„Da stirbt nun Jona drei Tage und Nächte im Walfisch …“ – Luthers geistliche Ausdeutung des Jonabuchs

Jan Brueghel der Ältere – Jonas entsteigt dem Walfisch (1595) – Öl auf Holz

Es heißt ja, dass Martin Luther sich in seiner Schriftlauslegung allein auf den Literalsinn bezogen hat. Am Ende seiner Auslegung zum Jonabuch von 1526 betreibt Luther jedoch explizit Schriftallegorese, wenn er sich an einer dreifachen geistlichen Ausdeutung versucht.

Der Prophet Jona. Drei geistliche Deutungen

Von Martin Luther

Die erste geistliche Deutung

Jona heißt auf hebräisch eine Taube. Nun ist im Neuen Testament die Taube des heiligen Geistes Gestalt (Luk. 3,22 und Joh. 1,32) und besonders der offenbarende heilige Geist, der gegeben ist, Christus in aller Welt zu verkündigen durch’s Evangelium, so daß Jona mit seinem Namen eine anschauliche Darstellung des heiligen Geistes und seines Amtes ist, nämlich des Evangeliums, so daß alle Apostel und Prediger auch Jona und die Taube sein sollen, das ist, den heiligen Geist haben und nichts von sich selbst aus ohne den Geist lehren oder tun, wie auch Christus selbst Matth. 10,16 seinen Jüngern befiehlt, daß sie sein sollten »ohne Falsch wie die Tauben und vorsichtig wie die Schlangen«, das ist, daß sie das Wort Gottes lauter und rein, ohne jeden Zusatz, einfältig lehren, wie es der heilige Geist gibt, und mit niemand heimtückisch umgehen in Werken sowohl als auch in der Lehre. Ninive heißt auf hebräisch die Schöne oder Hübsche, so wie eine hübsche, wohlgebaute Stadt schön ist. Das ist die Welt, die in ihrem Reichtum, Vergnügen, Weisheit, Stärke, Heiligkeit und Ehren lebt und hochragt aufs allerschönste und feinste. Aber darunter ist lauter Greuel und Sünde vor Gott. Daß sie nun das Wort hört und annimmt, fastet und Säcke anzieht und sich in die Asche setzt, das bedeutet, daß Gottes Wort Frucht bringt und alles umkehrt und schafft, daß sie ihre Heiligkeit, Stärke, Reichtum, Lust, Ehre und Gut für Sünde, Schwachheit, Armut, Ekel, Schande und Schaden hält und alles verachtet. Das heißt recht in der Asche sitzen, Säcke anziehen und fasten, so daß auch die Tiere, das ist ihre Leiber, müssen fasten und Säcke anhaben, daß ist sich kasteien und züchtigen.

Daß Jona auch aus dem jüdischen Lande alsbald in ein fremdes Land gesandt wird, das bedeutet, daß der Geist und Gottes Wort von dem jüdischen Volk weggenommen und [104] den Heiden gegeben werden sollte, wie Christus Matth. 21,43 sagt: »Wahrlich, ich sage euch, das Reich Gottes wird von euch genommen werden und den Heiden gegeben, die damit Frucht bringen« usw. Daß er aber flieht und im Meer solche Gefahr erleidet, bedeutet Kreuz und Verfolgung, die dem Evangelium in der Welt widerfahren, so daß es aussieht, als fliehe das christliche Predigtamt und werde untergehen und verloren sein; so ganz schwach erscheint es gegenüber solchem Wesen deshalb, weil die Personen, die es führen, flüchtige, das heißt schwache, geringe Menschen sind. Das Meer — das ist die Welt — ist groß und mächtig mit ihrem Wüten und Toben. Ebenso ist der Walfisch grausam und schrecklich mit seinem Rachen und den Zähnen; das ist: der Welt Fürst und Gott, der Teufel, ist grausam durch seine Fürsten und großen Herren mit Würgen und Töten usw. Aber dennoch wird Jona erhalten mächtig durch Gottes Kraft, und seine Predigt kann weder durch seine eigene Flucht noch durch des Meeres Toben verhindert werden, sondern dringt fort und kommt trotzdem nach Ninive. Obwohl also die Prediger schwach, die Welt gewaltig ist, so ist doch Gottes Wort, das heilige Evangelium, mächtiger, dringt hindurch und ist ungehindert. Und wenngleich die Prediger alle verschlungen werden, geht es nur desto stärker und kommt doch in die Welt und kehrt sie um, wie wir sehen, daß es bei den Aposteln gegangen ist, uns zum Trost, daß auch wir nicht erschrecken vor dem Meer und Walfisch, gewiß, daß unser Wort oder Evangelium mächtiger ist als das alles.

