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Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern
Von Friedrich Schleiermacher
Berlin. Bei Johann Friedrich Unger. 1799
Erste Rede
Apologie
[1] Es mag ein unerwartetes Unternehmen sein, und Ihr mögt Euch billig darüber wundern, daß jemand gerade von denen, welche sich über das Gemeine erhoben haben, und von der Weisheit des Jahrhunderts durchdrungen sind, Gehör verlangen kann für einen, von ihnen so ganz vernachlässigten Gegenstand. Ich bekenne, daß ich nichts anzugeben weiß, was mir einen glücklichen Ausgang weissagte, nicht einmal den, meinen Bemühungen Euren Beifall zu gewinnen, viel weniger jenen, Euch meinen Sinn und meine Begeisterung mitzuteilen. Von alters her ist der Glaube nicht jedermanns Ding gewesen, von der Religion haben immer nur Wenige etwas verstanden, wenn Millionen auf mancherlei Art mit den Umhüllungen gegaukelt haben, mit denen sie sich aus Herablassung willig umhängen ließ. Jetzt besonders ist das Leben der gebildeten Menschen fern von allem was ihr auch nur ähnlich wäre. Ich weiß daß Ihr ebensowenig in heiliger Stille die Gottheit verehrt, als Ihr die verlassenen Tempel besucht, daß es in Euren geschmackvollen Wohnungen keine anderen Hausgötter gibt, als die Sprüche der Weisen und die Gesänge der Dichter, und daß Menschheit und Vaterland, Kunst und Wissenschaft, denn Ihr glaubt dies alles ganz umfassen zu können, so völlig von Eurem Gemüte Besitz genommen haben, daß für das ewige und heilige Wesen, welches Euch jenseit der Welt liegt, nichts übrig bleibt, und Ihr keine Gefühle habt für dasselbe und mit ihm. Es ist Euch gelungen das irdische Leben so reich und vielseitig zu machen, daß Ihr der Ewigkeit nicht mehr bedürfet, und nachdem Ihr Euch selbst ein Universum geschaffen habt, seid Ihr überhoben an dasjenige zu denken, welches Euch schuf. Ihr seid darüber einig, ich weiß es, daß nichts Neues und nichts Triftiges mehr gesagt werden kann über diese Sache, die von Philosophen und [2] Propheten, und dürfte ich nur nicht hinzusetzen, von Spöttern und Priestern, nach allen Seiten zur Genüge bearbeitet ist. Am wenigsten – das kann Niemandem entgehen – seid Ihr geneigt, von den Letzteren darüber etwas zu hören, welche sich Eures Vertrauens schon längst unwürdig gemacht haben, als solche, die nur in den verwitterten Ruinen des Heiligtums am liebsten wohnen, und auch dort nicht leben können, ohne es noch mehr zu verunstalten und zu verderben. Dies alles weiß ich, und bin dennoch von einer innern und unwiderstehlichen Notwendigkeit, die mich göttlich beherrscht durchdrungen zu reden, und kann meine Einladung, daß gerade Ihr mich hören mögt, nicht zurücknehmen.
Was das letzte betrifft, so könnte ich Euch wohl fragen: wie es denn komme, daß, da Ihr über jeden Gegenstand, er sei wichtig oder gering, am liebsten von denen belehrt sein wollt, welche ihm ihr Leben und ihre Geisteskräfte gewidmet haben, und Eure Wißbegierde auch die Hütten des Landmanns und die Werkstätten der niederen Künstler nicht scheuet. Ihr nur in Sachen der Religion alles für so verdächtiger haltet, wenn es von denen kommt, welche die Virtuosen derselben zu sein behaupten, und von Staat und Volk dafür angesehen werden! Ihr werdet gewiß nicht beweisen können, daß sie es nicht sind, und daß sie eher alles andere haben und predigen, als Religion. Ein solches unberechtigtes Urteil also wie billig verachtend bekenne ich vor Euch, daß auch ich ein Mitglied dieses Ordens bin, und ich wage es auf die Gefahr, wenn Ihr mich nicht aufmerksam anhöret, mit dem großen Haufen desselben unter eine Benennung geworfen zu werden. Es ist wenigstens ein freiwilliges Geständnis, denn meine Sprache sollte mich nicht verraten haben, und die Lobsprüche meiner Zunftgenossen auch nicht; was ich will, das liegt so gut als völlig außer ihrem Kreise, und möchte dem wenig gleichen, was sie gern sehen und hören wollen. In das Hilferufen der Meisten über den Untergang der Religion stimme ich nicht ein, denn ich wüßte nicht, daß irgendein Zeitalter sie besser aufgenommen hätte als das gegenwärtige, und ich habe nichts zu schaffen mit den altgläubigen und barbarischen Wehklagen, wodurch sie die eingestürzten [3] Mauern ihres jüdischen Zions und seiner gotischen Pfeiler wieder emporschreien möchten. Ich bin mir bewußt, daß ich in allem, was ich Euch zu sagen habe, meinen Stand völlig verleugne, warum sollte ich ihn also nicht wie irgendeine andere Zufälligkeit bekennen? Die ihm erwünschten Vorurteile sollen uns nicht hindern, und seine heilig gehaltene Grenzsteine alles Fragens und Mitteilens sollen nichts gelten zwischen uns. Als Mensch rede ich zu Euch von den heiligen Mysterien der Menschheit nach meiner Ansicht, von dem was in mir war als ich noch in jugendlicher Schwärmerei das Unbekannte suchte, von dem was seitdem ich denke und lebe die innerste Triebfeder meines Daseins ist, und was mir auf ewig das Höchste bleiben wird, auf welche Weise auch noch die Schwingungen der Zeit und der Menschheit mich bewegen mögen. Daß ich rede rührt nicht her aus einem vernünftigen Entschlüsse, auch nicht aus Hoffnung oder Furcht, noch geschiehet es einem Endzwecke gemäß oder aus irgendeinem willkürlichen oder zufälligen Grunde: es ist die innere unwiderstehliche Notwendigkeit meiner Natur, es ist ein göttlicher Beruf, es ist das was meine Stelle im Universum bestimmt, und mich zu dem Wesen macht, welches ich bin. Sei es also weder schicklich noch ratsam von der Religion zu reden, dasjenige was mich also dringt, erdrückt mit seiner himmlischen Gewalt diese kleinen Begriffe. Ihr wißt, daß die Gottheit durch ein unabänderliches Gesetz sich selbst genötiget hat, ihr großes Werk bis ins Unendliche hin zu entzweien, jedes bestimmte Dasein nur aus zwei entgegengesetzten Kräften zusammenzuschmelzen, und jeden ihrer ewigen Gedanken in zwei einander feindseligen und doch nur durch einander bestehenden und unzertrennlichen Zwillingsgestalten zur Wirklichkeit zu bringen. Diese ganze körperliche Welt, in deren Inneres einzudringen das höchste Ziel Eures Forschens ist, erscheint den Unterrichtetsten und Denkendsten unter Euch nur als ein ewig fortgesetztes Spiel entgegengesetzter Kräfte. Jedes Leben ist nur das Resultat eines beständigen Aneignens und Abstoßens, jedes Ding hat nur dadurch sein bestimmtes Dasein, daß es die beiden Urkräfte der Natur, das durstige an sich ziehen und das rege und lebendige Selbst verbreiten, auf eine eigentümliche Art vereinigt [4] und festhält. Es scheint mir als ob auch die Geister, sobald sie auf diese Welt verpflanzt werden, einem solchen Gesetze folgen müßten. Jede menschliche Seele – ihre vorübergehenden Handlungen sowohl als die innern Eigentümlichkeiten ihres Daseins führen uns darauf – ist nur ein Produkt zweier entgegengesetzter Triebe. Der eine ist das Bestreben alles was sie umgibt an sich zu ziehen, in ihr eignes Leben zu verstricken, und wo möglich in ihr innerstes Wesen ganz einzusaugen. Der andere ist die Sehnsucht ihr eigenes inneres Selbst von innen heraus immer weiter auszudehnen, alles damit zu durchdringen, allen davon mitzuteilen, und selbst nie erschöpft zu werden. Jener ist auf den Genuß gerichtet, er strebt die einzelnen Dinge an, die sich zu ihm hinbeugen, er ist gestillt so oft er eines von ihnen ergriffen hat, und wirkt nur mechanisch immer auf das nächste. Dieser verachtet den Genuß und geht nur auf immer wachsende und erhöhte Tätigkeit; er übersieht die einzelnen Dinge und Erscheinungen, eben weil er sie durchdringt, und findet überall nur die Kräfte und Wesenheten an denen sich seine Kraft bricht; alles will er durchdringen, alles mit Vernunft und Freiheit erfüllen, und so geht er gerade aufs Unendliche und sucht und wirkt überall Freiheit und Zusammenhang, Macht und Gesetz, Recht und Schicklichkeit. So wie aber von den körperlichen Dingen kein einziges allein durch eine von den beiden Kräften der materiellen Natur besteht, so hat auch jede Seele einen Teil an den beiden ursprünglichen Funktionen der geistigen Natur, und die Vollkommenheit der intellektuellen Welt besteht darin, daß alle mögliche Verbindungen dieser beiden Kräfte zwischen den beiden entgegengesetzten Enden, da hier die eine dort die andere fast ausschließend alles ist, und der Gegnerin nur einen unendlich kleinen Teil übrig läßt, nicht nur wirklich in der Menschheit vorhanden seien, sondern auch ein allgemeines Band des Bewußtseins sie alle umschlinge, so daß jeder Einzelne, ohnerachtet er nichts anderes sein kann als was er sein muß, dennoch jeden anderen eben so deutlich erkenne als sich selbst, und alle einzelne Darstellungen der Menschheit vollkommen begreife. Diejenigen, welche an den äußersten Enden dieser großen Reihe liegen, sind heftige ganz in sich [5] selbst gekehrte und sich vereinzelnde Naturen. Den Einen gebietet die unersättliche Sinnlichkeit eine immer größere Masse irdischer Dinge um sich her zu sammeln, die sie gern aus dem Zusammenhange des Ganzen herausrisse, um sie ganz und allein sich einzuverleiben; in dem ewigen Wechsel zwischen Begierde und Genuß kommen sie nie über die Wahrnehmungen des Einzelnen hinaus, und immer mit selbstsüchtigen Beziehungen beschäftigt, bleibt ihnen das Wesen der übrigen Menschheit unbekannt. Die Anderen treibt ein ungebildeter, sein Ziel überfliegender Enthusiasmus rastlos im Universum umher; ohne irgend etwas wirkliches besser zu gestalten und zu bilden, schweben sie um leere Ideale herum und ihre Kraft ohne Nutzen verdünnend und verzehrend kehren sie tatenlos und erschöpft auf ihren ersten Punkt zurück. Wie sollen diese äußersten Entfernungen zusammengebracht wer den, um die lange Reihe in jenen geschlossenen Ring zu gestalten, der das Sinnbild der Ewigkeit und der Vollendung ist? Es gibt freilich einen gewissen Punkt, wo ein fast vollkommenes Gleichgewicht beide vereiniget, und diesen pflegt Ihr weit öfter zu überschätzen, als daß er zu niedrig gewürdigt würde, indem er gemeinhin nur ein Zauberwerk der mit den Idealen der Menschen spielenden Natur, und nur selten das Resultat einer angestrengten und durchgeführten Selbstbildung ist. Ständen aber Alle, die nicht mehr an den äußersten Enden wohnen, auf diesem Punkte, so wäre gar keine Verbindung jener Enden mit dieser Mitte möglich, und der Endzweck der Natur wäre gänzlich verfehlt. In die Geheimnisse einer solchen zur Ruhe gebrachten Mischung dringt nur der gedankenvolle Kenner ein; für jedes gemeine Auge sind die einzelnen Elemente darin gänzlich verborgen, und es würde nie weder sein eigenes noch das ihm entgegengesetzte erkennen. Darum sendet die Gottheit zu allen Zeiten hie und da Einige, in denen beides auf eine fruchtbarere Weise verbunden ist, rüstet sie aus mit wunderbaren Gaben, ebnet ihren Weg durch ein allmächtiges Wort, und setzt sie ein zu Dolmetschern ihres Willens und ihrer Werke, und zu Mittlern desjenigen, was sonst ewig geschieden geblieben wäre. Sehet auf diejenigen, welche [6] einen hohen Grad von jener anziehenden Kraft, die sich der umgebenden Dinge tätig be mächtigt, in ihrem Wesen ausdrückten, zugleich aber auch von dem geistigen Durchdringungstriebe der nach dem Unendlichen strebt, und in Alles Geist und Leben hineinträgt, so viel besitzen, daß sie ihn in den Handlungen äußern, wozu jener sie antreibt; diesen genügt es nicht eine rohe Masse irdischer Dinge gleichsam zerstörend zu verschlingen, sondern sie müssen etwas vor sich hinstellen, es in eine kleine Welt, die das Gepräge ihres Geistes trägt, ordnen und gestalten, und so herrschen sie vernünftiger, genießen bleibender und menschlicher, so werden sie Helden Gesetzgeber Erfinder Bezwinger der Natur, gute Dämonen, die eine edlere Glückseligkeit im Stillen schaffen und verbreiten. Solche beweisen sich durch ihr bloßes Dasein als Gesandte Gottes und als Mittler zwischen dem eingeschränkten Menschen und der unendlichen Menschheit. Sie zeigen dem untätigen bloß spekulativen Idealisten, der sein Wesen in einzelnen leeren Gedanken zersplittert, dasjenige tätig, was in ihm bloß träumend war, und in dem was er bisher verachtete, den Stoff den er eigentlich bearbeiten soll; sie deuten ihm die verkannte Stimme Gottes, sie söhnen ihn aus mit der Erde und mit seinem Platze auf derselben. Noch weit mehr aber bedürfen die bloß Irdischen und Sinnlichen solcher Mittler, die ihnen jene höhere Grundkraft der Menschheit begreifen lehren, indem sie ohne ein Treiben und Tun wie das ihrige beschau end und erleuchtend alles umfassen, und keine andere Grenzen keimen wollen als das Universum, welches sie gefunden haben. Gibt Gott einem, der in dieser Laufbahn sich bewegt, zu seinem Streben nach Ausdehnung und Durchdringung auch jene mystische und schöpferische Sinnlichkeit, die allem Inneren auch ein äußeres Dasein zu geben strebt, so muß er nach jedem Ausfluge seines Geistes ins Unendliche den Eindruck den es ihm gegeben hat hinstellen außer sich, als einen mitteilbaren Gegenstand in Bildern oder Worten, um ihn selbst aufs neue in eine andere Gestalt und in eine endliche Größe verwandelt zu genießen, und er muß also auch unwillkürlich und gleichsam begeistert – denn er täte es, wenn auch Niemand da wäre – das was ihm begegnet ist, für Andere darstellen, [7] als Dichter oder Seher, als Redner oder als Künstler. Ein solcher ist ein wahrer Priester des Höchsten, indem er ihn denjenigen näher bringt, die nur das Endliche und Geringe zu fassen gewohnt sind; er stellt ihnen das Himmlische und Ewige dar als einen Gegenstand des Genusses und der Vereinigung, als die einzige unerschöpfliche Quelle desjenigen, worauf ihr ganzes Dichten gerichtet ist. So strebt er den schlafenden Keim der besseren Menschheit zu wecken, die Liebe zum Höchsten zu entzünden, das gemeine Leben in ein höheres zu verwandeln, die Söhne der Erde auszusöhnen mit dem Himmel, der ihnen gehört, und das Gegengewicht zu halten gegen die schwerfällige Anhänglichkeit des Zeitalters an den gröberen Stoff. Dies ist das höhere Priestertum, welches das Innere aller geistigen Geheimnisse verkündigt, und aus dem Reiche Gottes herabspricht; dies ist die Quelle aller Gesichte und Weissagungen, aller heiligen Kunstwerke und begeisterten Reden, welche ausgestreut werden aufs Ohngefähr, ob ein empfängliches Gemüt sie finde und bei sich Frucht bringen lasse.
Möchte es doch je geschehen, daß dieses Mittleramt aufhörte, und das Priestertum der Menschheit eine schönere Bestimmung bekäme! Möchte die Zeit kommen, die eine alte Weissagung so beschreibt, daß keiner bedürfen wird, daß man ihn lehre, weil alle von Gott gelehrt sind! Wenn das heilige Feuer überall brennte, so bedürfte es nicht der feurigen Gebete, um es vom Himmel herabzuflehen, sondern nur der sanften Stille heiliger Jungfrauen um es zu unterhalten, so dürfte es nicht in gefürchtete Flammen ausbrechen; sondern das einzige Bestreben desselben würde sein, die innige und verborgene Glut ins Gleichgewicht zu setzen bei allen.
Jeder leuchtete dann in der Stille sich und den Andern, und die Mitteilung heiliger Gedanken und Gefühle bestände nur in dem leichten Spiele, die verschiedenen Strahlen dieses Lichts jetzt zu vereinigen, dann wieder zu brechen, jetzt es zu zerstreuen, und dann wieder hie und da auf einzelne Gegenstände zu konzentrieren. Das leiseste Wort würde verstanden, da jetzt die deutlichsten Äußerungen der Mißdeutung nicht entgehen. Man könnte gemeinschaftlich ins Innere [8] des Heiligtums eindringen, da man sich jetzt nur in den Vorhöfen mit den Elementen beschäftigen muß. Mit Freunden und Teilnehmern vollendete Ideen tauschen, wie viel erfreulicher ist dies, als mit kaum entworfenen Umrissen herausbrechen müssen in den leeren Raum! Aber wie weit sind jetzt diejenigen, zwischen denen eine solche Mitteilung stattfinden könnte, voneinander entfernt, mit solcher weisen Sparsamkeit in der Menschheit verteilt wie im Weltenraume die verborgenen Punkte aus denen der elastische Urstoff sich nach allen Seiten verbreitet, so nämlich, daß nur eben die äußersten Grenzen ihrer Wirkungskreise zusammenstoßen – damit doch nichts ganz leer sei – aber wohl nie einer den andern antrifft. Weise freilich: denn um so mehr richtet sich die ganze Sehnsucht nach Mitteilung und Geselligkeit allein auf diejenigen, die ihrer am meisten bedürfen, um so unaufhaltsamer wirkt sie dahin, sich die Mitgenossen selbst zu verschaffen, die ihr fehlen. Eben dieser Gewalt liege ich unter, eben diese Natur ist auch mein Beruf. Vergönnet mir von mir selbst zu reden: Ihr wißt, was Religion sprechen heißt, kann nie stolz sein; denn sie ist immer voll Demut. Religion war der mütterliche Leib in dessen heiligem Dunkel mein junges Leben genährt und auf die ihm noch verschlossene Welt vorbereitet wurde, in ihr atmete mein Geist, ehe er noch seine äußeren Gegenstände, Erfahrung und Wissenschaft gefunden hatte, sie half mir als ich anfing den väterlichen Glauben zu sichten und das Herz zu reinigen von dem Schutte der Vorwelt, sie blieb mir, als Gott und Unsterblichkeit dem zweifelnden Auge verschwanden, sie leitete mich ins tätige Leben, sie hat mich gelehrt mich selbst mit meinen Tugenden und Fehlern in meinem ungeteilten Dasein heilig zu halten, und nur durch sie habe ich Freundschaft und Liebe gelernt. Wenn von andern Vorzügen und Eigenschaften der Menschen die Rede ist, so weiß ich wohl, daß es vor Eurem Richterstuhle ihr Weisen und Verständigen des Volks, wenig beweiset, wenn einer sagen kann wie er sie besitzt; denn er kann sie kennen aus Beschreibungen, aus Beobachtungen Anderer, oder wie alle Tugenden gekannt werden, aus der gemeinen alten Sage von ihrem Dasein; aber so liegt die [9] Sache der Religion und so selten ist sie, daß wer von ihr etwas ausspricht, muß es notwendig gehabt haben, denn er hat es nirgends gehört. Von allem was ich als ihr Werk preise und fühle steht wohl wenig in heiligen Büchern, und wem, der es nicht selbst erfuhr, wäre es nicht ein Ärgernis oder eine Torheit?
Wenn ich so von ihr durchdrungen endlich reden und ein Zeugnis von ihr ablegen muß, an wen soll ich mich damit wenden als an Euch? Wo anders wären Hörer für meine Rede? Es ist nicht blinde Vorliebe für den väterlichen Boden oder für die Mitgenossen der Verfassung und der Sprache, was mich so reden macht, sondern die innige Überzeugung, daß Ihr die einzigen seid, welche fähig und also auch würdig sind, daß der Sinn ihnen aufgeregt werde für heilige und göttliche Dinge. Jene stolzen Insulaner, welche viele unter Euch so ungebührlich verehren, kennen keine andere Losung als gewinnen und genießen, ihr Eifer für die Wissenschaften, für die Weisheit des Lebens und für die heilige Freiheit, ist nur ein leeres Spielgefecht. So wie die begeistertsten Verfechter der letzteren unter ihnen nichts tun, als die nationale Orthodoxie mit Wut verteidigen, und dem Volke Wunder vorspiegeln, damit die abergläubige Anhänglichkeit an alte Gebräuche nicht verloren gehe, so ist es ihnen eben nicht mehr Ernst mit allem übrigen, was über das Sinnliche und den nächsten unmittelbaren Nutzen hinausgehet. So gehen sie auf Kenntnisse aus, so ist ihre Weisheit nur auf eine jämmerliche Empirie gerichtet, und so kann ihnen die Religion nichts anders sein, als ein toter Buchstabe, ein heiliger Artikel in der Verfassung in welcher nichts reelles ist. Aus andern Ursachen wende ich mich weg von den Franken, deren Anblick ein Verehrer der Religion kaum erträgt, weil sie in jeder Handlung, in jedem Worte fast ihre heiligsten Gesetze mit Füßen treten. Die frivole Gleichgültigkeit mit der Millionen des Volks, der witzige Leichtsinn mit dem einzelne glänzende Geister der erhabensten Tat des Universums zusehen, die nicht nur unter ihren Augen vorgeht, sondern sie alle ergreift und jede Bewegung ihres Lebens bestimmt, beweiset zur Genüge wie wenig sie einer heiligen Scheu und einer wahren Anbetung fähig sind. Und [10] was verabscheuet die Religion mehr als den zügellosen Übermut womit die Herrscher des Volks den ewigen Gesetzen der Welt Trotz bieten? Was schärft sie mehr ein als die besonnene und demütige Mäßigung, wovon ihnen auch nicht das leiseste Gefühl etwas zuzurufen scheint? Was ist ihr heiliger als die hohe Nemesis, deren furchtbarste Handlungen sie im Taumel der Verblendung nicht einmal verstehen? Wo die wechselnden Strafgerichte, die sonst nur einzelne Familien treffen durften, um ganze Völker mit Ehrfurcht vor dem himmlischen Wesen zu erfüllen, und auf Jahrhunderte lang die Werke der Dichter dem ewigen Schicksal zu widmen, wo diese sich tausendfältig vergehlich erneuern, wie würde da eine einsame Stimme bis zum Lächerlichen ungehört und unbemerkt verhallen? Hier im väterlichen Lande ist das beglück te Klima was keine Frucht gänzlich versagt, hier findet Ihr alles zerstreut was die Menschheit ziert, und alles was gedeiht, bildet sich irgendwo, im Einzelnen wenigstens, zu seiner schönsten Gestalt; hier fehlt es weder an weiser Mäßigung noch an stiller Betrachtung. Hier also muß sie eine Freistadt finden vor der plumpen Barbarei und dem kalten irdischen Sinne des Zeitalters.
Nur verweiset mich nicht ungehört zu denen auf die Ihr als auf Rohe und Ungebildete herabsehet, gleich als sei der Sinn für das Heilige wie eine veraltete Tracht auf den niederen Teil des Volkes übergegangen, dem es allein noch zieme in Scheu und Glauben von dem Unsichtbaren ergriffen zu werden. Ihr seid gegen diese unsere Brüder sehr freundlich gesinnt, und mögt gern, daß zu ihnen auch von andern höheren Gegenständen, von Sittlichkeit und Recht und Freiheit geredet, und so auf einzelne Momente wenigstens ihr inneres Streben dem besseren entgegengehoben, und ein Eindruck von der Würde der Menschheit in ihnen geweckt werde. So rede man denn auch mit ihnen von der Religion, man durchgrabe bisweilen ihr ganzes Wesen bis der Punkt getroffen wird, wo dieser heilige Instinkt verborgen liegt; man entzücke sie durch einzelne Blitze, die man aus ihm hervorlockt; man bahne ihnen aus dem innersten Mittelpunkte ihrer engen Beschränkung eine Aussicht ins Unendliche, und erhöhe auf einen Augenblick ihre tierische Sinnlichkeit zum [11] hohen Bewußtsein eines menschlichen Willens und Daseins; es wird immer viel gewonnen sein. Aber ich bitte Euch, wendet Ihr Euch dann zu ihnen, wenn Ihr den innersten Zusammenhang und den höchsten Grund jener Heiligtümer der Menschheit aufdecken wollt? wenn der Begriff und das Gefühl, das Gesetz und die Tat, bis zu ihrer gemeinschaftlichen Quelle sollen verfolgt, und das Wirkliche als ewig und im Wesen der Menschheit notwendig gegründet soll dargestellt werden?
Wäre es nicht glücklich genug, wenn Eure Weisen dann nur von den Besten unter Euch verstanden würden? Eben das ist aber mein Endzweck mit der Religion. Nicht einzelne Empfindungen will ich aufregen, die vielleicht in ihr Gebiet gehören, nicht einzelne Vorstellungen rechtfertigen oder bestreiten; in die innersten Tiefen möchte ich Euch geleiten, aus denen sie zuerst das Gemüt anspricht; zeigen möchte ich Euch aus welchen Anlagen der Menschheit sie hervorgeht, und wie sie zu dem gehört was Euch das Höchste und Teuerste ist; auf die Zinnen des Tempels möchte ich Euch führen, daß Ihr das ganze Heiligtum übersehen und seine innersten Geheimnisse entdecken möget. Könnet Ihr mir im Ernst zumuten, zu glauben, daß diejenigen, die sich täglich am mühsamsten mit dem Irdischen abquälen, am vorzüglichsten dazu ge eignet seien so vertraut mit dem Himmlischen zu werden? daß diejenigen, die über dem nächsten Augenblick bange brüten und an die nächsten Gegenstände fest gekettet sind, ihr Auge am weitesten zum Universum erheben können? und daß, wer in dem einförmigen Wechsel einer toten Geschäftigkeit sich selbst noch nicht gefunden hat, die lebendige Gottheit am hellsten entdecken werde? Nur Euch also kann ich zu mir rufen, die Ihr fähig seid Euch über den gemeinen Standpunkt der Menschen zu erheben, die Ihr den beschwerlichen Weg in das Innere des menschlichen Wesens nicht scheuet, um den Grund seines Tuns und Denkens zu finden.
Seitdem ich mir dieses gestand, habe ich mich lange in der zaghaften Stimmung desjenigen befunden, der ein liebes Kleinod vermissend, es nicht wagen wollte, noch den letzten [12] Ort wo es verborgen sein könnte, zu durchsuchen. Es gab Zeiten, wo Ihr es noch für einen Beweis besonderen Mutes hieltet, Euch teilweise von der Religion loszusagen, und gern über einzelne Gegenstände laset und hörtet, wenn es nur darauf ankam einen hergebrachten Begriff auszutilgen; wo es Euch gefiel eine schlanke Religion im Schmucke der Beredsamkeit einhergehen zu sehen, weil Ihr gern dem holden Geschlecht wenigstens ein gewisses Gefühl für das Heilige erhalten wolltet. Das alles ist nicht mehr, es soll gar nicht mehr von ihr die Rede sein, und auch die Grazien selbst sollen mit unweiblicher Härte die zarteste Blume der menschlichen Phantasie verderben. An nichts anderes kann ich also das Interesse, welches ich von Euch fordere, anknüpfen, als an Eure Verachtung selbst; ich will Euch nur auffordern in dieser Verachtung recht gebildet und vollkommen zu sein. Laßt uns doch, ich bitte Euch, untersuchen, wovon sie eigentlich ausgegangen ist, vom Einzelnen oder vom Ganzen? von den verschiedenen Arten und Sekten der Religion, wie sie in der Welt gewesen sind, oder von dem Begriffe selbst? Ohne Zweifel werden Einige sich zu dem Letzteren bekennen, und das pflegen immer die mit Unrecht rüstigen Verächter zu sein, die ihr Geschäft aus sich selbst treiben, und sich nicht die Mühe genommen haben eine genaue Kenntnis der Sache wie sie liegt zu erwerben. Die Furcht vor einem ewigen Wesen und das Rechnen auf eine andere Welt, das, meint Ihr, seien die Angel aller Religion, und das ist Euch im allgemeinen zuwider. Sagt mir doch also. Ihr Teuresten, woher habt Ihr diese Begriffe von der Religion, die der Gegenstand Eurer Verachtung sind? Jede Äußerung, jedes Werk des menschlichen Geistes kann aus einem doppelten Standpunkte angesehen und erkannt werden. Betrachtet man es von seinem Mittelpunkte aus nach seinem innern Wesen, so ist es ein Produkt der menschlichen Natur, gegründet in einer von ihren notwendigen Handlungsweisen oder Trieben, oder wie Ihr es nennen wollt, denn ich will jetzt nicht über Eure Kunstsprache richten; betrachtet man es von seinen Grenzen aus, nach der bestimmten Haltung und Gestalt, die es hie und dort angenommen hat, so ist es ein Erzeugnis der Zeit und der Geschichte. Von welcher Seite habt Ihr nun dieses [13] große geistige Phänomen betrachtet, daß Ihr auf jene Begriffe gekommen seid, welche Ihr für den gemeinschaftlichen Inhalt alles dessen ausgebt, was man je mit dem Namen der Religion benennet hat? Ihr werdet schwerlich sagen, daß dieses eine Betrachtung der ersten Art sei; denn, Ihr Guten! als denn müßtet Ihr doch zugeben, daß etwas in diesen Ideen wenigstens der menschlichen Natur angehöre und wenn Ihr auch sagen wolltet, daß sie so wie man sie jetzt antrifft, nur aus Mißdeutungen oder falschen Beziehungen eines notwendigen Strebens der Menschheit entstanden seien, so würde es Euch doch ziemen Euch mit uns zu vereinigen, um das was davon wahr und ewig ist, herauszusuchen, und die menschliche Natur von dem Unrecht zu befreien, welches sie allemal erleidet, wenn etwas in ihr mißkannt oder mißleitet wird. Bei allem was Euch heilig ist – und es muß diesem Geständnisse zufolge etwas Heiliges für Euch geben – beschwöre ich Euch, verabsäumt dieses Geschäft nicht, damit die Menschheit, die Ihr mit uns verehrt, Euch nicht als solchen, die sie in einer wichtigen Angelegenheit verlassen haben, mit dem größten Rechte zürne. Und wenn Ihr denn findet, daß dies Geschäft schon getan sei, so kann ich doch auf Euren Dank und Eure Billigung rechnen. – Wahrscheinlich aber werdet Ihr sagen. Eure Begriffe vom Inhalt der Religion seien nur die andere Ansicht dieser geistigen Erscheinung, und sie sei eben deswegen leer, und werde von Euch verachtet, weil das, was im Mittelpunkt liegt, ihr ganz heterogen sei, daß es gar nicht Religion genannt werden könne, und sie also von dort gar nicht ausgegangen und überall nichts anders sein könne, als ein leerer und falscher Schein, der sich wie eine trübe und drückende Atmosphäre um einen Teil der Wahrheit herumgelagert habe. Dies ist gewiß Eure wahre und eigentliche Meinung. Wenn Ihr aber jene beiden Punkte für den Inhalt der Religion haltet, in allen Formen unter denen sie in der Geschichte erschienen ist, so ist mir doch vergönnet zu fragen, ob Ihr auch all ihre Erscheinungen richtig beobachtet und ihren gemeinschaftlichen Inhalt richtig aufgefaßt habt? Ihr müßt Euren Begriff, wenn er so entstanden ist, aus dem Einzelnen rechtfertigen, und wenn Euch jemand sagt, daß er unrichtig und verfehlt sei, und auf etwas [14] anderes hinweiset in der Religion was nicht hohl ist, sondern einen Mittelpunkt hat, so gut als jedes andere, so mußt Ihr doch erst hören und urteilen, ehe ihr weiter verachten dürft.
Laßt es Euch also nicht verdrießen dem zuzuhören, was ich jetzt mit denen sprechen will, welche gleich anfangs richtiger aber auch mühsamer vom Einzelnen ausgegangen sind. Ihr seid ohne Zweifel bekannt mit der Geschichte menschlicher Torheiten, und habt die verschiedenen Gebäude der Religion durchlaufen, von den sinnlosen Fabeln wilder Nationen bis zum verfeinertsten Deismus, von der rohen Superstition unseres Volkes bis zu den übelzusammengenähten Bruchstücken von Metaphysik und Moral, die man vernünftiges Christentum nennt, und habt sie alle ungereimt und vernunftwidrig gefunden. Ich bin weit entfernt Euch darin widersprechen zu wollen; vielmehr, wenn Ihr es damit nur aufrichtig meint, daß die ausgebildetsten Religionssysteme diese Eigenschaften nicht weniger an sich tragen als die rohesten, wenn Ihr es nur einsehet, daß das Göttliche nicht in einer Reihe liegen kann, die sich auf beiden Seiten in etwas Gemeines und Verächtliches endiget, so will ich Euch gern die Mühe erlassen, alle welche dazwischen liegen näher zu würdigen. Sie erscheinen alle als Übergänge und Annäherungen zu den letzteren; jedes kommt etwas geschliffener aus der Hand seines Zeitalters bis endlich die Kunst zu jenem vollendeten Spielwerk gestiegen ist, womit unser Jahrhundert sich so lange die Zeit verkürzt hat. Aber diese Vervollkommnung ist eher Alles, nur nicht Annäherung zur Religion. Ich kann nicht ohne Unwillen davon reden; denn jammern muß es jeden, der Sinn hat für alles was aus dem Innern des Gemüts hervorgeht, und dem es Ernst ist, daß jede Seite des Menschen gebildet und dargestellt werde, wie die hohe und herrliche von ihrer Bestimmung entfernt ist, und ihre Freiheit verloren hat, um von dem scholastischen und metaphysischen Geist barbarischer und kalter Zeiten in einer verächtlichen Sklaverei gehalten zu werden. Wo sie ist und wirkt, muß sie sich so offenbaren, daß sie auf eine eigentümliche Art das Gemüt bewegt, alle Funktionen der menschlichen [15] Seele vermischt oder vielmehr entfernt, und alle Tätigkeit in ein staunendes Anschauen des Unendlichen auflöset. Wird Euch so zumute bei diesen Systemen der Theologie, diesen Theorien vom Ursprung und Ende der Welt, diesen Analysen von der Natur eines unbegreiflichen Wesens? wo alles auf ein kaltes Argumentieren hinausläuft, und nichts anders als im Ton eines gemeinen Schulstreites behandelt werden kann? In allen diesen Systemen, die Ihr verachtet, habt Ihr also die Religion nicht gefunden und nicht finden können, weil sie nicht da ist, und wenn Euch gezeigt würde, daß sie anderswo wäre, so wäret Ihr immer noch fähig sie zu finden und zu ehren. Warum seid Ihr aber nicht mehr zu dem Einzelnen herabgestiegen? Ich bewundere Eure freiwillige Un wissenheit, Ihr gutmütigen Forscher, und Eure allzuruhige Beharrlichkeit bei dem was eben da ist und Euch angepriesen wird! Was Ihr in diesen Systemen nicht gefunden habt, das würdet Ihr in den Elementen eben dieser Systeme haben sehen müssen, und zwar nicht eines oder des andern, sondern gewiß aller. In Allen liegt etwas von diesem geistigen Stoffe gebunden, denn ohne ihn hätten sie gar nicht entstehen können; aber wer es nicht versteht ihn zu entbinden, der behält, wie fein er sie auch zersplittere, wie genau er auch alles durchsuche, immer nur die tote kalte Masse in Händen. Die Anweisung, das Wahre und Richtige, welches Ihr in der großen Masse nicht findet, in den ersten dem Anschein nach ungebildeten Elementen zu suchen, kann Euch allen, die Ihr mehr oder minder Euch um die Philosophie bekümmert, und mit ihren Schicksalen vertraut seid, doch nicht fremd scheinen. Erinnert Euch doch wie wenige von denen, welche auf einem eigenen Wege in das Innere der menschlichen Natur und der Welt hinabgestiegen sind, und ihr gegenseitiges Verhältnis ihre innere Harmonie in einem eigenen Lichte angeschaut und dargestellt haben, ein eigenes System der Philosophie bildeten, und ob nicht alle in einer zarteren – sollte es auch sein zerbrechlicheren – Form ihre Entdeckungen mitgeteilt haben. Man hat aber doch Systeme von allen Schulen? Ja eben von den Schulen, die nichts anders sind als der Sitz und die Pflanzstätte des toten Buchstabens, denn der Geist läßt sich weder in Akademien festhalten, [16] noch der Reihe nach in bereitwillige Köpfe ausgießen, er verdampft gewöhnlich auf dem Wege aus dem ersten Munde in das erste Ohr. Würdet Ihr nicht dem, welcher die Verfertiger dieser großen Körper von Philosophie für die Philosophen selbst hielt, und in ihnen den Geist der Wissenschaft finden wollte, belehrend zurufen: nicht also guter Freund! In allen Dingen haben die, welche nur nachtreten und zusammentragen, und bei dem was ein andrer gegeben hat, stehen bleiben, nicht den Geist der Sache, dieser ruht nur auf den Erfindern, und zu ihnen mußt du gehen. Ihr werdet aber gestehen müssen, daß es mit der Religion um so mehr dieselbe Sache ist, da sie sich ihrem ganzen Wesen nach von allem Systematischen ebensoweit entfernt, als die Philosophie sich von Natur dazu hinneigt. Bedenket doch von wem diese künstlichen Gebäude herrühren; deren Wandelbarkeit Ihr verspottet, deren schlechtes Ebenmaß Euch beleidigt, und deren Mißverhältnis gegen ihre kleinliche Tendenz Euch so lächerlich ist? Etwa von den Heroen der Religion? Nennt mir doch unter allen denen, die irgendeine neue Offenbarung heruntergebracht haben zu uns, einen Einzigen, von dem an, der zuerst die Eine und Allgemeine Gottheit dachte – gewiß der systematischste Gedanke im ganzen Gebiete der Religion – bis zu dem neuesten Mystiker, in dem vielleicht noch ein ursprünglicher Strahl des innern Lichtes glänzt, (denn, daß ich der Buchstabentheologen nicht erwähne, welche glauben das Heil der Welt und das Licht der Weisheit in einem neuen Kostüm ihrer Formeln, oder in neuen Stellungen ihrer figurierenden Beweise zu finden, das werdet Ihr mir nicht verdenken) nennt mir unter ihnen allen einen Einzigen, der es der Mühe wert geachtet hätte, sich mit dieser sisyphischen Arbeit zu befassen. Nur einzelne erhabene Gedanken durchzücken ihre von einem ätherischen Feuer sich entzündende Seele, und der magische Donner einer zauberischen Rede begleitete die hohe Erscheinung, und verkündete dem anbetenden Sterblichen, daß die Gottheit gesprochen habe. Ein Atom von einer überirdischen Kraft geschwängert, fiel in ihr Gemüt, verähnlichte sich dort alles, dehnte es allmächtig aus, und es zersprang dann wie durch ein göttliches Schicksal in einer Welt, deren Atmosphäre [17] ihm zu wenig Widerstand leistete, und brachte noch in seinen letzten Momenten eines von jenen himmlischen Meteoren, von jenen bedeutungsvollen Zeichen der Zeit hervor, deren Ursprung niemand verkennt, und die alle Irdischen mit Ehrfurcht erfüllen. Diese himmlischen Funken müßt Ihr aufsuchen, welche entstehen, wenn eine heilige Seele vom Universum berührt wird. Ihr müßt sie belauschen in dem unbegreiflichen Au genblick in welchem sie sich bildeten, sonst ergeht es Euch wie dem, der zu spät mit dem brennbaren Stoff das Feuer aufsucht, welches der Stein dem Stahl entlockt hat, und dann nur ein kaltes unbedeutendes Stäubchen groben Metalles findet, an dem er nichts mehr entzünden kann.
Ich fordere also, daß Ihr von allem, was sonst Religion genannt wird, absehend Euer Augenmerk nur auf diese einzelne Andeutungen und Stimmungen richtet, die Ihr in allen Äußerungen und edlen Taten gottbegeisterter Menschen finden werdet. Entdeckt Ihr denn auch in diesem Einzelnen nichts Neues und Treffendes, wie ich es ohngeachtet Eurer Gelehrsamkeit und Eurer Kenntnisse dennoch zur guten Sache hoffe, erweitert und verwandelt sich dann nicht Euer enger Begriff, der nur von einer übersichtigen Beobachtung erzeugt ward, könnt Ihr dann diese Richtung des Gemüts auf das Ewige noch verachten, kann es Euch noch lächerlich scheinen, alles was dem Menschen wichtig ist, auch aus diesem Gesichtspunkte betrachtet zu sehen, so will ich glauben, daß Eure Verachtung der Religion Eurer Natur gemäß ist, und habe Euch weiter nichts zu sagen. Besorget nur nicht, daß ich am Ende doch noch zu jenen gemeinen Mitteln meine Zuflucht nehmen möchte. Euch vorzustellen, wie notwendig sie sei, um Recht und Ordnung in der Welt zu erhalten, und mit dem Andenken an ein allsehendes Auge und eine unendliche Macht der Kurzsichtigkeit menschlicher Aufsicht und den engen Schranken menschlicher Gewalt zu Hilfe zukommen; oder wie sie eine treue Freundin und eine heilsame Stütze der Sittlichkeit sei, indem sie mit ihren heiligen Gefühlen und ihren glänzenden Aussichten den schwachen Menschen den Streit mit sich selbst und das Vollbringen des [18] Guten gar mächtig erleichtern. So reden freilich diejenigen, welche die besten Freunde und die eifrigsten Verteidiger der Religion zu sein vorgeben; ich aber will nicht entscheiden, gegen wen in dieser Gedankenverbindung die meiste Verachtung liege, gegen Recht und Sittlichkeit, welche als einer Unterstützung bedürftig vorgestellt werden, oder gegen die Religion, welche sie unterstützen soll, oder gegen Euch, zu denen also gesprochen wird. Mit welcher Stirne könnte ich Euch wohl zumuten, wenn anders Euch selbst dieser weise Rat gegeben werden soll; daß Ihr mit Euch selbst in Eurem Innern ein loses Spiel treiben, und durch etwas, das Ihr sonst keine Ursache hättet zu achten und zu lieben. Euch zu etwas Anderem solltet antreiben lassen, was Ihr ohnedies schon verehrt, und dessen Ihr Euch befleißiget? Oder wenn Euch etwa durch diese Reden nur ins Ohr gesagt werden soll, was Ihr dem Volke zuliebe zu tun habt, wie solltet dann Ihr, die Ihr dazu berufen seid die andern zu bilden und sie Euch ähnlich zu machen, damit anfangen, daß Ihr sie betrügt, und ihnen etwas für heilig und wirksam hingebt, was Euch selbst höchst gleichgültig ist, und was sie wegwerfen sollen, sobald sie sich auf dieselbe Stufe mit Euch erhoben haben? Ich kann zu einer solchen Handlungsweise nicht auffordern, sie enthält die verderblichste Heuchelei gegen die Welt und gegen Euch selbst, und wer die Religion so empfehlen will, muß nur die Verachtung vergrößern, der sie schon unterliegt. Zugegeben, daß unsere bürgerlichen Einrichtungen noch unter einem hohen Grade der Unvollkommenheit seufzen, und noch wenig Kraft bewiesen haben, der Ungerechtigkeit zuvorzukommen oder sie auszurotten, welche strafbare Verlassung einer wichtigen Sache, welcher zaghafte Unglaube an die Annäherung zum Besseren wäre es, wenn deshalb nach der Religion gerufen werden müßte! Hättet Ihr denn einen rechtlichen Zustand, wenn seine Existenz auf der Frömmigkeit beruhete? Verschwindet Euch nicht, so bald Ihr davon ausgehet, der ganze Begriff unter den Händen, den Ihr doch für so heilig haltet? Greift die Sache unmittelbar an, wenn sie Euch so übel zu liegen scheint; bessert an den Gesetzen, rüttelt die Verfassungen untereinander, gebt dem Staate einen eisernen Arm, gebt ihm hundert Augen, wenn [19] er sie noch nicht hat, nur schläfert nicht die, welche er hat, mit einer trügerischen Leier ein. Schiebt nicht ein Geschäft wie dieses in ein anderes ein. Ihr habt es sonst gar nicht verwaltet, und erklärt nicht zum Schimpfe der Menschheit ihr erhabenstes Kunstwerk für eine Wucherpflanze die nur von fremden Säften sich nähren kann.
Nicht einmal der Sittlichkeit, die ihm doch weit näher liegt, muß das Recht bedürfen, um sich die unumschränkteste Herrschaft auf seinem Gebiete, zu sichern, es muß ganz für sich allein stehen. Wer der Verwalter desselben ist, der muß es überall hervorbringen können, und jeder, welcher behauptet, daß dies nur geschehen kann, indem Religion mitgeteilt wird – wenn anders dasjenige sich willkürlich mitteilen läßt was nur existiert, indem es aus dem Gemüte hervorgehet – der behauptet zugleich, daß nur diejenigen Verwalter des Rechts sein sollten, welche geschickt sind der menschlichen Seele den Geist der Religion einzugießen, und in welche finstere Barbarei unheiliger Zeiten würde uns das zurückführen! Ebensowenig aber darf die Sittlichkeit mit der Religion zu teilen haben; wer einen Unterschied macht zwischen dieser und jener Welt, betört sich selbst, alle wenigstens welche Religion haben, glauben nur an Eine. Ist also das Verlangen nach Wohlbefinden der Sittlichkeit etwas Fremdes, so darf das Spätere nicht mehr gelten als das Frühere, und die Scheu vor dem Ewigen nicht mehr als die vor einem weisen Manne. Wenn die Sittlichkeit durch jeden Zusatz ihren Glanz und ihre Festigkeit verlieret, wie viel mehr durch einen solchen, der seine hohe und ausländische Farbe niemals verleugnen kann. Doch dies habt Ihr genug von denen gehört, welche die Unabhängigkeit und die Allgewalt moralischer Gesetze verteidigen, ich aber setze hinzu, daß es auch die größte Verachtung gegen die Religion beweiset, sie in ein anderes Gebiet verpflanzen zu wollen, daß sie da diene und arbeite. Auch herrschen möchte sie nicht in einem fremden Reiche: denn sie ist nicht so eroberungssüchtig das ihrige vergrößern zu wollen. Die Gewalt, die ihr gebührt, und die sie sich in jedem Augenblick aufs neue verdient, genügt ihr, und ihr, die alles heilig hält, ist noch vielmehr das heilig, was mit ihr [20] gleichen Rang in der menschlichen Natur behauptet. Aber sie soll ganz eigentlich dienen, wie jene es wollen, einen Zweck soll sie haben, und nützlich soll sie sich erweisen. Welche Erniedrigung! und ihre Verteidiger sollten geizig darauf sein ihr diese zu verschaffen? Daß doch diejenigen, die so auf den Nutzen ausgehen, und denen doch am Ende auch Sittlichkeit und Recht um eines andern Vorteils willen da sind, daß sie doch lieber selbst untergehen möchten in diesem ewigen Kreislaufe eines allgemeinen Nutzens, in welchem sie alles Gute untergehen lassen, und von dem kein Mensch, der selbst für sich etwas sein will, ein gesundes Wort versteht, lieber als daß sie sich zu Verteidigern der Religion aufwerfen möchten, deren Sache zu führen sie gerade die ungeschicktesten sind. Ein schöner Ruhm für die Himmlische, wenn sie nun die irdischen Angelegenheiten der Menschen so leidlich versehen könnte! Viel Ehre für die Freie und Sorglose, wenn sie nun etwas wachsamer und treibender wäre als das Gewissen! Für so etwas steigt sie Euch noch nicht vom Himmel herab. Was nur um eines außer ihm liegenden Vorteils willen geliebt und geschätzt wird, das mag wohl not tun, aber es ist nicht in sich notwendig, es kann immer ein frommer Wunsch bleiben, der nie zur Existenz kommt, und ein vernünftiger Mensch legt keinen außerordentlichen Wert darauf, sondern nur den Preis, der jener Sache angemessen ist. Und dieser würde für die Religion gering genug sein, ich wenigstens würde kärglich bieten, denn ich muß es nur gestehen, ich glaube nicht daß es so arg ist mit den unrechten Handlungen welche sie verhindert, und mit den sittlichen welche sie erzeugt haben soll. Sollte das also das Einzige sein, was ihr Ehrerbietung verschaffen könnte, so mag ich mit ihrer Sache nichts zu tun haben. Selbst um sie nur nebenher zu empfehlen ist es zu unbedeutend. Ein eingebildeter Ruhm, welcher verschwindet wenn man ihn näher betrachtet, kann derjenigen nicht helfen, die mit höheren Ansprüchen umgeht. Daß sie aus dem Inneren jeder besseren Seele notwendig von selbst entspringt, daß ihr eine eigne Provinz im Gemüte angehört, in welcher sie unumschränkt herrscht, daß sie es würdig ist durch ihre innerste Kraft die Edelsten und Vortrefflichsten zu bewegen, und von ihnen ihrem innersten [21] Wesen nach gekannt zu werden; das ist es was ich behaupte, und was ich ihr gern sichern möchte, und Euch liegt es nun ob, zu entscheiden, ob es der Mühe wert sein wird, mich zu hören, ehe ihr Euch in Eurer Verachtung noch mehr befestiget.
Zweite Rede
Über das Wesen der Religion
[22] Ihr werdet wissen wie der alte Simonides durch immer wiederholtes und verlängertes Zögern denjenigen zur Ruhe verwies, der ihn mit der Frage belästigt hatte: was wohl die Götter seien. Ich möchte bei der weit größeren und mehr umfassenden: »was die Religion ist«, gern mit einer ähnlichen Zögerung anfangen.
Natürlich nicht in der Absicht um zu schweigen, und Euch wie Jener in der Verlegenheit zu lassen, sondern damit Ihr von ungeduldiger Erwartung hingehalten, eine Zeitlang Eure Blicke unverwandt auf den Punkt hinrichten möget, den wir suchen, und Euch aller andern Gedanken indes gänzlich entschlagen. Ist es doch die erste Forderung derer, welche nur gemeine Geister beschwören, daß der Zuschauer, der ihre Erscheinungen sehen und in ihre Geheimnisse eingeweiht werden will, sich durch Enthaltsamkeit von irdischen Dingen und durch heilige Stille vorbereite, und dann, ohne sich durch den Anblick fremder Gegenstände zu zerstreuen, mit ungeteilten Sinnen auf den Ort hinschaue, wo die Erscheinung sich zeigen soll. Wieviel mehr werde ich einen ähnlichen Gehor sam verlangen dürfen, der ich einen seltenen Geist hervorrufen soll, welcher nicht in irgend einer vielgesehenen geläufigen Larve zu erscheinen würdiget, und den Ihr lange mit angestrengter Aufmerksamkeit werdet beobachten müssen, um ihn zu erkennen, und seine bedeutsamen Züge zu verstehen. Nur wenn Ihr vor den heiligen Kreisen stehet, mit der unbefangensten Nüchternheit des Sinnes, die jeden Umriß klar und richtig auffaßt, und, voll Verlangen das Dargestellte aus sich selbst zu verstehen, weder von alten Erinnerungen verführt, noch von vorgefaßten Ahndungen bestochen wird, kann ich hoffen, daß Ihr meine Erscheinung [23] wo nicht liebgewinnen doch wenigstens Euch über ihre Gestalt mit mir einigen, und sie für ein himmlisches Wesen erkennen werdet. Ich wollte, ich könnte sie Euch unter irgendeiner wohlbekannten Bildung vorstellen, damit Ihr sogleich ihrer Züge, ihres Ganges, ihrer Manieren Euch erinnern und ausrufen möchtet, daß Ihr sie hier oder dort im Leben so gesehen habt. Aber ich würde Euch betrügen; denn so unverkleidet wie sie dem Beschwörer erscheint, wird sie unter den Menschen nicht angetroffen, und hat sich in ihrer eigentümlichen Gestalt wohl lange nicht erblicken lassen. So wie die besondere Sinnesart der verschiedenen kultivierten Völker, seitdem durch Verbindungen aller Art ihr Verkehr vielseitiger und des Gemeinschaftlichen unter ihnen mehr geworden ist, sich in einzelnen Handlungen nicht mehr so rein und bestimmt darstellt, sondern nur die Einbildungskraft die ganze Idee dieser Charaktere auffassen kann, die im Einzelnen nicht anders als zerstreut und mit vielem Fremdartigen vermischt angetroffen werden; so ist es auch mit geistigen Dingen, und unter ihnen mit der Religion. Es ist Euch ja bekannt, wie jetzt alles voll ist von harmonischer Ausbildung, und eben diese hat eine so vollendete und ausgebreitete Geselligkeit und Freundschaft innerhalb der menschlichen Seele gestiftet, daß jetzt unter uns keine von ihren Kräften, so gern wir sie auch abgesondert denken, in der Tat abgesondert handelt, sondern bei jeder Verrichtung sogleich von der zuvorkommenden Liebe und wohltätigen Unterstützung der Andern übereilt und von ihrer Bahn etwas abgetrieben wird, so daß man sich in dieser gebildeten Welt vergeblich nach einer Handlung umsieht, die von irgend einem Vermögen des Geistes, es sei Sinnlichkeit oder Verstand, Sittlichkeit oder Religion, einen treuen Ausdruck abgeben könnte.
