
Wie die Reformation vielen Völkern eine eigene Schriftsprache ermöglicht hat
Dass das Porträt eines evangelischen Theologen, Primož Trubar (1508-1586), die Rückseite der slowenischen Ein-Euro-Münze ziert und in Slowenien der Reformationstag am 31. Oktober als nationaler Feiertag begangen wird, verwundert. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung Sloweniens gehören nämlich der evangelischen Kirche an. Und dennoch kommt Trubar maßgeblicher Anteil an der Begründung der nationalen Identität Sloweniens zu. Während seines langjährigen Aufenthaltes im süddeutschen Exil (Rothenburg ob der Tauber, Kempten und Tübingen) hat er einen Catechismus in der Windischenn Sprach (1550) abgefasst und zudem die Psalmen (1566) und das Neue Testament (komplett 1582) in das Slowenische übersetzt. Mit diesen Werken wurde die slowenische Schriftsprache geschaffen.
Was man kaum weiß: Die Reformation und die aus ihr entstammenden Kirchen und Missionen haben weltweit eine Vielzahl von Schriftsprachen bewirkt oder zumindest maßgeblich beeinflusst. Martin Luthers Übersetzung der Bibel in das Deutsche hat sich über die Jahrhunderte hinweg als pfingstähnliches Sprachwunder ausgewirkt. Gottes Wort ist nicht nur in den drei Sprachen der „INRI“-Kreuzesinschrift, nämlich Hebräisch, Griechisch und Latein (Johannes 19,19-20), sondern in jeder anderen Volkssprache zu hören und will daher – im Unterschied zum Koran – übersetzt sein. Die evangelische Verbreitung von volkssprachlichen Bibelübersetzungen stieß freilich auf den Widerstand der römisch-katholischen Kirche, wo bis ins 19. Jahrhundert Laien der Besitz und das Lesen volkssprachlicher Bibeln sowie deren Herstellung und Verbreitung faktisch verboten waren.
Für die evangelische Missionsbewegung war es von Anfang an ein missionarisches Gebot, die Bibel in die jeweilige Volkssprache zu übersetzen. Wo Völker nicht über eine eigene etablierte Schriftsprache verfügten, mussten für den biblischen Übersetzungsauftrag – wie im Slowenischen – mitunter eigene Schriftsprachen erst geschaffen werden. Vor allem außerhalb des europäischen Kulturkreises in Afrika, Lateinamerika, Zentralasien, Südostasien sowie in Ozeanien verdankt sich die Mehrzahl der dortigen Schriftsprachen einer Bibelübersetzung in die jeweilige Muttersprache.

Entgegen dem gängigen Vorurteil hat sich die christliche Mission durch ihre Übersetzungsleistung nicht als kulturzerstörerisch, wohl aber als kulturverändernd erwiesen. Die eigens geschaffene Schriftsprache wurde für viele indigenen Völkern zum maßgeblichen Kulturträger, ermöglichte sie doch, die alten mündlichen Erzähltraditionen zu verschriftlichen und selbst literarisch tätig zu werden. Der langfristige Einfluss von Bibelübersetzungen für die weltweite Bewahrung indigenen Kulturerbes kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden.