
Friedensgebet bei einem drohenden Krieg
Seit Beginn der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts gibt es in Deutschland die Praxis der Friedensgebete, meist im Zusammenhang mit der ökumenischen Friedensdekade im November. In der Regel handelt es sich bei solch einem Friedensgebet um einen themenbezogenen Wortgottesdienst, für den es kirchenamtliche Vorlagen gibt.[1] So nimmt der „Bittgottesdienst für den Frieden in der Welt“ aus Anlass der Friedensdekade 2010 das Motto auf „Es ist Krieg. Entrüstet euch!“ Für den Bittgottesdienst 2011 heißt es „Gier Macht Krieg“. Die Motti der Friedensdekaden sind appellativ: Bewusstsein oder politische Verhältnisse sollen sich ändern.
An dieser Stelle soll nicht ein weiterer Themengottesdienst in Sachen Frieden vorgestellt werden. Es geht vielmehr um ein vordringliches Bittgebet im Angesicht eines drohenden oder bereits eingetretenen Krieges. Kriege sind für Christen nicht hinnehmbar, selbst dann, wenn es sich für eine der Konfliktparteien um einem „gerechten Krieg (bellum iustum)“ handelt. So kann ein Bittgottesdienst für Frieden in der Tat „Protest“, d.h. ein „Für-Zeugnis“ sein: „Selig, die Frieden stiften – sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.“ (Mt 5,9 ZB)
Der primäre Fokus eines Bittgottesdienstes liegt weder in der Bewusstseinsbildung von Gottesdienstteilnehmenden noch in der kirchlichen Intervention in eine (innen-)politische Diskussion (zum Beispiel gegen Beteiligung der Bundeswehr am Afghanistaneinsatz). Wer in einem Gottesdienst um den Frieden bittet, wendet sich an den Gott Israels und den Vater Jesu Christi. Dieser möge doch einen drohenden Krieg abwenden oder aber einen bereits eingetretenen Krieg beenden, um seines Sohnes Jesu Christi willen (vgl. Jes 9,1-5). Die gottesdienstliche Fürbitten bzw. Gebetsanliegen zielen auf das inständige „Kyrie eleison“ der Gemeinde. Ebenso ist die Predigt daraufhin ausgerichtet, dass Christinnen und Christen „Amen“, d.h. „So sei es!“ sagen können, wenn es zum Abschluss heißt: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ (Phil 4,7)
Die Gottesanrede ist in einem Friedensgebet unbedingt ernst zu nehmen. Allzu leicht kann es geschehen, dass Gebetsformulare nicht den Herrn, sondern in Wirklichkeit die Gottesdienstteilnehmenden beanspruchen, um diese auf eine bestimmte kontroverspolitische Haltung einzustimmen oder festzulegen. Und genau darin gerät man in Konflikt mit dem vierten Gebot: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.“ (Ex 20,7 ZB) Wo der Name im Gebet nicht wirklich beansprucht wird, sondern daher gesagt wird, um Menschen für eine eigene Agenda zu beanspruchen, fängt der Namensmissbrauch an.
Um nicht missverstanden zu werden: Der Gottesdienst der Gemeinde Jesu Christi ist gerade in seiner Gottesanrede eminent politisch.[2] Wenn Menschen im Namen des dreieinigen Gottes versammelt sind, wird niemandem nach dem Mund geredet. Die Machtfrage ist gestellt. Wo Unheil und gottwidrige Mächte benannt werden, widerspricht man der quietistischen Tageslosung „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“.
Ablauf des Bittgebetes[3]
[Musik zum Eingang / Stille]
Gruß
L Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
G Amen.
L Der Herr sei mit euch.
G Und mit deinem Geist.
Begrüßung
Wir sind hier versammelt, weil wir erschrocken sind über …
Mit Sorgen und Angst blicken wir auf …
Besonders betroffen sind wir von … (hier können aktuelle Ereignisse eingefügt werden, wenn sie nicht in einem eigenen Informationsteil Platz finden).
In all dem Geschehen fragen wir nach dem Gott, der das Leben jedes Menschen geschaffen hat und der in Jesus Christus Menschen aller Völker seine Liebe erwiesen hat.
