
Eine ganz starke Predigt hatte Hans Joachim Iwand am Sonntag Exaudi, 2. Juni 1957 beim ersten Gottesdienst in der nach dem Wiederaufbau renovierten und restaurierten Dortmunder Marienkirche gehalten. Es war die Kirche, in der Iwand während des Zweiten Weltkriegs selbst als Pfarrer tätig gewesen ist. Da nimmt er das Kriegsgeschehen mit den Bombardierungen Dortmunds in das eigene Gedächtnis, um schließlich mit Jesu Worten aus dessen Abschiedsrede (Joh 15,26f) das Kommen des Parakleten und dessen Jesus-Zeugnis anzusagen:
Der Tröster. Predigt über Johannes 15,26-27
Von Hans Joachim Iwand
Wenn aber der Tröster kommt, den ich euch sende vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, so wird jener für mich Zeugnis ablegen, daß ihr von Anbeginn an bei mir wart.
Wenn der Tröster kommen wird. Ich denke, wir dürfen zuerst einmal, liebe Freunde, bei diesem ersten Satz und diesem ersten Wort stehenbleiben: der Tröster. Gemeint ist damit etwas, was von oben ist, von Gott. Was mit Gott zusammenhängt und mit Jesus Christus, den wir nicht mehr sehen, den auferstandenen Herrn, und der durch diese Gabe in unserer Mitte sein möchte. Gemeint ist etwas Drittes, etwas Letztes, etwas Abschließendes in der großen Offenbarung Gottes. Gemeint ist etwas, was uns hier angeht auf Erden, mitten in unserer Zeit, mitten in dieser Stadt, mitten in dem, was wir alles erfahren, erlebt haben, woran wir jetzt denken mögen; mitten in dem seltsamen Erdenwandel, den wir heute als Christen zu führen haben. Gemeint ist, daß die Geschichte Jesu damit, daß er auferstanden ist, nicht zuende ist; daß wir alle etwas teilhaben dürfen an der großen Osterfreude und dem Ostersieg über den Tod hinaus. Daß wir auf einen ganz hohen Berg gestellt werden, wo man die Ostersonne nicht mehr untergehen sieht, wo der Tod hinweggenommen ist, wo alle Tränen getrocknet sein werden und kein Leid und kein Geschrei mehr sein wird. Das ist der Tröster. Und das andere hängt damit eng zusammen, meine Freunde, daß wir Christen diesen Trost brauchen, weil uns oft bange ist. Es gehört zu der Sachlichkeit der Bibel – und ich glaube, es gibt kein Buch, das man damit vergleichen kann, und wir Prediger sind ja nicht immer so sachlich, wie die Bibel ist; und viele Schriften über das Christentum sind auch nicht so sachlich wie die Bibel –, daß sie uns sagt: Ihr werdet durch euern Christenglauben auch nicht glücklicher werden. Es wird für euch dadurch das Leben nicht leichter, bequemer, sondern ihr werdet schwere Anfechtungen und Verzweiflung zu tragen haben. Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr; haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen.
Es ist immer wieder versucht worden, aus dem Christentum das Kreuz zu entfernen. Aber es ist nie gelungen. Es ist immer wieder versucht worden, [171] Jesus vom Kreuze abzunehmen, als ob er nur einer gewesen wäre, der gepredigt hätte, und der ein rechtes und gutes gottinniges Leben geführt hätte, aber es ist nie gelungen. Es ist nie vergessen worden, daß Jesus sein Leben damit endet, daß er rufen muß: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und wenn wir einen solchen Heiland nicht hätten, ich glaube, meine Freunde, dann wäre uns und unserer eigenen Gottverlassenheit kein Trost geworden. Begonnen hat die Geschichte des Christentums mit einer großen Trauer. Begonnen hat sie damit, daß Jesus hinweggenommen wurde vom Angesichte seiner Jünger. Und dahin gehören unsere Worte, wie er ihnen sagt, daß die Zeit kommen wird, wo sie ihn brauchen und nicht finden werden. Begonnen hat es mit einer großen Sonnenfinsternis, daß die Jünger meinten, das Licht, das eben noch leuchtete, sei ganz erloschen, und sie sind zurückgelassen wie die Waisen in einer bösen Welt. Es geht offenbar nicht anders. Gott kann uns nicht anders selig machen. Wir müssen hindurch durch mancherlei Prüfung, die wir nicht verstehen. Gott kann es ganz und gar Nacht werden lassen um seine Kinder. Und diese dunklen Stunden möchten wir später oft am wenigsten missen. In jener Verlassenheit, da hat Gott uns heimgesucht, da hat er uns gefunden.
