Matthias Laros über Max Josef Metzger (1947): „Kein Priester und keiner seiner Freunde und Bekannten durfte bei der Hinrichtung und Einsargung dabei sein. Er starb völlig allein, auch ohne die Möglichkeit, ähnlich seinem alten Freund Thomas Morus, gerade im Tode ein weithin leuchtendes und wirkendes Fanal seines Glaubens aufzurichten. Auch darauf mußte er verzichten. Gottes Wege sind immer wieder ganz anders, als wir sie uns denken.“

In seiner Einleitung zu Max Josef Metzgers Gefangenschaftsbriefe schrieb Matthias Laros (1882-1965), Freund und Nachfolger Metzgers in der Leitung der „Una Sancta“-Bewegung, 1947 über Metzger folgendes Porträt:

In carcere et vinculis. Über Max Josef Metzger

Von Matthias Laros

Max Josef Metzger ist wohl, ideell gesehen, eines der reinsten Opfer des Nazismus, weil er in allem das äußerste Gegenteil und damit auch der gefähr­lichste Gegner seiner Ideologie und Praxis war. Drei große Ziele hatte er sich im Leben gesteckt: radikale Lebensreform durch völlige Abstinenz von Fleisch, Alkohol und Tabak, um durch Stär­kung der sittlichen Energien die wachsende Sit­tenlosigkeit an ihrem Kernpunkt zu treffen; radi­kaler Pazifismus durch offene Bekämpfung des Krieges in jeder Form und Mobilisierung des Wil­lens zum Frieden in den Volksmassen bis zur offenen Kriegsdienstverweigerung; und schließlich Einigung der christlichen Konfessionen, um für die kommende Entscheidung zwischen Christus und Anti­christ eine geschlossene Front bilden zu hel­fen, in der allein Christentum und Abendland ge­rettet werden können. Mit dein ersten war er der stete, praktische Ankläger der Nazis, die sel­ber, in der großen Not des Volkes, ein Schwelgerleben führten und alle niederen Leidenschaf­ten und In­stinkte in den Massen zu hemmungslosem Aus­leben anstachelten, um sie dadurch für ihre dunk­len Ziele zu desto gefügigeren Werkzeugen zu ma­chen. Mit dem zweiten war er ihnen besonders verhaßt, weil er den Krieg an seiner Wurzel, näm­lich an der Omnipotenz des Staates, bekämpfte und dagegen die elementaren Rechte der Persön­lichkeit bis zum äußersten verteidigte, indem er durch die Friedensorganisation zu offener Kriegs­dienstverweigerung auf rief; nicht aus flacher Humanitätsduselei, sondern aus seiner Auffassung eines konsequenten Christentums in dieser Zeit, das mit den Lehren der Bergpredigt rücksichtslos Ernst machte. Und mit dem dritten arbeitete er an der entscheidenden Stelle dem alten Prinzip der Antichri­sten entgegen: Divide et impera – ver­größere die Spaltungen und schlage dann die Teile, einen nach dem anderen, nieder.

