Martin Luther, »Ob man vor dem Sterben flie­hen möge« von 1527: „Hebe dich, Teufel, hinter mich. Hier ist Christus, und ich bin sein Diener in diesem Werke; der soll’s walten!“

The_Triumph_of_Death_by_Pieter_Bruegel_the_Elder (1562 Museo del Prado, Madrid ) (Mittel)
Pieter Bruegel der Ältere – Der Triumph des Todes (um 1562, Museo del Prado, Madrid)

In seiner Schrift »Ob man vor dem Sterben flie­hen möge« von 1527 erörtert Martin Luther die Möglich­keit, eine von der Pest bedrohte Stadt verlassen zu dürfen. Der Ausbruch der Pest hatte in der – nach heutigen Verhält­nissen gemessenen – Kleinstadt Wittenberg innerhalb von 14 Tagen 18 Todesopfer gefordert. Luther blieb trotz der Aufforderung des Kurfürsten Johann, mit der Fakultät nach Jena überzusie­deln, mit Johannes Bugenhagen und zwei Kaplänen in Wittenberg, hielt Vorlesungen und Predigten und versah seinen Dienst als Seelsorger an den Bedürftigen. Er schreibt dazu Folgendes:

Ob man vor dem Sterben flie­hen möge

Wenn aber jemanden das Grauen und die Scheu vor den Kranken befällt, der soll sich einen Mut fassen und sich so stärken und trösten, daß er nicht zweifle, es sei der Teufel, der solche Scheu, Furcht und Grauen im Herzen erregt. Denn so ein bitterböser Teufel ist es, daß er nicht alleine ohne Unterlaß zu töten und zu morden versucht, sondern seine Freude daran hat, daß er uns scheu, er­schreckt und verzagt vor dem Tode mache, damit uns der Tod ja äußerst bitter werde oder wenigstens das Leben keine Ruhe noch Frieden habe und er uns so mit Dreck aus diesem Leben hinausstoße. Wenn er’s zuwege bringen könnte, daß wir an Gott verzweifelten, unwillig und unbereit zum Sterben würden und in solcher Furcht und Sorge, wie im dunklen Wetter, Christus, unser Licht und Leben, vergäßen und verlören und den Nächsten in Nö­ten ließen und uns so an Gott und den Menschen versün­digten: Das wäre seines Herzens Lust.

Weil wir denn wissen, daß solches Schrecken und Fürchten des Teufels Spiel ist, so sollen wir umgekehrt uns dessen nur desto weniger annehmen, ihm zum Trotz und Verdruß einen frischen Mut fassen und seinen Schrecken auf ihn zurücktreiben und von uns weisen und uns mit solcher Rüstung wehren und sagen: Hebe dich von dannen, Teufel, mit deinem Schrecken! Und weil dich’s verdrießt, so will ich dir zum Trotz nur desto eher zu meinem kranken Nächsten hingehen, ihm zu helfen, und will dich nicht ansehen, und will gegen dich auf zwei Dinge pochen.

Das erste ist, daß ich wahrhaftig weiß, daß dieses Werk Gott und allen Engeln wohlgefällt und daß ich in seinem Willen und rechten Gottesdienst und Gehorsam gehe, wo ich’s tue. Und gerade deshalb, weil es dir so übel gefällt und du dich so hart dagegen stellst, muß es allerdings Gott besonders gefallen. Wie willig und fröhlich wollte ich’s tun, wenn’s nur einem Engel wohlgefiele, der mir zusähe und sich dabei über mich freute. Nun, wo es aber meinem Herrn Jesus Christus und dem ganzen himmlischen Heere wohlgefällt und Gottes, meines Vaters, Willen und Gebot ist — was sollte mich dein Schrecken denn bewegen, daß ich solche Freude im Himmel und solche Lust meines Herrn verhindern und dir mit deinen Teufeln in der Hölle ein Gelächter und Gespött über mich anrichten lassen und dich begünstigen sollte? Nicht so, du sollst’s nicht zu Ende bringen! Hat Christus sein Blut für mich vergossen und sich um meinetwillen in den Tod gegeben, warum sollte ich mich nicht auch um seinetwillen in eine kleine Gefahr begeben und eine ohnmächtige Pest nicht anzusehen wa­gen? Kannst du schrecken, so kann mein Christus stärken; kannst du töten, so kann Christus Leben geben; hast du Gift im Maul, Christus hat noch viel mehr Arznei. Sollte mein lieber Christus mit seinem Gebot, mit seiner Wohl­tat und allem Trost nicht mehr in meinem Geist gelten als du leidiger Teufel mit deinem falschen Schrecken in mei­nem schwachen Fleisch? Das wolle Gott nimmermehr! Hebe dich, Teufel, hinter mich. Hier ist Christus, und ich bin sein Diener in diesem Werke; der soll’s walten! Amen.