Die zweite geistliche Deutung

Handelt von geistlicher Verfolgung, wie es mit einem Sünder zugeht, wenn er geistlich stirbt und lebendig wird, das ist, wenn er gerecht und von Sünden frei werden soll. Das [105] gehet so zu: Das erste ist die Sünde, in die wir alle gefallen sind durch Adams Ungehorsam und haben sie ärger und größer gemacht durch unsern eigenen Ungehorsam und sind somit von Gottes Angesicht geflohen, daß wir nicht tun, was Gott will. Und besonders, wenn wir in die schöne Sünde fallen, das ist in Heuchelei und falschen Gottesdienst, weg vom rechten Gotteswort. Das ist der Ungehorsam und das Fliehen Jonas vor Gottes Angesicht. Denn weil wir in Sünden sind, sehen wir Gott nicht und sind weit weg wie der verlorene Sohn im Evangelium. Daß er aber aufs Meer flieht und an keinen gewissen Ort, das bedeutet, daß der Sünder, wenn er vor Gott flieht, nirgends etwas Gewisses vornimmt, sondern nach dem Fleisch und der Welt hingeht und -fährt, wo der Teufel ihn hinführt und treibt, auch nicht danach fragt, wo er hinkäme, ausgenommen daß er nicht im Lande und unter Gottes Gehorsam sein dürfe, sondern seinem Gutdünken folge.

Er kommt hinab gen Jaffa und findet ein Schiff, das aufs Meer fährt, gibt Fahrgeld und tritt drein, legt sich, schläft und fährt so dahin. Jaffa heißt hübsch oder fein, das ist die gottlose Menge, die da ein glänzendes Leben führt im Ungehorsam vor Gott. Diese Stadt ist dann geradezu bedeutsam für den Ungehorsam, Gutdünken und selbsterwählte Gerechtigkeit. Denn da findet er ein Schiff, das ist, wie ihn dünkt, eine gute Weise und Lehre, die ihn führen solle, wobei das Gesetz Gottes verstanden ist nach menschlichem Gutdünken. Da sind Schiffsleute, das bedeutet: Lehrer solchen Gesetzes und eigener Werke, die führen, so daß man nicht weiß wohin, sondern nur aufs Meer. Denn da ist kein gewisses oder sicheres Gewissen vor Gott, sondern man fährt, wie das Meer geht usw. Diesen gibt Jona Fahrgeld. Denn solche Lehrer sind Bauchdiener, für Geld lehren und führen sie, man gibt’s ihnen auch gerne und macht sie reich, ,gleichwie Gott dem Volk Israel auch das Land Kanaan gab für [106] ihre Werke. Aber den Aposteln und Evangelisten gibt man nichts, sondern nimmt ihnen noch dazu was sie haben. Da tritt Jona in das Schiff und begibt sich in die Lehre, liegt unten im Schiff und schnarcht. Das ist, er ist sicher und meint, er sei nun gut dran, und fährt in dem Zustand immer weiter, wie es denn alle Werkheiligen tun, die in ihrem Gleißen so tief drunten liegen und schlafen und nicht fühlen, was für Übel sie tun, wie Salomo sagt (Pred. 4,17): »Gehorsam ist besser als Opfer der Gottlosen, die nicht wissen, was für Übel sie tun. « Siehe da, das heißt richtig hinab gen Jaffa und hinunter in das Schiff gehen, wahrlich tief herab von Jerusalem, vom Gehorsam vor Gott in die Tiefe des Ungehorsams und Eigendünkels.