Schon lange vor der Machtübernahme war Metz­ger darum den geistigen oder besser ungei­stigen Leitern des Nazismus in der Seele verhaßt, und man muß sich wundern, daß es nicht schon lange vor dem Jahre 1943 zu einer blutigen Auseinan­dersetzung gekommen ist. Man kannte seine Grün­dung des „Weltfriedensbundes vom Weißen Kreuz“, mit dein er bereits 1917, aus dem Erlebnis des Krieges als aktiver Feldgeistlicher, hervorgetreten war und der sich mit ähnlichen Bestrebungen in allen Ländern verband. Man kannte auch seine flammende Rede auf dem „Internationalen reli­giösen Friedenstag“ im Haag (2. August 1928), wo er erklärte: „Der Krieg verdankt sein Dasein in der Welt nur dem Vater der Lüge. Der Krieg ist eine Lüge und kommt aus der Lüge. Nur durch Lüge kann er heute noch möglich gemacht werden. Gieriger Mammonismus, frecher Imperialismus, überheblicher Nationalismus und zynischer Ma­chiavellismus, diese Lügengeschwister, stehen an seiner Wiege. Verlogene Diplomatie, wenn man mit diesem Wort nicht überhaupt schon ein Leit­wort ausdrückt, hat das Mißtrauen zwischen allen Völkern und ihren Staatsmännern so abgrundtief gegraben, daß die Schwierigkeit der Überwindung dieses Mißtrauens recht eigentlich der Grund ist, warum die Staatsmänner immer wieder Kriegs­ächtungspakte schließen und zugleich die Dolche schlei­fen, die sie in den Falten ihrer Gewänder verbergen. – „Si vis pacem, para bellum – wenn du den Frieden willst, dann bereite dich zum Kriege“, dieser erzheidnische Grundsatz ist noch immer tief eingefleischt in den Staaten, sonst wür­den die Kriegsrüstungen nicht weiter über­hand­nehmen … Darum, ihr Völker Europas, macht endlich einmal Schluß mit diesem System der Lüge in der Politik! Hört das Wort der Schrift, das wahrer ist als heidnische Parolen: Veri­tas liberabit vos – die Wahrheit wird euch freimachen!“ – Ein Jahr darauf hat er beim „Inter­nationalen Kriegsdienstgegnertag“ im Haag in noch größerem Kreis und mit größerem Wider­hall ausgerufen: „Was man heute Krieg nennt, ist ein infernali­sches System von Lüge und Vergewaltigung, durch das alle waffenfähigen Menschen eines Volkes mit planmäßiger Betö­rung und mit der rohen Ge­walt unmittelbarer Lebensbedrohung gezwungen werden, für Ziele und Interessen, die ihnen zu­meist fremd sind, jedenfalls bei voller Einsicht in die Sachlage fremd wären, ihr Gut und Blut einzusetzen, ihre Nachbarn unterschiedslos als Feinde anzu­sehen und erbarmungslos hinzumor­den, und das mit Vaterlandsliebe und Pflichter­füllung zu maskieren. – Keine Rede davon, daß etwa die Kriegsschuldigen, die wirklichen Frie­densbre­cher in der vordersten Linie stehen und selber ihre Kraft und ihr Lehen einsetzen! Sie bleiben weit hinter der Front und feiern nach wie vor ihre Feste, indes das Volk darbt und blutet und die Millionen in namenlosem Leid Ströme von Tränen vergießen. Darf ich an das Wort von Helene Stöcker erinnern? „In unibegreiflicher Ge­dankenlosigkeit und ebenso unfaßlicher Grausam­keit hält man sich für berechtigt, 50 Millionen Menschen, die das Unglück haben, dem Lande der Friedensbrecher anzugehören, Menschen, die am Ausbruch des Krieges so wenig mitgewirkt haben wie die Bewohner des Mars – man hält sich für befugt, im Namen der Gerechtigkeit und des Frie­dens diese Unglücklichen zu vergasen und die Zi­vilbevölkerung in einem Phosphorregen bei leben­digem Leibe zu verbrennen. Der Krieg ist mit seiner Ver­nichtung nicht mehr gegen die Kämpfer an der Front gerichtet, sondern unterschiedslos gegen die ebenso unschuldige wie schuldige Zivil­bevölkerung. Ja, diese ist sogar zum eigentlichen Zielpunkt der Vernichtung geworden. Ist das nicht die höchste Höhe der Barbarei, die jemals in der Menschengeschichte war? Was nottut, das ist die allgemeine Verbreitung der Einsicht, daß der kommende Krieg in jedem Fall ein fürchter­liches Unglück für jedes Volk, für Sieger und Be­siegte, darstellt; daß der Krieg von heute nur durch systematische Lüge erzeugt und verbreitet und erhalten werden kann. Den „gerechten“ Krieg, von dem einmal die Moralisten schrieben, gibt es jedenfalls längst nicht mehr. Der Krieg ist heute nur mehr ein Verbrechen, das größte Verbrechen, das überhaupt möglich ist und dem mit allen Mit­teln entgegengetreten werden muß … Was not­tut, das ist eine planmäßige Organisierung des Friedens statt des Krie­ges. Darum, Menschen aller Völker und Staaten, vereinigt Euch gegen das Unmenschentum des Krieges, indem Ihr von vornherein erklärt: Wir lehnen jede Mitwir­kung am Kriege radikal ab. Wir verweigern jede Erzeugung und jeden Transport von Kriegsmaterial und weigern uns, die Mordwaffen in die Hand zu nehmen, um gegen andere Völker ins Feld zu ziehen. Die Unmöglichkeit des Aufrüstens hat von selbst die Unmöglichkeit des Krieges zur Folge. Die Friedensbewegung muß einen radikalen Aktivismus der Massen entfalten, so daß kein Staats­mann es mehr wagen darf und Überhaupt nicht mehr die Möglichkeit hat, zur Schlichtung inter­nationaler Streitigkeiten einen Krieg überhaupt in Rechnung zu stellen. Christentum und Sozialismus müssen sich an diesem gemeinsamen Punkte der Interessen aller Völker zusam­mentun, um nach dem letzten männermordenden Kriege endlich Frieden zu schaffen.“