Seid deswegen nicht ungehalten, und deutet es nicht als eine Geringschätzung der Gegenwart, wenn ich Euch öfters der Anschaulichkeit halber in jene kindlicheren Zeiten zurückführe, wo in einem unvollkommneren Zustande noch alles abgesonderter und einzelner war; und wenn ich gleich damit anfange, und immer wieder auf einem andern Wege sorgfältig darauf zurückkomme, vor jeder Verwechselung der Religion [24] mit dem was ihr hie und da ähnlich sieht, und womit Ihr sie überall vermischt finden werdet, nachdrücklich zu warnen.
Stellet Euch auf den höchsten Standpunkt der Metaphysik und der Moral, so werdet Ihr finden, daß beide mit der Religion denselben Gegenstand haben, nämlich das Universum und das Verhältnis des Menschen zu ihm. Diese Gleichheit ist von lange her ein Grund zu mancherlei Verirrungen gewesen; daher ist Metaphysik und Moral in Menge in die Religion eingedrungen, und manches was der Religion angehört, hat sich unter einer unschicklichen Form in die Metaphysik oder die Moral versteckt. Werdet Ihr aber deswegen glauben, daß sie mit einer von beiden einerlei sei? Ich weiß, daß Euer Instinkt Euch das Gegenteil sagt, und es geht auch aus Euren Meinungen hervor; denn Ihr gebt nie zu, daß sie mit dem festen Tritte einhergeht, dessen die Metaphysik fähig ist, und Ihr vergesset nicht fleißig zu bemerken, daß es in ihrer Geschichte eine Menge garstiger unmoralischer Flecken gibt. Soll sie sich also unterscheiden, so muß sie ihnen ungeachtet des gleichen Stoffs auf irgendeine Art entgegengesetzt sein; sie muß diesen Stoff ganz anders behandeln, ein anderes Verhältnis der Menschen zu demselben ausdrücken oder bearbeiten, eine andere Verfahrungsart oder ein anderes Ziel haben: denn nur dadurch kann dasjenige, was dem Stoff nach einem andern gleich ist, eine besondere Natur und ein eigentümliches Dasein bekommen. Ich frage Euch also: was tut Euere Metaphysik – oder wenn Ihr von dem veralteten Namen, der Euch zu historisch ist, nichts wissen wollt – Euere Transzendentalphilosophie? sie klassifiziert das Universum und teilt es ab in solche Wesen und solche, sie geht den Gründen dessen was da ist nach, und deduziert die Notwendigkeit des Wirklichen, sie entspinnet aus sich selbst die Realität der Welt und ihre Gesetze. In dieses Gebiet darf sich also die Religion nicht versteigen, sie darf nicht die Tendenz haben Wesen zu setzen und Naturen zu bestimmen, sich in ein Unendliches von Gründen und Deduktionen zu verlieren, letzte Ursachen aufzusuchen und ewige Wahrheiten auszusprechen. – Und was tut Euere Moral? Sie entwickelt aus der Natur des Menschen und seines Verhältnisses gegen das Universum ein System von Pflichten, sie gebietet [25] und untersagt Handlungen mit unumschränkter Gewalt. Auch das darf also die Religion nicht wagen, sie darf das Universum nicht brauchen um Pflichten abzuleiten, sie darf keinen Kodex von Gesetzen enthalten. – »Und doch scheint das, was man Religion nennt, nur aus Bruchstücken dieser verschiedenen Gebiete zu bestehen.« – Dies ist freilich der gemeine Begriff. Ich habe Euch letzthin Zweifel gegen ihn beigebracht; es ist jetzt Zeit ihn völlig zu vernichten. Die Theoretiker in der Religion, die aufs Wissen über die Natur des Universums und eines höchsten Wesens, dessen Werk es ist, ausgehen, sind Metaphysiker; aber artig genug, auch etwas Moral nicht zu verschmähen. Die Praktiker, denen der Wille Gottes Hauptsache ist, sind Moralisten; aber ein wenig im Stile der Metaphysik. Die Idee des Guten nehmt Ihr und tragt sie in die Metaphysik als Naturgesetz eines unbeschränkten und unbedürftigen Wesens, und die Idee eines Urwesens nehmt Ihr aus der Metaphysik und tragt sie in die Moral, damit dieses große Werk nicht anonym bleibe, sondern vor einem so herrlichen Kodex das Bild des Gesetzgebers könne gestochen werden. Mengt aber und rührt wie Ihr wollt, dies geht nie zusammen. Ihr treibt ein leeres Spiel mit Materien, die sich einander nicht aneignen. Ihr behaltet immer nur Metaphysik und Moral. Dieses Gemisch von Meinungen über das höchste Wesen oder die Welt, und von Geboten für ein menschliches Leben (oder gar für zwei) nennt Ihr Religion! und den Instinkt der jene Meinungen sucht, nebst den dunklen Ahndungen, welche die eigentliche letzte Sanktion dieser Gebote sind, nennt Ihr Religiosität! Aber wie kommt Ihr denn dazu, eine bloße Kompilation, eine Chrestomathie für Anfänger für ein eignes Werk zu halten, für ein Individuum eignen Ur sprunges und eigener Kraft? Wie kommt Ihr dazu, seiner zu erwähnen, wenn es auch nur geschieht um es zu widerlegen? Warum habt Ihr es nicht längst aufgelöset in seine Teile und das schändliche Plagiat entdeckt? Ich hätte Lust, Euch durch einige sokratische Fragen zu ängstigen, und Euch zu dem Geständnisse zu bringen, daß Ihr in den gemeinsten Dingen die Prinzipien gar wohl kennt, nach denen das Ähnliche zusammengestellt und das Besondere dem Allgemeinen untergeordnet [26] werden muß, und daß Ihr sie hier mir nicht anwenden wollet, um mit der Welt über einen ernsten Gegenstand scherzen zu können. Wo ist denn die Einheit in diesem Ganzen? wo liegt das verbindende Prinzip für diesen ungleichartigen Stoff! Ist es eine eigne anziehende Kraft, so müßt Ihr gestehen, daß Religion das Höchste ist in der Philosophie, und daß Metaphysik und Moral nur untergeordnete Abteilungen von ihr sind; denn das worin zwei verschiedene aber entgegengesetzte Begriffe eins werden, kann nichts anders sein, als das Höhere, unter welches sie beide gehören. Liegt dies bindende Prinzip in der Metaphysik, habt Ihr aus Gründen, die ihr angehören, ein höchstes Wesen als moralischen Gesetzgeber erkannt, so vernichtet doch die praktische Philosophie, und gesteht daß sie, und mit ihr die Religion, nur ein kleines Kapitel der theoretischen ist. Wollt Ihr das umgekehrte behaupten; so müssen Metaphysik und Religion von der Moral verschlungen werden, der freilich, nachdem sie glauben gelernt und sich in ihren alten Tagen bequemt hat in ihrem innersten Heiligtume den geheimen Umarmungen zweier sich liebender Welten ein stilles Plätzchen zu bereiten, nichts mehr unmöglich sein mag. Oder wollt Ihr etwa sagen, das Metaphysische in der Religion hänge nicht vom Moralischen ab, und dieses nicht von jenem; es gebe einen wunderbaren Parallelismus zwischen dem Theoretischen und Praktischen, und eben diesen wahrnehmen und darstellen, sei Religion? Freilich zu diesem kann die Auflösung weder in der praktischen Philosophie liegen, denn diese kümmert sich nichts um ihn, noch in der theoretischen, denn diese strebt aufs eifrigste, ihn so weit als möglich zu verfolgen und zu vernichten, wie es denn auch ihres Amts ist. Aber ich denke. Ihr sucht von diesem Bedürfnisse getrieben schon seit einiger Zeit nach einer höchsten Philosophie, in der sich diese beiden Gattungen vereinigen, und seid immer auf dem Sprunge sie zu finden; und so nahe läge dieser die Religion! und die Philosophie müßte wirklich zu ihr flüchten, wie die Gegner derselben so gern behaupten? Gebt wohl Achtung was Ihr da saget. Mit allem dem bekommt Ihr entweder eine Religion die weit über der Philosophie steht, so wie diese sich gegenwärtig befindet, oder Ihr müßt so ehrlich sein, den [27] beiden Teilen derselben wiederzugeben was ihnen gehört, und zu bekennen, daß, was die Religion betrifft. Ihr noch nichts von ihr wißt. Ich will Euch zu dem ersten nicht anhalten, denn ich will keinen Platz besetzen, den ich nicht behaupten könnte, aber zu dem letzten werdet Ihr Euch wohl verstehen. Laßt uns aufrichtig miteinander umgehen. Ihr mögt die Religion nicht, davon sind wir schon neulich ausgegangen; aber indem Ihr einen ehrlichen Krieg gegen sie führt, der doch nicht ganz ohne Anstrengung ist, wollt Ihr doch nicht gegen einen Schatten gefochten haben, wie dieser, mit dem wir uns herumgeschlagen haben; sie muß doch etwas eigenes sein, was in der Menschen Herz hat kommen können, etwas denkbares, wovon sich ein Begriff aufstellen läßt, über den man reden und streiten kann, und ich finde es sehr unrecht, wenn Ihr selbst aus so disparaten Dingen etwas Unhaltbares zusammennähet, das Religion nennt, und dann so viel unnütze Umstände damit macht. Ihr werdet leugnen, daß Ihr hinterlistig zu Werke gegangen seid. Ihr werdet mich auffordern, alle Urkunden der Religion – weil ich doch die Systeme, die Kommentare und die Apologien schon verworfen habe – alle aufzurollen von den schönen Dichtungen der Griechen bis zu den heiligen Schriften der Christen, ob ich nicht überall die Natur der Götter finden werde, und ihren Willen, und überall den heilig und selig gepriesen, der die erstere erkennt und den letztern voll bringt. Aber das ist es ja eben, was ich Euch gesagt habe, daß die Religion nie rein erscheint, das alles sind nur die fremden Teile, die ihr anhängen, und es soll ja unser Geschäft sein, sie von diesen zu befreien. Liefert Euch doch die Körperwelt keinen Urstoff als reines Naturprodukt – Ihr müßtet dann, wie es Euch hier in der intellektuellen ergangen ist, sehr grobe Dinge für etwas Einfaches halten, – sondern es ist nur das unendliche Ziel der analytischen Kunst, einen solchen darstellen zu können; und in geistigen Dingen ist Euch das Ursprüngliche nicht anders zu schaffen, als wenn Ihr es durch eine ursprüngliche Schöpfung in Euch erzeugt, und auch dann nur auf den Moment wo Ihr es erzeugt. Ich bitte Euch, verstehet Euch selbst hierüber, Ihr werdet unaufhörlich daran erinnert werden. Was aber die Urkunden und die Autographa der Religion [28] betrifft, so ist in ihnen diese Einmischung von Metaphysik und Moral nicht bloß ein unvermeidliches Schicksal, sie ist vielmehr künstliche Anlage und hohe Absicht. Was als das erste und letzte gegeben wird, ist nicht immer das wahre und höchste. Wüßtet Ihr doch nur zwischen den Zeilen zu lesen! Alle heilige Schriften sind wie die bescheidenen Bücher, welche vor einiger Zeit in unserem bescheidenen Vaterlande gebräuchlich waren, die unter einem dürftigen Titel wichtige Dinge abhandelten. Sie kündigen freilich nur Metaphysik und Moral an, und gehen gern am Ende in das zurück, was sie angekündigt haben, aber Euch wird zugemutet diese Schale zu spalten. So liegt auch der Diamant in einer schlechten Masse gänzlich verschlossen, aber wahrlich nicht um verborgen zu bleiben, sondern um desto sicherer gefunden zu werden. Proselyten zu machen aus den Ungläubigen, das liegt sehr tief im Charakter der Religion; wer die seinige mitteilt, kann gar keinen andern Zweck haben, und so ist es in der Tat kaum ein frommer Betrug, sondern eine schickliche Methode bei dem anzufangen und um das besorgt zu scheinen, wofür der Sinn schon da ist, damit gelegentlich und unbemerkt sich das einschleiche, wofür er erst aufgeregt werden soll. Es ist, da alle Mitteilung der Religion nicht anders als rhetorisch sein kann, eine schlaue Gewinnung der Hörenden, sie in so guter Gesellschaft einzuführen. Aber dieses Hilfsmittel hat seinen Zweck nicht nur erreicht, sondern überholt, indem selbst Euch unter dieser Hülle ihr eigentliches Wesen verborgen geblieben ist. Darum ist es Zeit die Sache einmal beim andern Ende zu ergreifen, und mit dem schneidenden Gegensatz anzuheben, in welchen sich die Religion gegen Moral und Metaphysik befindet. Das war es was ich wollte. Ihr habt mich mit Euerem gemeinen Begriff gestört; er ist abgetan, hoffe ich, unterbrecht mich nun nicht weiter.
Sie entsagt hiermit, um den Besitz ihres Eigentums anzutreten, allen Ansprüchen auf irgend etwas, was jenen angehört, und gibt alles zurück, was man ihr aufgedrungen hat. Sie begehrt nicht das Universum seiner Natur nach zu bestimmen und zu erklären wie die Metaphysik, sie begehrt nicht aus Kraft der Freiheit und der göttlichen Willkür des Menschen [29] es fortzubilden und fertig zu machen wie die Moral. Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl. Anschauen will sie das Universum, in seinen eigenen Darstellungen und Handlungen will sie es andächtig belauschen, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen lassen. So ist sie beiden in allem entgegengesetzt was ihr Wesen ausmacht, und in allem was ihre Wirkungen charakterisiert, Jene sehen im ganzen Universum nur den Menschen als Mittelpunkt aller Beziehungen, als Bedingung alles Seins und Ursach alles Werdens; sie will im Menschen nicht weniger als in allen andern Einzelnen und Endlichen das Unendliche sehen, dessen Abdruck, dessen Darstellung. Die Metaphysik geht aus von der endlichen Natur des Menschen, und will aus ihrem einfachsten Begriff, und aus dem Umfang ihrer Kräfte und ihrer Empfänglichkeit mit Bewußtsein bestimmen, was das Universum für ihn sein kann, und wie er es notwendig erblicken muß. Die Religion lebt ihr ganzes Leben auch in der Natur, aber in der unendli chen Natur des Ganzen, des Einen und Allen; was in dieser alles Einzelne und so auch der Mensch gilt, und wo alles und auch er treiben und bleiben mag in dieser ewigen Gärung einzelner Formen und Wesen, das will sie in stiller Ergebenheit im Einzelnen anschauen und ahnden. Die Moral geht vom Bewußtsein der Freiheit aus, deren Reich will sie ins Unendliche erweitern, und ihr alles unterwürfig machen; die Religion atmet da, wo die Freiheit selbst schon wieder Natur geworden ist, jenseit des Spiels seiner besondern Kräfte und seiner Personalität faßt sie den Menschen, und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, wo er das sein muß was er ist, er wolle oder wolle nicht. So behauptet sie ihr eigenes Gebiet und ihren eigenen Charakter nur dadurch, daß sie aus dem der Spekulation sowohl als aus dem der Praxis gänzlich herausgeht, und indem sie sich neben beide hinstellt, wird erst das gemeinschaftliche Feld vollkommen ausgefüllt, und die menschliche Natur von dieser Seite vollendet. Sie zeigt sich Euch als das notwendige und unentbehrliche Dritte zu jenen beiden, als ihr natürliches Gegenstück, nicht geringer an Würde und Herrlichkeit, als [30] welches von ihnen Ihr wollt. Spekulation und Praxis haben zu wollen ohne Religion, ist verwegener Übermut, es ist freche Feindschaft gegen die Götter, es ist der unheilige Sinn des Prometheus, der feigherzig stahl, was er in ruhiger Sicherheit hätte fordern und erwarten können. Geraubt nur hat der Mensch das Gefühl seiner Unendlichkeit und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unermeßlichen. Auch haben die Götter von je an diesen Frevel gestraft. Präxis ist Kunst, Spekulation ist Wissenschaft, Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Ohne diese, wie kann sich die erste über den gemeinen Kreis abenteuerlicher und hergebrachter Formen erheben? wie kann die andere etwas besseres werden als ein steifes und mageres Skelett? Oder warum vergißt über alles Wirken nach außen und aufs Universum hin Euere Praxis am Ende eigentlich immer den Menschen selbst zu bilden? weil Ihr ihn dem Universum entgegengesetzt und ihn nicht als einen Teil desselben und als etwas heiliges aus der Hand der Religion empfangt. Wie kommt sie zu der armseligen Einförmigkeit, die nur ein einziges Ideal kennt und dieses überall unterlegt? weil es Euch an dem Grundgefühl der unendlichen und lebendigen Natur fehlt, deren Symbol Mannigfaltigkeit und Individualität ist. Alles Endliche besteht nur durch die Bestimmung seiner Grenzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müssen. Nur so kann es innerhalb dieser Grenzen selbst un endlich sein und eigen gebildet werden, und sonst verliert Ihr alles in der Gleichförmigkeit eines allgemeinen Begriffs. Warum hat Euch die Spekulation so lange statt eines Systems Blendwerke, und statt der Gedanken Worte gegeben? warum war sie nichts als ein leeres Spiel mit Formeln, die immer anders wiederkamen, und denen nie etwas entsprechen wollte? Weil es an Religion gebrach, weil das Gefühl des Unendlichen sie nicht beseelte, und die Sehnsucht nach ihm, und die Ehrfurcht vor ihm ihre feinen luftigen Gedanken nicht nötigte, eine festere Konsistenz anzunehmen, um sich gegen diesen gewaltigen Druck zu erhalten. Vom Anschauen [31] muß alles ausgehen, und wem die Begierde fehlt das Unendliche anzuschauen, der hat keinen Prüfstein und braucht freilich auch keinen, um zu wissen, ob er etwas ordentliches darüber gedacht hat.
Und wie wird es dem Triumph der Spekulation ergehen, dem vollendeten und gerundeten Idealismus, wenn Religion ihm nicht das Gegengewicht hält, und ihn einen höheren Realismus ahnden läßt als den, welchen er so kühn und mit so vollem Recht sich unterordnet? Er wird das Universum vernichten, indem er es zu bilden scheint, er wird es herabwürdigen zu einer bloßen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde unserer eignen Beschränktheit. Opfert mit mir ehrerbietig eine Locke den Manen des heiligen versto ßenen Spinoza! Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe, in heiliger Unschuld und tiefer Demut spiegelte er sich in der ewigen Welt, und sah zu wie auch Er ihr liebenswürdigster Spiegel war; voller Religion war Er und voll heiligen Geistes; und darum steht Er auch da, allein und unerreicht, Meister in seiner Kunst, aber erhaben über die profane Zunft, ohne Jünger und ohne Bürgerrecht.
Anschauen des Universums, ich bitte befreundet Euch mit diesem Begriff, er ist der Angel meiner ganzen Rede, er ist die allgemeinste und höchste Formel der Religion, woraus Ihr jeden Ort in derselben finden könnt, woraus sich ihr Wesen und ihre Grenzen aufs genaueste bestimmen lassen. Alles Anschauen gehet aus von einem Einfluß des Angeschaueten auf den Anschauenden, von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem letzteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefaßt und begriffen wird. Wenn die Ausflüsse des Lichtes nicht – was ganz ohne Euere Veranstaltung geschieht – Euer Organ berührten, wenn die kleinsten Teile der Körper die Spitzen Eurer Finger nicht mechanisch oder chemisch affizierten, wenn der Druck der Schwere Euch nicht einen Widerstand und eine Grenze Eurer Kraft offenbarte, so würdet Ihr nichts anschauen und nichts wahrnehmen, und was Ihr also anschaut und wahrnehmt, ist nicht die Natur der Dinge, sondern ihr Handeln auf Euch. Was Ihr über jene [32] wißt oder glaubt, liegt weit jenseits des Gebiets der Anschauung. So die Religion; das Universum ist in einer ununterbrochenen Tätigkeit und offenbart sich uns jeden Augenblick. Jede Form die es hervorbringt, jedes Wesen dem es nach der Fülle des Lebens ein abgesondertes Dasein gibt, jede Begebenheit die es aus seinem reichen immer fruchtbaren Schöße herausschüttet, ist ein Handeln desselben auf Uns; und so alles Einzelne als einen Teil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen hinnehmen, das ist Religion; was aber darüber hinaus will, und tiefer hineindringen in die Natur und Substanz des Ganzen ist nicht mehr Religion, und wird, wenn es doch noch dafür angesehen sein will, unvermeidlich zurücksinken in leere Mythologie. So war es Religion, wenn die Alten die Beschränkungen der Zeit und des Raumes vernichtend jede eigentümliche Art des Lebens durch die ganze Welt hin als das Werk und Reich eines allgegenwärtigen Wesens ansahen; sie hatten eine eigentümliche Handelsweise des Universum in ihrer Einheit angeschaut und bezeichneten so diese Anschauung; es war Religion wenn sie für jede hilfreiche Begebenheit, wobei die ewigen Gesetze der Welt sich im Zufälligen auf eine einleuchtende Art offenbarten, den Gott dem sie angehörte, mit einem eigenen Beinamen begabten und einen eignen Tempel ihm bauten; sie hatten eine Tat des Universums aufgefaßt, und bezeichneten so ihre Individualität und ihren Charakter, Es war Religion, wenn sie sich über das spröde eiserne Zeitalter der Welt voller Risse und Unebenen erhoben, und das goldene wiedersuchten im Olymp unter dem lustigen Leben der Götter; so schauten sie an die immer rege immer lebendige und heitere Tätigkeit der Welt und ihres Geistes, jenseits alles Wechsels und alles scheinbaren Übels, das nur aus dem Streit endlicher Formen hervorgehet. Aber wenn sie von den Abstammungen dieser Götter eine wunderbare Chronik hatten, oder wenn ein späterer Glaube uns eine lange Reihe von Emanationen und Erzeugungen vorführt, das ist leere Mythologie. Alle Begebenheiten in der Welt als Handlungen eines Gottes vorstellen, das ist Religion, es drückt ihre Beziehung auf ein unendliches Ganzes aus, aber über dem Sein [33] dieses Gottes vor der Welt und außer der Welt grübeln, mag in der Metaphysik gut und nötig sein, in der Religion wird auch das nur leere Mythologie, eine weitere Ausbildung desjenigen, was nur Hilfsmittel der Darstellung ist, als ob es selbst das wesentliche wäre, ein völliges Herausgehen aus dem eigentümlichen Boden. – Anschauung ist und bleibt immer etwas einzelnes, abgesondertes, die unmittelbare Wahrnehmung, weiter nichts; sie zu ver binden und in ein Ganzes zusammenzustellen, ist schon wieder nicht das Geschäft des Sinnes, sondern des abstrakten Denkens. So die Religion; bei den unmittelbaren Erfahrungen vom Dasein und Handeln des Universums, bei den einzelnen Anschauungen und Gefühlen bleibt sie stehen; jede derselben ist ein für sich bestehendes Werk ohne Zusammenhang mit andern oder Abhängigkeit von ihnen; von Ableitung und Anknüpfung weiß sie nichts, es ist unter allem was ihr begegnen kann das, dem ihre Natur am meisten widerstrebt. Nicht nur eine einzelne Tatsache oder Handlung, die man ihre ursprüngliche und erste nennen könnte, sondern alles ist in ihr unmittelbar und für sich wahr. – Ein System von Anschauungen, könnt Ihr Euch selbst etwas wunderlicheres denken? Lassen sich Ansichten, und gar Ansichten des Unendlichen in ein System bringen? Könnt Ihr sagen, man muß dieses so sehen, weil man jenes so sehen mußte? Dicht hinter Euch, dicht neben Euch mag einer stehen, und alles kann ihm anders erscheinen. Oder rücken etwa die möglichen Standpunkte, auf denen ein Geist stehen kann um das Universum zu betrachten, in abgemessenen Entfernungen fort, daß Ihr erschöpfen und aufzählen und das Charakteristische eines jeden genau bestimmen könnt? Sind ihrer nicht unendlich viele, und ist nicht jeder nur ein stetiger Übergang zwischen zwei andern? Ich rede Eure Sprache bei die ser Frage; es wäre ein unendliches Geschäft, und den Begriff von etwas Unendlichem seid Ihr nicht gewohnt mit dem Ausdruck System zu verbinden, sondern den von etwas Beschränktem und in seiner Beschränkung Vollendetem. Erhebt Euch einmal – es ist doch für die meisten unter Euch ein Erheben – zu jenem Unendlichen der sinnlichen Anschauung, dem bewunderten und gefeierten Sternenhimmel. Die astronomischen [34] Theorien, die tausend Sonnen mit ihren Weltsystemen um eine gemeinschaftliche führen, und für diese wiederum ein höheres Weltsystem suchen, welches ihr Mittelpunkt sein könnte, und so fort ins Unendliche nach innen und nach außen, diese werdet Ihr doch nicht ein System von Anschauungen als solchen nennen wollen? Das Einzige dem ihr diesen Namen beilegen könnt, wäre die uralte Arbeit jener kindlichen Gemüter, die die unendliche Menge dieser Erscheinungen in bestimmte aber dürftige und unschickliche Bilder gefaßt haben. Ihr wißt aber, daß darin kein Schein von System ist, daß noch immer Gestirne zwischen diesen Bildern entdeckt werden, daß auch innerhalb ihrer Grenzen alles unbestimmt und unendlich ist, und daß sie selbst etwas rein willkürliches und höchst bewegliches bleiben. Wenn Ihr einen überredet habt mit Euch das Bild des Wagens in die blaue Folie der Welten hineinzuzeichnen, bleibt es ihm nicht demohngeachtet frei die nächstgelegenen Welten in ganz andere Umrisse zusammenzufassen als die Eurigen sind? Dieses unendliche Chaos, wo freilich jeder Punkt eine Welt vorstellt, ist eben als solches in der Tat das schicklichste und höchste Sinnbild der Religion; in ihr wie in ihm ist nur das Einzelne wahr und notwendig, nichts kann oder darf aus dem andern bewiesen werden, und alles Allgemeine, worunter das Einzelne befaßt werden soll, alle Zusammenstellung und Verbindung liegt entweder in einem fremden Gebiet, wenn sie auf das Innre und Wesentliche bezogen werden soll, oder ist nur ein Werk der spielenden Phantasie und der freiesten Willkür. Wenn Tausende von Euch dieselben religiösen Anschauungen haben könnten, so würde gewiß jeder andere Umrisse ziehen, um fest zu halten wie er sie neben oder nacheinander erblickt hat; es würde dabei nicht etwa auf sein Gemüt, nur auf einen zufälligen Zustand, auf eine Kleinigkeit ankommen. Jeder mag seine eigne Anordnung haben und seine eigene Rubriken, das Einzelne kann dadurch weder gewinnen noch verlieren, und wer wahrhaft um seine Religion und ihr Wesen weiß, wird jeden scheinbaren Zusammenhang dem Einzelnen tief unterordnen, und ihm nicht das [35] kleinste von diesem aufopfern. Eben wegen dieser selbständigen Einzelheit ist das Gebiet der Anschauung so unendlich.
Stellt Euch an den entferntesten Punkt der Körper welt, Ihr werdet von dort aus nicht nur dieselben Gegenstände in einer andern Ordnung sehen und wenn Ihr Euch an Eure vorigen willkürlichen Bilder halten wollt, die Ihr dort nicht wiederfindet, ganz verirrt sein; sondern Ihr werdet in neuen Regionen noch ganz neue Gegenstände entdecken. Ihr könnt nicht sagen, daß Euer Horizont, auch der weiteste, alles umfaßt, und daß jenseits desselben nichts mehr anzuschauen sei, oder daß Eurem Auge auch dem bewaffnetsten innerhalb desselben nichts entgehe: Ihr findet nirgends Grenzen, und könnt Euch auch keine denken. Von der Religion gilt dies in einem noch weit höheren Sinne; von einem entgegengesetzten Punkte aus würdet Ihr nicht nur in neuen Gegenden neue Anschauungen erhalten, auch in dem alten wohlbekannten Raume würden sich die ersten Elemente in andere Gestalten vereinigen und alles würde anders sein. Sie ist nicht nur deswegen unendlich, weil Handeln und Leiden auch zwischen demselben beschränkten Stoff und dem Gemüt ohne Ende wechselt – Ihr wißt daß dies die einzige Unendlichkeit der Spekulation ist – nicht nur deswegen weil sie nach innen zu unvollendbar ist wie die Moral, sie ist unendlich, nach allen Seiten, ein Unendliches des Stoffs und der Form, des Seins, des Sehens und des Wissens darum. Dieses Gefühl muß Jeden begleiten der wirklich Religion hat. Jeder muß sich bewußt sein, daß die seinige nur ein Teil des Ganzen ist, daß es über dieselben Gegenstände, die ihn religiös affizieren, Ansichten gibt, die eben so fromm sind und doch von den seinigen gänzlich verschieden, und daß aus andern Elementen der Religion Anschauungen und Gefühle ausfließen, für die ihm vielleicht gänzlich der Sinn fehlt. Ihr seht wie unmittelbar diese schöne Bescheidenheit, diese freundliche einladende Duldsamkeit aus dem Begriff der Religion entspringt, und wie innig sie sich an ihn anschmiegt. Wie unrecht wendet Ihr Euch also an die Religion mit Eueren Vorwürfen, daß sie verfolgungssüchtig sei und gehässig, daß sie die Gesellschaft zerrütte und Blut fließen lasse wie Wasser. Klaget dessen diejenigen an, welche die Religion verderben, [36] welche sie mit Philosophie überschwemmen und sie in die Fesseln eines Systems schlagen wollen. Worüber denn in der Religion hat man gestritten, Partei gemacht und Kriege entzündet? Über die Moral bisweilen und über die Metaphysik immer, und beide gehören nicht hinein. Die Philosophie wohl strebt diejenigen, welche wissen wollen, unter ein gemeinschaftliches Wissen zu bringen, wie Ihr das täglich sehet, die Religion aber nicht diejenigen welche glauben und fühlen, unter Einen Glauben und Ein Gefühl. Sie strebt wohl denen, welche noch nicht fähig sind das Universum anzuschauen, die Augen zu öffnen, denn jeder Sehende ist ein neuer Priester, ein neuer Mittler, ein neues Organ; aber eben deswegen flieht sie mit Widerwillen die kahle Einförmigkeit, welche diesen göttlichen Überfluß wieder zerstören würde. Die Systemsucht stößt freilich das Fremde ab, sei es auch noch so denkbar und wahr, weil es die wohlgeschlossenen Reihen des Eigenen verderben, und den schönen Zusammenhang stören könnte, indem es seinen Platz forderte; in ihr ist der Sitz der Widersprüche, sie muß streiten und verfolgen; denn insofern das Einzelne wieder auf etwas Einzelnes und Endliches bezogen wird, kann freilich Eins das Andere zerstören durch sein Dasein; im Unendlichen aber steht alles Endliche ungestört nebeneinander, alles ist Eins und alles ist wahr. Auch haben nur die Systematiker dies alles angerichtet. Das neue Rom, das gottlose aber konsequente schleudert Bannstrahlen und stößt Ketzer aus; das alte, wahrhaft fromm und religiös im hohen Stil war gastfrei gegen jeden Gott, und so wurde es der Götter voll. Die Anhänger des toten Buchstabens den die Religion auswirft, haben die Welt mit Geschrei und Getümmel erfüllt, die wahren Beschauer des Ewigen waren immer ruhige Seelen, entweder allein mit sich und dem Unendlichen, oder wenn sie sich umsahen, jedem der das große Wort nur verstand, seine eigne Art gern vergönnend. Mit diesem weiten Blick und diesem Gefühl des Unendlichen sieht sie aber auch das an was außer ihrem eigenen Gebiete liegt, und enthält in sich die Anlage zur unbeschränktesten Vielseitigkeit im Urteil und in der Betrachtung, welche in der Tat anderswoher nicht zu nehmen ist. Lasset irgend etwas anders den Menschen beseelen – ich schließe die Sittlichkeit [37] nicht aus noch die Philosophie, und berufe mich vielmehr ihretwegen auf Eure eigne Erfahrung – sein Denken und sein Streben, worauf es auch gerichtet sei, zieht einen engen Kreis um ihn, in welchem sein Höchstes eingeschlossen liegt, und außer welchem ihm alles gemein und unwürdig erscheint. Wer nur systematisch denken und nach Grundsatz und Absicht handeln, und dies und jenes ausrichten will in der Welt, der umgrenzt unvermeidlich sich selbst und setzt immerfort dasjenige sich entgegen zum Gegenstande des Widerwillens was sein Tun und Treiben nicht fördert. Nur der Trieb anzuschauen, wenn er aufs Unendliche gerichtet ist, setzt das Gemüt in unbeschränkte Freiheit, nur die Religion rettet es von den schimpflichsten Fesseln der Meinung und der Begierde. Alles was ist, ist für sie notwendig, und alles was sein kann, ist ihr ein wahres unentbehrliches Bild des Unendlichen; wer nur den Punkt findet, woraus seine Beziehung auf dasselbe sich entdecken läßt. Wie verwerflich auch etwas in andern Beziehungen oder an sich selbst sei, in dieser Rücksicht ist es immer wert zu sein und aufbewahrt und betrachtet zu werden. Einem frommen Gemüte macht die Religi on alles heilig und wert, sogar die Unheiligkeit und die Gemeinheit selbst, alles was es faßt und nicht faßt, was in dem System seiner eigenen Gedanken liegt und mit seiner eigentümlichen Handelsweise übereinstimmt oder nicht; sie ist die einzige und geschworne Feindin aller Pedanterie und aller Einseitigkeit. – Endlich um das allgemeine Bild der Religion zu vollenden, erinnert Euch, daß jede Anschauung ihrer Natur nach mit einem Gefühl verbunden ist. Euere Organe vermitteln den Zusammenhang zwischen dem Gegenstande und Euch, derselbe Einfluß des letztern, der Euch sein Dasein offenbaret, muß sie auf mancherlei Weise erregen, und in Eurem innern Bewußtsein eine Veränderung hervorbringen. Dieses Gefühl, das Ihr freilich oft kaum gewahr werdet, kann in andern Fällen zu einer solchen Heftigkeit heranwachsen, daß Ihr des Gegenstandes und Euerer selbst darüber vergeßt. Euer ganzes Nervensystem kann so davon durchdrungen werden, daß die Sensation lange allein herrscht und lange noch nachklingt, und der Wirkung anderer Eindrücke widersteht; aber daß ein Handeln in Euch [38] hervorgebracht, die Selbsttätigkeit Eures Geistes in Bewegung gesetzt wird, das werdet Ihr doch nicht den Einflüssen äußerer Gegenstände zuschreiben? Ihr werdet doch gestehen, daß das weit außer der Macht auch der stärksten Gefühle liege, und eine ganz andere Quelle haben müsse in Euch. So die Religion; dieselben Handlungen des Universums, durch welche es sich Euch im Endlichen offenbart, bringen es auch in ein neues Verhältnis zu Eurem Gemüt und Eurem Zustand; indem Ihr es anschauet müßt Ihr notwendig von mancherlei Gefühlen ergriffen werden. Nur daß in der Religion ein anderes und festeres Verhältnis zwischen der Anschauung und dem Gefühl stattfindet, und nie jene so sehr überwiegt daß dieses beinahe verlöscht wird. Im Gegenteil ist es wohl ein Wunder, wenn die ewige Welt auf die Organe unseres Geistes so wirkt wie die Sonne auf unser Auge? wenn sie uns so blendet, daß nicht nur in dem Augenblick alles übrige verschwindet, sondern auch noch lange nachher alle Gegenstände die wir betrachten, mit dem Bilde derselben bezeichnet und von ihrem Glanz übergossen sind? So wie die besondere Art wie das Universum sich Euch in Euren Anschauungen darstellt, das Eigentümliche Eurer individuellen Religion ausmacht, so bestimmt die Stärke dieser Gefühle den Grad der Religiosität. Je gesunder der Sinn, desto schärfer und bestimmter wird er jeden Eindruck auffassen, je sehnlicher der Durst, je unaufhaltsamer der Trieb das Unendliche zu ergreifen, desto mannigfaltiger wird das Gemüt selbst überall und ununterbrochen von ihm ergriffen werden, desto vollkommner werden diese Eindrücke es durchdringen, desto leichter werden sie immer wieder erwa chen, und über alle andere die Oberhand behalten. So weit geht an dieser Seite das Gebiet der Religion, ihre Gefühle sollen uns besitzen, wir sollen sie aussprechen, festhalten, darstellen; wollt Ihr aber darüber hinaus mit ihnen, sollen sie eigentliche Handlungen veranlassen, und zu Taten antreiben, so befindet Ihr Euch auf einem fremden Gebiet; und haltet Ihr dies dennoch für Religion, so seid Ihr, wie vernünftig und löblich Euer Tun auch aussehe, versunken in unheilige Superstition. Alles eigentliche Handeln soll moralisch sein und kann es auch, aber die religiösen Gefühle sollen wie eine heilige Musik alles Tun des Menschen [39] begleiten; er soll alles mit Religion tun, nichts aus Religion. Wenn Ihr es nicht versteht, daß alles Handeln moralisch sein soll, so setze ich hinzu, daß dies auch von allem andern gilt. Mit Ruhe soll der Mensch handeln, und was er unternehme, das geschehe mit Besonnenheit. Fraget den sittlichen Menschen, fraget den politischen, fraget den künstlerischen, alle werden sagen, daß dies ihre erste Vorschrift sei; aber Ruhe und Besonnenheit ist verloren, wenn der Mensch sich durch die heftigen und erschütternden Gefühle der Religion zum Handeln treiben läßt. Auch ist es unnatürlich daß dieses geschehe, die religiösen Gefühle lahmen ihrer Natur nach die Tatkraft des Menschen, und laden ihn ein zum stillen hingegebenen Genuß; daher auch die religiösesten Men schen, denen es an andern Antrieben zum Handeln fehlte, und die nichts waren als religiös, die Welt verließen, und sich ganz der müßigen Beschauung ergaben. Zwingen muß der Mensch erst sich und seine frommen Gefühle, ehe sie Handlungen aus ihm herauspressen, und ich darf mich nur auf Euch berufen, es gehört ja mit zu Euren Anklagen, daß so viel sinnlose und unnatürliche auf diesem Wege zustande gekommen sind. Ihr seht, ich gebe Euch nicht nur diese preis, sondern auch die vortrefflichsten und löblichsten. Ob bedeutungslose Gebräuche gehandhabt oder gute Werke verrichtet, ob auf blutenden Altären Menschen geschlachtet oder ob sie mit wohltätiger Hand beglückt werden, ob in toter Untätigkeit das Leben hingebracht wird, oder in schwerfälliger geschmackloser Ordnung, oder in leichter üppiger Sinnenlust, das sind freilich, wenn von Moral oder vom Leben und von weltlichen Beziehungen die Rede ist, himmelweit voneinander unterschiedene Dinge; sollen sie aber zur Religion gehören und aus ihr hervorgegangen sein, so sind sie alle einander gleich, nur sklavischer Aberglaube eins wie das andere. Ihr tadelt denjenigen, der durch den Eindruck, welchen ein Mensch auf ihn macht, sein Verhalten gegen ihn bestimmen läßt. Ihr wollt daß auch das richtigste Gefühl über die Gegenwirkung des Menschen uns nicht zu Handlungen verleiten soll, wozu wir keinen bessern Grund haben; so ist also auch derjenige zu tadeln, dessen Handlungen, die immer aufs Ganze gerichtet sein sollten, lediglich durch die Gefühle [40] bestimmt werden, die eben dieses Ganze in ihm erweckt; er wird ausgezeichnet als ein solcher, der seine Würde preisgibt, nicht nur aus dem Standpunkt der Moral, weil er fremden Beweggründen Raum läßt, sondern auch aus dem der Religion selbst, weil er aufhört zu sein, was ihm allein in ihren Augen einen eigentümlichen Wert gibt, ein freier durch eigene Kraft tätiger Teil des Ganzen. Dieser gänzliche Mißverstand, daß die Religion handeln soll, kann nicht anders als zugleich ein furchtbarer Mißbrauch sein, und auf welche Seite sich auch die Tätigkeit wende, in Unheil und Zerrüttung endigen. Aber bei ruhigem Handeln, welches aus seiner eigenen Quelle hervorgehen muß, die Seele voll Religion haben, das ist das Ziel des Frommen. Nur böse Geister, nicht gute, besitzen den Menschen und treiben ihn, und die Legion von Engeln womit der himmlische Vater seinen Sohn ausgestattet hatte, waren nicht in ihm, sondern um ihn her; sie halfen ihm auch nicht in seinem Tun und Lassen, und sollten es auch nicht, aber sie flößten Heiterkeit und Ruhe in die von Tun und Denken ermattete Seele; er verlor sie wohl bisweilen aus den Augen, in Augenblicken, wo seine ganze Kraft zum Handeln aufgeregt war, aber dann umschwebten sie ihn wieder in fröhlichem Gedränge und dienten ihm. – Ehe ich Euch aber in das Einzelne dieser Anschauungen und Gefühle hineinführe, welches allerdings mein nächstes Geschäft an Euch sein muß, so vergönnt mir zuvor einen Augenblick darüber zu trauern, daß ich von beiden nicht anders als getrennt reden kann; der feinste Geist der Religion geht dadurch verloren für meine Rede, und ich kann ihr innerstes Geheimnis nur schwankend und unsicher enthüllen. Aber eine notwendige Reflexion trennt beide, und wer kann über irgend etwas, das zum Bewußtsein gehört, reden, ohne erst durch dieses Medium hindurchzugehen. Nicht nur wenn wir eine innere Handlung des Gemüts mitteilen, auch wenn wir sie nur in uns zum Stoff der Betrachtung machen, und zum deutlichen Bewußtsein erhöhen wollen, geht gleich diese unvermeidliche Scheidung vor sich: das Faktum vermischt sich mit dem ursprünglichen Bewußtsein unserer doppelten Tätigkeit, der herrschenden und nach außen wirkenden, und der bloß zeichnenden und nachbildenden, welche den Dingen [41] vielmehr zu dienen scheint, und sogleich bei dieser Berührung zerlegt sich der einfachste Stoff in zwei entgegengesetzte Elemente: die einen treten zusammen zum Bilde eines Objekts, die andern dringen durch zum Mittelpunkt unsers Wesens, brausen dort auf mit unsern ursprünglichen Trieben und entwickeln ein flüchtiges Gefühl. Auch mit dem innersten Schaffen des religiösen Sinnes können wir diesem Schicksal nicht entgehen; nicht anders als in dieser getrennten Gestalt können wir seine Produkte wieder zur Oberfläche herauffördern und mitteilen. Nur denkt nicht – dies ist eben einer von den gefährlichsten Irrtümern – daß religiöse Anschauungen und Gefühle auch ursprünglich in der ersten Handlung des Gemüts so abgesondert sein dürfen, wie wir sie leider hier betrachten müssen. Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder den rechten Ursprung noch die rechte Kraft haben, Gefühl ohne Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und deswegen etwas, wenn und weil sie ursprünglich Eins und ungetrennt sind. Jener erste geheimnisvolle Augenblick, der bei jeder sinnlichen Wahrnehmung vorkommt, ehe noch Anschauung und Gefühl sich trennen, wo der Sinn und sein Gegenstand gleichsam ineinander geflossen und Eins geworden sind, ehe noch beide an ihren ursprünglichen Platz zurückkehren – ich weiß wie unbeschreiblich er ist, und wie schnell er vorüber geht, ich wollte aber Ihr könntet ihn festhalten und auch in der höheren und göttlichen religiösen Tätigkeit des Gemüts ihn wieder erkennen. Könnte und dürfte ich ihn doch aussprechen, andeuten wenigstens, ohne ihn zu entheiligen! Flüchtig ist er und durchsichtig wie der erste Duft womit der Tau die erwachten Blumen anhaucht, schamhaft und zart wie ein jungfräulicher Kuß, heilig und fruchtbar wie eine bräutliche Umarmung; ja nicht wie dies, sondern er ist alles dieses selbst. Schnell und zauberisch entwickelt sich eine Erscheinung eine Begebenheit zu einem Bilde des Universums. So wie sie sich formt die geliebte und immer gesuchte Gestalt, flieht ihr meine Seele entgegen, ich umfange sie nicht wie einen Schatten, sondern wie das heilige Wesen selbst. Ich liege am Busen der unendlichen Welt: ich bin in diesem Augenblick ihre Seele, denn ich fühle alle ihre Kräfte und ihr unendliches [42] Leben, wie mein eigenes, sie ist in diesem Augenblicke mein Leib, denn ich durchdringe ihre Muskeln und ihre Glieder wie meine eigenen, und ihre innersten Nerven bewegen sich nach meinem Sinn und meiner Ahndung wie die meinigen. Die geringste Erschütterung, und es verweht die heilige Umarmung, und nun erst steht die Anschauung vor mir als eine abgesonderte Gestalt, ich messe sie, und sie spiegelt sich in der offenen Seele wie das Bild der sich entwindenden Geliebten in dem aufgeschlagenen Auge des Jünglings, und nun erst arbeitet sich das Gefühl aus dem Innern empor, und verbreitet sich wie die Röte der Scham und der Lust auf seiner Wange. Dieser Moment ist die höchste Blüte der Religion. Könnt ich ihn Euch schaffen, so wäre ich ein Gott – das heilige Schicksal verzeihe mir nur, daß ich mehr als Eleusische Mysterien habe aufdecken müssen – Er ist die Geburtsstunde alles Le bendigen in der Religion. Aber es ist damit wie mit dem ersten Bewußtsein des Menschen, welches sich in das Dunkel einer ursprünglichen und ewigen Schöpfung zurückzieht, und ihm nur das hinterläßt was es erzeugt hat. Nur die Anschauungen und Gefühle kann ich Euch vergegenwärtigen, die sich aus solchen Momenten entwickeln. Das aber sei Euch gesagt: wenn Ihr diese noch so vollkommen versteht, wenn Ihr sie in Euch zu haben glaubt im klarsten Bewußtsein, aber Ihr wißt nicht und könnt es nicht aufzeigen, daß sie aus solchen Augenblicken in Euch entstanden und ursprünglich Eins und ungetrennt gewesen sind, so überredet Euch und mich nicht weiter, es ist dem doch nicht so, Euere Seele hat nie empfangen, es sind nur untergeschobene Kinder, Erzeugnisse anderer Seelen, die Ihr im heimlichen Gefühl der eignen Schwäche adoptiert habt. Als unheilige und entfernt von allem göttlichen Leben bezeichne ich Euch diejenigen, die also herumgehen und sich brüsten mit Religion. Da hat der eine Anschauungen der Welt und Formeln, welche sie ausdrücken sollen, und der andere hat Gefühle und innere Erfahrungen, wodurch er sie dokumentiert. Jener flicht seine Formeln übereinander, und dieser webt eine Heilsordnung aus seinen Erfahrungen, und nun ist Streit wieviel Begriffe und Erklärungen man nehmen müsse, und wieviel Rührungen und Empfindungen, um daraus [43] eine tüchtige Reli gion zusammenzusetzen die weder kalt noch schwärmerisch wäre. Ihr Toren und träges Herzens! wißt Ihr nicht daß das alles nur Zersetzungen des religiösen Sinnes sind, die Eure eigne Reflexion hätte machen müssen, und wenn Ihr Euch nun nicht bewußt seid etwas gehabt zu haben, was sie zersetzen konnte, wo habt Ihr denn dieses her? Gedächtnis habt Ihr und Nachahmung, aber keine Religion. Erzeugt habt Ihr die Anschauungen nicht wozu Ihr die Formeln wißt, sondern diese sind auswendig gelernt und aufbewahrt, und Euere Gefühle sind mimisch nachgebildet wie fremde Physiognomien, und eben deswegen Karikatur, Und aus diesen abgestorbenen und verderbten Teilen wollt Ihr eine Religion zusammensetzen? Zerlegen kann man wohl die Säfte eines organischen Körpers in seine nächsten Bestandteile; aber nehmt nun diese ausgeschiedenen Elemente, mischt sie in jedem Verhältnis behandelt sie auf jedem Wege, werdet Ihr wieder Herzensblut daraus machen können? Wird das was einmal tot ist, sich wieder in einem lebenden Körper bewegen und mit ihm einigen können? Die Erzeugnisse der lebenden Natur aus ihren getrennten Bestandteilen zu restituieren, daran scheitert jede menschliche Kunst, und so wird es Euch mit der Religion nicht gelingen, wenn Ihr Euch ihre einzelnen Elemente auch noch so vollkommen von außen an und eingebildet habt; von innen muß sie hervorgehen. Das göttliche Leben ist wie ein zartes Gewächs, dessen Blüten sich noch in der umschlossenen Knospe befruchten, und die heiligen Anschauungen und Gefühle, die Ihr trocknen und aufbewahren könnt, sind die schönen Kelche und Kronen, die sich bald nach jener verborgenen Handlung öffnen, aber auch bald wieder abfallen. Es treiben aber immer wieder neue aus der Fülle des innern Lebens – denn das göttliche Gewächs bildet um sich her ein paradiesisches Klima dem keine Jahreszeit schadet – und die alten bestreuen und zieren dankbar den Boden der die Wurzeln deckt von denen sie genährt wurden, und duften noch in lieblicher Erinnerung zu dem Stamme empor, der sie trug. Aus diesen Knospen und Kronen und Kelchen will ich Euch jetzt einen heiligen Kranz winden.
