
„Hermeneutik ist die Kunst, aus einem Text herauszukriegen, was nicht drinsteht.“ Odo Marquards bekanntes Diktum verweist auf die platonische Grundlage jeglicher Hermeneutik: Das konkrete Erzählgeschehen wird auf allgemein Gedachtes ideell hintergangen. Nur so kann es der „aufgeklärten“ Vernunft zugemutet werden. Luthers Predigt zur Höllenfahrt und Auferstehung Christi vom 17. April 1533 ist eine radikale Absage an jegliche theologische Hermeneutik. Nur im leiblichen Erzählgeschehen kann die Wirklichkeit des göttlichen Heilshandeln zugesagt werden:
„Dass ich das mit dem Munde ausreden oder mit den Sinnen begreifen sollte, wie es bei Christus in dem Dasein zugeht, das gar weit über und außer diesem Leben ist, — das werde ich wohl bleiben lassen müssen. Kann ich doch schon das nicht alles erfassen, was zu diesem Leben, zu Christi Erdendasein, gehört — z. B. wie es dem Herrn Christus im Garten Gethsemane zu Sinn und Mute war, als er reichlich Blut schwitzte —, sondern muss es beim Wort und Glauben bewenden lassen. Ebenso ist es noch viel weniger mit Worten oder Gedanken zu fassen, wie er zur Hölle gefahren ist. Vielmehr weil wir uns ja unsere Gedanken und Vorstellungsbilder von dem machen müssen, was uns in Worten vorgetragen wird, und weil wir nichts ohne Bilder denken und verstehen können, so ist es fein und recht, dass man’s ganz wörtlich auffaßt, so wie man’s malt: daß Christus mit der Fahne hinunterfährt und die Höllenpforten zerbricht und zerstört; die hohen, unverständlichen Gedanken sollen wir auf sich beruhen lassen. Denn eine solch bildhafte Darstellung zeigt in feiner Weise die Kraft und den Nutzen dieses Artikels, weswegen es geschehen ist und gepredigt und geglaubt wird; nämlich: wie Christus der Hölle Gewalt zerstört und dem Teufel alle seine Macht genommen hat. Wenn ich das habe, so habe ich den rechten Kern und Sinn davon, und soll nicht weiter fragen und klügeln, wie es zugegangen oder möglich sei, geradeso, wie auch bei andern Artikeln des Glaubensbekenntnisses solches Klügeln und Meistern der Vernunft verboten ist und auch nichts erreichen kann.“
Der Überwinder der Hölle und Bringer des Lebens. Predigt auf den Ostertag
Von Martin Luther
Über das Apostolische Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, unsern Herrn … niedergefahren zur Hölle; am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.“
»Der Tod ist verschlungen in den Sieg.«
Weil wir nun den Herrn Christus begraben und gehört haben,[1] wie er aus diesem Leben geschieden ist, müssen wir ihn auch wieder herausholen und den Ostertag begehen, an welchem er in ein anderes, neues Leben getreten ist, in dem er nicht mehr sterben kann, und ein Herr geworden ist über den Tod und alle Dinge im Himmel und auf Erden. Daraufhin weist auch dieser Artikel unseres Glaubensbekenntnisses, wenn wir sprechen: »Niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten.«
Erster Teil: Die Höllenfahrt Christi.
1 Das bildhafte Verständnis der Höllenfahrt ist das sicherste.
Ehe nämlich Christus auferstanden und gen Himmel gefahren ist, als er noch im Grabe lag, ist er auch hinunter zur Hölle[2] gefahren; damit wollte er auch uns, die darin gefangen liegen sollten, daraus erlösen, wie er auch darum in den Tod gekommen und ins Grab gelegt worden war, um die Seinen daraus zu holen. Ich will aber bei diesem Artikel nicht in hohen und scharfsinnigen Begriffen davon handeln, wie es zugegangen ist, oder was das heißt: ›Zur Hölle fahren‹; ich will vielmehr bei dem einfachsten Verständnis bleiben, so wie diese Worte lauten und wie man es Kindern und einfachen Leuten schildern muß. Denn es hat wohl schon viele gegeben, die das mit ihrer Vernunft und ihren fünf Sinnen haben fassen wollen; aber sie haben damit nichts getroffen und erreicht, sondern sind nur weiter vom Glauben abgekommen und abgeführt worden. Darum ist für den, der den rechten Weg gehen und nicht anstoßen will, dies [156] das allersicherste, wenn er ganz bei den Worten bleibt und sich diese schlicht einprägt, so gut er es nur kann.
Dementsprechend pflegt man es auch so an die Wände zu malen: wie Christus mit einer Chorkappe[3] und mit einer Fahne in der Hand hinunterfährt, vor die Hölle kommt und damit den Teufel schlägt und verjagt, die Hölle stürmt und die Seinen herausholt. In dieser Art hat man ja auch in der Osternacht ein Spiel für die Kinder veranstaltet[4] und es gefällt mir gut, daß man es so den einfachen Leuten vormalt, vorspielt, vorsingt oder vorsagt. Man soll’s auch dabei bewenden lassen, damit man sich nicht viel mit hohen, spitzfindigen Gedanken an der Frage zerquäle, wie es denn zugegangen sein möge; ist es doch nicht leiblich geschehen, da er ja doch die drei Tage im Grabe geblieben ist.
