Über die Freiheit (Auslegung zu Galater 5,1)
Von Martin Luther
Paulus wendet gegen das Ende des Briefes hin eine heftige und harte Redeweise an, um die Lehre von dem Glauben und von der christlichen Freiheit gegen die Falschapostel, gegen die Feinde und Zerstörer dieser Lehre, zu verteidigen; er lenkt und wirft auf sie wirkliche Blitze von Worten, um sie niederzuwerfen; zugleich ermahnt der Apostel die Galater, daß sie deren verderbliche Lehre wie eine Pest meiden. Zwischen den Ermahnungen droht Paulus, macht Versprechungen und läßt nichts unversucht, um sie in der Freiheit, die ihnen von Christus erworben ist, festzuhalten. Hier die Worte des Apostels:
5,1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So stehet nun fest!
D. h., seid stark. So sagt Petrus: „Seid nüchtern und wachet, denn euer Feind, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, welchen er verschlinge, dem widerstehet tapfer im Glauben“ (1.Petr. 5,8). Der Apostel sagt: Seid nicht sicher, sondern stark, liegt nicht herum und schlaft nicht, sondern steht, wie wenn er sagen wollte: die Wachsamkeit und Beharrlichkeit sind erfordert, wenn ihr die Freiheit, zu der Christus uns befreit hat, festhalten wollt; die Sicheren und Schnarcher können sie nicht behalten. Denn der Satan haßt das Licht des Evangeliums mit aller Kraft, d. h. er haßt die Lehre von der Gnade, von der Freiheit, von dem Trost und von dem Leben. Wo er dieses Licht aufgehen sieht, stürmt er alsbald dagegen mit allen Winden und Unwettern, um es auszulöschen. Darum ermahnt Paulus die Frommen, daß sie doch nicht schnarchen und sicher dahinleben, sie müssen in fester Schlachtordnung gegen den Satan stehen, sonst nimmt er ihnen die von Christus erworbene Freiheit weg etc.
Alle einzelnen Worte haben Nachdruck. Paulus sagt: „Steht in der Freiheit.“ In was für einer Freiheit? Nicht in der Freiheit, die der Kaiser gibt, sondern in der, zu der Christus uns befreit hat. Der Kaiser hat gezwungenermaßen dem römischen Bischof die freie Stadt und andere Ländereien gegeben, dazu Freiheiten von öffentlichen Diensten, Privilegien, Bewilligungen etc. Das ist auch Freiheit, aber die bürgerliche Freiheit, kraft deren der römische Oberpriester mit seinen Klerikern aller öffentlichen Lasten entledigt ist. Dann gibt es auch die Freiheit des Fleisches, die allenthalben in der Welt herrscht. Da gibt es keinen Gehorsam gegen Gott und die Gesetze, sondern man tut, was man will. Dieser Freiheit folgt heute das Volk, dazu die fanatischen Geister, die frei sein wollen in ihren Meinungen und Handlungen, um das, wovon sie träumen, es sei recht, ungestraft lehren und ausführen zu können. Das ist eine teuflische Freiheit, durch die der Teufel die Gottlosen befreit, damit sie sich gegen Gott und die Menschen verfehlen. Von dieser Freiheit handeln wir nicht, wiewohl sie im Überschwang geübt wird und die [275] ganze Welt diese Freiheit allein sucht und ihr folgt. Uns geht es auch nicht um die politische Freiheit, sondern um eine andere, die der Teufel am meisten haßt und bekämpft.
