Hans Joachim Iwand über die erste EKD-Synode 1948 in Eisenach: „dass dem sola fide der Reformatoren die una ecclesia entspricht“

Eisenach: The Luther Memorial

Ende und Anfang. Zur verfassunggebenden Kirchenversammlung in Eisenach

Von Hans Joachim Iwand

Der konfessionelle Separatismus und der Partikularismus der Länder haben sich nach anfänglichen Erfolgen in der Evangelischen Kirche nicht durchsetzen können. Die einheit­liche Repräsentation dieser Kirche für ganz Deutschland ist jetzt gesichert worden. Es fehlt nur noch der Rechtspartner von Staats wegen, der das neue Kirchenrecht anerkennt. Über das Zustandekommen der Einigung berichtet hier der führende Göttinger Theologe Prof. D. Hans Iwand.

Es war nicht das erstemal, daß Eisenach den Männern der Evangelischen Kirche, denen es um die Einheit dieser Kirche ging Gastrecht in seinen Mauern bot. Seitdem auf Anregung des Königs von Württemberg 1846 der Gedanke einer gemeinsamen evangelischen Konferenz von Berlin aufgenommen und in der seit 1852 in regelmäßigen Abständen tagenden, „Deut­schen Evangelischen Kirchenkonferenz“ in die Tat umgesetzt wurde, sind hier sehr nachhal­tige und segensvolle Reformen beraten und in den Landeskirchen durchgesetzt worden, die die Stärkung eines gesamtprotestantischen Bewußtseins zur Folge hatten.

Und doch wird man ohne Übertreibung sagen dürfen, daß die vom 9. bis 13. Juli tagende Kirchenversammlung, auf der die neue Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutsch­land (EKiD) beschlossen wurde, zu den eigenartigsten, vielleicht auch wichtigsten Konferen­zen gehört, die im Laufe eines Jahrhunderts in Eisenach abgehalten worden sind. Die Wart­burg grüßte mahnend und wohl auch etwas sorgenvoll herüber, und die Eisenacher Kirchen­chöre erinnerten alle daran, daß sie sich in der Geburtsstadt des „fünften Evangelisten“, J. S. Bach, befanden. So fehlte es nicht an großen Mahnungen, das Erbe der Reformation zu wahren und der kulturellen Leistung, die von ihr einstmals ausgegangen ist, zu. gedenken.

Diese Mahnung war nötig. Denn daß die Konferenz zustande kam – und noch mehr, daß sie so einmütig endete und die Grundverfassung der mutig angenommen wurde, war ein Wunder. Vielerlei Hindernisse schienen den Zusammentritt dieser langersehnten Kirchenversammlung vereiteln zu wollen. Zuletzt zwang noch die gerade in die geplante Konferenzwoche fallende Währungsreform den Vorsitzenden, Landesbischof D. Wurm, die Konferenz um vierzehn Tage zu verschieben. Um so seltsamer – aber eben doch für den gegenwärtigen Zustand bezeichnend – war es, daß noch kurz, zuvor von einer, sehr prominenten Stelle aus versucht wurde, diese Tagung ganz abzusagen unter ausdrücklichem Hinweis auf die zu erwartende Teilung Deutschlands in zwei Hälften, und die daraus sich ergebenden verfassungsmäßigen Konsequenzen. Wir verraten ebenfalls kein Geheimnis, wenn wir darauf hinweisen, daß es in zwei lutherischen Landeskirchen diesseits der Zonengrenze zu einem öffentlichen Protest gegen das geplante Einigungswerk kam, daß man zudem von bayrischer Seite am liebsten den Namen der Evangelischen Kirche gänzlich vermieden und an die Stelle der Evangelischen Kirche eine lose Föderation von neu konstituierten Konfessionskirchen, einen sogenannten Kirchenbund, gesetzt hätte. Es waren vornehmlich die älteren Kirchenführer, die theologisch und kirchlich noch durch die Kämpfe gegen die Union aus dem vorigen Jahrhundert bestimmt sind, die dieses Ziel mit großer Zähigkeit verfolgten. Demgegenüber standen die Kräfte, die in den Kirchenkämpfen unserer Tage die Einheit der gesamten evangelischen Kirche, bezeugt und erfahren hatten. Es galt, das 19. mit dem 20. Jahrhundert zu versöhnen und die Verfas­sung so zu gestalten, daß die wertvollen Kräfte und Erkenntnisse aus diesen beiden, für die evangelische Christenheit so bedeutungsvollen Epochen zu einem rechten Miteinander ver­bunden würden. Man muß leider sagen, daß drei wertvolle Jahre über diesem Ringen um die verfassungsmäßige Einheit der evangelischen Kirche und deren theologisches Verständnis dahingingen. Es galt, die sachlich begründete Opposition jeweils so zu begrenzen, daß sie den Kontakt mit der anderen Seite nicht verlor. Dazu kam, daß die Männer, die die Reorganisation der Evangelischen Kirche bei der ersten Kirchenversammlung in Treysa im Herbst 1945 in Angriff nahmen, ein fürchterliches Erbe vorfanden. Da waren die Auswirkungen des Müller­schen und später des Kerrlschen Kirchenregiments, die mit ihrer, gelinde gesagt, theologi­schen Grundsatzlosigkeit Geist und Buchstaben der Verfassung gänzlich ruiniert hatten; da war der Gegensatz zwischen den die Kirche in den Notzeiten bezeugenden und verteidigenden Bruderräten und ihres in Dahlem 1934 proklamierten Notrechts und der legalen, aber doch weitgehend staatshörigen Bürokratie; da wären aber auch die neuen aus der Katastrophe des Zusammenbruchs sich ergebenden Aufgaben: drei blühende evangelische Kirchen im Osten waren vernichtet, ihre Gemeinden und Pfarrer als Flüchtlinge in alle Winde zerstreute. Die Zoneneinteilung erschwerte den Zusammenhang der Kirchen. Die Organisation eines moder­nen, schlagfertigen und beweglichen Hilfswerks mußte geschaffen werden, und vor allem mußte der Zusammenhang mit der ökumenischen Bewegung wieder aufgenommen und gekräftigt werden.