Eingangslied zum Beispiel EG 422,1-3 „Du Friedefürst, Herr Jesu Christ“ oder EG 430 „Gib Frieden, Herr, gib Frieden“
Psalmgebet (Psalm 72)
L: Lasst uns im Wechsel beten mit den Worten des Psalms 72:
Gott, gib dein Gericht dem König
und deine Gerechtigkeit dem Königssohn,
dass er dein Volk richte mit Gerechtigkeit
und deine Elenden rette.
Lass die Berge Frieden bringen für das Volk
und die Hügel Gerechtigkeit.
Er soll den Elenden im Volk Recht schaffen
und den Armen helfen
und die Bedränger zermalmen.
Er soll leben, solange die Sonne scheint
und solange der Mond währt,
von Geschlecht zu Geschlecht.
Er soll herabfahren wie der Regen auf die Aue,
wie die Tropfen, die das Land feuchten.
Zu seinen Zeiten soll blühen die Gerechtigkeit
und großer Friede sein,
bis der Mond nicht mehr ist.
Er soll herrschen von einem Meer bis ans andere,
und von dem Strom bis zu den Enden der Erde.
Vor ihm sollen sich neigen die Söhne der Wüste,
und seine Feinde sollen Staub lecken.
Die Könige von Tarsis und auf den Inseln
sollen Geschenke bringen,
die Könige aus Saba und Scheba
sollen Gaben senden.
Alle Könige sollen vor ihm niederfallen
und alle Völker ihm dienen.
Denn er wird den Armen erretten, der um Hilfe schreit,
und den Elenden, der keinen Helfer hat.
Er wird gnädig sein den Geringen und Armen,
und den Armen wird er helfen.
Gelobt sei der HERR Gott, der Gott Israels,
der allein Wunder tut!
Gelobt sei sein herrlicher Name ewiglich,
und alle Lande sollen seiner Ehre voll werden!
Ehre sei dem Vater und dem Sohn
und dem Heiligen Geist,
wie im Anfang, so auch jetzt und allezeit
und in Ewigkeit. Amen.
(vv. 1-14.18-19)
Kyrierufe
[Die einzelnen Kyrierufe nehmen die Kriegsgefahr bzw. das Kriegsgeschehen auf. Gottesdienstteilnehmende äußern ihre Sorge, ihre Angst, ihre Klage oder ihre Bitten. Jede Äußerung wird durch einen gemeinsamen Kyrie-Rufe (zum Beispiel EG 178.9; 178.11 oder 178.12) zum Gebet.]
L: Das Geschehen unserer Tage erfüllt uns mit Angst und Sorge. Ein unheilvolles Drama nimmt seinen Lauf und entgleitet menschlicher Kontrolle. Wir kennen nur einen, der Einhalt gebieten kann. Ihn, unseren Herrn und Gott, rufen wir an und suchen sein Erbarmen. Kyrie eleison.
G: Kyrie eleison (gesungen)
V: Gott, ich bringe vor dich …
G: Kyrie eleison
V: Gott, ich klage dir …
G: Kyrie eleison
V: Gott, ich bin besorgt …
G Kyrie eleison
V: …
G Kyrie eleison
Tagesgebet
L: Du unser Vater im Himmel,
in deiner Macht liegt es, Kriege abzuwenden
und menschliche Gewalt zu brechen.
Sieh auf unsere Hilflosigkeit und unsere Ohnmacht.
Nimm todesbedrohte Menschen unter deinen Schutz.
Wehre den Mächten, die das Leben bedrohen,
und birg uns in deinem Frieden.
Durch unsern Herrn Jesus Christus, deinen Sohn,
der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
G: Amen
Lied zum Beispiel EG 262,1-7 „Sonne der Gerechtigkeit“ oder EG 247,1-4 „Herr, unser Gott, lass nicht zuschanden werden“
Lesung
Als Lesungen eignen sich biblischen Texte wie Jesaja 9,1-6 (Im Dunkeln Licht); Jesaja 32,12-18 (Das Werk der Gerechtigkeit wird Friede sein); Jeremia 29,7.11-14a (Gott lässt sich finden); Micha 4,1-4 (Schwerter zu Pflugscharen); Matthäus 5,1-10(11-12) (Seligpreisungen); Lukas 2,8-14 (Friede auf Erden); Johannes 14,27-31a (Meinen Frieden gebe ich euch); Römer 12,17-21 (Vergeltet nicht Böses mit Bösem); Römer 8,22-28 (Hoffnung für die Schöpfung); Römer 8,31-39 (Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes); Philipper 4,6-9 (Sorget nichts); Epheser 2,13-18 (Er ist unser Friede); 1. Timotheus 2,1-4 (Betet für alle Menschen).
