Über die Herrlichkeit Gottes wird in dogmatischen Lehrbüchern lutherischer Provenienz in der Regel wenig gesagt. Das mag mit Luthers kreuzestheologische Absage an eine theologia gloriae zu tun haben. Für mich überraschend findet sich jedoch in Paul Althaus Lehrbuch zur Dogmatik Die christliche Wahrheit eine ansprechende Besinnung zur göttlichen Herrlichkeit.
Von Paul Althaus
Ebenso wie der Begriff „Heiligkeit“ ist auch „Herrlichkeit“ Ausdruck für Gottes Gottheit im ganzen. Das Besondere dieses Begriffs ist, daß er die Gottheit Gottes bezeichnet, sofern sie erscheint, zu überführen, hinzunehmen, zu gewinnen, hinzureißen vermag zur Anerkennung, zur Beugung, zur Anbetung, zum Lobe. Daher geht der neutestamentliche Begriff der Doxa Gottes immer wieder von der Bedeutung „Herrlichkeit“ in die Bedeutung „Ehre“ über. Herrlich ist Gottes Gottheit, sofern sie sich Ehre verschafft, und Ehre Gottes bedeutet die Anerkennung seiner Gottheit in ihrer Herrlichkeit. Von diesem besonderen Merkmale des Begriffs abgesehen ist er mit „Heiligkeit“ nahe verwandt. Im Neuen Testamente kommt die Heiligkeit Gottes ziemlich selten vor. „Heilig“ für Gott findet sich bei Johannes, im Evangelium, ein einziges Mal, bei Paulus gar nicht; „Heiligkeit“ bieten weder der eine noch der andere.[1] Dagegen sprechen sie viel von der Herrlichkeit Gottes. Dieser Begriff ersetzt bei ihnen gutenteils den der Heiligkeit im alttestamentlichen Sinne.
„Herrlichkeit“ umfaßt Gottes ganzes Sein, sowohl seine Weise zu sein wie den Gehalt seines Lebens, beides in seiner unlöslichen Einheit. Herrlich ist Gott also als der schlechthin Lebendige, in der Selbständigkeit, Vollkommenheit, Fülle seines Lebens, in der Freiheit seines Seins und Schaffens, in seiner Kraft, in seiner Herrschermacht, in seinem Walten der Natur und der Geschichte. Herrlich ist er in seiner sich herablassenden Liebe und Gnade, ohne die jenes andere keinen Augenblick gedacht werden kann.[2] Beides, die Herrlichkeit Gottes in seiner Freiheit und Herrschaft wie die Herrlichkeit [293] Gottes in seiner Liebe erscheint in Jesus Christus. Voran steht dabei freilich die ethische Herrlichkeit Gottes. Sie ist zunächst gemeint, wenn Paulus spricht von dem „Evangelium der Herrlichkeit des Christus, der da ist das Ebenbild Gottes“, von der „Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesichte Christi“ (2. Kor. 4, 4. 6). Das „Angesicht Christi“ ist Christus als Person; in seinem Personleben wird Gott offenbar als die den Menschen suchende und findende Liebe. So ist es auch zu verstehen, wenn Johannes bekennt: „Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des einzigen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Treue“ (1, 14). In dem Erbarmen seiner Liebe, in seiner Gnade und Treue hat Gott „Herrlichkeit“, überführende Gottheit. Aber dieser Gehalt des Lebens Gottes ist nie von seiner Lebensmacht zu trennen, die ethische Herrlichkeit nie von der ontischen, seinshaften. Jesus offenbart die Herrlichkeit Gottes nicht nur in der Liebe und Geduld, in der ethischen Kraft der Hingabe und des Opfers als solcher, in seinem Sterbensgange als Tat (so vor allem Johannes, Kap. 12, 23. 28; 17, 1), sondern darin, daß dieses alles, obschon in der Ohnmacht und im Sterben geschehend, die Macht und das Leben Gottes in sich hat. Das tritt nach Johannes in den Wundern Jesu heraus (Joh. 2, 11; 11, 4. 40), vollends aber in seiner Auferstehung: weil Gottes Herrlichkeit in Jesu Leiden erscheint, darum muß sie sich auch darin erweisen, daß Gott ihn herrlich macht mit seiner ewigen Herrlichkeit, durch die Auferweckung in das Leben. Die Herrlichkeit Jesu ist in seinem Sterben und darum jenseits seines Sterbens da (Joh. 17, 5). Nicht anders bei Paulus: das Angesicht Christi, auf dem Paulus die Herrlichkeit Gottes erkennt, ist das Antlitz des Erhöhten, der eins ist mit dem irdischen Christus — so ist die ethische Herrlichkeit zugleich seinshafte, die Herrlichkeit des unzerstörbaren Lebens Gottes selbst. „Durch die Herrlichkeit des Vaters“ wurde Jesus von den Toten auferweckt (Röm. 6, 4), und diese Herrlichkeit ist nun an ihm als dem Auferstandenen zu sehen.