Das andere ist die starke Verheißung Gottes, womit er alle die tröstet, die sich der Bedürftigen annehmen, Ps.41,2-4 sagt: »Wohl dem, der sich des Bedürftigen an­nimmt! Den wird der Herr erretten zur bösen Zeit. Der Herr wird ihn bewahren und beim Leben erhalten und es ihm lassen wohlgehen auf Erden und wird ihn nicht geben in seiner Feinde Willen. Der Herr wird ihn er­quicken auf dem Bette seines Siechtums; sein ganzes La­ger wandelst du in seiner Krankheit.« Sind das nicht herrliche, mächtige Verheißungen Gottes, in Haufen aus­geschüttet auf die, die sich der Bedürftigen annehmen? Was sollte einen doch schrecken oder bewegen gegen solchen großen Trost Gottes? Es ist wahrhaft ein geringer Dienst, den wir an den Bedürftigen im Vergleich zu solcher Verheißung und Vergeltung Gottes tun können, so daß Paulus mit Recht zu Timotheus sagt: »Die Gottse­ligkeit ist zu allen Dingen nützlich und hat die Verhei­ßung dieses und des zukünftigen Lebens.« (1.Tim.4,8) Gottseligkeit ist nichts anderes als Gottesdienst; Gottes­dienst ist es wirklich, wenn man dem Nächsten dient.

Es beweist auch die Erfahrung, daß die, die solchen Kranken mit Liebe, Andacht und Ernst dienen, im allge­meinen behütet werden, und wenn sie auch angesteckt werden, daß es ihnen dennoch nicht schadet; wie hier der Psalm sagt: »Sein ganzes Lager wandelst du in seiner Krankheit« (Ps.41,4), das heißt: Du machst ihm aus dem Siechbette und Krankenlager ein gesundes Lager usw. Wer aber einen Kranken aus Habgier oder um des Erbes willen pflegt und das Seine in solchem Werk sucht, da ist’s auch kein Wunder, daß er zuletzt angesteckt und be­schmutzt wird, daß er hinfährt und stirbt, ehe er das Gut oder Erbe besitzt. Wer das aber auf diese tröstliche Ver­heißung hin tut, auch wenn er als einer, der dessen wohl bedarf, einen geziemenden Lohn dafür nimmt — zumal je­der Arbeiter seines Lohnes wert ist (Luk.10,7; 1.Tim.5,18) —, der hat hier wiederum einen großen Trost: daß er wieder gepflegt werden soll. Gott selbst will sein Pfleger, dazu auch sein Arzt sein. O welch ein Pfleger ist das! O welch ein Arzt ist das! Lieber, was sind alle Ärzte, Apothe­ken und Pfleger gegen Gott? Sollte einem das nicht Mut machen, zu den Kranken zu gehen und ihnen zu dienen, auch wenn so viele Beulen und Pest an ihnen wären wie Haare am ganzen Leibe und auch wenn man gleich hun­dertmal die Pest an seinem Halse heraustragen müßte? Was sind jede Pest und alle Teufel gegen Gott, der sich hier zum Pfleger und Arzt verbindet und verpflichtet? Pfui über dich und abermals pfui über dich, du leidiger Unglaube, daß du solchen reichen Trost verachten kannst und dich von einer kleinen Beule und ungewissen Gefahr mehr schrecken als durch solch göttliche, gewisse, treue Verheißung stärken läßt! Was hülfe es, wenn alle Ärzte da wären und alle Welt dich pflegte, Gott aber wäre nicht da? Und umgekehrt: Was schadet’s, wenn alle Welt von dir wegliefe und kein Arzt bei dir bliebe, wenn Gott aber [239] bei dir mit solcher Verheißung bliebe? Meinst du nicht, daß du dann mit vielen tausend Engeln umgeben bist, die auf dich sehen, daß du die Pest mit Füßen treten kannst, wie im 91. Psalm steht: »Er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich bewahren auf allen deinen Wegen. Auf den Händen werden sie dich tragen, daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stößest. Auf den Löwen und Ottern wirst du gehen und treten auf die jungen Löwen und Drachen.« (v. 11-13)

Darum, liebe Freunde, laßt uns nicht so verzagt sein und unsere Leute, denen wir verpflichtet sind, nicht so verlassen und vor des Teufels Schrecken so schändlich fliehen, daran er Freude und Spott und Gott ohne Zweifel samt allen Engeln Unwillen und Unlust über uns hat. Denn das wird gewiß wiederum wahr sein:

Wer solche reichen Verheißungen und Gebote Gottes verachtet und die Seinen in Nöten verläßt, der wird an allen Geboten Gottes schuldig und wird als Mörder an seinem verlassenen Nächsten beurteilt werden. Und da werden sich dann solche Verheißungen umkehren, fürchte ich, und sich in grausames Drohen verwandeln und wird der Psalm gegen sie so gedeutet werden: Unse­lig ist der, der sich des Bedürftigen nicht annimmt, son­dern vor ihm flieht und ihn verläßt. Denn diesen wird der Herr auch nicht erretten zur bösen Zeit, sondern wird auch von ihm fliehen und ihn verlassen. Der Herr wird ihn nicht behüten noch beim Leben erhalten und wird’s ihm nicht wohl gehen lassen auf Erden, sondern ihn in seiner Feinde Hände geben. Der Herr wird ihn nicht erquicken auf dem Bette seines Siechtums noch sein Lager verwandeln in seiner Krankheit. Denn mit welchem Maße wir messen, wird uns wieder gemessen werden (Matth.7,2), da wird nichts anderes draus. Solches ist aber schrecklich zu hören und noch schrecklicher zu erwarten und am allerschrecklichsten zu erfahren. Denn was kann da, wo Gott die Hand abtut und uns verläßt, anderes sein als nur Teufel und alles Übel? Nun kann’s nicht anders sein, wenn man so den Nächsten gegen Gottes Wort und Gebot verläßt; und es wird einem jeden gewiß so ergehen, es sei denn, er tue wirklich redliche Buße dafür.

Hier der vollständige Text Luthers als pdf.

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