Zur äußeren Natur, welche von so Vielen für den ersten [44] und vornehmsten Tempel der Gottheit, für das innerste Heiligtum der Religion gehalten wird, führe ich Euch nur als zum äußersten Vorhof derselben. Weder Furcht vor den materiellen Kräften die Ihr auf dieser Erde geschäftig seht, noch Freude an den Schönheiten der körperlichen Natur, soll oder kann Euch die erste Anschauung der Welt und ihres Geistes geben. Nicht im Donner des Himmels noch in den furchtbaren Wogen des Meeres sollt Ihr das allmächtige Wesen erkennen, nicht im Schmelz der Blumen noch im Glanz der Abendröte das Liebliche und Gü tevolle. Es mag sein, daß beides Furcht und freudiger Genuß die roheren Söhne der Erde zuerst auf die Religion vorbereitete, aber diese Empfindungen selbst sind nicht Religion. Alle Ahndungen des Unsichtbaren, die den Menschen auf diesem Wege gekommen sind, waren nicht religiös sondern philosophisch, nicht Anschauungen der Welt und ihres Geistes – denn es sind nur Blicke auf das unbegreifliche und unermeßliche Einzelne – sondern Suchen und Forschen nach Ursach und erster Kraft. Es ist mit diesen rohen Anfängen in der Religion wie mit allem was zur ursprünglichen Einfalt der Natur gehört. Nur so lange diese noch da ist, hat es die Kraft das Gemüt so zu bewegen; es kommt auf den Gipfel der Vollendung, auf dem wir aber noch nicht stehen, vielleicht wieder durch Kunst und Willkür in eine höhere Gestalt verwandelt, auf dem Wege der Bildung aber geht es unvermeidlich und glücklicherweise verloren, denn es würde ihren Gang nur hemmen. Auf diesem Wege befinden wir uns, und Uns kann also durch diese Bewegungen des Gemüts keine Religion kommen. Das ist ja das große Ziel alles Fleißes, der auf die Bildung der Erde verwendet wird, daß die Herrschaft der Naturkräfte über den Menschen vernichtet werde, und alle Furcht vor ihnen aufhöre; wie können wir also in dem was wir zu bezwingen trachten, und zum Teil schon bezwungen haben, das Universum anschauen? Jupi ters Blitze schrecken nicht mehr seitdem Vulkan uns einen Schild dagegen verfertigt hat. Vesta schützt was sie dem Neptun abgewann gegen die zornigsten Schläge seines Tridents, und die Söhne des Mars vereinigen sich mit denen des Äskulaps, um uns gegen die schnelltötenden Pfeile Apollos zu sichern. [45] So vernichtet von jenen Göttern, so fern die Furcht sie gebildet hatte, einer den andern, und seitdem Prometheus uns gelehrt hat, bald diesen bald jenen zu bestechen, steht der Mensch als Sieger lächelnd über ihrem allgemeinen Kriege.
Den Weltgeist zu lieben und freudig seinem Wirken zuzuschauen, das ist das Ziel unserer Religion, und Furcht ist nicht in der Liebe. Nicht anders ist es mit jenen Schönheiten des Erdballs welche der kindliche Mensch mit so inniger Liebe umfaßt. Was ist jenes zarte Spiel der Farben, das Euer Auge in allen Erscheinungen des Firmaments ergötzt, und einen Blick mit so vielem Wohlgefallen festhält, auf den lieblichsten Produkten der vegetabilischen Natur? Was ist es, nicht in Eurem Auge sondern in und fürs Universum? denn so müsset Ihr doch fragen, wenn es etwas sein soll für Euere Religion. Es verschwindet als ein zufälliger Schein, so bald Ihr an den allverbreiteten Stoff denkt, dessen Entwickelungen es begleitet. Bedenkt daß Ihr in einem dunkeln Keller die Pflanze aller dieser Schönheiten berauben könnt, ohne ihre Natur zu zerstören; bedenkt daß der herrliche Schein, in dessen Reben Eure ganze Seele mitlebt, nichts ist, als daß die gleichen Ströme des Lichts sich nur anders brechen in einem größern Meere irdischer Dünste, daß dieselben mittäglichen Strahlen, deren Blendung Ihr nicht ertragt, denen gegen Osten schon als die flimmernde Abendröte erscheint – und das müßt Ihr doch bedenken, wenn Ihr diese Dinge im Ganzen ansehen wollt – so werdet Ihr finden, daß diese Erscheinungen, so stark sie Euch auch rühren, zu Anschauungen der Welt doch nicht geeignet sind. Vielleicht daß wir einst auf einer höhern Stufe dasjenige was wir uns hier auf Erden unterwerfen sollen, im ganzen Weltraum verbreitet und gebietend finden, und uns dann ein heiliger Schauer erfüllt, über die Einheit und Allgegenwart auch der körperlichen Kraft; vielleicht daß wir einst mit Erstaunen auch in diesem Schein denselben Geist entdecken, der das Ganze beseelt; aber das wird etwas andres und höheres sein als diese Furcht und diese Liebe, und jetzt brauchen die Helden der Vernunft unter Euch nicht zu spotten darüber, daß man [46] durch Erniedrigung unter den toten Stoff und durch leere Poesie sie zur Religion führen wolle, und die empfindsamen Seelen dürfen nicht glauben daß es so leicht sei hinzugelangen zu ihr. Freilich gibt es etwas wesentlicheres anzuschauen in der körperlichen Natur als dieses. Die Unendlich keit derselben, die ungeheuren Massen ausgestreut in jenen unübersehlichen Raum, durchlaufend unermeßliche Bahnen, das wirft doch den Menschen nieder in Ehrfurcht bei dem Gedanken und dem Anblick der Welt? Nur das, ich bitte Euch, was Ihr hierbei empfindet, rechnet mir nicht zur Religion. Der Raum und die Masse machen nicht die Welt aus und sind nicht der Stoff der Religion; darin die Unendlichkeit zu suchen, ist eine kindische Denkungsart. Als nicht die Hälfte jener Welten entdeckt war, ja als man noch gar nicht wußte, daß leuchtende Punkte Weltkörper wären, war dennoch das Universum nicht weniger herrlich anzuschauen als jetzt, und es gab nicht mehr Entschuldigung für den Verächter der Religion als jetzt. Ist nicht der begrenzteste Körper in dieser Rücksicht eben so unendlich als alle jene Welten? Die Unfähigkeit Eurer Sinne kann nicht der Stolz Eures Geistes sein, und was macht sich der Geist aus Zahlen und Größen, da er ihre ganze Unendlichkeit in kleine Formeln zusammenfassen und damit rechnen kann wie mit dem unbedeutendsten? Was in der Tat den religiösen Sinn anspricht in der äußern Welt, das sind nicht ihre Massen sondern ihre Gesetze. Erhebt Euch zu dem Blick wie diese alles umfassen, das größeste und das kleinste, die Weltsysteme und das Stäubchen, welches unstet in der Luft umherflattert, und dann sagt, ob Ihr nicht anschaut die göttliche Einheit und die ewige Unwandelbarkeit der Welt. Was das gemeine Auge von diesen Gesetzen zuerst wahrnimmt, die Ordnung in der alle Bewegungen wiederkehren am Himmel und auf der Erde die bestimmte Laufbahn der Gestirne und das gleichmäßige Kommen und Gehen aller organischen Kräfte, die immerwährende Untrüglichkeit in der Regel des Mechanismus, und die ewige Einförmigkeit in dem Streben der plastischen Natur; das ist an dieser Anschauung des Universums gerade das wenigste. Wenn Ihr von einem großen Kunstwerke nur ein einzelnes Stück betrachtet, und in den [47] einzelnen Teilen dieses Stücks wiederum ganz für sich schöne Umrisse und Verhältnisse wahrnehmt, die in diesem Stück geschlossen sind, und deren Regel sich aus ihm ganz übersehen läßt, wird Euch dann nicht das Stück mehr ein Werk für sich zu sein scheinen, als ein Teil eines Werkes? werdet Ihr nicht urteilen, daß es dem Ganzen, wenn es durchaus in diesem Stil gearbeitet ist, an Schwung und Kühnheit und allem was einen großen Geist ahnden läßt, fehlen müßte? Wo Ihr eine erhabene Einheit, einen großgedachten Zusammenhang ahnden sollt, da muß es neben der allgemeinen Tendenz zur Ordnung und Harmonie notwendig im Einzelnen Verhältnisse geben, die sich aus ihm selbst nicht völlig verstehen lassen. Auch die Welt ist ein Werk, wovon Ihr nur einen Teil überseht, und wenn dieser vollkommen in sich selbst geordnet und vollendet wäre, könntet Ihr Euch von dem Ganzen keinen hohen Begriff machen. Ihr sehet, daß dasjenige, was oft dazu dienen soll die Religion zurückzuweisen, vielmehr einen größern Wert für sie hat in der Weltanschauung, als die Ordnung, die sich zuerst darbietet, und sich aus einem kleineren Teil übersehen läßt. Nur niedere Gottheiten, dienende Jungfrauen hatten die Aufsicht in der Religion der Alten über das gleichförmig Wiederkehrende, dessen Ordnung schon gefunden war, aber die Abweichungen, die man nicht begriff, die Revolutionen, für die es keine Gesetze gab, diese eben waren das Werk des Vaters der Götter. Die Perturbationen in dem Laufe der Gestirne deuten auf eine höhere Einheit, auf eine kühnere Verbindung als die, welche wir schon aus der Regelmäßigkeit ihrer Bahnen gewahr werden, und die Anomalien, die müßigen Spiele der plastischen Natur zwingen uns zu sehen, daß sie ihre bestimmtesten Formen mit einer Willkür, mit einer Phantasie gleichsam, behandelt, deren Regel wir nur aus einem höheren Standpunkte entdecken könnten. Wie weit sind wir noch von demjenigen entfernt, welcher der höchste wäre, und wie unvollendet bleibt uns also diese Anschauung der Welt! – Betrachtet das Gesetz nach welchem sich überall in der Welt so weit Ihr sie überseht das Lebende zu dem verhält, was in Rücksicht desselben für tot zu halten ist, wie alles sich nährt und den toten Stoff gewaltsam hineinzieht in sein [48] Leben, wie sich uns von allen Seiten entgegendrängt der aufgespeicherte Vorrat für alles Lebende, der nicht tot da liegt, sondern selbst lebend sich überall aufs neue wieder erzeugt, wie bei aller Mannigfaltigkeit der Lebensformen und der ungeheuren Menge von Materien, den jede wechselnd verbraucht, dennoch jede zur Genüge hat, um den Kreis ihres Daseins zu durchlaufen, und jede nur einem innern Schicksal unterliegt und nicht einem äußeren Mangel, welche unendliche Fülle offenbart sich da, – welch‘ überfließender Reichtum! Wie werden wir ergriffen von dem Eindruck der mütterlichen Vorsorge, und von kindlicher Zuversicht das süße Leben sorglos wegzuspielen in der vollen und reichen Welt. Sehet die Lilien auf dem Felde, sie säen nicht und ernten nicht, und Euer himmlischer Vater ernährt sie doch, darum sorget nicht. Dieser fröhliche Anblick, dieser heitere leichte Sinn war aber auch das Höchste, ja das Einzige, was einer der größten Heroen der Religion für die seinige aus der Anschauung der Natur gewann; wie sehr muß sie ihm also nur im Vorhof derselben gelegen haben! – Eine größere Ausbeute gewährt sie freilich uns, denen ein reicheres Zeitalter tiefer in ihr innerstes zu dringen vergönnt hat; ihre chemischen Kräfte, die ewigen Gesetze nach denen die Körper selbst gebildet und zerstört werden, diese sind es, in denen wir am klarsten und heiligsten das Universum anschauen. Sehet wie Neigung und Widerstreben alles bestimmt und überall ununterbrochen tätig ist; wie alle Verschiedenheit und alle Entgegensetzung nur scheinbar und relativ ist, und alle Individualität nur ein leerer Namen; seht wie alles Gleiche sich in tausend verschiedene Gestalten zu verbergen und zu verteilen strebt, und wie Ihr nirgends etwas Einfaches findet, sondern alles künstlich zusammengesetzt und verschlungen; das ist der Geist der Welt, der sich im kleinsten eben so vollkommen und sichtbar offenbart als im größten, das ist eine Anschauung des Universums, die sich aus allem entwickelt und das Gemüt ergreift, und nur derjenige, der sie in der Tat überall erblickt, der nicht nur in allen Veränderungen, sondern in allem Dasein selbst nichts findet als ein Werk dieses Geistes und eine Darstellung und Ausführung dieser Gesetze, nur dem ist alles Sichtbare auch [49] wirklich Welt, gebildet, von der Gottheit durchdrungen und Eins. Bei einem gänzlichen Mangel aller Kenntnisse, die unser Jahrhundert verherrlichen, fehlte doch schon den ältesten Weisen der Griechen nicht diese Ansicht der Natur, zum deutlichen Beweise wie alles was Religion ist jede äußere Hilfe verschmäht und leicht entbehrt; und wäre diese von den Weisen zum Volk hindurchgedrungen, wer weiß welchen erhabenen Gang seine Religion würde genommen haben!
Aber was ist Liebe und Widerstreben? was ist Individualität und Einheit? Diese Begriffe, wodurch Euch die Natur erst im eigentlichen Sinne Anschauung der Welt wird, habt Ihr sie aus der Natur? Stammen sie nicht ursprünglich aus dem Innern des Gemüts her, und sind erst von da auf jenes gedeutet? Darum ist es auch das Gemüt eigentlich worauf die Religion hinsieht, und woher sie Anschauungen der Welt nimmt; im inneren Leben bildet sich das Universum ab, und nur durch das innere wird das äußere verständlich. Aber auch das Gemüt muß, wenn es Religion erzeugen und nähren soll, in einer Welt angeschaut werden. Laßt mich Euch ein Geheimnis aufdecken, welches in einer der ältesten Urkunden der Dichtkunst und der Religion verborgen liegt. So lange der erste Mensch allein war mit sich und der Natur, waltete freilich die Gottheit über ihm, sie sprach ihn an auf verschiedene Art, aber er verstand es nicht, denn er antwortete ihr nicht; sein Paradies war schön, und von einem schönen Himmel glänzten ihm die Gestirne herab, aber der Sinn für die Welt ging ihm nicht auf; auch aus dem Innern seiner Seele entwickelte er sich nicht; aber von der Sehnsucht nach einer Welt wurde sein Gemüt bewegt, und so trieb er vor sich zusammen die tierische Schöpfung ob etwa sich eine daraus bilden möchte. Da erkannte die Gottheit, daß ihre Welt nichts sei so lange der Mensch allein wäre, sie schuf ihm die Ge hilfin, und nun erst regten sich in ihm lebende und geistvolle Töne, nun erst ging seinen Augen die Welt auf. In dem Fleische von seinem Fleische und Bein von seinem Beine entdeckte er die Menschheit, und in der Menschheit die Welt; von diesem Augenblick an wurde er fähig die Stimme der Gottheit zu hören und ihr zu antworten, und die frevelhafteste Übertretung ihrer Gesetze schloß ihn von nun an [50] nicht mehr aus von dem Umgange mit dem ewigen Wesen. Unser aller Geschichte ist erzählt in dieser heiligen Sage. Umsonst ist alles für denjenigen da, der sich selbst allein stellt; denn um die Welt anzuschauen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe. Darum sind beide so innig und unzertrennlich verknüpft; Sehnsucht nach Religion ist es was ihm zum Genuß der Religion hilft. Den umfängt jeder am heißesten, in dem die Welt sich am klarsten und reinsten abspiegelt; den liebt jeder am zärtlichsten, in dem er alles zusammengedrängt zu finden glaubt, was ihm selbst fehlt um die Menschheit auszumachen. Zur Menschheit also laßt uns hintreten, da finden wir Stoff für die Religion.
Hier seid auch Ihr in Eurer eigentlichsten und liebsten Heimat, Euer innerstes Leben geht Euch auf, Ihr seht das Ziel alles Eures Strebens und Tuns vor Euch, und fühlet zugleich das innere Treiben Eurer Kräfte, welches Euch immerfort nach diesem Ziel hinführt. Die Menschheit selbst ist Euch eigentlich das Universum, und Ihr rechnet alles andere nur insofern zu diesem als es mit jener in Beziehung kommt oder sie umgibt. Über diesen Gesichtspunkt will auch ich Euch nicht hinausführen; aber es hat mich oft innig geschmerzt, daß Ihr bei aller Liebe zur Menschheit und allem Eifer für sie doch immer mit ihr verwickelt und uneins seid. Ihr quält Euch an ihr zu bessern und zu bilden, jeder nach seiner Weise, und am Ende laßt Ihr unmutsvoll liegen was zu keinem Ziel kommen will. Ich darf sagen, auch das kommt von Eurem Mangel an Religion. Auf die Menschheit wollt Ihr wirken, und die Menschen die Einzelnen schaut Ihr an. Diese mißfallen Euch höchlich; und unter den tausend Ursachen die das haben kann, ist unstreitig die schönste und welche den Besseren angehört, daß Ihr gar zu moralisch seid nach Eurer Art. Ihr nehmt die Menschen einzeln, und so habt Ihr auch ein Ideal von einem Einzelnen, dem sie aber nicht entsprechen. Dies alles zusammen ist ein vermehrtes Beginnen, und mit der Religion werdet Ihr Euch weit besser befinden. Möchtet Ihr nur versuchen die Gegenstände Eures Wirkens und Eurer Anschauung zu [51] verwechseln! Wirkt auf die Einzelnen aber mit Eurer Betrachtung, hebt Euch auf den Flügeln der Religion höher zu der unendlichen, ungeteilten Menschheit; sie su chet in jedem Einzelnen, seht das Dasein eines Jeden an als eine Offenbarung von ihr an Euch, und es kann von allem was Euch jetzt drückt keine Spur zurückbleiben. Ich wenigstens rühme mich auch einer moralischen Gesinnung, auch ich verstehe menschliche Vortrefflichkeit zu schätzen, und es kann das Gemeine für sich betrachtet mich mit dem unangenehmen Gefühl der Geringschätzung beinahe überfüllen; aber mir gibt die Religion von dem allen eine gar große und herrliche Ansicht. Denkt Euch den Genius der Menschheit als den vollendetsten und universellesten Künstler. Er kann nichts machen was nicht ein eigentümliches Dasein hätte. Auch wo er nur die Farben zu versuchen und den Pinsel zu schärfen scheint, entstehen lebende und bedeutende Züge. Unzählige Gestalten denkt er sich so und bildet sie. Millionen tragen das Kostüm der Zeit, und sind treue Bilder ihrer Bedürfnisse und ihres Geschmacks; in andern zeigen sich Erinnerungen der Vorwelt oder Ahndungen einer fernen Zukunft; einige sind der erhabenste und treffendste Abdruck des Schönsten und Göttlichsten. Andre sind groteske Erzeugnisse der originellsten und flüchtigsten Laune eines Virtuosen. Das ist eine irreligiöse Ansicht, daß er Gefäße der Ehre verfertige und Gefäße der Unehre; einzeln müßt Ihr nichts betrachten, aber erfreut Euch eines jeden an der Stelle wo es steht. Alles was zugleich wahrgenommen werden kann und gleichsam auf einem Blatte steht, gehört zu einem großen historischen Bilde welches einen Moment des Universums darstellt. Wollt Ihr dasjenige verachten was die Hauptgruppen hebt, und dem Ganzen Leben und Fülle gibt? Sollen die einzelnen himmlischen Gestalten nicht dadurch verherrlicht werden, daß tausend andere sich vor ihnen beugen, und daß man sieht wie alles auf sie hinblickt und sich auf sie bezieht? Es ist in der Tat etwas mehr in dieser Vorstellung als ein schales Gleichnis. Die ewige Menschheit ist unermüdet geschäftig sich selbst zu erschaffen, und sich in der vorübergehenden Erscheinung des endlichen Lebens aufs mannigfaltigste darzustellen. Was wäre wohl die einförmige Wiederholung eines [52] höchsten Ideals, wobei die Menschen doch, Zeit und Umstände abgerechnet, eigentlich einerlei sind, dieselbe Formel, nur mit andern Koeffizienten verbunden, was wäre sie gegen diese unendliche Verschiedenheit menschlicher Erscheinungen? Nehmt welches Element der Menschheit Ihr wollt, Ihr findet jedes in jedem möglichen Zustande fast von seiner Reinheit an – denn ganz soll diese nirgends zu finden sein – in jeder Mischung mit jedem andern, bis fast zur innigsten Sättigung mit allen übrigen – denn auch diese ist ein unerreichbares Extrem – und die Mischung auf jedem möglichen Wege bereitet, jede Spielart und jede seltene Kombination. Und wenn Ihr Euch noch Verbindungen denken könnt, die Ihr nicht sehet, so ist auch diese Lücke eine negative Offenbarung des Universum, eine Andeutung, daß in dem geforderten Grade in der gegenwärtigen Temperatur der Welt diese Mischung nicht möglich ist, und Eure Phantasie darüber ist eine Aussicht über die gegenwärtigen Grenzen der Menschheit hinaus, eine wahre göttliche Eingebung, eine unwillkürliche und unbewußte Weissagung über das was künftig sein wird. Aber so wie dies, was der geforderten unendlichen Mannigfaltigkeit abzugehen scheint, nicht wirklich ein zuwenig ist, so ist auch das nicht zu viel, was Euch auf Eurem Standpunkt so erscheint. Jenen so oft beklagten Überfluß an den gemeinsten Formen der Menschheit, die in tausend Abdrücken immer unverändert wiederkehren, erklärt die Religion für einen leeren Schein. Der ewige Verstand befiehlt es, und auch der endliche kann es einsehen, daß diejenigen Gestalten, an denen das Einzelne am schwersten zu unterscheiden ist, am dichtesten aneinander gedrängt stehen müssen; aber jede hat etwas Eigentümliches: keiner ist dem andern gleich, und in dem Leben eines jeden gibt es irgendeinen Moment, wie der Silberblick unedlerer Metalle, wo er, sei es durch die innige Annäherung eines höheren Wesens oder durch irgendeinen elektrischen Schlag, gleichsam aus sich heraus gehoben und auf den höchsten Gipfel desjenigen gestellt wird, was er sein kann. Für diesen Augenblick war er geschaffen, in diesem erreichte er seine Bestimmung, und nach ihm sinkt die erschöpfte Lebenskraft wieder zurück. Es ist ein eigner Genuß, kleinen [53] Seelen zu diesem Moment zu verhelfen, oder sie darin zu betrachten; aber wem dieses nie geworden ist, dem muß freilich ihr ganzes Dasein überflüssig und verächtlich scheinen. So hat die Existenz eines jeden einen doppelten Sinn in Beziehung auf das Ganze. Hemme ich in Gedanken den Lauf jenes rastlosen Getriebes, wodurch alles Menschliche ineinander verschlungen und voneinander abhängig gemacht wird, so ist jedes Individuum seinem innern Wesen nach ein notwendiges Ergänzungsstück zur vollkommnen Anschauung der Menschheit. Der eine zeigt mir, wie jedes abgerissene Teilchen derselben, wenn nur der innere Bildungstrieb, der das Ganze beseelt, ruhig darin fortwirken kann, sich gestaltet in zarte und regelmäßige Formen; der andere, wie aus Mangel an belebender und vereinigender Wärme die Härte des irdischen Stoffs nicht bezwungen werden kann, oder wie in einer zu heftig bewegten Atmosphäre der innerste Geist in seinem Handeln gestört und alles unscheinbar und unkenntlich wird; der eine erscheint als der rohe und tierische Teil der Menschheit nur eben von den ersten unbeholfenen Regungen der Humanität bewegt, der andere als der reinste dephlegmierte Geist, der von allem Niedri gen und Unwürdigen getrennt nur mit leisem Fuß über der Erde schwebt, und Alle sind da um durch ihr Dasein zu zeigen, wie diese verschiedenen Teile der menschlichen Natur abgesondert und im Kleinen wirken. Ist es nicht genug, wenn es unter dieser unzähligen Menge doch immer Einige gibt, die als ausgezeichnete und höhere Repräsentanten der Menschheit der eine den, der andere jenen von den melodischen Akkorden anschlagen, die keiner fremden Begleitung und keiner spätern Auflösung bedürfen, sondern durch ihre innere Harmonie die ganze Seele in einem Ton entzücken und zufriedenstellen? Beobachte ich wiederum die ewigen Räder der Menschheit in ihrem Gange, so muß dieses unübersehliche Ineinandergreifen, wo nichts Bewegliches ganz durch sich selbst bewegt wird, und nichts Bewegendes nur sich allein bewegt, mich mächtig beruhigen über Eure Klage, daß Vernunft und Seele, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Verstand und blinde Kraft in so getrennten Massen erscheinen. Warum [54] seht Ihr Alles einzeln, was doch nicht einzeln und für sich wirkt? Die Vernunft der Einen und die Seele des Andern affizieren einander doch so innig, als es nur in einem Subjekt geschehen könnte. Die Sittlichkeit, welche zu jener Sinnlichkeit gehört, ist außer derselben gesetzt; ist ihre Herrschaft deswegen mehr beschränkt, und glaubt Ihr, diese würde besser regiert werden, wenn jene jedem Indivi duo in kleinen kaum merkbaren Portionen zugeteilt wären? Die blinde Kraft, welche dem großen Haufen zugeteilt ist, ist doch in ihren Wirkungen aufs Ganze nicht sich selbst und einem rohen Ohngefähr überlassen, sondern oft ohne es zu wissen leitet sie doch jener Verstand, den Ihr an andern Punkten in so großer Masse aufgehäuft findet, und sie folgt ihm eben so unwissend in unsichtbaren Banden. So verschwinden mir auf meinem Standpunkt die Euch so bestimmt erscheinenden Umrisse der Persönlichkeit; der magische Kreis herrschender Meinungen und epidemischer Gefühle umgibt und umspielt alles, wie eine mit auflösenden und magnetischen Kräften angefüllte Atmosphäre, sie verschmilzt und vereinigt alles, und setzt durch die lebendigste Verbreitung auch das Entfernteste in eine tätige Berührung, und die Ausflüsse derer, in denen Licht und Wahrheit selbständig wohnen, trägt sie geschäftigt umher, daß sie einige durchdringen und andern die Oberfläche glänzend und täuschend erleuchten. Das ist die Harmonie des Universums, das ist die wunderbare und große Einheit in seinem ewigen Kunstwerk; Ihr aber lästert diese Herrlichkeit mit Euren Forderungen einer jämmerlichen Vereinzelung, weil Ihr im ersten Vorhofe der Moral, und auch bei ihr noch mit den Elementen beschäftigt, die hohe Religion verschmähet. Euer Bedürfnis ist deutlich genug angezeigt, möchtet Ihr es nur erkennen und befriedigen! Sucht unter allen den Begebenheiten, in denen sich diese himmlische Ordnung abbildet, ob Euch nicht eine aufgehen wird als ein göttliches Zeichen. Laßt Euch einen alten verworfenen Begriff gefallen, und sucht unter allen den heiligen Männern, in denen die Menschheit sich unmittelbarer offenbart, einen auf, der der Mittler sein könne zwischen Eurer eingeschränkten Denkungsart und den ewigen Grenzen der Welt; und wenn Ihr ihn gefunden habt, dann durchlauft die [55] ganze Menschheit und laßt alles was Euch bisher anders schien, von dem Widerschein dieses neuen Lichts erhellt werden. – Von diesen Wanderungen durch das ganze Gebiet der Menschheit kehrt dann die Religion mit geschärfterem Sinn und gebildeterem Urteil in das eigne Ich zurück, und sie findet zuletzt alles, was sonst aus den entlegensten Gegenden zusammengesucht wurde, bei sich selbst. In Euch selbst findet ihr, wenn Ihr dahin gekommen seid, nicht nur die Grundzüge zu dem Schönsten und Niedrigsten, zu dem Edelsten und Verächtlichsten, was Ihr als einzelne Seiten der Menschheit an andern wahrgenommen habt. In Euch entdeckt Ihr nicht nur zu verschiedenen Zeiten alle die mannigfaltigen Grade menschlicher Kräfte, sondern alle die unzähligen Mischungen verschiedener Anlagen, die Ihr in den Charakteren anderer angeschaut habt, erscheinen Euch nur als festgehaltene Momente Eures eigenen Lebens. Es gab Augenblicke wo Ihr so dachtet, so fühltet, so handeltet, wo Ihr wirklich dieser und jener Mensch wäret, trotz aller Unterschiede des Geschlechts, der Kultur und der äußeren Umgebungen. Ihr seid alle diese verschiedenen Gestalten in Eurer eignen Ordnung wirklich hindurchgegangen; Ihr selbst seid ein Kompendium der Menschheit, Eure Persönlichkeit umfaßt in einem gewissen Sinn die ganze menschliche Natur und diese ist in allen ihren Darstellungen nichts als Euer eigenes vervielfältigtes, deutlicher ausgezeichnetes, und in allen seinen Veränderungen verewigtes Ich. Bei wem sich die Religion so wiederum nach innen zurückgearbeitet und auch dort das Unendliche gefunden hat, in dem ist sie von dieser Seite vollendet, er bedarf keines Mittlers mehr für irgendeine Anschauung der Menschheit und er kann es selbst sein für viele.
Aber nicht nur in ihrem Sein müßt Ihr die Menschheit anschauen, sondern auch in ihrem Werden; auch sie hat eine größere Bahn, welche sie nicht wiederkehrend sondern fortschreitend durchläuft, auch sie wird durch ihre innere Veränderungen zum Höheren und Vollkommenen fortgebildet. Diese Fortschritte will die Religion nicht etwa beschleunigen oder regieren, sie bescheidet sich, daß das Endliche nur auf das Endliche wirken kann, sondern nur beobachten, und als [56] eine von den größten Handlungen des Universums wahrnehmen. Die verschiedenen Momente der Menschheit aneinander zu knüpfen, und aus ihrer Folge den Geist in dem das Ganze geleitet wird erraten, das ist ihr höchstes Geschäft. Geschichte im eigentlichsten Sinn ist der höchste Gegenstand der Religion, mit ihr hebt sie an und endigt mit ihr – denn Weissagung ist in ihren Augen auch Geschichte und beides gar nicht voneinander zu unterscheiden – und alle wahre Geschichte hat überall zuerst einen religiösen Zweck gehabt und ist von religiösen Ideen ausgegangen. In ihrem Gebiet liegen dann auch die höchsten und erhabensten Anschauungen der Religion. – Hier seht Ihr die Wanderung der Geister und der Seelen, die sonst nur eine zarte Dichtung scheint, in mehr als einem Sinn als eine wundervolle Veranstaltung des Universums, um die verschiedenen Perioden der Menschheit nach einem sichern Maßstabe zu vergleichen. Bald kehrt nach einem langen Zwischenraum, in welchem die Natur nichts ähnliches hervorbringen konnte, irgendein ausgezeichnetes Individuum völlig dasselbe wieder zurück; aber nur die Seher erkennen es und nur sie sollen aus den Wirkungen die es nun hervorbringt, die Zeichen verschiedener Zeiten beurteilen. Bald kommt ein einzelner Moment der Menschheit ganz so wieder, wie Euch eine ferne Vorzeit sein Bild zurückgelassen hat, und Ihr sollt aus den verschiedenen Ursachen durch die er jetzt erzeugt worden ist, den Gang des Universums und die Formel seines Gesetzes erkennen. Bald erwacht der Genius irgendeiner besondern menschlichen Anlage, der hie und da steigend und fallend schon seinen Lauf vollendet hatte, aus seinem Schlummer, und erscheint an einem andern Ort und unter andern Umständen in einem neuen Leben, und sein schnelleres Gedeihen, sein tieferes Wirken, seine schönere kräftigere Gestalt soll andeuten, um wie vieles das Klima der Menschheit verbessert und der Boden zum Nähren edler Gewächse geschickter geworden sei. – Hier erscheinen Euch Völker und Generationen der Sterblichen ebenso wie auf unserer vorigen Ansicht die einzelnen Menschen. Ehrwürdig und geistvoll einige und kräftig wirkend ins Unendliche fort ohne Ansehen des Raums und der Zeit. Gemein und unbedeutend andere, nur [57] bestimmt eine einzelne Form des Lebens oder der Vereinigung eigentümlich zu nuancieren, nur in einem Moment wirklich lebend und merkwürdig, nur um einen Gedanken darzustellen, einen Begriff zu erzeugen, und dann der Zerstörung entgegeneilend, damit dies Resultat ihrer schönsten Blüte einem andem könne eingeimpft werden. Wie die vegetabilische Natur durch den Untergang ganzer Gattungen und aus den Trümmern ganzer Pflanzengenerationen neue hervorbringt und ernährt, so seht Ihr hier auch die geistige Natur aus den Ruinen einer herrlichen und schönen Menschenwelt eine neue erzeugen, die aus den zersetzten und wunderbar umgestalteten Elementen von jener ihre erste Lebenskraft saugt. – Wenn hier in dem Anschauen eines allgemeinen Zusammenhanges Euer Blick so oft unmittelbar vom kleinsten zum größten und von diesem wiederum zu jenem herumgeführt wird, und sich in lebendigen Schwingungen zwischen beiden bewegt, bis er schwindelnd weder großes noch kleines, weder Ursach noch Wirkung, weder Erhaltung noch Zerstörung weiter unterscheiden kann, dann erscheint Euch die Gestalt eines ewigen Schicksals, dessen Züge ganz das Gepräge dieses Zustandes tragen, ein wunderbares Gemisch von starrem Eigensinn und tiefer Weisheit, von roher herzloser Gewalt und inniger Liebe wovon Euch bald das Eine, bald das Andere wechselnd ergreift, und jetzt zu ohnmächtigem Trotz, jetzt zu kindlicher Hingebung einladet. Vergleicht Ihr dann das abgesonderte Streben des Einzelnen, aus diesen entgegengesetzten Ansichten entsprungen, mit dem ruhigen und gleichförmigen Gang des Ganzen, so seht Ihr wie der hohe Weltgeist über alles lächelnd hinwegschreitet, was sich ihm lärmend widersetzt; Ihr seht wie die hehre Nemesis seinen Schritten folgend unermüdet die Erde durchzieht, wie sie Züchtigung und Strafen den Übermütigen austeilt, welche den Göttern entgegenstreben und wie sie mit eiserner Hand auch den Wackersten und Trefflich sten abmäht, der sich, vielleicht mit löblicher und bewunderungswerter Standhaftigkeit, dem sanften Hauch des großen Geistes nicht beugen wollte. Wollt Ihr endlich den eigentlichen Charakter aller Veränderungen und aller Fortschritte der Menschheit ergreifen, so zeigt [58] Euch die Religion wie die lebendigen Götter nichts hassen als den Tod, wie nichts verfolgt und gestürzt werden soll als er, der erste und letzte Feind der Menschheit. Das Rohe, das Barbarische, das Unförmliche soll verschlungen und in organische Bildung umgestaltet werden. Nichts soll tote Masse sein, die nur durch den toten Stoß bewegt wird, und nur durch bewußtlose Friktion widersteht: alles soll eigenes zusammengesetztes, vielfach verschlungenes und erhöhtes Leben sein. Blinder Instinkt, gedankenlose Gewöhnung, toter Gehorsam, alles Träge und Passive, alle diese traurigen Symptome der Asphyxie der Freiheit und Menschheit sollen vernichtet werden. Dahin deutet das Geschäft des Augenblicks und der Jahrhunderte, das ist das große, immer fortgehende Erlösungswerk der ewigen Liebe.
Nur mit leichten Umrissen habe ich einige der hervorstechenden Anschauungen der Religion auf dem Gebiet der Natur und der Menschheit entworfen; aber hier habe ich Euch doch bis an die letzte Grenze Eures Gesichtskreises geführt. Hier ist das Ende der Religion für diejenigen, denen Menschheit und Uni versum gleichviel gilt; von hier könnte ich Euch nur wieder zurückführen ins Einzelne und Kleinere. Nur glaubt nicht daß dies zugleich die Grenze der Religion sei. Vielmehr kann sie eigentlich hier nicht stehen bleiben, und sieht erst auf der andern Seite dieses Punktes recht hinaus ins Unendliche. Wenn die Menschheit selbst etwas bewegliches und bildsames ist, wenn sie nicht nur im Einzelnen anders darstellt, sondern auch hie und da anders wird, fühlt Ihr nicht daß sie dann unmöglich selbst das Universum sein kann? Vielmehr verhält sie sich zu ihm, wie die einzelnen Menschen sich zu ihr verhalten; sie ist nur eine einzelne Form desselben, Darstellung einer einzigen Modifikation seiner Elemente, es muß andre solche Formen geben, durch welche sie umgrenzt, und denen sie also entgegengesetzt wird. Sie ist nur ein Mittelglied zwischen dem Einzelnen und dem Einen, ein Ruheplatz auf dem Wege zum Unendlichen, und es müßte noch ein höherer Charakter gefunden werden im Menschen als seine Menschheit um ihn und seine Erscheinung unmittelbar aufs Universum zu beziehen. [59] Nach einer solchen Ahndung von etwas außer und über der Menschheit strebt alle Religion um von dem gemeinschaftlichen und höheren in beiden ergriffen zu werden; aber dies ist auch der Punkt wo ihre Umrisse sich dem gemeinen Auge verlieren, wo sie selbst sich immer weiter von den einzelnen Gegenständen ent fernt an denen sie ihren Weg festhalten konnte, und wo das Streben nach dem Höchsten in ihr am meisten für Torheit gehalten wird. Auch sei es genug an dieser Andeutung auf dasjenige was Euch so unendlich fernliegt, jedes weitere Wort darüber wäre eine unverständliche Rede, von der Ihr nicht wissen würdet woher sie käme noch wohin sie ginge. Hättet Ihr nur erst die Religion, die Ihr haben könnt, und wäret Ihr Euch nur erst derjenigen bewußt, die Ihr wirklich schon habt! denn in der Tat, wenn Ihr auch nur die wenigen religiösen Anschauungen betrachtet, die ich mit geringen Zügen jetzt entworfen habe, so werdet Ihr finden, daß sie Euch bei weitem nicht alle fremd sind. Es ist wohl eher etwas dergleichen in Euer Gemüt gekommen, aber ich weiß nicht welches das größere Unglück ist, ihrer ganz zu entbehren oder sie nicht zu verstehen; denn auch so verfehlen sie ganz ihre Wirkung im Gemüte und hintergangen seid Ihr dabei auch von Euch selbst. Die Vergeltung welche alles trifft was dem Geist des Ganzen widerstreben will, der überall tätige Haß gegen alles Übermütige und Freche, das beständige Fortschreiten aller menschlichen Dinge zu einem Ziel, ein Fortschreiten welches so sicher ist, daß wir sogar jeden einzelnen Gedanken und Entwurf, der das Ganze diesem Ziele näher bringt, nach vielen gescheiterten Versuchen dennoch endlich einmal gelingen sehen, dies sind An schauungen, die so in die Augen springen, daß sie mehr für eine Veranlassung als für ein Resultat der Weltbeobachtung gelten können. Viele unter Euch sind sich ihrer auch bewußt, einige nennen sie auch Religion, aber sie wollen, dies soll ausschließend Religion sein; und dadurch wollen sie alles andre verdrängen, was doch aus derselben Handlungsweise des Gemüts und völlig auf dieselbe Art entspringt. Wie sind sie denn zu diesen abgerissenen Bruchstücken gekommen? Ich will es Euch sagen: sie halten dies gar nicht für Religion, welche sie ebenfalls verachten, [60] sondern für Moral und wollen nur den Namen unterschieben, um der Religion selbst – dem nämlich was sie dafür halten – den letzten Stoß zu geben. Wenn sie das nicht zugeben wollen, so fraget sie doch warum sie mit der wunderbarsten Einseitigkeit dies alles nur auf dem Gebiete der Sittlichkeit finden? Die Religion weiß nichts von einer solchen parteiischen Vorliebe; die moralische Welt ist ihr auch nicht das Universum, und was nur für diese gälte, wäre ihr keine Anschauung des Universums. In allem was zum menschlichen Tun gehört, im Spiel wie im Ernst, im kleinsten wie im größten weiß sie die Handlungen des Weltgeistes zu entdecken und zu verfolgen; was sie wahrnehmen soll muß sie überall wahrnehmen können, denn nur dadurch wird es das ihrige, und so findet sie auch eben darin eine göttliche Nemesis, daß eben die, welche, weil in ihnen selbst nur das sittliche oder rechtliche dominiert, auch aus der Religion nur einen unbedeutenden Anhang der Moral machen, und nur das aus ihr nehmen wollen, was sich dazu gestalten läßt, sich eben damit ihre Moral, so viel auch schon an ihr gereinigt sein mag, unwiderbringlich verderben und den Keim neuer Irrtümer hineinstreuen. Es klingt sehr schön; wenn man beim moralischen Handeln untergehe, sei es der Wille des ewigen Wesens, und was nicht durch uns geschehe, werde ein andermal zustande kommen; aber auch dieser erhabene Trost gehört nicht für die Sittlichkeit; kein Tropfen Religion kann unter diese gemischt werden, ohne sie gleichsam zu phlogistisieren und ihrer Reinigkeit zu berauben.
Am deutlichsten offenbart sich dieses gänzliche Nichtwissen um die Religion bei ihren Gefühlen, die noch am weitesten unter Euch verbreitet sind. Wie innig sie auch mit jenen Anschauungen verbunden sind, wie notwendig sie auch aus ihnen herfließen und nur aus ihnen erklärt werden können, sie werden dennoch durchaus mißverstanden. – Wenn der Weltgeist sich uns majestätisch offenbart hat, wenn wir sein Handeln nach so groß gedachten und herrlichen Gesetzen belauscht haben, was ist natürlicher als von inniger Ehrfurcht vor dem ewigen und unsichtbaren durchdrungen zu werden? Und wenn wir das Univer sum angeschaut [61] haben, und von dann zurücksehen auf unser Ich, wie es in Vergleichung mit ihm ins unendlich kleine verschwindet, was kann dem Sterblichen dann näher liegen als wahre ungekünstelte Demut? Wenn wir in der Anschauung der Welt auch unsre Brüder wahrnehmen, und es uns klar ist, wie jeder von ihnen ohne Unterschied in diesem Sinne gerade dasselbe ist was wir sind, eine eigne Darstellung der Menschheit, und wie wir ohne das Dasein eines Jeden es entbehren müßten diese anzuschauen, was ist natürlicher als sie Alle ohne Unterschied selbst der Gesinnung und der Geisteskraft mit inniger Liebe und Zuneigung zu umfassen? Und wenn wir von ihrer Verbindung mit dem Ganzen zurücksehen auf ihren Einfluß in unsere Ereignisse, und sich uns dann diejenigen darstellen, die von ihrem eigenen vergänglichen Sein und dem Streben es zu erweitern und zu isolieren nachgelassen haben, um das unsrige zu erhalten, wie können wir uns da erwehren jenes Gefühls einer besondern Verwandtschaft mit denen, deren Handlungen einmal unsere Existenz verfochten und durch ihre Gefahren glücklich hindurch geführt haben? jenes Gefühls der Dankbarkeit, welches uns antreibt sie zu ehren als solche, die sich mit dem Ganzen schon geeinigt haben, und sich ihres Lebens in demselben bewußt sind? – Wenn wir im Gegenteil das gewöhnliche Treiben der Menschen betrachten die von dieser Ab hängigkeit nichts wissen, wie sie dies und das ergreifen und festhalten, um ihr Ich zu verschanzen und mit mancherlei Außenwerken zu umgeben, damit sie ihr abgesondertes Dasein nach eigner Willkür leiten mögen, und der ewige Strom der Welt ihnen nichts daran zerrütte, und wie dann notwendigerweise das Schicksal dies alles verschwemmt, und sie selbst auf tausend Arten verwundet und quält; was ist dann natürlicher als das herzlichste Mitleid mit allem Schmerz und Leiden, welches aus diesem ungleichen Streit entsteht, und mit allen Streichen, welche die furchtbare Nemesis auf allen Seiten austeilt? – und wenn wir erkundet haben was denn dasjenige ist, was im Gange der Menschheit überall aufrecht erhalten und gefördert wird, und das was unvermeidlich früher oder später besiegt und zerstört werden muß, wenn es sich nicht umgestalten und verwandeln [62] läßt, und wir dann von diesem Gesetz auf unser eignes Handeln in der Welt hinsehen, was ist natürlicher als zerknirschende Reue über alles dasjenige in uns, was dem Genius der Menschheit feind ist, als der demütige Wunsch die Gottheit zu versöhnen, als das sehnlichste Verlangen umzukehren und uns mit allem was uns angehört in jenes heilige Gebiet zu retten, wo allein Sicherheit ist gegen Tod und Zerstörung. Alle diese Gefühle sind Religion, und ebenso alle andere, bei denen das Universum der eine, und auf irgend eine Art Euer eignes Ich, der andere von den Punkten ist zwischen denen das Gemüt schwebt. Die Alten wußten das wohl: Frömmigkeit nannten sie all diese Gefühle, und bezogen sie unmittelbar auf die Religion, deren edelster Teil sie ihnen waren. Auch Ihr kennt sie, aber wenn Euch so etwas begegnet, so wollt Ihr Euch überreden es sei etwas sittliches, und in der Moral wollt Ihr diesen Empfindungen ihren Platz anweisen; sie begehrt sie aber nicht und leidet sie nicht. Sie mag keine Liebe und Zuneigung, sondern Tätigkeit, die ganz von innen herauskommt, und nicht durch Betrachtung ihres äußern Gegenstandes erzeugt ist, sie kennt keine Ehrfurcht als die vor ihrem Gesetz, sie verdammt als unrein und selbstsüchtig, was aus Mitleid und Dankbarkeit geschehen kann, sie demütigt, ja verachtet die Demut, und wenn Ihr von Reue sprecht, so redet sie von verlorner Zeit die Ihr unnütz vermehrt. Auch muß Euer innerstes Gefühl ihr darin beipflichten, daß es mit allen diesen Empfindungen nicht auf Handeln abgesehen ist, sie kommen für sich selbst und endigen in sich selbst als Funktionen Eures Innersten und höchsten Lebens. Was windet Ihr Euch also und bittet um Gnade für sie da, wo sie nicht hingehören? Lasset es Euch doch gefallen einzusehen, daß sie Religion sind, so braucht Ihr nichts für sie zu fordern als ihr eignes strenges Recht, und werdet Euch selbst nicht betrügen mit unbegründeten An sprüchen, die Ihr in ihrem Namen zu machen geneigt seid. Es sei nun bei der Moral oder irgend sonst, wo Ihr ähnliche Gefühle findet, sie sind nur usurpiert; bringt sie der Religion zurück, ihr allein gehört dieser Schatz, und als Besitzerin desselben ist sie der Sittlichkeit und allem andern was ein Gegenstand des menschlichen Tuns ist, nicht Dienerin, [63] aber unentbehrliche Freundin und ihre vollgültige Fürsprecherin und Vermittlerin bei der Menschheit. Das ist die Stufe auf welcher die Religion steht und besonders das Selbsttätige in ihr, ihre Gefühle. Daß sie allein dem Menschen Universalität gibt, habe ich schon einmal angedeutet; jetzt kann ich es näher erklären. In allem Handeln und Wirken, es sei sittlich oder philosophisch oder künstlerisch, soll der Mensch nach Virtuosität streben, und alle Virtuosität beschränkt und macht kalt, einseitig und hart. Auf einen Punkt richtet sie zunächst das Gemüt des Menschen und dieser eine Funkt ist immer etwas endliches. Kann der Mensch so von einem beschränkten Werk fortschreitend zum andern seine ganze unendliche Kraft wirklich verbrauchen? und wird nicht vielmehr der größere Teil derselben unbenutzt liegen, und sich deshalb gegen ihn selbst wenden und ihn verzehren? Wie viele von Euch gehen nur deshalb zugrunde weil sie sich selbst zu groß sind; ein Überfluß an Kraft und Trieb der sie nicht einmal zu einem Werk kommen läßt, weil doch keines ihm angemessen wäre, treibt sie unstet umher und ist ihr Verderben. Wollt Ihr etwa auch diesem Übel wieder so steuern, daß der, welchem einer zu groß ist, alle jene drei Gegenstände des menschlichen Strebens, oder wenn Ihr deren noch mehr wißt, auch diese vereinigen soll? Das wäre freilich Euer altes Begehren, die Menschheit überall aus einem Stück zu haben, welches immer wiederkehrt – aber wenn es nur möglich wäre! wenn nur nicht jene Gegenstände, sobald sie einzeln ins Auge gefaßt werden, so sehr auf gleiche Weise das Gemüt anregten und zu beherrschen strebten! Jeder von ihnen will Werke ausführen, jeder hat ein Ideal dem er entgegenstrebt und eine Totalität, welche er erreichen will, und diese Rivalität kann nicht anders endigen als daß einer den andern verdrängt. Wozu also soll der Mensch die Kraft verwenden, die ihm jede geregelte und kunstmäßige Anwendung seines Bildungstriebes übrig läßt? Nicht so daß er wieder etwas anderes bilden wolle, und auf etwas anderes Endliches tätig arbeite, sondern dazu, daß er sich ohne bestimmte Tätigkeit vom Unendlichen affizieren lasse und durch jede Gattung religiöser Gefühle seine Gegenwirkung gegen diese Einwirkung offenbare. [64] Welchen jener Gegenstände Eures freien und kunstmäßigen Handels Ihr auch gewählt habt, es gehört nur wenig Sinn dazu, um von jedem aus das Universum zu finden, und in diesem entdeckt Ihr denn auch die übrigen als Gebot oder als Eingebung oder als Offenbarung desselben; so im Ganzen sie beschauen und betrachten nicht als etwas abgesondertes und in sich bestimmtes, das ist die einzige Art wie Ihr Euch bei einer schon gewählten Richtung des Gemüts auch das, was außer derselben liegt, aneignen könnt, nicht wiederum aus Willkür als Kunst, sondern Instinkt fürs Universum als Religion, und weil sie auch in der religiösen Form wieder rivalisieren, so erscheint auch die Religion öfter vereinzelt als Naturpoesie, Naturphilosophie oder Naturmoral, als in ihrer ganzen Gestalt vollendet und alles vereinigend. So setzt der Mensch dem Endlichen, wozu seine Willkür ihn hintreibt ein Unendliches, dem zusammenziehenden Streben nach etwas Bestimmtem und Vollendetem das erweiternde Schweben im Unbestimmten und Unerschöpflichen an die Seite; so schafft er seiner überflüssigen Kraft einen unendlichen Ausweg, und stellt das Gleichgewicht und die Harmonie seines Wesens wieder her, welche unwiderbringlich verloren geht, wenn er sich, ohne zugleich Religion zu haben, einer einzelnen Direktion überläßt. Die Virtuosität eines Menschen ist nur gleichsam die Melodie seines Lebens, und es bleibt bei einzelnen Tönen, wenn er ihr nicht die Religion beifügt. Diese begleitet jene in unendlich reicher Abwechselung mit allen Tönen die ihr nur nicht ganz widerstreben, und verwandelt so den einfachen Gesang des Lebens in eine vollstimmige und prächtige Harmonie.