Predigt
Predigtlied, zum Beispiel eine strophische Fassung des Magnifikats EG 309,1-4 „Hoch hebet den Herrn mein Herz“ oder EG.BT 604,1-3 „Den Herrn will ich loben“.
Fürbitten (die Fürbitten werden von einzelnen Gemeindegliedern vorgebracht)
L: Lasst uns zu Christus beten, dem Heiland für die zerrissene Welt:
V: Wir bitten für eine Ende der Kämpfe in …, dass Waffen schweigen und Menschen am Leben bleiben. Herr Jesus Christus! Wir bitten dich, erhöre uns.
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
V: Wir bitten für Verwundete in den Kriegsgebieten, Vermisste und Gefangene, für Heilung und Schutz an Leib und Seele. Herr Jesus Christus!
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
V: Wir bitten für die unschuldigen Opfer. Für die, die zwischen die Fronten geraten sind und ihr Zuhause verloren haben. Für die Flüchtenden, die Hungernden, die Kinder, Frauen und alten Menschen, die ohnmächtig dem Krieg ausgesetzt sind. Herr Jesus Christus!
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
V: Wir bitten für Menschen und insbesondere für Kinder, die von den Folgen des Krieges seelisch verwundet sind, dass dunkle Erinnerungen und Schreckensbilder zur Heilung gebracht werden. Herr Jesus Christus!
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
V: Wir bitten Dich für die verfeindeten Völker, … und …. , für Brücken des Vertrauens und Auswege aus Hass, Verbitterung und Gewalt, dass Friede zwischen ihnen werde. Herr Jesus Christus!
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
V: Wir bitten für die verantwortlichen Politiker in der ganzen Welt, für besonnene Entscheidungen, die die Macht der Terrorismus brechen und den Frieden zwischen den Völkern erhalten. Herr Jesus Christus!
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
V: Wir bitten für Verständnis und Toleranz zwischen Völkern, Kulturen und Religion, dass Menschen mit allen kulturellen und religiösen Unterschieden friedlich zusammenleben können. Herr Jesus Christus!
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
L: Und was wir selbst auf unseren Herzen haben, das bringen wir in der Stille vor den Herrn.
(Stille)
Herr Jesus Christus!
G: Wir bitten dich, erhöre uns.
L: Herr Jesus Christus, Friedefürst, für alle Menschen kamst du in diese Welt. Mache deinen Frieden wahr. Dir sei alle Ehre in der Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist in Ewigkeit. Amen.
Unser Vater
Sendungslied EG 421 „Verleih uns Frieden gnädiglich“
Segen
Der Friede Gottes, der alles Begreifen übersteigt, bewahre eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus.
Es segne und behüte euch der allmächtige und barmherzige Gott, + der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
G: Amen.
[Musik zum Ausgang]
[1] http://www.ekd.de/frieden/bittgottesdienst.html
[2] So schon Karl Barth in seiner 19. Vorlesung „Der politische Gottesdienst“ seiner Gifford Lectures, abgedruckt in: Ders., Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, Verlag der Evangelischen Buchhandlung: Zollikon-Zürich 1938, 203-216. Vgl. Bernd Wannenwetsch, Gottesdienst als Lebensform – Ethik für Christenbürger, Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1997; Ders., Liturgy, in: Peter Scott/William T. Cavanaugh (Hg.), The Blackwell Companion to Political Theology, Oxford u.a.: Blackwell 2004, 76-90.
[3] Der Ablauf orientiert sich an der Ordnung eines Friedensgebetes, die vom Gottesdienstinstitut der ELKB herausgegeben worden ist (http://www.gottesdienstinstitut.org/upload_sr11_alless05/Friedensgebet_5071.pdf).
Quelle: Jochen Teuffel, Im Angesicht der Katastrophe. Öffentliche Trauer- und Bittgottesdienste, Gütersloh: GVH, 2012, S. 173-180.