Gustav Radbruch, Gerechtigkeit und Gnade von 1949: „Nur ein Altarbild, das 1506 im Braunschweiger Dom aufgestellt wurde, zeigt einzigartig unter dem Altan, auf dem Christus dem Volke zur Begnadigung dargestellt wird, drei Gestalten im Halseisen, die bei­den Schächer, welchen die Legende die Namen Dismas und Gismas ge­geben hat, und neben ihnen Barabbas. Ihm werden die Fesseln gelöst, und er nimmt die Befreiung entgegen“

Altar des Braunschweiger Domes: Mitteltafel mit der Schaustellung Christi (Ecce homo), Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig

Gerechtigkeit und Gnade (1949)

Von Gustav Radbruch

Während der Katholizismus eine großartige christlich fundierte Lehre von Recht und Gerech­tigkeit entwickelt hat, hatte der Protestantismus, zum mindesten das Luthertum, eine solche Lehre nicht aufzuweisen. Das hat sich in den Zeiten des Nationalsozialismus als verhängnis­voll erwiesen. Die vermeintliche Eigengesetzlichkeit des Rechts, der juristi­sche Positivismus, mündete damals folgerichtig in die notgedrungene An­erkennung des totalen Staates und sei­ner Gesetze aus: der Protestantis­mus vermochte ihnen eine übergesetzlich begründete Rechts­auffassung nicht entgegenzusetzen. Seither ist eine Fülle von Schriften erschienen, die bemüht sind, diese Lücke der evangelischen Dogmatik auszufüllen, so die bedeutenden Arbeiten der Schweizer Emil Brunner[1] und Alfred de Quervain[2], der Amerikaner Reinhold Niebuhr[3] und W.E. Hocking, des Franzosen Jacques Ellul[4] und des Deutschen Erik Wolf[5]. Es soll hier ver­sucht werden, das Gemeinsame dieser Schriften festzustellen.

Versuchen wir zunächst, die überlieferte Tugendlehre des Protestan­tismus anschaulich zu machen. In ihr hat die Gerechtigkeit keine oder doch nur eine sekundäre Stellung. Für die Menschen untereinander gilt das Gebot der Liebe, für das Verhältnis des Menschen zu Gott die Hal­tung des Glaubens, für das Verhältnis Gottes zu den Menschen die Ver­heißung der Gnade. Diese drei Begriffe decken sich mit der Dreizahl der christlichen Tugenden: Liebe, Glaube und Hoffnung — denn die Hoff­nung ist ja eben die Hoffnung auf Gnade.

Gnade und Liebe sind gleichen Wesens: Gnade bezeichnet die Voll­kommenheit der göttlichen Liebe in ihrem Verhältnis zu der gebrech­lichen Menschenliebe. Beide aber stehen in einem scharfen Gegensatze zur Gerechtigkeit und können nur aus diesem Gegensatz heraus begriff­lich bestimmt werden: während Gerechtigkeit die Schätzung der Men­schen nach Verdienst und Würdigkeit bedeutet, bedeuten Liebe und Gnade Bejahung ohne Rücksicht auf ihren Wert und Unwert. Die Un­terscheidung von Liebe und Gnade entspricht der Unterscheidung von kommutativer und distributiver Gerechtigkeit: die Liebe steht im Gegensatz zur ausgleichen­den Gerechtigkeit — beide beziehen sich auf das Verhältnis gleichgeordneter Menschen zu­einander; die Gnade da­gegen hat die gleichen Verhältnisse zum Gegenstände wie die austei­lende Gerechtigkeit — beide beziehen sich auf das Verhältnis Überge­ordneter zu Untergeord­neten, die eine auf das Verhältnis Gottes, die andere auf das Verhältnis der Staatsgewalt zu den einzelnen Menschen.

