Karl Barths Tagesandacht für Palmsonntag, 29 März 1931: „So heißt Hosianna nicht: Hurra! Und nicht: Heil!, sondern: Hilf doch! Den Hilflosen, die so rufen — ihnen ist geholfen. Das ist’s, was wir wis­sen sollen.“

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Für das von Gerhard Jacobi initiierte Buchprojekt „Erhalt uns, Herr, bei Die­nem Wort! Evangelische Andachten für jeden Tag“, 1932 im Furche-Verlag in Berlin erschienen, steuerte Karl Barth die Texte von Palmsonntag bis zum Samstag vor Misericordias Domini bei, indem er die Herrnhuter Losungen vom 29. März bis 18. April 1931 auslegte. Hier die Andacht für Palmsonntag:

Palmsonntag

Sie sollen wissen, Ich sei der Herr, ihr Gott, der sie aus Ägyptenland führte, daß ich unter ihnen wohne, Ich, der Herr, ihr Gott. 2. Mose 29, 46

Wenn der ewige Gott sein Wort spricht und uns armen Menschen die Ohren öffnet, daß wir ihn hören, dann ist allemal ein einziger, durch gar nichts gestörter Jubel im Himmel und auf Erden. Sünde, Not und Tod müssen dann schweigen. Die Gefangenschaft in Ägypten liegt dahinten, vergessen wie ein böser Traum. Gottes Wort ist Gottes selige Verheißung, und Gottes selige Verheißung bedeutet Friede, Freude und Freiheit für die, die sie empfangen. Das ist wahr und bleibt wahr und wird immer wieder wahr werden. So war es recht und nötig, daß sie damals Zweige von den Bäumen hieben und nicht laut genug rufen konnten: Hosianna! — damals, als Jesus, der Prophet von Nazareth, aus Galiläa zu den Seinigen kam. Aber das Wort Gottes kommt zu uns, um unter uns zu wohnen, nicht nur auf einen Augenblick, sondern auf die Dauer, nicht nur in unseren Herzen, sondern in unseren Häusern, nicht nur in unserer Andacht, sondern nachher in unseren Gesprächen und Taten. Um unter ihnen zu wohnen, hat Gott die Israeliten aus Ägypten geführt und kam Jesus von Nazareth zu den Seinigen. Die Seinigen aber, wir, wir nahmen ihn nicht auf. Was dem Worte Gottes in uns und unter uns widerfährt, das ist, daß es von uns ans Kreuz geschlagen wird. Oder ist es anders? Ist es nicht das verleugnete, geschmähte und getötete Wort, sobald es nach jenem Jubel im Himmel und auf Erden zu uns eingegangen, uns zu eigen geworden ist? Ist es nicht immer und über all das in der Finsternis leuchtende, von der Fin­sternis nicht aufgenommene Licht? Seht, so wohnt es unter uns. Gerade so ist es, zu unserer unaussprechlichen Demütigung und zu unserer unbegreiflichen Erhöhung, das Wort des Gottes, der für uns ist, die wir allezeit gegen ihn sind. Ich, der Herr! Das gilt, nicht: du, der gehorsame Mensch. Die selige Verheißung wäre verloren, wenn das gelten würde; denn wir sind ungehorsame Menschen. Und so heißt Hosianna nicht: Hurra! Und nicht: Heil!, sondern: Hilf doch! Den Hilflosen, die so rufen — ihnen ist geholfen. Das ist’s, was wir wis­sen sollen.

Herr, laß uns fröhlich wissen, daß Du der Herr bist, der alles herrlich vollbracht hat und voll­bringt, dessen wir bedürfen. Du wohnst mitten unter uns, Deinen Feinden, und hörst nicht auf, gerecht und barmherzig zu sein. Hilf doch, daß wir und alle Hilflosen mit uns nach keiner Hil­fe als der Deinen begehren! Amen.

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