Aber da kommt nun Gott und will den ungehorsamen Heiligen aufwecken und seine Heiligkeit öffentlich als Sünde aufweisen und läßt ein Unwetter kommen, das ist, er läßt seinen Zorn und sein Gericht fühlen. Da geht dann alle eigene Heiligkeit unter. Da verzweifeln dann sowohl Lehrer als auch Schüler und die Werke wollen dann nicht Halt oder Bestand geben. Da will das Schiff zerbrechen und untergehen. Da ruft ein jeder seinen Gott an, das meint, er will sich trösten mit seinem guten Leben. Aber da hört und hilft keiner der Götzen; denn den rechten Gott kennen sie nicht. Da wecken sie auch Jona auf, das ist, da werden sie rechte Gesetzeslehrer, da kommt das Gesetz zu seinem rechten Amt und lehrt nicht mehr Werke oder falsches Wissen, sondern es zeigt die Sünde und Gottes Zorn und erschreckt das Gewissen. Das ist’s, daß sie losen und die Sünde suchen und Jona treffen. Denn das Gesetz läßt nicht ab, das Gewissen zu suchen und zu martern, bis es den Sünder finde und zwinge ihn, zu bekennen, wie David spricht Psalm 32,3: »Da ich’s verschweigen wollte, da veralteten meine Gebeine« usw. Das Losen aber bedeutet, daß sich die Sünde zufällig findet und das Gesetz uns trifft, nicht wenn wir’s erwarten, sondern [107] wenn wir’s am wenigsten denken, dann kommt der Hausvater und findet uns. Da muß Jona heraus und dem Gesetz bekennen und recht geben, daß er ein Sünder sei, sonst, spricht er, hört das Meer nicht auf. Und obwohl sie sehr antreiben und rudern, damit sie ans Land kommen könnten, hilft’s doch nicht. Das ist: Obwohl ein solches Gewissen überwunden ist, will es doch nicht gerne das Todesurteil erleiden, obschon es eingesteht, es solle und müsse es leiden und es ganz verdient habe. Darum springt Jona nicht selbst ins Meer, sondern wird hineingeworfen.

Zuletzt werfen sie Jona ins Meer, weil es nicht anders sein will, bitten aber Gott, daß er’s ihnen nicht zurechne, und fürchten und dienen Gott, das ist wie es S. Paulus sagt Röm. 7,12: »Das Gesetz ist gut, gerecht und heilig«, und dennoch tötet es und macht mir Gott zornig. Davon ist jetzt nicht weiter zu reden. Daß sie nun aber Gott fürchten und ihm dienen, das bedeutet, daß das Gesetz, wenn es zu seinem rechten Amt kommt, dann dient es Gott, das ist, es macht furchtsame, demütige Diener Gottes, welches vorher, als es noch in Jaffa war, im Mißbrauch der Werke und des Eigendünkels dem Bauch diente und Fahrgeld nahm und schnarchende, sichere, falsche Werkheilige machte. Hier kommt nun der Walfisch und verschlingt Jona, das ist der Tod und die Hölle. Denn so geht es nacheinander: Zuerst das Gesetz, danach die Sünde, zuletzt der Tod, wie S. Paulus sagt 1. Kor. 15,56: »Das Gesetz ist die Kraft der Sünde, der Tod aber der Stachel der Sünde.« Das ist: Wenn im Gewissen nicht Sünde wäre, da könnte der Tod nichts tun, weder stechen noch hauen, weder würgen noch martern, hätte weder Spitzen noch Schneiden, sondern wäre stumpf und nichts. Wenn aber die Sünde da ist und im Gewissen gefühlt wird, hat der Tod sogleich Spieß und Schwert und will den Menschen geradewegs erwürgen und erwürgt ihn auch, wenn ihm nicht Hilfe käme. Ebenso: Wenn kein Gesetz wäre, das heißt, wenn nicht [108] ein rechtes Gesetz und in seinem rechten Amt erginge, da wäre auch keine Sünde, das heißt, man fühlte die Sünde nicht und die Sünde wäre kraftlos und würde nicht beißen, wie sie tut, wo die Jonas und sicheren Werkheiligen im Schiff schlafen. Wie es denn auch in der Natur ist, daß wo kein Gesetz ist, da kann keine Sünde sein. Aber wenn das Gesetz kommt, ist alsbald die Sünde da und fühlt sich im Gewissen. Wie greulich nun der Walfisch mit seinem Rachen dem Jona gewesen ist, so greulich ist des Todes Drohen in einem sündigen, erschrockenen Gewissen.