Wenn das geschieht, dann erleben wir oftmals, wie die Welt triumphiert, so wie sie auch triumphiert hat am Kreuz, und sagt, es ist aus. Das Triumphgeschrei: es ist aus mit dem Christentum, ist uralt; es ist so alt wie das Christentum, es ist zweitausend Jahre alt. Bist du Gottes Sohn, dann steige herab vom Kreuz, das haben sie gerufen, vom Tage von Golgatha an bis in jene Zeiten, an die wir uns heute schamvoll erinnern. Das, sagt der Herr, wird euch widerfahren. Ihr werdet das große Hohngelächter hören, und dann werdet ihr sehen, wie ihr verlassen seid. Ihr werdet hören, wie sie alle sagen: Seht, so geht es den Menschen, die Gott ernst nehmen; die passen nicht mehr in die Welt; sie haben noch nicht begriffen, daß der große Traum von Gott zuende ist und daß es endlich Zeit wird, daß wir ihn abschaffen mitsamt allen Zeichen, die an ihn erinnern. Das weiß Jesus. Und dahinein sagt er: Aber der Tröster kommt.
Jesus weiß, daß, wenn er aus der Welt geht und seine Christenheit ihn nicht mehr sehen wird, seine Jünger sich ganz verlassen fühlen werden, umgeben von allen möglichen schrecklichen Ereignissen und bösen Geistern, von herzlosen Menschen, von einer Welt, die nichts von Gott weiß. Jesus weiß um unsere Bangigkeit und unsere Verlassenheit, und er weiß um die Verlassenheit seiner Jünger. Denn sie haben einmal den Himmel offen gesehen über sich; sie haben einmal von ihm Worte gehört des Lebens, und haben Taten gesehen der Rettung und des Wunders und des [172] Heils. Was werden sie jetzt tun? Wer wird die Wasser zum Schweigen bringen, wenn das Lebensschifflein seiner Jünger in den Sturm geraten wird und sie denken, sie werden sinken? Wer wird den Jünger wieder herausreißen aus den Fluten? Wer wird ihm die Hand reichen auf dem Wasser, wenn die Tiefe ihn herunterzieht? Wer wird jetzt noch die bösen Geister austreiben, wenn sie in die Menschen fahren, die Besessenheit, die den Menschen selbst verteufelt, und an der er selber leidet und andere leiden macht? Wer wird die edelste Schöpfung Gottes, den Menschen, frei halten? Wer wird noch sagen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht? Wer wird sich der Schwachen, der Armen, der Elenden, der Geschlagenen annehmen? Wer wird kommen und die Tempel reinigen, wenn die Menschen aus ihnen eine Mördergrube machen und die Tische der Wechsler und Händler darin aufstellen und den lebendigen Gott vertauschen mit dem Götzen Mammon und mit der Gnade Gottes ein Geschäft machen? Wer wird den Mut haben, die Tische der Geldmenschen umzustoßen und ihr Geld auf den Boden zu schütten, weil man mit Geld der Menschen Seele nicht erretten kann? In wem wird noch der Eifer um das Haus Gottes so brennen, wenn sein Sohn nicht mehr auf Erden ist? Wer wird noch dafür sorgen, daß die Pharisäer hintenan treten müssen, und die Sünder und Zöllner zuerst kommen, damit sie etwas hören von der Freude im Himmel über den verlorenen Sohn, der heimkommt? Jesus hat das alles gewußt, daß das so kommen wird, wenn er nicht mehr bei uns sein wird. Und darum redet er vom Tröster.