Wenn dies was ich, hoffentlich für Euch Alle verständlich genug, angedeutet habe, eigentlich das Wesen der Religion ausmacht, so ist die Frage, wohin denn jene Dogmen und Lehrsätze eigentlich gehören, die gemeiniglich für den Inhalt der Religion ausgegeben werden, nicht schwer zu beantworten. Einige sind nur abstrakte Ausdrücke religiöser Anschauungen, andre sind freie Reflexion über die ursprünglichen Verrichtungen des religiösen Sinnes, Resultate einer Vergleichung der religiösen Ansicht mit der gemeinen. Den Inhalt einer Reflexion für das Wesen der Handlung zu nehmen, [65] über welche reflektiert wird, das ist ein so gewöhnlicher Fehler, daß es Euch wohl nicht wundernehmen darf ihn auch hier anzutreffen. Wunder, Eingebungen, Offenbarungen, übernatürliche Empfindungen – man kann viel Religion haben, ohne auf irgendeinen dieser Begriffe gestoßen zu sein; aber wer über seine Religion vergleichend reflektiert, der findet sie unvermeidlich auf seinem Wege und kann sie ohnmöglich umgehen. In diesem Sinn gehören allerdings alle diese Begriffe in das Gebiet der Religion, und zwar unbedingt, ohne daß man über die Grenzen ihrer Anwendung das geringste bestimmen dürfte. Das Streiten, welche Begebenheit eigentlich ein Wunder sei, und worin der Charakter desselben eigentlich bestehe, wieviel Offenbarung es wohl gebe, und wiefern und warum man eigentlich daran glauben dürfe, und das offenbare Bestreben, so viel sich mit Anstand und Rücksicht tun läßt, davon abzuleugnen und auf die Seite zu schaffen, in der törichten Meinung der Philosophie und der Vernunft einen Dienst damit zu leisten, das ist eine von den kindischen Operationen der Metaphysiker und Moralisten in der Religion. Sie werfen alle Gesichtspunkte untereinander und bringen die Religion in das Geschrei, der Totalität wissenschaftlicher und physischer Urteile zu nahe zu treten. Ich bitte laßt Euch nicht durch ihr sophistisches Disputieren und ihr scheinheiliges Verbergen desjenigen was sie gar zu gern kund machen möchten, zum Nachteil der Religion verwirren. Diese läßt Euch, so laut sie auch alle jene verschriene Begriffe zurückfordert, Eure Physik, und so Gott will, auch Eure Psychologie unangetastet. Was ist denn ein Wunder! sagt mir doch in welcher Sprache – ich rede freilich nicht von denen, die wie die unsrige nach dem Untergange aller Religion entstanden sind – es denn etwas anders heißet als ein Zeichen, eine Andeutung? Und so besagen alle jene Ausdrücke nichts, als die unmittelbare Beziehung einer Erscheinung aufs Unendliche, aufs Universum; schließet das aber aus, daß es nicht eine ebenso unmittelbare aufs Endliche und auf die Natur gibt? Wunder ist nur der religiöse Name für Begebenheit, jede, auch die allernatürlichste und gewöhnlichste, sobald sie sich dazu eignet, daß die religiöse Ansicht von ihr die herrschende sein kann, [66] ist ein Wunder. Mir ist alles Wunder, und in Eurem Sinn ist mir nur das ein Wunder, nämlich etwas Unerklärliches und Fremdes, was keines ist in meinem. Je religiöser Ihr wäret, desto mehr Wunder würdet Ihr überall sehen, und jedes Streiten hin und her über einzelne Begebenheiten, ob sie so zu heißen verdienen, gibt mir nur den schmerzhaften Eindruck wie arm und dürftig der religiöse Sinn der Streitenden ist. Die einen beweisen es dadurch daß sie überall protestieren gegen Wunder und die andern dadurch, daß es ihnen auf dieses und jenes besonders ankommt, und daß eine Erscheinung eben wunderlich gestaltet sein muß um ihnen ein Wunder zu sein. Was heißt Offenbarung? jede ursprüngliche und neue Anschauung des Universums ist eine, und Jeder muß doch wohl am besten wissen was ihm ursprünglich und neu ist, und wenn etwas von dem, was in ihm ursprünglich war, für Euch noch neu ist, so ist seine Offenbarung auch für Euch eine, und ich will Euch raten sie wohl zu erwägen. Was heißt Eingebung? Es ist nur der religiöse Name für Freiheit. Jede freie Handlung, die eine religiöse Tat wird, jedes Wiedergeben einer religiösen Anschauung, jeder Ausdruck eines religiösen Gefühls, der sich wirklich mitteilt, so daß auch auf andre die Anschauung des Universums übergeht, war auf Eingebung geschehen; denn es war ein Handeln des Universums durch den Einen auf die Andern, jedes Antizipieren der Hälfte einer religiösen Begebenheit, wenn die eine gegeben ist, ist eine Weissagung, und es war sehr religiös von den alten Hebräern die Göttlichkeit eines Propheten nicht darnach abzumessen, wie schwer das Weissagen war, sondern ganz einfältig nach dem Ausgang; denn eher kann man nicht wissen ob sich einer auf die Religion versteht, bis man sieht, ob er die religiöse Ansicht gerade dieses bestimmten Dinges, welches ihn affizierte, auch richtig gefaßt hat. – Was sind Gnadenwirkungen? Alle religiösen Gefühle sind übernatürlich, denn sie sind nur insofern religiös, als sie durchs Universum unmittelbar gewirkt sind, und ob sie religiös sind in Jemand, das muß er doch am besten beurteilen. Alle diese Begriffe sind, wenn die Religion einmal Begriffe haben soll, die ersten und wesentlichsten; sie bezeichnen auf die eigentümlichste Art das Bewußtsein [67] eines Menschen von seiner Religion; sie sind um so wichtiger deswegen, weil sie nicht nur etwas bezeichnen, was allgemein sein darf in der Religion, sondern gerade dasjenige was allgemein sein muß in ihr. Ja, wer nicht eigne Wunder sieht auf seinem Standpunkt zur Betrachtung der Welt, in wessen Innern nicht eigene Offenbarungen aufsteigen, wenn seine Seele sich sehnt die Schönheit der Welt einzusaugen, und von ihrem Geiste durchdrungen zu werden; wer nicht hie und da mit der lebendigsten Überzeugung fühlt, daß ein göttlicher Geist ihn treibt und daß er aus heiliger Eingebung redet und handelt; wer sich nicht wenigstens – denn dies ist in der Tat der geringste Grad – seiner Gefühle als unmittelbarer Einwirkungen des Universums bewußt ist, und etwas eignes in ihnen kennt was nicht nachgebildet sein kann, sondern ihren reinen Ursprung aus seinem Innersten verbürgt, der hat keine Religion. Glauben, was man gemeinhin so nennt, annehmen was ein anderer getan hat, nachdenken und nachfühlen wollen was ein Anderer gedacht und gefühlt hat, ist ein harter und unwürdiger Dienst, und statt das höchste in der Religion zu sein, wie man wähnt, muß er grade abgelegt werden von Jedem, der in ihr Heiligtum dringen will. Ihn haben und behalten wollen, beweiset daß man der Religion unfähig ist; ihn von andern fordern, zeigt daß man sie nicht versteht. Ihr wollt überall auf Euren eignen Füßen stehn und auf Euren eignen Weg gehen, aber dieser würdige Wille schrecke Euch nicht zurück von der Religion. Sie ist kein Sklavendienst und keine Gefangenschaft; auch hier sollt Ihr Euch selbst angehören, ja dies ist sogar die einzige Bedingung unter welcher Ihr ihrer teilhaftig werden könnt. Jeder Mensch, wenige Auserwählte ausgenommen, bedarf allerdings eines Mitt lers, eines Anführers, der seinen Sinn für Religion aus dem ersten Schlummer wecke und ihm eine erste Richtung gebe, aber dies soll nur ein vorübergehender Zustand sein; mit eignen Augen soll dann jeder sehen und selbst einen Beitrag zu tage fördern zu den Schätzen der Religion, sonst verdient er keinen Platz in ihrem Reich und erhält auch keinen. Ihr habt recht die dürftigen Nachbeter zu verachten, die ihre Religion ganz von einem Andern ableiten, oder an einer toten Schrift hängen, [68] auf sie schwören und aus ihr beweisen. Jede heilige Schrift ist nur ein Mausoleum der Religion ein Denkmal, daß ein großer Geist da war, der nicht mehr da ist; denn wenn er noch lebte und wirkte, wie würde er einen so großen Wert auf den toten Buchstaben legen, der nur ein schwacher Abdruck von ihm sein kann? Nicht der hat Religion, der an eine heilige Schrift glaubt, sondern der welcher keiner bedarf, und wohl selbst eine machen könnte. Und eben diese Eure Verachtung gegen die armseligen und kraftlosen Verehrer der Religion, in denen sie aus Mangel an Nahrung vor der Geburt schon gestorben ist, eben diese beweiset mir, daß in Euch selbst eine Anlage ist zur Religion und die Achtung die Ihr allen ihren wahren Helden immer erzeiget, wie sehr Ihr Euch auch auflehnt gegen die Art wie sie gemißbraucht und durch Götzendienst geschändet worden, bestätigt mich in dieser Meinung. – Ich habe Euch ge zeigt was eigentlich Religion ist, habt Ihr irgend etwas darin gefunden was Eurer und der höchsten menschlichen Bildung unwürdig wäre? Müßt Ihr Euch nicht nach den ewigen Gesetzen der geistigen Natur um so ängstlicher nach dem Universum sehnen und nach einer selbstgewirkten Vereinigung mit ihm streben, je mehr Ihr durch die bestimmteste Bildung und Individualität in ihm gesondert und isoliert seid? und habt Ihr nicht oft diese heilige Sehnsucht als etwas unbekanntes gefühlt? Werdet Euch doch, ich beschwöre Euch, des Rufs Eurer innersten Natur bewußt, und folgt ihm. Verbannet die falsche Scham vor einem Zeitalter welches nicht Euch bestimmen, sondern von Euch bestimmt und gemacht werden soll! Kehret zu demjenigen zurück was Euch, gerade Euch so nahe liegt, und wovon die gewaltsame Trennung doch unfehlbar den schönsten Teil Eurer Existenz zerstört.
Es scheint mir aber als ob Viele unter Euch nicht glaubten, daß ich mein gegenwärtiges Geschäft hier könne endigen wollen, als ob Ihr dennoch der Meinung wäret, es könne vom Wesen der Religion nicht gründlich geredet worden sein, wo von der Unsterblichkeit gar nicht, und von der Gottheit so gut als nichts gesagt worden ist. Erinnert Euch doch, ich bitte Euch, wie ich mich von Anfang an dagegen erklärt habe, daß [69] dies nicht die Angel und Hauptstücke der Religion seien; erinnert Euch, daß als ich die Umrisse derselben zeichnete, ich auch den Weg angedeutet habe, auf welchem die Gottheit zu finden ist; was verliert Ihr also noch? und warum soll ich einer religiösen Anschauungsart mehr tun als den übrigen? Damit Ihr aber nicht denket ich fürchte mich ein ordentliches Wort über die Gottheit zu sagen, weil es gefährlich werden will davon zu reden, bevor eine zu Recht und Gericht beständige Definition von Gott und Dasein ans Licht gebracht und im Deutschen Reich sanktioniert worden ist; oder damit Ihr nicht auf der andern Seite glaubt ich spiele einen frommen Betrug und wolle, um Allen Alles zu werden, mit scheinbarer Gleichgültigkeit dasjenige herabsetzen, was für mich von ungleich größerer Wichtigkeit sein muß als ich gestehen will; so will ich Euch noch einen Augenblick Rede stehen, und Euch deutlich zu machen suchen, daß für mich die Gottheit nichts anderes sein kann, als eine einzelne religiöse Anschauungsart, von der wie von jeder andern die übrigen unabhängig sind, und daß auf meinem Standpunkt und nach meinen Euch bekannten Begriffen der Glaube »kein Gott, keine Religion« gar nicht stattfinden kann, und auch von der Unsterblichkeit will ich Euch unverhohlen meine Meinung sagen.
Zuerst saget mir doch, was meinen sie von der Gottheit, und was wollt Ihr damit meinen? denn jene rechtskräftige Definition ist doch noch nicht vorhanden, und es liegt am Tage daß die größten Verschiedenheiten darüber statt haben. Den mehrsten ist offenbar Gott nichts anderes als der Genius der Menschheit. Der Mensch ist das Urbild ihres Gottes, die Menschheit ist ihr alles, und nach demjenigen, was sie für ihre Ereignisse und Führungen halten, bestimmen sie die Gesinnungen und das Wesen ihres Gottes. Nun aber habe ich Euch deutlich genug gesagt, daß die Menschheit nicht mein Alles ist, daß meine Religion nach einem Universum strebt, wovon sie mit allem was ihr angehört, nur ein unendlich kleiner Teil, nur eine einzelne vergängliche Form ist: kann also ein Gott, der nur der Genius der Menschheit wäre, das höchste meiner Religion sein? Es mag dichterischere Gemüter geben, und ich gestehe ich glaube, daß diese [70] höher stehen, denen Gott ein von der Menschheit gänzlich unterschiedenes Individuum, ein einziges Exemplar einer eigenen Gatung ist, und wenn sie mir die Offenbarungen zeigen, durch welche sie einen solchen Gott kennen – einen oder mehrere, ich verachte in der Religion nichts so sehr als die Zahl – so soll er mir eine erwünschte Entdeckung sein, und gewiß werden sich aus dieser Offenbarung in mir mehrere entwickeln; aber ich strebe nach noch mehr Gattungen außer und über der Menschheit als nach einer, und jede Gattung mit ihrem Individuum ist dem Univer sum untergeordnet: kann also Gott in diesem Sinne für mich etwas anders sein als eine einzelne Anschauung? Doch dies mögen nur unvollständige Begriffe von Gott sein, laßt uns gleich zu dem höchsten gehen, zu dem von einem höchsten Wesen, von einem Geist des Universums, der es mit Freiheit und Verstand regiert, so ist doch auch von dieser Idee die Religion nicht abhängig. Religion haben, heißt das Universum anschauen, und auf der Art, wie Ihr es anschauet, auf dem Prinzip, welches Ihr in seinen Handlungen findet, beruht der Wert Eurer Religion. Wenn Ihr nun nicht leugnen könnt, daß sich die Idee von Gott zu jeder Anschauung des Universums bequemt, so müßt Ihr auch zugeben, daß eine Religion ohne Gott besser sein kann, als ein andre mit Gott.
Das Universum stellt sich in seinen Handlungen dem rohen Menschen, der nur eine verwirrte Idee vom Ganzen und Unendlichen hat, und nur einen dunkeln Instinkt, als eine Einheit dar, in der nichts mannigfaltiges zu unterscheiden ist, als ein Chaos gleichförmig in der Verwirrung, ohne Abteilung, Ordnung und Gesetz, woraus nichts einzelnes gesondert werden kann, als indem es willkürlich abgeschnitten wird in Zeit und Raum. Ohne den Drang es zu beseelen, repräsentiert ihm ein blindes Geschick den Charakter des Ganzen; mit diesem Drang wird sein Gott ein Wesen ohne bestimmte Eigenschaften, ein Götze, ein Fetisch, und wenn er mehrere annimmt, so sind sie durch nichts zu unterscheiden, als durch die willkürlich gesetzten Grenzen ihres Gebiets. Auf einer andern Stufe der Bildung stellt sich das Universum dar als eine Vielheit ohne Einheit, als ein unbestimmtes Mannigfaltiges heterogener Elemente und Kräfte, [71] deren beständiger und ewiger Streit seine Erscheinungen bestimmt. Nicht ein blindes Geschick bezeichnet seinen Charakter, sondern eine motivierte Notwendigkeit, in welcher die Aufgabe liegt, nach Grund und Zusammenhang zu forschen, mit dem Bewußtsein ihn nie finden zu können. Wird zu diesem Universum die Idee eines Gottes gebracht, so zerfällt sie natürlich in unendlich viele Teile, jede dieser Kräfte und Elemente, in denen keine Einheit ist, wird besonders beseelt, Götter entstehen in unendlicher Anzahl, unterscheidbar durch verschiedene Objekte ihrer Tätigkeit, durch verschiedene Neigungen und Gesinungen. Ihr müßt zugeben, daß diese Anschauung des Universums unendlich würdiger ist als jene, werdet Ihr nicht auch gestehen müssen, daß derjenige, der sich bis zu ihr erhoben hat, aber sich ohne die Idee von Göttern vor der ewigen und unerreichbaren Notwendigkeit beugt, dennoch mehr Religion hat als der rohe Anbeter eines Fetisches? Nun laßt uns höher steigen, dahin wo alles streitende sich wieder vereinigt, wo das Universum sich als Totalität, als Einheit in der Vielheit, als System darstellt, und so erst seinen Namen verdient; sollte nicht der, der es so anschaut als Eins und Alles, auch ohne die Idee eines Gottes mehr Religion haben, als der gebildetste Polytheist? Sollte nicht Spinoza ebensoweit über einem frommen Römer stehen, als Lukrez über einem Götzendiener? Aber das ist die alte Inkonsequenz, das ist das schwarze Zeichen der Unbildung, daß sie die am weitesten verwerfen, die auf einer Stufe mit ihnen stehen, nur auf einem andern Punkt derselben! welche von diesen Anschauungen des Universums ein Mensch sich zueignet, das hängt ab von seinem Sinn fürs Universum, das ist der eigentliche Maßstab seiner Religiosität, ob er zu seiner Anschauung einen Gott hat, das hängt ab von der Richtung seiner Phantasie. In der Religion wird das Universum angeschaut, es wird gesetzt als ursprünglich handelnd auf den Menschen. Hängt nun Eure Phantasie an dem Bewußtsein Eurer Freiheit so daß sie es nicht überwinden kann dasjenige was sie als ursprünglich wirkend denken soll anders als in der Form eines freien Wesens zu denken; wohl, so wird sie den Geist des Universums personifizieren und Ihr werdet einen Gott haben; hängt sie [72] am Verstande, so daß es Euch immer klar vor Augen steht, Freiheit habe nur Sinn im Einzelnen und fürs Einzelne; wohl, so werdet Ihr eine Welt haben und keinen Gott. Ihr, hoffe ich, werdet es für keine Lästerung halten, daß Glaube an Gott ab hängt von der Richtung der Phantasie; Ihr werdet wissen daß Phantasie das höchste und ursprünglichste ist im Menschen, und außer ihr alles nur Reflexion über sie; Ihr werdet es wissen daß Eure Phantasie es ist, welche für Euch die Welt erschafft, und daß Ihr keinen Gott haben könnt ohne Welt. Auch wird er dadurch niemanden Ungewisser werden, noch wird sich jemand von der fast unabänderlichen Notwendigkeit ihn anzunehmen um desto besser losmachen, weil er darum weiß, woher ihm diese Notwendigkeit kommt. In der Religion also steht die Idee von Gott nicht so hoch als Ihr meint, auch gab es unter wahrhaft religiösen Menschen nie Eiferer, Enthusiasten oder Schwärmer für das Dasein Gottes; mit großer Gelassenheit haben sie das, was man Atheismus nennt, neben sich gesehen, und es hat immer etwas gegeben, was ihnen irreligiöser schien als dieses. Auch Gott kann in der Religion nicht anders vorkommen als handelnd, und göttliches Leben und Handeln des Universums hat noch niemand geleugnet, und mit dem seienden und gebietenden Gott hat sie nichts zu schaffen, so wie ihr Gott den Physikern und Moralisten nichts frommt, deren traurige Mißverständnisse dies eben sind, und immer sein werden. Der handelnde Gott der Religion kann aber unsere Glückseligkeit nicht verbürgen; denn ein freies Wesen kann nicht anders wirken wollen auf ein freies Wesen, als nur daß es sich ihm zu erkennen gebe, einerlei ob durch Schmerz oder Lust. Auch kann es uns zur Sittlichkeit nicht reizen, denn es wird nicht anders betrachtet als handelnd, und auf unsere Sittlichkeit kann nicht gehandelt und kein Handeln auf sie kann gedacht werden.
Was aber die Unsterblichkeit betrifft, so kann ich nicht bergen, die Art, wie die meisten Menschen sie nehmen und ihre Sehnsucht darnach ist ganz irreligiös, dem Geist der Religion gerade zuwider, ihr Wunsch hat keinen andern [73] Grund, als die Abneigung gegen das was das Ziel der Religion ist. Erinnert Euch wie in ihr alles darauf hinstrebt, daß die scharf abgeschnittenen Umrisse unsrer Persönlichkeit sich erweitern und sich allmählich verlieren sollen ins Unendliche, daß wir durch das Anschauen des Universums so viel als möglich eins werden sollen mit ihm; sie aber sträuben sich gegen das Unendliche, sie wollen nicht hinaus; sie wollen nichts sein als sie selbst und sind ängstlich besorgt um ihre Individualität. Erinnert euch wie es das höchste Ziel der Religion war, ein Universum jenseits und über der Menschheit zu entdecken, und ihre einzige Klage, daß es damit nicht recht gelingen will auf dieser Welt; Jene aber wollen nicht einmal die einzige Gelegenheit ergreifen, die ihnen der Tod darbietet, um über die Menschheit hinauszukommen; sie sind bange, wie sie sie mitnehmen werden jenseits dieser Welt und streben höchstens nach wei teren Augen und besseren Gliedmaßen. Aber das Universum spricht zu ihnen wie geschrieben steht: wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten, und wer es erhalten will, der wird es verlieren. Das Leben was sie erhalten wollen ist ein erbärmliches, denn wenn es ihnen um die Ewigkeit ihrer Person zu tun ist, warum kümmern sie sich nicht ebenso ängstlich um das was sie gewesen sind, als um das was sie sein werden und was hilft ihnen das vorwärts wenn sie doch nicht rückwärts können? Über die Sucht nach einer Unsterblichkeit, die keine ist, und über die sie nicht Herren sind, verlieren sie die, welche sie haben könnten, und das sterbliche Leben dazu mit Gedanken, die sie vergeblich ängstigen und quälen. Versucht doch aus Liebe zum Universum Euer Leben aufzugeben. Strebt darnach schon hier Eure Individualität zu vernichten, und im Einen und Allen zu leben, strebt darnach mehr zu sein als Ihr selbst, damit Ihr wenig verliert, wenn Ihr Euch verliert; und wenn Ihr so mit dem Universum, soviel ihr hier davon findet, zusammengeflossen seid, und eine größere und heiligere Sehnsucht in Euch entstanden ist, dann wollen wir weiter reden über die Hoffnungen, die uns der Tod gibt, und über die Unendlichkeit zu der wir uns durch ihn unfehlbar emporschwingen.
Das ist meine Gesinnung über diese Gegenstände. Gott ist [74] nicht Alles in der Religion sondern Eins, und das Universum ist mehr; auch könnt Ihr ihm nicht glauben willkürlich, oder weil Ihr ihn brauchen wollt zu Trost und Hilfe, sondern weil Ihr müßt. Die Unsterblichkeit darf kein Wunsch sein, wenn sie nicht erst eine Aufgabe gewesen ist, die Ihr gelöst habt. Mitten in der Endlichkeit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion.
Dritte Rede
Über die Bildung zur Religion
[75] Was ich selbst bereitwillig eingestanden habe als tief im Charakter der Religion liegend, das Bestreben Proselyten machen zu wollen aus den Ungläubigen, das ist es doch nicht, was mich jetzt antreibt auch über die Bildung der Menschen zu dieser erhabenen Anlage und über ihre Bedingungen zu Euch zu reden. Zu jenem Endzweck kennt die Religion kein anderes Mittel, als nur dieses, daß sie sich frei äußert und mitteilt.
Wenn sie sich mit aller ihr eignen Kraft bewegt, wenn sie alle Vermögen des eignen Gemüts in dem Strom dieser Bewegung zu ihrem Dienst mit fortreißt: so erwartet sie auch daß sie hindurchdringen werde bis ins Innerste eines jeden Individuums welches in ihrer Atmosphäre atmet, daß jedes homogene Teilchen werde berührt werden, und von derselben Schwingung ergriffen zum Bewußtsein seines Daseins gelangend durch einen antwortenden, verwandten Ton das harrende Ohr des Auffordernden erfreuen werde. Nur so durch die natürlichen Äußerungen des eignen Lebens will sie das Ähnliche aufregen, und wo ihr das nicht gelingt verschmäht sie stolz jeden fremden Reiz, jedes gewalttätige Verfahren, beruhigt bei der Überzeugung, die Stunde sei noch nicht da, wo sich hier etwas ihr verschwistertes regen könne. Nicht neu ist mir dieser mißlingende Ausgang. Wie oft habe ich die Musik meiner Religion angestimmt um die Gegenwärtigen zu bewegen, von einzelnen leisen Tönen anhebend und mit jugendlichem Ungestüm sehnsuchtsvoll fortschreitend bis zur vollesten Harmonie der religiösen Gefühle: aber nichts regte sich und antwortete in ihnen! Von wie vielen werden auch diese Worte, die ich einer größern und beweglichern Atmosphäre vertraue, mit allem was sie Gutes darbieten sollten traurig zu mir zurückkehren ohne verstanden [76] zu sein, ohne auch nur die leiseste Ahndung von ihrer Absicht erweckt zu haben? Und wie oft werde ich und alle Verkündiger der Religion dieses uns von Anbeginn bestimmte Schicksal noch erneuern. Dennoch wird es uns nie quälen, denn wir wissen daß es nicht anders begegnen darf; und nie werden wir versuchen unsere Religion aufzudringen, auf irgendeinem andern Wege weder diesem noch dem künftigen Geschlechte. Da ich selbst nicht weniges an mir vermisse, was zum Ganzen der Menschheit gehört; da so Viele Vieles entbehren: welches Wunder wenn auch die Anzahl derer groß ist, denen die Religion versagt wurde. Und sie muß notwendig groß sein: denn wie kämen wir sonst zu einer Anschauung von ihr selbst und von den Grenzen welche sie nach allen Seiten hinaus den übrigen Anlagen des Menschen absteckt? woher wüßten wir wie weit er es hier und dort bringen kann ohne sie, und wo sie ihn aufhält und fördert? woher ahndeten wir, wie sie, auch ohne daß er es weiß, in ihm geschäftig ist? Besonders ist es der Natur der Dinge gemäß, daß in diesen Zeiten allgemeiner Verwirrung und Umwälzung ihr schlummernder Funke in vielen nicht aufglüht und wie liebevoll und langmütig wir sein pflegen mochten, doch nicht zum Leben gebracht wird, da er unter glücklichem Umständen sich in ihnen durch alle Hindernisse würde hindurchgearbeitet haben. Wo nichts unter allen menschlichen Dingen unerschüttert bleibt; wo jeder gerade das, was seinen Platz in der Welt bestimmt, und ihn an die irdische Ordnung der Dinge fesselt, in jedem Augenblick im Begriff sieht, nicht nur ihm zu entfliehen und sich von einem andern ergreifen zu lassen, sondern unterzugehen im allgemeinen Strudel; wo die Einen keine Anstrengung ihrer Kräfte schonen, und noch nach allen Seiten um Hilfe rufen um dasjenige festzuhalten was sie für die Angeln der Welt und der Gesellschaft der Kunst und der Wissenschaft halten die sich nun durch ein unbegreifliches Schicksal wie von selbst aus ihren innersten Gründen emporheben, und fallen lassen was sich so lange um sie bewegt hatte, und wo die Andern mit eben dem rastlosen Eifer geschäftig sind die Trümmern eingestürzter Jahrhunderte aus dem Wege zu räumen, um unter den Ersten zu sein, die sich ansiedeln auf dem fruchtbaren [77] Boden der sich unter ihnen bildet aus der schnell erkaltenden Lava des schrecklichen Vulkans; wo Jeder, auch ohne seine Stelle zu verlassen von den heftigen Erschütterungen des Ganzen so gewaltig bewegt wird, daß er in dem allgemeinen Schwindel froh sein muß, irgendeinen einzelnen Gegenstand fest genug ins Auge zu fassen, um sich an ihn halten und sich allmählich überzeugen zu können, daß doch etwas noch stehe; in einem solchen Zustande wäre es töricht zu erwarten, daß Viele geschickt sein könnten das Unendliche wahrzunehmen. Sein Anblick ist freilich mehr als je majestätisch und erhaben und in Augenblicken lassen sich bedeutendere Züge ablauschen als in Jahrhunderten: aber wer kann sich retten vor dem allgemeinen Treiben und Drängen! wer kann der Gewalt eines beschränkteren Interesses entfliehen? wer hat Ruhe und Festigkeit genug um stillzustehen und anzuschauen? Aber auch in den glücklichsten Zeiten, auch mit dem besten Willen, die Anlage zur Religion nicht nur da, wo sie ist, durch Mitteilung aufzuregen, sondern sie auch einzuimpfen und anzubilden auf jedem Wege der dazu führen könnte: wo gibt es denn einen solchen? Was durch Kunst und fremde Tätigkeit in einem Menschen gewirkt werden kann, ist nur dieses, daß Ihr ihm Eure Vorstellungen mitteilt, und ihn zu einem Magazin Eurer Ideen macht, daß Ihr sie so weit an die seinigen verflechtet bis er sich ihrer erinnert zu gelegener Zeit: aber nie könnt Ihr bewirken, daß er die welche Ihr wollt, aus sich hervorbringe. – Ihr seht den Widerspruch der den aus den Worten nicht herausgebracht werden kann. Nicht einmal gewöhnen könnt Ihr jemand auf einen bestimmten Eindruck so oft er ihm kommt eine bestimmte Gegenwirkung erfolgen zu lassen, vielweniger daß Ihr ihn dahin bringen könntet, über diese Verbindung hinauszugehen, und eine innere Tätigkeit dabei frei zu erzeugen. Kurz, auf den Mechanismus des Geistes könnt Ihr wirken, aber in die Organisation desselben, in diese geheiligte Werkstätte des Universums könnt Ihr nach Eurer Willkür nicht eindringen, da vermögt Ihr nicht irgend etwas zu ändern oder zu verschieben, wegzuschneiden oder zu ergänzen, nur zurückhalten könnt Ihr seine Entwickelung und gewaltsam einen Teil des Gewächses verstümmeln. Aus dem Innersten [78] seiner Organisation aber muß alles hervorgehen was zum wahren Leben des Menschen gehören und ein immer reger und wirksamer Trieb in ihm sein soll. Und von dieser Art ist die Religion; in dem Gemüt welches sie bewohnt, ist sie ununterbrochen wirksam und lebendig, macht Alles zu einem Gegenstande für sich, und jedes Denken und Handeln zu einem Thema ihrer himmlischen Phantasie. Alles was, wie sie, ein Kontinuum sein soll im menschlichen Gemüt, liegt weit außer dem Gebiet des Lehrens und Anbildens. Darum ist jedem, der die Religion so ansieht, Unterricht in ihr ein abgeschmacktes und sinnleeres Wort. Unsere Meinungen und Lehrsätze können wir Andern wohl mitteilen, dazu bedürfen wir nur Worte, und sie nur der auffassenden und nachbildenden Kraft des Geistes: aber wir wissen sehr wohl daß das nur die Schatten unserer Anschauungen und unserer Gefühle sind, und ohne diese mit uns zu teilen würden sie nicht verstehen was sie sagen und was sie zu denken glauben. Anschauen können wir sie nicht lehren, wir können nicht aus uns in sie übertragen die Kraft und Fertigkeit, vor welchen Gegenständen wir uns auch befinden dennoch überall das ursprüngliche Licht des Universums aus ihnen einzusaugen in unser Organ; das mimische Talent ihrer Phantasie können wir vielleicht so weit aufregen, daß es ihnen leicht wird, wenn Anschauungen der Religion ihnen mit starken Farben vorgemalt werden, einige Regungen in sich hervorzubringen die dem von ferne gleichen, wovon sie unsere Seele erfüllt sehen: aber durchdringt das ihr Wesen, ist das Religion? Wenn Ihr den Sinn für das Universum mit dem für die Kunst vergleichen wollt, so müßt Ihr diese Inhaber einer passiven Religiosität – wenn man es noch so nennen will – nicht etwa denen gegenüber stellen, die ohne selbst Kunstwerke hervorzubringen, dennoch von jedem was zu ihrer Anschauung kommt, gerührt und ergriffen werden; denn die Kunstwerke der Religion sind immer und überall ausgestellt; die ganze Welt ist eine Galerie religiöser Ansichten und ein Jeder ist mitten unter sie gestellt: sondern denen müßt Ihr sie vergleichen die nicht eher zur Empfindung gebracht werden bis man ihnen Kommentare und Phantasien über Werke der Kunst als Arzneimittel auflegt, und auch dann in einer [79] übel verstandnen Kunstsprache nur einige unpassende Worte herlallen wollen, die nicht ihr eigen sind. Das ist das Ziel alles Lehrens und absichtlichen Bildens in diesen Dingen. Zeigt mir Jemand, dem Ihr Urteilskraft, Beobachtungsgeist, Kunstgefühl oder Sittlichkeit angebildet und eingeimpft habt; dann will ich mich anheischig machen auch Religion zu lehren. Es gibt freilich in ihr ein Meistertum und eine Jüngerschaft, es gibt Einzelne, an welche Tausende sich anschließen: aber dieses Anschließen ist keine blinde Nachahmung, und Jünger sind das nicht, weil ihr Meister sie dazu gemacht hat; sondern er ist ihr Meister weil sie ihn dazu gewählt haben. Wer durch die Äußerungen seiner eignen Religion sie in Andern aufgeregt hat, der hat nun diese nicht mehr in seiner Gewalt sie bei sich zu behalten: frei ist auch ihre Religion sobald sie lebt und geht ihres eignen Weges. Sobald der heilige Funken aufglüht in einer Seele, breitet er sich aus zu einer freien und lebendigen Flamme, die aus ihrer eignen Atmosphäre ihre Nahrung saugt. Mehr oder weniger erleuchtet sie der Seele den ganzen Umfang des Universums und nach eigner Willkür kann diese sich ansiedeln auch fern von dem Punkt auf welchem sie sich zuerst erblickt hat. Nur vom Gefühl ihres Unvermögens und ihrer Endlichkeit gedrungen sich in irgendeine bestimmte Gegend niederzulassen, wählt sie ohne deshalb undankbar zu werden gegen ihren ersten Wegweiser jedes Klima, welches ihr am besten behagt, da sucht sie sich einen Mittelpunkt, bewegt sich durch freie Selbstbeschränkung in ihrer neuen Bahn, und nennt den ihren Meister, der diese ihre Lieblingsgegend zuerst aufgenommen und in ihrer Herrlichkeit dargestellt hat, seine Jüngerin durch eigne Wahl und freie Liebe.
Nicht also als ob ich Euch oder Andre bilden wollte zur Religion, oder Euch lehren wie Ihr Euch selbst absichtlich oder kunstmäßig dazu bilden müßt: ich will nicht aus dem Gebiet der Religion herausgehen, was ich somit tun würde sondern noch länger mit Euch innerhalb desselben verweilen. Das Universum bildet sich selbst seine Betrachter und Bewunderer, und wie das geschehe, wollen wir nur anschauen, soweit es sich anschauen läßt. Ihr wißt die Art wie jedes einzelne Element der Menschheit in einem Individuo erscheint, [80] hängt davon ab, wie es durch die übrigen begrenzt oder freigelassen wird; nur durch diesen allgemeinen Streit erlangt jedes in Jedem eine bestimmte Gestalt und Größe, und dieser wiederum wird nur durch die Gemeinschaft der Einzelnen und durch die Bewegung des Ganzen unterhalten. So ist Jeder und Jedes in Jedem ein Werk des Universums, und nur so kann die Religion den Menschen betrachten. In diesen Grund unseres bestimmten Seins und die religiöse Beschränkung unserer Zeitgenossen möchte ich Euch zurückführen; ich möchte Euch deutlich machen warum wir so und nicht anders sind und was geschehen müßte wenn nun unsere Grenzen auf dieser Seite sollten erweitert werden; ich wollte, Ihr könntet Euch bewußt werden wie auch Ihr durch Euer Sein und Wirken zugleich Werkzeuge des Universums seid und wie Euer auf ganz andre Dinge gerichtetes Tun Einfluß hat auf die Religion und ihren nächsten Zustand.
Der Mensch wird mit der religiösen Anlage geboren wie mit jeder andern, und wenn nur sein Sinn nicht gewaltsam unterdrückt, wenn nur nicht jede Gemeinschaft zwischen ihm und dem Universum gesperret und verrammelt wird – dies sind eingestanden die beiden Elemente der Religion – so müßte sie sich auch in Jedem unfehlbar auf seine eigne Art entwickeln; aber das ist es eben was leider von der ersten Kindheit an in so reichem Maße geschieht zu unserer Zeit. Mit Schmerzen sehe ich es täglich wie die Wut des Verstehens den Sinn gar nicht aufkommen läßt, und wie Alles sich vereinigt den Menschen an das Endliche und an einen sehr kleinen Punkt desselben zu befestigen damit das Unendliche ihm so weit als möglich aus den Augen gerückt werde. Wer hindert das Gedeihen der Religion? Nicht die Zweifler und Spötter; wenn diese auch gern den Willen mitteilen keine Religion zu haben, so stören sie doch die Natur nicht welche sie hervorbringen will; auch nicht die Sittenlosen, wie man meint, ihr Streben und Wirken ist einer ganz andern Kraft entgegengesetzt als dieser; sondern die Verständigen und praktischen Menschen, diese sind in dem jetzigen Zustande der Welt das Gegengewicht gegen die Religion, und ihr großes Übergewicht ist die Ursache, warum sie eine so dürftige und unbedeutende Rolle spielt. Von der zarten Kindheit [81] an mißhandeln sie den Menschen und unterdrücken sein Streben nach dem Höheren. Mit großer Andacht kann ich der Sehnsucht junger Gemüter nach dem Wunderbaren und Übernatürlichen zusehen. Schon mit dem Endlichen und Bestimmten zugleich suchen sie etwas Anders was sie ihm entgegensetzen können; auf allen Seiten greifen sie darnach, ob nicht etwas über die sinnlichen Erscheinungen und ihre Gesetze hinausreiche; und wie sehr auch ihre Sinne mit irdischen Gegenständen angefüllt werden, es ist immer als hätten sie außer diesen noch andre welche ohne Nahrung vergehen müßten. Das ist die erste Regung der Religion. Eine geheime unverstandne Ahndung treibt sie über den Reichtum dieser Welt hinaus; daher ist ihnen jede Spur einer andern so willkommen; daher ergötzen sie sich an Dichtungen von überirdischen Wesen, und alles wovon ihnen am klarsten ist, daß es hier nicht sein kann, umfassen sie mit aller der eifersüchtigen Liebe, die man einem Gegenstande widmet, auf den man ein offenbares Recht hat, welches man aber nicht geltend machen kann. Freilich ist es eine Täuschung, das Unendliche gerade außerhalb des Endlichen, das Entgegengesetzte außerhalb dessen zu suchen dem es entgegengesetzt wird; aber ist sie nicht höchst natürlich bei denen welche das Endliche selbst noch nicht kennen? und ist es nicht die Täuschung ganzer Völker, und ganzer Schulen der Weisheit? Wenn es Pfleger der Religion gebe unter denen die sich der werdenden Menschen annehmen, wie leicht wäre dieser von der Natur selbst veranstaltete Irrtum berichtigt, und wie begierig würde denn in helleren Zeiten die junge Seele sich den Eindrücken des Unendlichen in seiner Allgegenwart überlassen. Ehedem ließ man ihn ruhig walten; der Geschmack an grotesken Figuren, meinte man, sei der jungen Phantasie eigen in der Religion wie in der Kunst; man befriedigte ihn in reichem Maß, ja man knüpfte unbe sorgt genug die ernste und heilige Mythologie, das was man selbst für Religion hielt, unmittelbar an diese luftigen Spiele der Kindheit an: Gott, Heiland und Engel waren nur eine andere Art von Feen und Sylphen. So wurde freilich durch die Dichtung frühzeitig genug der Grund gelegt zu den Usurpationen der Metaphysik über die Religion: aber der Mensch blieb doch mehr sich selbst überlassen, [82] und leichter fand ein gradsinniges, unverdorbenes Gemüt, das sich frei zu halten wußte von dem Joch des Verstehens und Disputierens, in späteren Jahren den Ausgang aus diesem Labyrinth. Jetzt hingegen wird dieser Hang von Anfang an gewaltsam unterdrückt, alles übernatürliche und wunderbare ist proskribiert, die Phantasie soll nicht mit leeren Bildern angefüllt werden, man kann ja unterdes eben so leicht Sachen hineinbringen und Vorbereitungen aufs Leben treffen. So werden die armen Seelen, die nach ganz etwas anderem dursten, mit moralischen Geschichten gelangweilt und lernen, wie schön und nützlich es ist, fein artig und verständig zu sein; sie bekommen Begriffe von gemeinen Dingen, und ohne Rücksicht auf das zu nehmen, was ihnen fehlt, reicht man ihnen noch immer mehr von dem, wovon sie schon zu viel haben. Um den Sinn einigermaßen gegen die Anmaßungen der andern Vermögen zu schützen, ist jedem Menschen ein eigner Trieb eingepflanzt, bisweilen jede andere Tätigkeit ruhen zu lassen, und nur alle Organe zu öffnen, um sich von allen Eindrücken durchdringen zu lassen; und durch eine geheime höchst wohltätige Sympathie ist dieser Trieb gerade am stärksten, wenn sich das allgemeine Leben in der eignen Brust und in der umgebenden Welt am vernehmlichsten offenbart: aber daß es ihnen nur nicht vergönnt wäre, diesem Triebe in behaglicher untätiger Ruhe nachzuhängen; denn aus dem Standpunkt des bürgerlichen Lebens ist dies Trägheit und Müßiggang. Absicht und Zweck muß in Allem sein, sie müssen immer etwas verrichten, und wenn der Geist nicht mehr dienen kann, mögen sie den Leib üben; Arbeit und Spiel, nur keine ruhige, hingegebene Beschauung, – Die Hauptsache aber ist die, daß sie Alles verstehen sollen, und mit dem Verstehen werden sie völlig betrogen um ihren Sinn: denn so wie jenes betrieben wird, ist es diesem schlechthin entgegengesetzt. Der Sinn sucht sich Objekte, er geht ihnen entgegen und bietet sich ihren Umarmungen dar; sie sollen etwas an sich tragen, was sie als sein Eigentum, als sein Werk charakterisiert, er will finden und sich finden lassen; ihrem Verstehen kommt es gar nicht darauf an, wo die Objekte herkommen; mein Gott! sie sind ja da, ein wohlerworbenes angeerbtes Gut, wie lange sind sie schon [83] aufgezählt und definiert; nehmt sie nur, wie das Leben sie bringt, denn grade die, die es bringt, müßt ihr verste hen: sich selbst welche machen und suchen wollen, das ist ja exzentrisch, es ist hochfahrend, es ist ein vergebliches Treiben, denn was fruchtets im menschlichen Leben? Freilich nichts; aber ohne das wird kein Universum gefunden. – Der Sinn strebt den ungeteilten Eindruck von etwas Ganzem zu fassen; was und wie etwas für sich ist, will er erschauen, und jedes in seinem eigentümlichen Charakter erkennen: daran ist ihrem Verstehen nichts gelegen; das Was und Wie liegt ihnen zu weit, denn sie meinen es besteht nur in dem Woher und Wozu, in welchem sie sich ewig herumdrehen. Dies ist ihr großes Ziel, der Platz, den ein Gegenstand einnimmt in der Reihe der Erscheinungen, sein Anfangen und Aufhören ist ihr Alles. Auch fragen sie nicht darnach, ob und wie das, was sie verstehen wollen, ein Ganzes ist – das würde sie freilich weit führen, und mit einer solchen Tendenz würden sie so ganz ohne Religion wohl nicht abkommen – sie wollen es ja ohnedies zerstückeln und anatomieren. So gehen sie sogar mit demjenigen um, was eben dazu da ist, den Sinn in seiner höchsten Potenz zu befriedigen, mit dem, was gleichsam ihnen zum Trotz ein Ganzes ist in sich selbst, ich meine mit allem, was Kunst ist in der Natur und in den Werken des Menschen: sie vernichten es, ehe es seine Wirkung tun kann, im Einzelnen soll es verstanden und Dies und Jenes aus abgerissenen Stücken erlernet werden. Ihr werdet zugeben müssen, daß dies in der Tat die Praxis der verständigen Leute ist; Ihr werdet gestehen daß ein reicher und kräftiger Überfluß an Sinn dazu gehört, wenn auch nur etwas davon diesen feindseligen Behandlungen entgehen soll, und daß schon um deswillen die Anzahl derer nur gering sein kann, welche sich bis zur Religion erheben. Noch mehr aber schmilzt sie dadurch zusammen, daß nun noch das mögliche geschieht, damit der Sinn, welcher noch übrig blieb, sich nur nicht aufs Universum hinwende. In den Schranken des bürgerlichen Lebens müssen sie festgehalten werden mit allem, was in ihnen ist. Alles Handeln soll sich ja doch auf dieses beziehen, und so, meinen sie, besteht auch die gepriesene innere Harmonie des Menschen in nichts anderem, als daß sich alles wieder auf [84] sein Handeln beziehe. Stoff genug, meinen sie, habe er für seinen Sinn und reiche Gemälde vor sich, wenn er auch nie aus diesem Gesichtspunkt, der zugleich sein Stand und Drehpunkt ist, herausgehe. Daher sind alle Empfindungen, welche damit nichts zu tun haben, gleichsam unnütze Ausgaben, durch welche man sich erschöpft und von denen das Gemüt möglichst abgehalten werden muß durch zweckmäßige Tätigkeit. Daher ist reine Liebe zur Dichtung und zur Kunst eine Ausschweifung, die man nur duldet, weil sie nicht ganz so arg ist als andere. So wird auch das Wissen mit einer weisen und nüch ternen Mäßigung betrieben, damit es diese Grenzen nicht überschreite, und indem das Kleinste, was auf diesem Gebiet Einfluß hat, nicht aus der Acht gelassen wird, verschrein sie das Größte, eben weil es weiter zielt als etwas Sinnliches. Daß es Dinge gibt, die bis auf eine gewisse Tiefe erschöpft werden müssen, ist ihnen ein notwendiges Übel, und dankbar gegen die Götter, daß sich immer noch einige aus unbezwinglicher Neigung dazu hergeben, sehen sie diese als freiwillige Opfer mit heiligem Mitleid an. Daß es Gefühle gibt, die sich nicht zügeln lassen wollen durch ihre gebietende praktische Notwendigkeit, und daß so viele Menschen bürgerlich unglücklich oder unsittlich werden auf diesem Wege – denn auch die rechne ich zu dieser Klasse, die ein wenig über die Industrie hinausgehen und denen der sittliche Teil des bürgerlichen Lebens Alles ist – das ist der Gegenstand ihres herzlichsten Bedauerns, und sie nehmen es für einen der tiefsten Schäden der Menschheit, dem sie doch bald möglichst abgeholfen zu sehen wünschten. Das ist das große Übel, daß die guten Leute glauben, ihre Tätigkeit sei universell und die Menschheit erschöpfend, und wenn man tue, was sie tun, brauche man auch keinen Sinn, als nur für das, was man tut. Darum verstümmeln sie alles mit ihrer Schere, und nicht einmal eine originelle Erscheinung, die ein Phänomen werden könnte für die Religion, möchten sie aufkommen lassen; denn was von ihrem Punkte aus gesehen und umfaßt werden kann, das heißt Alles, was sie gelten lassen wollen, ist ein kleiner und unfruchtbarer Kreis ohne Wissenschaft, ohne Sitten, ohne Kunst, ohne Liebe, ohne Geist, und wahrlich auch ohne Buchstaben; kurz, ohne Alles, von wo aus sich die Welt entdecken [85] ließe, wenngleich mit viel hochmütigen Ansprüchen auf alles dieses. Sie freilich meinen, sie hätten die wahre und wirkliche Welt, und sie wären es eigentlich, die Alles in seinem rechten Zusammenhange nähmen. Möchten sie doch einmal einsehen, daß man jedes Ding, um es als Element des Ganzen anzuschauen, notwendig in seiner eigentümlichen Natur und in seiner höchsten Vollendung muß betrachtet haben. Denn im Universum kann es nur etwas sein durch die Totalität seiner Wirkungen und Verbindungen; auf diese kommt alles an, und um ihrer inne zu werden, muß man eine Sache nicht von einem Punkt außer ihr, sondern von ihrem eignen Mittelpunkt aus und von allen Seiten in Beziehung auf ihn betrachtet haben, das heißt, in ihrem abgesonderten Dasein, in ihrem eignen Wesen. Nur einen Gesichtspunkt zu wissen für Alles, ist gerade das Gegenteil von dem Alle zu haben für jedes, es ist der Weg, sich in gerader Richtung vom Universum zu entfernen, und in die jämmerlichste Beschränkung versunken, ein wahrer glebae adscriptus des Flecks zu wer den, auf dem man eben von Ohngefähr stehe. – Es gibt in dem Verhältnis des Menschen zu dieser Welt gewisse Übergänge ins Unendliche, durchgehauene Aussichten, vor denen jeder vorübergeführt wird, damit sein Sinn den Weg finde zum Universum, und bei deren Anblick Gefühle erregt werden, die zwar nicht unmittelbar Religion sind, aber doch, daß ich so sage, ein Schematismus derselben. Auch diese Aussichten verstopfen sie weislich, und stellen in die Öffnung so irgend etwas, womit man sonst einen unansehnlichen Platz verdeckt, ein schlechtes Bild, eine philosophische Karikatur; und wenn ihnen, wie es doch bisweilen geschieht, damit auch an ihnen die Allgewalt des Universums offenbar werde, irgendein Strahl zwischendurch in die Augen fällt, und ihre Seele sich einer schwachen Regung von jenen Empfindungen nicht erwehren kann, so ist das Unendliche nicht das Ziel, dem sie zufliegt, um daran zu ruhen, sondern wie das Merkzeichen am Ende einer Rennbahn nur der Punkt, um welchen sie sich, ohne ihn zu berühren, mit der größten Schnelligkeit herumbewegt, um nur je eher je lieber auf ihren alten Platz zurückkehren zu können. Geboren werden und [86] sterben sind solche Punkte, bei deren Wahrnehmung es uns nicht entgehen kann, wie unser eignes Ich überall vom Unendlichen umgeben ist, und die allemal eine stille Sehnsucht und eine heilige Ehrfurcht erregen; das Un ermeßliche der sinnlichen Anschauung ist doch auch eine Hindeutung wenigstens auf eine andere und höhere Unendlichkeit: aber ihnen wäre eben nichts lieber, als wenn man den größten Durchmesser des Weltsystems auch brauchen könnte zu Maß und Gewicht im gemeinen Leben, wie jetzt den größten Kreis der Erde, und wenn die Anschauung von Leben und Tod sie einmal ergreift, wie viel sie auch dabei sprechen mögen von Religion, glaubt mir, es liegt ihnen nichts so am Herzen, als bei jeder Gelegenheit dieser Art unter den jungen Leuten einige zu gewinnen für den Hufeland. Gestraft sind sie freilich genug; denn da sie auf keinem höheren Standpunkt stehen, um wenigstens diese Lebensweisheit, an der sie hängen, nach Prinzipien selbst zu machen, so bewegen sie sich sklavisch und ehrerbietig in alten Formen oder ergötzen sich an kleinlichen Verbesserungen, das ist das Extrem des Nützlichen, zu dem das Zeitalter mit raschen Schritten hingeeilt ist, von der unnützen scholastischen Wortweisheit, eine neue Barbarei als ein würdiges Gegenstück der alten, das ist die schöne Frucht der väterlichen eudämonistischen Politik, die die Stelle des rohen Despotismus eingenommen hat. Wir alle sind dabei hergekommen und im frühen Keim hat die Anlage zur Religion gelitten, daß sie nicht gleichen Schritt halten kann in ihrer Entwicklung mit den übrigen. Diese Menschen – Euch mit denen ich rede, kann ich sie gar nicht beigesellen, denn sie verachten die Religion nicht, obgleich sie sie vernichten, und sie sind auch nicht Gebildete zu nennen, obwohl sie das Zeitalter bilden, und die Menschen aufklären, und dies gern tun möchten bis zur leidigen Durchsichtigkeit – Diese sind immer noch der herrschende Teil, Ihr und wir ein kleines Häufchen. Ganze Städte und Länder werden nach ihren Grundsätzen erzogen, und wenn die Erziehung überstanden ist, findet man sie wieder in der Gesellschaft, in den Wissenschaften und in der Philosophie: ja auch in dieser, [87] denn nicht nur die alte – man teilt jetzt, wie Euch bekannt sein wird, die Philosophie mit viel historischem Geist nur in die alte, neue und neueste – ist ihr eigentlicher Wohnsitz, sondern selbst die neue haben sie in Besitz genommen. Durch ihren mächtigen Einfluß auf jedes weltliche Interesse und durch den falschen Schein von Philanthropie, womit sie auch die gesellige Neigung blendet, hält diese Denkungsart noch immer die Religion im Druck und widerstrebt jeder Bewegung, durch welche sie irgendwo ihr Leben offenbaren will, mit voller Kraft. Nur bei dem stärksten Oppositionsgeist gegen diese allgemeine Tendenz kann sich also jetzt die Religion emporarbeiten, und nie in einer andern Gestalt erscheinen, als in der, welche Jenen am meisten zuwider sein muß. Denn so wie Alles dem Gesetz der Verwandtschaft folgt, so kann auch der Sinn nur da die Oberhand gewinnen, wo er einen Gegenstand in Besitz genommen hat, an dem das ihm feindselige Verstehen nur lose hängt, und den er also sich am leichtesten und mit einem Übermaß freier Kraft zueignen kann. Dieser Gegenstand aber ist die innere Welt, nicht die äußere: die erklärende Psychologie, dieses Meisterstück jener Art des Verstandes, hat zuerst, nachdem sie sich durch Unmäßigkeit erschöpft und fast ehrlos gemacht hat, der Anschauung wieder das Feld geräumt. Wer also ein religiöser Mensch ist, der ist gewiß in sich gekehrt mit seinem Sinn, in der Anschauung seiner selbst begriffen, und alles Äußere, das Intellektuelle sowohl als das physische für jetzt noch den Verständigen überlassend zum großen Ziel ihrer Untersuchungen. Ebenso finden nach demselben Gesetz diejenigen am leichtesten den Übergang zum Unendlichen, die von dem Zentralpunkt aller Gegner des Universums durch ihre Natur am weitesten abgetrieben werden. Daher kommt es denn, daß seit langem her alle wahrhaft religiösen Gemüter sich durch einen mystischen Anstrich auszeichnen, und daß alle phantastischen Naturen, die sich mit dem Realen der weltlichen Angelegenheiten nicht befassen mögen, Anfälle von Religion haben: dies ist der Charakter aller religiösen Phänomene unserer Zeit, dies sind die beiden Farben, aus denen sie immer, wenngleich in den verschieden sten Mischungen, zusammengesetzt sind. Phänomene sage ich, denn mehr ist [88] nicht zu erwarten in dieser Lage der Dinge. Den phantastischen Naturen gebricht es an durchdringendem Geist, an Fähigkeit sich des Wesentlichen zu bemächtigen. Ein leichtes abwechselndes Spiel von schönen, oft entzückenden, aber immer nur zufälligen und ganz subjektiven Kombinationen genügt ihnen und ist ihr Höchstes; ein tiefer und innerer Zusammenhang bietet sich ihren Augen vergeblich dar. Sie suchen eigentlich nur die Unendlichkeit und Allgemeinheit des reizenden Scheines – die weit weniger oder auch weit mehr ist, als wohin der Sinn wirklich reicht – an den sie gewohnt sind sich zu halten, und daher bleiben alle ihre Ansichten abgerissen und flüchtig. Bald entzündet sich ihr Gemüt, aber nur mit einer unsteten gleichsam leichtfertigen Flamme: sie haben nur Anfälle von Religion, wie sie sie haben von Kunst, von Philosophie und allem Großen und Schönen, dessen Oberfläche sie einmal an sich zieht. Denjenigen dagegen zu deren innerem Wesen die Religion gehört, deren Sinn aber immer in sich gekehrt bleibt, weil er sich eines Mehreren in der gegenwärtigen Lage der Welt nicht zu bemächtigen weiß, gebricht es zu bald an Stoff um Virtuosen oder Helden der Religion zu werden. Es gibt eine große kräftige Mystik, die auch der frivolste Mensch nicht ohne Ehrerbietung und Andacht be trachten kann, und die dem Vernünftigsten Bewunderung abnötiget durch ihre heroische Einfalt und ihre stolze Weltverachtung. Nicht eben gesättigt und überschüttet von äußeren Anschauungen des Universums, aber von jeder einzelnen durch einen geheimnisvollen Zug immer wieder zurückgetrieben auf sich selbst und sich findend als den Grundriß und Schlüssel des Ganzen, durch eine große Analogie und einen kühnen Glauben überzeugt, daß es nicht nötig sei, sich selbst zu verlassen, sondern daß der Geist genug habe an sich, um auch alles dessen, was ihm das Äußere geben könnte, inne zu werden; so verschließt er durch einen freien Entschluß die Augen auf immer gegen Alles, was nicht Er ist: aber diese Verachtung ist keine Unbekanntschaft, dieses Verschließen des Sinnes ist kein Unvermögen. So aber ist es mit den Unsrigen: sie haben nichts sehen gelernt außer sich, weil ihnen alles nur in der schlechten Manier der gemeinen Erkenntnis mehr vorgezeichnet, als [89] gezeigt worden ist, sie haben nun weder Sinn noch Licht genug übrig von ihrer Selbstbeschauung, um diese alte Finsternis zu durchdringen, und zürnend mit dem Zeitalter, dem sie Vorwürfe zu machen haben, mögen sie gar nicht mit dem zu schaffen haben, was sein Werk in ihnen ist. Darum ist das Universum in ihnen ungebildet und dürftig, sie haben zu wenig anzuschauen, und allein wie sie sind mit ihrem Sinn, gezwungen sich in einem allzuengen Kreise ewig umher zu bewegen, erstirbt ihr religiöser Sinn nach einem kränklichen Leben aus Mangel an Reiz an indirekter Schwäche. Für die, deren Sinn fürs Universum bei größerer Kraft aber ebenso weniger Bildung, sich kühn nach außen wandernd auch dort mehr und neuen Stoff sucht, gibt es ein anderes Ende, das ihr Mißverhältnis gegen die Zeit nur zu deutlich offenbart, einen sthenischen Tod, also wenn Ihr wollt, eine Euthanasie, aber eine furchtbare – den Selbstmord des Geistes, der nicht verstehend die Welt zu fassen, deren inneres Wesen, deren großer Sinn ihm fremd blieb unter den kleinlichen Ansichten seiner Erziehung, getäuscht von verwirrten Erscheinungen, hingegeben zügellosen Phantasien, suchend das Universum und seine Spuren, da wo es nimmer war, endlich unwillig den Zusammenhang des Innern und Äußern gänzlich zerreißt, den ohnmächtigen Verstand verjagt, und in einem heiligen Wahnsinn endet, dessen Quelle fast Niemand erkennt, ein laut schreiendes und doch nicht verstandenes Opfer der allgemeinen Verachtung und Mißhandlung des Innersten im Menschen. Aber doch nur ein Opfer, kein Held: wer untergeht, gemeiniglich in der letzten Prüfung, kann nicht unter die gezählt werden, welche die innersten Mysterien empfangen haben. – Diese Klage, daß es keine beständige und vor der ganzen Welt anerkannte Repräsentanten der Religion unter uns gibt, soll dennoch nicht zurücknehmen, was ich früher, wohl wissend, was ich sagte, behauptet habe, daß auch unser Zeitalter der Religion nicht ungünstiger sei, als jedes andre. Gewiß, die Masse derselben in der Welt ist nicht verringert, aber zerstückelt und zu weit auseinander getrieben; durch einen gewaltigen Druck offenbart sie sich nur in kleinen und leichten aber vielen Erscheinungen, die mehr die [90] Mannigfaltigkeit des Ganzen erhöhen, und das Auge des Beobachters ergötzen, als daß sie für sich einen großen und erhabenen Eindruck machen könnten. Die Überzeugung, daß es Viele gibt, die den frischesten Duft des jungen Lebens in heiliger Sehnsucht und Liebe zum Ewigen und Unvergänglichen ausatmen, und spät erst, vielleicht nie ganz von der Welt überwunden werden, daß es keinen gibt, dem nicht einmal wenigstens der hohe Weltgeist erschienen wäre, und dem beschämten über sich selbst, dem errötenden über seine unwürdige Beschränkung einen von jenen tiefdringenden Blicken zugeworfen hätte, die das niedergesenkte Auge fühlt, ohne sie zu sehen; – hier stehe sie noch einmal, und das Bewußtsein eines Jeden unter Euch möge sie richten. Nur an Heroen der Religion, an heiligen Seelen wie man sie ehedem sah, denen sie Alles ist, und die ganz von ihr durchdrungen sind, fehlt es diesem Geschlecht, und muß es ihm fehlen. Und so oft ich darüber nachdenke was geschehen, und welche Rich tung unsere Bildung nehmen muß, wenn religiöse Menschen in einem höhern Stil wieder als seltene zwar, aber doch natürliche Produkte ihrer Zeit erscheinen sollen, so finde ich, daß Ihr durch Euer ganzes Streben – ob mit Eurem Bewußtsein mögt Ihr selbst entscheiden – einer Palingenesie der Religion nicht wenig zu Hilfe kommt, und daß teils Euer allgemeines Wirken, teils die Bestrebungen eines engeren Kreises, teils die erhabenen Ideen einiger außerordentlicher Geister im Gange der Menschheit benutzt werden zu diesem Endzweck.