Da stirbt nun Jona drei Tage und Nächte im Walfisch. Das ist, der Sünder liegt in solchem Schrecken und Todesnöten und ringt mit dem Tode, bis er ganz verzweifelt. Denn innerhalb von drei Tagen kann man wohl spüren, ob einer tot sei. Und wer den dritten Tag im Tod erreicht, — da ist keine Hoffnung mehr. Selbst wenn er nicht ganze drei Tage läge, das meint, wenn er mehr als eine ganze Nacht und einen Tag liegt, dann ist er dahin. Denn derselbe kann wohl eine Stunde des vorigen Tages und eine Stunde des folgenden Tages erreichen. Solche drei Tage sind nicht lang in diesem geistlichen Sterben. Denn es ist schnell geschehen, daß ihn Tod und Angst ins Verzweifeln treiben. Danach kommt das lebendige Gotteswort, das Evangelium der Gnade, und spricht zum Fische, das ist, es gebietet dem Tode, daß er den Menschen lebendig lasse. Da fängt der Glaube an und der Mensch wird sowohl von Sünden als auch vom Tode ledig und los und lebt somit in Gnade und Gerechtigkeit mit Christus. Da lernt nun Jona das Stücklein singen: »Ich will mit Dank opfern« usw. und schilt diejenigen, die sich auf Eitelkeit verlassen und die Gnade nicht achten. Denn solche Leute erfahren, daß Werk- und Gesetzesleben ganz unnützige Dinge seien und allein Gottes Gnade helfen muß. Und so werden dann Leute daraus, die in der Welt großen Nutzen schaffen; denn sie können recht lehren, beraten und regieren, weil sie es nicht alleine aus den Büchern oder Worten, sondern aus dem Geist und eigener Erfahrung haben. Was sie lehren, das schneidet dann und ist kräftig, wie es Jona hier mit seiner Predigt zu Ninive andeutet.

Die dritte geistliche Deutung

Hat Christus selbst auf sich gedeutet Matth. 12,39f., obwohl es nicht eine vollständige Allegorie oder Deutung ist, sondern ein Beispiel. Denn Christus nimmt von Jona nur vor, wie er im Walfisch gewesen ist, und spricht, er werde ebenso auch tot in der Erde liegen, und nennt’s ein Zeichen Jonas, das ist ein Zeichen, das Jona gleich sei. Denn er macht die drei Tage nicht geistlich, wie es geistlichen Deutungen angemessen ist; darum ist’s mehr ein Gleichnis als eine Allegorie, und niemand dürfte es so deuten, wenn es nicht Christus selbst getan hätte. Nun, davon ist hier nicht viel zu sagen, weil es alles selbst am Tage und in aller Welt bekannt ist, wie Christus gestorben und auferstanden ist, und daß dies das Wunderzeichen sei, das den ungläubigen Juden gegeben ist, ja, aller Welt vorgetragen wird durchs Evangelium, damit sie wissen sollen, wie sie allzumal durch dasselbe Wunderzeichen und trefflich göttliche Werk erlöst sind und sich daran mit rechtem Glauben halten sollen. Es stößt sich aber die ganze Welt an dem Zeichen, besonders die Juden, und es ist ihnen ein Ärgernis und eine Torheit. Aber es muß gleichwohl sein, ihnen wird dennoch kein anderes gegeben, wie sie’s gerne wollten. Denn da steht’s, wie Christus sagt: »Dieser bösen Art wird kein anderes Zeichen widerfahren als das Zeichen des Propheten Jona« (Matth. 12,39). Darüber ist anderswo auch ausführlicher gehandelt.

Zuletzt ist da die wilde Rübe mit dem Wurm, der sie sticht in der Morgenröte. Die Geschichte entspricht nicht nur Jonas [110] Zorn und Gedanken, wie der Text lautet, sondern auch dem Judentum, welches eine rechte wilde Rübe gewesen ist. Zuerst hat sie große Blätter, das ist das Beste daran, von denen Jona guten Schatten und darunter eine Hütte hat gegen die Sonnenhitze. Aber nichts wird da gemeldet und ist auch nichts da von Früchten. Die Blätter sind die Worte und Gottesgesetze, wie S. Paulus sagt Röm. 3,2: »Gottes Reden sind ihnen vertraut gewesen. « Unter diesen Blättern sitzt Jona, das ist, die Propheten und heiligen Väter sind unter dem Judentum gesessen wie unter einer zeitlichen Hütte und in äußerlichem Gottesdienst bis zur Zeit Christi. Denn es war eine Sommerlaube oder Laubhütte, die zeitlich war und aufhören sollte. Aber Früchte trug es nicht. Denn das Gesetz konnte ohne Geist von sich selbst her niemand helfen, obwohl viele solcher im Geist heiligen Leute darunter waren. Darum verflucht auch Christus den Feigenbaum mit den Blättern ohne Frucht (Matth. 21,19), so daß er verdorrt, was dem Ding mit dieser wilden Rübe ganz ähnlich ist. Doch Jona freut sich über solche Laubhütte und wartet aufs Verderben der Stadt Ninive. Denn es gefiel den Juden gut und sie rühmten sich auch, daß sie alleine Gottes Wort und Gottesdienst haben sollten, und sie hielten die Heiden allzumal für verloren, so wie Jona hier die Nineviten hält.