Es ist nicht zuende. Es wird nicht nur einmal gewesen sein, sondern es wird geschehen, wenn der Tröster kommen wird. In all eure Not hinein wird es hineinfahren wie ein Geist von oben. Und es wird sein wie in den Tagen, da der Sohn Gottes mitten unter uns war. Von dem Meinen wird er es nehmen und für mich wird er zeugen. Er wird mitten hinein treten in all eure Not. Und er wird euch getrost machen, wie euch nichts, aber auch gar nichts aus dieser Welt je frei und getrost gemacht hat. Er wird mitten hineintreten in alle eure Not.
Wer denkt an diesem Tage, da wir die Marienkirche wieder dem Dienst des Evangeliums weihen durften, nicht an unsere Not und Verlassenheit, wie wir sie in Deutschland seit Jahrhunderten nicht mehr erlebt und erfahren haben. Es wird an diesem Tage der Wiederherstellung dieser Kirche nicht möglich sein, davon zu schweigen. Es darf vielleicht unser aller Blick einmal zurückgehen in jene Zeiten der größten inneren und äußeren Not; erst der inneren, dann der äußeren.
Erst der inneren Not, als wir jene übermütige und schamlose Abwendung erlebten von allem, was recht und wahr und edel war vor Gott und [173] den Menschen; was durch alter Väter Sitte und Ordnung, durch Recht und staatliche Erziehung uns allen heilig war. Erst jener Abfall so vieler, die nur dem Namen nach noch Christen waren und längst in ihrem Herzen einem anderen Gotte gehörten. Erst die Trennung, die damals auch mitten durch unsere Reihen ging, durch die Reihen der Theologen und der Pastoren. Erst der Traum einer Besessenheit, die unser ganzes Volk ergriff, als ob man ihm eine Binde vor die Augen band, damit es nicht sah, in welchen Abgrund es geführt werden sollte.
Und dann die äußere Not. Dann das, was kam. Dann das vom Himmel fallende Feuer, wie es noch nie geschehen war; in diesem stolzen, auf menschliche Kunst und Technik vertrauenden Industriegebiet. Dann jene Nächte, da reiche Menschen arm wurden und den Spöttern das Lachen im Halse stecken blieb, da die Erde bebte und die Grausamkeit der Menschen, an Menschen geübt, an Frauen und Kindern und Greisen, von uns allen geschmeckt werden mußte, von Guten und Bösen, von Hoch und Niedrig.
Erst der Traum, dann die Wirklichkeit. Und beides war eins. Erst der Traum von Deutschlands maßloser Größe, und dann einen Tag nach Karfreitag im Jahr 1945 der Einzug der Sieger und die Erniedrigung eines freien, tief gestürzten Volkes. Meine Freunde, ich denke, es werden noch viele unter uns sein, die sich an jene Tage erinnern, als wir nur noch im Keller lebten und nicht mehr wagten, am Tage über die Straße zu gehen. Und die das unter uns noch nicht wissen sollten, alle unsere jungen Freunde, Jungen und Mädchen, die heute hier sind, sollten sich dessen bleibend erinnern, damit sie wissen, wie der Menschen Leben läuft; damit sie rechtzeitig lernen, standhaft zu sein im Leid und mißtrauisch und vorsichtig im Glück. Mißtrauisch da, wo uns falsche Geister die Bilder der Stärke und der Kraft vor Augen malen. Stark und unüberwindlich dort, wo die Nacht einbricht und andere sich dann vor Verzweiflung die Hände vor die Augen legen. Das ist, was der Tröster aus den Menschen macht.
Wir werden in dieser Stunde auch an die denken dürfen, meine Freunde, die nicht mehr unter uns sind. Die Menschen, jung und alt, die in den Kellern und auf den Straßen im Rennen vor dem fliegenden Tod, gerade in jener Nacht am 6. Oktober [1944], an dem diese Kirche zerstört wurde, abends um acht – die dahin gesunken sind, wahllos, ohne daß wir wissen, in welcher Qual ihr Leben in verschütteten Kellern und Zufluchtsstätten zugrunde ging.