Es wäre nicht zu verwundern gewesen, wenn der Sprecher dieser Worte schon 1933 verhaftet und unschädlich gemacht worden wäre; aber er hielt sich sonst von jeder praktischen Politik fern und gab auch sonst keinerlei Gelegenheit zum Ein­schreiten. Im Verlauf der Devisen- und Unsittlich­keitsprozesse suchte man zwar nach Anhaltspunk­ten zur Verdächtigung, und in den Jahren 34-38 wurden verschiedentlich Haussuchungen nach De­visen- und Lebensmittelvorrä­ten gehalten; jedoch ohne Erfolg. Auch eine Verhaftung im Jahre 34 brachte in dreitägigem Verhör nichts Belastendes zutage. Im Jahre 38 wurde er, nach Verbot der Zeitschriften und der Rundbriefe der Christkönigsgesellschaft, unter dem Verdacht der Zuge­hörigkeit zur Königspartei verhaftet und fest­gehalten, dann aber wieder entlassen, weil sich keinerlei An­haltspunkte nach dieser Richtung ergeben hatten. Im November 39 wurde er er­neut verhaf­tet und ohne Angabe des Grundes und ohne Verhör 4 Wochen in Einzelhaft gehal­ten, und in dieser Zeit schrieb er den im folgen­den mitgeteilten Brief an den Heiligen Vater über die Frage der Einigung der Konfessionen. Schon vorher hatte er zu Pfingsten eine ökumenische Tagung in Meitingen gehalten, und eine weitere im Jahre 1940 veranstaltet, unter strengster Über­wachung durch die Gestapo und eine Agentin Diehl, die ein besonderes Interesse an der „Una-Sancta“ vorgab.