2 Begrifflich ist der Hergang der Höllenfahrt nicht zu ergründen.
Man könnte nämlich zwar in ganz scharfen und feinen Begriffen davon reden, wie es an und für sich damit stehe, wie denn auch etliche Lehrer darüber disputiert haben: ob Christus persönlich und gegenwärtig mit seiner Seele, oder nur durch seine Kraft und Wirkung hinuntergefahren sei. Aber es ist doch nicht mit dem Denken zu erreichen noch zu ergründen, und sie selber haben es auch nicht verstanden. Denn daß ich das mit dem Munde ausreden oder mit den Sinnen begreifen sollte, wie es bei Christus in dem Dasein zugeht, das gar weit über und außer diesem Leben ist, — das werde ich wohl bleiben lassen müssen. Kann ich doch schon das nicht alles erfassen, was zu diesem Leben, zu Christi Erdendasein, gehört — z. B. wie es dem Herrn Christus im Garten Gethsemane zu Sinn und Mute war, als er reichlich Blut schwitzte —, sondern muß es beim Wort und Glauben bewenden lassen. Ebenso ist es noch viel weniger mit Worten oder Gedanken zu fassen, wie er zur Hölle gefahren ist. Vielmehr weil wir uns ja unsere Gedanken und Vorstellungsbilder von dem machen müssen, was uns in Worten vorgetragen wird, und weil wir nichts ohne Bilder denken und verstehen können, so ist es fein und recht, daß man’s ganz wörtlich auffaßt, so [157] wie man’s malt: daß Christus mit der Fahne hinunterfährt und die Höllenpforten zerbricht und zerstört; die hohen, unverständlichen Gedanken sollen wir auf sich beruhen lassen.
Denn eine solch bildhafte Darstellung zeigt in feiner Weise die Kraft und den Nutzen dieses Artikels, weswegen es geschehen ist und gepredigt und geglaubt wird; nämlich: wie Christus der Hölle Gewalt zerstört und dem Teufel alle seine Macht genommen hat. Wenn ich das habe, so habe ich den rechten Kern und Sinn davon, und soll nicht weiter fragen und klügeln, wie es zugegangen oder möglich sei, geradeso, wie auch bei andern Artikeln des Glaubensbekenntnisses solches Klügeln und Meistern der Vernunft verboten ist und auch nichts erreichen kann. Sonst könnte ich, wenn ich auch so klug sein wollte wie manche, die gerne hoch herfahren und über unsre Einfältigkeit spotten, auch wohl schwätzen und fragen, was für eine Fahne er denn gehabt habe, ob sie von Tuch oder Papier gewesen sei, und wie es zugegangen sei, daß sie nicht in der Hölle verbrannt ist; ferner: was für ein Tor und was für Schlösser die Hölle habe usw. So könnte ich fein heidnisch die Christen als die größten Narren verlachen, weil sie so etwas glauben. Das ist eine einfache und leichte Kunst, in der jedermann guten Bescheid wüßte, ohne daß sie es einen zu lehren brauchten; ja, auch eine Sau oder Kuh könnte das trefflich. Andrerseits könnte ich auch meisterlich Allegorien[5] daraus machen und deuten, was mit Fahne und Stab oder Tuch und Höllentor gemeint sei.
3 Das Bild der Höllenfahrt bezeugt Christi Sieg über den Teufel.
Denn wir sind ja gottlob nicht so dumm, daß wir glauben oder sagen wollten, daß es leiblich so zugegangen sei mit äußerlichem Gepränge oder hölzernen Fahnen und Tuch oder daß die Hölle ein Gebäude aus Holz oder Eisen sei. Aber wir stellen beides, solches Fragen und Klügeln und Deuten zurück und reden ganz schlicht davon, damit man mit solchen handgreiflichen Darstellungen erfassen möge, was dieser Artikel uns gibt. In solcher Weise stellt man [158] ja auch sonst die Lehre von göttlichen Dingen durch grobe, äußerliche Bilder dar. So hält Christus selbst überall im Evangelium das Geheimnis des Himmelreiches dem Volk durch sinnfällige Bilder und Gleichnisse vor. Oder so malt man das Kindlein Jesus, daß er der Schlange auf den Kopf tritt, wie ihn auch Mose den Juden in der Wüste durch die eherne Schlange vormalte;[6] ebenso stellte ihn der Täufer Johannes durch ein Lamm dar, indem er ihn »das Lamm Gottes« nennt.[7] Denn solche Bilder sind fein klar und leichtverständlich, um ein Ding dadurch zu erfassen und zu behalten, und obendrein lieblich und tröstlich. Auch dienen sie, wenn sie sonst zu nichts gut wären, dazu, daß dem Teufel mit seinen gefährlichen Pfeilen und Anfechtungen gewehrt werde. Denn er will uns mit hohen Gedanken vom Worte wegführen, damit wir mit der Vernunft klettern und in den hohen Artikeln[8] solange klettern und klügeln, bis er uns zuletzt
Und das ist auch ohne Zweifel von den alten Vätern so auf uns gekommen, daß sie in dieser Weise davon geredet und gesungen haben. So klingen auch noch die alten Lieder und singen wir am Ostertag: »Der die Hölle zerbrach und den leidigen Teufel darinnen band usw.« Denn wenn ein Kind oder ein einfacher Mensch solches hört, so denkt er nicht anders, als daß Christus den Teufel überwunden und ihm alle seine Gewalt genommen habe. Das ist recht und christlich gedacht; da ist die rechte Wahrheit und der Sinn dieses Artikels getroffen, obwohl nicht mit scharfen Begriffen davon geredet noch es gerade so ausgedrückt wird, wie es in Wirklichkeit geschehen ist. Aber was liegt daran, wenn mir’s meinen Glauben nicht verdirbt und das rechte Verständnis fein klar und hell anzeigt, das ich davon gewinnen soll und kann? Und wenn ich noch so lange mit allem Scharfsinn suche, kann ich doch nichts weiter davon erfassen, sondern verliere viel eher das rechte Verständnis, wenn ich nicht, wohl verwahrt, an dem Worte festhalte. Man muß es doch [159] dem ungebildeten Volk so kindlich und einfältig vor Augen malen, als man immer kann; sonst ist eins von beiden die Folge: entweder lernen und verstehen sie überhaupt nichts davon, oder aber kommen sie, wenn sie auch klug sein wollen und mit ihrer Vernunft in die hohen Gedanken geraten, ganz vom Glauben ab.
