Nr. 444 Neu-Ulm, den 28. Juni 1938.
Evang.-Luth. Dekanat Leipheim
in Neu-Ulm
An die
Herren Amtsbrüder des Kirchen
bezirkes Leipheim.
Betreff: Treueid der Pfarrer.
Liebe Herren Amtsbrüder!
Der Landeskirchenrat hat unterm 20. Juni 1938 Nr. 7333 angeordnet, daß die Eidesleistung der im Dienst befindlichen Pfarrer bis 10. Juli ds. Js. zu erfolgen hat. Bei der Eidesleistung sind diejenigen, die den Eid bereits als Träger eines öffentlichen Amtes geleistet haben, an diesen Eid zu erinnern (§3 der Ausführungsvorschriften zum Kirchengesetz über den Treueid der Pfarrer, Kirchl. Amtsblatt Nr. 19 vom 21. Mai ds. Js.) Die Vereidigung hat in einem profanen, aber würdigen Raum zu geschehen. Die Beteiligten erscheinen im Amtsrock oder schwarzer Amtskleidung. Bei der Vereidigung wird die Eidesformel von der Urkundsperson vorgesprochen und von den zu Vereidigenden gemeinsam mit erhobener rechter Hand nachgesprochen.
Dieser Anordnung gemäß werden Sie hiermit zur Eidesleistung für Freitag, den 1. Juli 1938, nachmittags 3 Uhr nach Neu-Ulm in den Bibelstundensaal des evang. Heims, II. Stock eingeladen. Mit dieser Einladung erhalten Sie gleichzeitig das beiliegende Schreiben des Herrn Landesbischofs zugestellt.
Ich darf die Herren Amtsbrüder herzlich bitten, das Wort des Herrn Landesbischofs an uns zunächst in aller Ruhe zu lesen und überdenken zu wollen. Ich kann nur wünschen, daß dadurch wirklich die entstandenen Zweifel und die vorhandenen Bedenken entkräftet werden. Daß es mir meinerseits vollständig ferne liegt, in dieser Frage einen Amtsbruder veranlassen zu wollen, etwas zu tun, was wider sein an Gottes Wort gebundenes Gewissen wäre, brauche ich nicht erst noch zu versichern. Wir wollen auch, wie wir im Eid versprochen – das ist ja auch vom Herrn Landesbischof ausdrücklich betont – mit aufrichtigem Herzen geloben. Ich kann niemand hindern – und ich dürfte es auch meiner Überzeugung nach nicht tun – der glaubt, nach reiflichster Überlegung und Besinnung im Gebet vor Gott, den Eid nicht leisten zu können. Persönlich freilich bin ich der Meinung, daß nach dem, was der Herr Landesbischof in seinem Wort an uns ausführt, keiner die Leistung des Eides ablehnen muß.
Ich hatte heute Gelegenheit, mit einem gebildeten, auch theologisch interessierten, ganz und gar kirchlich eingestellten, also in keiner Weise irgendwie von DC-Seite her beeinflußten und beeinflußbaren Laien unseres Kirchenbezirkes, der fest zur Sache der Bekennenden Kirche steht, über die Eidesfrage zu sprechen. Dieser Mann, der über jeden Verdacht erhaben ist, die Frage nur von der Seite der Opportunität her anzusehen, kam zum Schluß, daß in dem Eid nichts verlangt werde, was ein Geistlicher nicht geloben könne.
Selbstverständlich enthebt dies Urteil uns nicht der Pflicht, selber auf das ernsthafteste uns zu besinnen und zu prüfen. Doch wertvoll kann uns solches Urteil doch sein. Wie immer aber wir im einzelnen uns entscheiden und entscheiden zu müssen glauben: Gott, der es dem Aufrichtigen gelingen läßt, gebe uns allen Erleuchtung unseres Geistes und Herzens, seinen Willen zu erkennen und darnach zu tun, die Kraft und also in allen Lagen als seine Diener uns zu erweisen, die das, was sie unter dem 4. Gebot stehend ohnedies der Obrigkeit unseres Volkes schuldig sind, um des Wortes Gottes und des Gewissens willen, auch gerne leisten wollen“.
In Verbundenheit des Amtes und Geistes
Ihr Otto Sittig
Quelle: Karl Steinbauer, Einander das Zeugnis gönnen, Bd. 3, Erlangen 1985, S. 162-165.