Es geht um die Freiheit, zu der Christus uns befreit hat, nicht um die Freiheit aus irgendeiner menschlichen Knechtschaft oder Tyrannengewalt, sondern um die Freiheit von dem ewigen Zorn Gottes. Wo? Im Gewissen. Hier hat unsere Freiheit ihren Ort und will diese Grenzen nicht überschreiten. Denn Christus hat uns nicht in politischer Hinsicht frei gemacht, nicht im Blick auf den äußeren Menschen, sondern theologisch oder in geistlicher Weise; d. h. er hat unser Gewissen frei und froh gemacht, daß es den kommenden Zorn nicht fürchten muß. Das ist die wahre (unüberbietbar!) und unschätzbare Freiheit, im Vergleich zu deren Größe und Majestät die übrigen Freiheiten (die politischen und auf den äußeren Menschen bezüglichen) kaum ein Tropfen oder ein Tröpfchen sind. Wer kann genug rühmen, was das für eine große Sache sei, wenn einer mit Gewißheit davon sprechen kann, daß Gott weder zornig sei, noch jemals Zorn erzeigen wolle und daß er in Ewigkeit um Christi willen der geneigte und gütige Vater sein werde? Das ist wahrhaftig eine große und unbegreifliche Freiheit, um die Gunst, den Schutz und die Hilfe dieser höchsten Majestät zu wissen und darauf zu hoffen, daß sie uns schließlich auch leiblich befreien werde, so daß unser Leib, der da „gesät wird in Vergänglichkeit, Schmach und Schwachheit, auferstehen werde in Unvergänglichkeit, in Herrlichkeit und Kraft“ (1.Kor. 15,42f.). So ist es eine unbeschreiblich herrliche Freiheit, größer als Himmel und Erde und alle Kreaturen: Wir sind frei von dem Zorn Gottes in Ewigkeit.
Aus dieser Freiheit folgt die andere, derzufolge wir durch Christus frei gemacht werden von dem Gesetz, von der Sünde, von dem Tod, von der Gewalt des Teufels, von der Hölle etc. So wie uns der Zorn Gottes nicht erschrecken kann, denn Christus hat uns davon frei gemacht, können uns Gesetz, Sünde etc. nicht anklagen und verdammen. Und wiewohl das Gesetz uns anklagen und die Sünde uns erschrecken mag, so können sie uns doch nicht in Verzweiflung bringen, weil da alsbald der Glaube, dieser Weltbesieger, spricht: Jene Mächte gehen mich nichts an, denn Christus hat mich von ihnen frei gemacht. So liegt auch der Tod, der das Schrecklichste und Schaudervollste in der Welt ist, besiegt im Gewissen durch diese Freiheit des Hl. Geistes. —
Das Herz muß daher unterwiesen werden, daß es, wenn sich die Anklagen des Gesetzes, die Schrecken durch die Sünde, der Schrecken vor dem Tod, der Zorn Gottes, melden, all diese traurigen Bilder aus den Augen tue und an deren Stelle die Freiheit Christi setze, die Vergebung der Sünde, die Gerechtigkeit, das ewige Leben, die immerwährende Barmherzigkeit Gottes; und wenn auch das Gefühl der gegenteiligen Mächte stärker ist, so soll das Herz doch daran festhalten, daß es nicht lange dauern wird, nach jenem Prophetenwort: „Im Augenblick des Zorns habe ich mein Angesicht ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Barmherzigkeit will ich mich dein erbarmen“ [276] (Jes. 54,8). Aber so zu handeln ist äußerst schwierig. Daher wird jene Freiheit, die uns Christus erworben hat, nicht so schnell geglaubt, wie man davon reden kann. —
Lernen wir also diese unsere Freiheit hoch zu schätzen, die uns nicht der Kaiser, nicht ein Engel vom Himmel, sondern Christus, der Sohn Gottes, durch den alles im Himmel und auf Erden geschaffen ist, durch seinen Tod erworben hat; und er will uns nicht aus irgendeiner leiblichen und augenblicklichen Knechtschaft befreien, er macht frei von der geistlichen und ewigen Knechtschaft der allergrausamsten und unbesieglichsten Tyrannen, von der Knechtschaft des Gesetzes, der Sünde, des Todes, des Teufels etc. und versöhnt uns so mit dem Vater. Wenn aber diese Feinde besiegt und wir durch den Tod seines Sohnes mit Gott versöhnt sind, dann ist’s gewiß, daß wir vor Gott gerecht sind und all unsere Handlungen ihm gefallen und daß, was an Sünde in uns übrig ist, uns nicht zugerechnet, sondern um Christi willen geschenkt wird. — Wer an Christus glaubt, hat diese Freiheit. —
Die Papisten und alle Werkheiligen rühmen auch, daß sie die Vergebung der Sünde, die Gerechtigkeit etc. haben, sie rühmen auch die Freiheit, aber das ist alles dürftig und ungewiß und schwindet in der Anfechtung augenblicklich dahin, weil sie sich auf das Werk und menschliche Genugtuung verlassen, aber nicht auf das Wort Gottes und Christi. Darum ist es unmöglich, daß die Menschen, die mit der Werkgerechtigkeit befaßt sind, wissen, was die Freiheit von der Sünde etc. sei. —
Und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen!