Der Umfang und die Wahrheit der Anschauung hängt ab von der Schärfe und Weite des Sinnes, und der Weiseste ohne Sinn ist der Religion nicht näher als der Törichtste der einen richtigen Blick hat. Alles also muß davon anheben, daß der Sklaverei ein Ende gemacht werde, worin der Sinn der Menschen gehalten wird zum Behuf jener Verstandesübungen durch die nichts geübt wird, jener Erklärungen die nichts hell machen, jener Zerlegungen die nichts auflösen; und dies ist ein Zweck auf den Ihr Alle mit vereinten Kräften bald hinarbeiten werdet. Es ist mit den Verbesserungen der Erziehung gegangen wie mit allen Revolutionen die nicht aus den höchsten Prinzipien angefangen wurden; sie gleiten allmählich [91] wieder zurück in den alten Gang der Dinge und nur einige Veränderungen im Äußern erhalten das Andenken der an fangs für Wunder wie groß gehaltenen Begebenheit: die verständige und praktische Erziehung unterscheidet sich nur noch wenig – und dies Wenige liegt weder im Geist noch in der Wirkung – von der alten mechanischen. Dies ist Euch nicht entgangen, sie ist Euch größtenteils schon eben so verhaßt und eine reinere Idee verbreitet sich von der Heiligkeit des kindlichen Alters und von der Ewigkeit der unverletzlichen Willkür, auf deren Äußerungen man auch bei den werdenden Menschen schon warten und lauschen müsse. Bald werden diese Schranken gebrochen werden, die anschauende Kraft wird von ihrem ganzen Reiche Besitz nehmen, jedes Organ wird sich auftun und die Gegenstände werden sich auf alle Weise mit dem Menschen in Berührung setzen können. Mit dieser unbegrenzten Freiheit des Sinnes kann aber sehr wohl bestehen eine Beschränkung und feste Richtung der Tätigkeit. Dies ist die große Forderung mit welcher die Bessern unter Euch jetzt hervortreten an die Zeitgenossen und an die Nachwelt. Ihr seid müde das fruchtlose enzyklopädische Herumfahren mit anzusehen. Ihr seid selbst nur auf dem Wege dieser Selbstbeschränkung das geworden was Ihr seid, und Ihr wißt, daß es keinen andern gibt um sich zu bilden; Ihr dringt also darauf, Jeder solle etwas bestimmtes zu werden versuchen und solle irgend etwas mit Stetigkeit und ganzer Seele betreiben. Niemand kann die Wahrheit dieses Rats besser einsehen als der welcher schon zu jener Allgemeinheit des Sinnes herangereift ist, denn er muß wissen daß es keine Gegenstände geben würde, wenn nicht alles gesondert und beschränkt wäre. Und so freue auch ich mich dieser Bemühungen, und wollte sie wären schon weiter gediehen. Der Religion werden sie trefflich zu Nutze kommen. Denn gerade diese Beschränkung der Kraft, wenn nur der Sinn nicht mit beschränkt wird, bahnt ihm desto sicherer den Weg zum Unendlichen und eröffnet wieder die so lange gesperrte Gemeinschaft. Wer vieles angeschaut hat und kennt, und sich dann entschließen kann etwas Einzelnes mit ganzer Kraft und um sein selbst willen zu tun und zu fördern, der kann doch nicht anders als auch das übrige Einzelne [92] für etwas zu erkennen, was um sein selbst willen gemacht werden und da sein soll, weil er sonst sich selbst widersprechen würde, und wenn er dann was er wählte so hoch getrieben hat als er kann, so wird es ihm gerade auf dem Gipfel der Vollendung am wenigsten entgehen, daß es eben nichts ist ohne das Übrige. Dieses einem sinnigen Menschen sich überall aufdringende Anerkennen des Fremden und Vernichten des Eigenen, dieses zu gleicher Zeit geforderte Lieben und Verachten alles Endlichen und Beschränkten ist nicht möglich ohne eine dunkle Ahndung des Universums und muß notwendig eine lautere und bestimmtere Sehnsucht nach dem Unendlichen, nach dem Einem in Allem herbeiführen. Drei verschiedene Richtungen des Sinnes kennt jeder aus seinem eignen Bewußtsein, die eine nach innen zu auf das Ich selbst, die andre nach außen auf das Unbestimmte der Weltanschauung, und eine dritte die beides verbindet, indem der Sinn in ein stetes hin und her Schweben zwischen beiden versetzt nur in der unbedingten Annahme ihrer innigsten Vereinigung Ruhe findet; dies ist die Richtung auf das in sich Vollendete, auf die Kunst und ihre Werke. Nur Eine unter ihnen kann die herrschende Tendenz eines Menschen sein, aber von Jeder aus gibt es einen Weg zur Religion und sie nimmt eine eigentümliche Gestalt an nach der Verschiedenheit des Weges auf welchem sie gefunden worden ist. – Schaut Euch selbst an mit unverwandter Anstrengung, sondert alles ab, was nicht Euer Ich ist, fahrt so immer fort mit immer geschärfterem Sinn, und je mehr Ihr Euch selbst verschwindet, desto klarer wird das Universum vor Euch dastehen, desto herrlicher werdet Ihr belohnt werden für den Schreck der Selbstvernichtung durch das Gefühl des Unendlichen in Euch. Schaut außer Euch auf irgend einen Teil, auf irgend ein Element der Welt und faßt es auf in seinem ganzen Wesen, aber sucht auch alles zusammen was es ist, nicht nur in sich, sondern in Euch, in diesem und jenem und überall, wiederholt Euren Weg vom Um kreise zum Mittelpunkte immer öfter und in weitern Entfernungen: das Endliche werdet Ihr bald verlieren und das Universum gefunden haben. Ich wünschte wenn es nicht frevelhaft wäre, über sich hinaus zu wünschen, daß ich eben so klar anschauen könnte, wie der [93] Kunstsinn für sich allein übergeht in Religion, wie trotz der Ruhe in welche das Gemüt durch jeden einzelnen Genuß versenkt wird, es sich dennoch getrieben fühlt die Fortschreitungen zu machen die es zum Universum führen können. Warum sind die, welche dieses Weges gegangen sein mögen, so schweigsame Naturen? Ich kenne ihn nicht, das ist meine schärfste Beschränkung, es ist die Lücke, die ich tief fühle in meinem Wesen, aber auch mit Achtung behandle. Ich bescheide mich nicht zu sehen, aber ich – glaube; die Möglichkeit der Sache steht klar vor meinen Augen, nur daß sie mir ein Geheimnis bleiben soll. Ja, wenn es wahr ist daß es schnelle Bekehrungen gibt, Veranlassungen durch welche dem Menschen, der an nichts weniger dachte als sich über das Endliche zu erheben, in einem Moment wie durch eine innere unmittelbare Erleuchtung der Sinn fürs Universum aufgeht, und es ihn überfällt mit seiner Herrlichkeit; so glaube ich, daß mehr als irgend etwas anders der Anblick großer und erhabner Kunstwerke dieses Wunder verrichten kann; nur daß ich es nie fassen werde: doch ist dieser Glaube mehr auf die Zukunft gerichtet als auf die Vergangenheit oder die Gegenwart. Auf dem Wege der abgezogensten Selbstbeschauung das Universum zu finden war das Geschäft des uralten morgenländischen Mystizismus, der mit bewundernswerter Kühnheit das unendlich Große unmittelbar anknüpfte an das unendlich Kleine, und alles fand dicht an der Grenze des Nichts. Von der Weltanschauung weiß ich, ging jede Religion aus, deren Schematismus der Himmel war oder die organische Natur, und das vielgöttrige Ägypten war lange die vollkommenste Pflegerin dieser Sinnesart, in welcher – es läßt sich wenigstens ahnden – die reinste Anschauung des ursprünglichen Unendlichen und Lebendigen in demütiger Duldsamkeit dicht neben der finstersten Superstition und der sinnlosesten Mythologie mag gewandelt haben; von einer Kunstreligion, die Völker und Zeitalter beherrscht hatte, habe ich nie etwas vernommen. Nur das weiß ich daß sich der Kunstsinn nie jenen beiden Arten der Religion genähert hat, ohne sie mit neuer Schönheit und Heiligkeit zu überschütten und ihre ursprüngliche Beschränktheit freundlich [94] zu mildern. So wurde durch die ältere Weisen und Dichter der Griechen die Naturreligion in eine schönere und fröhlichere Gestalt umgewandelt und so erhob ihr göttlicher Plato die heiligste Mystik auf den höchsten Gipfel der Göttlichkeit und der Menschlichkeit. Laßt mich huldigen der mir unbe kannten Göttin, daß sie ihn und seine Religion so sorgsam und uneigennützig gepflegt hat. Die schönste Selbstvergessenheit bewundre ich in Allem was er in heiligem Eifer gegen sie sagt, wie ein gerechter König der auch der zu weichherzigen Mutter nicht schont, denn alles galt nur dem freiwilligen Dienst den sie der unvollkommenen Naturreligion leistete. Jetzt dient sie keiner, und Alles ist anders und schlechter. Religion und Kunst stehen nebeneinander wie zwei befreundete Seelen deren innere Verwandtschaft, ob sie sie gleich ahnden, ihnen doch noch unbekannt ist. Freundliche Worte und Ergießungen des Herzens schweben ihnen immer auf den Lippen und kehren immer wieder zurück weil sie die rechte Art und den letzten Grund ihres Sinnens und Sehnens noch nicht finden können. Sie harren einer näheren Offenbarung und unter gleichem Druck leidend und seufzend sehen sie einander dulden, mit inniger Zuneigung und tiefem Gefühl vielleicht, aber doch ohne Liebe. Soll nur dieser gemeinschaftliche Druck den glücklichsten Moment ihrer Vereinigung herbeiführen? oder werdet Ihr bald einen großen Streich ausführen für die Eine, die Euch so wert ist, so wird sie gewiß eilen wenigstens mit schwesterlicher Treue sich der andern anzunehmen. – Aber für jetzt entbehren nicht nur beide Arten der Religion der Hilfe der Kunst, auch an sich ist ihr Zustand übler als sonst. Groß und prächtig strömten beide Quellen der Anschauung des Unendlichen zu einer Zeit wo wissenschaftliches Klügeln ohne wahre Prinzipien durch seine Gemeinheit der Reinigkeit des Sinnes noch nicht Abbruch tat, obschon keine für sich reich genug war um das Höchste hervorzubringen; jetzt sind sie außerdem getrübt durch den Verlust der Einfalt und durch den verderblichen Einfluß einer eingebildeten und falschen Einsicht. Wie reinigt man sie? wie schafft man ihnen Kraft und Fülle genug um zu mehr als ephemeren Produkten den Erdboden zu befruchten? Sie zusammenzuleiten und in einem Bett zu vereinigen, [95] das ist das Einzige was die Religion, auf dem Wege den wir gehen, zur Vollendung bringen kann, das wäre eine Begebenheit aus deren Schoß sie bald in einer neuen und herrlichen Gestalt bessern Zeiten entgegen gehen würde. Sehet da, das Ziel Eurer gegenwärtigen höchsten Anstrengungen ist zugleich die Auferstehung der Religion! Eure Bemühungen sind es welche diese Begebenheit herbeiführen müssen, und ich feire Euch als die, wenn gleich unabsichtliche Retter und Pfleger der Religion. Weichet nicht von Eurem Posten und Eurem Werke, bis Ihr das Innerste der Erkenntnis aufgeschlossen und in priesterlicher Demut das Heiligtum der wahren Wissenschaft eröffnet habt, wo Allen welche hinzutreten, und auch den Söhnen der Religion Alles ersetzt wird, was ein halbes Wissen und ein übermütiges Pochen darauf verlieren machte. Die Moral in ihrer züchtigen himmlischen Schönheit fern von Eifersucht und despotischem Dünkel wird ihnen selbst beim Eingang die himmlische Leier und den magischen Spiegel reichen um ihr ernstes stilles Bilden mit göttlichen Tönen zu begleiten, und es in unzähligen Gestalten immer dasselbe durch die ganze Unendlichkeit zu erblicken. Die Philosophie den Menschen erhebend zum Begriff seiner Wechselwirkung mit der Welt, ihn sich kennen lehrend nicht nur als Geschöpf, sondern als Schöpfer zugleich, wird nicht länger leiden, daß unter ihren Augen der seines Zwecks verfehlend arm und dürftig verschmachte, welcher das Auge seines Geistes standhaft in sich gekehrt hält dort das Universum zu suchen. Eingerissen ist die ängstliche Scheidewand, alles außer ihm ist nur ein andres in ihm, alles ist der Widerschein seines Geistes, so wie sein Geist der Abdruck von Allem ist; er darf sich suchen in diesem Widerschein ohne sich zu verlieren oder aus sich heraus zu gehen, er kann sich nie erschöpfen im Anschauen seiner selbst, denn Alles liegt in ihm. Die Physik stellt den, welcher um sich schaut um das Universum zu erblicken mit kühnen Schritten in den Mittelpunkt der Natur, und leidet nicht länger daß er sich fruchtlos zerstreue und bei einzelnen kleinen Zügen verweile. Er verfolgt nur das Spiel ihrer Kräfte bis in ihr geheimstes Gebiet von den unzulänglichen Vor ratskammern des beweglichen Stoffs bis in die künstliche Werkstätte des organischen [96] Lebens, er ermißt ihre Macht von den Grenzen des Welten gebärenden Raumes bis in den Mittelpunkt seines eignen Ichs und findet sich überall mit ihr im ewigen Streit in unzertrennlichster Vereinigung, sich ihr innerstes Zentrum und ihre äußerste Grenze. Der Schein ist geflohen und das Wesen errungen; fest ist sein Blick und hell seine Aussicht überall unter allen Verkleidungen dasselbe erkennend und nirgends ruhend als in dem Unendlichen und Einen. Schon sehe ich einige bedeutende Gestalten eingeweiht in diese Geheimnisse aus dem Heiligtum zurückkehren, die sich nur noch reinigen und schmücken um im priesterlichen Gewände hervorzugehen. Möge denn auch die eine Göttin noch lange säumen mit ihrer hilfreichen Erscheinung, auch dafür bringt uns die Zeit einen großen und reichen Ersatz. Das größte Kunstwerk ist das, dessen Stoff die Menschheit ist welches das Universum unmittelbar bildet und für dieses muß Vielen der Sinn bald aufgehen. Denn es bildet jetzt eben mit kühner und kräftiger Kunst, und Ihr werdet die Neokoren sein, wenn die neuen Gebilde aufgestellt sind im Tempel der Zeit. Leget den Künstler aus mit Kraft und Geist, erklärt aus den frühern Werken die spätern, und diese aus jenen. Laßt uns Vergangenheit Gegenwart und Zukunft umschlingen, eine endlose Galerie der erha bensten Kunstwerke durch tausend glänzende Spiegel ewig vervielfältigt. Laßt die Geschichte, wie es derjenigen ziemt, der Welten zu Gebote stehn, mit reicher Dankbarkeit der Religion lohnen als ihrer ersten Pflegerin, und der ewigen Macht und Weisheit wahre und heilige Anbeter erwecken. Seht wie das himmlische Gewächs mitten in Euern Pflanzungen gedeiht ohne Euer Zutun. Stört es nicht und rauft es nicht aus! Es ist ein Beweis vom Wohlgefallen der Götter und von der Unvergänglichkeit Eueres Verdienstes, es ist ein Schmuck der es ziert, ein Talisman, der es schützt.
Vierte Rede
Über das Gesellige in der Religion oder über Kirche und Priestertum
[97] Diejenigen unter Euch, welche gewohnt sind die Religion nur als eine Krankheit des Gemüts anzusehen, pflegen auch wohl die Idee zu unterhalten, daß sie ein leichter zu duldendes, ja vielleicht zu bezähmendes Übel sei, so lange nur hie und da Einzelne abgesondert damit behaftet wären, daß aber die gemeine Gefahr aufs höchste gestiegen und Alles verloren sei, sobald unter mehreren Unglücklichen dieser Art eine allzunahe Gemeinschaft bestände. In jenem Falle könne man durch eine zweckmäßige Behandlung, gleichsam durch eine der Entzündung widerstehende Diät und durch gesunde Luft die Paroxismen schwächen, und den eigentümlichen Krankheitsstoff, wo nicht völlig besiegen, doch bis zur Unschädlichkeit verdünnen; in diesem Falle aber müsse man jede Hoffnung zur Rettung aufgeben; weit verheerender werde das Übel und von den gefährlichsten Symptomen begleitet, wenn die zu große Nähe der Andern es bei jedem Einzelnen hegt und schärft; durch Wenige werde dann bald die ganze Atmosphäre vergiftet, auch die gesundesten Körper werden angesteckt, alle Kanä le, in denen der Prozeß des Lebens vor sich gehen soll, zerstört, alle Säfte aufgelöset, und von dem gleichen fieberhaften Wahnsinn ergriffen, sei es um ganze Generationen und Völker unwiderbringlich getan. Daher ist Euer Widerwille gegen die Kirche, gegen jede Veranstaltung, bei der es auf Mitteilung der Religion angesehen ist, immer noch großer als der gegen die Religion selbst, daher sind Euch die Priester, als die Stützen und die eigentlich tätigen Mitglieder solcher Anstalten die Verhaßtesten unter den Menschen. Aber auch diejenigen unter Euch, [98] welche von der Religion eine etwas gelindere Meinung haben, und sie mehr für eine Sonderbarkeit als eine Zerrüttung des Gemüts, mehr für eine unbedeutende als gefährliche Erscheinung halten, haben von allen geselligen Einrichtungen für dieselbe vollkommen eben so nachteilige Begriffe. Knechtische Aufopferung des Eigentümlichen und Freien, geistloser Mechanismus und leere Gebräuche, dies meinen sie seien die unzertrennlichen Folgen davon, und das kunstreiche Werk derer, die sich mit unglaublichem Erfolg große Verdienste machen aus Dingen, die entweder Nichts sind, oder die Jeder andre gleich gut auszurichten imstande wäre. Ich würde über den Gegenstand, der mir so wichtig ist, mein Herz nur sehr unvollkommen gegen Euch ausgeschüttet haben, wenn ich mir nicht Mühe gäbe Euch auch hierüber auf den richtigen Gesichtspunkt zu stellen. Wieviel von den verkehrten Bestrebungen und den traurigen Schicksalen der Menschheit Ihr den Religionsvereinigungen schuld gebt, habe ich nicht nötig zu wiederholen, es liegt in tausend Äußerungen der Vielgeltendsten unter Euch zu Tage; noch will ich mich damit aufhalten diese Beschuldigungen einzeln zu widerlegen, und das Übel auf andere Ursachen zurückzuwälzen: laßt uns vielmehr den ganzen Begriff einer neuen Betrachtung unterwerfen und ihn vom Mittelpunkt der Sache aus aufs neue erschaffen, unbekümmert um das, was bis jetzt wirklich ist, und was die Erfahrung uns an die Hand gibt.
Ist die Religion einmal, so muß sie notwendig auch gesellig sein: es liegt in der Natur des Menschen nicht nur, sondern auch ganz vorzüglich in der ihrigen. Ihr müßt gestehen, daß es etwas höchst Widernatürliches ist, wenn der Mensch dasjenige, was er in sich erzeugt und ausgearbeitet hat, auch in sich verschließen will. In der beständigen, nicht nur praktischen, sondern auch intellektuellen Wechselwirkung, worin er mit den Übrigen seiner Gattung steht, soll er alles äußern und mitteilen, was in ihm ist, und je heftiger ihn etwas bewegt, je inniger es sein Wesen durchdringt, desto stärker wirkt auch der Trieb, die Kraft desselben auch außer sich an Andern anzuschauen, um sich vor sich selbst zu legitimieren, daß ihm nichts als menschliches begegnet sei. Ihr seht daß hier gar nicht von jenem Bestreben die Rede ist, Andere uns [99] ähnlich zu machen, noch von dem Glauben an die Unentbehrlichkeit dessen, was in uns ist für Alle; sondern nur davon, des Verhältnisses unserer besondern Ereignisse zur gemeinschaftlichen Natur inne zu werden. Der eigentlichste Gegenstand aber für dieses Verlangen ist unstreitig dasjenige, wobei der Mensch sich ursprünglich als leidend fühlt, Anschauungen und Gefühle; da drängt es ihn zu wissen, ob es keine fremde und unwürdige Gewalt sei, der er weichen muß. Darum sehen wir auch von Kindheit an den Menschen damit beschäftigt, vornehmlich diese mitzuteilen: eher läßt er seine Begriffe, über deren Ursprung ihm ohnedies kein Bedenken entstehen kann, in sich ruhen; aber was zu seinen Sinnen eingeht, was seine Gefühle aufregt, darüber will er Zeugen, daran will er Teilnehmer haben. Wie sollte er grade die Einwirkungen des Universums für sich behalten, die ihm als das größte und unwiderstehlichste erscheinen? Wie sollte er gerade das in sich festhalten wollen, was ihn am stärksten aus sich heraustreibt, und ihm nichts so sehr einprägt als dieses, daß er sich selbst aus sich allein nicht erkennen kann? Sein erstes Bestreben ist es vielmehr, wenn eine religiöse Ansicht ihm klar geworden ist, oder ein frommes Gefühl seine Seele durchdringt, auf den Gegenstand auch Andere hinzuweisen und die Schwingungen seines Gemüts womöglich auf sie fort zupflanzen. Wenn also von seiner Natur gedrungen der Religiöse notwendig spricht, so ist es eben diese Natur die ihm auch Hörer verschafft. Bei keiner Art zu denken und zu empfinden hat der Mensch ein so lebhaftes Gefühl von seiner gänzlichen Unfähigkeit ihren Gegenstand jemals zu erschöpfen, als bei der Religion. Sein Sinn für sie ist nicht sobald aufgegangen, als er auch ihre Unendlichkeit und seine Schränken fühlt; er ist sich bewußt nur einen kleinen Teil von ihr zu umspannen, und was er nicht unmittelbar erreichen kann, will er wenigstens durch ein fremdes Medium wahrnehmen. Darum interessiert ihn jede Äußerung derselben, und seine Ergänzung suchend, lauscht er auf jeden Ton den er für den ihrigen erkennt. So organisiert sich gegenseitige Mitteilung, so ist Reden und Hören Jedem gleich unentbehrlich. Aber religiöse Mitteilung ist nicht in Büchern zu suchen, wie etwa andere Begriffe und Erkenntnisse. Zuviel geht verloren [100] von dem ursprünglichen Eindruck in diesem Medium, worin alles verschluckt wird, was nicht in die einförmigen Zeichen paßt, in denen es wieder hervorgehen soll, wo Alles einer doppelten und dreifachen Darstellung bedürfte, indem das ursprünglich Darstellende wieder müßte dargestellt werden, und dennoch die Wirkung auf den ganzen Menschen in ihrer großen Einheit nur schlecht nachgezeichnet werden könnte durch vervielfältigte Reflexi on; nur wenn sie verjagt ist aus der Gesellschaft der Lebendigen, muß sie ihr vielfaches Leben verbergen im toten Buchstaben. Auch kann dieses Verkehr mit dem Innersten des Menschen nicht getrieben werden im gemeinen Gespräch. Viele, die voll guten Willens sind für die Religion, haben Euch das zum Vorwarf gemacht, warum doch von allen wichtigen Gegenständen unter Euch die Rede sei so im freundschaftlichen Umgange nur nicht von Gott und göttlichen Dingen. Ich möchte Euch darüber verteidigen, daß daraus wenigstens weder Verachtung noch Gleichgültigkeit spreche, sondern ein glücklicher und sehr richtiger Instinkt. Wo Freude und Lachen auch wohnen, und der Ernst selbst sich nachgiebig paaren soll mit Scherz und Witz, da kann kein Raum sein für dasjenige, was von heiliger Scheu und Ehrfurcht immerdar umgeben sein muß. Religiöse Ansichten, fromme Gefühle und ernste Reflexionen darüber kann man sich auch nicht so in kleinen Brosamen einander zuwerfen, wie die Materialien eines leichten Gesprächs: wo von so heiligen Gegenständen die Rede wäre, würde es mehr Frevel sein als Geschick, auf jede Frage sogleich eine Antwort bereit zu haben, und auf jede Ansprache eine Gegenrede. In dieser Manier eines leichten und schnellen Wechsels treffender Einfälle lassen sich göttliche Dinge nicht behandeln: in einem größern Stil muß die Mitteilung der Religion geschehen, und eine andere Art von Gesellschaft, die ihr eigen gewidmet ist, muß daraus entstehen. Es gebührt sich auf das höchste was die Sprache erreichen kann auch die ganze Fülle und Pracht der menschlichen Rede zu verwenden, nicht als ob es irgendeinen Schmuck gäbe, dessen die Religion nicht entbehren könnte, sondern weil es unheilig und leichtsinnig wäre nicht zu zeigen, daß Alles zusammengenommen wird, um sie in angemessener [101] Kraft und Würde darzustellen. Darum ist es unmöglich Religion anders auszusprechen und mitzuteilen als rednerisch, in aller Anstrengung und Kunst der Sprache, und willig dazu nehmend den Dienst aller Künste, welche der flüchtigen und beweglichen Rede beistehen können. Darum öffnet sich auch nicht anders der Mund desjenigen, dessen Herz ihrer voll ist, als vor einer Versammlung wo mannigfaltig wirken kann, was so stattlich ausgerüstet hervortritt. Ich wollte ich könnte Euch ein Bild machen von dem reichen schwelgerischen Leben in dieser Stadt Gottes, wenn ihre Bürger zusammenkommen, jeder voll eigner Kraft, welche ausströmen will ins Freie, und voll heiliger Begierde alles aufzufassen und sich anzueignen, was die Andern ihm darbieten mögen. Wenn einer hervortritt vor den Übrigen, ist es nicht ein Amt oder eine Verabredung die ihn berechtigt, nicht Stolz oder Dünkel, der ihm Anmaßung einflößt: es ist freie Regung des Geistes, Gefühl der herzlichsten Einigkeit Jedes mit Allem und der vollkommensten Gleichheit, gemeinschaftliche Vernichtung jedes Zuerst und Zuletzt und aller irdischen Ordnung. Er tritt hervor um seine eigne Anschauung hinzustellen, als Objekt für die Übrigen, sie hinzuführen in die Gegend der Religion wo er einheimisch ist, und seine heiligen Gefühle ihnen einzuimpfen: er spricht das Universum aus, und im heiligen Schweigen folgt die Gemeine seiner begeisterten Rede. Es sei nun daß er ein verborgenes Wunder enthülle, oder in weissagender Zuversicht die Zukunft an die Gegenwart knüpfe, es sei daß er durch neue Beispiele alte Wahrnehmungen befestige oder daß seine feurige Phantasie in erhabenen Visionen ihn in andere Teile der Welt und eine andre Ordnung der Dinge entzücke: der geübte Sinn der Gemeine begleitet überall den seinigen, und wenn er zurückkehrt von seinen Wanderungen durchs Universum in sich selbst, so ist sein Herz und das eines Jeden nur der gemeinschaftliche Schauplatz desselben Gefühls. Dann entgegnet ihm das laute Bekenntnis von der Übereinstimmung seiner Ansicht mit dem was in ihnen ist, und heilige Mysterien, nicht nur bedeutungsvolle Embleme, sondern recht angesehen natürliche Andeutungen eines bestimmten Bewußtseins und bestimmter Empfindungen – werden so erfunden [102] und so gefeiert; gleichsam ein höheres Chor, das in einer eignen erhabenen Sprache der auffordernden Stimme antwortet. Aber nicht nur gleichsam: so wie eine solche Rede Musik ist auch ohne Gesang und Ton, so ist auch eine Musik unter den Heiligen, die zur Rede wird ohne Worte, zum bestimmtesten verständlichsten Ausdruck des Innersten. Die Muse der Harmonie, deren vertrautes Verhältnis zur Religion noch zu den Mysterien gehört, hat von jeher die prächtigsten und vollendetsten Werke ihrer geweihtesten Schüler dieser auf ihren Altären dargebracht. In heiligen Hymnen und Chören, denen die Worte der Dichter nur lose und luftig anhängen, wird ausgehaucht was die bestimmte Rede nicht mehr fassen kann, und so unterstützen sich und wechseln die Töne des Gedankens und der Empfindung bis Alles gesättigt ist und voll des Heiligen und Unendlichen. Das ist die Einwirkung religiöser Menschen aufeinander, das ihre natürliche und ewige Verbindung. Verarget es ihnen nicht, daß dies himmlische Band, das vollendetste Resultat der menschlichen Geselligkeit, zu welchem sie nur gelangen kann, wenn sie vom höchsten Standpunkt aus in ihrem innersten Wesen erkannt wird, ihnen mehr wert ist, als Euer irdisches politisches Band, welches doch nur ein erzwungenes, vergängliches, interimistisches Werk ist. – Wo ist denn in dem Allen jener Gegensatz zwischen Priestern und Laien, den Ihr als die Quelle so vieler Übel zu beichnen pflegt? Ein falscher Schein hat Euch geblendet: dies ist gar kein Unterschied zwi schen Personen, sondern nur ein Unterschied des Zustandes und der Verrichtungen. Jeder ist Priester, indem er die Andern zu sich hinzieht auf das Feld, welches er sich besonders zugeeignet hat, und wo er sich als Virtuosen darstellen kann: jeder ist Laie, indem er der Kunst und Weisung eines Andern dahin folgt, wo er selbst Fremder ist in der Religion. Es gibt nicht jene tyrannische Aristokratie, die ihr so gehässig beschreibt: ein priesterliches Volk ist diese Gesellschaft, eine vollkommne Republik, wo Jeder abwechselnd Führer und Volk ist, jeder derselben Kraft im Andern folgt, die er auch in sich fühlt, und womit auch Er die Andern regiert. – Wo ist der Geist der Zwietracht und der Spaltungen, den Ihr als die unvermeidliche Folge aller Religionsvereinigungen [103] anseht? Ich sehe nichts, als daß alles Eins ist, und daß Alle Unterschiede, die es in der Religion selbst wirklich gibt, eben durch die gesellige Verbindung sanft ineinander fließen. Ich habe Euch selbst auf verschiedene Grade in der Religiosität aufmerksam gemacht, ich habe auf zwei verschiedene Sinnesarten hingedeutet und auf verschiedene Richtungen nach denen die Phantasie sich den höchsten Gegenstand der Religion individualisiert. Meint Ihr daraus müßten notwendig Sekten entstehen, und es müßte die freie Geselligkeit in der Religion hindern? In der idealen Betrachtung gilt es wohl, daß Alles was außereinander gesetzt und unter verschiedene Abteilungen befaßt ist sich auch entgegengesetzt und widersprechend sein muß, macht Euch aber doch davon los, wenn Ihr das Reale selbst anschaut da fließt Alles ineinander. Freilich werden diejenigen, die sich in einem dieser Punkte am ähnlichsten sind, sich auch einander am stärksten anziehen, aber sie können deswegen kein abgesondertes Ganzes ausmachen: denn die Grade dieser Verwandtschaft nehmen unmerklich ab und zu, und bei soviel Übergängen gibt es auch zwischen den entferntesten Elementen kein absolutes Abstoßen, keine gänzliche Trennung. Nehmt welche Ihr wollt von diesen Massen, die sich einzeln chemisch bilden, wenn Ihr sie nicht durch irgendeine mechanische Operation gewaltsam isoliert, wird keine ein eignes Individuum sein: ihre äußersten Teile werden zugleich mit Andern zusammenhängen, die eigentlich schon einer andern Masse angehören. Wenn die sich näher verbinden, welche auf derselben niederen Stufe stehn, so gibt es auch einige unter ihnen, die eine Ahndung des Besseren haben, und Jeder der wirklich höher gestellt ist versteht sie besser, als sie sich selbst; er ist sich des Vereinigungpunktes bewußt, der Jenen verborgen ist. Wenn die sich aneinander schließen, in denen die eine Sinnesart herrschend ist, so gibt es doch Einige, welche beide verstehen und beiden angehören, und der, in dessen Natur es liegt, das Universum zu personifizie ren, ist doch im Wesentlichen, im Stoff der Religion gar nicht von dem unterschieden, der dies nicht tut, und es wird nie an solchen fehlen, welche sich auch in die entgegengesetzte Form mit Leichtigkeit hineindenken können. Wenn [104] unbeschränkte Universalität des Sinnes die erste und ursprüngliche Bedingung der Religion, und also wie natürlich auch ihre schönste und reifste Frucht ist, so seht Ihr wohl es ist nicht anders möglich, je weiter Ihr fortschreitet in der Religion, desto mehr muß Euch die ganze religiöse Welt als ein unteilbares Ganzes erscheinen: nur in den niederen Gegenden kann vielleicht ein gewisser Absonderungstrieb wahrgenommen werden, die Höchsten und Gebildetsten sehen einen allgemeinen Verein, und eben dadurch daß sie ihn sehen, stiften sie ihn auch. Indem Jeder nur mit dem Nächsten in Berührung steht, aber auch nach allen Seiten und Richtungen einen Nächsten hat, ist er in der Tat mit dem Ganzen unzertrennlich verknüpft. Mystiker und Physiker in der Religion, Theisten und Pantheisten, die welche sich zur systematischen Ansicht des Universums erhoben haben, und die welche es nur noch in den Elementen oder im dunkeln Chaos anschauen. Alle sollen dennoch nur Eins sein, ein Band umschließt sie Alle, und sie können nur gewaltsam und willkürlich getrennt werden; jede einzelne Vereinigung ist nur ein fließender integrierender Teil des Ganzen, in unbestimmten Umris sen sich in dasselbe verlierend, und fühlt sich auch nur so. – Wo ist die verschriene wilde Bekehrungssucht zu einzelnen bestimmten Formen der Religion, und wo der schreckliche Wahlspruch: kein Heil außer uns? So wie ich Euch die Gesellschaft der Religiösen dargestellt habe, und wie sie ihrer Natur nach sein muß, geht sie nur auf gegenseitige Mitteilung und existiert nur zwischen solchen die schon Religion haben, welche es auch sei: wie könnte es also wohl ihr Geschäft sein diejenigen umzustimmen, die schon eine bestimmte bekennen oder diejenigen herbeizuführen und einzuweihen, denen es noch daran fehlt? Die Religion der Gesellschaft zusammengenommen ist die ganze Religion, die unendliche, die kein Einzelner ganz umfassen kann, und zu der sich also auch keiner bilden und erheben läßt. Hat also Jemand schon einen Anteil davon, welcher es auch sei, für sich erwählt, wäre es nicht ein widersinniges Verfahren von der Gesellschaft, wenn sie ihm das entreißen wollte was seiner Natur gemäß ist, da sie doch auch dieses in sich befassen soll, und also notwendig [105] einer es besitzen muß? Und wozu sollte sie diejenigen bilden wollen, denen die Religion überhaupt noch fremd ist? Ihr Eigentum, das unendliche Ganze kann doch auch sie selbst ihnen nicht mitteilen; also etwa das Allgemeine, das Unbestimmte, welches sich vielleicht ergeben würde wenn man das aufsuchte, was etwa bei allen ihren Gliedern anzutreffen ist? Aber Ihr wißt ja daß überall gar nichts als etwas Allgemeines und Unbestimmtes, sondern nur als etwas Einzelnes und in einer durchaus bestimmten Gestalt wirklich gegeben und mitgeteilt werden kann, weil es sonst nicht Etwas, sondern in der Tat Nichts wäre. An jedem Maßstabe und an jeder Regel würde es ihr also fehlen bei diesem Unternehmen. Und wie käme sie überhaupt dazu aus sich hinauszugehen, da das Bedürfnis aus welchem sie entstanden ist, das Prinzip der religiösen Geselligkeit auf gar nichts dergleichen hindeutet. Was also von dieser Art geschieht in der Religion ist immer nur ein Privatgeschäft des Einzelnen für sich. Genötiget sich aus dem Kreise der religiösen Vereinigung wo Anschauung des Universums ihm den erhabensten Genuß gewährt, und von heiligen Gefühlen durchdrungen sein Geist auf dem höchsten Gipfel des Lebens schwebt, zurückzuziehn in die niedrigen Gegenden des Lebens, ist es sein Trost daß er auch Alles womit er sich da beschäftigen muß, zugleich auf das beziehen kann, was seinem Gemüt immer das Höchste bleibt. Wie er von da herabkommt unter die, welche sich auf irgendein irdisches Streben und Treiben beschränken, glaubt er leicht, und verzeiht es ihm nur, aus dem Umgang mit Göttern und Musen unter ein Geschlecht roher Barbaren versetzt zu sein. Er fühlt sich als einen Verwalter der Religion unter den Ungläubigen, als einen Missionär unter den Wilden, ein neuer Orpheus hofft er manchen unter ihnen zu gewinnen durch himmlische Töne, und stellt sich dar unter ihnen als eine priesterliche Gestalt, seinen höhern Sinn klar und hell ausdrückend in allen Handlungen und in seinem ganzen Wesen. Regt dann der Eindruck des Heiligen und Göttlichen etwas ähnliches auf, wie gern pflegt er dann die ersten Ahndungen der Religion in einem neuen Gemüt, einen schönen Beweis seines Gedeihens auch in einem fremden und rauhen [106] Klima, wie triumphierend zieht er den Neuling mit sich empor zu der erhabenen Versammlung! Diese Geschäftigkeit um die Verbreitung der Religion ist nur die fromme Sehnsucht des Fremdlings nach seiner Heimat, das Bestreben sein Vaterland mit sich zu führen, und die Gesetze und Sitten desselben, sein höheres schöneres Leben überall anzuschauen, das Vaterland selbst in sich selig und sich vollkommen genug kennt auch dieses Bestreben nicht. –
Nach alle diesem werdet Ihr vielleicht sagen, daß ich ganz einig mit Euch zu sein schiene, ich habe die Kirche konstruiert aus dem Begriff ihres Zwecks, und indem ich ihr alle die Eigenschaften, welche sie jetzt auszeichnen, abgesprochen, so habe ich ihre gegenwärtige Gestalt eben so strenge gemißbilliget als Ihr selbst. Ich versichere Euch aber, daß ich nicht von dem geredet habe was sein soll, sondern von dem was ist, wenn Ihr anders nicht leugnen wollt, daß dasjenige wirklich schon ist, was nur durch Beschränkungen des Raumes gehindert wird auch dem gröberen Blick zu erscheinen. Die wahre Kirche ist in der Tat immer so gewesen, und ist noch so, und wenn Ihr sie nicht so sehet, so liegt die Schuld doch eigentlich an Euch und in einem ziemlich handgreiflichen Mißverständnis. Bedenkt nur, ich bitte Euch, daß ich um mich eines alten aber sehr sinnreichen Ausdruckes zu bedienen nicht von der streitenden, sondern von der triumphierenden Kirche geredet habe, nicht von der welche noch kämpft gegen alle Hindernisse der religiösen Bildung welche ihr das Zeitalter und der Zustand der Menschheit in den Weg legt, sondern von der, die schon alles was ihr entgegenstand überwunden und sich selbst konstituiert hat. Ich habe Euch eine Gesellschaft von Menschen dargestellt, die mit ihrer Religion zum Bewußtsein gekommen sind und denen die religiöse Ansicht des Lebens eine der herrschenden geworden ist, und da ich Euch überzeugt zu haben hoffe, daß das Menschen von einiger Bildung und von vieler Kraft sein müssen, und daß ihrer also immer nur sehr wenige sein können, so müßt Ihr freilich ihre Vereinigung da nicht suchen, wo viele Hunderte versammelt sind in großen Tempeln und ihr Gesang schon von fern Euer Ohr erschüttert: [107] so nahe wißt Ihr wohl stehen Menschen dieser Art nicht beieinander. Vielleicht ist sogar nur in einzelnen abgesonderten von der großen Kirche gleichsam ausgeschlossenen Gemeinheiten etwas Ähnliches in einem bestimmten Raum zusammengedrängt zu finden: das aber ist gewiß, daß alle wahrhaft religiöse Menschen, soviel es ihrer je gegeben hat, nicht nur den Glauben, sondern das lebendige Gefühl von einer solchen Vereinigung mit sich herumgetragen und in ihr eigentlich gelebt haben, und daß sie Alle das, was man gemeinhin die Kirche nennt, sehr nach seinem Wert, das heißt eben nicht sonderlich hoch, zu schätzen wußten.