In jenem System christlicher Tugenden hat die erste unter den welt­lichen, den Kardinal-Tugenden, keine Stätte: die Gerechtigkeit. Sie tritt nur in einer für menschliche Vernunft unvollziehbaren Gleich­setzung mit der Gnade sekundär hinzu: die Gerechtigkeit Gottes ist zu­gleich Gnade — Vergebung der Sünden, Erlösung von der Schuld — und Gerechtigkeit — strafende Vergeltung. Die strafende Vergeltung durch das Jüngste Gericht und die Ewigen Strafen ist die Hauptstätte konfessioneller Gegensätze innerhalb des Christentums: des Gegen­satzes zwischen Freiheit, Verdienst und Schuld einerseits und der Vor­bestimmung Gottes andererseits, des Gegensatzes zwischen der Recht­fertigung durch Werke und der Rechtfer­tigung durch den Glauben. Eine weitere Frage tritt hinzu: die Frage nach der Gerechtigkeit Ewiger Strafen im Verhältnis zu zeitlicher Sündhaftigkeit. Schließlich erhebt sich noch die Frage, wie die Seligen die Ewige Qual der Verdammten er­tragen und betrachten sollen: nicht natürlich mit Schadenfreude, aber ebensowenig mit Mitleid — verweist doch Vergil dem von ihm durch die Hölle geführten Dante das Mitleid mit den zu Recht Verdammten — vielmehr nach Leibniz’ Auffassung mit dem ästhetischen Wohlgefallen an der Verwirklichung der Ge­rechtigkeit, die man anzusehen habe comme une belle musique ou bien une bonne architecture contente les esprits bienfaits.

Vollends hat die Gerechtigkeit zwischen den Menschen in der Lehre Jesu kein sicheres Fun­dament — sie wird völlig beiseitegeschoben um der höheren Forderung willen, der Nächsten­liebe. Das Gebot der Feindesliebe macht auch vor dem Rechtsfeinde nicht halt, vielmehr for­dert die Bergpredigt die Wehrlosigkeit gegen das Böse, die Überbietung des Unrechts durch die Demut. Und in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberge weist Christus mit einer großartigen Geste den Einwand der Ungerechtigkeit zurück: auf die Beschwerde der nach dem Recht abge­lohnten Arbeiter gegenüber den weit über Verdienst belohnten Arbeitern antwortet der Dienstherr: Tolle, quod tuum est, et vade: volo autem et huic novissimo dare sicut et tibi. Aut non licet mihi, quod volo, facere? An oculus tuus nequam est, quia ego bonus sum? (Matth. 20, 14). Solche Worte haben Rudolf Sohm veranlaßt, einen unlösbaren Wi­der­spruch zwischen Kirche und Kirchenrecht anzunehmen, Tolstoi bestimmt mit noch rück­sichtsloserer Folgerichtigkeit die Widerchrist­lichkeit alles Rechtsdenkens, befiehlt uns zu beten und die Liebe für die einzige Norm des menschlichen Zusammenlebens zu erklären.

Hier setzt die Arbeit der obengenannten Denker ein. Der Protestan­tismus ist jetzt ernstlich bemüht, auch für menschliches Recht und menschliche Gerechtigkeit ein Fundament inner­halb der christlichen Lehre zu finden. Der Katholizismus weist dem Recht und der Gerechtig­keit ihren Platz innerhalb der Schöpfungsordnung an: durch die Schöp­fung ist den Kreaturen auch Recht und Gerechtigkeit angeschaffen worden. Die Schöpfung aber ist identisch mit der Natur, soweit diese als aus Gottes Hand hervorgegangen gedacht wird. So bedeutet die ka­tholische Begründung des Rechts in der Schöpfungsordnung die Fort­führung der antiken Lehre, von einem Naturrecht, einer in der Natur begründeten, durch die Vernunft begreifli­chen allgemeingültigen Ord­nung des Zusammenlebens der Menschen. Natur und Schöpfung dürfen dabei freilich nicht als eine Ordnung naturgesetzlicher Notwendigkeiten verstanden werden, vielmehr zugleich als ein Inbegriff normativer Forderung, die im Sinne der »Natur der Sache« auf das »Wesen« — nicht auf das bloße » Sein « — der ursprünglichen menschli­chen Verhält­nisse gegründet werden.