Weil an Christus, so erscheint auch an seinem Evangelium und an dessen Verkündigung die Herrlichkeit Gottes (2. Kor. 3, 7ff.). Daher „leuchtet“ das Evangelium (2. Kor. 4, 4) eben von dieser Herrlichkeit, von der Macht der Liebe Gottes in Jesus dem Gekreuzigten und Auferstandenen, welche den Geist schenkt, gerecht und lebendig macht (3, 7ff.).
Zum Wesen der ,,Herrlichkeit“ gehört es, daß sie wahrgenommen, erkannt, geschaut wird (vgl. 2. Kor. 4, 6; Joh. 1, 14). Herrlichkeit „leuchtet“ (2. Kor. 4, 4). Dabei ist das Leuchten nicht nur ein sinnliches Gleichnis für die geistige Macht der Gottheit Gottes, hinzunehmen und zu überführen, so gewiß es das auch ist. Aber Gott ist nicht nur Geist und Wahrheit, sondern auch Lebendigkeit, Kraft, Leibhaftigkeit, Energie. Dem entspricht, daß seine Herrlichkeit auch Sinnenhaftigkeit hat. „Mein Gott, du bist gar groß, mit Majestät und Kraft angetan“ (Ps. 104, 1). Gott in seiner wahren Gottheit leuchtet denen, für die er sich kundtut, nicht nur ein, sondern er leuchtet im naturhaften Sinne des Wortes. Gott ist Licht nicht nur, sofern das Licht Gleichnis ist für die völlige Reinheit und Güte seines Wesens als Liebe (1. Joh. 1, 5), sondern er ist im eigentlichen und natürlichen Sinne Licht. Gott und Licht gehören zusammen. Nicht als ob [294] das geschaffene Licht, das wir kennen, das Licht der Sonne und der Fixsterne, schon sein Licht selber wäre. Es ist sein Werk, nicht sein Wesen als erscheinendes. Und doch zeugt das Licht in der Welt von ihm. Kindliche Naturbetrachtung kann das irdische und sein ewiges Licht zusammenschauen: „Licht ist das Kleid, das du anhast“ (Ps. 104, 2). Das Licht in der Natur, das Leuchten der Farben, der Glanz, der Blitz — das alles erinnert uns, daß Gottes Herrlichkeit auch sinnlich ist; das alles, als von Gott geschaffen, ist Gleichnis und Hinweis auf das ewige Leuchten seiner Gottheit. Gottes Herrlichkeit ist nicht nur die uns von sich überführende Wahrheit und Gutheit seines Wesens; sondern auch die Schönheit; und wiederum nicht nur die Schönheit geistiger Art, die der Wahrheit und Gutheit eignet, sondern die sinnliche Schönheit. Gott ist nicht nur das Beste, sondern auch „das Schönste“ (Paul Gerhardt), das die Sinne entzückt. An der irdischen Schönheit in ihrem Bruchstück sollen und dürfen wir seine ewige Schönheit wie im Spiegel ahnen und lieben — aber auch an der Furchtbarkeit des Blitzes und des „fressenden Feuers“ (Ps. 50, 3) die blendende und tödliche Furchtbarkeit der Doxa Gottes für das Auge der sündigen Kreatur.