4 Der Sieg über die Hölle ist das Werk des ganzen Christus.
Das sage ich darum, weil ich sehe, daß die Welt jetzt in des Teufels Namen klug sein und in den Artikeln des Glaubens alles nach ihrem Kopf meistern und ergründen will. So hier: wenn sie hört, daß Christus zur Hölle gefahren ist, fährt sie zu und will es sogleich ausforschen, wie es zugegangen sei, und stellt viel weitläufige, unnütze Fragen: ob die menschliche Seele Jesu allein hinuntergefahren, oder ob die Gottheit bei ihr gewesen sei; ferner: was er dort getan habe und wie er mit den Teufeln umgegangen sei, und dergleichen vieles, wovon sie doch nichts wissen kann. Wir aber sollen solch unnötige Fragen fahren lassen und schlicht und einfältig unser Herz und Denken an die Worte des Glaubensbekenntnisses heften und binden, welches sagt: ›Ich glaube an den Herrn Christus, Gottes Sohn, gestorben, begraben und zur Hölle gefahren.‹ Das bedeutet: Ich glaube an die ganze Person, Gott und Mensch, nach Leib und Seele ungeteilt, daß er von der Jungfrau geboren ist, gelitten hat, gestorben und begraben ist. Ebenso soll ich’s auch hier nicht teilen, sondern glauben und sagen, daß derselbe Christus, Gott und Mensch in einer Person, zur Hölle gefahren, aber nicht darin geblieben ist. In diesem Sinn sagt der 16. Psalm von ihm (V 10): »Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen noch zugeben, daß dein Heiliger die Verwesung sehe.« ›Seele‹ aber heißt der Psalm nach dem Sprachgebrauch der Schrift nicht wie wir ein vom Leibe abgesondertes Wesen, sondern den ganzen Menschen, wie er sich ja Leben dort nicht bloß ›Seele‹, sondern den ›Heiligen Gottes‹ nennt.
5 Ein Spott über die Vorstellung der Höllenfahrt ist nicht am Platze.
Wie aber solches zugegangen sein mag, daß der Mensch da im Grabe liegt und doch zur Hölle fährt, das sollen und müssen wir wohl unergründet und unverstanden lassen. Denn es ist freilich nicht leiblich noch handgreiflich faßbar zugegangen, auch wenn man’s grob und leiblich malen und denken und gleichnishaft so da-[160]von reden muß, wie wenn ein starker Held oder Riese in ein festes Schloß käme samt seinem Heer, seinem Panier und seinen Waffen und dasselbe zerstörte und den Feind darin finge und bände usw. Darum sage nur, wenn man dich nach diesem Artikel fragt, ganz schlicht so: ›Wie es zugegangen ist, das weiß ich wahrlich nicht, werde es auch nicht erdenken noch ausreden können. Aber grob kann ich’s dir wohl malen und in ein Bild fassen, um von verborgenen Dingen fein klar und deutlich zu reden: Er ist hingegangen und hat die Fahne genommen wie ein siegender Held und hat damit die Tore aufgestoßen und unter den Teufeln rumort, so daß hier einer zum Fenster, dort einer zum Loch hinausgefallen ist.‹
Nun kommst du, unzeitiger Klügling, mit deiner schmutzigen Klugheit und spottest: ›Ist das wahr (wenn ich recht höre), so hat die Hölle demnach hölzerne Tore, vom Zimmermann gemacht? Wie ist sie denn so lange gestanden, daß sie nicht verbrannt ist? usw.‹ Antwort: ›Das wußte ich schon vorher wohl, ehe deine Klugheit geboren war, und du brauchst mich nicht erst zu belehren, daß die Hölle nicht von Holz und Stein gebaut ist, und daß sie keine solchen Tore und Fenster, Schlösser und Riegel hat, wie ein Haus oder Schloß auf Erden, und daß er sie nicht mit einer tuchenen Fahne zerstört hat. Andrerseits kann ich auch gottlob wohl ebenso scharfsinnig als irgend ein solcher Besserwisser davon reden und dazu diese Vorstellungen und Bilder alle fein erklären und auslegen, was sie bedeuten. Aber ich will lieber bei dem kindlichen Verständnis und den einfachen klaren Worten bleiben, womit mir dieser Artikel fein gemalt wird, als mit diesen Klüglingen in die hohen Gedanken mich versteigen, die sie selbst nicht verstehen und mit denen sie der Teufel von der rechten Bahn abführt. Denn ein solches Bild kann mir nicht schaden noch mich verführen, sondern es dient und hilft trefflich dazu, daß ich diesen Artikel desto stärker fasse und festhalte, und der Sinn bleibt dann rein und unverkehrt, gleichviel ob die Pforten, das Tor und die Fahne hölzern oder eisern oder überhaupt nicht vorhanden gewesen sind. Wir müssen doch alle Dinge, die wir nicht._ kennen und wissen, in dieser Weise durch Bilder erfassen, obgleich diese nicht so genau zutreffen bzw. es in der Wirklichkeit nicht so ist, wie man es malt. Geradeso glaube ich auch hier, daß Christus selbst in eigener Person die Hölle zerstört und den Teufel gebunden hat, gleichviel, ob die Fahne, [161] Pforte, Tor und Kette hölzern oder eisern oder überhaupt nicht vorhanden gewesen ist. Daran liegt auch nichts, wenn ich nur das festhalte, was durch diese Bilder bezeichnet wird und was ich von Christus glauben soll; das ist die Hauptsache, der Nutzen und die Wirkung, die wir davon haben: daß mich und alle, die an ihn glauben, weder Hölle noch Teufel gefangen nehmen oder schädigen kann.
