Karl Barth über die Königsherrschaft Christi (Das Glaubensbekenntnis der Kirche, 1942): „Wenn man erklärt: Gott regiert die Welt, so heißt das: Jesus Christus regiert die Welt. Die in der Versöhnung am Kreuz, in der Vergebung der Sünden, im Akt der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit offenbarte Gewalt ist gleichbedeutend mit der Gewalt des bezeichnenderweise an eben dieser Stelle des Sym­bols erwähnten „allmächtigen Gottes“, mit seiner Ge­walt über die ganze Welt.“

Über die Königsherrschaft Christi

Von Karl Barth

Auf ähnliche Weise, wie wir bei der Erklärung der Auferstehung vorgegangen sind, wollen wir mit dem beginnen, was die Frucht der Himmelfahrt ist: „Er sitzt zur Rechten Gottes.“ Der Ausdruck „Rechte Gottes“ bezeichnet nicht einen Ort, sondern eine Funktion, die Funktion: Stellvertreter Gottes, Minister des Oberherrschers. Christus hält die Macht Gottes in seinen Händen. Er regiert im Namen Gottes. Oder noch anders: Gottes Macht ist die seinige geworden. Es gibt keine göttliche Allmacht außerhalb von Jesus Christus. Wenn man erklärt: Gott regiert die Welt, so heißt das: Jesus Christus regiert die Welt. Die in der Versöhnung am Kreuz, in der Vergebung der Sünden, im Akt der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit offenbarte Gewalt ist gleichbedeutend mit der Gewalt des bezeichnenderweise an eben dieser Stelle des Sym­bols erwähnten „allmächtigen Gottes“, mit seiner Ge­walt über die ganze Welt. Hier sehen wir konkret, wie man den ersten Artikel (über Gott den Vater und die Schöpfung) verstehen muß. Hier wird uns die Gewalt Got­tes in ihrer konkreten und genauen Erscheinung gezeigt: die Gewalt Christi. Wir lernen auch, ebenso wie es keine Gewaltenteilung gibt — zwischen „Schöpfer“-Gewalt und „Erlöser“-Gewalt, zwischen „Gerechtigkeits“-Gewalt und „Liebes“-Gewalt —, ebenso gibt es auch keine Teilung der Bereiche mehr: zwischen einem politi­schen und einem kirchlichen Bereich, zwischen einem wis­senschaftlichen, einem künstlerischen und einem „religi­ösen“ Bereich. Nichts ist getrennt von der göttlichen Ge­walt, welche die Gewalt Christi ist. Und diese Gewalt Christi schafft einen einzigen Bereich, ein einziges Reich, das die Totalität, die Gesamtheit der Geschöpfe umfaßt.

Die göttliche Gewalt ist in den Händen Jesu Christi. Der § 82 teilt und entwickelt diese Wahrheit in zwei Aussagen. „Er wurde eingesetzt zum Haupt der Ge­meinde“ und „Er wurde erhöht und hat einen Namen bekommen, der über alle Namen ist.“

1. Er wurde eingesetzt zum Haupt der Gemeinde. Es gibt also in der Kirche keine andere Gewalt als die seinige. Wenn wir von der Kirchenregierung, Kirchenleitung spre­chen, müßte man klar sprechen und sagen, daß jede Lei­tung der Kirche, Pfarrer, Kirchengemeinderat, Synode oder Bischof nur Vize-Regierungen, nur stellvertretende Leitungen sind. Keine menschliche Führung kann die wirkliche, die tatsächliche Führung und Leitung sein. Son­dern jede menschliche Regierungsform kann nur Zeugnis ablegen von der wahren Leitung und hat nur in dem Maß Anspruch auf Autorität, als sie Gott in Jesus Chri­stus dient. Hier erscheint die große — und vielleicht im Grunde die einzige — Frage, die wir an die römische Kirche zu richten haben: inwiefern macht etwa die Un­fehlbarkeit des Papstes der Unfehlbarkeit Jesu Christi Konkurrenz? Inwiefern ersetzt nicht die Autorität der Kirche die Autorität Jesu Christi?

2. Er ist erhöht über alle Fürstentümer und hat einen Namen bekommen, der über alle Namen ist. Es gibt „Für­stentümer und Gewalten“ in der Welt, Kräfte in der Natur und der Geschichte. Das Reich Christi ist nicht ohne Be­ziehung zu ihnen. Christus ist erhöht über sie. Er regiert also nicht nur in der Kirche, sondern auch über die ganze Schöpfung, selbst wenn die Schöpfung das nicht weiß. In unseren Tagen wurde dieser Begriff der „Königsherr­schaft Christi“ von meinem Kollegen Cullmann in seiner Arbeit über „Die Königsherrschaft Christi und die Kirche im Neuen Testament“[1] wieder aufgenommen und an vie­len Punkten erhellt. Jeder Mensch untersteht der Herr­schaft Christi, ob er es weiß oder nicht weiß. Christus ist eigentlich für den Heiden keine Neuheit, keine Neue­rung. Von seinem eigenen Herrn vielmehr hört der Heide sprechen, wenn er dem Missionar zuhört. Der Un­terschied zwischen Kirche und Welt besteht darin, daß man in der Kirche den Herrn der Welt anerkennt und bekennt, während man ihn in der Welt noch nicht kennt. Aber es ist derselbe Herr, der über die Kirche wie über die Welt regiert.

Quelle: Karl Barth, Das Glaubensbekenntnis der Kirche. Erklärung des Symbolum Apostolicum nach dem Katechismus Calvins, aus dem Französischen übersetzt von Helmut Goes, Zürich: EVT, 1967, S. 96-98.


[1] Oscar Cullmann, Königsherrschaft Christi und Kirche im Neuen Testament (Theologische Studien, Heft 10, EVZ, 1941).

Hier der Text als pdf.

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