Wir kennen alle das tiefe Tal nicht, durch das wir dann wandern müssen, wo es dann oft so ist, daß kein Stecken und Stab uns tröstet, und wir sind wie Preisgegebene an die Unbarmherzigkeit der Menschen und der Elemente. Denn die Elemente hassen das Gebild von Menschenhand. [174]
Ich will zwei Geschichten erzählen, die mir unvergeßlich sind und die für viele andere hier stehen mögen, und die mit dieser Kirche und dieser Gemeinde zusammenhängen.
Kurz bevor die schweren Angriffe auf Dortmund einsetzten, hatten wir uns hier gesammelt um die Offenbarung Johannis, im Winter 42 auf 43. Wir waren unter dem Segen dieses letzten Buches der heiligen Schrift zu einer Gemeinde zusammengewachsen und empfingen am letzten Sonnabend nach dem Ende dieser Lesung gemeinsam das heilige Abendmahl im Blick auf das erhöhte Jerusalem. Es sang ein schöner Chor. Im Chor sang ein Mädchen, dessen Vater dem Volke angehörte, aus dem unser Herr Christus geboren ist. Ein paar Tage darauf kam ein schrecklicher Angriff über den Norden unserer Stadt. Man hatte dem Manne verwehrt, einen Durchbruch zum Nachbarhaus zu machen. Die ganze Familie wurde verschüttet, und niemand konnte zu ihnen dringen, trotz aller Bemühungen. Ein und zwei Tage lang hörten wir noch die Klopfzeichen aus dem Keller. Dann wurde es ganz still. Das war die erste aus unserer Offenbarungs-Gemeinde, die aus dem irdischen in das hohe Jerusalem gerufen wurde.
Und eine andere Geschichte noch (da)nach: Es war ein paar Wochen nach der Besetzung unserer Stadt. Es gab kaum etwas zu essen und zu trinken. Da kehrte ein junger Soldat zurück, den ich kannte, aus einem Lager, abgerissen und ausgemergelt, ein Junge noch, mitten in die Schrecken des Krieges geworfen. Ich traf ihn auf der Straße, als er nach seiner Mutter fragte. Ich mußte ihm sagen, daß sie mit seinen Geschwistern am 12. März 1945 oben in dem Hause des Elektrizitätswerkes im Keller zugrunde gegangen war. Niemand mehr lebte von allen, die er liebte. Und ich ging mit ihm in die Reste seiner elterlichen Wohnung. Da saß ein alter Mann im Zimmer. Er hatte ein wenig schwarzen Kaffee und ein Stückchen trockenes Brot, und er teilte es mit dem Jungen. Das war seine Heimkehr. Und wir saßen ganz still im Zimmer, und auf einmal sah ich, daß der junge Mensch nicht mehr weinen konnte. Es gibt einen Blick in das Elend und in den Jammer des Lebens, der keine Tränen mehr hat. Diesen Blick sah ich in seinen Augen.
Das, meine Freunde, meint Jesus, wenn er sagt: Wenn aber der Tröster kommt. Gott erreicht mit seinem Trost alles Leid. Gott reicht in jede Nacht und jede Tiefe, und was wir nicht sehen, das tut er. Es werden so viele unter uns sein, die diese Bilder kennen, die jetzt an ihre Söhne und Töchter denken werden, an ihre Eltern und ihren Mann, an viele Freunde, die wir damals hier haben sterben sehen. Und jetzt wissen wir, warum Jesus davon redet, daß es noch nicht mit Ostern zuende ist, daß noch etwas Drittes, [175] Großes, etwas Nachösterliches, etwas Pfingstliches groß und hochgemut an uns geschehen wird.