Indem sie sich nun aufs sicherste darauf verlassen, daß sie alleine Gottes Volk seien, und zugleich der Jona am fröhlichsten ist über diese wilde Rübe, verschafft Gott ein Würmlein, das die wilde Rübe sticht. Das ist: Christus kam mit seinem Evangelium gerade, als die Juden am allermeisten stolz waren, daß sie alleine Gottes Volk wären, und stach die wilde Rübe, das ist, er predigte dagegen und hob das Gesetz auf durch seinen heiligen Geist und machte uns alle frei vom Gesetz und seiner Kraft. Daher ist verdorrt und zunichte geworden das Judentum bis auf diesen Tag in aller Welt und grünt und blüht nicht mehr; es sitzt auch kein Heiliger oder [111] Prophet mehr unter seinem Schatten. Es ist aus mit ihnen. Denn Christus ist ein Wurm, wie er sagt in Psalm 22,7: »Ich bin ein Wurm und nicht ein Mensch«, nämlich deshalb, weil er so jämmerlich gekreuzigt und verachtet ist. Aber dennoch sticht der arme gekreuzigte Wurm einen so feinen Strauch, daß er verdorrt, und macht mit dem geringen Stich, das ist mit dem verachteten Evangelium, ein so feines Reich und Volk zunichte.

Daß aber der Wurm den Schaden nicht des Abends tut, sondern frühmorgens, als die Morgenröte anbricht, das bedeutet, daß solcher Fall des Judentums geschehen sei, als die Zeit der Gnade, das Neue Testament, aufging durchs Evangelium in aller Welt. Denn der die wilde Rübe wunderbar hatte wachsen lassen, derselbe ließ sie auch durch den Wurm stechen und verdorren. Ebenso ging auch das Judentum schnell auf durch große und viele Wundertaten aus Gottes Gewalt, nicht aus seiner eigenen Kraft oder Macht, wie das die Historien klar ausweisen im zweiten Mosebuch und beiden Königsbüchern usw. Ebenso ist’s auch verdorrt und untergegangen aus Gottes Willen und Befehl, als das Stündlein des Evangeliums kam. Hier murrte nun Jona aus zwei großen Ursachen. Eine, daß die wilde Rübe verdorrt und er nicht mehr unter ihrem Schatten sitzen kann. Die zweite, daß Ninive nicht untergehen solle. Das ist: Es war ja auch für einige große Heilige unangemessen anzusehen, daß die Juden sollten so verlassen werden und verdorren und versiegen, und die Nineviten, die Heiden, sollten das Evangelium annehmen und Gottes Volk werden. Da sticht die Sonne Jona heiß auf den Kopf und kommt ein trockner Ostwind, so daß er matt wird. Denn auch S. Paulus quält sich sehr darüber Röm. 9,3, daß die Juden so verderben und »wollte gerne verbannt sein von Christus um ihretwillen«. Aber ihm wird geantwortet, es wäre billiger zu zürnen, weil Ninive untergehen sollte als weil die wilde Rübe verdorrte, und billiger bliebe Ninive [112] Verderben kommt der Heiden Heil«, das ist: Besser und billiger ist’s, daß das Judentum verginge (welches doch ohne Geist und nur Blätter ohne Frucht war), als daß durch ihr Bleiben die ganze Welt verderbe. Das Urteil gefiel Gott und es ist auch recht, daß wir Heiden seiner Gnade durchaus danken müssen. Denn den Juden, wenn sie auch glauben wollten und das Judentum fahren lassen, würde damit kein Schaden geschehen, und für uns liegt doch alle Seligkeit daran. Dazu helfe uns Gott.

Amen.

Quelle: Martin Luther, Die Auslegung von Jona und Habakuk, hrsg. v. Gerhard Krause, Frankfurt a.M.: Insel Verlag, 103-112.

Hier der Text als pdf.

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