Über dem allen erhob sich nun aber eine Frage, die diesen ganzen Prozeß einer Restauration der Evangelischen Kirche in Deutschland verlangsamte und erschwerte: das sogenannte kon­fessionelle Problem. Bayern und Hannover, aber auch Hamburg, Schleswig-Holstein, Braun­schweig, Mecklenburg, Sachsen, Thüringen hatten eine andere Geschichte und darum auch eine andere Vorstellung von der Neuordnung dieser Evangelischen Kirche als die Kirchen der altpreußischen Union, als Rheinland und Westfalen, als Württemberg, Hessen und Baden. Besonders die prononciert lutherischen Kreise, die geistig aus der Erweckungsbewegung der Löhe, Louis Hanns, Hengstenberg und Stahl herkamen und die heute noch in Erlangen ihren theologischen Rückhalt haben, forderten die Wiedergutmachung des 1817 mit der Einführung der Union in Preußen begangenen Unrechts und sahen darin die eigentliche Wurzel für die ein Jahrhundert später eingetretene Katastrophe. Sie hätten am liebsten die Lutherische Kirche deutscher Nation ausgerufen und den Reformierten daneben einen sauber abgegrenzten Platz in dem „Kirchenbund“, den sie planten, gegeben. Ihre Fragestellung war nicht die christlich-existentielle, sondern eher die konfessionell-morphologische. Der politi­sche Zusammenbruch Preußens aber schien einen grundsätzlichen Wandel in der Struktur der evangelischen Chri­stenheit in Deutschland nahezulegen. Daß die altpreußischen Provinzen im Kirchenkampf den schärfsten Widerstand geleistet und die meisten Opfer gebracht hatten, daß die Union Fried­rich Wilhelms III. nicht einfach das Bekenntnis relativieren, sondern das gemeinsame evange­lische Anliegen zur Geltung bringen wollte, daß der Unionismus nicht nur schlechte sondern auch gute Seiten haben konnte, hört man hier nur mit Widerwillen.

Und doch ist es gelungen, diese Gegensätze so zu binden und in ein echtes Miteinander zu verwandeln, daß die Einheit des neuen Verfassungswerkes sich rühmen darf, den gelungenen Versuch einer rechten Ordnung geistiger Gemeinschaft und individueller Freiheit darzustel­len. Es wurde von den Lutheranern nicht verlangt, daß sie ihre Abendmahlsgemeinschaft den Reformierten und Unierten auftäten, und die Lutheraner ihrerseits verzichteten darauf; die Kirchen, in denen diese Abendmahlsgemeinschaft besteht, mit einem Anathema zu belegen. Es zeigte sich dabei, daß vor allem prominente Laien – ungeachtet ihrer konfessionellen Herkunft – die beredetsten Vertreter „einer evangelischen Glaubensgemeinschaft mit Ein­schluß des Abendmahlssakraments waren. Neben ihnen vertrat besonders die Bekennende Kirche diese Forderung, da sie diese Abendmahlsgemeinschaft in den leidvollen Jahren des Kirchenkampfes in Glauben und Liebe oftmals geübt und ihren großen Segen erfahren hatte. Dennoch hat man sich auf der Konferenz damit begnügt, dies denen zu bezeugen, die sehr entschieden dagegen sprachen; das waren vor allem der Erlanger Professor Künneth und der Sekretär des Lutherischen Rates, Oberkirchenrat Kinder aus Bayern.

Man wird also nicht sagen können, daß die Eisenacher Tagung ohne Spannung verlaufen sei. Aber es ist gewiß allen Teilnehmern als ein Zeichen echter Zucht des Geistes erschienen, daß, als die Synode an die Beratung der Vorlage ging, unter der vorbildlichen Leitung des Essener Oberbürgermeisters Dr. Heinemann eine musterhafte Disziplin das Gespräch beherrschte und die beiden Lesungen der 34 Artikel in weniger als zwei Tagen beendet werden konnten. Man wird sagen müssen, daß dies „Parlament ohne Parteien“ – es waren im ganzen 120 Abgeord­nete – dadurch zusammengehalten und zueinander geführt wurde, daß es sich immer wieder, vor und während der Beratung, gemeinsam unter, das Wort Gottes stellte und so an den Einen Herrn und die von ihm gegründete Gemeinschaft der Einen Kirche erinnert wurde.