Solange uns nicht um Trost bange ist, wissen wir das nicht. Solange niemand Hunger hat, weiß er nicht, wie Brot mundet. Solange wir gedankenlos leben und rasten und schaffen, brauchen wir keinen Tröster; dann braucht der Mensch keinen Tröster. Ich fürchte manchmal, der Tröster, von dem Jesus hier redet, geht schon wieder an vielen vorüber, weil sie sich selbst trösten. Aber an diese Menschen wollen wir jetzt nicht denken, sondern wir wollen an die denken, die ihn brauchen – wir sollen an uns denken, die wir da nun hier zusammen sind, weil wir das brauchen. Wir wollen an dieses neu erstandene Haus denken, das für alle dasein soll, die ihn brauchen, wie es durch Hunderte von Jahren in diesem Haus geschehen ist; die Gott brauchen, weil er allein unser innerster, unser gewaltiger Tröster ist. An alle in solcher Not und Verlassenheit bedrängte Menschen wollen wir denken. Wir wollen selber solche Menschen sein, weil wir wissen: der Tröster ist nah.
Ich will ihn zu euch senden, heißt es hier. Und das ist der Trost, daß Jesus sagt: Ich und ihr – er unser Herr, der zur Rechten Gottes sitzt; und wir, wir Christenmenschen, die auf Erden wohnen, wir sind doch nicht ferne voneinander. Es geht ein Strahl vom Himmel auf die Erde, wenn auch dieser Strahl lediglich die Herzen der Menschen trifft und unser irdisches Auge ihn nicht sieht; aber er ist da.
Jesus ist nicht aus der Welt gegangen, wie die Heiden meinen, um droben im Licht zu wandeln, während wir wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, jahrlang ins Ungewisse herab treiben – nein, so ist es nicht. Sondern so wie Gott uns nicht vergessen hat und es darum Weihnachten werden ließ, so hat Jesus sein Volk nicht vergessen und möchte es darum Pfingsten werden lassen auf Erden, möchte den Geist des Trostes zu ihm senden; jenen Geist, der uns die Kraft gibt, unsere Augen empor zu richten:
Trachtet nach dem, was droben ist. Es ist so, als ob eine Hand uns unter das Kinn griffe und unsere Augen emporrichtete, hinweg von alldem, was uns bange macht, und zeigt auf ihn und sagt: Der Tod ist verschlungen in den Sieg; und zeigt auf ihn und sagt: Er ist schon hindurch und ihr werdet auch alle hindurch dringen. Und darum heißt dieser Geist: der Geist der Wahrheit. Das ist die Wahrheit.
Die Wahrheit ist dies: daß der Tod und die Sünde und die Macht und die Gewalt und das Böse und die Grausamkeit und der Schmerz nicht das Letzte sind, sondern daß das Letzte sein wird: das große Lob Gottes auf unseren Lippen. Er hat alles gut gemacht, wie am ersten Schöpfungstag. Dann wer-[176]den wir sein wie die Träumenden und unser Mund wird voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.
Unser Text sagt hier ein merkwürdiges Wort, er sagt: Dieser Geist der Wahrheit wird zeugen von mir. Jesus sagt: Der Geist der Wahrheit zeugt von mir. Ihr müßt euch das so vorstellen: Da wird ein großer Gerichtstag sein, und da werden sie alle antreten, jene Gott feindlichen Mächte und Gewalten. Und da wird der Tod da sein und wird als Zeuge auftreten und sagen: Was wollt ihr noch, seht doch, was alles dahingesunken ist, ich bin der letzte Gott dieser Welt, lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Da wird die Wissenschaft auftreten, und sie wird sagen: Durch mich laufen alle Räder und durch mich habt ihr alle Arbeit und alle Kunst und Herrlichkeit. Gott, das war ein alter König, der ist jetzt abgesetzt. Jetzt setzen wir den Menschen als König ein über die Welt. Und dann wird das Geld auftreten, und das Geld wird sagen: Ihr wißt doch, wie es war, als ich mal nichts mehr galt. Und ihr wißt doch, wie es heute ist, da ich doch wieder euer Gott geworden bin. Ihr müßt nicht Gott anbeten, sondern den Mammon. Und da ist die Masse, und die Masse wird sagen: Wir haben immer recht, die Mehrheit entscheidet, und die Mehrheit ist gegen die unsichtbare Welt. Und da ist vielleicht sogar die Kirche da; ich meine die Kirche des Kaiphas und der Hohenpriester; denn die Kirche hat zwei Seiten, und wir haben das selbst erfahren und erlebt in unserer eigenen Lebensgeschichte, wie die Kirche sozusagen über Jesus selbst zu Gericht saß. Und die Kirche wird sagen: Ich habe recht, aber nicht er. Und da ist der Staat da, und er wird sagen: Ich bin Gottes Stimme, was ich sage, ist göttliches Gebot, und wer sich dagegen wehrt, der ist ein verlorener Mann.