Der Protestantismus dagegen ist nicht in der Lage, in solcher Weise das Recht auf dem Schöp­fungsgedanken zu begründen: die Schöpfung Gottes kann, verderbt durch den Sündenfall und die Erbsünde der Men­schen, nicht mehr zur Begründung normativer Forderungen dienen. So kann auch das Recht nicht mehr aus der Schöpfungsordnung abge­leitet werden — aber es wird als eine besondere Gabe Gottes gewürdigt (Quervain). Recht und Gerechtigkeit erschei­nen bei aller Anerkennung ihrer in der menschlichen Sündhaftigkeit begründeten Unvoll­kommen­heit als die bestmögliche Annäherung an die Brüderlichkeit unter den durch den menschlichen Egoismus geschaffenen Bedingungen (Nie­buhr). Recht und Gerechtigkeit haben ihren Platz in der Sachlichkeit einer Ordnungswelt und treten in Gegensatz zu der Liebe, welche nur einer Person gelten kann, aber in jener Ordnungswelt kann der Christ sein wahres Christsein, sein Lieben, nicht anders auswirken, als indem er gerecht ist: er kann mit der eigentlichen Liebe erst da beginnen, wo die Gerechtigkeit schon erfüllt ist, er darf nicht Zurückbleiben hinter der Gerechtigkeit, sondern (wie der Dienstherr der Arbeiter im Wein­berg) nur darüber hinaus schreiten in seiner Güte (Brunner). So wird das Verhältnis des Rechts zu Gott und zur Liebe wieder hergestellt. Denn, mag die Verbannung Gottes aus der Welt der Materie die Naturgesetze unberührt lassen, die Laboratoriumsarbeit in ihren Messun­gen nicht beeinträchtigen: wenn die metaphysische Verankerung des Rechts gelöst wird, dann verliert dieses einen Teil seiner Kraft (Hocking).

Ist die religiöse Betrachtungsweise geneigt, die Gerechtigkeit im Meer der Gnade aufzulösen, so zeigt umgekehrt die rechtliche Be­trachtungsweise die Tendenz, die Gnade der Gerechtig­keit mehr und mehr anzugleichen, wenn sie nicht sogar der Gnade jeden Platz neben der Ge­rechtigkeit verweigert. So hat Kant die Gnade als das schlüpfrig­ste unter den Majestätsrechten bezeichnet, Beccaria jenen vollendeten Zustand der Gesetzgebung glücklich gepriesen, der einer Korrektur durch die Gnade nicht mehr bedürfen wird, Filangieri die Begnadigung nur in zwei Fällen zugelassen: 1. quando nella persona del delinquente concorrono i grandi meriti personali, e le grandi speranze, ehe i suoi talenti e le sue virtu offrono alla patria. 2. II secondo e quello di una popolazione intera delinquente. Andererseits hat Ihering die Gnade als das notwendige Sicherheitsventil des Rechts bezeichnet und damit ein Schlagwort geprägt, wel­ches die rein juristische Auffassung der Gnade bezeichnen soll, Stammler im gleichen Sinne die Begnadigung als ein Betätigen von richtigem Recht bestimmt. Die Gnade hat nach dieser Auffassung die Aufgabe, gegenüber der Rechtskraft eines Fehlurteils — sei’ es einer ungenü­genden Beweisführung oder einer unrichtigen Rechtsauffassung — das geltende Recht zur Geltung zu bringen; oder gegenüber einem nach positivem Recht zutreffenden aber ungerech­ten Urteil die Gerechtigkeit zu verwirklichen; oder ein strenger Gerechtig­keit genügendes Urteil im Sinne der Billigkeit, der Gerechtigkeit des Einzelfalls, zu korrigieren; oder schließ­lich ein allen Anforderungen der Gerechtigkeit genügendes Urteil im Sinne kriminalpoliti­scher Zweckmäßigkeit zu mildern, z. B. indem man einem zu Recht Verur­teilten die bedingte Begnadigung, den Aufschub der Bestrafung gewährt und ihren Erlaß verspricht für den Fall, daß er sich innerhalb einer Bewährungsfrist tadelfrei verhalte.