Die Evangelische Kirche wird sich auf Grund der neuen Verfassung in einer jährlich zusam­mentretenden Synode repräsentieren; auf dieser Synode wird alle sechs Jahre der Rat der Evangelischen Kirche und dessen Vorsitzender gewählt werden; bei dieser Wahl wird die Kirchenführerkonferenz, das zweite, neben der Synode bestehende Organ, mitwirken, aber es wird nicht – wie etwa rein Oberhaus – neben der Synode oder gar ihr übergeordnet an der Leitung der Kirche beteiligt. Die Konfessionellen des 19. Jahrhunderts würden ein solches Prinzip als ein säkular-revolutionäres verurteilt haben. – Stahl nennt in seiner Polemik gegen Bunsen den Synodalismus das Eindringen des contract social in die Kirche, und noch heute gibt es Theologen, die die Synodalisten verdächtigen, zuviel von Rousseau gelernt zu haben – aber wir wissen, daß es hier um etwas ganz anderes geht: darum, daß sich in der Synode die ganze Kirche als Gemeinde unter dem Wort darstellt und in dieser Unterordnung den Weg der Kirche sucht und das Wort der Kirche redet. Das ist der Gewinn und das Erbe jener denkwür­digen Bekenntnissynoden, auf denen der Widerstand der evangelischen Christenheit im Drit­ten Reich Ereignis wurde, in Barmen und in Dahlem. Zwar wird man nicht übersehen dürfen, daß der Landesbischof von Bayern in einer Verlautbarung zu Eisenach noch einmal betont hat, daß von der „Objektseite der Verkündigung her gesehen“ – im Unterschied zu „deren Wirkung“ – keine Einheit innerhalb der Evangelischen-Kirche vorhanden sei, aber er wird mit dieser seiner Auffassung selbst unter den Lutheranern mehr eine besonders gelagerte Gruppe als den common sense der lutherischen Theologie zum Ausdruck bringen. Es ist nun einmal Tatsache, auch die bayrische Landeskirche ist in der Evangelischen Kirche geblieben, und wenn sie auch nicht deren Einheit bekennt, so will sie sie doch nicht leugnen.

Wir sind aus dem Kirchenkampf nicht so herausgekommen, wie wir hineingegangen sind, Wir haben gelernt, daß nicht theologische Auffassungen, sondern christliche Entscheidungen die Kirchengrenzen bilden. Das führt nicht zu einer Nivellierung theologischer Gegensätze, aber zu ihrer Relativierung, indem sie unter echte und letzte Glaubensentscheidungen zu stehen kommen. Vielleicht ist es der Fehler des nachreformatorischen Zeitalters gewesen, daß theo­logische Schulmeinungen zu Kirchengrenzen wurden. Vielleicht könnte auch uns heute diese Gefahr sehr ernst drohen. Demgegenüber hat die Versammlungen Eisenach bezeugt, daß sie das reformatorische Bekenntnis als Weg zur Einheit versteht, daß dem sola fide der Refor­ma­toren die una ecclesia entspricht. Sie hat das bezeugt unmittelbar bevor ihre Abge­ordneten zur Kirchenkonferenz nach Amsterdam gehen. Sie hat diese Einheit aber auch ihrem eigenen Vol­ke bezeugt, als ein Zeichen, daß Ein Gott und Ein Mittler sind, eine Hoffnung und ein Glaube, und daß daran die weltanschaulichen Kämpfe und Machtgebilde, die die Welt in zwei Hälften teilen und diesen Teilungsstrich durch unser Land legen möchten, nicht ändern können.

Nach der mühevollen und oftmals entsagungsreichen Arbeit gab es noch einen guten Ab­schied auf der Wartburg, bei dem der Gardegeneralmajor Kolesnitschenko der ebenso gast­freundliche wie in seinen Ansprachen offenherzige Hausherr war. Die Reden waren da am ernstesten, wo es um den Frieden ging. Zum Frieden hätte die Synode ein entscheidendes Wort gesagt. Hier konnten die Männer, denen das Schicksal des ganzen deutschen Volkes am Herzen lag, die Bitte um Frieden und den Willen zum Frieden einem Manne bezeugen, der maßgeblich dazu mitgewirkt hatte, daß diese Versammlung ungestört und in voller Freiheit tagen konnte.

Daß die Verfassungsanarchie innerhalb der Evangelischen Kirche ihr Ende erreicht hat, könn­te ein bedeutsamer Markstein in der Entwicklung auf. eine neue Gemeinschaft, einen echten Frieden in der Christenheit hin sein. Eine Entwicklung, die als Hoffnung auch in den Worten eines französischen Gastes zum Ausdruck kam. Das kirchliche Notrecht ist beendet. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat eine allseitig anerkannte Rechtsgestalt bekommen.

DIE ZEIT, Nr. 34, 19. August 1948.

Hier der Text als pdf.

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