Paulus hat in sehr gewichtigen Worten von der Gnade und christlichen Freiheit gesprochen und die Galater mit den ausführlichsten Worten ermahnt, daß sie in der Freiheit bestehen sollen; sie wird allzu leicht durch Schläfrigkeit und Sicherheit verloren — darum befiehlt er festzustehen —, oder auch wird die Freiheit verscherzt durch Abfall von der Gnade und von dem Glauben hin zu dem Gesetz und den Werken. Und weil diese Sache der Vernunft, die die Gesetzesgerechtigkeit der Glaubensgerechtigkeit weit vorzieht, nicht weiter gefährlich vorkommt, darum wendet Paulus seinen Unmut gegen das Gesetz Gottes, nennt es mit einer Art Verachtung und deutlicher Herabsetzung „Joch“ und zwar Joch der Knechtschaft. So sagt auch Petrus Apg. 15,10: „Was versucht ihr Gott, daß ihr ein Joch auf der Jünger Nacken legen wollt etc.?“ So wendet Paulus alles ins Gegenteil. Die Falschapostel haben die Verheißung herabgesetzt und das Gesetz und seine Werke in dieser Weise groß gemacht: Wenn ihr frei sein wollt von der Sünde und von dem Tod und wenn ihr die Gerechtigkeit und das Leben erlangen wollt, haltet das Gesetz, laßt euch beschneiden, haltet die Festtage, die Monate, die Zeiten, die Jahre, heiligt sie etc.; dieser Gehorsam gegen das Gesetz wird euch rechtfertigen und retten. Paulus sagt das gerade Gegenteil. Die auf diese Weise von [277] dem Gesetz lehren, befreien nicht die Gewissen, sondern legen ihnen Stricke an, beugen sie unter ein Joch und zwar unter das Joch der Knechtschaft.
Darum redet Paulus im Übermaß verächtlich und herabsetzend von dem Gesetz und spricht von dem Strick härtester Knechtschaft und von dem Knechtsjoch. Das tut Paulus nicht unbedacht. Diese verderbliche Meinung von dem Gesetz, daß es rechtfertige, hängt gar fest in der Vernunft, ja das ganze Menschengeschlecht ist so stark in dieser Vorstellung verwickelt und gefangen, daß es äußerst schwierig ist, es daraus zu befreien. Paulus scheint hier diejenigen, die die Gerechtigkeit durchs Gesetz suchen, mit Rindern, die ins Joch geschlossen sind, zu vergleichen. Wie die Rinder, die mit großer Mühe ihren Jochdienst tun, davon schließlich nichts haben als das Futter und wenn sie nicht mehr zum Jochdienst fähig sind, geschlachtet werden, so sind die, die im Gesetz Gerechtigkeit suchen, gefangen und stehen unter dem Druck des Knechtschaftsjoches, d. h. unter dem Gesetz, und wenn sie sich lange genug unter Mühen und Schmerzen mit den Gesetzeswerken herumgeschlagen haben, haben sie schließlich diesen Lohn, daß sie elende und ewige Sklaven sind. Wessen Sklaven? Der Sünde, des Todes, des Gotteszorns, des Teufels, des Fleisches, der Welt und aller Kreaturen. Und darum gibt es keine größere und härtere Sklaverei, als die Sklaverei des Gesetzes. Nicht umsonst nennt es Paulus darum ein Joch der Knechtschaft, denn das Gesetz, wie oben ausgeführt, zeigt lediglich und vermehrt die Sünde, klagt an, schreckt, verdammt, wirkt Zorn und bringt das Gewissen — und das ist die elendeste und härteste Sklaverei — in die Verzweiflung (Röm.3,4.7). – –
Quelle: D. Martin Luther Epistel-Auslegung, Bd. 4: Der Galaterbrief, hg. u. übers. von Hermann Kleinknecht, Göttingen 1980, 274-276.