Über die Staatsgewalt nach Römer 13
Von Karl Barth
Von dieser Grundregel des Verhältnisses des Christen zur Welt machen nun auch die folgenden berühmten Verse über die Staatsgewalt (Kap. 13,1-7) keine Ausnahme. Sie sagen einmal, daß niemand von der Befolgung jener Regel die Entstehung eines allgemeinen Chaos zu befürchten oder zu erhoffen hat. Wie Gott und indem Gott die christliche Gemeinde mit jenem Auftrag, das Böse durch das Gute zu überwinden und ganz allein mit der Gewalt und dem Recht ihrer Bedürftigkeit, ihres Lebens von seinem Erbarmen, in die Welt hineingestiftet hat als sein Friedensangebot an alle Menschen – so hat er in der Welt selbst eine Ordnung aufgerichtet, durch deren Existenz und Handhabung dafür gesorgt ist, daß auch sein Zorn und seine Rache (Kap. 12,19) allen Menschen gegenüber zur Bezeugung komme, daß also das Böse und die Bösen auch abgesehen von dem ihnen durch die Gemeinde übermittelten Friedensangebot, auch da, wo das Evangelium noch nicht oder nicht mehr Gehorsam findet, in ihre Schranken gewiesen sind, ihren freien Lauf nicht nehmen können. Und diese Verse sagen zum anderen, daß die Christen sich in diese Ordnung fügen und einordnen, und zwar von Gewissens wegen, also frei und von sich aus fügen und einordnen sollen, daß ihr »vernünftiger Gottesdienst « (v. 2) auch diese Gestalt: die Gestalt des politischen Gottesdienstes (vgl. v. 4,5,6) haben muß.
Die »Gewalten«, von denen in Kap. 13,1f die Rede ist, sind tatsächlich das, was wir die Staatsgewalt nennen. Die Übersetzung »Obrigkeit« hat darum viel Verwirrung angerichtet, weil man dabei allzu einseitig nur an die exekutiv regierende Staatsgewalt und zu wenig an die bei dieser Sache so oder so unvermeidliche aktive Beteiligung auch der jeweils Regierten gedacht hat. Das Wort ist dasselbe, das in Matthäus 28,18 gebraucht wird: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden« – dasselbe Wort, das im Neuen Testament zur Bezeichnung einer bestimmten Gruppe von Engelmächten verwendet wird. Wir können schon daraus entnehmen, daß Paulus von einer von der Gewalt Jesu Christi unabhängigen, von einer »naturrechtlich« begründeten Gewalt hier nicht hat reden wollen. Kein Wort verrät uns, daß Paulus in diesen Versen plötzlich nicht mehr »auf Grund der Barmherzigkeit Gottes« (v. 12,1) ermahnen, daß er hier nicht mehr die Christen als solche und also auf ihren Gehorsam gegen Jesus Christus anreden würde. Indem Jesus Christus das Haupt seines Leibes, der Gemeinde, ist, ist er nach Kol 1,16f auch der, durch den und auf den hin alles geschaffen ist: alle »Throne, Herrschaften, Mächte und Gewalten«. Eben das gilt auch von der Staatsgewalt. Sie gehört zwar nicht zur Kirche, wohl aber mit der Kirche zum Reiche Christi. Eben darum hat sich jedermann – jedermann gerade in der Gemeinde – der Staatsgewalt zu fügen und einzuordnen (v. 1). Von Einordnung ist die Rede und nicht von einer blinden Unterwerfung, einer Sache, die es in der Bibel – man kann ruhig sagen: überhaupt nicht gibt. Wo solche Staatsgewalt ist, da ist sie von Gott eingesetzt: in dem, worin sie Staatsgewalt ist natürlich – nicht etwa in dem, worin sie sich vielleicht als deren Gegenteil, als Revolution, als Anarchie, gebärdet und ausweist – so daß wer sich ihr entziehen, ihr sich entgegensetzen wollte, der Anordnung Gottes selbst widerstehen würde (v. 2). Die im Namen und in der Vollmacht solcher von Gott eingesetzter Staatsgewalt Regierenden können für die, die das Gute tun, für die Christen also, kein Gegenstand der Furcht, keine Fremden sein, denen gegenüber sie nur Distanz zu wahren hätten. Das sind sie für die Bösen: gerade für jene also, denen die Christen bis jetzt scheinbar erfolglos ihr Friedensangebot gemacht haben. Ihnen ist damit, daß es eine Staatsgewalt gibt, gewehrt – sie sind durch sie gewarnt, daß sie es allzu weit jedenfalls nicht treiben möchten auf ihrer bösen Linie. Wogegen sich der Christ als Täter des Guten, als der Träger ihrer Botschaft vom Sieg des Guten, vor ihr und vor den sie vertretenden Personen bestimmt nicht zu fürchten, nicht zu distanzieren hat, in deren Funktion er vielmehr geradezu die Erfüllung eines Gottesdienstes dankbar anerkennen wird. Fürchten und distanzieren müßte er sich in dieser Sache nur, wenn er die ihn haltende Gnade loslassen, der Gestalt dieser Welt sich anpassen und damit selber das Böse tun würde (v. 3-4). Die Staatsgewalt ist nämlich tatsächlich Gewalt: sie führt das Schwert und sie führt es nicht umsonst, nicht zum Schein und da, wo sie von Gott eingesetzt ist, auch nicht aufs Geratewohl, sondern tatsächlich gegen die Bösen: sie ist also an sich wohl geeignet, Furcht zu erregen, zu Fluchtgedanken anzuregen. Was sie zu bezeugen hat, ist nicht mehr und nicht weniger als Gottes Zorngericht über den, der das Böse tut: wie sollte also nicht jedermann, auch der Christ, erschrecken können vor diesem Zeugnis. Wollte und würde er das Böse tun – und was sonst als Gottes Gnade hindert ihn daran? – so würde auch er hier nur erschrecken können: erschrecken als vor der Anzeige des ewigen Gerichtes in der Gestalt des irdischen Richters (v. 4). Aber eben weil er durch Gottes Gnade gehalten ist, kann und muß er sich hier ohne Furcht fügen und einordnen: nicht nur aus jener Furcht, wie es die Anderen tun, sondern gerade er um des Gewissens, um der Erkenntnis Gottes und seiner Herrschaft willen, weil er weiß und will, daß Gott auch durch die Begründung und Aufrechterhaltung dieser Ordnung gepriesen wird, daß er auch in den Vertretern dieser Ordnung – gleichgültig ob sie glauben oder nicht – faktisch seine Diener hat, weil das Reich Christi und seine heiligende Gewalt außerhalb der Gemeinde auch diese Gestalt hat (v. 5). Sich fügen und einordnen heißt aber: aktiv tun, was zur Aufrechterhaltung und Durchführung dieser Ordnung nötig ist als Leistung an Steuer und Zoll, an Respekt und Ehre (v. 6-7). Sich fügen und einordnen heißt also: in praktischen Entscheidungen seine Verantwortlichkeit auch in dieser Sache bewähren, heißt auch in dieser Sache: drinnen und nicht draußen sein. Die Christen sind hier unter der Ordnung Gottes – des einen Gottes – wie sie es in der Gemeinde sind. Sie sollen es als die Gott Geopferten an beiden Orten ganz sein: anders hier als dort, aber an beiden Orten ganz und auch hier darum, weil sie es dürfen, auch hier gerade darum, weil sie von der Gnade Gottes gehalten und getragen sind.
Quelle: Karl Barth, Kurze Erklärung des Römerbriefes, München-Hamburg: Siebenstern, 1967, S. 156-159.