6 Die Höllenfahrt Christi hat für uns die Macht der Hölle zerstört.
Das sei nun so schlicht als möglich von diesem Artikel gesagt, damit man an den Worten festhalte und bei dieser Hauptsache bleibe: durch Christus ist für uns die Hölle zerrissen und des Teufels Reich und Gewalt ganz zerstört; denn um dessentwillen ist er gestorben, begraben und hinuntergefahren, daß sie uns nicht mehr schaden noch überwältigen soll, wie er Matth 16,18 selbst sagt. Denn wohl ist es so: die Hölle bleibt an sich selbst die Hölle und hält die Ungläubigen gefangen (wie auch der Tod, die Sünde und Unglück aller Art für die Ungläubigen bestehen bleiben), so daß sie darin bleiben und verderben müssen; und auch uns selber schreckt und bedrängt sie nach dem Fleisch und dem äußerlichen Menschen, so daß wir uns damit herumschlagen und -beißen müssen. Aber doch ist das im Glauben und Geist alles zerstört und zerrissen, daß es uns nichts mehr schaden kann.
Das alles ist durch diesen einzigen Mann ausgerichtet worden, dadurch, daß unser Herr Christus zur Hölle hinuntergefahren ist. Sonst hätte es die Welt mit allen ihren Kräften nicht vermocht, jemand aus des Teufels Banden zu erlösen oder auch nur für eine einzige Sünde die Pein und Gewalt der Hölle aufzuheben, selbst wenn alle Heiligen für eines Menschen Sünde in die Hölle führen. Vielmehr müßten sie allzumal, so viele jemals auf Erden gekommen sind, ewiglich darin bleiben, wenn nicht der heilige, allmächtige Gottessohn mit seiner eigenen Person dahin gefahren wäre und sie durch seine göttliche Gewalt machtvoll eingenommen und zerstört hätte. Denn das vermag keine Karthäuserkappe,[9] kein Barfüßerstrick,[10] noch aller Mönche Heiligkeit noch aller Welt Gewalt und [162] Macht: ein einziges Fünklein des höllischen Feuers auszulöschen. Aber das bringt’s zustande, daß dieser Mann selbst hinunterkommt mit seiner Fahne; da müssen alle Teufel laufen und fliehen, da er Tod und Gift für sie ist, und die ganze Hölle mit ihrem Feuer muß vor ihm erlöschen. So darf sich nun kein Christ mehr davor fürchten, und wenn er Laus diesem Leben hinscheidet, so soll er nicht mehr der Hölle Pein leiden, geradeso wie er durch Christus auch den Tod nicht schmeckt, sondern durch Tod und Hölle zum ewigen Leben hindurchdringt.
Zweiter Teil: Die Auferstehung Christi.
1 Mit der Auferstehung hat Christus seinen Sieg uns zugut vollendet.
Er hat es aber nicht dabei bewenden lassen, unser Herr Christus, daß er gestorben und zur Hölle gefahren ist; denn damit wäre uns noch nicht endgültig geholfen. Sondern er ist aus dem Tode und der Hölle wieder herausgekommen und hat das Leben wiedergebracht und den Himmel aufgeschlossen, und hat so öffentlich seinen Sieg und Triumph über Tod, Teufel und Hölle dadurch bewiesen, daß er, wie dieser Artikel lautet, »am dritten Tage wieder auferstanden ist von den Toten«. Das ist die Vollendung und das Beste davon: darin haben wir es alles; es ist ja auch alle Gewalt, Kraft und Macht darein beschlossen über alles, was da im Himmel und auf Erden ist. Denn dadurch, daß er vom Tod auferstanden ist, ist er ein mächtiger Herr geworden über den Tod und alles, was Macht zu töten hat oder zum Tode dient. Nun kann der Tod ihn nicht mehr fressen und festhalten, die Sünde nicht mehr auf ihn fallen noch ihn zum Tode treiben, der Teufel ihn nicht mehr verklagen, noch die Welt oder irgendeine Kreatur ihn plagen oder ihm schaden. Denn diese alle tun ja nichts anderes wider uns, als daß sie dem Tod und der Hölle Dienste leisten als seine Büttel und Schergen und uns ihm zutreiben und überantworten. Wer aber dem Tode entgangen und von seinen Banden los ist, daß er ihn nicht mehr halten noch fangen kann, der ist auch all dem andern entgangen und ein Herr über Welt, Teufel, Strick, Schwert, Feuer, Galgen und alle Plagen, so daß er ihnen sich wohl entgegensetzen und Trotz bieten kann.