Im Herbst 1942 reifte in ihm der Plan, ein per­sönliches Schreiben an Hitler zu richten und ihn in aller Ehrfurcht, aber auch mit völliger Bestimmt­heit zur Niederlegung seines Amtes aufzu­fordern. Anfang 1943 hat er mir den Briefentwurf ge­zeigt, in dem u. a. stand, daß der Krieg mit höch­ster Wahrscheinlichkeit verloren sei, alles weitere Kämpfen habe keinen Sinn mehr, sondern sei ein Verbrechen am deutschen Volke und an der Welt. „Wenn Sie, Herr Kanzler, unser Volk wirklich lieben und Ihr Herzblut zu geben bereit sind, wie Sie immer betont ha­ben, dann müssen Sie jetzt zurücktreten und einer anderen Regierung Platz machen, die noch einen anständigen Frieden schließen kann, da unser Heer an den Grenzen des Reí­dles noch eine ansehnliche Macht darstellt, die nicht so leicht zu überrennen ist. Da die Gegner mit Ih­nen nicht verhandeln wollen und werden, bleibt, wie in jedem Rechtsstaat, nur Ihr Rücktritt übrig, um das Volk zu retten, auch wenn Sie selbst dabei Ihr Leben lassen müssen; jetzt noch in an­ständigem Kampf, später aber in Schimpf und Schande.“ – Ich habe ihm eindringlich widerraten, den Brief abzuschicken, weil ich von vornherein an dem guten Willen der Füh­rung zweifelte und weil ich überzeugt war, daß mit diesem völlig aus­sichtslosen Schritt die eigentliche Hauptaufgabe des Freundes, die religiös-sittliche Mission der Una-Sancta, aufs schwerste geschädigt werde. Wie ich später erfuhr, hat er dann doch den Brief zu­rückbehal­ten, aber einen anderen Schritt gewagt, der die Katastrophe herbeiführte. Er schrieb ein Me­morandum über die künftige Gestaltung Deutsch­lands, die jede gewünschte Sicherung gegen einen neuen Krieg bot und auch die rechtliche Wieder­gutmachung der Kriegsschäden garan­tierte, aber auch die Versklavung und Ausbeutung des deut­schen Volkes verhindern sollte. Dieses Memorandum übergab er der erwähnten schwedischen „Konver­titin“, die sich in den letzten drei Jahren sein Ver­trauen erworben hatte, damit sie es dem befreun­deten Bischof Eidam von Uppsala in Schweden […] ten Länder vermitteln solle, damit auch diese bei ihren Regierungen auf einen baldigen und erträglichen Frieden hinwirken sollten. – Auch davor habe ich aufs eindringlichste gewarnt, weil mil­der Einfluß der Bischöfe auf die Regierungen bei den Friedensverhandlungen nicht groß genug schien, um einen so gewagten Schritt zu unter­nehmen; und außerdem schien mir die Vermitt­lung nicht zuverlässig genug, um ihr den Kopf des Freundes in die Hand zu gehen. Vor allem aber erklärte ich ihm, unter keinen Um­ständen dürfe er seine religiöse Mission mit einer politi­schen belasten und sie dadurch gefähr­den. – Aber er erklärte mit leidenschaftlicher Entschiedenheit – die Analogie zum hl. Paulus in Milet springt so­fort in die Augen -: „Was wollen Sie? Muß ich nicht meinem Ge­wissen folgen? Ich habe nun mal die weiten Beziehungen zum Ausland. Muß ich diese nicht nützen? Wenn der Friede der Völker durch die Kirche, vielleicht durch ihre geringsten und nichtbeam­teten Diener, angebahnt werden kann, ist das nicht dein Einsatz des Lebens wert? Was könnte das heute für die Stellung der Kirche in der Welt bedeuten! Wissen Sie, es gelü­stet einen geradezu, jetzt, wo alles auf dein Spiele steht, für einen erträglichen Frieden seines Vol­kes zu kämpfen und, wenn es nottut, zu sterben.“ Schon zu Beginn der Fastenzeit im Jahre 1942 hat­te er in seinem zweiten Testament geschrieben: „Im Angesicht des Todes, an den das Memen­to mori der Kirche am Aschermittwoch mich beson­ders eindringlich mahnt, will ich nochmals meine letzten Verfügungen treffen: Vor dem allwissenden Gott bekenne ich zu­nächst, daß ich im heili­gen katholischen Glauben als treuer Sohn der einen Kirche Christi sterben will, deren Einheit ich, nach dem Willen des Herrn, im Hl. Vater in Rom dargestellt und gesichert sehe. Dieses Be­kenntnis wird nach meiner festen Überzeugung nicht beein­trächtigt durch die Tat­sache, daß ich mich den gutgläubigen und gewissenstreuen evan­geli­schen Brüdern in Christo Jesu von der Taufe und vom gemeinsamen Bekenntnis des gleichen Herrn her ebenso verbun­den weiß wie den Brü­dern, mit denen ich die Gemeinschaft des heiligen Sakramentes der Einheit und des Friedens pfle­gen darf. Es war mein ganzer Lebens­inhalt, für die Reinheit, Heiligkeit und Einheit der Braut Christi zu wirken. Nichts könnte mei­nem Leben einen sinn­volleren Abschluß geben, als wenn ich für den Frieden Christi im Rei­che Christi mein Leben hingeben dürfte. Ich weiß mich freilich schuldig, den vielen Gnaden, die Gott mir durch mein Leben hindurch gab, nur sehr unvollkom­men entsprochen zu haben. Gott sei meiner armen Seele gnädig …“ – Aus dieser Haltung heraus übergab er also das Me­morandum Frau Dagmar Imgart, und am Peter- und Pauls-Tag 1943 kamen die Häscher, um ihn auf Grund dieses Schriftstückes zu verhaften und ihm den Prozeß zu machen. Zu­nächst wurde er in das berüch­tigte Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße gebracht und dann am 11. Sept, nach Plötzensee übergeführt. Er sollte vor den Volksgerichtshof, und damit war sein Tod besiegelt. Aber er blieb guten Mutes, fast unbe­sorgt. In seltsamem Optimismus meinte er, man müsse doch ein­sehen, daß er nur mit gutem Ge­wissen und zum Besten seines Volkes gehandelt und nichts für sich gewollt habe, und in keinem Betracht sei aus seinem Schreiben irgendein Scha­den dem deutschen Volke erwachsen. Aber die Verhandlung am 14. Oktober belehrte ihn bald, was ein oberstes Nazigericht bedeutete. Er hatte gehofft, neben seinem juri­stischen Verteidiger selbst sein Plädoyer halten zu dürfen und, wenn nötig, mit letztem Frei­mut, wie die Apostel vor dem Hohen Rat, die Wahrheit offen zu bekennen. Er legte, soweit man ihn sprechen ließ, alles mit völliger Offenheit dar und stand zu seiner Tat. Desto wilder wurde der Vorsitzende Freisler und brüllte nur in den Saal hinein, daß keinerlei Ver­handlung möglich war. Als er das Be­kenntnis zur Una-Sancta hörte, rief er höhnisch: „Una-Sancta, Una-Sanctiissima! Una, una – das sind wir! Sonst gibt es nichts!“ Da war nur Schweigen möglich. Die ganze Verhandlung war nur eine Farce, und das Todesurteil mit Ehrloserklärung durch ein solches Gericht konnte nur als Ehre und Opfer des Rechtes angesehen werden.