Diese große Verbindung nämlich, auf welche Eure harten Beschuldigungen sich eigentlich beziehen, ist, weit entfernt eine Gesellschaft religiöser Menschen zu sein, vielmehr nur eine Vereinigung solcher, welche die Religion erst suchen, und so finde ich es sehr natürlich, daß sie jener fast in allen Stücken entgegengesetzt ist. Leider werde ich, um Euch dies so deutlich zu machen als es mir ist, in eine Menge irdischer weltlicher Dinge hinabsteigen und mich durch ein Labyrinth der wunderlichsten Verirrungen hindurchwinden müssen: es geschieht nicht ohne Widerwillen, aber es sei darum, Ihr müßt dennoch mit mir einig werden. Vielleicht daß schon die ganz verschiedene Form der Geselligkeit, wenn ich Euch aufmerksam darauf mache. Euch im Wesentlichen von meiner Meinung überzeugt. Ich hoffe Ihr seid aus dem vorigen mit mir einverstanden darüber daß in der wahren religiösen Geselligkeit alle Mitteilung gegenseitig ist, das Prinzip, welches uns zur Äußerung des eigenen antreibt, innig verwandt mit dem was uns zum Anschließen an das Fremde geneigt macht und so Wirkung und Gegenwirkung aufs unzertrennlichste miteinander verbunden. Hier im Gegenteil findet Ihr gleich eine durchaus andere Form: Alle wollen empfangen und nur einer ist da der geben soll; völlig passiv lassen sie auf einerlei Art in sich einwirken durch alle Organe, und helfen höchstens dabei selbst von innen nach soviel sie Gewalt über sich haben, ohne an eine Gegenwirkung auf Andere auch nur zu denken. Zeigt das deutlich genug, daß auch das Prinzip ihrer Geselligkeit ein ganz andres sein muß? Es kann wohl bei ihnen nicht [108] die Rede davon sein, daß sie nur ihre Religion ergänzen wollten durch die der Andern: denn wenn in der Tat welche in ihnen wohnte, würde diese sich wohl, weil es in ihrer Natur liegt, auch auf irgendeine Art tätig auf Andere beweisen. Sie tun keine Gegenwirkung, weil sie keiner fähig sind, und sie können nur darum keiner fähig sein, weil keine Religion in ihnen wohnt. Wenn ich mich eines Bildes bedienen darf aus der Wissenschaft, der ich am liebsten Ausdrücke abborge in Angelegenheiten der Religion, so möchte ich sagen, sie sind negativ religiös, und drängen sich nun in großen Haufen zu den wenigen Punkten hin, wo sie das positive Prinzip der Religion ahnden um sich mit diesem zu vereinigen. Haben sie aber dieses in sich aufgenommen, so fehlt es ihnen wiederum an Kapazität um das neue Produkt festzuhalten; der feine Stoff, der gleichsam nur ihre Atmosphäre umschweben konnte, entweicht ihnen, und sie gehen nun in einem gewissen Gefühl von Leere wieder eine Weile hin, bis sie sich aufs neue negativ angefüllt haben. Dies ist in wenig Worten die Geschichte ihres religiösen Lebens, und der Charakter der geselligen Neigung, welche mit darin eingeflochten ist. Nicht Religion, nur ein wenig Sinn für sie, und ein mühsames auf eine klägliche Art vergebliches Streben zu ihr selbst zu gelangen, das ist Alles, was man auch den Besten unter ihnen, denen die es mit Geist und Eifer treiben, zugestehen kann. Im Lauf ihres häuslichen und bürgerlichen Lebens, auf dem größeren Schauplatz von dessen Ereignissen sie Zuschauer sind, begegnet natürlich vieles, was auch einen geringen Anteil religiösen Sinnes affizieren muß. Aber es bleibt nur eine dunkle Ahndung, ein schwacher Eindruck auf einer zu weichen Masse, dessen Umrisse gleich ins Unbestimmte zerfließen; alles wird bald hinweggeschwemmt von den Wellen des praktischen Lebens in die unbesuchteste Gegend der Erinnerung, und auch dort von weltlichen Dingen bald ganz ver schüttet. Indes entsteht aus der öfteren Wiederholung dieses kleinen Reizes dennoch zuletzt ein Bedürfnis: die dunkle Erscheinung im Gemüt, die immer wiederkehrt, will endlich klar gemacht sein. Das beste Mittel dazu, so sollte man freilich denken, wäre dieses, wenn sie sich Muße nähmen, das [109] was so auf sie wirkt gelassen und genau zu betrachten: aber dieses wirkende ist das Universum, und in diesem liegen doch unter andern auch alle die einzelnen Dinge, an die sie in den übrigen Teilen ihres Lebens zu denken, und mit denen sie zu schaffen haben. Auf diese würde sich aus alter Gewohnheit ihr Sinn unwillkürlich richten, und das Erhabene und Unendliche würde sich ihren Augen wieder zerstückeln in lauter Einzelnes und Geringes. Das fühlen sie, und darum vertrauen sie sich selbst nicht und suchen fremde Hilfe: im Spiegel einer fremden Darstellung wollen sie anschauen was sie in der unmittelbaren Wahrnehmung nur verderben würden. – So suchen sie nach Religion: aber sie mißverstehen am Ende dies ganze Streben. Denn wenn nun die Äußerungen eines religiösen Menschen alle jene Erinnerungen geweckt haben, und sie nun von ihnen vereint affiziert mit einem stärkeren Eindruck von dannen gehn: so meinen sie ihr Bedürfnis sei gestillt, der Andeutung der Natur sei Genüge geschehen, und sie haben nun die Religion selbst in sich, die ihnen doch – gerade wie ehedem, nur in einem höheren Grade – nur als eine flüchtige Erscheinung von außen gekommen ist. Dieser Täuschung bleiben sie immer unterworfen, weil sie von der wahren und lebendigen Religion weder Begriff noch Anschauung haben, und wiederholen in vergeblicher Hoffnung endlich auf das rechte zu kommen tausendmal dieselbe Operation, und bleiben immer wo und was sie gewesen sind. Kämen sie weiter, würde ihnen auf diesem Wege die Religion selbsttätig und lebendig eingepflanzt, so würden sie bald die verlassen, deren Einseitigkeit und Passivität ihrem Zustande alsdann nicht länger angemessen wäre, noch auch erträglich sein könnte; sie würden sich wenigstens neben ihr einen andern Kreis suchen wo ihre Religion sich auch tätig zeigen und außer sich wirken könnte, und dieser müßte bald ihr Hauptwerk und ihre ausschließende Liebe werden. Und so wird auch in der Tat die Kirche den Menschen um so gleichgültiger je mehr sie zunehmen in der Religion, und die Frömmsten sondern sich stolz und kalt von ihr aus. Es kann in der Tat nichts deutlicher sein: man ist in dieser Verbindung nur deswegen weil man keine Religion hat, man verharrt darin nur so lange als man keine [110] hat. – Eben das geht aber auch aus der Art hervor, wie sie die Religion behandeln. Denn gesetzt auch es wäre unter wahrhaft religiösen Menschen eine einseitige Mitteilung und ein Zustand freiwilliger Passivität und Entäußerung möglich, so herrscht doch in ihrem gemeinschaftlichen Tun über dies durchaus die größte Verkehrtheit und Unkenntnis der Sache. Verständen sie sich auf die Religion, so würde ihnen doch das die Hauptsache sein, daß der, welchen sie für sich zum Organ der Religion gemacht haben, ihnen seine klarsten individuellsten Anschauungen und Gefühle mitteilte; das mögen sie aber nicht, sondern setzen vielmehr den Äußerungen seiner Individualität Schranken auf allen Seiten, und begehren daß er ihnen vornehmlich Begriffe, Meinungen, Lehrsätze, kurz statt der eigentlichen Elemente der Religion die Abstraktionen darüber ins Licht setzen soll. Verständen sie sich auf die Religion, so würden sie aus ihrem eigenen Gefühl wissen, daß jene symbolischen Handlungen, von denen ich gesagt habe, daß sie der wahren religiösen Geselligkeit wesentlich sind, ihrer Natur nach nichts sein können als Zeichen der Gleichheit des in Allen hervorgegangenen Resultats, Andeutung der Rückkehr zum gemeinschaftlichen Mittelpunkt, nichts als das vollstimmigste Schlußchor nach allem was einzelne rein und kunstreich mitgeteilt haben: davon aber wissen sie nichts, sondern sie sind ihnen etwas für sich Bestehendes und nehmen bestimmte Zeiten ein. Was geht daraus hervor als dieses, daß ihr gemeinschaftliches Tun nichts an sich hat von jenem Charakter einer hohen und freien Begeisterung der der Religion durchaus eigen ist, son dern ein schülerhaftes, mechanisches Wesen ist? und worauf deutet dieses wiederum, als darauf, daß sie die Religion erst von außen überkommen möchten? Das wollen sie auf alle Weise versuchen. Darum hängen sie so an den toten Begriffen, an den Resultaten der Reflexion über die Religion und saugen sie begierig ein, in der Hoffnung daß diese in ihnen den Rückweg ihrer eigentlichen Genesis machen und sich wieder in die lebendigen Anschauungen und Gefühle zurück verwandeln werden aus denen sie ursprünglich abgeleitet sind. Darum brauchen sie die symbolischen Handlungen, die eigentlich das letzte sind in der religiösen [111] Mitteilung, als Reizmittel, um das aufzuregen, was ihnen eigentlich vorangehen müßte.
Wenn ich von dieser größeren und weitverbreiteten Verbindung in Vergleichung mit der vortrefflicheren, die allein nach meiner Idee die wahre Kirche ist, nur sehr herabsetzend und als von etwas gemeinem und niedrigem gesprochen habe, so ist das freilich in der Natur der Sache begründet, und ich konnte meinen Sinn darüber nicht verhehlen: aber ich verwahre mich feierlichst gegen jede Vermutung, die Ihr wohl hegen könntet, als stimmte ich dem immer allgemeiner werdenden Wünschen bei, diese Anstalt lieber ganz zu zerstören. Nein, wenn die wahre Kirche doch immer nur denjenigen offen stehen wird welche schon im Besitz der Religion sind, so muß es doch irgendein Bin dungsmittel geben zwischen ihnen und denen welche sie noch suchen, und das soll doch diese Anstalt sein, denn sie muß ihrer Natur nach ihre Anführer und Priester immer aus jener hernehmen. Und soll gerade die Religion die einzige menschliche Angelegenheit sein in der es keine Veranstaltungen gäbe zum Behuf der Schüler und Lehrlinge? Aber freilich der ganze Zuschnitt dieser Anstalt müßte ein anderer sein, und ihr Verhältnis zur wahren Kirche ein ganz andres Ansehen gewinnen. Es ist mir nicht erlaubt hierüber zu schweigen. Diese Wünsche und Ansichten hängen zu genau mit der Natur der religiösen Geselligkeit zusammen und der bessere Zustand der Dinge, den ich mir denke, gereicht so sehr zu ihrer Verherrlichung, daß ich meine Ahndungen nicht in mich verschließen darf. Das wenigstens ist durch den schneidenden Unterschied den wir zwischen beiden festgestellt haben gewonnen, daß wir sehr ruhig und einträchtig über alle Mißbrauche die in der kirchlichen Gesellschaft obwalten, und über ihre Ursachen miteinander nachdenken können; denn Ihr müßt gestehen daß die Religion, da sie eine solche Kirche nicht hervorgebracht hat, von aller Schuld an jedem Unheil welches diese angerichtet haben soll und an dem verwerflichen Zustande worin sie sich befinden mag vorläufig freigesprochen werden muß, so gänzlich freigesprochen, daß man ihr nicht einmal den Vorwurf machen kann sie könne in so etwas ausarten: denn wo sie noch gar [112] nicht gewesen ist kann sie auch unmöglich ausgeartet sein. Ich gebe zu daß es in dieser Gesellschaft einen verderblichen Sektengeist gibt, und notwendig geben müsse. Wo die religiösen Meinungen gleichsam als Methode gebraucht werden um zur Religion zu gelangen, da müssen sie freilich in ein bestimmtes Ganzes gebracht werden, denn eine Methode muß durchaus bestimmt und auch endlich sein, und wo sie als etwas das nur von außen gegeben werden kann, angenommen werden auf die Autorität des Gebenden, da muß jeder Andersdenkende als ein Störer des ruhigen und sichern Fortschreitens angesehen werden, weil er durch sein bloßes Dasein und die Ansprüche die damit verbunden sind, diese Autorität schwächt; ich gestehe sogar, daß er in der alten Vielgötterei, wo das Ganze der Religion von selbst nicht in Eins befaßt war, und sie sich jeder Teilung und Absonderung williger darbot, weit gelinder und humaner war, und daß er erst in den sonst besseren Zeiten der systematischen Religion sich organisiert und in seiner ganzen Kraft gezeigt hat, denn wo Jeder ein ganzes System und einen Mittelpunkt dazu zu haben glaubt, da muß der Wert, der auf jedes Einzelne gelegt wird, ungleich größer sein: ich gebe beides zu; aber Ihr werdet mir einräumen daß jenes der Religion überhaupt nicht zum Vorwurf gereicht, und daß dieses nichts dagegen beweisen kann, daß die Ansicht des Universums als System nicht die höchste Stufe der Religion wäre. Ich gebe zu, daß es in dieser Gesellschaft mehr mit dem Verstehen oder Glauben, und mit dem Handeln und Vollziehn von Gebräuchen, als mit dem Anschaun und Fühlen gehalten wird, und daß sie daher immer, wie aufgeklärt auch ihre Lehre sei, an den Grenzen der Superstition einhergeht und an irgendeiner Mythologie hängt: aber Ihr werdet gestehen: daß sie nur um so weiter von der wahren Religion entfernt ist. Ich gebe zu, daß diese Verbindung nicht bestehen kann ohne einen permanenten Unterschied zwischen Priestern und Laien; denn wer unter diesen dahin käme selbst Priester sein zu können, das heißt wahre Religion in sich zuhaben, der könnte unmöglich Laie bleiben und sich noch ferner so gebärden als ob er keine hätte; er wäre vielmehr frei und verbunden diese Gesellschaft zu verlassen, und die wahre [113] Kirche aufzusuchen: aber das bleibt gewiß, daß diese Trennung mit Allem, was sie unwürdiges hat, und mit allen übeln Folgen, die ihr eigen sein können, nicht von der Religion herrührt, sondern selbst etwas ganz irreligiöses ist.
Jedoch eben hier höre ich Euch einen neuen Einwurf machen, der alle diese Vorwürfe wieder auf die Religion zurückzuwälzen scheint. Ihr werdet mich daran erinnern, daß ich selbst gesagt habe, die große kirchliche Gesellschaft, jene Anstalt für die Lehrlinge in der Religion meine ich, müsse der Natur der Sache nach ihre Anführer die Priester nur aus den Mitgliedern der wahren Kirche nehmen, weil es in ihr selbst an dem wahren Prinzip der Religion fehle. Ist dies so, werdet Ihr sagen, wie können denn die Virtuosen der Religion da wo sie zu herrschen haben, wo alles auf ihre Stimme hört, und wo sie selbst nur die Stimme der Religion hören sollten, so vieles dulden, ja mehr als dulden – denn wem verdankt die Kirche wohl alle ihre Einrichtungen als den Priestern? – was dem Geist der Religion ganz zuwider sein soll? Oder wenn es nicht so ist, wie es sein sollte, wenn sie sich vielleicht die Regierung ihrer Tochtergesellschaft haben entreißen lassen, wo ist dann der hohe Geist den wir mit Recht bei ihnen suchen? warum haben sie ihre wichtige Provinz so schlecht verwaltet? warum haben sie es geduldet daß niedrige Leidenschaften das zu einer Geißel der Menschheit machten, was unter den Händen der Religion ein Segen geblieben wäre? sie, für deren Jeden, wie du selbst gestehst, die Leitung derer, die ihrer Hilfe so sehr bedürfen, das erfreulichste und zugleich heiligste Geschäft sein muß. – Freilich ist es leider nicht so, wie ich behauptet habe, daß es sein soll: wer möchte wohl sagen, daß Alle diejenigen, daß auch nur der größte Teil, daß nachdem einmal solche Unterordnungen gemacht sind, auch nur die Ersten und Vornehmsten unter denen, welche die große Kirchengesellschaft regiert haben. Virtuosen der Religion oder auch nur Mitglieder der wahren Kirche gewesen wären? Nehmt nur, ich bitte Euch, das was ich sagen muß um sie zu entschuldigen, nicht für eine hinterlistige Retorsion. Wenn Ihr der Religion entgegenredet, tut Ihr es gewöhnlich im Namen der Philosophie; wenn Ihr der Kirche Vorwürfe macht, [114] sprecht Ihr im Namen des Staats: Ihr wollt die politischen Künstler aller Zeiten darüber verteidigen, daß durch Dazwischenkunft der Kirche ihr Kunstwerk soviel unvollkommene und übel beratene Stellen bekommen habe. Wenn nun ich, der ich im Namen der religiösen Virtuosen, und für sie rede, die Schuld davon daß sie ihr Geschäft nicht mit besserem Erfolg haben betreiben können, dem Staat und den Staatskünstlern beimesse, werdet Ihr mich nicht im Verdacht jenes Kunstgriffs haben? Dennoch hoffe ich Ihr werdet mir mein Recht nicht versagen können, wenn Ihr mich über die eigentliche Entstehung aller dieser Übel anhört.
Jede neue Lehre und Offenbarung, jede neue Ansicht des Universums, welche den Sinn für dasselbe anregt auf einer Seite wo es bisher noch nicht ergriffen worden ist, gewinnt auch einige Gemüter der Religion, für welche gerade dieser Punkt der einzige war durch welchen sie eingeführt werden konnten in die neue und unendliche Welt, und den meisten unter ihnen bleibt denn natürlich gerade diese Anschauung der Mittelpunkt der Religion, sie bilden um ihren Meister her eine eigne Schule, ein abgesondertes Bruchstück der wahren und allgemeinen Kirche, welches erst still und langsam seiner Vereinigung im Geist mit diesem großen Ganzen entgegenreift. Aber ehe diese erfolgt werden sie gewöhnlich, wenn erst die neuen Gefühle ihr ganzes Gemüt durchdrungen und gesättigt haben, heftig ergriffen von dem Bedürfnis zu äußern was in ihnen ist, damit das innere Feuer sie nicht verzehre. So verkündiget Jeder wo und wie er kann das neue Heil welches ihm aufgegangen ist, von jedem Gegenstande finden sie den Übergang zu dem neuentdeckten Unendlichen, jede Rede verwandelt sich in eine Zeichnung ihrer besondern religiösen Ansicht, jeder Rat, jeder Wunsch, jedes freundliche Wort in eine begeisterte Anpreisung des Weges, den sie als den einzigen kennen zum Tempel der Religion. Wer es weiß wie die Religion wirkt, der findet es natürlich daß sie Alle reden, sie würden fürchten, daß die Steine es ihnen zuvortäten. Und wer es weiß wie ein neuer Enthusiasmus wirkt der findet es natürlich daß dieses lebendige Feuer gewaltsam um sich greift, manche verzehrt, viele erwärmt und Tausenden den falschen oberflächlichen Schein [115] einer innern Glut mitteilt. Und diese Tausende sind eben das Verderben. Das jugendliche Feuer der neuen Heiligen nimmt auch sie für wahre Brüder, »was hindert, sprechen sie nur allzurasch, daß auch diese den heiligen Geist empfahen«, sie selbst nehmen sich dafür und lassen sich im freudigen Triumph einführen in den Schoß der frommen Gesellschaft. Aber wenn der Rausch der ersten Begeisterung vorüber, wenn die glühende Oberfläche ausgebrannt ist, so zeigt sich daß sie den Zustand in welchem die Andern sich befinden nicht aushalten und nicht teilen können, mitleidig stimmen sich diese herab zu ihnen, und entsagen ihrem eignen höheren und innigeren Genuß um ihnen wieder nachzuhelfen, und so nimmt alles die unvollkommne Gestalt an. Auf diese Art bildet sich ohne äußere Ursachen durch das allen menschlichen Dingen gemeine Verderbnis, der ewigen Ordnung gemäß nach welcher dieses Verderben gerade das feurigste und regsamste Leben am schnellsten ergreift, um jedes einzelne Bruchstück der wahren Kirche, welches irgendwo in der Welt isoliert entsteht, nicht abgesondert von jenem, sondern in und mit ihm, eine falsche und ausgeartete Kirche. So ist es zu allen Zeiten, unter allen Völkern und in jeder besondern Religion ergangen. Wenn man aber Alles ruhig sich überließe so könnte dieser Zustand unmöglich irgendwo lange gewährt haben. Gießt Stoffe von verschiedener Schwere und Dichtigkeit und die wenig innere Anziehung gegeneinander haben in ein Gefäß, rüttelt sie auch aufs heftigste durcheinander, daß Alles Eins zu sein scheint, und Ihr werdet sehen, wie Alles, wenn Ihr es nur ruhig stehn laßt, sich allmählich wieder sondert, und nur Gleiches sich zu Gleichem gesellt. So wäre es auch hier ergangen, denn das ist der natürliche Lauf der Dinge. Die wahre Kirche hätte sich still wieder ausgeschieden um der vertrauteren und höheren Geselligkeit zu genießen, welcher die Anderen nicht fähig wären; das Band der letzteren untereinander wäre dann so gut als gelöst gewesen, und ihre natürliche Passivität hätte irgend etwas äußeres erwarten müssen um zu bestimmen was aus ihnen werden sollte. Sie wären aber nicht verlassen geblieben von Jenen: wer hätte wohl außer ihnen das geringste Interesse gehabt sich ihrer anzunehmen? was [116] für eine Lockung hätte wohl ihr Zustand den Absichten Anderer Menschen dargeboten? Was wäre zu gewinnen, oder was für Ruhm wäre zu erlangen gewesen mit ihnen? Ungestört also wären die Mitglieder der wahren Kirche im Besitz geblieben, ihr priesterliches Amt unter ihnen in einer neuen und besser angelegten Gestalt wieder anzutreten. Jeder hätte diejenigen um sich versammelt die gerade ihn am besten verstehen, auf die nach seiner Art am meisten gewirkt werden konnte, und statt der ungeheuren Verbindung deren Dasein Ihr jetzt beseufzt, wären eine große Menge kleinerer und unbestimmter Gesellschaften entstanden, worin die Menschen sich auf allerlei Art bald hier bald dort geprüft hätten auf die Religion, und der Aufenthalt darin wäre nur ein vorübergehender Zustand gewesen, vorbereitend für den, dem der Sinn für die Religion aufgegangen wäre, entscheidend für den, der sich unfähig gefunden hätte auf irgendeine Art davon ergriffen zu werden. O goldnes Zeitalter der Religion, wann werden die Umwälzungen der menschlichen Dinge dich künstlich herbeiführen, nachdem du auf dem einfachen Wege der Natur verfehlt worden bist! Heil denen welche dann berufen werden! Gnädig sind ihnen die Götter, und reicher Segen folgt ihren Bemühungen auf ihrer Mission den Anfängern zu helfen und den Unmündigen den Weg eben zu machen zum Tempel des Ewigen, Bemühungen die Uns heutigen so karge Furcht bringen unter den ungünstigsten Umständen. Es ist wohl ein unheiliger Wunsch, aber ich kann ihn mir kaum versagen. Möchte doch allen Häuptern des Staats, allen Virtuosen und Künstlern der Politik auf immer fremd geblieben sein auch die entfernteste Ahndung von Religion! möchte doch nie einer ergriffen worden sein von der Gewalt jenes epidemischen Enthusiasmus, wenn sie doch ihre Individualität nicht zu scheiden wußten von ihrem Beruf und ihrem öffentlichen Charakter! Denn das ist uns die Quelle alles Verderbens geworden. Warum mußten sie die kleinliche Eitelkeit und den wunderlichen Dünkel, daß die Vorzüge, welche sie mitteilen könnten, überall ohne Unterschied etwas wichtiges sind, mitbringen in die Versammlung der Heiligen? Warum mußten sie die Ehrfurcht vor den Dienern des Heiligtums von dannen mit zurücknehmen [117] in ihre Paläste und Richtsäle? Ihr habt recht zu wünschen daß nie der Saum eines priesterlichen Gewandes den Fußboden eines königlichen Zimmers möchte berührt haben: aber laßt uns nur wünschen, daß nie der Purpur den Staub am Altar geküßt haben möchte; wäre dies nicht geschehen so würde jenes nicht erfolgt sein. Ja hätte man nie einen Fürsten in den Tempel gelassen, bevor er den schönsten königlichen Schmuck, das reiche Füllhorn aller seiner Gunst und Ehrenzeichen abgelegt hätte vor der Pforte! Aber sie haben es mitgenommen, sie haben gewähnt die einfache Hoheit des himmlischen Gebäudes schmücken zu können durch abgerissne Stücke ihrer irdischen Herrlichkeit, und statt eines geheiligten Herzens haben sie weltliche Gaben zurückgelassen als Weihgeschenke für den Höchsten. – So oft ein Fürst eine Kirche für eine Korporation erklärte, für eine Gemeinschaft mit eignen Vorrechten, für eine ansehnliche Person in der bürgerlichen Welt – und es geschah nie anders als wenn bereits jener unglückliche Zustand eingetreten war, wo die Gesellschaft der Gläubigen und die der Glaubensbegierigen, das wahre und das falsche, was sich bald wieder auf immer geschieden hätte, bereits vermischt war, denn ehe war nie eine religiöse Gesellschaft groß genug um die Aufmerksamkeit der Herrscher zu erregen – so oft ein Fürst sage ich zu dieser gefährlichsten und verderblichsten aller Handlungen sich verleiten ließ, war das Verderben dieser Kirche unwiderruflich beschlossen und eingeleitet. Wie das furchtbare Medusenhaupt wirkt eine solche Konstitutionsakte politischer Existenz auf die religiöse Gesellschaft: alles versteinert sich sowie sie erscheint. Alles nicht Zusammengehörige was nur für einen Augenblick ineinander geschlungen war ist nun unzertrennlich aneinander gekettet; alles Zufällige, was leicht hätte abgeworfen werden können ist nun auf immer befestigt; das Gewand ist mit dem Körper aus einem Stück, und jede unschickliche Falte ist für die Ewigkeit. Die größere und unechte Gesellschaft läßt sich nun nicht mehr trennen von der höheren und kleineren, wie sie doch getrennt werden müßte; sie läßt sich nicht mehr teilen noch auflösen; sie kann weder ihre Form noch ihre Glaubensartikel mehr andern; ihre Einsichten, ihre Gebräuche, alles ist verdammt [118] in dem Zustande zu verharren in dem es sich eben befand. Aber das ist noch nicht Alles: die Mitglieder der wahren Kirche die mit in ihr enthalten sind, sind von nun an von jedem Anteil an ihrer Regierung so gut als ausgeschlossen mit Gewalt, und außer Stand gesetzt das wenige für sie zu tun was noch getan werden könnte. Denn es gibt nun mehr zu regieren als sie regieren können, und wollen: weltliche Dinge sind jetzt zu ordnen und zu besorgen, und wenn sie sich gleich auch darauf verstehen in ihren häuslichen und bürgerlichen Angelegenheiten, so können sie sie doch nicht als eine Sache ihres priesterlichen Amtes behandeln. Das ist ein Widerspruch, der in ihren Sinn nicht eingeht, und mit dem sie sich nie aussöhnen können; es geht nicht zusammen mit ihrem hohen und reinen Begriff von Religion und religiöser Geselligkeit. Weder für die wahre Kirche, der sie angehören, noch für die größere Gesellschaft, die sie leiten sollen, können sie begreifen, was sie denn nun machen sollen mit den Häusern und Äckern die sie erwerben und den Reichtümern die sie besitzen können, und was das helfen soll für ihren Zweck. Sie sind außer Fassung gesetzt und verwirrt durch diesen widernatürlichen Zustand; und wenn nun durch dieselbe Begebenheit zugleich Alle, die angelockt werden, die sonst immer draußen geblieben sein würden, wenn es nun das Interesse aller Stolzen, Ehrgeizigen und Habsüchtigen und Ränkevollen geworden ist sich einzudrängen in die Kirche, in deren Gemeinschaft sie sonst nur die bitterste Langeweile empfunden hätten, wenn diese nun anfangen Teilnahme an heiligen Dingen und Kunde davon zu heucheln um den weltlichen Lohn davon zu tragen; wie sollen Jene wohl ihnen nicht unterliegen? Wer trägt also die Schuld wenn unwürdige Menschen den Platz der Virtuosen der Heiligkeit einnehmen, und wenn unter ihrer Aufsicht alles sich einschleichen und festsetzen darf was dem Geist der Religion am meisten zuwider ist? wer anders als der Staat mit seiner übel verstandenen Großmut. Er ist aber auf eine noch unmittelbarere Art Ursach, daß das Band zwischen der wahren Kirche und der äußeren Religionsgesellschaft sich gelöst hat. Denn nachdem er dieser jene unselige Wohltat erwiesen [119] meinte er ein Recht auf ihre tätige Dankbarkeit zu haben, und hat sie belehnt mit drei höchst wichtigen Aufträgen in seinen Angelegenheiten. Der Kirche hat er mehr oder weniger übertragen die Sorge und Aufsicht auf die Erziehung; unter den Auspizien der Religion und in der Gestalt einer Gemeine, will er, daß das Volk unterrichtet werde in den Pflichten, die seine Gesetze nicht fassen, und beredet zu sittlichen Gesinnungen; und von der Kraft der Religion und den Unterweisungen der Kirche fordert er, daß sie ihm seine Bürger wahrhaft mache in ihren Aussagen. Und zur Vergeltung für diese Dienste die er begehrt beraubt er sie nun – so ist es ja fast in allen Teilen der gesitteten Welt, wo es einen Staat und eine Kirche gibt – ihrer Freiheit, er behandelt sie als eine Anstalt die er eingesetzt und erfunden hat, und freilich ihre Fehler und Mißbräuche sind fast alle seine Erfindung, und er allein maßt sich die Entscheidung darüber an, wer tüchtig sei als Vorbild und als Priester der Religion aufzutreten in dieser Gesellschaft. Und dennoch wollt Ihr es von der Religion fordern, wenn es nicht alles heilige Seelen sind. Aber ich bin noch nicht am Ende mit meinen Anklagen: sogar in die innersten Mysterien der religiösen Geselligkeit trägt er sein Interesse hinein und verunreinigt sie. Wenn die Kirche in prophetischer Andacht die Neugebornen der Gottheit und dem Streben nach dem Höchsten weihet, so will er sie dabei zugleich aus ihren Händen empfangen in die Liste seiner Schutzbefohlenen; wenn sie den Heranwachsenden den ersten Kuß der Brüderschaft gibt, als solchen, die nun den ersten Blick getan haben in die Heiligtümer der Religion, so soll das auch für ihn das Zeugnis sein von dem ersten Grade ihrer bürgerlichen Selbständigkeit, wenn sie mit gemeinschaftlichen frommen Wünschen die Verschmelzung zweier Personen heiligt wodurch sie zu Werkzeugen des schaffenden Universums werden, so soll das zugleich seine Sanktion sein für ihr bürgerliches Bündnis; und selbst daß ein Mensch verschwunden ist vom Schauplatz dieser Welt, will er nicht eher glauben, bis sie ihn versichert, daß sie seine Seele wiedergegeben habe dem Unendlichen, und seinen Staub eingeschlossen in den Schoß der heiligen Erde. Es zeigt Ehrfurcht vor der Religion und ein Bestreben sich [120] immer im Bewußtsein seiner eige nen Schranken zu erhalten, daß er sich so jedesmal beugt vor ihr und ihren Verehrern, wenn er etwas empfängt aus den Händen der Unendlichkeit, oder es wieder abliefert in dieselben: aber wie auch dies alles nur zum Verderben der religiösen Gesellschaft wirkt, ist klar genug. Nichts gibt es nun in allen ihren Einrichtungen, was sich auf die Religion allein bezöge, oder worin sie auch nur die Hauptsache wäre: in den heiligen Reden und Unterweisungen sowohl als in den geheimnisvollen und symbolischen Handlungen ist alles voll von moralischen und politischen Beziehungen, alles ist abgewendet von seinem ursprünglichen Zweck und Begriff. Viele gibt es daher unter ihren Anführern die nichts verstehn von der Religion und viele unter ihren Mitgliedern, denen es nicht in den Sinn kommt sie suchen zu wollen.
Daß eine Gesellschaft, welcher so etwas begegnen kann, welche mit einer Demut Wohltaten empfängt, die ihr zu nichts dienen, und mit kriechender Bereitwilligkeit Lasten übernimmt die sie ins Verderben stürzen, welche sich mißbrauchen läßt von einer fremden Macht, welche ihre Freiheit und Unabhängigkeit, die ihr doch angeboren ist, fahren läßt für einen leeren Schein, welche ihren hohen und erhabnen Zweck aufgibt um Dingen nachzugehn die ganz außer ihrem Wege liegen, daß dies nicht eine Gesellschaft von Menschen sein kann, die ein bestimmtes Streben haben und genau wissen, was sie wollen, das denke ich springt in die Augen; und diese kurze Hinweisung auf die Begebenheiten der kirchlichen Gesellschaft ist, denke ich, der beste Beweis davon, daß sie nicht die eigentliche Gesellschaft der religiösen Menschen ist, daß höchstens einige Partikeln von dieser mit ihr vermischt waren, überschüttet von fremden Bestandteilen, und daß das Ganze, um den ersten Stoff dieses unermeßlichen Verderbens aufzunehmen, schon in einem Zustande krankhafter Gärung sein mußte, in welcher die wenigen gesunden Teile bald gänzlich entwichen. Voll heiligen Stolzes hätte die wahre Kirche Gaben verweigert, die sie nicht brauchen konnte, wohl wissend, daß diejenigen welche die Gottheit gefunden haben und sich ihrer gemeinschaftlich erfreuen, in ihrer reinen Geselligkeit in der sie nur ihr innerstes [121] Dasein ausstellen und mitteilen wollen, eigentlich nichts gemein haben, dessen Besitz ihnen geschützt werden müßte durch eine weltliche Macht, daß sie nichts brauchen auf Erden, und auch nichts brauchen können als eine Sprache um sich zu verstehn, und einen Raum um beieinander zu sein, Dinge zu denen sie keiner Fürsten und ihrer Gunst bedürfen.
Wenn es aber doch eine vermittelnde Anstalt geben soll, durch welche die wahre Kirche in eine gewisse Berührung kommt mit der profanen Welt mit der sie unmittelbar nichts zu schaffen hat, gleichsam eine At mosphäre durch welche sie sich zugleich reinigt und auch neuen Stoff an sich zieht und bildet: welche Gestalt soll diese Gesellschaft denn annehmen, und wie wäre sie zu befreien von dem Verderben welches sie eingesogen hat? Das Letzte bleibe der Zeit zu beantworten überlassen: es gibt zu Allem was irgend einmal geschehen muß tausend verschiedene Wege, und für alle Krankheiten der Menschheit mannigfaltige Heilarten: jede wird an ihrem Ort versucht werden und zum Ziele führen. Nur dies Ziel sei mir erlaubt anzudeuten, um Euch desto klarer zu zeigen daß es auch hier nicht die Religion und ihr Streben gewesen ist, worauf Euer Unwille sich geworfen hat.
Der eigentliche Hauptbegriff davon ist doch dieser, daß denjenigen die in einem gewissen Grade Sinn für die Religion haben, die aber weil sie in ihnen noch nicht zum Ausbruch und zum Bewußtsein gekommen ist, noch nicht fähig sind der wahren Kirche einverleibt zu werden, absichtlich soviel Religion gezeigt werde, daß dadurch ihre Anlage für dieselbe notwendig entwickelt werden muß. Laßt uns sehen was eigentlich verhindert daß dies in der gegenwärtigen Lage der Dinge nicht geschehen kann. – Ich will nicht noch einmal daran erinnern, daß der Staat jetzt diejenigen, die in dieser Gesellschaft Anführer und Lehrer sind – nur ungern bediene ich mich aus Mangel dieses Worts welches für das Geschäft sich nicht schickt – nach seinen Wünschen auswählt, die mehr auf Beförderung der übrigen Angelegenheiten, die er mit dieser Anstalt verbunden hat, gerichtet sind; daß man ein höchst verständiger Pädagog und ein sehr reiner trefflicher Moralist sein kann ohne von der Religion [122] das bitterste zu verstehen; und daß es daher Vielen, die er unter seine würdigsten Diener in dieser Anstalt zählt, leicht ganz daran fehlen mag; ich will annehmen. Alle die er einsetzt wären wirklich Virtuosen in der Religion: so würdet Ihr doch zugeben, daß kein Künstler seine Kunst einer Schule mit einigem Erfolg mitteilen kann wenn nicht unter den Lehrlingen eine gewisse Gleichheit der Vorkenntnisse stattfindet; und doch ist diese in jeder Kunst wo der Schüler seine Fortschritte durch Übungen macht, und der Lehrer vornehmlich durch Kritik nützlich ist, minder notwendig als in der Religion wo der Meister nichts tun kann als zeigen und darstellen. Hier muß alle seine Arbeit vergeblich sein, wenn nicht Allen dasselbe, nicht nur verständlich, sondern auch angemessen und heilsam ist. Nicht also in Reihe und Glied, wie sie ihm zugezählt sind nach einer alten Verteilung, nicht wie ihre Häuser nebeneinander stehn, oder wie sie verzeichnet sind in den Listen der Polizei, muß der heilige Redner seine Zuhörer bekommen, sondern nach einer gewissen Ähnlichkeit der Fähigkeiten und der Sinnesart. – Laßt aber auch nur solche sich bei Einem Meister versam meln die der Religion gleich nahe sind, so sind sie es doch nicht auf gleiche Weise, und es ist höchst widersinnig irgendeinen Lehrling auf einen bestimmten Meister beschränken zu wollen, weil es nirgend einen solchen Virtuosen in der Religion geben kann welcher imstande wäre Jedem der ihm vorkommt durch seine Darstellung und Rede den verborgenen Keim der Religion ans Licht zu locken. Gar zu viel umfassend ist ihr Gebiet. Erinnert Euch der verschiedenen Wege auf denen der Mensch von der Anschauung des Endlichen zu der des Unendlichen übergeht, und daß dadurch seine Religion einen eignen und bestimmten Charakter annimmt; denkt an die verschiedenen Modifikationen unter denen das Universum angeschaut werden kann und an die tausend einzelnen Anschauungen und die verschiedenen Arten wie diese zusammengestellt werden mögen um einander wechselseitig zu erleuchten; bedenkt daß jeder, der Religion sucht, sie unter der bestimmten Form antreffen muß, die seinen Anlagen und seinem Standpunkt angemessen ist, wenn die seinige dadurch [123] wirklich aufgeregt werden sollte: so werdet Ihr finden daß es Jedem Meister unmöglich sein muß Allen Alles und Jedem das zu werden was er bedarf, weil unmöglich Einer zugleich ein Mystiker, ein physischer Gottesgelehrter und ein heiliger Künstler sein kann, zugleich ein Deist und ein Pantheist, zugleich ein Meister in Weissagungen, Visio nen und Gebeten, und in Darstellungen aus Geschichte und Empfindung und noch vieles andere, wenn es nur möglich wäre alle die herrlichen Zweige aufzuzählen in welche der himmlische Baum der priesterlichen Kunst seine Krone verteilte. Meister und Jünger müssen einander in vollkommener Freiheit aufsuchen und wählen dürfen, sonst ist Einer für den Andern verloren; Jeder muß suchen dürfen was ihm frommt, und keiner genötigt sein mehr zu geben als das, was er hat und versteht. – Wenn aber auch Jeder nur das lehren soll was er versteht, so kann er ja auch das nicht, sobald er zugleich, ich meine in derselben Handlung, noch etwas anders tun soll. Es kann keine Frage darüber sein, ob nicht ein priesterlicher Mensch seine Religion darstellen, sie mit Fleiß und Kunst, wie sichs gebührt, darstellen, und zugleich noch irgendein bürgerliches Geschäft treu und in großer Vollkommenheit ausrichten könne. Warum also sollte nicht auch, wenn es sich eben so schickt, derjenige welcher Profession macht vom Priestertum, zugleich Moralist sein dürfen im Dienst des Staates? Es ist nichts dagegen: nur muß er beides nebeneinander, und nicht in und durcheinander sein, er muß nicht beide Naturen zu gleicher Zeit an sich tragen und beide Geschäfte in derselben Handlung verrichten sollen. Begnüge sich der Staat, wenn es ihm so gut deucht, mit einer religiösen Moral: die Religion aber verleugnet jeden moralisierenden Propheten und Priester; wer sie verkündigen will der tue es rein. Es widerspräche allem Ehrgeiz eines Virtuosen, wenn ein wahrer Priester sich auf so unwürdige und inkonsequente Bedingungen einlassen wollte mit dem Staat. Wenn dieser andere Künstler in Sold nimmt es sei nun um ihre Talente besser zu pflegen oder um Schüler zu ziehen, so entfernt er von ihnen alle fremden Geschäfte, und macht es ihnen wohl zur Pflicht sich deren zu enthalten, er empfiehlt [124] ihnen, sich auf den besonderen Teil ihrer Kunst vorzüglich zu legen, worin sie am mehresten leisten zu können glauben und läßt da ihrem Genie volle Freiheit; nur an den Künstlern der Religion tut er gerade das Gegenteil, Sie sollen das ganze Gebiet ihres Gegenstandes umfassen, und dabei schreibt er ihnen noch vor von welcher Schule sie sein sollen, und legt ihnen noch unschickliche Lasten auf. Entweder gebe er ihnen auch Muße sich für irgendeinen einzelnen Teil der Religion besonders auszubilden, für den sie am meisten gemacht zu sein glauben, und spreche sie von allem übrigen los, oder nachdem er seine moralische Bildungsanstalt für sich angelegt hat, was er doch in jenem Falle auch tun muß, lasse er sie ihr Wesen ebenfalls treiben für sich, und kümmere sich gar nicht um die priesterlichen Werke, die in seinem Gebiet vollendet werden, da er sie doch weder zur Schau noch zum Nutzen braucht, wie etwa andere Künste und Wissenschaften. Hinweg also mit jeder solchen Verbindung zwischen Kirche und Staat! – das bleibt mein Catonischer Ratspruch bis ans Ende, oder bis ich es erlebe sie wirklich zertrümmert zu sehen. – Hinweg mit Allem, was einer geschlossenen Verbindung der Laien und Priester unter sich oder miteinander auch nur ähnlich sieht! Lehrlinge sollen ohnedies keinen Körper bilden, man sieht an den mechanischen Gewerben und an den Zöglingen der Musen wie wenig es frommt; aber auch die Priester sollen, als solche meine ich, keine Brüderschaft ausmachen unter sich, sie sollen sich weder ihre Geschäfte noch ihre Kunden zunftmäßig teilen, sondern ohne sich um die Andern zu bekümmern und ohne mit einem in dieser Angelegenheit näher verbunden zu sein als mit den Andern tue Jeder das Seine; und auch zwischen Lehrer und Gemeine sei kein festes Band. Ein Privatgeschäft ist nach den Grundsätzen der wahren Kirche die Mission eines Priesters in der Welt; ein Privatzimmer sei auch der Tempel wo seine Rede sich erhebt, um die Religion auszusprechen; eine Versammlung sei vor ihm und keine Gemeine; ein Redner sei er für alle die hören wollen, aber nicht ein Hirt für eine bestimmte Herde. Nur unter diesen Bedingungen können sich wahrhaft priesterliche Seelen derjenigen annehmen, welche die Religion suchen; nur so kann diese vorbereitende [125] Verbindung wirklich zur Religion führen, und sich würdig machen als ein Anhang der wahren Kirche und als das Vorzimmer derselben betrachtet zu werden: denn nur so verliert sich alles, was in ihrer jetzigen Form unheilig und irreligiös ist. Gemildert wird durch die allgemeine Freiheit der Wahl, der Anerkennung, und des Urteils der allzuharte und schneidende Unterschied zwischen Priestern und Laien, bis die Besseren unter diesen dahin kommen wo sie jenes zugleich sind. Auseinander getrieben und zerteilt wird alles was durch die unheiligen Bande der Symbole zusammengehalten ward, wenn es gar keinen Vereinigungspunkt dieser Art mehr gibt, wenn keiner den Suchenden ein System der Religion anbietet, sondern Jeder nur einen Teil, und das ist das einzige Mittel diesen Unfug einmal zu enden. Es ist nur ein schlechter Behelf der frühern Zeit, die Kirche – um auch in diesem schlechtesten aller Sinne das Wort zu brauchen – zu zerschneiden: sie ist eine Polypennatur, aus jedem ihrer Stücke wächst wieder ein Ganzes hervor, und wenn der Begriff dem Geist der Religion widerspricht, so sind mehrere Individuen doch um nichts besser als wenigere. Näher gebracht wird der allgemeinen Freiheit und der majestätischen Einheit der wahren Kirche die äußere Religionsgesellschaft nur dadurch, daß sie eine fließende Masse wird, wo es keine Umrisse gibt, wo jeder Teil sich bald hie bald dort befindet, und Alles sich friedlich untereinander mengt. Vernichtet wird der gehässige Sekten- und Proselyten-Geist der vom Wesentlichen der Religion immer weiter abführt, nur dadurch, wenn keiner mehr fühlen kann, daß er Einem bestimmten Kreise angehört und ein Andersglaubender einem andern.
Ihr seht, daß in Rücksicht auf diese Gesellschaft unsere Wünsche ganz dieselben sind: was Euch anstößig ist, steht auch uns im Wege, nur daß es – vergönnt mir immer dies zu sagen – gar nicht in die Reihe der Dinge gekommen sein würde, wenn man Uns allein hätte geschäftig sein lassen in dem, was doch eigentlich unser Werk war. Daß es wieder hinweggeschafft werde ist unser gemeinschaftlichen Interesse. Wie dies unter uns geschehen wird, ob auch nur nach einer großen Erschütterung wie im nachbarlichen Lande, oder ob der Staat durch eine gütliche Übereinkunft, und ohne daß [126] beide erst sterben um aufzuerstehen, sein mißlungenes Ehebündnis mit der Kirche trennen, oder ob er nur dulden wird, daß eine andre jungfräulichere erscheine neben der welche einmal an ihn verkauft ist, ich weiß es nicht: bis aber etwas von dieser Art geschieht werden von einem harten Geschick alle heiligen Seelen gebeugt, welche von der Glut der Religion durchdrungen auch in dem größeren Kreise der profanen Welt ihr Heiligstes darstellen, und etwas damit ausrichten möchten. Ich will diejenigen welche aufgenommen sind in den vom Staat begünstigten Orden nicht verführen für den innersten Wunsch ihres Herzens große Rechnung auf dasjenige zu machen was sie in diesem Verhältnis redend etwa bewirken könnten. Sie mögen sich hüten immer oder auch nur oft Religion und unvermischt sie nie anders als bei feierlichen Veranlassungen zu reden um nicht untreu zu werden ihrem moralischen Beruf, zu dem sie gesetzt sind. Das aber wird man ihnen lassen müssen, daß sie durch ein priesterliches Leben den Geist der Religion verkündigen können, und dies sei ihr Trost und ihr schönster Lohn. An einer heiligen Person ist alles bedeutend, an einem anerkannten Priester der Religion hat alles einen kanonischen Sinn. So mögen sie denn das Wesen derselben darstellen in allen ihren Bewegungen, nichts möge verloren gehen auch in den gemeinen Verhältnissen des Lebens von dem Ausdruck eines frommen Sinnes, die heilige Innigkeit mit der sie Alles behandeln zeige, daß auch bei Kleinigkeiten, über die ein profanes Gemüt leichtsinnig hinweggleitet, die Musik erhabener Gefühle in ihnen ertöne; die majestätische Ruhe, mit der sie Großes und Kleines gleichsetzen, beweise, daß sie Alles auf das Unwandelbare beziehn, und in Allem auf gleiche Weise die Gottheit erblicken; die lächelnde Heiterkeit, mit der sie an jeder Spur der Vergänglichkeit vorübergehen offenbare Jedem, wie sie über der Zeit und über der Welt leben; die gewandteste Selbstver leugnung deute an, wieviel sie schon vernichtet haben von den Schranken der Persönlichkeit; und der immer rege und öffne Sinn, dem das Seltenste und das Gemeinste nicht entgeht, zeige, wie unermüdet sie das Universum suchen und seine Äußerungen belauschen. Wenn so ihr ganzes Leben und jede Bewegung ihrer innern und [127] äußern Gestalt ein priesterliches Kunstwerk ist, so wird vielleicht durch diese stumme Sprache manchen der Sinn aufgehn für das was in ihnen wohnt. Nicht zufrieden aber das Wesen der Religion auszudrücken müssen sie auch ebenso den falschen Schein derselben vernichten indem sie mit kindlicher Unbefangenheit und in der hohen Einfalt eines völligen Unbewußtseins, welches keine Gefahr sieht und keinen Mut zu bedürfen glaubt, über alles hinwegtreten, was grobe Vorurteile und feine Superstition mit einer unechten Glorie der Göttlichkeit umgeben haben, indem sie sich sorglos wie der kindische Herkules von den Schlangen der heiligen Verleumdung umzischen lassen, die sie ebenso still und ruhig in einem Augenblick erdrücken können. Zu diesem heiligen Dienste mögen sie sich weihen bis auf bessere Zeiten, und ich denke Ihr selbst werdet Ehrfurcht haben vor dieser anspruchslosen Würde und Gutes weissagen von ihrer Wirkung auf die Menschen. Was soll ich aber denen sagen, welchen Ihr weil sie einen bestimmten Kreis eitler Wissenschaften nicht auf eine bestimmte Art durchlaufen haben, das priesterliche Gewand versagt? wohin soll ich sie weisen mit dem geselligen Triebe ihrer Religion sofern er nicht allein auf die höhere Kirche sondern auch hinaus gerichtet ist auf die Welt? Da es ihnen fehlt an einem größern Schauplatz wo sie auf eine auszeichnende Art erscheinen könnten, so mögen sie »ich genügen lassen an dem priesterlichen Dienst ihrer Hausgötter. Eine Familie kann das gebildetste Element und das treueste Bild des Universums sein; wenn still und mächtig alles ineinander greift, so wirken hier alle Kräfte die das Unendliche beseelen; wenn leise und sicher Alles fortschreitet, so wallet der hohe Weltgeist hier wie dort; wenn die Töne der Liebe alle Bewegungen begleiten, hat sie die Musik der Sphären unter sich. Dieses Heiligtum mögen sie bilden, ordnen und pflegen, klar und deutlich mögen sie es hinstellen in sittlicher Kraft, mit Liebe und Geist mögen sie es auslegen, so wird mancher von ihnen und unter ihnen das Universum anschauen lernen in der kleinen verborgenen Wohnung, sie wird ein Allerheiligstes sein worin mancher die Weihe der Religion empfängt. Dies Priestertum war das erste in der [128] heiligen und kindlichen Vorwelt, und es wird das letzte sein wenn kein Anderes mehr nötig ist.
Ja wir warten am Ende unserer künstlichen Bildung einer Zeit, wo es keiner andern vorbereitenden Gesell schaft für die Religion bedürfen wird als der frommen Häuslichkeit. Jetzt seufzen Millionen von Menschen beider Geschlechter und aller Stände unter dem Druck mechanischer und unwürdiger Arbeiten. Die ältere Generation erliegt unmutig und überläßt mit verzeihlicher Trägheit die jüngere in allen Dingen fast dem Zufall, nur darin nicht, daß sie gleich nachahmen und lernen muß dieselbe Erniedrigung. Das ist die Ursach, warum sie den freien und öffnen Blick nicht gewinnen mit dem allein man das Universum findet. Es gibt kein größeres Hindernis der Religion als dieses, daß wir unsere eignen Sklaven sein müssen, denn ein Sklave ist Jeder, der etwas verrichten muß, was durch tote Kräfte sollte bewirkt werden können. Das hoffen wir von der Vollendung der Wissenschaften und Künste daß sie uns diese toten Kräfte werden dienstbar machen, daß sie die körperliche Welt, und alles von der geistigen was sich regieren läßt in einen Feenpalast verwandeln werde, wo der Gott der Erde nur ein Zauberwort auszusprechen nur eine Feder zu drücken braucht, wenn geschehen soll was er gebeut. Dann erst wird jeder Mensch ein Freigeborener sein, dann ist jedes Leben praktisch und beschaulich zugleich, über keinem hebt sich der Stecken des Treibers und Jeder hat Ruhe und Muße in sich die Welt zu betrachten. Nur für die Unglücklichen, denen es daran fehlte, deren Organen die Kräfte entzogen waren, welche ihre Muskeln in seinem Dienst unaufhörlich verwenden mußten, war es nötig daß einzelne Glückliche auftraten, und sie um sich her versammelten, um ihr Auge zu sein und ihnen in wenigen flüchtigen Minuten die Anschauungen eines Lebens mitzuteilen. In der glücklichen Zeit wenn Jeder seinen Sinn frei üben und brauchen kann, wird beim ersten Erwachen der höheren Kräfte, in der heiligen Jugend unter der Pflege väterlicher Weisheit Jeder der Religion teilhaftig, der ihrer fähig ist; alle einseitige Mitteilung hört dann auf und der belohnte Vater geleitet den kräftigen Sohn nicht nur in eine fröhlichere Welt und in ein leichteres Leben, sondern [129] auch unmittelbar in die heilige, nun zahlreichere und geschäftigere Versammlung der Anbeter des Ewigen.
In dem dankbaren Gefühl, daß wenn einst diese bessere Zeit kommt, wie fern sie auch noch sein möge, auch die Bemühungen denen Ihr Eure Tage widmet etwas beigetragen haben werden sie herbeizuführen, vergönnt mir Euch auf die schöne Frucht auch Eurer Arbeit noch einmal aufmerksam zu machen; laßt Euch noch einmal hinführen zu der erhabenen Gemeinschaft wahrhaft religiöser Gemüter, die zwar jetzt zerstreut und fast unsichtbar ist, deren Geist aber doch überall waltet, wo auch nur Wenige im Namen der Gottheit versammelt sind. Was daran sollte Euch wohl nicht mit Bewunderung und Achtung erfüllen. Ihr Freunde und Verehrer alles Schönen und Guten! – Sie sind untereinander eine Akademie von Priestern. Die Religion die ihnen das Höchste ist behandelt Jeder unter ihnen als Kunst und Studium, aus ihrem unendlichen Reichtum erteilt sie dazu einem Jeden ein eignes Los. Mit allgemeinem Sinn für Alles, das in ihr heiliges Gebiet gehört, verbindet Jeder, wie es Künstlern gebührt, das Streben sich in irgendeinem einzelnen Teile zu vollenden; ein edler Wetteifer herrscht, und das Verlangen etwas darzubringen das einer solchen Versammlung würdig sei läßt Jedem mit Treue und Fleiß einsaugen Alles was in sein abgestecktes Gebiet gehört. In reinem Herzen wird es bewahrt, mit gesammeltem Gemüt wird es geordnet, von himmlischer Kunst wird es geschmückt und vollendet, und so erschallt auf jede Art und aus jeder Quelle Preis und Erkenntnis des Unendlichen indem Jeder die reifsten Früchte seines Sinnens und Schauens, seines Ergreifens und Fühlens mit fröhlichem Herzen herbei bringt. – Sie sind untereinander ein Chor von Freunden. Jeder weiß daß auch Er ein Teil und ein Werk des Universums ist, daß auch in ihm sein göttliches Wirken und Leben sich offenbart. Als einen würdigen Gegenstand der Anschauung sieht er sich also an für die übrigen. Was er in sich wahrnimmt von den Beziehungen des Universums, was sich in ihm eigen gestaltet von den Elementen der Menschheit, alles wird aufgedeckt mit heiliger Scheu, aber mit bereitwilliger Offenheit, daß Jeder hineingehe und schaue. Warum sollten sie auch etwas verbergen [130] untereinander? Alles menschliche ist heilig, denn alles ist göttlich. – Sie sind untereinander ein Bund von Brüdern – oder habt Ihr einen innigeren Ausdruck für das gänzliche Verschmelzen ihrer Naturen, nicht in Absicht auf das Sein und Wollen, aber in Absicht auf den Sinn und das Verstehen? Je mehr sich Jeder dem Universum nähert, je mehr sich Jeder dem Andern mitteilt, desto vollkommner werden sie Eins, keiner hat ein Bewußtsein für sich. Jeder hat zugleich das des Andern, sie sind nicht mehr nur Menschen, sondern auch Menschheit, und aus sich selbst herausgehend, über sich selbst triumphierend sind sie auf dem Wege zu wahren Unsterblichkeit und Ewigkeit.