Dieser Ruhm gehört nun wiederum allein dem Herrn Christus. Denn er hat es durch seine allmächtige, göttliche Gewalt zuwege gebracht; aber nicht für sich selbst, sondern für uns arme, elende Leute, die sonst ewig des Todes und Teufels Gefangene sein müß-[163]ten. Zuvor[11] war er ja für seine eigne Person vor dem Tod und allem Unglück wohl gesichert, so daß er nicht sterben noch in die Hölle fahren mußte. Aber nachdem er sich in unser Fleisch und Blut gesteckt und alle unsre Sünde, Strafe und Unglück auf sich genommen hatte, so mußte er uns auch heraushelfen; er mußte also wieder lebendig und auch leiblich und nach seiner menschlichen Natur ein Herr des Todes werden, damit auch wir in ihm und durch ihn endlich aus dem Tod und allem Unglück herauskämen. Daher heißt er in der Schrift »primogenitus ex mortuis«, »der Erstgeborene von den Toten«[12] als derjenige, welcher uns die Bahn gebrochen hat und zum ewigen Leben vorangegangen ist, damit wir durch seine Auferstehung auch hindurchkommen. Er hat so einen herrlichen Sieg über Tod und Hölle erlangt, damit wir, die wir ihre Gefangenen waren, nicht nur erlöst, sondern auch Sieger und Herren werden durch den Glauben. Denn durch den Glauben sind wir in seine Auferstehung gekleidet[13] und sollen hernach alle zugleich ebenfalls leiblich und sichtbar auferstehen und emporschweben, daß uns alle Dinge ewiglich zu unsern Füßen liegen müssen.
2 Die Auferstehung Christi will im Glauben angeeignet sein.
Dazu gehört nun freilich ein starker Glaube; der muß dem Christen diesen Artikel stark und gut machen und diese Worte »Christus ist erstanden« mit großen Buchstaben ins Herz schreiben und so groß werden lassen, als Himmel und Erde ist. Er darf nichts anderes mehr sehen, hören, denken und wissen als diesen Artikel, als sei in der ganzen Schöpfung nichts anderes geschrieben; und er muß sich ihn so einprägen, daß er sich ganz drein hineinsteckt und nur aus diesem Artikel lebt. In diesem Sinn pflegt Paulus davon zu reden, um als ein rechter Meister diesen Artikel herauszustreichen. Er hat immer beides, Herz und Mund, voll davon, wie Christus auferstanden ist, und fließt von lauter solchen Worten über wie Eph 2,5 f: »Er hat uns samt Christus lebendig gemacht und hat uns samt ihm auferweckt und samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt.« Ebenso Gal 2,20: »Ich lebe hinfort nicht mehr, sondern Christus [164] lebt in mir.« Und Röm 8,33 f: »Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht, wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist usw.«
Wenn wir nun auch so glaubten, so hätten wir gut leben und gut sterben. Denn solcher Glaube würde uns fein lehren, daß Christus nicht allein für seine eigene Person auferstanden ist, sondern daß er und wir so aneinander hängen, daß es uns gilt und auch wir in dem Resurrexit »Er ist auferstanden« drinstehen und inbegriffen sind. Um dessentwillen bzw. durch dasselbe muß es so sein, daß auch wir auferstehen und mit ihm ewiglich leben. Unser Auferstehen und Leben hat also, wie S. Paulus auch sagt,[14] in Christus schon angefangen und ist so gewiß, als wäre es schon ganz und gar geschehen, — nur daß es noch verborgen und nicht offenbar ist. Und so sollen wir diesen Artikel hinfort so scharf ins Auge fassen, daß alles andere, auf was man sonst blicken kann, nichts dagegen ist, als sähest du nichts anderes im ganzen Himmel und auf Erden. Wenn du also siehst, wie ein Christ stirbt und begraben wird und nichts mehr daliegt als ein toter, verwesender Leib, und wenn so für Augen und Ohren lauter Tod da ist, so sollst du doch durch den Glauben darin und darunter ein anderes Bild ersehen anstatt dieses Totenbildes: als sähest du nicht ein Grab und einen toten, verwesenden Leib, sondern lauter Leben und einen schönen, lustvollen Garten oder eine grüne Wiese und darin lauter neue, lebendige, fröhliche Menschen.
3 Christi Auferstehung verbürgt auch die der auf ihn Getauften.
Denn wenn das wahr ist, daß Christus vom Tode auferstanden ist, so haben wir damit schon das beste Stück und vornehmste Teil von der Auferstehung vorweg bekommen, so daß die leibliche Auferstehung des Fleisches aus dem Grabe, die noch zukünftig ist, dagegen gering anzuschlagen ist. Denn was sind wir und alle Welt gegenüber Christus, unsrem Haupt? Kaum ein Tröpflein gegenüber dem Meer, oder ein Stäublein gegenüber einem großen Berg. Nun ist Christus, das Haupt der Christenheit, durch den sie lebt und alles hat und der so groß ist, daß er Himmel und Erde füllt, aus dem Grabe erstanden und dadurch ein mächtiger Herr aller Dinge, auch des Todes und der Hölle geworden, wie wir gehört haben. Darum [165] müssen auch wir als seine Glieder durch seine Auferstehung mitbetroffen und -berührt werden und müssen eben dessen teilhaftig werden, was er damit vollbracht hat, weil es um unsretwillen geschehen ist. Und wie er durch sein Auferstehen alles mit sich genommen hat, so daß Himmel sowohl als Erde, Sonne und Mond neu werden muß, so wird er auch uns mit sich führen. So sagt S. Paulus 1 Thess 4,14 und Röm 8,11.19.21, derselbe Gott, der Christus von den Toten auferweckt hat, werde auch unsre sterblichen Leiber lebendig machen, und mit uns sollen alle Kreaturen, die jetzt der Vergänglichkeit unterworfen sind und sich angstvoll nach unsrer Herrlichkeit sehnen, auch von dem vergänglichen Wesen frei und herrlich werden. So haben wir schon mehr als die Hälfte unsrer Auferstehung, weil das Haupt und Herz bereits droben ist; es handelt sich nur noch um das Geringste: es muß bloß noch der Leib unter die Erde verscharrt werden, damit er auch erneuert werden möge. Denn wo das Haupt bleibt, dahin muß auch der Leib hintennachkommen; so sehen wir’s an allen Tieren, wenn sie zu diesem Leben geboren werden.