Liegen alle diese Zweckbestimmungen der Gnade noch im Bereiche rechtlicher Begriffe, so wird dieser Bereich überschritten, wenn man der Gnade den weiteren Zweck zuerkennt, gegenüber einer rechtlich in jeder Beziehung korrekten Beurteilung der Staatsklugheit, also politi­schen Zielen, zu dienen, wenn z. B. verurteilte Revolutionäre, unge­fährlich geworden durch die inzwischen erreichte Befestigung des staat­lichen Zustandes, zum Zwecke der Ver­söhnung und Gewinnung bisher oppositioneller Volkskreise begnadigt werden. Schließlich gibt es Begna­digungen, die weder rechtliche noch politische Zwecke verfolgen, die überhaupt keine zweckrationale Handhabung der Gnade mehr bedeuten: die Begnadigungen und Amne­stien an nationalen Feiertagen — und ge­rade sie sind das letzte Überbleibsel dessen, was ursprünglich Gnade hieß.

Das technische Zeitalter wird gekennzeichnet durch die Absicht rest­loser Voraussicht und Vorsorge oder (nach Max Webers Wort) durch die uneingeschränkte Herrschaft des »Zweck­rationalismus«. Man kann diesen auch als die Ausschaltung des Zufalls oder (nach anderer Wer­tung) des Schicksals oder der göttlichen Vorsehung bezeichnen. Aber ge­rade Zeiten, wie sie uns beschieden waren und sind, haben uns die Gren­zen eines solchen Zweckrationalismus erleben lassen — wie oft z. B. hat die Auslagerung besonders wertvoller Sachen bei Flieger­gefahr gerade zum Verlust dieser Sachen geführt —, Zufall oder Schicksal haben sich stärker gezeigt als alle Voraussicht und Vorsorge, und diese Überlegenheit konnte dann nicht mehr in einem großen Sinne als Schicksalserfüllung verstanden werden, vielmehr in der peinigenderen Weise eines eigenen Rechenfehlers. Wir müssen wieder lernen, der totalen Voraussicht und Vorsorge Grenzen zu ziehen und in bestimmtem Umfange das Schicksal frei walten zu lassen, ein Gefühl dafür zurückgewinnen, was man dem Zweckrationalismus unterwerfen, was man dem Schicksal überlassen kann. Das noch nicht technisch, vielmehr religiös bestimmte Mittel­alter übte solche Zurückhaltung, maßte sich nicht an, Zufall oder Schicksal völlig auszuschal­ten, setzte vielmehr umgekehrt in alle seine Berechnungen Zufallsfaktoren ein. Ein Todesur­teil z. B. führte noch nicht mit grausamer rechenhafter Folgerichtigkeit unausbleiblich zu seiner Vollstreckung, vielmehr ging dem Verurteilten auf dem Wege zum Richtplatz immer noch die Hoffnung zur Seite, die letzte Hoffnung, der Strick werde reißen, das Schwert fehl­schlagen, eine alte Jungfer sich zur Heirat erbieten, oder man werde bei einer Massenhin­rich­tung das Glück haben, der Zehnte zu sein, den nach altem Rechte der Scharfrichter ver­schon­te. Auch die Begnadigung wurde damals nicht in der Verfolgung rationaler Zweckbestimmun­gen gesehen, vielmehr oft aus völlig irratio­nalen Motiven verstanden. Wenn durch Adel oder geistliches Amt hoch­gestellte Personen die Begnadigung eines Verurteilten erbaten, so folgte daraus zwar nicht eine Rechtspflicht zur Begnadigung, aber es entstand eine Situation, der man sich nicht leicht entziehen konnte. Weniger als eine rechtliche Verbindlichkeit und doch mehr als ein bloßer unver­bindlicher Brauch. Diese »Losbitte« hat sich jedoch zuweilen zu einer wirklichen Rechtseinrichtung verdichtet, wenn etwa einer Äbtissin kraft Privilegs oder Herkommens das »Losschneidungsrecht« zustand, das Recht, wenn der Delinquent zur Richt­statt geführt wurde, den Strick, an dem man ihn führte, zu zerschneiden und dadurch seine Hin­richtung zu verhindern. Ein ähnliches Gnadenrecht stand in Italien jenen zahlreichen Bru­derschaften zu, die nach dem Vorbilde der (noch heute bestehenden) Misericordia in Florenz es sich zur religiösen Pflicht machten, den Delinquenten vor der Hinrichtung geistlichen Trost, nach der Hinrichtung ein ehrliches Begräbnis zu sichern. In Rom war in diesem Sinne jene Bruderschaft tätig, die ihren Namen nach der klei­nen Kirche S. Giovanni decollato führ­te. Sie hatte wie anderswo ähn­liche Bruderschaften das Recht, alljährlich die Gefängnisse zu besuchen und drei Gefangene zur Begnadigung auszuwählen, zwischen denen dann das Los entschied.

