
In welche völkischen Verirrungen die Lehrunterscheidung von Gesetz und Evangelium führen kann, so sie nicht an die Heilige Schrift rückgebunden ist, zeigt sich in Werner Elerts Brief an einen unbekannten Pfarrer vom 19. August 1944. Da wird dann sogar der Kriegstod der eigenen Söhne in eine gotterbärmliche Sinnstiftung hineingenommen:
Brief an einen unbekannten Pfarrer vom 19. August 1944
Sie sagen nun freilich, Luther verdanke sein völkisches Bewußtsein nicht dem Evangelium. Vollkommen richtig! Das Evangelium hat ihm auch nicht erst sein Verhältnis zu seinem Vater oder zu seinen Kindern „geoffenbart“. Es hat dabei eine ganz andere Funktion gehabt. Es hat ihm – das ist sein neues Verständnis im Unterschied vom mittelalterlichen und heute römischen – gelehrt, sein Volk als den Raum zu verstehen, in dem – nicht neben dem – die absolute Verpflichtung gegenüber Gott zu erfüllen ist. Die Kirche hat keinen sakralen Raum neben der Volksgemeinschaft zu beanspruchen. Erst durch die Beziehung auf Gott ist ein völkisches Ethos möglich geworden, denn nur dadurch wird unsere Verpflichtung zu einer ewigen Verpflichtung.
Dafür haben freilich die dialektischen Theologen kein Verständnis, weil sie Gott nur im Gegensatz zur Welt, den Schöpfer nur als Gegner seiner Kreaturen kennen. Demgegenüber ist uns die kreatürliche Welt, weil sie Gottes Schöpfung ist, heilig. Verdanken wir alles, was wir in irdischer Hinsicht sind und haben, unserem Volk, so verdanken wir es ebendamit unsrem Schöpfer. Unsere Bindung an unser Volk wird damit nicht kleiner sondern größer. Versündigen wir uns gegen das Volk, so sündigen wir gegen Gott. Gewinnen wir umgekehrt aus der Vergebung Freudigkeit zum Dienst und Opfer, so können wir beides nur ausüben in – nicht neben – unsrem Volk. Diese ethische Bindung an unser Volk entspricht genau der blutmäßigen nur mit dem Unterschied, daß sie dem mit klarem Wissen an Gott Gebundenen unverbrüchlich gilt und als Gnade bejaht wird, während die blutmäßige als solche unbewußt ist und, wie die Erfahrung lehrt, oft unter Zuhilfenahme von egoistischen Motiven aktualisiert werden kann.
Was ich bisher sagte, ist nicht eine Gedankenkonstruktion, sondern Jahrhundertelang im deutschen Volk durchlebt und bewährt worden. Das Luthertum hat als Glaubenskern unseres Volkes seine völkische Erprobung ausnahmslos bestanden. Die Behauptung, das völkische Ethos könnte durch irgend einen anderen Glauben eine höhere Bewährung erlangen, erkläre ich als eine Beleidigung meiner Väter und meiner Söhne. Die Könige von Preußen und nachmals das Deutsche Reich haben seit 250 Jahren keinen Krieg geführt, in dem nicht ein Elert mitgefochten hätte. Viele haben dabei geblutet oder sind geblieben. Mein älterer Sohn fiel 1940 als aktiver Offizier in Frankreich. Der jüngere wird seit dem 24.7.44 bei Jaroslau am San vermißt. Er war Schwadronsführer und das letzte, was von ihm gesehen wurde, war, daß er sich in härtestem Nahkampf mit Haufen von Russen herumschoß, denen er schwere Verluste zufügte. Ich nehme an, daß er dabei gefallen ist. Meine Väter wie meine Söhne waren überzeugte Christen. Hätten sie ihr Ethos nur aus irgend einer „Schulung“ bezogen, so wäre ich bei meinen Söhnen nicht sicher gewesen, wie sie sich schlagen und wie sie sterben würden. Ich schreibe diese persönlichen Dinge in Erwiderung Ihrer Äußerung über das Gebet christlicher Mütter. Weil sie Christen waren, wußte ich, daß sie den Tod nicht fürchteten und daß sie nicht im Strohfeuer irgendeines „Fanatismus“ oder im Stumpfsinn der Masse sondern mit freudigem Wissen Leib und Leben für die Existenz und Ehre ihres Volkes in die Schanze schlagen würden. Ihre Tagebücher beweisen es.