenheit, alle drei gemeinsam gleich gewaltig, gleich ewig, gleich unermeßlich in ihrer Macht, Weisheit und Güte, Gott der Schöpfer und Erhalter alles Sichtbaren und Unsichtbaren. – So also wird hier von Gott geredet, so beginnen die Christen der Reformation ihr Bekenntnis: indem sie auf den Gottesdienst blicken, in dem dieser Gott angerufen und angebetet wird. Sie blicken darauf, daß das Lob der Treue Gottes, die Erfahrung seiner Gegenwart und die Hoffnung auf sein Kommen einmütig zu Worte kommen. Eine Vorform dieses ersten Artikels des Augsburger Bekenntnisses, die „Marburger Artikel“, sagen es noch deutlicher: Wir blicken darauf, daß wir einträchtig glauben und uns daran halten, daß Gott einer und dreieinig sei, wie es vom Konzil von Nicäa beschlossen und in seinem Glaubenssymbol „gesungen und gelesen wird bei der ganzen christlichen Kirche in der Welt“[2]. Also nicht nur verlesen, sondern auch vor Gott gesungen! Es wird auf das Stück unserer Liturgie geblickt, in dem sich die Gemeinde Gott anbetend, gedenkend und hoffend zuwendet und in dem sie dies mit allen anderen Glaubenden tut. Das ist ja auch der Sinn der in unseren Gottesdiensten gebräuchlichen Formel „Lasset uns mit der ganzen Christenheit auf Erden Gott loben mit dem Bekenntnis unseres Glaubens …“ Ohne diesen Blick auf den Gottesdienst und sein Gotteslob hätte das Augsburger Bekenntnis keinen Boden unter den Füßen gehabt.
Was hätte einer der Verfasser oder Unterzeichner des Augsburger Bekenntnisses einem Reporter gezeigt, wenn er den christlichen Glauben nicht nur vor Kaiser und Reich, nicht nur vor dieser Öffentlichkeit des 16. Jahrhunderts, sondern vor der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft hätte bekennen müssen? Was hätte er ins Bild gesetzt? Sicherlich zuallererst eine Gemeinde im Gottesdienst. Aber er wäre nicht bei ihrer reichen Liturgie und ihrem ehrwürdigen Glaubensbekenntnis stehengeblieben. Er hätte dann weiter geblickt, er hätte auf die Kanzel geblickt – und dies nicht, um einen der reformatorischen Starprediger zu zeigen, der eine überfüllte Kirche begeistert, sondern um sichtbar zu machen, daß in den Kirchen evangelischen Glaubens in voller Übereinstimmung gelehrt wird, was glaubensnotwendig ist. Das ist nun die zweite Überraschung dieses Dokumentes: Es blickt zwar auf den Gottesdienst und damit auf die betende, singende und bekennende Gemeinde. Aber es sagt zugleich, daß in dieser Gemeinde gelehrt wird. Gelehrt wird nicht nur auf Lehrstühlen theologischer Fakultäten, und es wird auch nicht bloß in Hörsälen, Seminarräumen und Studierstuben gelernt, sondern gelehrt und gelernt wird hier und jetzt, in diesem Raum und zu dieser Zeit, in der Kirche, in unserem Gottesdienst! Wenn das Bekenntnis sagt, daß die Kirchen bei uns in voller Übereinstimmung lehren, dann sind damit zwar zunächst die verschiedenen Landeskirchen gemeint, die damals entstanden, und die Kirchtümer der Stadtstaaten. Aber „Kirchen“ sind ebenso die Gotteshäuser und ihre Gottesdienste. Darum beginnt das Augsburger Bekenntnis mit dem Blick auf diese Kirchen, in denen gelehrt wird.
Gelehrt wird zu glauben, „daß ein einziges göttliches Wesen sei, das genannt wird und wahrhaftig ist Gott“. Jedes Wort ist hier genau abgewogen und will deshalb genau beachtet sein. Gott wird genannt, Gott wird angerufen, und daraufhin kann dann gesagt werden: Gott ist, und es kann gesagt werden, wer Gott ist. Es heißt nicht zuerst: Gott ist, es gibt einen Gott, Gott existiert. Und noch weniger steht an erster Stelle die Behauptung: Daß es Gott gibt, davon wissen alle Menschen, das ist selbstverständlich, davon können wir ausgehen. Diese Meinung, zu Zeiten der Reformation hätten alle Menschen von Gott geredet, weil sie ein Wissen um Gott in sich getragen hätten, diese Behauptung ist nichts weiter als ein Märchen, das immer wieder erzählt wird, um sagen zu können: Es war einmal und ist nicht mehr. Nein, das Augsburger Bekenntnis sagt: Gott wird angerufen, Gott wird genannt, er wird verkündigt und gepredigt – und dieser Gott ist wahrhaft Gott, der eine und einzige Gott. Lehre in der Kirche ist dazu da, daß uns gesagt wird: Wir dürfen Gott anrufen – gerade dann, wenn wir meinen, wir brauchten erst einmal einen Zugang zu Gott. Erst wenn wir ihn anrufen, werden wir erkennen, wer er ist. Alles, was in diesem Bekenntnis später noch gesagt wird, ist in diesem Satz eingeschlossen! Lehre in der Kirche übermittelt nicht irgendwelche Lehrsätze, sondern Lehre will, daß wir Gott anrufen, mehr noch: Lehre ermutigt, Gott anzurufen, gerade indem sie nur anscheinend so wenig unmittelbares zu sagen weiß. Lehre versucht, die Hindernisse auszuräumen, die uns hemmen, auf Gott zu blicken und zu erkennen, wer er ist.