Es wäre utopisch, solche irrationalen Rechtsformen der Begnadigung zurückrufen zu wollen, etwa, nach einem ernstlichen Vorschläge, »Pioniere, die für die Menschheit unter Einsatz ih­res Lebens etwas Außerordentliches geleistet haben, mit dem Recht auszuzeichnen, die Be­gnadigung eines Verurteilten zu erbitten« — aber etwas von ihrem früheren irrationalen Gei­ste sollte der Begnadigung stets erhalten blei­ben, nicht nur in jener Form der Amnestie bei hohen vaterländischen Anlässen, die ganz und gar dieses Geistes ist. Die Gnade in ihrem ech­ten und ursprünglichen Sinn ist wie ein Lichtstrahl aus einem anderen Reiche in die dunkle und kühle Welt des Rechts, sie soll daran erinnern, daß die zweckrationale Betrachtung der Dinge nicht die einzig mögliche sei, daß es neben und über dem Rechte, das ganz und gar Vernunft und Zweck sein will, noch andere und höhere Wertordnungen gebe.

Die Begnadigung ist ihrem Wesen nach irrational, d. h. zwecklos, aber sie ist deshalb noch nicht sinnlos. Will man von einer Rechtferti­gung der Gnade reden, so liegt sie in ihrer Wir­kung, in der tiefen Er­schütterung und dem lebensbestimmenden Umbruch, welche gerade die unerwartete und unverdiente Gnade hervorrufen kann, eine Wir­kung freilich, die nur, wenn man sie sich nicht zum Zwecke setzt, wenn sie nicht erstrebt wird, erreicht werden kann. Die Gnade ist dem Wun­der innigst verwandt: wie dieses die Naturgesetze durchbricht, so durch­bricht diese die Rechtsgesetzlichkeit, und beiden gemeinsam ist jene Wirkung, die ein großes, unverdientes Glück auf jeden übt, der solcher Ansprache fähig ist. Ob wohl jener Barabbas, der nach der Erzählung der Evangelien anstelle Jesu durch den Volkswillen zur Begnadigung gelangte, von solcher Erschütterung und von solchem Umbruch in sich erfahren hat? Die Evangelien wissen nichts davon, auch die Legende hat sich dieses Mannes nicht bemächtigt, und auch die Kunst weiß bei der Darstellung Christi vor dem Volke von Barabbas kaum je etwas zu sagen. Nur ein Altarbild, das 1506 im Braunschweiger Dom aufgestellt wurde, zeigt einzigartig unter dem Altan, auf dem Christus dem Volke zur Begnadigung dargestellt wird, drei Gestalten im Halseisen, die bei­den Schächer, welchen die Legende die Namen Dismas und Gismas ge­geben hat, und neben ihnen Barabbas. Ihm werden die Fesseln gelöst, und er nimmt die Befreiung entgegen mit einem Gesichtsausdruck, der unbeschreiblich zwischen noch nicht überwundenem Zweifel und über­wältigender Glückseligkeit schwankt. Dieser Künstler hat etwas ver­standen von der Wirkung der Gnade.

Quelle: Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl., Stuttgart 1950, S. 337-343.


[1] Gerechtigkeit. Eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung, Zürich 1943.

[2] Kirche, Volk und Staat (Ethik II, 1), 1945.

[3] The children of light and the children of darkness. New York, 1945.

[4] Le fondament théologique du droit (Cahiers théologiques de l’actualité protestante, No. 15/16) Neuchatel, 1945.

[5] Rechtsgedanke und Biblische Weisung, 1948.

Hier der Text als pdf.

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