Zudem ist auch noch Lauf unsrer Seiten eine Hälfte schon geschehen, ja sogar weit über die Hälfte: wir sind nämlich durch die Taufe im Glauben schon geistlich auferstanden, d. h. nach dem besten Stück an uns.[15] So ist also nicht bloß leiblich das Allerbeste daran schon geschehen, indem unser Haupt aus dem Grab gen Himmel gefahren ist, sondern auch in geistlicher Hinsicht, indem unsre Seele ihr Teil schon bekommen hat und mit Christus im Himmel ist (wie S. Paulus zu sagen pflegt[16]). Nur noch die Hülsen und Schalen oder Topfscherben bleiben hier unten, müssen aber um des Hauptstückes willen[17] auch hintennachfahren. Denn dieser Leib ist, wie S. Paulus sagt,[18] nur eine Hütte der Seele; er ist ja von Erde oder Ton gemacht[19] und ein veraltetes Kleid oder ein alter, schäbiger Pelz. Weil aber die Seele durch den Glauben bereits im neuen, ewi-[166]gen, himmlischen Leben ist, und nicht sterben noch begraben werden kann, so haben wir auf nichts mehr zu warten, als darauf, daß die arme Hütte und dieser alte Pelz auch neu werde und nicht mehr vergehen könne, weil das beste Stück droben ist und uns nicht hinter sich lassen kann. Und wenn der, der »Resurrexit« heißt, (»Er ist auferstanden«) aus dem Tod und Grab hinweg ist, so muß der, der »Credo« sagt, (»Ich glaube«)[20] und an ihm hängt, auch hintendrein. Denn er ist darum uns vorangegangen, daß wir hintennachfolgen sollen; und dies hat damit schön angefangen, daß wir durch das Wort und die Taufe täglich in ihm auferstehen.
4 Christi Auferstehung hilft uns den Anblick des Todes zu besiegen.
Sieh, so sollten wir uns an solche Glaubensgedanken gewöhnen im Gegensatz zu dem, was wir äußerlich, leiblich an unsrem Fleisch erblicken. Dieser Anblick stellt uns lauter Tod vor Augen und will uns mit diesem Bilde schrecken und den Artikel von der Auferstehung in Zweifel setzen und zerrütten. Denn er stößt uns gar sehr vor den Kopf, wenn man die Vernunft mit ihren Gedanken dem, was die Augen sehen, nachhängen läßt und nicht das Wort dagegen ins Herz faßt. Denn da kann einer nichts als lauter Todesgedanken haben, solange er darauf sieht, wie der Leib daliegt, jämmerlicher und greulicher als ein totes Aas, und wie er so schmählich verfault und stinkt, daß ihn niemand auf Erden leiden kann und ihm mit keiner andern Arznei zu helfen oder zu wehren ist, als damit, daß man ihn ganz verbrennt oder unter die Erde scharrt, so tief, als man kann.
Wenn du dagegen das Wort im Glauben fassest, so kriegst du ein anderes Sehvermögen, das durch diesen Tod hindurch in die Auferstehung hinein sehen und lauter Gedanken und Bilder des Lebens erfassen kann. Das ist gerade ein Stück von der Auferstehung und ein Anfang des neuen Lebens; denn dieses schafft auch neue Sinne und Gedanken, die sonst niemand haben könnte, wenn er nicht bereits durch den Glauben hinübergetreten ist und die Auferstehung ergriffen hat und der darum auch den äußeren Menschen mit sich zieht, so daß der diesem geistlichen Menschen nachdenken und -leben muß. Darum kann er im Widerspruch zur natürlichen Art [167] und Denkweise aller Menschen so folgern und sagen: ›Will ich der Vernunft nach urteilen, wie ich’s sehe und verstehe, so bin ich verloren; aber ich habe ein höheres Verständnis als die Augen sehen und die Sinne fühlen, ein Verständnis, das mich der Glaube lehrt.‹ Denn da steht der Text, der heißt »Resurrexit«, »Er ist auferstanden«, und das nicht für sich, sondern um unsretwillen, so daß seine Auferstehung unser ist. In ihm sollen auch wir auferstehen und nicht im Grab und Tod bleiben, sondern mit ihm auch leiblich einen ewigen Ostertag halten.
5 Ihr irdisches Gleichnis hat die Auferstehung an Aussaat und Ernte.
Denn sieh, wie macht es ein Ackersmann? Er sät auf dem Felde und wirft das Korn in die Erde hin, daß es verfaulen und verderben muß, so daß es aussieht, als sei es völlig verloren. Dennoch sorgt er sich nicht darum, als sei es umsonst; ja, er vergißt, wo das Korn bleibt. Er fragt nichts darnach, wie es ihm geht, ob es die Würmer fressen oder ob es sonst verdirbt. Vielmehr geht er mit lauter solchen Gedanken weg, daß um Ostern oder Pfingsten schöne Halme herauskommen und viel mehr Ähren und Körnlein tragen werden, als er hingeworfen hat. Wenn das ein anderer sähe, der vorher noch kein Korn hätte wachsen sehen, so würde er gewiß zu ihm sagen: ›Was machst du da, du Narr? Bist du nicht toll und töricht, daß du dein Korn so nutzlos in die Erde dahinschüttest, wo es doch verwesen und verfaulen muß und niemand zunutze kommen kann?‹ Aber wenn du ihn so fragst, so wird er dir ganz anders antworten und sagen: ›Lieber, das wußte ich schon vorher gut, noch eher als du, daß ich das Korn nicht zwecklos wegwerfen darf. Aber ich tue es nicht deshalb, daß es verderben soll, sondern damit es dadurch, daß es in der Erde verwest, eine andere Gestalt gewinne und viel Frucht bringe.‹ So wie dieser Bauers denkt jedermann, der das sieht oder tut; denn wir urteilen hier nicht nach dem, was wir vor Augen sehen, sondern darnach, daß wir Jahr für Jahr Gottes Werk gesehen und erfahren haben, ohne daß wir wissen und verstehen können, wie es zugeht, geschweige, daß wir mit unsrer Kraft imstande wären, auch nur ein Hälmlein aus der Erde zu bringen.