Das ist reformatorische Lehre, darum haben Luther und seine Mitstreiter gekämpft: nicht zuerst um Kirchenverbesserung, nicht um eine neue religiöse Erweckung, auch nicht um eine bessere christliche Praxis – sondern um diese Gotteserkenntnis, um die Erkenntnis, wer Gott ist. Alles andere folgt daraus: Erweckung, Veränderung und neues Handeln. Die Reformationszeit hat mit unserer Gegenwart dies gemeinsam, daß undeutlich geworden war, wer Gott ist, weil die Menschen in ihrem Reden von Gott nur das wiedergeben und spiegeln, woran sie sich halten können. Es war eine Zeit vieler alter und neuer Gottheiten – vielleicht nicht immer unter dem Namen „Gott“, aber es waren tatsächlich Gottheiten und göttliche Stützen: der Gott des Kaisers, der die Einheit des Römischen Reiches deutscher Nation bewahren wollte, und der Gott des Papstes in Rom, der die Einheit seiner Kirche bewahren wollte – und beide stritten gegeneinander; der Gott auf den Fahnen der Fürsten, die ihre Eigenständigkeit und ihre Mitverantwortung durchsetzen wollten, auch in bestem Wollen um die Glaubensfreiheit ihrer Untertanen; der Gott der Bauern, die um ihre Rechte kämpften, die sie mit der Freiheit des Glaubens verknüpft sahen; aber auch der Gott eines dunklen Schicksals, der Herr der Naturgewalten, der Angst und Schrecken einjagt, ein Gott, vor dem man sich in acht nehmen und den man besänftigen muß, um nicht unversehens von seiner Macht zermalmt zu werden – ein Herrengott, wie Johann Nestroy ihn besingen läßt: „Weil er uns sonst niederhaut / preisen wir ihn alle laut.“[3] Auch das war ein Gott dieser Zeit, Martin Luther ist vor ihm im Gewitter auf die Knie gegangen. Und dann ist es vor allem der vollkommen freie Gott, den man als Gott der Freiheit und dann unversehens als göttliche Freiheit versteht, die die eigene Individualität entdecken hilft, der Gott, der die Persönlichkeit jedes einzelnen Menschen erweckt und der zu einem neuen Selbstvertrauen führt. Das ist der Gott, den das Zauberwort der persönlichen Freiheit, des Freiheitsrechtes jedes einzelnen Menschen begleitet. Also eine ganze Schar von Göttern, von denen sich einige mit anderen verbündeten, von denen aber andere überhaupt nicht zueinander paßten!
Doch sie alle tragen einen gemeinsamen Zug: Sie verbürgen das, worauf Menschen ihr Vertrauen setzen, woran sie sich halten, um in ihrer Welt leben und überleben zu können. Luther hat diese Vielgötterei im Großen Katechismus geschildert und im Blick auf sie gefragt: „Was heißt einen Gott haben, oder was ist Gott?“, und er hat dann geantwortet, „Gott“ sei der Name für das, auf was wir unser Vertrauen setzen – und das kann eben sehr Verschiedenes sein! Gott ist dann dort, wo wir unsere Zukunft am besten gesichert sehen. Weil wir von Gott reden wie von einem Sinnversprechen, gibt es so viele Gottesgestalten. Wenn wir „Gott“ das nennen, an was wir uns halten können und wo wir Sinn finden in unserer Welt, dann wird dieser Gott für manche Menschen an einem Ort sein, wo ihn andere gerade nicht vermuten und wo sie ihn auch gar nicht erblicken wollen und können.