Metzger nahm das Resultat mit der gelassenen Ruhe eines Philosophen auf, die man sonst kaum bei ihm gesehen hatte, und er tröstete die bestürz­ten Freunde mit den Worten: „Nun ist es gesche­hen. Ich bin ganz ruhig. Ich habe mein Leben Gott angeboten für den Frieden der Welt und die Einlieit der Kirche. Gott hat es angenommen, und das freut mich. Wenn er mir aber noch weiter das Leben schenkt (eine Reihe von Gnadengesu­chen waren in Aussicht gestellt), dann bin ich auch dankbar. Wie Gott es will! Sagt allen Brüdern und Schwestern einen letzten Gruß und seid nicht trau­rig! Das Christ-Königs-Fest wind diesmal etwas schwer werden. Aber singt trotzdem Alleluja und bleibt Eurem König Christus treu!“

Am 22. Oktober wurde er ins Lager der Todge­weihten nach Brandenburg geschafft, Tag und Nacht mit eisernen Fesseln an den Händen, lange ohne Brevier, ohne Bibel oder sonst irgend­eine Lektüre, in einem düsteren Raum von 8 qm. All­wöchentlich wurden Gefangene zum Schafott ge­führt – immer mußte er fragen: „Wann kommst du an die Reihe, wirst du stark bleiben? Nur nicht am Ende schwach werden und winseln! Darauf warten die Feinde doch nur. Nein, der Zeuge Christi muß tapfer sein. – Aber du, unfaßbares Herz, wie hängst du, trotz aller Gottesliebe und allem Heimweh zum Vater, an diesem Leben und dieser Erde, trotz aller Enttäuschungen, die du schon erlebt hast! – Vielleicht hat das Gesuch mei­nes Bischofs doch Erfolg. Und vielleicht bemüht sich gar der Apostolische Stuhl um meine Begna­digung. Darauf ist wohl das lange Zuwarten mit der Exekution zurückzuführen. Warum sonst machen sie bei mir nicht voran? Mit dem Krieg kann es doch nicht mehr lange dauern. Aber vielleicht zieht sich meine Sache durch die Gesuche bis zum Zusammenbruch hin. Dann werde ich wieder frei, und ich kann ganz anders als bisher, wie ein neuer Mensch, für den Frieden der Völker und für die eine Heilige Kirche arbeiten. Dann war alles, was ich hier durchgemacht habe, nur ein großer Exerzitienkurs vor dem Beginn der neuen Mission, die dann für mich anbricht.“

So steigt, in aller Bedrückung, immer wieder neue Hoffnung in ihm auf. Ja, der alte Kämpfer­geist reckt bisweilen die Glieder, und neue Gedichte, Lieder und Melodien gehen ihm durch den Sinn, und er beginnt immer wieder neu zu singen und zu jubeln. Zu anderen Zeiten aber ist er ebenso niedergeschlagen und empfindet die endlosen Tage und Nächte in ihrer ganzen Schwere. Die Todes­not des Herrn im Ölgarten und am Kreuze kommt ihm immer wieder in den Sinn. Er stirbt fast täg­lich seinen Tod, und das kommt in seinen Briefen und Gebeten zum vollen Ausdruck. Zwischendurch aber beschäftigt ihn besonders das Problem der Kirche: ihr Wesen, ihre Eigenschaften, das Ver­hältnis des Göttlichen und Menschlichen in ihr und vor allem die große Frage der Einigung der Kon­fessionen. Mit gefesselten Händen schreibt, nein, kritzelt er seine Abhandlung über das Königtum Christi und das Wesen der Kirche. Das ge­hört jedenfalls zum Erstaunlichsten, was die gesamte Gefangenenliteratur bisher hervorge­bracht hat: Fast ganz ohne Bücher – von Zeit zu Zeit bekam er spä­ter etwas Lektüre –, in beständigen Schmerzen, allein aus dem Gedächtnis geschrieben und mit einer Fülle von Schriftzitaten, die nur ein Leben mit und aus der Bibel möglich gemacht hat. Viel­leicht war diese Abhandlung seine größte innere Erleuchtung und sollte sein Testament an die Chri­sten dieser Zeit darstel­len.

