Heinrich Vogel, Menschwerdung Gottes (EKL): „Das Ereignis der Menschwerdung gründet und west in Gottes Tat, die als solche weder dem histori­schen noch dem spekulativen Denken zugänglich ist. Darum bedarf das Weihnachtswunder der Weih­nachtsbotschaft (die Funktion des Engels!), ohne die es für uns stumm bleibt.“

Menschwerdung Gottes

Von Heinrich Vogel

Die Menschwerdung Gottes, das Wunder der Weihnacht, ist das nur als die Allmachtstat des ewigen Erbarmers zu verstehende Mysterium, in dem Gott als einer von uns unserer vom Todesfluch der Sünde geschlagenen Existenz inexistent wird und so an unsere Stelle tritt.

1. Die Frage nach dem Grunde der Menschwerdung Gottes (Cur Deus homo? Anselm) erfährt die zwiefach-eine Ant­wort:

a) Die Menschwerdung Gottes hat ihren absoluten Grund in dem ewigen Ratschluß des grundlosen Erbarmens Gottes, der in seiner Selbstoffenbarung sein Wesen als die Liebe offenbart, in der Gott, der niemandes und nichts bedarf, sich selbst in göttlicher Freiheit uns schenkt. Sie will nicht hergeleitet sein aus einem Ver­ständnis des Göttlichen, in dem die Idee des Mensch­lichen einbeschlossen wäre und zu ihrer Verwirk­lichung drängte. Sie will auch nicht verstanden wer­den aus einer Verwandtschaft des menschlichen Wesens mit dem göttlichen, die eine Menschwerdung Gottes er­möglichte. Sie ist weder ein göttlicher Willkürakt, noch sagt sie eine göttliche Zwangsnotwendigkeit aus. Sie bedeutet ebensowenig eine Vermenschlichung Gottes wie eine Vergöttlichung des Menschen.

b) Die Menschwerdung Gottes hat ihren relativen Grund in dem Elend des zur Gottesgemeinschaft geschaffenen und bestimmten, von Gott abgefallenen und dem Todes­fluch seines Zornes verfallenen Menschen, dessen sich Gott erbarmt, indem er an seine Stelle tritt und darin gerade seine Gerechtigkeit als seine Gnade er­weist und offenbart. So wahr die Menschwerdung Gottes Akt seines Erbarmens über der hoffnungslosen, schuld­haften Verlorenheit des gefallenen Geschöpfes ist, so­wenig ist sie durch das Elend des Menschen erzwun­gen, auch nicht im Blick auf das mit der Schöpfung des Menschen gesetzte Endziel Gottes. Vielmehr gründet in der Freiheit Gottes die Selbstunterwerfung unter den Todesfluch, die sich in der Menschwerdung so ereignet, daß bereits über der Krippe das Kreuz steht. Der ab­solute Grund, das freie, grundlose, ewige Erbarmen Gottes, wird nur in der Relation und Zuwendung zu der Verlorenheit des Geschöpfes erkannt, die Tiefe der göttlichen Freiheit nur in dem Abgrund der Liebe.

2. Die Frage nach dem Subjekt der Menschwerdung erfährt in dreifacher Unterstreichung die Antwort:

a) In dem Sohn Gottes Gott selbst. Nicht ein Zwi­schenwesen, wie es die Sehnsucht des Menschen zur Vermittlung des Gegensatzes von Gott und Welt mythologisch oder philosophisch dichtet und denkt, sondern der mit dem Vater wesenseine Sohn (der Logos) ist es, der Mensch wird (Joh 1,1-2).

b) Derselbe Gott, durch den alles, was ist, geschaffen ist und erhalten wird, ist es, der sich in der Menschwerdung des gefallenen und verlorenen Geschöpfes erbarmt. Der Erlöser ist kein anderer als der Schöpfer (Athanasius!; Joh 1,3-5 u. 9-13; Kol 1,15ff.; Hebr. 1,1ff.).

c) Der durch den Offenbarungszeugen Bezeugte, der selbst allein schöpferisch den Glauben zeugt, und das heißt noch einmal: Gott selbst ist das Subjekt der Menschwerdung (Joh 1,6-8 u. 15).