Angesichts dieser Vielgötterei damals und heute ist im Augsburger Bekenntnis von dem einen und einzigen Gott die Rede – im Grunde so, wie es schon dem Gottesvolk im Alten Bund eingeschärft worden war: „Höre, Israel: der Herr, unser Gott, ist ein Herr!“ (5. Mose 6,4) Dieses Bekenntnis zur Einheit Gottes geschah vor dem Kaiser und seiner Reichsverwaltung, für die Gott nur dann der Eine und Einzige sein konnte, wenn die Einheit des Reiches und seiner Religion bestehen blieb. Und doch gab es eine Fülle von Gottesgestalten und Gottesbildern, und darum waren gerade die Hellsichtigen in Reich und Kirche so leidenschaftlich darum bemüht, Einheit zu bewahren und, wo sie schon gefährdet war, mit allen Mitteln durchzusetzen. Das war die Lage. Und nun sind die Bekenner von Augsburg nicht aufgestanden und haben gesagt: Wir haben einen neuen Gott erlebt, wir haben umwälzende Erfahrungen gemacht, an denen wir festhalten wollen, weil wir einen Anspruch darauf haben. Sie haben auch nicht gesagt: Wir wollen unseren Gott behalten, denn wir haben das Recht dazu, religiös wie politisch. Nein, sie haben die vielen und einander widerstrebenden politischen und religiösen Bewegungen ihrer Zeit gesehen und haben dann ihren Blick konzentriert auf die Bewegung in Gott selbst. Denn wir erfahren von einer Bewegung, wenn von Gott als dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist die Rede ist.
Das ist die dritte Überraschung aus diesem Artikel des Augsburger Bekenntnisses. Auf den ersten Blick scheint es so, als seien hier nur alte und schon recht starr gewordene Formeln wiederholt: der eine und dreieinige Gott, der von alters her und in alle Ewigkeit so bleibt, wie er ist, unermeßlich, unbegreiflich, allgewaltig. Doch wenn wir genauer hinhören, dann muß uns auffallen, wie betont hier gesagt wird, daß Gott Vater, Sohn und Geist drei Personen sind, von denen jede in sich selbst besteht, die also unabhängig sind, unabhängig auch von einer Göttlichkeit, die über ihnen schweben und sie alle umfangen würde, die also wirklich selbständig sind und die gleichwohl sich einander zuwenden und die gemeinsam uns Menschen und unserer Welt zugewandt sind. Wir erblicken das Geheimnis der göttlichen Liebe, der liebenden Einheit von Vater, Sohn und Geist und ihrer liebenden Zuwendung zu uns.
Wenn das Augsburger Bekenntnis so betont von der Person Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes redet, dann ganz sicher auch im Blick auf die krisenhaften Entwicklungen des Persongedankens in seiner Zeit. „Person“ hieß vor allem: selbständig sein, unabhängig werden, sich von keinem anderen dreinreden lassen in lebensentscheidenden Dingen, persönlich frei sein. Persönliche Freiheit heißt: Selbstverantwortung und das Selbstvertrauen, das zu dieser Verantwortung gehört. Und diese Freiheit wendet sich gegen alle Einsprüche von außen, woher sie auch kommen mögen, wenn sie das lebensnotwendige Selbstvertrauen untergraben, wenn sie menschliche Bewegungsfreiheit hemmen und den Menschen an seiner natürlichen Selbstentfaltung hindern. Wäre es nicht Sache der Vertreter evangelischer Kirchen gewesen, für diese Freiheit mit guten Gründen des Glaubens einzutreten und sie gegen alle ängstlichen Vorbehalte und machtpolitischen Gegenstimmen zu behaupten? Das lag doch gerade in der Luft! Doch nun haben sie diese Stimmung auf ihre Weise aufgegriffen und auf Gott geblickt und auf die Selbständigkeit der göttlichen Personen, die in der Liebe besteht und die allein in dieser Liebe alle Einheit begründet, die im Himmel und auf Erden ist. Person-sein heißt bei Gott: sich der Welt zuwenden, aus sich herausgehen für das Heil und die Zukunft der Welt, ja: sich selbst preisgeben, ohne die Einheit des göttlichen Handelns zu verlassen. Auf diesen Gott in der Bewegung von Vater, Sohn und Geist lenkt das Augsburger Bekenntnis unseren Blick.
