Unfreiwillig und ungezwungen – der Glaube, das Evangelium und die guten Werke: „Das macht nämlich wahres Vertrauen aus: ein Geschehen, das mir zugutekommt. Ich ent­scheide eben nicht, ob und wem ich wirklich vertraue, sondern lebensentscheidendes Gesche­hen lässt mich vertrauen. Sobald ich jedoch meinen Glauben im Sinne einer eigenen Glau­bensentscheidung verstünde, wäre ich im Glauben selbst am Werk und müsste ihn durch wei­tere Schritte des Glaubens mir jeweils neu rechtfertigen.“

Der unfreiwillige Glaube, das Evangelium und die guten Werke

Luthers Auslegung des dritten Glaubensartikels aus seinem Kleinen Katechismus hat es in sich: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhal­ten.“

Verkürzt ausgesprochen heißt es da: Ich glaube, dass ich selbst nicht glauben kann. Mein Glaube an Jesus Christus, wie er in Luthers Auslegung des zweiten Glaubensartikels entfaltet wird, ist nicht freiwillig. Er beruht weder auf meiner eigenen Entscheidung noch auf meiner persönlichen Einsicht, sondern verdankt sich dem Heiligen Geistes, der im Evangelium an mir selbst wirkt. Weil dieser Glaube mir Vertrauen (fiducia) in Jesus Christus ist, geschieht er mir recht und hält mich im Leben wie im Sterben beim dreieinigen Gott.

Das macht nämlich wahres Vertrauen aus: ein Geschehen, das mir zugutekommt. Ich ent­scheide eben nicht, ob und wem ich wirklich vertraue, sondern lebensentscheidendes Gesche­hen lässt mich vertrauen. Sobald ich jedoch meinen Glauben im Sinne einer eigenen Glau­bensentscheidung verstünde, wäre ich im Glauben selbst am Werk und müsste ihn durch wei­tere Schritte des Glaubens mir jeweils neu rechtfertigen. Eine eigene Glaubensentscheidung sucht sich aktiv zu bewahrheiten. Andernfalls wäre der eigene Glauben mit der Zeit verwirkt.

Telelestai“ – „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19,30) Der Glaube an Jesus Christus gilt dem passionierten Geschehen am Kreuz: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschla­gen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53,4-5)

Der Kreuzestod Jesu ist kein Heilswerk, das ich mir zu eigen machen kann, indem ich Jesu Hingabe als Opfer für mich gläubig annehme. Ich kann Jesu Tod für mich nichts abgewinnen, sondern werde vielmehr im Glauben seiner Hingabe ausgeliefert. In seinem Tod ist es um mich als Sünder geschehen. Was mir zu meinem Heil zugesagt ist, verdankt sich allein göttli­cher Wirklichkeit in Jesus Christus, „welcher ist um unsrer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt“ (Römer 4,25).

Nun wäre es ein großes Missverständnis, die unfreiwillige Passivität des Glaubens apathisch zu verstehen, als spiele es für unser Heil keine Rolle, ob man Jesus als Herrn zu bekennen weiß und an dessen göttliche Auferweckung von den Toten zu glauben vermag (vgl. Römer 10,9f). Ganz im Gegenteil: Wer nicht mit seinem Mund bekennt, dass Jesus Herr ist und wer nicht in seinem Herzen glaubt, dass ihn der Gott von den Toten auferweckt hat, dem kann kein göttliches Heil wirklich zugesagt werden.

Unser Glaube an Jesus Christus ist keine passive Kenntnisnahme der Geschichte (notitia historiae – vgl. CA 20), sondern leidenschaftliche Widerfahrnis des Evangeliums im Heiligen Geist. Und diese Widerfahrnis kann nicht innehalten und auf sich beruhen, sondern entäußert sich in guten Werken. Da diese caritativen Werke anderen Menschen, die mir als Nächste begegnen, zugutekommen, vermag ich damit für mich selbst nichts zu bewirken. In ihnen neh­me ich am Leben des anderen teil (compassion), ohne dass ich diese Anteilnahme für mich selbst rückgewinnen kann.

Hier der Text als pdf.

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