Nachdem wir nun in diesem irdischen Geschäft solches tun müssen, wie viel mehr sollen wir das bei diesem Artikel von Tod und Auferstehung lernen (welchen wir noch viel weniger begreifen und [168] verstehen können), nachdem wir doch Gottes Wort haben, dazu die Erfahrung der Apostel, daß Christus vom Tode auferstanden ist. Und zwar sollen wir auch hier nicht nach dem urteilen, was wir vor Augen sehen: wie unser Leib begraben, verbrannt oder sonst zu Erde wird, sondern sollen Gott machen und für das sorgen lassen, was daraus werden soll. Denn wenn wir das so schnell vor Augen sehen würden, so brauchten wir keinen Glauben, und Gott hätte nicht Raum, seine Weisheit und Gewalt z:erzeigen, wie sie über unsre Weisheit und unsern Verstand geht. Darum heißt das der Christen Kunst und Weisheit, daß man mitten unterm Heulen und Klagen imstande ist, tröstliche und fröhliche Gedanken des Lebens zu schöpfen: daß uns Gott so in die Erde verscharren und verfaulen läßt auf den Winter, damit wir auf den Sommer wieder hervorgehen sollen, viel schöner als diese Sonne; als ob das Grab nicht ein Grab, sondern ein schöner Würzgarten wäre, worin schöne Nelken und Rosen gepflanzt sind, die auf den lieben Sommer dahergrünen und -blühen sollen — ebenso wie es auch bei des Herrn Christi Grab war: es hat leer werden müssen und sein Leib hat nicht stinken dürfen, sondern hat auch leiblich herrlich und schön werden müssen.
So haben auch die lieben heiligen Märtyrer und Jungfrauen geredet und gedacht, als man sie in den Kerker und zum Tode führte. So liest man von S. Agathe,[21] daß es ihr bei ihrer Hinrichtung vorkam, als solle sie zum Tanze gehen; alle Marter und Pein, womit man ihr drohte, achtete sie gerade so, als ob man ihr zum Reigen aufspielte, daß sie tanzen solle. Ebenso schreibt man auch von S. Vincenz[22] und anderen, daß sie mit Freuden und Lachen zum Tode gegangen sind und ihrer Richter und Henker dazu gespottet haben. Denn sie haben sich die Auferstehung noch viel fester vor die Seele gestellt als irgendein Bauer seine Ernte auf dem Felde, und haben sie als etwas so Gewisses erfaßt, daß sie den Henker, Tod und Teufel dagegen für einen Spott hielten. [169]
Das laßt uns auch lernen, damit wir diesen Artikel von der Auferstehung fest in unser Herz prägen und uns seiner getrösten und darauf trotzen können, wenn der Teufel seinen Spieß gegen uns wetzt und mit Tod und Hölle droht. Denn (wie gesagt) weil unser Haupt, an dem alles liegt, auferstanden ist und lebt und wir in ihm getauft sind, so haben wir schon weit mehr als die Hälfte vorweg, und nur ein kleines Stückchen ist noch übrig: wir müssen uns vollends die alte Haut abziehen lassen, damit sie auch wieder neu werde. Denn weil wir das Erbgut schon ganz haben, so müssen die Hülsen und Schalen demselben auch gewiß nachfolgen.
Schluß: Christus allein ist unsere Weisheit, nicht unsere eigene Vernunft.
Soviel sei für diesmal über diesen Artikel von unsrem Herrn Jesus Christus gepredigt,[23] damit man sehe, wie darin beschlossen und begriffen ist alle unsre Weisheit und Kunst, die ein Christ wissen soll. Das ist wohl eine hohe Weisheit, die über alle Weisheit und Kunst der Welt geht; aber sie ist auch nicht auf Erden gemacht noch aus unsrem Kopf gewachsen, sondern vom Himmel geoffenbart, und sie heißt eine göttliche, geistliche Weisheit und (wie S. Paulus sagt)[24] eine solche, die »in mysterio« »im Geheimnis« verborgen liegt. Denn Vernunft und Welt kann keines dieser Stücke[25] durch sich selbst erreichen oder begreifen und verstehen, auch wenn es ihr vorgelegt wird; sondern sie tut nur das Gegenteil, nimmt Anstoß an dieser Lehre und hält es für lauter große Torheit. So muß also Gott mit seinem Wort für sie nur ein Narr, ja dazu ein Lügner sein;[26] und was er redet und lehrt, muß alles verdammt und die ärgste Ketzerei und Verführung des Teufels heißen. So müssen wir es zur Zeit selber von den Unsern erfahren und erleiden, obwohl wir doch nichts anderes lehren als diesen Text, den sie selber mit uns täglich singen und sprechen.[27] Daß wir von ihnen Ketzer gescholten werden, das hat keinen andern Grund als den, daß wir den Artikel von dem Herrn Jesus Christus so klar und eindringlich be-[170]handeln; rühmen wir doch, daß er allein alles sei und gelte, was wir als Christen haben und wovon wir Christen heißen, und wollen wir doch von keinem andern Herrn und keiner andern Gerechtigkeit und Heiligkeit wissen. Es geschieht uns aber diese Haltung unsrer Widersachers zu großem Trost, weil, wir dessen sicher sind, daß wir um keiner andern Sache willen auf Erden verfolgt werden, als um des Herrn Christus willen und des Glaubens wegen, den wir von den Aposteln empfangen haben und der bis heute in aller Welt seinen Lauf genommen hat und geblieben ist. Das ist unsre Sünde und Ketzerei vor der Welt, aber unser Trotz, unser Ruhm und unsre Freude vor Gott samt allen Heiligen von Anfang der Christenheit an. Dabei lasset uns bleiben und nur an dieser Kunst täglich lernen, weil darin all unsre Weisheit, unser Heil und unsre Seligkeit besteht. Denn wo dieser Artikel bleibt, da bleibt es alles: man ist seiner Sache gewiß und hat ein richtiges Urteil, welches man über alles andere Lehren und Leben sprechen kann. Und umgekehrt, wenn dieses Stück fällt und darniederliegt, so liegt auch all unser Heil und Trost und Weisheit darnieder, so daß niemand mehr recht richten und urteilen kann, weder über die Lehre noch über das Leben.