In Augsburg wird bekannt: Dieser Gott ist uns begegnet, ihn haben wir entdeckt – nicht einen neuen Gott, sondern Gott, der uns treu ist, weil er sich selber treu bleibt, und der darum nicht in jeder Zeit, in jeder veränderten Lebenslage sein Gesicht wechseln muß. Nicht ein neuer Gott, nicht „unser“ Gott, sondern der ewige und eine Gott, und das heißt nicht: ein Gott über aller Zeit, sondern Gott gegenwärtig in unserer Zeit, der Gott, der ein Gedächtnis seiner Wunder gestiftet hat; Gott, der durch die Stimme Jesu Christi zu uns spricht; Gott, der den Heiligen Geist in die Welt gesandt hat, damit er uns in alle Wahrheit leite. Auf diesen Gott und seine Bewegung zu uns hin, in unsere Geschichte hinein richtet sich der Blick des Bekenntnisses. Der Blick, mit dem das Bekenntnis von Augsburg beginnt, wendet sich von der Anrufung Gottes im Gottesdienst zu diesem Gott selbst – und dann auch zugleich zu dem, was Gott getan und geschaffen hat. Dieser Blick läßt ein großes Staunen erkennen darüber, daß Gott da ist und gehandelt hat, bevor wir von ihm reden; daß er unserem Reden und Denken zuvorkommt. Er ist auch vor allen unseren Zweifeln an seiner Gegenwart der, der er war und sein wird. Er wird reden, auch wenn wir meinen, von ihm schweigen zu müssen. Gott hat gehandelt, bevor wir gläubig wurden und bevor wir ungläubig werden können. Darum können wir auch weiterblicken in seine Welt hinein, in die Welt des Sichtbaren und Unsichtbaren, wie es in der Sprache des alten Bekenntnisses heißt. Mit dem Unsichtbaren ist keine entlegene Region über unserer sichtbaren Welt gemeint. Wir sollen nicht an irgendeinem Punkt, an irgendeiner Grenze mit dem Sehen aufhören müssen, um dahinter etwas anderes zu empfinden. Uns wird gesagt, daß wir auch dort bei Gott sind, wo alles Sichtbare uns verläßt. Nicht erst in der Todesstunde, sondern schon mitten im Leben wird uns vieles entgleiten, an das wir unseren Blick geheftet haben. Doch wir treffen dann auf Gottes Gegenwart, wenn unser Blick sich verdunkelt und wir neu sehen lernen müssen. Ruft diesen Gott an, wo ihr auch seid und wohin ihr geratet, und ihr werdet erkennen, wer er ist: so beginnt das Augsburger Bekenntnis, von Gott zu reden, darum fängt es mit Gott an, und darum ist es nicht nur eine Einladung zum Reden von Gott, sondern es ermutigt uns, von Gott zu reden, ihn zu erwarten und den Blick nie von ihm zu wenden, was auch kommen mag.
Gebet:
Herr unser Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist: Du bist die Quelle aller Einheit. Du hast in deinem Erbarmen für uns Menschen und unsere Welt ein Zeichen der Einheit geschaffen, die Einheit in der Gemeinschaft des Glaubens. Wir sehen diese Einheit heute vielfach bedroht, denn deine Kirche ist zu einen Stück der Welt geworden, die wir Menschen seit Jahrhunderten zu einem großen Ganzen umschaffen wollen – und jetzt müssen wir sehen, daß die Einheit der Menschheit, die wir wirtschaftlich, kulturell und politisch erreichen wollten, zu zerbrechen droht. Hilf uns zu erkennen und zu erleben, daß wir Menschen nur dann einig werden, wenn wir dich gemeinsam anrufen; laß uns erfahren, daß der Friede unseres Lebens allein unter der Herrschaft deiner Liebe entsteht und gedeiht; und laß uns im Handeln zusammenfinden, wenn wir auf deine Verheißung blicken, daß du das Werk deiner Hände nicht fahren lassest. Führe uns in unseren kleinen und großen Lebenskreisen in dieser Zuversicht zusammen, und schärfe uns den Blick dafür, wo du unter uns bist und bei uns bist in der Welt des Sichtbaren und Unsichtbaren, wo du uns entgegenkommst und uns weiterführst, um dich zu loben und zu ehren, heute und in aller Zukunft. Amen.
Gehalten im Universitätsgottesdienst am 20. April 1980 in der Schloßkirche zu Bonn und im Gottesdienst am 22. Juni 1980 in der St. Jakobikirche zu Lübeck.
Quelle: Evangelische Theologie 40 (1980), S. 472-477.
[1] CA I zitiert nach: glauben – lehren – bekennen. Augsburger Bekenntnis, Kleiner Katechismus, Evangelischer Gemeindekatechismus 1530-1980, hg. von M. Kießig, Gütersloh 1980, 16.
[2] 1. Marburger Artikel, BSLK 52,31f.
[3] J. Nestroy, Judith und Holofernes (1849), 1. Szene, Chor.
Wenn von Gott
die Rede ist
meinen Gläubige
in vielen verschiedenen
Religionsrichtungen
der absoluten Wahrheit
denjenigen
ewig waltenden
nicht begreifbaren
nicht begründbaren
den sie benennen
den sie für sich
im Anruf
auch diejenigen
der ihn nicht anrufen
alleingültig
für sich anerkennen
wer dem allem
keinen Glauben schenkt
der Gnade nicht auserwählt
der unteilbaren Würde
von allen Menschen
der Seele in Demut
gehorcht und damit
die Anrufenden
mit gedenkt
sich nicht für etwas
besseres hält
und nichts hat
nicht mal sich
sein Leben nur geliehen
für eine kurze
für endliche Zeit
mit und in der Welt