Habt Ihr etwas Erhabeneres gefunden in einem andern Gebiet des menschlichen Lebens oder in einer andern Schule der Weisheit, so teilt es mir mit: das Meinige habe ich Euch gegeben.
Fünfte Rede
Über die Religionen
[131] Daß der Mensch in der Anschauung des Universums begriffen ein Gegenstand der Achtung und der Ehrfurcht für Euch Alle sein muß; daß Keiner, der von jenem Zustande noch etwas zu verstehen fähig ist, sich bei der Betrachtung desselben dieser Gefühle enthalten kann: das ist über allen Zweifel hinaus. Verachten mögt Ihr Jeden, dessen Gemüt leicht und ganz von kleinlichen Dingen angefüllt wird; aber vergebens werdet Ihr versuchen den gering zu schätzen, der das größte in sich saugt und sich davon nährt; – lieben oder hassen mögt Ihr Jeden, je nachdem er auf der beschränkten Bahn der Tätigkeit und der Bildung mit Euch oder Euch entgegen geht: aber auch das schönste Gefühl unter denen, die sich auf Gleichheit gründen, wird nicht in Euch haften können, in Beziehung auf den, welcher so weit über Euch erhaben ist, als der Beschauer des Universums über Jeden steht, der sich nicht mit ihm in demselben Zustande befindet; – ehren müßt Ihr, so sagen Eure Weisesten, auch wider Willen den Tugendhaften, der nach den Gesetzen der sittlichen Natur das Endliche unendlichen Forderungen gemäß zu bestimmen trachtet: aber wenn es Euch auch möglich wäre in der Tugend selbst etwas Lächerliches zu Enden an dem Kontrast endlicher Kräfte mit dem unendlichen Beginnen, so würdet Ihr doch Demjenigen Achtung und Ehrfurcht nicht versagen können, dessen Organe dem Universum geöffnet sind, und der, fern von jedem Streit und Kontrast, erhaben über jedes Streben, von den Einwirkungen desselben durchdrungen und Eins mit ihm geworden, wenn Ihr ihn in diesem köstlichen Moment des menschlichen Daseins betrachtet, den himmlischen Strahl unverfälscht auf Euch zurückwirft. Ob also die Idee, welche ich Euch gemacht habe vom Innern der Religion, Euch jene Achtung abgenötigt hat, die Ihr falschen [132] Vorstellungen zufolge und weil Ihr bei zufälligen Dingen verweiltet, so oft von Euch versagt worden ist; ob meine Gedanken über den Zusammenhang dieser Uns Allen inwohnenden Anlage mit dem, was sonst unserer Natur Vortreffliches und Göttliches zugeteilt ist. Euch angeregt haben zu einem innigeren Anschaun unsres Seins und Werdens; ob Ihr aus dem höheren Standpunkt, den ich Euch gezeigt habe, in jener so sehr verkannten erhabneren Gemeinschaft der Geister, wo Jeder den Ruhm seiner Willkür, den Alleinbesitz seiner innersten Eigentümlichkeit und ihres Geheimnisses Nichts achtend, sich freiwillig hingibt um sich anschauen zu lassen als ein Werk des ewigen und Alles bildenden Weltgeistes – ob Ihr in ihr nun das Allerheiligste der Geselligkeit bewundert, das ungleich Höhere als jede irdische Verbindung, das Heiligere als selbst der zarteste Freundschaftsbund sittlicher Gemüter; ob also die ganze Religion in ihrer Unendlichkeit in ihrer göttlichen Kraft Euch hingerissen hat zur Anbetung; darüber frage ich Euch nicht, denn ich bin der Kraft des Gegenstandes gewiß der nur frei gemacht werden durfte, um auf Euch zu wirken. Jetzt aber habe ich ein neues Geschäft auszurichten, und einen neuen Widerstand zu besiegen. Ich will Euch gleichsam zu dem Gott, der Fleisch geworden ist hinführen; ich will Euch die Religion zeigen, wie sie sich ihrer Unendlichkeit entäußert hat, und in oft dürftiger Gestalt unter den Menschen erschienen ist; in den Religionen sollt Ihr die Religion entdecken, in dem was irdisch und verunreinigt vor Euch steht die einzelnen Züge derselben himmlischen Schönheit aufsuchen, deren Gestalt ich nachzubilden versucht habe.
Wenn Ihr einen Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge werft, wo Kirchen und Religionen in ihrer Vielheit fast überall zusammentreffen, und in ihrer Absonderung unzertrennlich verbunden zu sein scheinen, wo es soviel Lehrgebäude und Glaubensbekenntnisse gibt als Kirchen und religiöse Gemeinschaften: so könntet Ihr leicht verleitet werden zu glauben, daß in meinem Urteil über die Vielheit der Kirchen zugleich auch das über die Vielheit der Reli gionen ausgesprochen sei; Ihr würdet aber darin meine Meinung gänzlich mißverstehen. Ich habe die Vielheit der [133] Kirchen verdammt: aber eben indem ich aus der Natur der Sache gezeigt habe, daß hier alle Umrisse sich verlieren, alle bestimmte Abteilungen verschwinden und Alles nicht nur dem Geist und der Teilnahme, sondern auch dem wirklichen Zusammenhange nach Ein ungeteiltes Ganzes sein soll, so habe ich überall die Vielheit der Religionen und ihre bestimmteste Verschiedenheit als etwas notwendiges und unvermeidliches vorausgesetzt. Denn warum sollte die innere, wahre Kirche Eins sein? Damit Jeder anschauen und sich mitteilen lassen könnte die Religion des Andern, die er nicht als seine eigene anschauen kann, und die also als gänzlich von ihr verschieden gedacht wurde. Warum sollte auch die äußere und uneigentlich sogenannte Kirche Eins sein? Damit Jeder die Religion in der Gestalt aufsuchen könnte, die dem schlummernden Keim der in ihm liegt homogen ist, und dieser mußte also von einer bestimmten Art sein, weil er nur durch dieselbe bestimmte Art befruchtet und erweckt werden kann. Und mit diesen Erscheinungen der Religion konnten nicht etwa nur Ergänzungsstücke gemeint sein, die bloß numerisch und der Größe nach verschieden, wenn man sie zusammenbrächte ein gleichförmiges und dann erst vollendetes Ganze ausgemacht hätte; denn alsdann würde Jeder in seiner natürlichen Fortschreitung von selbst zu demjenigen gelangen, was des anderen ist; die Religion, die er sich mitteilen läßt würde sich in die seinige verwandeln und mit ihr Eins werden, und die Kirche, diese zufolge der gegebnen Ansicht jedem religiösen Menschen als unentbehrlich sich darstellende Gemeinschaft mit allen Gläubigen, wäre nur eine interimistische und sich selbst durch ihre eigne Wirkung nur um so schneller wieder aufhebende Anstalt, wie ich sie doch keineswegs habe denken oder darstellen wollen. So habe ich die Mehrheit der Religionen vorausgesetzt, und ebenso finde ich sie im Wesen der Religion gegründet.
So viel sieht Jeder leicht, daß Niemand die Religion ganz haben kann; denn der Mensch ist endlich und die Religion ist unendlich; aber Euch kann das auch nicht fremd sein, daß sie nicht etwa nur teilweise so viel eben Jeder zu fassen vermag, unter den Menschen zerstückelt sein kann, sondern daß [134] sie sich in Erscheinungen organisieren muß, welche mehr voneinander verschieden sind. Erinnert Euch nur an die mehreren Stufen der Religion, auf welche ich Euch aufmerksam gemacht habe, daß nämlich die Religion dessen, der das Universum als ein System betrachtet, nicht eine bloße Fortsetzung sein kann von der Ansicht dessen, der es nur erst in seinen scheinbar entgegengesetzten Elementen anschaut, und daß dahin wo dieser steht wiederum derjenige nicht auf seinem Wege gelangen kann, dem das Universum noch eine chaotische und ungesonderte Vorstellung ist. Ihr mögt diese Verschiedenheiten nun Arten oder Grade der Religion nennen: so werdet Ihr doch zugeben müssen, daß sonst überall wo es solche Abteilungen gibt es auch Individua zu geben pflegt. Jede unendliche Kraft, die sich erst in ihren Darstellungen teilt und sondert, offenbart sich auch in eigentümlichen und verschiedenen Gestalten. Ganz etwas andres ist es also mit der Vielheit der Religionen, als mit der der Kirchen. Diese freilich sind in ihrer Mehrheit nur Fragmente eines einzigen Individuums, welches für den Verstand völlig als Eins bestimmt und nur für die sinnliche Darstellung in seiner Einheit unerreichbar ist, und was diese einzelnen Fragmente bewog sich für besondere Individuen anzusehn, war immer nur ein Mißverständnis, das auf der Einwirkung eines fremdartigen Prinzips beruhen mußte: die Religion aber ist ihrem Begriff und ihrem Wesen nach auch für den Verstand ein Unendliches und Unermeßliches; sie muß also ein Prinzip sich zu individualisieren in sich haben weil sie sonst gar nicht dasein und wahrgenommen werden könnte; eine unendliche Menge endlicher und bestimmter Formen in denen sie sich offenbart müssen wir also postulieren und aufsuchen, und wo wir Etwas finden, was eine solche zu sein behauptet, wie denn jede abgesonderte Religion sich dafür ausgibt, müssen wir uns darauf ansehen ob es diesem Prinzip gemäß, konstruiert ist, und müssen uns dann den bestimmten Begriff den es darstellen soll klar machen, unter welchen fremden Umhüllungen er auch versteckt, und wie sehr er auch entstellt sei von den Einwirkungen des Vergänglichen zu welchem das Unvergängliche sich herabgelassen hat, und von der unheiligen Hand der Menschen. [135] – Wollt Ihr von der Religion nicht nur im allgemeinen einen Begriff haben, und es wäre ja unwürdig, wenn Ihr Euch mit einer so unvollkommenen Kenntnis begnügen wolltet: wollt Ihr sie auch in ihrer Wirklichkeit und in ihren Erscheinungen verstehen: wollt Ihr diese selbst mit Religion anschauen als ein ins Unendliche fortgehendes Werk des Weltgeistes: so müßt Ihr den eitlen und vergeblichen Wunsch, daß es nur Eine geben möchte, aufgeben. Euren Widerwillen gegen ihre Mehrheit ablegen, und so unbefangen als möglich zu allen denen hinzutreten, die sich schon in den wechselnden Gestalten und während des auch hierin fortschreitenden Laufes der Menschheit aus dem ewig reichen Schoß des Universums entwickelt haben.
Positive Religionen nennt Ihr diese vorhandenen bestimmten religiösen Erscheinungen und sie sind unter diesem Namen schon lange das Objekt eines ganz vorzüglichen Hasses gewesen; dagegen Ihr bei allem Widerwillen gegen die Religion überhaupt etwas anderes das man die natürliche Religion nennt immer leichter geduldet, und sogar mit Achtung davon gesprochen habt. Ich stehe nicht an. Euch sogleich einen Blick in das Innere meiner Gesinnungen hierüber zu vergönnen, indem ich für mein Teil gegen diesen Vorzug aufs lauteste protestiere, und ihn in Rücksicht aller derer welche überhaupt Religion zu haben und sie zu lieben vorgeben für die gröbste Inkonsequenz und die augenscheinlichste Selbstwiderlegung erkläre, aus Gründen denen Ihr gewiß Euren Beifall geben werdet, wenn ich sie werde entwickeln können. Euch hingegen, welchen die Religion überhaupt zuwider war, habe ich es immer sehr natürlich gefunden diesen Unterschied zu machen. Die sogenannte natürliche Religion ist gewöhnlich so abgeschliffen, und hat so philosophische und moralische Manieren, daß sie wenig von dem eigentümlichen Charakter der Religion durchschimmern läßt, sie weiß so artig zu leben, sich einzuschränken und sich zu fügen, daß sie überall wohl gelitten ist: dagegen jede positive Religion gar starke Züge und eine sehr markierte Physiognomie hat, so daß sie bei jeder Bewegung welche sie macht und bei jedem Blick, den man auf sie wirft, ohnfehlbar an das erinnert, was sie eigentlich ist. Wenn dies der [136] wahre und innre Grund Eurer Abneigung ist, so wie es der einzige ist, der die Sache selbst trifft, so müßt Ihr Euch jetzt von ihr losmachen; und ich sollte eigentlich nicht mehr mit ihr zu streiten haben. Denn wenn Ihr nun, wie ich hoffe, ein günstigeres Urteil über die Religion überhaupt fällt, wenn Ihr einseht, daß ihr eine besondere und edle Anlage im Menschen zum Grunde liegt, die folglich auch wo sie sich zeigt gebildet werden muß: so kann es Euch doch nicht zuwider sein sie in den bestimmten Gestalten anzuschauen in denen sie schon wirklich erschienen ist, und Ihr müßt vielmehr diese um so lieber Eurer Betrachtung würdigen, je mehr das Eigentümliche und Unterscheidende der Religion in ihnen ausgebildet ist.
Aber diesen Grund nicht eingestehend werdet Ihr vielleicht alle alten Vorwürfe, die Ihr sonst der Religion überhaupt zu machen gewohnt wäret, jetzt auf die einzelnen Religionen werfen, und behaupten daß gerade in dem, was Ihr das Positive in der Religion nennt, dasjenige liegen müsse, was diese Vorwürfe immer aufs neue veranlaßt und rechtfertigt; Ihr werdet leugnen daß sie Erscheinungen der wahren Religion sein können. Ihr werdet mich aufmerksam darauf machen, wie sie alle, ohne Unterschied, voll sind, von dem, was meiner eigenen Aussage nach nicht Religion ist, und daß also ein Prinzip des Verderbens tief in ihrer Konstitution liegen müsse; Ihr werdet mich daran erinnern, wie Jede unter ihnen sich für die ein zig wahre, und gerade ihr Eigentümliches für das Höchste erklärt; wie sie sich voneinander gerade durch dasjenige als durch etwas wesentliches unterscheiden, was Jede soviel als möglich von sich hinaus tun sollte; wie sie, ganz gegen die Natur der wahren Religion, beweisen, widerlegen und streiten, es sei nun mit den Waffen der Kunst und des Verstandes oder mit noch fremderen und unwürdigeren; Ihr werdet hinzufügen, daß Ihr gerade nun, da Ihr die Religion achtet und für etwas wichtiges anerkennet, ein lebhaftes Interesse daran nehmen müßtet, daß ihr die größte Freiheit sich nach allen Seiten aufs mannigfaltigste auszubilden überall gewährt werde, und daß Ihr also nur um so lebhafter die bestimmten Formen der Religion hassen müßtet, welche Alle, [137] die sich zu ihnen bekennen, an derselben Gestalt festhalten, ihnen die Freiheit ihrer eignen Natur zu folgen entziehen und sie in unnatürliche Schranken einzwängen; und in allen diesen Punkten werdet Ihr mir die Vorzüge der natürlichen Religion vor der positiven kräftig anpreisen.
Ich bezeuge noch einmal, daß ich diese Entstellungen nicht leugnen will, und daß ich gegen den Widerwillen, welchen Ihr dagegen empfindet, nichts einwende. Ja ich erkenne in ihnen Allen jene viel beklagte Ausartung und Abweichung in ein fremdes Gebiet, und je göttlicher die Religion selbst ist, um desto we niger will ich ihr Verderben ausschmücken und ihre wilden Auswüchse bewundernd pflegen. Aber vergeßt einmal diese doch auch einseitige Ansicht und folgt mir zu einer andern. Bedenkt, wieviel von diesem Verderben auf die Rechnung derer kommt, welche die Religion aus dem Innern des Herzens hervorgezogen haben in die bürgerliche Welt; gesteht daß Vieles überall unvermeidlich ist, sobald das Unendliche eine unvollkommene und beschränkte Hülle annimmt, und in das Gebiet der Zeit und der allgemeinen Einwirkung endlicher Dinge, um sich von ihr beherrschen zu lassen, herabsteigt. Wie tief aber auch dieses Verderben in ihnen eingewurzelt sein mag und wie sehr sie darunter gelitten haben mögen: so bedenkt doch, daß es die eigentliche religiöse Ansicht aller Dinge ist, auch in dem, was uns gemein und niedrig zu sein scheint, jede Spur des Göttlichen, Wahren und Ewigen aufzusuchen, und auch die entfernteste noch anzubeten; und warum soll gerade dasjenige des Vorteils einer solchen Betrachtung entbehren, was die gerechtesten Ansprüche darauf hat religiös gerichtet zu werden? Jedoch Ihr werdet mehr finden als entfernte Spuren der Göttlichkeit. Ich lade Euch ein, jeden Glauben zu betrachten, zu dem sich Menschen bekannt haben, jede Religion die Ihr durch einen bestimmten Namen und Charakter bezeichnet, und die vielleicht nun längst ausgeartet ist in einen Kodex leerer Gebräuche, in ein System abstrakter Begriffe und Theorien; und wenn Ihr sie an ihrer Quelle und ihren ursprünglichen Bestandteilen nach untersucht, so werdet Ihr finden, daß alle die toten Schlacken einst glühende Ergießungen des inneren Feuers waren, das in Allen Religion [138] enthalten ist, mehr oder minder von dem wahren Wesen derselben wie ich es Euch dargestellt habe; daß Jede eine von den besonderen Gestalten war, welche die ewige und unendliche Religion unter endlichen und beschrankten Wesen notwendig annehmen mußte. Damit Ihr aber nicht aufs Ohngefähr in diesem unendlichen Chaos herumtappt – denn ich muß Verzicht darauf tun Euch in demselben regelmäßig und vollständig umherzuführen; es wäre das Studium eines Lebens, und nicht das Geschäft eines Gespräches – damit Ihr ohne durch gemeine Begriffe verführt zu werden, nach einem richtigen Maßstabe den wahren Gehalt und das eigentliche Wesen der einzelnen Religionen abmessen, und nach bestimmten und festen Ideen das Innere von dem Äußerlichen, das Eigene von dem Erborgten und Fremden, das Heilige von dem Profanen scheiden mögt: so vergeßt fürs erste jede einzelne und das was für ihr charakteristisches Merkmal gehalten wird, und sucht von innen heraus erst zu einer allgemeinen Idee darüber zu gelangen was eigentlich das Wesen einer bestimmten Form der Religion ausmacht, so werdet Ihr finden, daß gerade die positiven Religionen diese bestimmten Gestalten sind, unter denen die unendliche Religion sich im Endlichen darstellt, und daß die natürliche gar keinen Anspruch darauf machen kann etwas ähnliches zu sein, indem sie nur eine unbestimmte dürftige und armselige Idee ist, die für sich nie eigentlich existieren kann; Ihr werdet finden, daß in jenen allein eine wahre individuelle Ausbildung der religiösen Anlage möglich ist, und daß sie, ihrem Wesen nach, der Freiheit ihrer Bekenner darin gar keinen Abbruch tun.
Warum habe ich angenommen, daß die Religion nicht anders als in einer unendlichen Menge durchaus bestimmter Formen vollständig gegeben werden kann? Nur aus Gründen welche als ich vom Wesen der Religion sprach entwickelt worden sind. Weil nämlich jede Anschauung des Unendlichen völlig für sich besteht, von keiner andern abhängig ist und auch keine andere notwendig zur Folge hat; weil ihrer unendlich viele sind, und in ihnen selbst gar kein Grund liegt, warum sie so und nicht anders eine auf die [139] andere bezogen werden sollten, und dennoch jede ganz anders erscheint, wenn sie von einem andern Punkt aus gesehen, oder auf eine andere bezogen wird, so kann die ganze Religion unmöglich anders existieren als wenn alle diese verschiedne Ansichten jeder Anschauung die auf solche Art entstehen können wirklich gegeben werden; und dies ist nicht anders möglich als in einer unendlichen Menge verschiedner Formen, deren jede durch das verschiedene Prinzip der Beziehung in ihr durchaus bestimmt, und in deren Jeder derselbe Gegenstand ganz anders modifiziert ist, das heißt welche sämtlich wahre Individuen sind. Wodurch werden nun diese Individuen bestimmt und wodurch unterscheiden sie sich voneinander? was ist das Gemeinschaftliche in ihren Bestandteilen, was sie zusammenhält, oder das Anziehungsprinzip dem sie folgen? wornach beurteilt man zu welchem Individuo ein gegebnes religiöses Datum gehören muß?
Eine bestimmte Form der Religion kann dies nicht deswegen sein, weil sie etwa ein bestimmtes Quantum religiösen Stoffs enthält. – Dies ist eben das gänzliche Mißverständnis über das Wesen der einzelnen Religionen, welches sich häufig unter ihre Bekenner selbst verbreitet und den Grund zum Verderben gelegt hat. Sie haben eben gemeint, weil doch so viele Menschen sich dieselbe Religion zueignen, so müßten sie auch dieselben religiösen Ansichten und Gefühle, dasselbe Meinen und Glauben haben, und eben dies Gemeinschaftliche müsse das Wesen ihrer Religion sein. Es ist überall nicht leicht möglich das eigentliche Charakteristische und Individuelle einer Religion mit Sicherheit zu finden, wenn man es so aus dem Einzelnen abstrahiert; aber hierin, so gemein auch der Begriff ist, kann es doch am wenigsten liegen, und wenn Ihr etwa auch glaubt daß die positiven Religionen deswegen der Freiheit des Einzelnen seine Religion auszubilden nachteilig sind, weil sie eine bestimmte Summe von religiösen Anschauungen und Gefühlen fordern und andere ausschließen, so seid Ihr im Irrtum. Einzelne Anschauungen und Gefühle sind wie Ihr wißt die Elemente der Religion, und diese nur so quantitativ zu betrachten wie viele ihrer und namentlich was für [140] welche vorhanden sind, das kann uns unmöglich auf den Charakter eines Individuums der Religion führen. Wenn sich die Religion deswegen individualisieren muß, weil von jeder Anschauung verschiedene Ansichten möglich sind je nachdem sie auf die übrigen bezogen wird, so wäre uns freilich mit einem solchen ausschließlichen Zusammenfassen mehrerer unter ihnen, wodurch ja keine von jenen möglichen Ansichten bestimmt wird, gar nichts geholfen, und wenn die positiven Religionen sich nur durch eine solche Ausschließung unterschieden, so wären sie freilich nicht die individuellen Erscheinungen, welche wir suchen. Daß dies aber in der Tat nicht ihr Charakter ist erhellt daraus weil es unmöglich ist von diesem Gesichtspunkt aus zu einem bestimmten Begriff von ihnen zu gelangen, und der muß ihnen doch zum Grunde liegen weil sie sonst sehr bald ineinander fließen würden. Zum Wesen der Religion haben wir es gerechnet daß es keinen bestimmten inneren Zu sammenhang zwischen den verschiedenen Anschauungen und Gefühlen vom Universum gibt, daß Jedes einzelne für sich besteht und durch tausend zufällige Kombinationen auf Jedes andere führen kann. Daher ist schon in der Religion jedes einzelnen Menschen, wie sie sich im Lauf seines Lebens bildet, nichts zufälliger als die bestimmte Summe seines religiösen Stoffs. Einzelne Ansichten können sich ihm verdunkeln, andere können ihm aufgehn und sich zur Klarheit bilden, und seine Religion ist von dieser Seite immer beweglich und fließend. Dies Fließende kann also unmöglich das Feststehende und Wesentliche in der mehreren gemeinschaftlichen Religion sein; denn wie höchst zufällig und selten muß es sich nicht ereignen, daß mehrere Menschen auch nur eine Zeit lang in demselben bestimmten Kreise von Anschauungen stehen bleiben und auf demselben Wege der Gefühle fortgehn. Daher ist auch unter denen die ihre Religion so bestimmen ein beständiger Streit über das, was zu derselben wesentlich gehöre und was nicht; sie wissen nicht was sie als charakteristisch und notwendig festsetzen; was sie als frei und zufällig absondern sollen, sie finden den Punkt nicht aus dem sie das Ganze übersehen können, und verstehen die religiöse Erscheinung nicht in der sie [141] selbst zu leben, für die sie zu streiten wähnen und zu deren Ausartung sie beitragen indem sie nicht wissen wo sie stehn und was sie tun. Aber der Instinkt den sie nicht verstehen leitet sie richtiger als ihr Verstand und die Natur hält zusammen was ihre falschen Reflexionen und ihr darauf gegründetes Tun und Treiben vernichten würden. Wer den Charakter einer besondern Religion in einem bestimmten Quanto von Anschauung und Gefühlen setzt, der muß notwendig einen innern und objektiven Zusammenhang annehmen, der gerade diese untereinander verbindet und alle anderen ausschließt, und dieser Wahn ist eben das dem Geist der Religion so ganz entgegengesetzte Prinzip des Systemwesens und des Sektierens, und das Ganze welches sie auf diese Art zu bilden streben, wäre nicht ein solches wie wir es suchen, wodurch die Religion in allen ihren Teilen eine bestimmte Gestalt gewinnt, sondern es wäre ein gewaltsamer Ausschnitt aus dem Unendlichen, nicht eine Religion, sondern eine Sekte, der irreligiöseste Begriff, den man im Gebiet der Religion kann realisieren wollen, – Aber die Formen welche das Universum hervorgebracht hat und welche wirklich vorhanden sind, sind auch nicht Ganze von dieser Art. Alles Sektieren es sei nun spekulativ, um einzelne Anschauungen in einen philosophierenden Zusammenhang zu bringen, oder asketisch um auf ein System und eine bestimmte Sukzession von Gefühlen zu dringen, arbeitet auf eine möglichst vollendete Gleichförmigkeit Aller die an demselben Stück Religion Anteil haben wollen; und wenn es denen die von dieser Wut angesteckt sind, und denen es gewiß an Tätigkeit nicht fehlt, noch nie gelungen ist irgendeine positive Religion bis dahin zu bringen; so werdet Ihr doch gestehen, daß diese, da sie doch auch einmal entstanden sind, und insofern sie trotz jener Angriffe noch existieren, nach einem andern Prinzip gebildet worden sein und einen andern Charakter haben müssen; ja wenn Ihr an die Zeit denkt, wo sie entstanden sind, so werdet Ihr dies noch deutlicher einsehen: denn Ihr werdet Euch erinnern, daß jede positive Religion während ihrer Bildung und ihrer Blüte, zu der Zeit also, wo ihre eigentümliche Lebenskraft am jugendlichsten und frischesten [142] wirkt und also am sichersten erkannt werden kann, sich in einer ganz entgegengesetzten Richtung bewegt, nicht sich konzentrierend und Vieles aus sich ausschneidend, sondern wachsend nach außen, immer neue Zweige treibend, und immer mehr religiösen Stoffs sich aneignend und ihrer besondern Natur gemäß ausbildend. Nach jenem falschen Prinzip also sind sie nicht gestaltet, es ist nicht Eins mit ihrer Natur, es ist ein von außen eingeschlichenes Verderben, und da es ihnen eben so wohl zuwider ist, als dem Geist der Religion überhaupt: so kann ihr Verhältnis gegen dasselbe, welches ein immerwährender Krieg ist, eher beweisen als widerlegen daß sie die individuellen Erscheinungen der Religion sind, welche wir suchen.
Ebensowenig sind alle die Verschiedenheiten in der Religion überhaupt auf welche ich Euch bisher hie und da aufmerksam gemacht habe, hinreichend eine durchaus und als ein Individuum bestimmte Form hervorzubringen. Jene drei so oft angeführten Arten das Universum anzuschauen als Chaos, als System und in seiner elementarischen Vielheit, sind weit davon entfernt ebensoviel einzelne und bestimmte Religionen zu sein. Ihr werdet wissen, daß wenn man einen Begriff einteilt so viel man will und bis ins Unendliche fort, so kommt man doch dadurch nie auf Individuen, sondern immer nur auf weniger allgemeine Begriffe, die unter jenen enthalten sind, auf Arten und Unterabteilungen, die wieder eine Menge sehr verschiedener Individuen unter sich begreifen können; um aber den Charakter der Einzelwesen selbst zu finden muß man aus dem allgemeinen Begriff und seinen Merkmalen herausgehen. Jene drei Verschiedenheiten in der Religion sind aber in der Tat nichts anders als eine gewöhnliche und überall wiederkommende Einteilung des Begriffs der Anschauung. Sie sind also Arten der Religion, aber nicht bestimmte Formen, und das Bedürfnis, weswegen wir diese suchen würde auch dadurch, daß Religion auf diese dreifache Weise vorhanden ist, gar nicht befriediget werden. Einzelne Anschauungen haben wohl in einer Jeden von ihnen einen eignen Charakter, und deswegen muß jede bestimmte Form der Religion sich zu Einer von diesen Arten [143] halten: aber eine eigne Beziehung und Lage der verschiedenen Anschauungen gegeneinander wird durch sie keinesweges ausschließend bestimmt, und in diesem Betracht bleibt nach dieser Einteilung Alles noch eben so unendlich und eben so vieldeutig als vorher. – Mehr Schein möchte es vielleicht haben, daß der Personalismus und die ihm entgegengesetzte pantheistische Vorstellungsart in der Religion uns zwei solche individuelle Formen derselben an die Hand gebe; aber Schein ist es doch auch nur. Diese Vorstellungsarten gehen ja durch alle drei Arten der Religion hindurch, und können schon um deswillen keine Individuen sein, weil doch unmöglich ein Individuum drei verschiedene spezielle Charaktere in sich vereinigen kann. Bei genauer Betrachtung müßt Ihr aber auch sehen, daß durch sie ebenfalls keine bestimmte Beziehung mehrerer religiöser Anschauungen aufeinander gegeben sei. Ja, wenn die Idee von einer persönlichen Gottheit eine einzelne religiöse Anschauung wäre, dann freilich wäre der Personalismus in jeder von den drei Arten der Religion eine völlig bestimmte Form, denn aller religiöse Stoff wird in ihm auf diese Idee bezogen: aber ist denn das? Ist diese Idee eine einzelne Anschauung des Universums, ein einzelner Eindruck von demselben, den etwas be stimmtes Endliches in mir hervorbringt? So müßte ja der Pantheismus, der jenem gegenüber gestellt wird, auch eine sein? so müßte es für beide gewisse bestimmte Wahrnehmungen geben, woraus sie geschöpft würden; und wo sind diese je aufgezeigt worden? so müßte es einzelne Anschauungen der Religion geben die einander entgegengesetzt sind, was nicht sein kann. Auch sind diese beiden Vorstellungsarten gar nicht verschiedene Anschauungen des Universums im Endlichen, nicht Elemente der Religion, sondern verschiedene Arten das Universum, indem es im Endlichen angeschaut wird, zugleich als Individuum zu denken, da denn die eine ihm ein eigentümliches Bewußtsein beilegt und die andere nicht. Alle einzelnen Elemente der Religion bleiben in Absicht auf ihre gegenseitige Lage ebenso unbestimmt, und keine von den vielen Ansichten derselben wird dadurch realisiert daß der eine oder der andere Gedanke sie begleitet; wie Ihr das überall sehn könnt wo [144] etwas religiös und zugleich rein deistisch dargestellt sein soll, wo Ihr finden werdet, daß alle Anschauungen und Gefühle, und besonders – welches der Punkt ist, um den sich in dieser Sphäre Alles zu drehen pflegt – die Anschauungen von den Bewegungen der Menschheit im Einzelnen und von der Einheit in dem, was über ihre Willkür hinaus liegt, in ihrem Verhältnis gegeneinander völlig im Unbestimmten und Vieldeutigen schweben. Sie sind also beide ebenfalls nur allgemeinere Formen, deren Gebiet erst mit den individuellen und bestimmten angefüllt werden soll, und wenn Ihr auch dieses Gebiet dadurch einschränkt daß Ihr sie mit einer von den drei bestimmten Arten der Anschauung einzeln verbindet, so sind auch diese aus verschiedenen Einteilungsgründen des Ganzen zusammengesetzten Formen doch nur eigne Unterabteilungen; aber keineswegs durchaus bestimmte und geschlossene Ganze. Also weder der Naturalismus – ich verstehe darunter die Anschauung des Universums in seiner elementarischen Vielheit ohne die Vorstellung von persönlichem Bewußtsein und Willen der einzelnen Elemente – noch der Pantheismus, weder die Vielgötterei noch der Deismus, sind einzelne und bestimmte Religionen, wie wir sie suchen, sondern nur Arten, in deren Gebiet gar viele eigentliche Individuen sich schon entwickelt haben, und noch mehrere sich entwickeln werden. – Merkt es wohl, daß der Pantheismus und der Deismus keine bestimmte Formen der Religion sind, um Eurer natürlichen Religion, wenn sich etwa finden sollte, daß sie nichts ist als dieses, ihren gebührenden Platz anweisen zu können.
Daß ichs kurz sage: ein Individuum der Religion, wie wir es suchen, kann nicht anders zustande gebracht werden, als dadurch, daß irgendeine einzelne Anschauung des Universums aus freier Willkür – denn anders kann es nicht geschehen weil eine jede gleiche Ansprüche darauf hätte – zum Zentralpunkt der ganzen Religion gemacht, und Alles darin auf sie bezogen wird. Dadurch kommt auf einmal ein bestimmter Geist und ein gemeinschaftlicher Charakter in das Ganze; alles wird fixiert was vorher vieldeutig und unbestimmt war; von den unendlich vielen verschiednen Ansichten und Beziehungen einzelner Elemente, welche Alle [145] möglich waren und Alle dargestellt werden sollten, wird durch jede solche Formation Eine durchaus realisiert; alle einzelnen Elemente erscheinen nun von einer gleichnamigen Seite, von der, welche jenem Mittelpunkt zugekehrt ist, und alle Gefühle erhalten eben dadurch einen gemeinschaftlichen Ton und werden lebendiger und eingreifender ineinander. Nur in der Totalität aller nach dieser Konstruktion möglichen Formen kann die ganze Religion wirklich gegeben werden, und sie wird also nur in einer unendlichen Sukzession kommender und wieder vergehender Gestalten dargestellt, und nur was in einer von diesen Formen liegt trägt zu ihrer vollendeten Darstellung etwas bei. Jede solche Gestaltung der Religion, wo in Beziehung auf eine Zentralanschauung Alles gesehen und gefühlt wird, wo und wie sie sich auch bilde, und welches immer diese vorgezogene Anschauung sei, ist eine eigene positive Religion; in Beziehung auf das Ganze eine Häresis – ein Wort das wieder zu Ehren gebracht werden sollte – weil etwas höchst willkürliches die Ursach ihrer Entstehung ist; in Rücksicht auf die Gemeinschaft aller Teilhaber und ihr Verhältnis zu dem, der zuerst ihre Religion gestiftet hat, weil er zuerst jene Anschauung im Mittelpunkt der Religion sah, eine eigne Schule und Jüngerschaft. Und wenn nur in und durch solche bestimmte Formen die Religion dargestellt wird, so hat auch nur der, welcher sich mit der seinigen in einer solchen niederläßt, eigentlich einen festen Wohnsitz und daß ich so sage ein aktives Bürgerrecht in der religiösen Welt, nur Er kann sich rühmen zum Dasein und zum Werden des Ganzen etwas beizutragen; nur Er ist eine eigne religiöse Person mit einem Charakter und festen und bestimmten Zügen.
Muß also doch Jeder, werdet Ihr ziemlich bestürzt fragen, in dessen Religion eine Anschauung die herrschende ist, zu einer von den vorhandenen Formen gehören? Mit nichten; aber eine Anschauung muß in seiner Religion die herrschende sein, sonst ist sie so gut als Nichts. Habe ich denn von zwei oder drei bestimmten Gestalten geredet, und gesagt daß sie die einzigen bleiben sollen? Unzählige sollen sich ja entwickeln von allen Punkten aus, und derjenige der sich nicht in eine von den schon vorhandenen schickt, ich möchte [146] sagen, der nicht imstande gewesen wäre, sie selbst zu machen, wenn sie noch nicht existiert hätte, der wird gewiß auch zu keiner von ihnen gehören, sondern eine neue machen. Bleibt er allein damit und ohne Jünger: es schadet nicht. Immer und überall existieren Keime desjenigen, was noch zu keinem weiter ausgebreiteten Dasein gelangen kann: aber sie existieren doch, und so existiert auch seine Religion, und hat ebensogut eine bestimmte Gestalt und Organisation, ist ebensogut eine eigene positive Religion als ob er die größte Schule gestiftet hätte. Ihr seht, daß diese vorhandenen Formen keinen Menschen durch ihr früheres Dasein hindern, sich eine Religion seiner eigenen Natur und seinem Sinn gemäß auszubilden. Ob er in einer von ihnen wohnen, oder eine eigne erbauen werde, das hängt lediglich davon ab welche Anschauung des Universums ihn zuerst mit rechter Lebhaftigkeit ergreift. Dunkle Ahndungen, welche ohne das Innere des Gemüts zu durchdringen unerkannt wieder verschwinden, und wohl jeden Menschen oft und früher umschweben, mögen vom Hörensagen entstehn, und bleiben ohne Beziehung, sind auch nichts individuelles; aber wenn Einem der Sinn fürs Universum in einem klaren Bewußtsein und in einer bestimmten Anschauung für immer aufgeht, so bezieht er auf diese hernach Alles, um sie her gestaltet sich Alles, durch diesen Moment wird seine Religion bestimmt, und ich hoffe Ihr werdet nicht sagen daß darauf etwas Natürliches oder Ererbtes Einfluß haben könne, und Ihr werdet auch nicht meinen, die Religion eines Menschen sei deshalb weniger eigentümlich und weniger die seinige, wenn sie in einer Gegend liegt wo schon Mehrere versammelt sind. Wenn aber auch Tausende vor ihm, mit ihm und nach ihm ihr religiöses Leben mit derselben Anschauung anfangen, wird es deswegen in Allen dasselbe sein, und wird sich die Religion in Allen gleich bilden? Erinnert Euch doch, daß in jeder bestimmten Form der Religion nicht etwa nur eine beschränkte Anzahl von Anschauungen zu derselben Ansicht und Beziehung auf Eine gestattet werden solle, sondern die ganze unendliche Menge derselben: gewährt das nicht einem Jeden Spielraum genug? Ich wüßte nicht, daß es schon einer einzigen gelungen wäre, ihr ganzes Gebiet in Besitz zu nehmen [147] und Alles ihrem Geiste gemäß zu bestimmen und darzustellen: Wenigen nur ist es vergönnt gewesen in der Zeit ihrer Freiheit und ihres besseren Lebens nur das Nächste am Mittelpunkt recht auszubilden und zu vollenden. Die Ernte ist groß, und der Arbeiter sind wenige. Ein unendliches Feld ist eröffnet in jeder dieser Religionen, worin Tausende sich zerstreuen mögen; unbebaute Gegenden genug werden sich dem Auge eines Jeden darstellen, der etwas eigenes zu schaffen und hervorzubringen fähig ist, und heilige Blumen duften und prangen in allen Gegenden wohin noch keiner gedrungen ist um sie zu betrachten und zu genießen.
Aber so wenig ist Euer Vorwurf, als ob innerhalb einer positiven Religion der Mensch die seinige nicht mehr eigentümlich ausbilden könnte, gegründet, daß sie nicht nur, wie Ihr eben gesehen habt, für einen Jeden Raum genug lassen: sondern daß auch gerade insofern der Mensch in eine positive Religion eintritt und aus demselben Grunde, die seinige noch in einem andern Sinne ein besonderes Individuum nicht nur sein kann, sondern auch von selbst werden wird. Betrachtet noch einmal den erhabenen Augenblick in welchem der Mensch überhaupt zuerst in das Gebiet der Religion eintritt. Die erste bestimmte religiöse Ansicht, die in sein Gemüt mit einer solchen Kraft eindringt, daß durch einen einzigen Reiz sein Organ fürs Universum zum Leben gebracht und von nun an auf immer in Tätigkeit gesetzt wird, bestimmt freilich seine Religion; sie ist und bleibt seine Fundamental-Anschauung in Beziehung auf welche er Alles ansehen wird, und es ist im Voraus bestimmt, in welcher Gestalt ihm jedes Element der Religion sobald er es wahrnimmt, erscheinen muß. Das ist die objektive Seite dieses Moments; seht aber auch auf die subjektive: so wie durch ihn in jener Rücksicht seine Religion insofern bestimmt wird, daß sie zu einem in Rücksicht des unendlichen Ganzen völlig geschloßnen Individuum gehört, aber doch nur als ein unbestimmtes Bruchstück desselben, denn nur mit mehreren vereint kann es das Ganze darstellen: so wird durch denselben Moment auch seine Religiosität in Rücksicht der unendlichen religiösen Anlage der Menschheit als ein ganz eignes und neues Individuum zur Welt gebracht. Dieser Augenblick ist nämlich zugleich [148] ein bestimmter Punkt in seinem Leben, ein Glied in der ihm ganz eigentümlichen Reihe geistiger Tätigkeiten, eine Begebenheit, die, wie jede andere, in einem bestimmten Zusammenhange steht mit einem Vorher, einem Jetzt und Nachher; und da dieses Vorher und Jetzt in Jedem Einzelnen etwas ganz eigentümliches ist, so wird es das Nachher auch; da sich an diesen Moment und an den Zustand, in welchem er das Gemüt überraschte und an seinen Zusammenhang mit dem früheren dürftigern Bewußtsein das ganze folgende religiöse Leben anknüpft und sich gleichsam genetisch daraus entwickelt: so hat es auch in jedem Einzelnen eine eigene durchaus bestimmte Persönlichkeit, so wie sein menschliches Leben selbst. So wie, indem ein Teil des unendlichen Bewußtseins sich losreißt und als ein endliches an einen bestimmten Moment in der Reihe organischer Evolutionen sich anknüpft, ein neuer Mensch entsteht, ein eignes Wesen, dessen abgesondertes Dasein unabhängig von der Menge und der objektiven Beschaffenheit seiner Begebenheiten und Handlungen, in der Einheit des fortdauernden und an jenen ersten Moment sich anschließenden Bewußtseins, und in der eigentümlichen Beziehung jedes Späteren auf ein bestimmtes Früheres, und in dem Einfluß dieses Früheren auf die Bildung des Späteren besteht: so entsteht auch in jenem Augenblick, in welchem ein bestimmtes Bewußtsein des Universums anhebt, ein eignes religiöses Leben, eigen, nicht durch unwiderrufliche Beschränkung auf eine besondere Anzahl und Auswahl von Anschauungen und Gefühlen, nicht durch die Beschaffenheit des darin vorkommenden religiösen Stoffs, den er mit Allen gemein hat, welche mit ihm zu derselben Zeit und in derselben Gegend der Religion geistig geboren sind; sondern durch das, was er mit Keinem gemein haben kann, durch den immerwährenden Einfluß des Zustandes, in welchem sein Gemüt zuerst vom Universum begrüßt und umarmt worden ist, durch die eigne Art wie er die Betrachtung desselben und die Reflexion darüber verarbeitet, durch den Charakter und Ton, in welchen dies die ganze folgende Reihe seiner religiösen Ansichten und Gefühle hineinstimmt, und welcher sich nie verliert, wie weit er auch hernach in der Anschauung des Universums fortschreitet [149] über das hinaus, was die erste Kindheit seiner Religion ihm darbot. Wie jedes intellektuelle endliche Wesen seine geistige Natur und seine Individualität dadurch beurkundet daß es Euch auf jene Vermählung des Unendlichen mit dem Endlichen als auf seinen Ursprung zurückführt, auf jenes unbegreifliche Faktum über welches hinaus Ihr die Reihe des Endlichen nicht weiter verfolgen könnt, und wobei Eure Phantasie Euch versagt wenn Ihr es aus irgend etwas Früherem, es sei Willkür oder Natur, erklären wollt: ebenso müßt Ihr Jedem ein eigentümliches geistiges Leben zugestehen, der Euch als Dokument seiner religiösen Individualität ein ebenso unbegreifliches Faktum aufzeigt wie auf einmal mitten unter dem Endlichen und Einzelnen das Bewußtsein des Unendlichen und des Ganzen sich ihm entwickelt hat. Jeden, der so den Geburtstag seines geistigen Lebens angeben und eine Wundergeschichte erzählen kann vom Ursprung seiner Religion, die als eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit und als eine Regung ihres Geistes erscheint, müßt Ihr auch dafür ansehn daß er etwas eigenes sein und daß etwas besonderes mit ihm gesagt sein soll: denn so etwas geschieht nicht, um eine leere Dublette hervorzubringen im Reich der Religion. Und so wie jedes auf jene Art entstandene Wesen nur aus sich erklärt, und nie ganz verstanden werden kann, wenn Ihr nicht so weit als möglich auf die ersten Äußerungen der Willkür in den frühesten Zeiten zurückgeht: so ist auch die religiöse Persönlichkeit eines Jeden ein geschlossenes Ganze und ihr Verstehen beruht darauf daß Ihr die ersten Offenbarungen derselben zu erfor schen sucht. Darum glaube ich auch, daß es Euch nicht Ernst ist mit dieser ganzen Klage gegen die positiven Religionen; es ist wohl nur ein vorgefaßter Begriff: denn Ihr seid viel zu sorglos um die Sache als daß Ihr dazu berechtigt sein solltet. Ihr habt wohl nie den Beruf gefühlt Euch anzuschmiegen an die wenigen religiösen Menschen, die Ihr vielleicht sehen könnt – obgleich sie immer anziehend und liebenswert genug sind – um etwa durch das Mikroskop der Freundschaft oder der näheren Kenntnis die ihr wenigstens ähnlich sieht genauer zu untersuchen wie sie fürs Universum und durch dasselbe organisiert sind. Mir, der ich sie fleißig betrachtet [150] habe, der ich sie ebenso mühsam aufsuche und mit eben der heiligen Sorgfalt beobachte, welche Ihr den Seltenheiten der Natur widmet, mir ist es oft eingefallen, ob nicht schon das Euch zur Religion führen könnte, wenn Ihr nur Acht darauf gäbet, wie allmächtig die Gottheit den Teil der Seele in welchem sie vorzüglich wohnt, in welchem sie sich in ihren unmittelbaren Wirkungen offenbart und sich selbst beschaut, auch als ihr Allerheiligstes ganz eigen erbaut und absondert von allem was sonst im Menschen gebaut und gebildet wird, und wie sie sich darin durch die unerschöpflichste Mannigfaltigkeit der Formen in ihrem ganzen Reichtum verherrlicht. Ich wenigstens bin immer aufs neue erstaunt über die vielen merkwürdigen Bildungen auf dem so wenig bevölkerten Gebiet der Religion, wie sie sich voneinander unterscheiden durch die verschiedensten Abstufungen der Empfänglichkeit für den Reiz desselben Gegenstandes und durch die größte Verschiedenheit dessen was in ihnen gewirkt wird, durch die Mannigfaltigkeit des Tons den die entschiedene Übermacht der einen oder der andern Art von Gefühlen hervorbringt und durch allerlei Idiosynkrasien der Reizbarkeit und Eigentümlichkeiten der Stimmung, indem bald Jeder seine eigene Situation hat worin die religiöse Ansicht der Dinge ihn vorzüglich beherrscht. Dann wieder wie der religiöse Charakter des Menschen oft etwas ganz eigentümliches in ihm ist, wie abgeschieden von Allem was er in seinen übrigen Anlagen entdeckt, wie das ruhigste und nüchternste Gemüt hier des stärksten der Leidenschaft ähnlichen Affektes fähig ist; wie der stumpfste Sinn für gemeine und irdische Dinge hier innig fühlt bis zur Wehmut und klar sieht bis zur Entzückung und Weissagung; wie der schüchternste Mut in allen weltlichen Angelegenheiten von heiligen Dingen und für sie oft bis zum Märtyrertum laut durch die Welt und das Zeitalter hindurch spricht. Und wie wunderbar oft dieser religiöse Charakter selbst geartet und zusammengesetzt ist, Bildung und Rohheit, Kapazität und Beschränkung, Zartheit und Härte in jedem auf eine eigne Weise untereinander gemischt und ineinander verschlungen. Wo ich alle diese Gestalten gesehen habe? In dem eigentlichen Gebiet der Religion, in ihren bestimmten Formen in den positiven Religionen [151] die Ihr für das Gegenteil verschreit, unter den Heroen und Märtyrern eines bestimmten Glaubens, unter den Schwärmern für bestimmte Gefühle, unter den Verehrern eines bestimmten Lichtes und individueller Offenbarungen, da will ich sie Euch zeigen zu allen Zeiten und unter allen Völkern. Auch ist es nicht anders, nur da können sie anzutreffen sein. So wie kein Mensch als Individuum zur Existenz kommen kann ohne zugleich durch denselben Aktus auch in eine Welt, in eine bestimmte Ordnung der Dinge und unter einzelne Gegenstände versetzt zu werden; so kann auch ein religiöser. Mensch zu seiner Individualität nicht gelangen, er wohne denn durch dieselbe Handlung sich auch ein in irgendeine bestimmte Form der Religion. Beides ist die Wirkung eines und desselben Momentes, und kann also Eins vom Andern nicht getrennt werden. Wenn eines Menschen ursprüngliche Anschauung des Universums nicht Kraft genug hat sich selbst zum Mittelpunkt seiner Religion zu machen um den sich Alles in ihr bewegt, so wirkt auch ihr Reiz nicht stark genug um den Prozeß eines eignen und rüstigen religiösen Lebens einzuleiten.