Immer wieder redet das Neue Testament, wenn es das Hereinbrechen der überirdischen Welt Gottes in die Geschichte beschreibt, auch von dem strahlenden Lichte und Glanze. „Des Herrn Herrlichkeit umleuchtete“ die Hirten der Weihnacht (Luk. 2, 9); Paulus sah vor Damaskus „mitten am Tage unterwegs vom Himmel her ein Licht, das die Sonne überstrahlte“ (Apg. 26, 13). Bei der Verklärung Jesu „leuchtete sein Antlitz wie die Sonne“, „seine Kleider wurden glänzend, ganz weiß, wie sie kein Walker auf Erden so weiß machen kann“ (Mk. 9, 3) — das ist der Glanz der ewigen Welt, die Glorie des Sohnes Gottes, wie sie auch der Apokalyptiker von dem Erhöhten bezeugt: „Sein Angesicht war, wie die Sonne leuchtet in ihrer Kraft“ (Offb. 1, 16). Wir fragen jetzt nicht, was davon in unserer irdischen Geschichte „wirklich“ geschaut ist. Es handelt sich nur darum, daß jedes Wort über die Offenbarung Gottes und seiner ewigen Herrlichkeit von überirdisch gewaltigem und herrlichem Lichte reden muß. Gewiß ist „Licht“, wie wir es kennen, ein Gleichnis, aber nicht ein Sinnbild für Geistiges, so daß wir es „vergeistigt“ verstehen müßten, sondern ein irdisches sinnliches Zeichen für überirdische Sinnlichkeit.
Das irdische Leuchten ist nur Gleichnis und Zeichen. Das heißt: das ewige Licht der Gottheit Gottes wird von unseren Augen nicht geschaut. Mag es mit den Zeugen Jesu anders gestanden haben, uns ist das, was sie erfuhren, nicht geschenkt, Das Schauen der Schönheit Gottes und Christi, das Wahrnehmen des himmlischen Lichtglanzes gehört zu den letzten Dingen. Das Auge des Glaubens „schaut“ schon heute die Herrlichkeit Gottes, wie wir zu Beginn dieses Abschnittes von ihr sprachen, im Geiste, so gewiß auch dieses Schauen noch Bruchstück ist. Aber das sinnliche Schauen der sinnlichen Herrlichkeit Gottes ist uns vorerst noch ganz versagt, außer im Gleichnis der Schönheit der Kreatur, im Vorahnen. Von der unseren Geist überführenden Herrlichkeit Gottes her ahnen wir, welche Schönheit unserer Sinne wartet. [295]
Jetzt bleibt es noch zweierlei: die Schönheit, die unsere Sinne heute an den Kreaturen wahrnehmen, und die Herrlichkeit Gottes in seiner Liebe, die wir bisher nur als geisthaft-ethische im Glauben erkennen, auf deren leibhafte Enthüllung wir warten. Das Sonnenlicht und Gottes Leuchten in Christus — vorerst fällt das beides für uns noch nicht in einem Blicke zusammen. Das natürliche Licht geht noch nicht offenkundig allein von Gottes Liebe aus, und der dem Glauben offenbaren Herrlichkeit Gottes in dem Gekreuzigten fehlt noch der die Sinne hinnehmende Glanz. Aber der Glaube weiß, daß beides zusammengehört. Wenn die Ewigkeit hereinbricht, dann fällt der Unterschied zwischen dem natürlichen und dem geistlichen Licht, zwischen der Sonne und der „andren Sonne“ Jesus dahin. Von der himmlischen Stadt gilt: „Die Stadt bedarf es nicht, daß Sonne und Mond ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes hat sie erleuchtet, und ihre Leuchte ist das Lamm“ (Offb. 21, 23). Gott in Christus ist dann das Licht der Welt auch im leibhaften Sinne, nicht nur das „geistliche“ Licht, sondern auch das sinnliche. Aller Glanz ist dann offenkundig als der der Herrlichkeit Gottes selber in seiner ewigen Liebe. Vorläufig ist uns das Licht der Sonne, ein Sonnenaufgang noch ein bloßes Bild für das Aufgehen des Lichtes in unseren Herzen. Die Schöpfung des Lichtes durch Gott und die Erleuchtung des Herzens zum Glauben sind noch zweierlei (2. Kor. 4, 6), obgleich beides ein Wunder des einen und selben Gottes ist. Dann aber, in der Ewigkeit, ist aus der Zweiheit Einheit geworden. Die Sonne ist nicht mehr nur ein Bild Jesu, sondern Jesus ist dann Sonne. Die geistliche Wirklichkeit erscheint in ihrer leibhaftigen Herrlichkeit. „Herz“ und „Sinne“ werden dann hingenommen von Gottes Leuchten. Das Licht und sein Leuchten ist aber nur ein Zug sinnenhafter Herrlichkeit. Wir müßten entsprechend auch über Gestalt und Klang reden.