Dazu helfe uns Gott, durch diesen seinen lieben Sohn Jesus Christus, unsern Herrn, gelobet in Ewigkeit! Amen.
Predigt über zwei Sätze des 2. Glaubensartikels (»Niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten«), wahrscheinlich in der Woche nach Ostern am 17. April 1533 in Torgau vor dem kurfürstlichen Hofe gehalten. Thema: »Der Tod ist verschlungen in den Sieg.« Weimarer Ausgabe, Band 37, Seite 62-72 (Wittenberger Erstdruck A).
Quelle: Martin Luther, Predigten über die Christusbotschaft, Calwer Luther-Ausgabe Bd. 5, hrsg. v. Wolfgang Metzger, München-Hamburg: Siebenstern Taschenbuch Verlag 1966, 155-170.
[1] Luther hatte vorher über die vorangehenden Sätze des Apostolischen Glaubensbekenntnisses gepredigt.
[2] »Hölle« bedeutete für das Glaubensbekenntnis ursprünglich einfach den Ort der Toten; Luther aber faßt es wie die mittelalterliche Kirche als Ort der Verdammten.
[3] Mit »Chorkappe« meint Luther wohl den vorn geschlossenen weiten Mantel mit Kapuze, der bei Spendung der Sakramente usw. getragen wird.
[4] Die mittelalterliche Kirche pflegte Christi Höllenfahrt und Auferstehung in volkstümlichen Spielen in der Osternacht figürlich darzustellen, meist im Chor der Gotteshäuser.
[5] Von Allegorien spricht man dann, wenn hinter dem eigentlichen Wortlaut und buchstäblichen Sinn eines Begriffes, eines Satzes oder einer Geschichte ein verborgener, tieferer, geheimnisvoller Sinn gesucht wird. In dieser Weise suchten die »Klüglinge«, gegen die Luther sich hier wendet, die einzelnen Vorstellungen von der Höllenfahrt zu rationalisieren.
[6] 4 Mose 21,8 ff.
[7] Johannes 1,29. 36.
[8] Die »hohen Artikel« sind für Luther alle die Lehren des Glaubens, die sich auf die »göttliche Majestät« des dreieinigen Gottes und die Menschwerdung Christi richten.
[9] Die Kapuze war das auffallendste äußere Kennzeichen eines Karthäusermönches.
[10] Die Barfüßermönche gürteten sich mit einem Strick.
[11] Solange Christus »in göttlicher Gestalt« war als der ewige Sohn des Vaters, ehe er »sich selbst entäußerte« und »Knechtsgestalt annahm« (Philipper 2,7).
[12] Offenbarung 1,5.
[13] Vgl. z. B. Galater 3,27; 1 Korinther 15,49; Römer 6,5 u. a. m.
[14] Kolosser 3,1 u. 3.
[15] Vgl. Römer 6,4. »Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur« (2 Korinther 5,17).
[16] Vgl. Philipper 3,20; Epheser 2,6; Kolosser 3,3.
[17] Um des neuen, geistlichen Menschen willen, der durch die Taufe im Glauben schon »in Christus« ist.
[18] 2 Korinther 5,1.
[19] 1 Mose 2,7; 3,19.
[20] Daß Christus von den Toten auferstand, ist eine Gewißheit, die wir im Glaubensbekenntnis mit einem »Credo« für uns selbst bestätigen.
[21] Agathe, eine sizilianische Jungfrau, starb um 25o als Märtyrerin in der Christenverfolgung unter Kaiser Decius; sie wird von Luther öfters als Beispiel glaubensfreudigen Sterbens angeführt.
[22] Vincentius, ein Diakon von Saragossa in Spanien, erlitt den Märtyrertod unter Diokletian (um 304); er habe, so erzählt Luther anderwärts, auf die Drohung mit dem Tod durch Schwert und Feuer gesagt: »O ihr Toren, das ist mir hofiert!«
[23] Luther hatte über den ganzen 2. Hauptartikel gepredigt.
[24] 1 Korinther 2,7.
[25] D. h. der einzelnen Sätze des 2. Hauptartikels.
[26] Vgl. 1 Korinther 1,18 ff.
[27] Das Apostolische Glaubensbekenntnis ist ein fester Bestandteil sowohl der römischen Messe als auch des lutherischen Gottesdienstes.