Endlich, am Montag nach der Osterwoche, am 17. April 1944 um die Mittagszeit, wurde ihm von der Hinrichtungskommission (etwa 5-6 Beamte) mitgeteilt, daß etwa in einer Stunde das Urteil vollstreckt werde, da der ,Führer‘ keinen Gebrauch vom Gnadenrecht mache. Ruhig und gefaßt nahm er die Meldung auf. Wie sein Namenspatron sollte er enthauptet werden. Sein letzter Wunsch war, zwei Briefe schreiben zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde. Schreibend fand ihn dann späterder Gefängnisgeistliche, als er ihm als Wegzeh­rung das hl. Sakrament brachte. (Dieser war auch bei der Verkündigung anwesend.) Darnach blieb er allein und schrieb seine Abschiedsbriefe zu Ende. Gegen halb 4 Uhr wurde er zur Richtstätte ge­führt, aufrecht wie in seinen besten Tagen und mit verklärtem Antlitz.

Die Briefe wurden nie ausgehändigt und wir ha­ben von seinen letzten Stunden keine authenti­schen Nachrichten. Zweifellos waren sie so, daß der Volksgerichtshof (dorthin gelangten sie!) sie nicht bekanntwerden lassen wollte. Überhaupt hat man um seinen Tod ein besonderes Ge­heim­nis gelegt. Für den 17. April waren 30 Hinrich­tungen gemeldet, aber nur 29 Namen standen auf der Liste. Der Beamte, der die Leichen abnahm und für die erforderliche Anzahl der Holzkisten zu sorgen hatte, wunderte sich, für wen die 30. sein sollte. Als endlich heim Tod der Name offen­bar wurde, setzte er sich für Erdbestattung ein, wie die Meitinger Schwe­stern schon vorher mit ihm und der zuständigen Ortsbehörde abgemacht hatten. Aber kein Priester und keiner seiner Freunde und Bekannten durfte bei der Hinrich­tung und Einsargung dabei sein. Er starb völlig allein, auch ohne die Möglichkeit, ähnlich seinem alten Freund Thomas Morus, gerade im Tode ein weithin leuchtendes und wirkendes Fanal seines Glau­bens aufzurichten. Auch darauf mußte er ver­zichten. Gottes Wege sind immer wieder ganz an­ders, als wir sie uns denken. Aber die innere und äußere Haltung war darum sicher nicht min­der aufrecht und sieghaft. – Ungefähr um dieselbe Zeit beteten die Schwestern seiner Christ­königsgesell­schaft im Mutterhaus in Meitingen die Sterbe­gebete, wie sie dies seit langem für diese Men­schen taten, da fast regelmäßig montags die Hin­richtungen stattfanden und niemand mit und für die Menschen betete. Nach Empfang der To­desnachricht sangen sie dann seinem Wunsche ent­sprechend das „Te Deum“ in Dank gegen Gott, wie er vorher im Anschluß an die Präfation der heiligen Messe wiederholt gemahnt hatte, Gott immer und überall Dank zu sagen, auch in der größten Not, weil in ihr die größte Gnade beschlossen ist.

Quelle: Max Josef Metzger, Gefangenschaftsbriefe, hrsg. v. Matthias Laros, Mei­tingen: Kyrios-Verlag, 1947, S. 72-86.

Hier der Text als pdf.

1 Kommentar

  1. nicht gerade leichte Kost am Morgen früh 🙂
    „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“ So einfach wäre es….aber die Menschen schaffen es nicht einmal die Vorstellung zu Ende zu denken, geschweige denn in Tat umzusetzen.
    Liebe Grüsse und einen frohen Tag wünscht dir Brig

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