Als der Herrliche, kraft seiner Macht, mit seiner Gottheit uns Herz und Sinne hinzunehmen, erweckt Gott die geschaffenen Geister zur freien willigen Anerkennung seiner selbst, zur Freude an ihm, zur Liebe, zu Dank und Lob. Das alles nennt das Neue Testament: Verherrlichung oder Ehrung Gottes. Sie gehört mit zu seiner Herrlichkeit und mehrt sie. Gott ist darin herrlich, daß seine persönlichen Geschöpfe ihn in seiner Gottheit erkennen und freudig anerkennen. Dieses Verherrlichen Gottes in freudigem Danke für seine Herrlichkeit geschieht einmal in dem gesamten Handeln unseres Lebens: die Umkehr (Offb. 16, 9), das Vertrauen (Röm. 4, 20), die Demut, der willige Gehorsam von ganzem Herzen — das alles heißt: Gott die Ehre seiner Gottheit geben. Wenn die Christen wie Fruchtbäume voll sind von Werken der Gerechtigkeit, dann dient das zu Ehre und Lob Gottes (Phil. 1, 11). Sodann aber geschieht die Verherrlichung Gottes in den besonderen Akten des Lobens und Dankens, des Jubels und der Anbetung. Laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te. Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam. Gott wird verherrlicht durch die „Doxologien“ seiner Gemeinde, durch Wort und Lied des Lobes und Dankes. Je mehr Menschen loben und danken, je reichlicher Lob und Dank, desto mehr Ehre und Herrlichkeit Gottes — [296] so hat Paulus es mehrfach ausgesprochen (2. Kor. 1, 11; 4, 15). Daher liegt daran, daß die Gemeinde zum Danke aufgerufen werde, zum Danken Gelegenheit bekomme — nicht nur um ihretwillen, sondern auch um Gottes willen. Nicht als ob Gott erst durch die irdische Gemeinde zu seinem Lobe käme: „Ehre ist für Gott in der Höhe“ (Luk. 2, 14). Die himmlischen Geister beten ihn an und singen sein Lob; mit ihnen die Erlösten (Offb. 7, 9ff.). Dieser Preis Gottes durch die Engel, durch die himmlische und die irdische Gemeinde ist der Spiegel der Herrlichkeit Gottes und eben damit ihre höchste Höhe. Weil das Lob Gottes durch alle seine Geschöpfe der Spiegel seiner Herrlichkeit ist, darum kann sie in der Liturgie der Kirche mittelbar mit dem Hinweise auf alle, die loben, beschrieben werden. So geschieht es im Tedeum.
An seiner Herrlichkeit gibt Gott denen, die er erlöst, Anteil. Die Teilnahme an seiner Herrlichkeit ist das Ziel der Erlösung (Röm. 8, 30). Die Sünde läßt die Menschen der Herrlichkeit Gottes entbehren (Röm. 3, 23). Wo die Sünde ist, da ist innerer und äußerer Tod, das Gegenteil der Herrlichkeit. Wo aber die Menschen aus der Sünde erlöst werden, da wartet ihrer die Herrlichkeit Gottes, nämlich die Herrlichkeit der Liebe, die Ganzheit, Ungebrochenheit und Unzerstörbarkeit des Lebens. Auch die Herrlichkeit der Erlösten wird sinnenhaft sein: „die Gerechten werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich“ (Mt. 13, 43). Ihre Herrlichkeit wird wie bei Gott Schönheit sein. Sie nehmen teil an Gottes Doxa, aber in dem der Kreatur angemessenen Maße. Gottes Doxa, an der sie teil bekommen, bleibt doch zugleich als Gottes Herrlichkeit über ihnen. Sie werden nicht vergottet. Sie bleiben Empfänger seiner Liebe, Kreaturen. Gott allein vorbehalten ist die Herrlichkeit und Ehre dessen, der, der Schöpfer und Herr ist und zuerst geliebt hat. Eben das ist ihre Herrlichkeit, daß ihr Leben ein reines und lauteres Lob der Herrlichkeit Gottes geworden ist. Die Schönheit der Engel lebt von ihrer Anbetung Gottes. In der Demut der Kreaturen allein werden sie Spiegel und Bild der Herrlichkeit Gottes.
Quelle: Paul Althaus, Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik, Gütersloh: C. Bertelsmann, 31952, 292-296 (§ 27.2)
[1] 2. Kor 1, 12 ist haplotēs zu lesen.
[2] Ephes. 1, 6 spricht von der „Herrlichkeit seiner Gnade“.