3. Die Frage, was Gott wird, indem er Mensch wird, will wiederum in dreifacher Hinsicht beantwortet werden:

a) Der Schöpfer macht die Existenz des Geschöpfes zu seiner Existenz. Ja, im Blick darauf, daß es sich nicht nur um eine äußere Einwohnung, sondern um das Eingehen in unser „Fleisch und Blut“ handelt, muß der angesichts des unendlich-qualitativen Unter­schiedes zwischen dem Schöpfer und den Geschöpfen unserer religiösen Vernunft unmöglich erscheinende Satz gewagt werden: Der Schöpfer wurde Geschöpf, indem er als Geschöpf existierte. Das besagt aber nicht die Verwandlung des Schöpfers in das Ge­schöpf.

b) Der Heilige macht die dem Zorn Gottes verfal­lene Existenz des Sünders zu seiner Existenz. Es geht nicht um so etwas wie eine neutrale Menschwerdung, sondern um die Fleischwerdung (Joh 1,14, Sarx = Sünden-, Todesfleisch!), und das besagt: um die Inexistenz in der Existenz des Sünders. In und mit der Menschwerdung wird der Menschgewordene bereits zur Sünde gemacht (2Kor 5,21). So hat das Geschehen in der Krippe das Kreuzesgeschehen bereits in seinem Schoß, ohne es doch zu antizipieren. Gerade in dieser Selbstausliefe­rung des Sündlosen an die vom Todesfluch geschla­gene Existenz des Sünders gründet das Mysterium der Stellvertretung. Damit ist die Verwandlung des Heiligen in einen Sünder ebenso ausgeschlossen wie die „moralische“ Distanzierung einer Idealgestalt von den Verlorenen.

c) Die Herrlichkeit des Fleisch gewordenen Sohnes Gottes offenbart sich in der Gestalt der tiefsten Ver­hüllung allein dem Glauben (Joh 1,14 u. 16-18; 1Tim 3,16). Die Menschwerdung Gottes schließt die Verborgenheits­gestalt der Offenbarung Gottes in seiner Göttlichkeit ein. Sie verhüllt den Allmächtigen als den Ohn­mächtigen, den Barmherzigen als den dem Zornesfluch Ausgelieferten, den Heiligen als den Verfluch­ten, den in allen seinen Wesensherrlichkeiten Herr­lichen in der Knechtsgestalt (Phil 2,6ff.). Der Grund dieser Selbstverhüllung ist das Erbarmen über den Menschen, dessen Ursünde die Vertrauensverweige­rung ist, und der darum nur im Glauben, nicht aber auf dem Wege unmittelbarer, beweiskräftiger Gottes­schau versöhnt und erlöst werden kann. Auch damit ist nicht etwa eine Selbstpreisgabe (so etwas wie eine Entselbstung) der Gottheit Gottes ausgesagt. Gott hört da, wo er sich zum Heile des Menschen offen­bart, so wenig auf, Gott zu sein, daß er sich vielmehr hier gerade in seiner Göttlichkeit beweist, mitteilt und erschließt.

4. Die Frage nach dem Wie der Menschwerdung Gottes darf ebenso wie die vorhergehenden Fragen nur in einer das Wunder als Wunder respektierenden Erkenntnis gewagt werden.

a) Die als solche sich unserer Beobachtung und Er­forschung entziehende Menschwerdung Gottes ereignet sich in, mit und unter der historischen Faktizität einer mensch­lichen Geburt. Die Geburt des Jesus von Nazareth stellt sich von außen her gesehen als ein Geschehnis wie unzählige andere gleichartige Geschehnisse dar, obendrein so, daß ihr historisches Datum nicht terminierbar ist. Das Ereignis der Menschwerdung gründet und west in Gottes Tat, die als solche weder dem histori­schen noch dem spekulativen Denken zugänglich ist. Darum bedarf das Weihnachtswunder der Weih­nachtsbotschaft (die Funktion des Engels!), ohne die es für uns stumm bleibt. Für das Verhältnis zwischen dem Tat-Ereignis und dem historischen Faktum ist es ebenso entscheidend, das Wunder der Menschwerdung nicht von dieser historischen Geburt zu lösen, wie aber auch, es nicht historisch oder spekulativ beweisen zu wollen.

b) Dem Erkannten entspricht die wundersame Zu­ordnung des Zeichens zu dem Wunder. Das Wunder Hegt in der Allmachtstat Gottes (empfangen vom Hl. Geist), das Zeichen in dem menschlichen Geburts­vorgang, und zwar unter dem Deckel der Niedrig­keit und Schande (ex Maria Virgine). Dabei geht es einerseits nicht um eine Parallele zu historischen Mythen, in denen der Gott die Rolle des mensch­lichen Erzeugers übernimmt, um aus der Synthese mit dem menschlichen Weib den Halbgott hervorgehen zu lassen. Wiederum geht es nicht um die Jungfräu­lichkeit als eine für den Empfang Gottes prädispo­nierende Qualität. Vielmehr gilt es hier in der Re­spektierung des unsere Erkenntnisse übersteigenden Geheimnisses zu erkennen, daß Gott auf ebenso gött­liche wie menschliche Weise Mensch wurde.

Lit.: Athanasius: Die Menschwerdung des Logos; Anselm: Cur Deus homo; Kierkegaard: Klimakus und Philosophische Brocken).

Quelle: EKL2, Bd. 2 (1962), Sp. 1301-1303.

Hier der Text als pdf.

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