Und nun ich Euch diese Rechenschaft abgelegt habe, so sagt mir doch auch wie es in Eurer gerühm ten natürlichen Religion um diese persönliche Ausbildung und Individualisierung steht? Zeiget mir doch unter ihren Bekennern auch eine so große Mannigfaltigkeit stark gezeichneter Charaktere! Denn ich muß gestehen, ich selbst habe sie unter ihnen niemals finden können, und wenn Ihr rühmt daß sie ihren Anhängern mehr Freiheit gewähre sich nach eignem Sinn religiös zu bilden, so kann ich mir nichts anders darunter denken als – wie denn das Wort oft so gebraucht wird – die Freiheit auch ungebildet zu bleiben, die Freiheit von jeder Nötigung nur überhaupt irgend etwas bestimmtes zu sein, zu sehen und zu empfinden. Die Religion spielt doch in ihrem Gemüt eine gar zu dürftige Rolle. Es ist als ob sie gar keinen eignen Puls, kein eignes System von Gefäßen, keine eigne Zikulation und also auch keine eigne Temperatur, und keine assimilierende Kraft für sich hätte, und keinen Charakter; sie ist überall mit ihrer Sittlichkeit und ihrer natürlichen Empfindsamkeit vermischt; in Verbindung mit denen, [152] oder vielmehr ihnen demütig nachtretend, bewegt sie sich träge und sparsam, und wird nur gelegentlich tropfenweise abgeschieden von jenen zum Zeichen ihres Daseins. Zwar ist mir mancher achtungswerte und kräftige religiöse Charakter vorgekommen, den die Bekenner der positiven Religionen, nicht ohne sich über das Phänomen zu verwundern, für einen Bekenner der natürlichen ausga ben: aber genau betrachtet erkannten ihn diese nicht mehr für ihresgleichen; er war immer schon etwas von der ursprünglichen Reinheit der Vernunftreligion abgewichen und hatte einiges Willkürliche und Positive in die seinige aufgenommen, was nur Jene nicht erkannten, weil es von dem ihrigen zu sehr verschieden war. Warum mißtrauen sie gleich Jedem der etwas eigentümliches in seine Religion bringt? Sie wollen eben auch Alle gleichförmig sein – nur entgegengesetzt dem Extrem auf der andern Seite, den Sektierern meine ich – gleichförmig im Unbestimmten. So wenig ist an eine besondere persönliche Ausbildung zu denken in der natürlichen Religion, daß ihre echtesten Verehrer nicht einmal mögen, daß die Religion des Menschen eine eigene Geschichte haben und mit einer Denkwürdigkeit anfangen soll. Das ist ihnen schon zu viel: denn Mäßigkeit ist ihre Hauptsache in der Religion, und wer so Etwas von sich zu sagen weiß kommt schon in den üblen Geruch, daß er einen Ansatz habe zum leidigen Fanatismus, Nach und nach soll der Mensch religiös werden, wie er klug und verständig wird und Alles andere was er sein soll; durch den Unterricht und die Erziehung soll ihm das Alles kommen; nichts muß dabei sein was für übernatürlich oder auch nur für sonderbar könnte gehalten werden. Ich will nicht sagen, daß mir das, von wegen des Unterrichts und der Erziehung die Alles sein sollen, den Verdacht beibringt, als sei die natürliche Religion ganz vorzüglich von jenem Übel einer Vermischung, ja gar einer Verwandlung in Philosophie und Moral befallen; aber das ist doch klar, daß sie nicht von irgendeiner lebendigen Anschauung ausgegangen sind, und daß auch keine ihr fester Mittelpunkt ist, weil sie gar nichts wissen unter sich, wovon der Mensch auf eine eigne Weise müßte ergriffen werden. Der Glaube an einen persönlichen Gott, das wissen sie selbst, ist nicht das Resultat [153] einer bestimmten einzelnen Anschauung des Universums im Endlichen; darum fragen sie auch Keinen, der ihn hat, wie er dazu gekommen sei; sondern so wie sie ihn demonstrieren wollen, meinen sie auch, er müsse Allen andemonstriert sein. Sonst einen andern und bestimmteren Mittelpunkt, den sie hätten, möchtet Ihr wohl schwerlich aufzeigen können. Das Wenige, was ihre magre und dünne Religion enthält steht für sich in unbestimmter Vieldeutigkeit da: sie haben eine Vorsehung überhaupt, eine Gerechtigkeit überhaupt, eine göttliche Erziehung überhaupt; alle diese Anschauungen sehen sie gegeneinander bald in dieser bald in jener Perspektive und Verkürzung, und sie gelten ihnen bald Dies bald Jenes; oder wenn ja eine gemeinschaftliche Beziehung auf einen Punkt darin anzutreffen ist, so liegt dieser Punkt außerhalb der Religion, und es ist eine Beziehung auf etwas fremdes, darauf daß die Sittlichkeit ja nicht ge hindert werde, und daß der Trieb nach Glückseligkeit einige Nahrung erhalte – Dinge wornach wahrhaft religiöse Menschen bei der Konstruktion der Elemente ihrer Religion niemals gefragt haben, Beziehungen wodurch ihr kärgliches religiöses Eigentum noch mehr zerstreut und auseinander getrieben wird. Sie hat also für ihre religiösen Anschauungen keine Einheit einer bestimmten Ansicht, diese natürliche Religion, sie ist also auch keine bestimmte Form, keine eigne individuelle Darstellung der Religion, und die, welche nur sie bekennen, haben keinen bestimmten Wohnsitz in ihrem Reich, sondern sind Fremdlinge, deren Heimat, wenn sie eine haben, woran ich zweifle, anderswo liegen muß. Sie kommt mir vor wie die Masse, welche zwischen den Weltsystemen dünn und zerstreut schweben soll, hier von dem einen, dort von dem andern ein wenig angezogen; aber von keinem stark genug, um in seinen Wirbel fortgerissen zu werden. Wozu sie da ist, mögen die Götter wissen; es müßte denn sein, um zu zeigen, daß auch das Unbestimmte auf gewisse Weise existieren kann. Eigentlich aber ist es doch nur ein Warten auf die Existenz, zu der sie nicht anders kommen könnten, als wenn eine Gewalt stärker als jede bisherige und auf andere Weise sie ergriffe. Mehr kann ich ihnen nicht zugestehn, als die dunkeln Ahndungen, welche jener lebendigen Anschauung [154] vorangehn, die dem Menschen sein religiöses Leben auftut. Es gibt gewisse dunkle Regungen und Vorstellungen, die gar nicht mit der Persönlichkeit eines Menschen zusammenhängen, sondern gleichsam nur die Zwischenräume derselben ausfüllen, und in Allen gleichförmig eben dasselbe sind: so ist ihre Religion. Höchstens ist sie Naturreligion in dem Sinne wie man auch sonst, wenn man von Naturphilosophie und Naturpoesie redet, den Äußerungen des rohen Instinkts diesen Namen vorsetzt, um sie von der Kunst und Bildung zu unterscheiden. Aber auf das Bessere warten sie nicht etwa, und achten es höher im Gefühl es nicht erreichen zu können: sondern sie widersetzen sich ihm aus allen Kräften. Das Wesen der natürlichen Religion besteht ganz eigentlich in der Negation alles Positiven und Charakteristischen in der Religion, und in der heftigsten Polemik dagegen. Darum ist sie auch das würdige Produkt des Zeitalters, dessen Steckenpferd eine erbärmliche Allgemeinheit und eine leere Nüchternheit war, die mehr als irgend etwas in allen Dingen der wahren Bildung entgegenarbeitet. Zweierlei hassen sie ganz vorzüglich: sie wollen nirgends beim Außerordentlichen und Unbegreiflichen anfangen; und was sie auch sein und treiben mögen, so soll nirgends eine Schule hervorschmecken. Das ist das Verderben, welches Ihr in allen Künsten und Wissenschaften findet, es ist auch in die Religion gedrungen, und sein Produkt ist dies gehaltleere und formlose Ding. Autochthonen und Autodidakten möchten sie sein in der Religion; aber sie haben nur das Rohe und Ungebildete von diesen: das Eigentümliche hervorzubringen haben sie weder Kraft noch Willen. Sie sträuben sich gegen jede bestimmte Religion welche da ist, weil sie doch zugleich eine Schule ist; aber wenn es möglich wäre, daß ihnen selbst etwas begegnete, wodurch eine eigne Religion sich in ihnen gestalten wollte, würden sie sich eben so heftig dagegen auflehnen, weil doch eine Schule daraus entstehen könnte. Und so ist ihr Sträuben gegen das Positive und Willkürliche zugleich ein Sträuben gegen Alles Bestimmte und Wirkliche. Wenn eine bestimmte Religion nicht mit einem Faktum anfangen soll, kann sie gar nicht anfangen: denn ein Grund muß doch da sein, und es kann nur ein subjektiver sein, [155] warum irgend etwas hervorgezogen und in die Mitte gestellt wird; und wenn eine Religion nicht eine bestimmte sein soll, so ist sie gar keine, sondern nur loser unzusammenhängender Stoff. Erinnert Euch, was die Dichter von einem Zustande der Seelen vor der Geburt reden: wenn sich eine solche gewaltsam wehren wollte in die Welt zu kommen, weil sie eben nicht Dieser und Jener sein möchte, sondern ein Mensch überhaupt; diese Polemik gegen das Leben ist die Polemik der natürlichen Religion gegen die positiven, und dies ist der permanente Zustand ihrer Be kenner.
Zurück also, wenn es Euch Ernst ist die Religion in ihren bestimmten Gestalten zu betrachten, von dieser erleuchteten zu den verachteten positiven Religionen, wo Alles wirklich, kräftig und bestimmt erscheint; wo jede einzelne Anschauung ihren bestimmten Gehalt und ein eignes Verhältnis zu den übrigen, jedes Gefühl seinen eignen Kreis und seine besondere Beziehung hat; wo Ihr jede Modifikation der Religiosität irgendwo antrefft, und jeden Gemütszustand in welchen nur die Religion den Menschen versetzen kann; wo Ihr jeden Teil derselben irgendwo ausgebildet und jede ihrer Wirkungen irgendwo vollendet findet; wo alle gemeinschaftliche Anstalten und alle einzelne Äußerungen den hohen Wert beweisen, der auf die Religion gelegt wird bis zum Vergessen alles übrigen; wo der heilige Eifer, mit welchem sie betrachtet, mitgeteilt, genossen wird, und die kindliche Sehnsucht mit welcher man neuen Offenbarungen himmlischer Kräfte entgegensieht Euch dafür bürgen, daß keines von ihren Elementen, welches von diesem Punkt aus schon wahrgenommen werden konnte, übersehen worden, und keiner von ihren Momenten verschwunden ist ohne ein Denkmal zurückzulassen. Betrachtet alle die mannigfaltigen Gestalten, in welcher jede einzelne Art das Universum anzuschauen schon erschienen ist; laßt Euch nicht zurückschrecken weder durch geheim nisvolle Dunkelheit, noch durch wunderbare groteske Züge, und gebet dem Wahn nicht Raum, als möchte Alles nur Phantasie und Dichtung sein: grabet nur immer tiefer, wo Euer magischer Stab einmal angeschlagen hat. Ihr werdet gewiß das Himmlische zutage fördern. Aber, daß Ihr ja auch auf das Menschliche seht, was die Göttliche annehmen mußte; [156] daß Ihr ja nicht aus der Acht laßt, wie sie überall die Spuren von der Bildung jedes Zeitalters, von der Geschichte jeder Menschenart an sich trägt, wie sie oft in Knechtsgestalt einhergehen mußte, an ihren Umgebungen und an ihrem Schmuck der Dürftigkeit ihrer Schüler und ihres Wohnsitzes zur Schau tragend, damit Ihr gebührend absondert und scheidet; daß Ihr ja nicht übersehet wie sie oft beschränkt worden ist in ihrem Wachstum, weil man ihr nicht Raum ließ ihre Kräfte zu üben, wie sie oft in der ersten Kindheit kläglich vergangen ist an schlechter Behandlung und an Atrophie. Und wenn Ihr das Ganze umfassen wollt, so bleibt ja nicht allein bei denen Gestalten der Religion stehn, welche jahrhundertelang geglänzt und große Völker beherrscht haben, und durch Dichter und Weise vielfach verherrlicht worden sind: was historisch und religiös das merkwürdigste war, ist oft nur unter Wenige geteilt und dem gemeinen Blick verborgen geblieben.
Wenn Ihr aber auch auf diese Art die rechten Ge genstände und diese ganz und vollständig ins Auge faßt, wird es immer noch ein schwieriges Geschäft sein den Geist der Religionen zu entdecken und sie durchaus zu verstehen. Noch einmal warne ich Euch, ihn nicht abstrahieren zu wollen aus dem, was Allen, die eine bestimmte Religion bekennen, gemeinschaftlich ist: Ihr verirrt Euch in tausend vergeblichen Nachforschungen auf diesem Wege, und kommt am Ende immer anstatt des Geistes der Religion auf ein bestimmtes Quantum von Stoff; Ihr müßt Euch erinnern, daß keine je ganz wirklich geworden ist, und daß Ihr sie nicht eher kennt, bis Ihr, weit entfernt sie in einem beschränkten Raume zu suchen, selbst imstande seid sie zu ergänzen, und zu bestimmen, wie dies und jenes in ihr geworden sein müßte, wenn ihr Gesichtskreis so weit gereicht hätte; Ihr könnt es Euch nicht fest genug einprägen, daß Alles nur darauf ankommt ihre Grundanschauung zu finden, daß Euch alle Kenntnis vom Einzelnen nichts hilft solange Ihr diese nicht habt, und daß Ihr sie nicht eher habt bis Ihr alles Einzelne aus Einem erklären könnt. Und selbst mit dieser Regel der Untersuchung, die doch nur ein Prüfstein ist, werdet Ihr tausend Verirrungen ausgesetzt sein: Vieles wird Euch entgegenkommen [157] gleichsam absichtlich um Euch zu verführen. Vieles wird sich Euch in den Weg stellen, um Euer Auge auf eine falsche Seite zu richten. Vor allen Dingen bitte ich Euch, den Unterschied ja nicht aus den Augen zu lassen zwischen dem, was das Wesen einer einzelnen Religion ausmacht sofern sie eine bestimmte Form und Darstellung derselben überhaupt ist, und dem, was ihre Einheit als Schule bezeichnet und sie als solche zusammenhält. Religiöse Menschen sind durchaus historisch: das ist nicht ihr kleinstes Lob; aber es ist auch die Quelle großer Mißverständnisse. Der Moment in welchem sie selbst von der Anschauung erfüllt worden sind, welche sich zum Mittelpunkt ihrer Religion gemacht hat, ist ihnen immer heilig; er erscheint ihnen als eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit, und sie reden nie von dem was ihnen eigentümlich ist in der Religion, und von der Gestalt die sie in ihnen gewonnen hat, ohne auf ihn hinzuweisen. Ihr könnt also denken, wie viel heiliger noch ihnen der Moment sein muß, in welchem diese unendliche Anschauung überhaupt zuerst in der Welt als Fundament und Mittelpunkt einer eignen Religion aufgestellt worden ist, da an diesen die ganze Entwicklung dieser Religion in allen Generationen und Individuen sich eben so historisch anknüpft, und doch dieses Ganze der Religion und die religiöse Bildung einer großen Masse der Menschheit etwas unendlich größeres ist, als ihr eignes religiöses Leben und das kleine Fragment dieser Religion, welches sie persönlich darstellen. Dieses Faktum verherrlichen sie also auf alle Weise, häufen darauf allen Schmuck der religiösen Kunst, beten es an, als die reichste und wohltätigste Wunderwirkung des Höchsten, und reden nie von ihrer Religion, stellen nie eins von ihren Elementen auf, ohne es in Verbindung mit diesem Faktum zu setzen und so darzustellen. Wenn also die beständige Erwähnung desselben alle Äußerungen der Religion begleitet, und ihnen eine eigene Farbe gibt; so ist nichts natürlicher, als dieses Faktum mit der Grundanschauung der Religion selbst zu verwechseln; dies hat nur nicht Alle verführt, und die Ansicht fast aller Religionen verschoben. Vergeßt also nie, daß die Grundanschauung einer Religion nichts sein kann, als irgendeine Anschauung des Unendlichen im Endlichen, [158] irgendein allgemeines Element der Religion; welches in allen andern aber auch vorkommen darf, und wenn sie vollständig sein sollten, vorkommen müßte, nur daß es in ihnen nicht in den Mittelpunkt gestellt ist. – Ich bitte Euch, nicht Alles, was Ihr bei den Heroen der Religion oder in den heiligen Urkunden findet für Religion zu halten, und den unterscheidenden Geist darin zu suchen. Nicht Kleinigkeiten meine ich damit, wie Ihr leicht denken könnt, noch solche Dinge, die nach jedes Ermessen der Religion ganz fremd sind, sondern das, was oft mit ihr verwechselt wird. Erinnert Euch wie absichtslos jene Urkunden verfertigt sind, daß unmöglich darauf gesehen werden konnte alles daraus zu entfernen was nicht Religion ist, und bedenkt, wie jene Männer in allerlei Verhältnissen gelebt haben in der Welt, und unmöglich bei jedem Wort, was sie sprachen, sagen konnten: das ist nicht Religion, und wenn sie also Weltklugheit und Moral reden, oder Metaphysik und Poesie, so meint nicht das müsse auch in die Religion hineingezwängt werden, und darin müsse auch ihr Charakter zu suchen sein. Die Moral soll wenigstens überall nur Eine sein, und nach ihren Verschiedenheiten, welche also immer etwas sind, das hinweggetan werden soll, können sich die Religionen nicht unterscheiden, die nicht überall Eine sein sollen. – Mehr als Alles aber bitte ich Euch, laßt Euch nicht verführen von den beiden feindseligen Prinzipien, die überall, und fast von den ersten Zeiten an, den Geist jeder Religion haben zu entstellen und zu verstecken gesucht. Überall hat es sehr bald Solche gegeben, die ihn in einzelnen Lehrsätzen haben umgrenzen, und das, was noch nicht ihm gemäß zur Religion gebildet war, von ihr ausschließen wollen, und Solche, die, es sei nun aus Haß gegen die Polemik, oder um die Religion den Irreligiösen angenehmer zu machen, oder aus Unverstand und Unkenntnis der Sache und aus Mangel an Sinn, alles Eigentümliche als toten Buchstaben verschreien, um aufs Unbestimmte loszugehn. Vor Beiden hütet Euch: bei steifen Systematikern, bei seichten Indifferentisten werdet Ihr den Geist einer Religion nicht finden; sondern bei denen, die in ihr leben als in ihrem Element, und sich immer weiter in ihr bewegen, ohne den Wahn zu nähren, daß sie sie ganz umfassen könnten.
[159] Ob es Euch mit diesen Vorsichtsmaßregeln gelingen wird, den Geist der Religionen zu entdecken? Ich weiß es nicht: aber ich fürchte daß auch Religion nur durch sich selbst verstanden werden kann, und daß Euch ihre besondere Bauart und ihr charakteristischer Unterschied nicht eher klar werden wird, bis Ihr selbst irgendeiner angehört. Wie es Euch glücken mag die rohen und ungebildeten Religionen entfernter Völker zu entziffern, oder die vielerlei religiösen Individuen auszusondern, welche in der schönen Mythologie der Griechen und Römer eingewickelt liegen, das läßt mich sehr gleichgültig, mögen ihre Götter Euch geleiten; aber wenn Ihr Euch dem Allerheiligsten nähert, wo das Universum in seiner höchsten Einheit angeschaut wird, wenn Ihr die verschiedenen Gestalten der systematischen Religionen betrachten wollt, nicht die ausländischen und fremden, sondern die welche unter uns noch mehr oder minder vorhanden sind: so kann es mir nicht gleichgültig sein, ob Ihr den rechten Punkt findet, von dem Ihr sie ansehen müßt.
Zwar sollte ich nur von Einer reden: denn der Judaismus ist schon lange eine tote Religion, und diejenigen, welche jetzt noch seine Farbe tragen, sitzen ei gentlich klagend bei der unverweslichen Mumie, und weinen über sein Hinscheiden und seine traurige Verlassenschaft. Auch rede ich nicht deswegen von ihm, weil er etwa der Vorläufer des Christentums wäre: ich hasse in der Religion diese Art von historischen Beziehungen, ihre Notwendigkeit ist eine weit höhere und ewige, und jedes Anfangen in ihr ist ursprünglich: aber er hat einen so schönen kindlichen Charakter, und dieser ist so gänzlich verschüttet, und das Ganze ein so merkwürdiges Beispiel von der Korruption und vom gänzlichen Verschwinden der Religion aus einer großen Masse, in der sie sich ehedem befand. Nehmt einmal alles Politische, und so Gott will, Moralische hinweg, wodurch er gemeiniglich charakterisiert wird; vergeßt das ganze Experiment den Staat anzuknüpfen an die Religion, daß ich nicht sage an die Kirche; vergeßt daß das Judentum gewissermaßen zugleich ein Orden war, gegründet auf eine alte Familiengeschichte, aufrecht erhalten durch die Priester; seht bloß auf das eigentlich Religiöse darin, wozu dies Alles nicht gehört, und sagt mir welches ist [160] die überall hindurchschimmernde Idee des Universums? Keine andere, als die von einer allgemeinen unmittelbaren Vergeltung, von einer eigenen Reaktion des Unendlichen gegen Jedes einzelne Endliche, das aus der Willkür hervorgeht, durch ein anderes Endliches, das nicht als aus der Willkür hervorgehend angesehen wird. So wird alles betrachtet, Entstehen und Vergehen, Glück und Unglück, selbst nur innerhalb der menschlichen Seele wechselt immer eine Äußerung der Freiheit und Willkür und eine unmittelbare Einwirkung der Gottheit; alle andere Eigenschaften Gottes, welche auch angeschaut werden, äußern sich nach dieser Regel, und werden immer in der Beziehung auf diese gesehen; belohnend, strafend, züchtigend das Einzelne im Einzelnen, so wird die Gottheit durchaus vorgestellt. Als die Jünger einmal Christum fragten: Wer hat gesündigt, diese oder ihre Väter, und er ihnen antwortete: meint Ihr, daß diese mehr gesündigt haben als Andere. – Das war der religiöse Geist des Judentums in seiner schneidendsten Gestalt, und das war seine Polemik dagegen. Daher der sich überall durchschlingende Parallelismus, der keine zufällige Form ist, und das Ansehen des Dialogischen, welches in Allem was religiös ist, angetroffen wird. Die ganze Geschichte, so wie sie ein fortdauernder Wechsel zwischen diesem Reiz und dieser Gegenwirkung ist, wird sie vorgestellt als ein Gespräch zwischen Gott und den Menschen in Wort und Tat, und alles was vereinigt ist, ist es nur durch die Gleichheit in dieser Behandlung. Daher die Heiligkeit der Tradition in welcher der Zusammenhang dieses großen Gesprächs enthalten war, und die Unmöglichkeit zur Religion zu gelangen als nur durch die Einweihung in diesem Zu sammenhang, und noch in späten Zeiten der Streit unter den Sekten ob sie im Besitz dieses fortgehenden Gesprächs wären. Eben von dieser Ansicht rührt es her, daß in der jüdischen Religion die Gabe der Weissagung so vollkommen ausgebildet ist als in keiner andern; denn im Weissagen sind doch die Christen nur Kinder gegen sie. Diese ganze Idee nämlich ist höchst kindlich, nur auf einen kleinen Schauplatz ohne Verwickelungen berechnet, wo bei einem einfachen Ganzen die natürlichen Folgen der Handlungen nicht gestört oder gehindert [161] werden: je weiter aber die Bekenner dieser Religion vorrückten auf den Schauplatz der Welt, unter die Verbindung mit mehreren Völkern, desto schwieriger wurde die Darstellung dieser Idee, und die Phantasie mußte dem Allmächtigen das Wort, welches er erst sprechen wollte, vorwegnehmen, und sich den zweiten Teil desselben Moments, aus weiter Ferne vors Auge holen und Zeit und Raum dazwischen vernichten. Das ist eine Weissagung, und das Streben darnach mußte notwendig so lange noch immer eine Haupterscheinung sein, als es möglich war jene Idee und mit ihr die Religion festzuhalten. Der Glaube an den Messias war ihre letzte mit großer Anstrengung erzeugte Frucht: ein neuer Herrscher sollte kommen um das Zion wo die Stimme des Herrn verstummet war in seiner Herrlichkeit wieder herzustellen, und durch die Unterwerfung der Völker unter das alte Gesetz sollte jener einfache Gang wieder allgemein werden in den Begebenheiten der Welt, der durch ihre unfriedliche Gemeinschaft, durch das Gegeneinandergerichtetsein ihrer Kräfte und durch die Verschiedenheit ihrer Sitten unterbrochen war. Er hat sich lange erhalten, wie oft eine einzelne Frucht, nachdem alle Lebenskraft aus dem Stamm gewichen ist, bis in die rauheste Jahreszeit an einem welken Stiel hängen bleibt und an ihm vertrocknet. Der eingeschränkte Gesichtspunkt gewährte dieser Religion, als Religion, eine kurze Dauer. Sie starb, als ihre heiligen Bücher geschlossen wurden, da wurde das Gespräch des Jehova mit seinem Volk als beendigt angesehen, die politische Verbindung, welche an sie geknüpft war, schleppte noch länger ein sieches Dasein, und ihr Äußeres hat sich noch weit später erhalten, die unangenehme Erscheinung einer mechanischen Bewegung nachdem Leben und Geist längst gewichen ist.
Herrlicher, erhabener, der erwachsenen Menschheit würdiger, tiefer eindringend in den Geist der systematischen Religion, weiter sich verbreitend über das ganze Universum ist die ursprüngliche Anschauung des Christentums. Sie ist keine andere, als die des allgemeinen Entgegenstrebens alles Endlichen gegen die Einheit des Ganzen, und der Art wie die Gottheit dieses Entgegenstreben behandelt, wie sie die Feind schaft gegen sich vermittelt, und der größer werdenden [162] Entfernung Grenzen setzt durch einzelne Punkte über das Ganze ausgestreut, welche zugleich Endliches und Unendliches, zugleich Menschliches und Göttliches sind. Das Verderben und die Erlösung, die Feinschaft und die Vermittlung, das sind die beiden unzertrennlich miteinander verbundenen Seiten dieser Anschauung, und durch sie wird die Gestalt alles religiösen Stoffs im Christentum und seine ganze Form bestimmt. Die physische Welt ist abgewichen von ihrer Vollkommenheit und unvergänglichen Schönheit mit immer verstärkten Schritten; aber alles Übel, selbst das, daß das Endliche vergehen muß ehe es den Kreis seines Daseins vollständig durchlaufen hat ist eine Folge des Willens, des selbstsüchtigen Strebens der individuellen Natur, die sich überall losreißt aus dem Zusammenhange mit dem Ganzen um etwas zu sein für sich; auch der Tod ist gekommen um der Sünde willen. Die moralische Welt ist vom Schlechten zum Schlimmeren fortschreitend, unfähig etwas hervorzubringen worin der Geist des Universums wirklich lebte, verfinstert der Verstand und abgewichen von der Wahrheit, verderbt das Herz und ermangelnd jedes Ruhmes vor Gott, verlöscht das Ebenbild des Unendlichen in jedem Teile der endlichen Natur. In Beziehung hierauf wird auch die göttliche Vorsehung in allen ihren Äußerungen angeschaut, nicht auf die unmittelbaren Folgen für die Empfindung gerichtet in ihrem Tun, nicht das Glück oder Leiden im Auge habend welches sie hervorbringt, nicht mehr einzelne Handlungen hindernd oder fördernd, sondern nur bedacht dem Verderben zu steuern in großen Massen, zu zerstören ohne Gnade was nicht mehr zurückzuführen ist, und neue Schöpfungen mit neuen Kräften aus sich selbst zu schwängern; so tut sie Zeichen und Wunder die den Lauf der Dinge unterbrechen und erschüttern, so schickt sie Gesandte in denen mehr oder weniger von ihrem eignen Geiste wohnt, um göttliche Kräfte auszugießen unter die Menschen. Ebenso wird auch die religiöse Welt vorgestellt. Auch indem es das Universum anschauen will strebt das Endliche ihm entgegen, sucht immer ohne zu finden und verliert was es gefunden hat, immer einseitig, immer schwankend, immer beim Einzelnen und Zufälligen stehn bleibend, und immer noch mehr wollend [163] als anschauen verliert es das Ziel seiner Blicke. Vergeblich ist jede Offenbarung. Alles wird verschlungen von irdischem Sinn, alles fortgerissen von dem inwohnenden irreligiösen Prinzip, und immer neue Veranstaltungen trifft die Gottheit, immer herrlichere Offenbarungen gehn durch ihre Kraft allein aus dem Schöße der alten hervor, immer erhabnere Mittler stellt sie auf zwischen sich und den Menschen, immer inniger vereinigt sie in jedem späteren Gesandten die Gottheit mit der Menschheit, damit durch sie und von ihnen die Menschen lernen mögen das ewige Wesen erkennen, und nie wird dennoch gehoben die alte Klage, daß der Mensch nicht vernimmt, was vom Geiste Gottes ist. Dieses, daß das Christentum in seiner eigentlichsten Grundanschauung am meisten und liebsten das Universum in der Religion und ihrer Geschichte anschaut, daß es die Religion selbst als Stoff für die Religion verarbeitet, und so gleichsam eine höhere Potenz derselben ist, das macht das unterscheidendste seines Charakters, das bestimmt seine ganze Form. Eben weil es ein irreligiöses Prinzip als überall verbreitet voraussetzt, weil dies einen wesentlichen Teil der Anschauung ausmacht auf welche Alles übrige bezogen wird, ist es durch und durch polemisch. – Polemisch in seiner Mitteilung nach außen, denn um sein innerstes Wesen klar zu machen, muß es jedes Verderben, es liege in den Sitten oder in der Denkungsart, vor allen Dingen aber das irreligiöse Prinzip selbst überall aufdecken. Ohne Schonung entlarvt es daher jede falsche Moral, jede schlechte Religion, jede unglückliche Vermischung von beiden wodurch ihre beiderseitige Blöße bedeckt werden soll, in die innersten Geheimnisse des verderbten Herzens dringt es ein und erleuchtet mit der heiligen Fackel eigner Erfahrung jedes Übel das im Finstern schleicht. So zerstörte es – und dies war fast seine erste Bewe gung – die letzte Erwartung seiner nächsten Brüder und Zeitgenossen, und nannte es irreligiös und gottlos eine andere Wiederherstellung zu wünschen oder zu erwarten als die zur besseren Religion, zur höheren Ansicht der Dinge, und zum ewigen Leben in Gott. Kühn führt es die Heiden hinweg über die Trennung die sie gemacht hatten zwischen dem Leben und der Welt der Götter und der Menschen. Wer nicht in [164] dem Ewigen lebt, webt und ist, dem ist er völlig unbekannt, wer dies natürliche Gefühl, wer diese innere Anschauung verloren hat unter der Menge sinnlicher Eindrücke und Begierden, in dessen beschränkten Sinn ist noch keine Religion gekommen. So rissen sie überall auf die übertünchten Gräber und brachten die Totengebeine ans Licht, und wären sie Philosophen gewesen, die ersten Helden des Christentums, sie hätten ebenso polemisiert gegen das Verderben der Philosophie. Nirgends gewiß verkannten sie die Grundzüge des göttlichen Ebenbildes, in allen Entstellungen und Entartungen sahen sie gewiß den himmlischen Keim der Religion; aber als Christen war ihnen die Hauptsache die Entfernung vom Universum, die einen Mittler bedarf, und so oft sie Christentum sprachen gingen sie nur darauf. – Polemisch ist aber auch das Christentum, und das eben so scharf und schneidend, innerhalb seiner eignen Grenzen, und in seiner innersten Gemeinschaft der Heiligen. Nirgends ist die Reli gion so vollkommen idealisiert, als im Christentum und durch die ursprüngliche Voraussetzung desselben; und eben damit zugleich ist immerwährendes Polemisieren gegen Alles Wirkliche in der Religion als eine Aufgabe hingestellt, der nie völlig Genüge geleistet werden kann. Eben weil überall das irreligiöse Prinzip ist und wirkt, und weil alles Wirkliche zugleich als unheilig erscheint, ist eine unendliche Heiligkeit das Ziel des Christentums. Nie zufrieden mit dem Erlangten sucht es auch in seinen reinsten Anschauungen, auch in seinen heiligsten Gefühlen noch die Spuren des Irreligiösen, und der dem Universum entgegengesetzten und von ihm abgewandten Tendenz alles Endlichen. Im Ton der höchsten Inspiration kritisiert einer der ältesten heiligen Schriftsteller den religiösen Zustand der Gemeinen, in einfältiger Offenheit reden die hohen Apostel von sich selbst, und so soll Jeder in den heiligen Kreis treten nicht nur begeistert und lehrend, sondern auch in Demut das Seinige der allgemeinen Prüfung darbringend, und nichts soll geschont werden auch das Liebste und Teuerste nicht, nichts soll je träge beiseite gelegt werden, auch das nicht was am allgemeinsten anerkannt ist. Dasselbe, was exoterisch heilig gepriesen und als das Wesen der Religion aufgestellt ist vor der Welt, ist immer noch [165] esoterisch einem strengen und wiederholten Gericht unterworfen, damit immer mehr unreines abgeschie den werde, und der Glanz der himmlischen Farben immer ungetrübter erscheine an allen Anschauungen des Unendlichen. Wie Ihr in der Natur seht, daß eine zusammengesetzte Masse, wenn sie ihre chemischen Kräfte gegen etwas außer ihr gerichtet gehabt hat, sobald dies überwunden, oder das Gleichgewicht hergestellt ist, in sich selbst in Gärung gerät, und dies und jenes aus sich abscheidet: so ist es mit einzelnen Elementen und mit ganzen Massen des Christentums; es wendet zuletzt seine polemische Kraft gegen sich selbst, immer besorgt durch den Kampf mit der äußern Irreligion etwas fremdes eingesogen, oder gar ein Prinzip des Verderbens noch in sich zu haben, scheut es auch die heftigsten innerlichen Bewegungen nicht um es auszustoßen. Dies ist die in seinem Wesen gegründete Geschichte des Christentums. Ich bin nicht gekommen Friede zu bringen sondern das Schwert, sagt der Stifter desselben, und seine sanfte Seele kann unmöglich gemeint haben, daß er gekommen sei, jene blutigen Bewegungen zu veranlassen, die dem Geist der Religion so völlig zuwider sind: oder jene elenden Wortstreite die sich auf den toten Stoff beziehn, den die lebendige Religion nicht aufnimmt: nur diese heiligen Kriege, die aus dem Wesen seiner Lehre notwendig entstehen, hat er vorausgesehn, und indem er sie voraussah, befohlen. – Aber nicht nur die Beschaffenheit der einzelnen Elemente des Christentums ist dieser beständigen Sichtung unterworfen; auch auf ihr ununterbrochenes Dasein und Leben im Gemüt geht die Unersättlichkeit nach Religion. In jedem Moment, wo das religiöse Prinzip nicht wahrgenommen werden kann im Gemüt, wird das Irreligiöse als herrschend gedacht: denn nur durch das Entgegengesetzte kann das was ist aufgehoben und auf Nichts gebracht werden. Jede Unterbrechung der Religion ist Irreligion; das Gemüt kann sich nicht einen Augenblick entblößt fühlen von Anschauungen und Gefühlen des Universums ohne sich zugleich der Feindschaft und der Entfernung von ihm bewußt zu werden. So hat das Christentum zuerst und wesentlich die Forderung gemacht, daß die Religiosität ein Kontinuum sein soll im Menschen, und verschmäht [166] noch mit den stärksten Äußerungen derselben zufrieden zu sein, sobald sie nur gewissen Teilen des Lebens angehören und sie beherrschen soll. Nie soll sie ruhen, und nichts soll ihr so schlechthin entgegengesetzt sein, daß es nicht mit ihr bestehen könne; von allem Endlichen sollen wir aufs Unendliche sehen, allen Empfindungen des Gemüts, woher sie auch entstanden seien, allen Handlungen auf welche Gegenstände sie sich auch beziehen mögen, sollen wir imstande sein religiöse Gefühle und Ansichten beizugesellen. Das ist das eigentliche höchste Ziel der Virtuosität im Christentum.
Wie nun die ursprüngliche Anschauung desselben, aus welcher alle diese Ansichten sich ableiten, den Charakter seiner Gefühle bestimmen, das werdet Ihr leicht finden. Wie nennt Ihr das Gefühl einer unbefriedigten Sehnsucht die auf einen großen Gegenstand gerichtet ist, und deren Unendlichkeit Ihr Euch bewußt seid? Was ergreift Euch, wo Ihr das Heilige mit dem Profanen, das Erhabene mit dem Geringen und Nichtigen aufs innigste gemischt findet? und wie nennt Ihr die Stimmung, die Euch bisweilen nötiget diese Mischung überall vorauszusetzen, und überall nach ihr zu forschen? Nicht bisweilen ergreift sie den Christen, sondern sie ist der herrschende Ton aller seiner religiösen Gefühle; diese heilige Wehmut – denn das ist der einzige Name, den die Sprache mir darbietet – jede Freude und jeder Schmerz, jede Liebe und jede Furcht begleitet sie; ja in seinem Stolz wie in seiner Demut ist sie der Grundton, auf den sich Alles bezieht. Wenn Ihr Euch darauf versteht aus einzelnen Zügen das Innere eines Gemüts nachzubilden, und Euch durch das Fremdartige nicht stören zu lassen, das ihnen Gott weiß woher beigemischt ist: so werdet Ihr in dem Stifter des Christentums durchaus diese Empfindung herrschend finden; wenn Euch ein Schriftsteller der nur wenige Blätter in einer einfachen Sprache hinterlassen hat, nicht zu gering ist um Eure Aufmerksamkeit auf ihn zu wenden: so wird Euch aus jedem Worte was uns von seinem Busenfreund übrig ist dieser Ton ansprechen; und wenn ja ein Christ Euch in das Heiligste seines Gemütes hineinblicken ließ: gewiß es ist dieses gewesen. [167] So ist das Christentum. Seine Entstellungen und seine mannigfaltiges Verderben will ich nicht beschönigen, da die Verderblichkeit alles Heiligen sobald es menschlich wird ein Teil seiner ursprünglichen Weltanschauung ist. Auch ich will Euch nicht weiter in das Einzelne desselben hineinführen; seine Verhandlungen liegen vor Euch, und den Faden glaube ich Euch gegeben zu haben, der Euch durch alle Anomalien hindurchführen, und unbesorgt um den Ausgang Euch die genaueste Übersicht möglich machen wird. Haltet ihn nur fest, und seht vom ersten Anbeginn an auf Nichts, als auf die Klarheit, die Mannigfaltigkeit und den Reichtum womit jene erste Grundidee sich entwickelt hat. Wenn ich das beilige Bild dessen betrachte in den verstümmelten Schilderungen seines Lebens, der der erhabene Urheber des Herrlichsten ist, was es bis jetzt gibt in der Religion; so bewundere ich nicht die Reinigkeit seiner Sittenlehre die doch nur ausgesprochen hat, was alle Menschen, die zum Bewußtsein ihrer geistigen Natur gekommen sind, mit ihm gemein haben, und dem weder das Aussprechen noch das Zuerst einen größeren Wert geben kann; ich bewundere nicht die Eigentümlichkeit seines Charakters, die innige Vermählung hoher Kraft mit rührender Sanftmut; – jedes erhaben einfache Gemüt in einer besonderen Situation muß einen großen Charakter in bestimmten Zügen darstellen; das Alles sind nur menschliche Dinge: aber das wahrhaft Göttliche ist die herrliche Klarheit, zu welcher die große Idee, welche darzustellen er gekommen war, die Idee daß Alles Endliche höherer Vermittlungen bedarf um mit der Gottheit zusammenzuhängen, sich in seiner Seele ausbildete. Vergebliche Verwegenheit ist es den Schleier hinwegnehmen zu wollen, der ihre Entstehung in ihm verhüllt, und verhüllen soll, weil aller Anfang in der Religion geheimnisvoll ist. Der vorwitzige Frevel, der es gewagt hat, konnte nur das Göttliche entstellen, als wäre Er ausgegangen von der alten Idee seines Volkes, deren Vernichtung Er nur aussprechen wollte, und in der Tat in einer zu glorreichen Form ausgesprochen hat, indem Er behauptete der zu sein, dessen sie warteten. Laßt uns die lebendige Anschauung des Universums, die seine ganze Seele erfüllte, nur so betrachten, wie wir sie in ihm finden zur Vollkommenheit [168] ausgebildet. Wenn alles Endliche der Vermittlung eines Höheren bedarf um sich nicht immer weiter vom Universum zu entfernen und ins Leere und Nichtige hinausgestreut zu werden, um seine Verbindung mit dem Universum zu unterhalten und zum Bewußtsein derselben zu kommen: so kann ja das Vermittelnde, das doch selbst nicht wiederum der Vermittlung benö tigt sein darf, unmöglich bloß endlich sein; es muß Beiden angehören, es muß der göttlichen Natur teilhaftig sein, ebenso und in eben dem Sinne, in welchem es der Endlichen teilhaftig ist. Was sah er aber um sich als Endliches und der Vermittlung bedürftiges, und wo war etwas Vermittelndes als Er? Niemand kennt den Vater als der Sohn, und wem Er es offenbaren will. Dieses Bewußtsein von der Einzigkeit seiner Religiosität, von der Ursprünglichkeit seiner Ansicht, und von der Kraft derselben sich mitzuteilen und Religion aufzuregen, war zugleich das Bewußtsein seines Mittleramtes und seiner Gottheit. Als er, ich will nicht sagen der rohen Gewalt seiner Feinde ohne Hoffnung länger leben zu können, gegenübergestellt ward – das ist unaussprechlich gering; aber Er verlassen, im Begriff auf immer zu verstummen, ohne irgendeine Anstalt zur Gemeinschaft unter den Seinigen wirklich errichtet zu sehn, gegenüber der feierlichen Pracht der alten verderbten Religion, die stark und mächtig erschien, umgeben mit allem was Ehrfurcht einflößte und Unterwerfung heischen kann, mit Allem, was Er selbst zu ehren von Kindheit an war gelehrt worden, Er allein von nichts als diesem Gefühl unterstützt, und Er ohne zu warten jenes Ja aussprach, das größte Wort was je ein Sterblicher gesagt hat: so war dies die herrlichste Apotheose, und keine Gottheit kann gewisser sein als die, welche so sich selbst setzt. – Mit diesem Glauben an sich selbst, wer mag sich wundern, daß er gewiß war nicht nur Mittler zu sein für Viele, sondern auch eine große Schule zu hinterlassen, die ihre gleiche Religion von der seinigen ableiten würde; so gewiß, daß er Symbole stiftete für sie, ehe sie noch existierte, in der Überzeugung, daß dies hinreichen würde sie zur Existenz zu bringen, und daß er noch früher von der Verewigung seiner persönlichen Denkwürdigkeiten [169] unter ihr mit einem prophetischen Enthusiasmus redete. Aber nie hat er behauptet das einzige Objekt der Anwendung seiner Idee, der einzige Mittler zu sein, und nie hat er seine Schule verwechselt mit einer Religion – er mochte es dulden, daß man seine Mittlerwürde dahingestellt sein ließ, wenn nur der Geist, das Prinzip woraus sich seine Religion in ihm und Andern entwickelte nicht gelästert ward – und auch von seinen Jüngern war diese Verwechselung fern. Schüler Johannis, der doch die Grundanschauung Christi nur sehr unvollkommen teilte, sahen sie ohne weiteres als Christen an, und nahmen sie unter die aktiven Mitglieder der Gemeine auf. Und noch jetzt sollte es so sein: wer dieselbe Anschauung in seiner Religion zum Grunde legt, ist ein Christ ohne Rücksicht auf die Schule, er mag seine Religion historisch aus sich selbst oder von irgendeinem Andern ableiten. Nie hat er die Anschauungen und Gefühle die er selbst mittei len konnte, für den ganzen Umfang der Religion ausgegeben die von seiner Grundanschauung ausgehn sollte; er hat immer auf die Wahrheit gewiesen, die nach ihm kommen würde. So auch seine Schüler; sie haben dem heiligen Geist nie Grenzen gesetzt, seine unbeschränkte Freiheit, und die durchgängige Einheit seiner Offenbarungen ist überall von ihnen anerkannt worden; und wenn späterhin, als die erste Zeit seiner Blüte vorüber war und er auszuruhen schien von seinen Werken, diese Werke, soviel davon in den heiligen Schriften enthalten war, für einen geschlossnen Kodex der Religion unbefugterweise erklärt wurden, geschah das nur von denen, welche den Schlummer des Geistes für seinen Tod hielten, für welche die Religion selbst gestorben war, und Alle, die ihr Leben noch in sich fühlten oder in Andern wahrnahmen, haben sich immer gegen dieses unchristliche Beginnen erklärt. Die heiligen Schriften sind Bibel geworden aus eigener Kraft, aber sie verbieten keinem andern Buche auch Bibel zu sein oder zu werden, und was mit gleicher Kraft geschrieben wäre, würden sie sich gern beigesellen lassen. – Dieser unbeschränkten Freiheit, dieser wesentlichen Unendlichkeit zufolge hat sich denn die Hauptidee des Christentums von göttlichen vermittelnden Kräften auf mancherlei Art ausgebildet, und alle Anschauungen und [170] Gefühle von Einwohnungen der göttlichen Natur in der endlichen sind innerhalb desselben zur Vollkommenheit gebracht worden. So ist sehr bald die heilige Schrift in der auch die göttliche Natur auf eine eigne Art wohnte, für einen logischen Mittler gehalten worden, um die Erkenntnis der Gottheit zu vermitteln für die endliche und verderbte Natur des Verstandes, und der heilige Geist – in einer späteren Bedeutung des Wortes – für einen ethischen um sich ihr praktisch anzunähern; und eine zahlreiche Partei der Christen erklärt noch jetzt bereitwillig Jeden für ein vermittelndes und göttliches Wesen, der erweisen kann durch ein göttliches Leben oder irgendeinen andern Eindruck der Göttlichkeit auch nur für einen kleinen Kreis der Beziehungspunkt aufs Unendliche gewesen zu sein. Andern ist Christus Eins und Alles geblieben, und Andere haben sich selbst oder dies und jenes für sich zu Mittlern erklärt. Wie oft in dem Allen in der Form und Materie gefehlt sein mag: das Prinzip ist echt christlich solange es frei ist. So haben andere Anschauungen und Gefühle sich dargestellt in ihrer Beziehung auf den Mittelpunkt des Christentums von denen in Christo und in den heiligen Büchern nichts steht, und mehrere werden sich in der Folge darstellen, weil große Gegenden in der Religion noch nicht bearbeitet sind fürs Christentum, und weil es noch eine lange Geschichte haben wird trotz Allem was man sagt von seinem baldigen oder schon erfolgten Untergange.
Wie sollte es auch untergehen? Der lebendige Geist desselben schlummert oft und lange, und zieht sich in einem Zustande der Erstarrung in die tote Hülle des Buchstabens zurück: aber er erwacht immer wieder, so oft die wechselnde Witterung in der geistigen Welt seiner Auflebung günstig ist und seine Säfte in Bewegung setzt; und das wird sie noch oft sein. Die Grundanschauung jeder positiven Religion an sich ist ewig, weil sie ein ergänzender Teil des unendlichen Ganzen ist, in dem Alles ewig sein muß: aber sie selbst und ihre ganze Bildung ist vergänglich; denn jene Grundanschauung gerade im Zentrum der Religion zu sehen dazu gehört nicht nur eine bestimmte Richtung des Gemüts; sondern auch eine bestimmte Lage der Menschheit, in welcher ja bis jetzt allein das Universum eigentlich angeschaut werden kann. [171] Hat diese ihren Kreis durchlaufen, ist die Menschheit so weit fortgerückt in ihrer fortschreitenden Bahn, daß sie nicht mehr wiederkehren kann: so ist auch jene Anschauung, ihrer Würde als Grundanschauung entsetzt, und die Religion kann in dieser Gestalt nicht mehr existieren. Mit allen kindischen Religionen aus jener Zeit wo es der Menschheit am Bewußtsein ihrer wesentlichen Kräfte fehlte, ist dies längst schon der Fall: es ist Zeit sie zu sammeln als Denkmäler der Vorwelt und niederzulegen im Magazin der Geschichte; ihr Leben ist vorüber und kommt nimmer zurück. Das Christentum über sie alle erhaben, und historischer und demütiger in seiner Herrlichkeit hat diese Vergänglichkeit seiner Natur ausdrücklich anerkannt: es wird eine Zeit kommen, spricht es, wo von keinem Mittler mehr die Rede sein wird, sondern der Vater Alles in Allem. Aber wann soll diese Zeit kommen? Ich fürchte, sie liegt außer aller Zeit. Die Verderblichkeit alles Großen und Göttlichen in den menschlichen und unendlichen Dingen ist die eine Hälfte von der ursprünglichen Anschauung des Christentums; sollte wirklich eine Zeit kommen wo diese – ich will nicht sagen gar nicht mehr wahrgenommen würde, sondern nur – sich nicht mehr aufdränge? wo die Menschheit so gleichförmig und ruhig fortschritte, daß kaum zu merken wäre, wie sie bisweilen durch einen vorübergehenden widrigen Wind etwas zurückgetrieben wird auf den großen Ozean den sie durchfährt, daß nur der Künstler, der ihren Lauf an den Gestirnen berechnet es wissen könne, und es den Übrigen nie eine große und merkwürdige Anschauung würde? Ich wollte es, und gern stände ich auf den Ruinen der Religion, die ich verehre. Daß gewisse glänzende und göttliche Punkte der ursprüngliche Sitz jeder Verbesserung dieses Verderbnisses sind, und jeder neuen und näheren Vereinigung des Endlichen mit der Gottheit, dies ist die andere Hälfte: und sollte je eine Zeit kommen, wo diese ans Universum anziehende Kraft so gleich verteilt wäre unter die große Masse der Menschheit, daß sie aufhörte für sie vermittelnd zu sein? Ich wollte es, und gern hülfe ich jede Größe ebnen, die sich also erhebt: aber diese Gleichheit ist wohl weniger möglich als irgend sonst eine. Zeiten des Verderbens stehen allem Irdischen bevor, sei es auch göttlichen Ursprungs, [172] neue Gottesgesendete werden nötig um mit erhöhter Kraft das Zurückgewichene an sich zu ziehn und das Verderbte zu reinigen mit himmlischem Feuer, und jede solche Epoche der Menschheit wird die Palingenesie des Christentumes, und erweckt seinen Geist in einer neuen und schöneren Gestalt.
Wenn es nun aber immer Christen geben wird, soll deswegen das Christentum auch in seiner allgemeinen Verbreitung unendlich und als die einzige Gestalt der Religion in der Menschheit allein herrschend sein? Es verschmäht diesen Despotismus, es ehrt jedes seiner eignen Elemente genug um es gern auch als den Mittelpunkt eines eignen Ganzen anzuschauen; es will nicht nur in sich Mannigfaltigkeit bis ins Unendliche erzeugen, sondern sie auch außer sich anschauen. Nie vergessend, daß es den besten Beweis seiner Ewigkeit in seiner eignen Verderblichkeit, in seiner eignen traurigen Geschichte hat, und immer wartend einer Erlösung aus dem Elende von dem es eben gedrückt wird, sieht es gern außerhalb dieses Verderbens andere und jüngere Gestalten der Religion hervorgehen, dicht neben sich, aus allen Punkten, auch von jenen Gegenden her, die ihm als die äußersten und zweifelhaften Grenzen der Religion überhaupt erscheinen. Die Religion der Religionen kann nicht Stoff genug sammeln für die eigenste Seite ihrer innersten Anschauung, und so wie nichts irreligiöser ist als Einförmigkeit zu fordern in der Menschheit überhaupt, so ist nichts unchristlicher als Einförmigkeit zu suchen in der Religion.
Auf alle Weise werde das Universum angeschaut und angebetet. Unzählige Gestalten der Religion sind möglich; und wenn es notwendig ist, daß Jede zu irgendeiner Zeit wirklich werde, so wäre wenigstens zu wünschen, daß viele zu jeder Zeit könnten geahndet werden. Die großen Momente müssen selten sein, wo Alles zusammentrifft um Einer unter ihnen ein weit verbreitetes und dauerndes Leben zu sichern, wo dieselbe Ansicht sich in Vielen zugleich und unwiderstehlich entwickle, und sie von demselben Eindruck des Göttlichen durchdrungen werden. Doch was ist nicht zu erwarten von einer Zeit, welche so offenbar die Grenze ist zwischen zwei verschiedenen Ordnungen der Dinge! Wenn [173] nur erst die gewaltige Krisis vorüber ist kann sie auch einen solchen Moment herbeibringen, und eine ahndende Seele auf den schaffenden Genius gerichtet, könnte jetzt schon den Punkt angeben, der künftigen Geschlechtern der Mittelpunkt werden muß für die Anschauung des Universums. Wie dem aber auch sei, und wie lange ein solcher Augenblick noch verziehe; neue Bildungen der Religion müssen hervorgehen, und bald, sollten sie auch lange nur in einzelnen und flüchtigen Erscheinungen wahrgenommen werden. Aus dem Nichts geht immer eine neue Schöpfung hervor, und Nichts ist die Religion fast in Allen der jetzigen Zeit, wenn ihr geistiges Leben ihnen in Kraft und Fülle aufgeht. In Vielen wird sie sich entwickeln aus Einer von unzähligen Veranlassungen, und in neuem Boden zu einer neuen Gestalt sich bilden. Nur daß die Zeit der Zurückhaltung vorüber sei und der Scheu. Die Religion haßt die Einsamkeit, und in ihrer Jugend am meisten, die für Alles die Stunde der Liebe ist, vergeht sie in zehrender Sehnsucht. Wenn sie sich in Euch entwickelt, wenn Ihr die ersten Spuren ihres Lebens inne werdet, so tretet gleich ein in die Eine und unteilbare Gemeinschaft der Heiligen, die alle Religionen aufnimmt, und in der allein Jede gedeihn kann. Ihr meint, weil diese zerstreut ist und fern, müßtet Ihr denn auch unheiligen Ohren reden? Ihr fragt, welche Sprache geheim genug sei, die Rede, die Schrift, die Tat, die stille Mimik des Geistes? Jede, antworte ich, und Ihr seht, ich habe die lauteste nicht gescheut. In jeder bleibt das Heilige geheim, und vor den Profanen verborgen. Laßt sie an der Schale nagen, wie sie mögen; aber weigert Uns nicht den Gott anzubeten, der in Euch sein wird.
Die in rechteckigen Klammern eingefügten Seitenzahlen beziehen sich auf folgende Ausgabe: Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (PhB 255), Hamburg: Felix Meiner, 1958.