Da sagt Jesus: Wenn aber der Tröster kommen wird, der wird von mir zeugen. Mitten in dieser großen Ratlosigkeit und Verlassenheit, wenn sie da alle aufmarschieren werden, da wird ein Zeuge auftreten, unmittelbar von Gott; ein Zeuge, gesandt vom Auferstandenen aus der Höhe. Ein Zeuge, der wird den Zeugen auf Erden die Zunge lösen. Ein Zeuge, der wird sie alle in die Schranken rufen und fragen: Und du, was kannst du tun? Sieh da, dieses Feld der Leichen; und höre mein ewiges Wort: Wer da glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe. Ein Zeuge, der wird fragen: Nun, kannst du, Geld, dem Menschen seine Seele erlösen? Seht, wie arm sind die Reichen. Ein Zeuge, der wird sagen: Einer hat euch erkauft mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, nicht mit Silber und Gold. Ein Zeuge, der wird sagen: Was, die Masse? Seht, wie die Massen irren. Denn der Weg ist breit und die Straße ist weit, die zum Verderben führt; aber der Weg ist schmal und die Straße eng, die zum ewigen Leben führt. Und die Kirche? Der Zeuge wird auftreten und sagen: Die Gott anbeten, sollen ihn im Geist und in [177] der Wahrheit anbeten, und alles, was nicht aus diesem Geist geboren ist, das ist von unten und nicht von oben. Und der Staat? Und der Zeuge wird auftreten und sagen: Wo ist dieser Staat hingeraten? Heute muß Pontius Pilatus im Triumphzuge Jesu Christi durch die Welt ziehen; und wo der Name Jesu des Gekreuzigten genannt wird, da wird sein Name mit genannt, weil er gerichtet ist von dem, der der Richter ist der Lebendigen und Toten. Meine Freunde, das heißt: der Tröster kommt. Und ihr werdet und sollt ganz getrost sein.
Die Geschichte Jesu Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen, ist nicht zuende. Sie ist unsere eigene Geschichte. Und sie ist unsere eigene Geschichte geworden, wunderbar. Wir haben die tiefste Anfechtung erlebt und wunderbarste Errettung. Darum heißt es hier am Ende: Und auch ihr sollt meine Zeugen sein. Damit will ich enden. Möchte dieses Gotteshaus dazu dienen, daß der Tröster, der Geist von Pfingsten, alle Herzen erfülle, die sich hier sammeln, um stark und getrost zu werden. Und möchte er aus uns allen treue Zeugen machen, damit jene falschen Zeugen des Todes und des Geldes und der Massen und der falschen Kirche und des ungerechten Staates zum Schweigen kommen; (damit) einmal wieder in unseren Landen, in Ost und West, das Lob Gottes gesungen wird, der für uns sein Leben gelassen hat, damit wir ewig leben sollen. So wollen wir enden, enden mit dem alten Gebet: Veni Creator Spiritus – Komm Schöpfer Geist. Amen.
Gehalten am Sonntag Exaudi, 2. Juni 1957 beim ersten Gottesdienst in der nach dem Wiederaufbau renovierten und restaurierten Dortmunder Marienkirche.
Quelle: Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke. Neue Folge, Bd. 5: Predigten und Predigtlehre, Gütersloh: Chr. Kaiser. Gütersloher Verlagshaus 2004, Seiten 170-177.